Adolph L’Arronge
Hasemann's Töchter
Volksstück in 4 Akten

Personen

[91] Personen.

    • Anton Hasemann, Kunst- und Handelsgärtner.

    • Albertine, seine Frau.

    • Emilie,
    • Rosa,
    • Franziska, 15 Jahre alt, deren Töchter.

    • Wilhelm Knorr, Schlossermeister, Emiliens Gatte.

    • Hermann Körner, Fabrikant.

    • Baron von Zinnow.

    • Klinkert, Handschuhmacher.

    • Frau Klinkert.

    • Frau Kanzleidirektor Gieseke.

    • Eduard Klein, Provisor in der Löwen-Apotheke.

    • Dr. Seiler.

    • Anna, Dienstmädchen bei Hasemann.

    • Marthe, in Körners Diensten.

    • Fritz, Schlosserlehrling.

    • Lohmann,
    • Bartsch, Schlossergesellen.

    • Schlossergesellen.

1. Akt

1. Szene
1. Szene.
Albertine. Emilie. Frau Klinkert. Frau Gieseke. Franziska.
Die vier Damen sitzen um den Tisch rechts und trinken Kaffee. Franziska sitzt an dem Tisch in der Mitte, mit einem Buch beschäftigt.

ALBERTINE.
Noch ein Täßchen, Frau Kanzleidirektor?
FRAU GIESEKE.

Nein, ich muß sehr danken, liebste Freundin. Es ist die höchste Zeit für mich – ich muß nach Hause. Steht auf. Mein Mann, der Kanzleidirektor, will heute Abend Kartoffelpuffer speisen, und wenn ich die nicht selbst bereite, schmecken sie ihm nicht. Adieu, meine Damen. Verbeugung. Liebste Freundin – Umarmt Albertine. auf Wiedersehen! – Adieu, Fränzchen.

FRANZISKA
ohne von ihrem Buche aufzusehen, kurz.
Adieu!
ALBERTINE
begleitet Frau Gieseke nach der Mitteltür.
Ich bitte meine Empfehlung an den Herrn Kanzleidirektor auszurichten.
FRAU GIESEKE.
Danke, danke vielmals. Durch die Mitte ab.
2. Szene
2. Szene.
Vorige ohne Frau Gieseke.

FRANZISKA.
Eine aufgeblasene Person! Kann mir gar nicht imponieren.
[93]
EMILIE.
Schweige doch, Franziska. Du bist immer vorlaut.
FRANZISKA
die Achsel zuckend.
Pah! –
ALBERTINE.
Aber Ihnen darf ich doch noch ein Täßchen einschenken, liebe Klinkert?
FRAU KLINKERT.
Ich bin so frei, liebe Hasemann.Albertine und Frau Klinkert nehmen ein Strickzeug zur Hand.
EMILIE.
Wo ist denn Rosa eigentlich?
FRANZISKA.
Im Konservatorium, zur Klavierstunde.
EMILIE.
Sie treibt das Klimpern wohl professionsmäßig? Ich möchte wissen, was das für einen Zweck hat?
ALBERTINE.

Was für einen Zweck? Nun, ich denke, ein junges Mädchen, das eine so feine Bildung besitzt, wie Rosa, kann Ansprüche machen.

FRAU KLINKERT.
Das ist wahr.
EMILIE.
Warum hast du mich denn nicht auf das Konservatorium geschickt?
ALBERTINE.

Erstens hast du kein Talent für Musik, und dann hast du einen simplen Schlosser geheiratet, der so was nicht beansprucht.

EMILIE.

So? Wer sagt dir, daß mein Mann nichts beansprucht? Er beansprucht sehr viel, und wenn ich Klavier spielen oder sonst was Unterhaltendes könnte, wer weiß, ob er dann –

ALBERTINE.
Ob er dann? – was? Hast du über deinen Mann zu klagen?
EMILIE.
Nicht doch, Mutter.
ALBERTINE.
Fränzchen!
FRANZISKA
welche sich neugierig genähert hatte.
Mutter?
ALBERTINE.
Geh, mein Kind, du kannst im Garten weiter lesen.
FRANZISKA.
Nein. Warum soll ich denn nicht zuhören?
ALBERTINE.
Es paßt sich nicht. Geh', mein Herzblatt, widersprich nicht.
FRANZISKA.
Ich bin aber schon konfirmiert, ich kann alles hören, ich lese sogar Dumas fils.
EMILIE.
Sei doch nicht immer so naseweis.
FRANZISKA.
Ach, du hast mir gar nichts zu sagen.
ALBERTINE.
Fränzchen, du wirst mich doch nicht böse machen wollen? Also geh', mein Kind.
FRANZISKA
nimmt brummend ihr Buch.
Ich bin kein Kind mehr, ich lasse mich nicht immer 'rausschmeißen. Aergerlich durch die Mitte ab.
3. Szene
[94] 3. Szene.
Vorige ohne Franziska.

FRAU KLINKERT.
Ein reizendes, liebes Kind!
ALBERTINE.
Ach ja, sie macht mir viele Freude.
FRAU KLINKERT, Also, Milchen, Sie haben etwas auf dem Herzen, ein Geheimnis, – heraus damit!
EMILIE.

Mein Gott, ich habe keine Geheimnisse. Oder soll ich vielleicht ein Geheimnis daraus machen, daß mein Mann jetzt öfter des Abends ausgeht, als anfangs nach unserer Verheiratung?! – Albertine und Frau Klinkert wechseln einen Blick, räuspern sich. Hm! hm! Und stricken dann eifrig weiter. Kleine Pause.

