[119] [123]3. Clorinda die rauhe Tugendstraß/ und dornigen Himmels-Weeg betrachtende/ fühlet wegen widerstrebenden bösen Gewonheiten noch grosse Beschwerden/ und begehrt von Daphnis Hülff

Ego custodivi vias duras, perfice gressus meos in semitis tuis.

Psal. 16. v. 4. & 5.


Ich hab' harte Weg bewahret/ erhalte meinen Gang auf deinen Fußsteigen.


1.
Weil diese falsche Welt
Mich so tyrannisch hält/
Daß es nicht zu erzehlen/
Als will ich mir die Reyß
Nach jenem Erden-Kreyß/
Der besser ist/ erwehlen/
Nach dem gelobten Land
Der höchst-beglückten Erden/
Die frey von allerhand
Betrübnuß/ und Beschwerden.
2.
Ach aber so viel Weeg/
So viel der bösen Steeg/
Schier einer an dem andern/
Der eine hier/ der her
[123]
Mir wöllen fallen schwär/
Weißloß dahin zu wandern:
Zu dem so find' ich auch/
Daß über alle massen
Gefährlich hart und rauch
Die Ubung dieser Strassen.
3.
Der Weg/ so von Trœcen
Sich zieht biß auff Athen,
Wo Schinis sich enthalten/
Der blutige Tyrann/
So manchem Wandersmann
Den müden Kopff zerspalten/
Ist nicht so kümmerlich/
Wie meine Straß zu räisen/
Dann jene liesse sich/
Die aber nicht umbkräisen.
4.
Der Weg nach Hiericho.
Bey weitem ist nicht so
Voll mörderischer Buben/
Allwo getroffen an
Der fromm Samaritan
Den Krancken in der Gruben:
Alldorten wurde zwar
Des Menschen Leib verletzet/
Hier aber wird so gar
Den Seelen nachgesetzet.
[124] 5.
Nicht ist zu finden bald
Auff gantzer Welt ein Wald/
Der mehr Leut hingenommen/
Als der im Böhmer-Land/
Allwo des Mörders Hand
Man schwärlich möcht entkommen/
Wo aber dorten war'
Ein kleine Zahl der Mördern/
Ist da ein gantze Schar
Zur Höll mich zu befördern.
6.
Von Wegs-Unsicherheit
Ist ruchtbar/ und verschreyt
Arabia, 1 vor allen/
Dieweil alldorten offt
Die Menschen unverhofft/
Gleich wie die Stöck'/ hinfallen/
Indem der gähe Wind
Mit bergigem Sand-Hauffen
Anstürmet so geschwind/
Daß niemand kan entlauffen.
7.
Gantz Lybien ist zwar
Ein stähte Todten-Bar'
Von wegen vieler Löwen/ 2
[125]
Die offt nach sattem Fraß
Die Blut-besprengte Straß
Mit Menschen-Fleisch bestrewen:
Hier aber ist ein Heer
Der Cerberischen Hunden/ 3
Welche begierig sehr/
Mich tödtlich zu verwunden.
8.
Ein sehr unsichers Land
Ist das am Nilus-Strand 4
Ursach der Crocodilen/
Die dorten am Gestatt/
Des Menschen-Fleisches satt/
Noch mit den Knochen spihlen/
Hier ist das Crocodil
Die Welt/ so offt betrogen
Der armen Seelen vil/
Und nach der Höll gezogen.
9.
Von Schlangen wurd' bethört/
Ja endlich gar verstört
Die schöne Stadt Amicle, 5
Mit welchen Thieren Ich
Euridice nun mich 6
Gar ungern mich verwickle;
Hier ist die alte Schlang/
[126]
Den armen Adams-Kindern
Den glücklichen Zugang
Des Himmels zu verhindern.
10.
Auff dem Sicilier-Meer
Ist es gefährlich sehr
Zwar wegen der Sirenen, 7
So manches Schiff zu grund
Mit Lachen/ Schertzen/ und
Mit süssem Singen hönen:
Hier singt die Welt-Siren
Mit Zucker-süsser Kählen/
Wodurch zu scheittern gehn
Viel tausend arme Seelen.
11.
Bey Scilla, und Charibd 8
Es viel zu schaffen gibt
Schad-loß hindurch zu schiffen/
Dann weil die Klippen eng/
Der Wind hingegen streng/
Wird man dort hart ergriffen:
Die Welt/ das böse Meer/
Pflegt an den Glücks-Gebürgen/
Und Felsen eitler Ehr
Die Seelen zu erwürgen.
12.
Ich glaub'/ es sey kein Reich
Auff Erden jemahl gleich
[127]
Dem Colchischen gewesen/
Allwo an Phasis Rand 9
Das Gold/ wie kleines Sand/
Wurd' häuffig auffgelesen;
Zudem war' es beglückt
Mit Uberfluß der Früchten/
So reich war angespickt
Das Præster-Feld mit nichten. 10
13.
In dieser Landschafft war'
Ein Fehl von göldnem Haar/ 11
Ein Schatz von grossem Wunder/
Von dessen Bildnuß hoch
Zu unsern Zeiten noch
Sich rühmen die Burgunder;
Aus welchem allem dann
Ein jeder Mensch kan schliessen/
Daß es/ wie Canaan, 12
Von Honig müsse fliessen.
14.
Weil aber diese Erd
Mit einer gantzen Herd 13
Der Abentheur umbgeben/
Als sind viel Ritters-Leut/
Erhitzt auff diese Beut/
Dort kommen umb ihr Leben;
[128]
Ein wildes Oxen-Heer 14
Den Paß zum Land verhütet;
Ein Segel-loses Meer 15
Auff sein Gestad zuwütet.
15.
Und wann schon allbereit
Durch Stärck/ und Dapfferkeit
Diß alles überwunden/
Hat alsdann endlich vor
Des Mavors Tempels-Thor 16
Ein Drack sich noch befunden/
So diesen reichen Schatz
Mit Feur/ und Gifft beschützet/
Vor wessen Widersatz
Sich viel zu tod geschwitzet.
16.
Dem schönen Reich/ wohin
Ich Segel-fertig bin/
Das Colchische muß weichen/
Dem auch die gantze Welt?
Sammt was sie in sich hält/
Durchaus nicht zu vergleichen/
Dann dieses alles ist
In Schätzung jener Freuden
Nichts/ als nur Koht und Mist
Nichts/ als nur Schmertz/ und Leyden.
17.
Der Weg/ ach aber ach! 17
[129]
Dahin ist Ungemach/
Und überaus beschwärlich/
Ja wegen Abentheur/
So sich da ungeheur
Erzeigen sehr gefährlich!
Indem das Höll-Geschmeiß 18
Mir trutzig steht entgegen/
In meiner Himmels-Räiß
Den Durchzug zu verlegen.
18.
O schröcklicher Gewalt!
O starcker Hinderhalt
Der böß-gewohnten Sitten/ 19
Von welchen ich so sehr/
Wie starck ich mich auch wehr'/
Werd' immerdar bestritten!
Gewohnheit ist ein Ding/
Voraus bey jungen Leuten/
So einzupflantzen ring/
Und schwärlich auszureuten.
19.
Weil aber diese Straß
Dem wilden Seelen-Fraß/
Der Höllen/ mich zuführet/
Als kaufft mein enges Hertz 20
So theur nicht solchen Schertz/
Wodurch man Gott verliehret:
[130]
Will lieber durch das Läid
Die Himmels-Räiß anstellen/
Als durch so kurtze Freud
Hinfahren nach der Höllen.
20.
Durch Hagel/ Feur/ und Plitz/ 21
Durch Schwerdter/ und Geschütz/
Will muhtig ich durchbrechen/
Und sollt' auch Atropos 22
Mit ihren Mord-Geschoß
Mein schwaches Hertz durchstechen:
Daphnis mit seiner Gnad
Wird mich sorgfältig läiten/
Und auff des Creutzes-Pfad
Nach seinem Reich begläiten.