EMILIE.
Nicht wahr, es ist kindisch, darüber zu sprechen?
ALBERTINE.
Je nun –
FRAU KLINKERT.
Ei, ei.
EMILIE.
Je nun – ei, ei?! – Was soll das? Was wollt Ihr damit sagen?
FRAU KLINKERT.
Aengstigen Sie sich nicht, liebes Kind, es ist vielleicht nicht so schlimm.
ALBERTINE.
Es kommt darauf an, wohin dein Mann geht.
EMILIE.

Wohin? Jedenfalls in sehr anständige Gesellschaft. Er kommt mit einigen Freunden zusammen, sie trinken ein Seidelchen –

ALBERTINE.
Oder zwei.
EMILIE.
Meinetwegen auch zwei. Sie singen ein Liedchen –
FRAU KLINKERT.
Ach, sie singen!
EMILIE.
Ja, Quartette – es ist ein Verein: »Die Harfe«, und Wilhelm gehört zum Vorstand.
FRAU KLINKERT.

So, so, ein Verein! Ein Seidelchen, ein Liedchen, ein Quartettchen! Was sagen Sie dazu, liebe Hasemann?

ALBERTINE.
Ich bin ebenso erstaunt wie Sie, liebe Klinkert.
EMILIE.
Erstaunt? Weshalb seid Ihr denn erstaunt?
ALBERTINE.
Und wann kommt er nach Hause?
EMILIE
etwas verlegen.
Es wird wohl zwölf oder ein Uhr; er ist auch schon mal in der zweiten Stunde erst gekommen.
ALBERTINE.

Ein Ehemann, der im ersten Jahr in der zweiten Stunde nach Hause kommt! Wie gefällt Ihnen das, liebe Klinkert?

[95]
FRAU KLINKERT.
Ich bin starr, liebe Hasemann.
ALBERTINE.
Du bildest dir also ein, daß dein Mann bis zwei Uhr nachts Lieder singt?
EMILIE.
Was sollte er denn sonst tun?
FRAU KLINKERT.
Ach, wie naiv! Aber ehe ich meinen Klinkert kennen lernte, war ich ebenso.
ALBERTINE.

Ich will dir meine Meinung sagen: der sogenannte Verein ist nur ein Vorwand. Wenn verheiratete Männer die Nacht außer dem Hause zubringen, dann bleibt es nicht beim Trinken und Singen – sie suchen zweideutige Lokale auf –

FRAU KLINKERT.
Mit freundlicher Bedienung.
ALBERTINE.
Sie treiben Frivolitäten.
EMILIE
aufstehend.
Nein, so was tut mein Wilhelm nicht.
ALBERTINE.

Peter, Paul oder Wilhelm – das ist ganz egal, die Männer sind alle aus demselben Holz geschnitzt, und wenn du einen guten Rat von mir annehmen willst, so leide es nicht mehr, daß dein Mann in den Verein geht.

FRAU KLINKERT.
Unter keiner Bedingung.
EMILIE.
Ich kann es ihm doch nicht verbieten?
ALBERTINE.
Du sagst ihm, daß du dich fürchtest, wenn du des nachts allein bist.
EMILIE.
Das habe ich ihm schon gesagt, und es ist auch wahr.
ALBERTINE.
Und was hat er dir geantwortet?
EMILIE.
Wilhelm meinte, wenn ich mich fürchte, soll ich die Jette in meinem Zimmer schlafen lassen.
FRAU KLINKERT.
Die Jette? Haha! Statt des Jatten die Jette – ich danke!
ALBERTINE.
Wenn das also nichts hilft, dann mußt du an den Vereinsabenden unwohl werden.
EMILIE.
Ich soll mich krank stellen, wenn ich gesund bin?
ALBERTINE.
Namentlich im ersten Jahre hilft das immer.
EMILIE.
Nein, mit so etwas soll man keinen Spaß treiben.
ALBERTINE
ärgerlich.
Nun, wenn du dir nicht raten lassen willst, dann mußt du dich auch nicht beklagen.
EMILIE
weinerlich.
Ich beklage mich ja nicht.
FRAU KLINKERT
steht auf und tritt zu Emilie.
Aber Kindchen, seien Sie doch vernünftig. Spricht eifrig, aber leise mit ihr.
4. Szene
[96] 4. Szene.
Vorige. Rosa.

ROSA
in elegantem Sommeranzug, eine Notenmappe am Arm, tritt rasch durch die Mitte ein.
Guten Tag!
ALBERTINE.

Ah, die Rosa? Steht auf, nimmt Rosa die Notenmappe ab, legt dieselbe aufs Klavier, und hilft ihr dann beim Abnehmen des Hutes etc. Guten Tag, Kind. Du bist ja so echauffiert?

Du bist doch bei der Hitze nicht nach Hause gegangen?

ROSA.
Ja.
ALBERTINE.
Warum denn? Stand wieder keine Droschke erster Klasse an der Straßenecke?
ROSA.
Ich bin erregt, ich mußte mir Bewegung machen.
ALBERTINE.
Was ist passiert? Doch nichts Unangenehmes?
ROSA
nimmt Albertine bei der Hand, leise.

Denke dir, Fräulein von Belling fragte mich, ob es wahr sei, daß ich mit dem Baron Zinnow verlobt bin.

ALBERTINE.
Siehst du, Kind, andere Leute sehen es auch – ich habe es dir immer gesagt, er hat Absichten.
ROSA.
Absichten! Ins Gerede bringt er mich – das ist alles.
ALBERTINE.

Das ist deine Schuld. Du bist so scheu, so zurückhaltend zu ihm, er traut sich nicht mit der Sprache heraus. Spricht leise weiter mit Rosa.

EMILIE
zurückfahrend, zu Frau Klinkert.
Nein, das tue ich aber gewiß nicht.
FRAU KLINKERT.
Sie werden sehen, Milchen, das Mittel hilft.
EMILIE.
Nein, nein, lassen Sie mich in Ruhe.
ALBERTINE.
Lassen Sie sie doch. Geht zu Frau Klinkert.
FRAU KLINKERT
winkt Rosa mit der Hand.
Guten Tag, Fräulein Rosa.
ROSA
kurz.
Guten Tag.
EMILIE
ist zu Rosa auf die andere Seite getreten und reicht ihr die Hand.
ROSA
zu Emilie.
Was hast du denn mit der alten Klatschbase vor?
EMILIE.
Sie will mir durchaus gute Ratschläge geben, wie ich Wilhelm behandeln soll.
ROSA.
Weißt du das nicht selber?
EMILIE.
Gewiß, aber –
ROSA.
Ich denke, Ihr liebt euch so sehr? Oder ist's damit schon vorbei?
[97]
EMILIE.
Was fällt dir ein! Wenn man sich einmal so recht von Herzen lieb hat, dann ist das fürs Leben.
ROSA.
Meinst du?
EMILIE.
Denkst du dir die Liebe anders?
ROSA.
Ich denke mir die Liebe gar nicht, weil ich nicht daran glaube.
EMILIE.
Aber wenn du dich einmal verheiratest?
ROSA.
Wenn ich mich einmal verheirate, so werde ich es gewiß nicht tun, weil ich verliebt bin.
EMILIE.
Aus welchem Grunde denn?
ROSA.

Vielleicht um eine selbständige und meinen Wünschen angemessene Stellung in der Gesellschaft zu finden.

EMILIE.
Wenn du weiter nichts willst, dann solltest du lieber gar nicht heiraten.
ROSA.
Es wird wohl auch so kommen.
FRAU KLINKERT.

Wie ich Ihnen sage, liebe Hasemann – sie traf mit ihm bei mir im Laden zusammen – er probierte sich gerade ein Paar kanarienfarbene an. Nun weiß ich doch schon lange, daß sie'n Auge hat aus den schmucken Baron – wie er also fort ist, sage ich: wissen Sie vielleicht schon, Fräulein von Belling, daß der Herr von Zinnow mit Hasemanns Röschen verlobt ist? Da hätten Sie sehen sollen, liebe Hasemann, wie das einschlug! Der Handschuh, den sie anprobierte, platzte gleich mitten durch.

ALBERTINE.
Nun muß er sich doch eigentlich erklären?
FRAU KLINKERT.
Ich denke auch. Gestikuliert heftig.
EMILIE.

Ich weiß nicht, Rosa, warum ich mich mit dir so schlecht verstehe? Das kommt gewiß daher, weil die Mutter dich hat so viel lernen lassen. Ganz gewiß, die gelehrtesten Leute sprechen oft das dümmste Zeug.

ROSA.
Du bist sehr gütig.
ALBERTINE.
Sie kommen also heute Abend noch auf ein Stündchen herüber, nicht wahr, liebe Klinkert?
FRAU KLINKERT.
Ich bin so frei, liebe Hasemann.Legt ihr Strickzeug zusammen.
ALBERTINE
zu Emilie.
Emilie, sage doch der Anna, sie soll hier abräumen.
EMILIE.
Ja – ich gehe gleich nach Hause. Adieu, Mutter.
ALBERTINE.
Adieu. Tritt zu Rosa.
FRAU KLINKERT
zu Emilie.
Laufen Sie nicht so, Milchen ich gehe mit Ihnen.
[98]
EMILIE
im Abgehen.
Bitte, inkommodieren Sie sich ja nicht. Ab durch die Mitte, Frau Klinkert folgt ihr.
ALBERTINE
zu Rosa.
Bist du endlich zu einem Entschluß gekommen?
ROSA.

Nein. Aber ich werde mich entschließen – vielleicht heute noch – laß mich nachdenken. Nimmt ihren Hut und geht in das Seitenzimmer links ab.

ALBERTINE
Rosa nachsehend.

Und ich verwette meinen Kopf – sie wird Baronin! Das bischen vornehme Blut, was ihr an der Geburt fehlt, das ersetzt sie durch die Erziehung – und die hat sie mir zu verdanken. Nimmt ihr Strickzeug vom Tisch und geht in das Seitenzimmer rechts ab.

5. Szene
5. Szene.
Hasemann allein.
Er tritt durch die Mitte ein, Hasemann ist ein angehender Fünfziger mit glatt rasiertem Gesicht und gutmütig-freundlichem Ausdruck, das Haar lang, glatt gescheitelt. Er trägt eine Jacke von leichtem Stoff, eine grüne Gärtnerschürze, großen Strohhut und im Arm einen blühenden Blumenstock.

Auftritts-Lied.


Die Erde ist ein großer Garten,

Ein weiter, grüner Wiesenplan,

Den weiß gar sorglich abzuwarten

Der liebe Gott als Gärtnersmann.

Aus grauen Wolken schickt er Regen,

Dann Wärme aus dem Himmelsblau;

Das treibt und gärt in reichem Segen,

Und Früchte gibt's auf Flur und Au.


Es nährt der Wald die wilden Tiere,

Der Fisch füllt sich im Meer den Bauch;

Der Klee hat manchmal Blätter viere,

Dreiblätt'rig frißt der Ochs ihn auch.

Zwecklos ist nichts, nicht Korn noch Aehre,

Auch nicht das Kraut, das sticht und brennt,

Die Distel selbst find't Aktionäre,

Die man bekanntlich Esel nennt.