Fußnoten

1 Verstehe in dem wilden unfruchtbaren Arabia, wo zu Zeiten der Wind gantze Sand-Berg zusammen wehet/ und die räisende Leut darmit ersteckt/ dahero dann die Mismia kömmt.

2 In keinem Land gibt es mehr Löwen/ und Bären/ als in Lybia.

3 Cerberus ein Hund vor der Höllen Thür/ mit drey Köpffen. Poët.

4 In dem Fluß Nilus in Aegypten gibt es viel Crocodil.

5 Eine beruhmte Stadt/ welche wegen vielen Schlangen zu Grund gangen.

6 Euridice von einer Schlangen gebissen/ hat sterben müssen.

7 Meerfräulein/ welche mit süssem singen die Schiff zugrund richten/ Poët.

8 Ein gefährlicher Ort im Meer.

9 Phasis ein goldreicher Fluß in dem Reich Colchis.

10 Zu Præsto wurden die Früchten zweymal im Jahr zeitig.

11 Das göldne Fluß.

12 Canaan das gelobte Land.

13 Wilde Oxen/ ein Feur-spenender Drack/ und sehr gefahrliches Meer.

14 Oxen/ die Füß von Aertz gehabt. Poët.

15 Unschiffbares.

16 Mavors oder Mars ein Gott des Kriegs.

17 Contendite intrare per augustam Portam. Luc. 13. v. 24. Durch die Müste in das gelobte Land. Mille per anfractus, per mille pericula mundi.

18 Iter nostrum, quasi quidam latrunculi, obsident. S. Greg. Papa. hom. II. in Evang.

19 Consuetudo altera natura.

20 Tanti pœnitere non emo. Demosth.

21 Aut vincendum, aut moriendum Muß gestritten oder gestorben seyn.

22 Eine von den dreyen Lebens-Göttinen/ welche den Lebens-Faden abschneidet. Poët.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Laurentius von Schnüffis. Gedichte. Mirantisches Flötlein. Der Clorinden anderer Theil. [Weil diese falsche Welt]. [Weil diese falsche Welt]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-DB4D-4