Und wenn das Feld mit fetter Weide

Genährt des Rindviehs bunte Schar,

Und wenn der Wald im grünen Kleide

Des Wildes Hort und Nährer war;

[99] Wenn Karpfen, Austern, Hechte, Schleie

Sich angepamft im Wasserlauf,

Dann kommt der Mensch, der Schöpfung Weihe,

Und der frißt alle andern auf.


Zeigt auf den Tisch. Aha, hier war wieder Kaffeeklatsch! Haben doch sonderbare Passionen, die Weiber! 'n bischen Cichorien, 'n bischen Zucker und 'n bischen Klatsch – und das Vergnügen ist fertig. Nach was Höherem streben sie nicht. Schade, daß ich keine Jungens habe, dann würde mir das Verheiratetsein noch viel mehr Spaß machen. Der eine müßte Schiffskapitän werden, der andere Eisenbahn-Direktor, der andere überseeischer Kaufmann, der andere Schauspieler, damit sie alle recht weit in der Welt 'rumkämen und das Reisen lernten; denn Reisen bildet am meisten den Menschen. Wenn ich 'mal erst so weit bin, daß ich mich zur Ruhe setzen kann, dann fange ich auch an zu reisen. Vorbereitet dazu habe ich mich schon lange. Zieht ein Kursbuch aus der Tasche. Das ganze Kursbuch kann ich auswendig, mir soll einer in der Geographie nichts weiß machen. Setzt sich an den Tisch in der Mitte und liest in dem Buch.

6. Szene
6. Szene.
Hasemann. Anna.

ANNA
durch die Mitte.
Herr Hasemann, ich soll das Kaffeegeschirr abräumen.
HASEMANN.
Warum tun Sie's denn nicht?
ANNA.
Ich wollte nur fragen, ob ich Ihnen störe?
HASEMANN.
Nein.
ANNA.
Ich möchte aber gerne.
HASEMANN.
Was?
ANNA.
Ihnen auf einen Augenblick stören.
HASEMANN.
Was wollen Sie denn?
ANNA.

Ich habe am letzten Sonntag einen Freund kennen gelernt mit reellen Absichten. Er ist aber nicht von hier, sondern aus Friesack. Nun wollte ich Ihnen gerne bitten, wo das liegt und ob es weit ist?

HASEMANN.
Friesack –? Berlin – Hamburg, 4 mal: 9 Uhr 27 – 1 Uhr 8 – 8 Uhr 3 und 11 Uhr 17.
ANNA.
Also bei Hamburg liegt es. Wohl an die See?
[100]
HASEMANN.
Ob die See bis Friesack geht, weiß ich nicht, Dampfschiffverbindung ist jedenfalls nicht.
ANNA.
Ich danke schön, Herr Hasemann. Setzt das Kaffeegeschirr zusammen und trägt es durch die Mitte ab.
7. Szene
7. Szene.
Hasemann. Körner.

KÖRNER
tritt durch die Mitte ein.
Guten Tag, Anton.
HASEMANN
erfreut.
I Herrjeh, Körner! Läßt du dich auch mal wieder sehen? Guten Tag, setze dich.
KÖRNER
sich zu Hasemann an den Tisch setzend.
Na, wie sieht's im Garten aus?
HASEMANN.

Trocken, mein Junge, die Sonne meint es zu gut diesen Sommer; ich kann gar nicht so viel Wasser 'reinpumpen in die Erde, als sie aufsaugt.

KÖRNER.

Als sie aufsaugt! So brennt's im Herzen. Kämpfe noch so sehr mit Vernunftgründen gegen eine Leidenschaft an – Tropfen, spärliche Tropfen, welche die sengende Glut nur allzubald verzehrt.

HASEMANN.
Spukt bei dir vielleicht so'n leidenschaftlicher Krater unter der Weste?
KÖRNER.

Das wäre möglich, Anton. Würde es dich sehr langweilen, wenn ich dich bäte, ein paar ernste Worte von mir anzuhören?

HASEMANN.
Wie kannst du so etwas fragen! Bin ich nicht dein Freund?
KÖRNER
ihm die Hand reichend.

Ja, das bist du. Wenn ich damals vor fünfzehn Jahren dich nicht gehabt hätte, dann wäre ich wohl elend zugrunde gegangen, während ich jetzt –

HASEMANN.

Willst du schon wieder von den lumpigen paar hundert Talern anfangen, die du mir längst wiedergegeben hast? Darauf kannst du dir nichts einbilden. Wenn ich aller Leute Freund sein wollte, die mich schon angepumpt haben, müßte mein Freundeskreis ein sehr ausgebreiteter sein. Nee, mein Junge, ich schätze dich, weil ich dich als Biedermann erprobt habe, weil du ein offener und ernster Charakter bist – so was heimelt mich an. – Darum bin ich eigentlich neugierig, zu erfahren, von was für 'ner Leidenschaft du reden willst?

KÖRNER.
Warst du jemals verliebt, Anton?
[101]
HASEMANN
lachend.

Du, das ist gewissermaßen 'ne Beleidigung – ich bin ja seit dreiundzwanzig Jahren verheiratet. Aber du brauchst dich nicht zu entschuldigen, es war dabei mit der Liebe nicht so arg. Mein Vater meinte, als ich meine drei Jahre Kasernendienst hinter mir hatte, für die Gärtnerei wäre mein Kopf sehr gut; im übrigen aber könnte der Krone ein bischen aufpfropfen gar nichts schaden. Na, die Früchte kennst du ja.

KÖRNER.
Du sprichst von deinen Kindern?
HASEMANN.
Natürlich; leider nur ein Viertel Dutzend weibliche Blüten.
KÖRNER.
Sage nicht: leider. Rosa ist ein herrliches Geschöpf.
HASEMANN.

Na ja, aber sie vergißt, wozu sie eigentlich auf der Welt ist. Schon vier oder fünf ganz anständige junge Männer hat sie mit Körben heimgeschickt, weil sie ihr nicht gut genug waren.

KÖRNER.
Das gefällt mir gerade von ihr.
HASEMANN.
So, dir gefallt das? Na ja, du hast ja nicht für sie zu sorgen, wenn sie 'ne alte Jungfer wird.
KÖRNER.
Du brauchst nur ja zu sagen, und ich nehme dir diese Sorge ab.
HASEMANN
verwundert.
Was heißt das eigentlich?
KÖRNER.
Ich liebe Rosa und wäre der glücklichste Mensch, wenn sie meine Frau werden wollte.
HASEMANN.
Ach, mach' keinen Spaß?!
KÖRNER.

Ich habe niemals im Leben ernster und wohlüberlegter gesprochen. Als ich mir zum ersten Male über die Zuneigung zu deiner Tochter klar wurde, da erschrak ich vor meinen vierzig Jahren und versuchte es, mich selber auszulachen. Aber das wollte schlecht gelingen; sehr bald sogar fand ich es durchaus nicht mehr lächerlich, als Freier eines Zwanzigjährigen Mädchens auftreten zu wollen. Gerade das, was dir an Rosa mißfällt, gab mir den Mut, annehmen zu dürfen, daß sie sich bei der Wahl ihres Gatten nicht bloß durch Aeußerlichkeiten werde bestimmen lassen. Seit Monaten kämpfe ich mit dem Entschluß, mir die entscheidende Antwort zu holen, – heute endlich soll es sein. Ich bitte dich, Anton, trage du deinem Kinde meinen Herzenswunsch vor, sage ihr, daß meine Liebe zu ihr unbesiegbar sei. Und ist die Hoffnung, welche ich aus dem Umstande gezogen, daß Rosa bisher alle Freier abgewiesen hat, eine trügliche gewesen, so bring du mir [102] die Hiobspost und erspare mir die Beschämung, von lachenden Mädchenlippen den Geleitsbrief für ein einsames Wanderleben empfangen zu müssen; denn fort von hier muß ich, wenn sie nein sagt. Es bietet sich gerade jetzt eine Gelegenheit, meine Fabrik vorteilhaft verkaufen zu können – ich habe entfernte Verwandte in Wien –

HASEMANN
einwerfend.
Fünf Uhr 3, über Breslau.
KÖRNER.

Sie würden mich gern aufnehmen, wenn ich mit vollen Taschen käme. Und wenn auch nicht, die Welt ist groß.

HASEMANN.
Ach, Wien ist gar nicht so weit: 4 Uhr 15 über Dresden, bist du 8 Uhr 25 früh in Wien.
KÖRNER.
Du meinst also –?
HASEMANN.
Reisen, mein Junge, reisen. Du weißt ja, das ist meine Schwärmerei, und wenn ich erst 'mal kann –
KÖRNER
aufstehend.
Ich verstehe dich. Du bist überzeugt, daß Rosa meinen Antrag abweisen würde.
HASEMANN.
Ach so! Nein, weißt du, das habe ich damit gar nicht sagen wollen.
KÖRNER.
Du gibst mir also Hoffnung?
HASEMANN.
O, warum nicht! Hast du dich denn schon mit meiner Alten verständigt?
KÖRNER.
Nein, Anton, du bist der erste, dem ich mein Geheimnis anvertraue.
HASEMANN
verlegen.

Das ist mir ja sehr schmeichelhaft; aber da es sich um eine Familiensache handelt – du weißt ja, die Familiengeschäfte überlasse ich gern meiner Frau.

KÖRNER.

So wirst du in diesem Falle, hoffe ich, eine Ausnahme machen. Findest du es denn nicht natürlich, daß ich mich an den Freund wende, wenn dieser Freund der Vater des Mädchens ist, von dem ich die Entscheidung über mein Lebensglück erwarte?

HASEMANN.
Gewiß, das ist sehr natürlich, ich werde auch mit meiner Frau darüber sprechen.
KÖRNER.

Nein, mit Rosa selber, bitte ich dich. Ich komme heut noch wieder, um mir meinen Bescheid zu holen. Adieu, Anton.

HASEMANN
Körner die Hand reichend.
Adieu, Körner.
KÖRNER.
Und würdest du mich gerne als Schwiegersohn annehmen?
HASEMANN.
Gewiß, mein Junge, lieber als jeden andern.
[103]
KÖRNER.

Nun, dann versuch's, mich in das beste Licht zu stellen. Vielleicht weißt du etwas von mir zu sagen, was mir bei deiner Tochter nützen könnte.

HASEMANN
absichtslos.
Nee, ich wüßte nicht –
KÖRNER
lächelnd.

Du bist aufrichtig. Aber wahrhaftig, ich wußte mir selber nichts besseres nachzurühmen, als daß ich in ehrlicher Arbeit die Mittel gewonnen habe, um einer Frau eine sorgenfreie Existenz zu bieten, und daß ich alles, was ich bin und habe, einsetze für die Verwirklichung des holden Traumes, Liebe einzutauschen für Liebe. Hasemann die Hand schüttelnd. Leb' wohl! Rasch ab durch die Mitte.

8. Szene
8. Szene.
Hasemann. Dann Albertine.

HASEMANN
nachdenklich sich den Kopf kratzend.

Ei, ei, das ist eine unangenehme Verlegenheit. Ich soll mich da in Dinge mischen, um die ich mich eigentlich gar nicht gern bekümmere. Aber es hilft nichts, ich habe es mal versprochen. Rosa würde auch gar keine schlechte Partie machen – Körner ist ein sehr honetter Mann – ich werde gleich mit ihr sprechen, damit ich die Sache aus'm Kopf kriege. Geht an die Tür rechts und ruft. Albertine!Setzt sich wieder an den Tisch und blättert in dem Kursbuch. Wie war denn das mit der neuen Tour? Richtig, hier – Oels-Gnesen.

ALBERTINE
von rechts.
Hast du mich gerufen?
HASEMANN.
Dich? ich dächte, ich hätte Rosa gerufen?
ALBERTINE.
Was willst du von Rosa?
HASEMANN
lesend.
Oels – Militsch – Krotoschin – aha!
ALBERTINE
lauter.
Was du von Rosa willst?
HASEMANN
ruhig.
Das kann ich ihr ja selber sagen, nicht wahr?
ALBERTINE.

Ach, mach' dich doch nicht niedlich, als ob du Geheimnisse hättest. Jedenfalls bitte ich mir aus, daß du ihr keine Unannehmlichkeiten machst, das Kind ist sowieso heute sehr aufgeregt.

HASEMANN.
Warum ist sie denn aufgeregt?
ALBERTINE.

Weil – na, eigentlich wollte ich nicht eher mit dir darüber reden, als bis die Sache abgemacht ist; aber wenn es dich ausnahmsweise mal interessiert, über die Zukunft deiner Tochter zu sprechen –?

[104]
HASEMANN
beiseite.
Sieh mal, das paßt ja. Laut. Jawohl, Alte, setz' dich her.
ALBERTINE
setzt sich zu Hasemann an den Tisch.
Ich meine, es wäre Zeit, daß Rosa sich verheiratet.
HASEMANN.
Richtig, das ist eine sehr gute Meinung.
ALBERTINE.
Von den vielen Bewerbern, welche sich bis jetzt gemeldet haben, hat Röschen noch keiner gefallen.
HASEMANN.

Das ist wieder richtig. Sie hat an jedem was zu mäkeln und auszusetzen, und Wilhelm hat ganz recht, wenn er sie Mäkel-Röse nennt.

ALBERTINE.

Wilhelm ist ein roher Patron, und ich möchte mich für einen zweiten Schwiegersohn von dem Kaliber bedanken.

HASEMANN.
Das ist nun wieder nicht richtig, mir gefällt Wilhelm sehr gut.
ALBERTINE.

Natürlich, weil du dich wohl fühlst im Umgang mit gewöhnlichen Naturen und nicht begreifst, daß deine Tochter Rosa andere Ansprüche machen kann.

HASEMANN.
Na, weißt du, davon wollen wir lieber nicht sprechen.
ALBERTINE.

O ja, denn du vergißt, daß Rosa eine feine Erziehung genossen hat. Du hast es freilich nie bemerkt, daß sie ein elegisches Gemüt hat und Anlagen, die ausgebildet werden mußten; aber ich habe dafür gesorgt, durch die höhere Töchterschule und das Konservatorium. Darum sehe ich auch mit Stolz, daß Rosa eine Bildungsstufe nach der andern erklimmt.

HASEMANN
hat inzwischen wieder sein Kursbuch zur Hand genommen.
Wenn sie bei den Kletterstudien nur nicht ins Purzeln kommt.
ALBERTINE.
Aber, Anton, hast du denn gar kein Verständnis für edle Frauencharaktere?
HASEMANN.
Nee.
ALBERTINE.
Laß doch das abscheuliche Kursbuch und studiere lieber das weibliche Herz von Julie Burow.
HASEMANN.
Mir ist Oels-Gnesen lieber.
ALBERTINE
steht auf und geht zum Klavier.

Es kann dir doch nicht gleichgiltig sein, daß unsere Rosa eine Virtuosin auf dem Pianino ist: sie spielt die schwierigsten Stücke, den Karneval von Venedig.

HASEMANN.
Von Venedig 10 Uhr nachts – 9 Uhr 48 in Wien.
[105]
ALBERTINE
nimmt ein Notenblatt vom Klavier.
Hier wieder etwas neues, was sie spielt: Reverie von Hünten.
HASEMANN.
Es ist mir ganz egal, ob sie die Reverie von hinten spielt, oder –
ALBERTINE.
Mann, deine Gleichgültigkeit bringt mich zur Verzweiflung.
HASEMANN
klappt das Kursbuch zu und steht auf.
ALBERTINE
heftig.
Wo willst du hin?
HASEMANN.

Du weißt, ich bin nicht gerne dabei, wenn du anfängst zu toben; im übrigen habe ich dir ja schon vorhin gesagt, daß ich mit Rosa was zu reden habe.

ALBERTINE.
Was? Vielleicht Dinge, die ich nicht wissen soll?
HASEMANN.
Bewahre, ich habe einen Mann für sie.
ALBERTINE
erstaunt.
Du – du hast einen Mann für Rosa?
HASEMANN.
Einen sehr respektablen, an dem nicht das geringste auszusetzen ist.
ALBERTINE.
Und darf man vielleicht wissen, wer dieser Wundermann ist?
HASEMANN.
Mein Freund Körner. Er liebt Rosa und hat mich gebeten, ihr seinen Antrag zu ma chen.
ALBERTINE.
So, dein Freund Körner? Hahaha! Das ist wirklich sehr komisch.
HASEMANN.
Ich finde gar nichts Komisches dabei.Wendet sich nach links.
ALBERTINE.

Anton, tue mir den Gefallen und bekümmere dich nicht um Sachen, von denen du nichts verstehst. Ich will gar nichts gegen Herrn Körner sagen – er mag meinetwegen ein sehr achtbarer Mann sein, auch gebildet und wohlhabend; aber bedenke, daß Rosa 20 Jahre jünger ist, als er.

HASEMANN.
Das ist kein Fehler, ich hätte z.B. gar nichts dagegen, wenn du um 20 Jahre jünger wärst, als ich.
ALBERTINE.
Ich bitte dich, nimm die Sache ernsthaft.
HASEMANN.
Gewiß, das tue ich auch. Will durch die Tür links abgehen.
ALBERTINE.
Weißt du, was dir Rosa antworten wird?
HASEMANN
stillstehend.
Nun?
ALBERTINE.
Sie wird dich auslachen.
HASEMANN
tritt ein paar Schritte vor, ruhig.

Ich will dir 'mal was sagen, Tine. Es ist richtig, daß ich mich nicht gern [106] um Frauenzimmersachen bekümmre, und daß ich mich mit meinem Vierteldutzend Töchtern besser verstehen würde, wenn es Jungens wären. Ich lasse dir darum auch gern das Hausregiment und nehme es dir weiter nicht übel, wenn du manchmal was komisch an mir findest und lachst. Wenn das aber meine Tochter dir nachmachen wollte, dann würde ich –

ALBERTINE
heftig.
Nun? Was würdest du? Was würdest du?
HASEMANN.

Dann würde ich ihr, trotz der Bildungsstufen, welche du ihr beigebracht hast, eine ganz gehörige Backpfeife verabreichen. Links ab.

9. Szene
9. Szene.
Albertine. Dann Eduard Klein.

ALBERTINE
will Hasemann nachgehen.

Er wird doch nicht? Stehen bleibend. Ach, es ist lächerlich, daß ich mich echauffiere. Rosa wird schon wissen, was sie ihm zu antworten hat. Aber gerade heute, wo ich die Sache mit dem Baron in Ordnung bringen will? Sie ist vielleicht verlegen und sagt nicht bestimmt Nein. Es ist doch wohl besser, wenn ich ihr behilflich bin. Will nach links abgehen.

EDUARD
im Ballanzug, sehr schüchtern, tritt durch die Mitte ein.

Eduard lispelt, d.h. er stößt bei der Aussprache des »S« und aller Zischlaute ein wenig mit der Zunge an.

Ich habe die Ehre, Frau Hasemann –
ALBERTINE
sich umwendend.

Wer ist da? Bei Seite. Ach, der langweilige Provisor! Laut. Guten Tag, Herr Klein. Sie wollen gewiß meinen Mann sprechen – es tut mir leid, er ist nicht da – ein andermal, wenn ich bitten darf. Wendet sich wieder nach der Tür links.

EDUARD.
Es wäre mir lieber, heute.
ALBERTINE.
Aber Sie hören doch, mein Mann ist nicht da.
EDUARD.
Ich kann es ja auch Ihnen sagen.
ALBERTINE.
Was denn?
EDUARD.
Es betrifft eine Herzensangelegenheit.
ALBERTINE.

Es ist mir zwar sehr schmeichelhaft, daß Sie mich zur Vertrauten Ihrer Herzensangelegenheiten machen wollen, aber ich bin ebenfalls heute sehr beschäftigt. Wenn ich also bitten darf, ein andermal.

[107]
EDUARD.

O, ich brauche nur wenige Minuten. Ich habe lange mit dem Entschluß gekämpft; da ich mich nun aber entschlossen habe, möchte ich auch reden.

ALBERTINE
aufseufzend.
Na, dann in Gottes Namen reden Sie. Setzt sich, und deutet Eduard an, ebenfalls Platz zu nehmen.
EDUARD.
Verehrte Frau Hasemann, es betrifft Ihr Fräulein Tochter Rosa.
ALBERTINE
aufhorchend.
He?
EDUARD.
Ich weiß nicht, ob Sie es schon bemerkt haben –?
ALBERTINE.
Nein.
EDUARD.
Ich – liebe Ihr Fräulein Tochter und wäre überglücklich, wenn sie mich heiraten würde.
ALBERTINE
aufstehend.
Ach, Sie spaßen wohl?
EDUARD.

O, wer wird mit so ernsten Dingen Scherz treiben? Glauben Sie mir, Frau Hasemann, ich liebe Rosa so aufrichtig und ehrlich – mein Vater würde mir auch eine Apotheke kaufen, wenn es so weit ist – und wenn Fräulein Rosa sich nicht etwa an den kleinen Zungenfehler stößt, an welchem ich leide –

ALBERTINE.
Allerdings, ja, daran wird sie sich wohl stoßen.
EDUARD.

Sie glauben? Ach, ich habe mir schon so viele Mühe gegeben, um es mir abzugewöhnen, und ich hoffe auch –

ALBERTINE.

Gewiß, es wird sich schon geben – mit der Zeit – in einigen Jahren. Sie können ja dann wieder anfragen.

EDUARD.

O Gott, so lange soll ich noch warten? Würden Sie nicht wenigstens erlauben, daß ich Fräulein Rosa selber frage?

ALBERTINE.

Rosa ist auch sehr beschäftigt, außerdem ist es überflüssig, Herr Klein, wirklich ganz überflüssig. Nach dem Zimmer links horchend. Sie schenken uns wohl ein andermal die Ehre, wenn ich bitten darf, ein andermal. Bei Seite. Na ja, für den Stoffel werde ich meine Tochter erzogen haben, das könnte mir fehlen. Rasch ab nach links.

10. Szene
10. Szene.
Eduard allein.

EDUARD
verlegen seinen Hut zwischen den Fingern drehend.

O, o! Eine so unhöfliche Abweisung hätte ich doch nicht erwartet. [108] Eigentlich müßte ich gehen und dürfte das Haus nicht wieder betreten; aber das kann ich nicht, ehe ich nicht mit Rosa selber gesprochen habe. Ich liebe sie zu sehr, um sie so leicht aufzugeben. Horcht nach der Mitteltür. Ist das nicht Knorrs Stimme? Ja. Vielleicht kann der mir einen guten Rat geben. Er kennt die Weiber und weiß mit ihnen umzugehen.

11. Szene
11. Szene.
Eduard. Wilhelm. Emilie.

WILHELM
zieht Emilien an der Hand zur Mitteltür herein.
EMILIE.
Laß mich los.
WILHELM.
Erst antworte mir.
EMILIE.
Nein, ich will nicht. Au, du tust mir weh, du Grobian.
EDUARD
vortretend.
Aber, Kinder, Ihr zankt Euch ja? Ich denke, das kommt bei Euch gar nicht vor?
WILHELM.
Es würde auch nicht vorkommen, wenn meine Frau nicht eigensinnig wäre.
EMILIE.

Ich eigensinnig? Du bist grob! Herr Klein, Sie sind ein Freund und halber Verwandter unseres Hauses, Sie sollen entscheiden. Zieht Eduard zu sich.

WILHELM.

Ja wohl, du bist ein Verwandter und halber Freund unseres Hauses, also entscheide! Zieht ihn zu sich; dasselbe Spiel wiederholt sich bei den folgenden Wechselreden.

EMILIE.

Denken Sie sich, ich komme heute Nachmittag nach Hause und sage ganz ruhig zu meinem Manne: Wilhelm, das Wetter ist heute so schön, wir wollen abends im Friedrichsgarten ein Glas Bier trinken.

WILHELM.

Ich sage darauf ebenso ruhig: Liebes Kind, heute Abend kann ich nicht, du weißt, es ist heute Vereinsabend.

EMILIE.

Vereinsabend, müssen Sie wissen, ist nämlich alle Montage, schönes Wetter ist aber nicht alle Montage. Es war doch also gar nicht so unnatürlich, daß ich meinen Mann bat, mit mir auszugehen – wie?

WILHELM.

Die Sache ist nämlich die: Meine Frau weiß, daß ich Montags in den Verein muß, und es ist ihr auch nie eingefallen, an diesem Tage mit mir ausgehen zu wollen. Du wirst es also sehr natürlich finden, wenn ich sage, es hat sie jemand aufgehetzt – wie?

[109]
EMILIE.
Ich bitte meinen Mann, heute mir zu Gefallen eine Ausnahme zu machen.
WILHELM.

Ich verlange von meiner Frau, daß sie mir sagt, wer ihr solche Dinge in den Kopf gesetzt hat. Sie schweigt hartnäckig.

EMILIE.
Er schreit mich an: Ich weiß, woher das kommt, deine Mutter hat dich gegen mich aufgehetzt.
WILHELM.
Sie fängt au zu weinen. Das ärgert mich, denn sie weiß, ich kann das Heulen nicht leiden.
EMILIE.
Da packt er mich bei der Hand – denken Sie sich – und zieht mich über die Straße mit hieher.
WILHELM.

Ich sage immerwährend: Gib mir Ant wort, dann lasse ich dich los und gehe allein; sie denkt aber gar nicht daran, mich zu beruhigen, trotzdem die Leute auf der Straße sehen, wie ich mich ärgere. Nun sage unparteiisch: Wer hat recht?

EMILIE.

Ich unterdrücke gewaltsam meine Tränen und bitte nur, laß mich los, du siehst, die Leute auf der Straße stehen still und sehen uns nach. Er hört aber nicht und schleift mich wie ein Opferlamm weiter. Nun sagen Sie unparteiisch: Wer hat recht?!

WILHELM
zu Eduard.
Nun, warum sprichst du nicht?
EDUARD.
Wie kann ich reden, wenn Ihr beide zugleich schreit?
EMILIE
zu Wilhelm.
Siehst du, du schreist.
WILHELM.
Ich gebe nicht nach, bis ich weiß, wer den Skandal angezettelt hat.
EMILIE.
Nun, du.
WILHELM.
Nein, deine Mutter.
EMILIE.
Ach, mach' dich nicht lächerlich.
EDUARD.
Da kommt Herr Hasemann.
EMILIE.

Mein Vater! Sei still und laß ihn nichts merken. Spricht leise mit Wilhelm weiter und verschließt ihm, ihn küssend, den Mund.

12. Szene
12. Szene.
Vorige. Hasemann.

HASEMANN
von links, für sich.

Sie will wirklich nicht, ganz entschieden nicht. Hm! Hm! Das tut mir leid wegen Körner; aber zwingen kann ich sie doch nicht.

[110]
EMILIE.
Guten Tag, Vater.
HASEMANN.

Tag, Mile. Wie geht's dir? O, da ist ja auch dein Mann! Na, Wilhelm, Sie haben ja heute früh Feierabend gemacht. Reicht ihm die Hand.

WILHELM.
Es ist nur, weil ich gern ein Paar Zeilen mit der Frau Schwiegermutter reden möchte.
HASEMANN.
Mit meiner Frau?
WILHELM.
Wenn Sie nichts dagegen haben – ja.
HASEMANN.
Bewahre. Sie ist drinnen bei Rosa. Du kannst es ja Muttern sagen, Mile.
EMILIE
hat Wilhelm Zeichen gemacht, zu schweigen.
WILHELM
lächelnd.
Na, Emilie, hörst du nicht, was dein Vater befiehlt? Gehe 'rein und rufe die Mutter.
EMILIE.
O, du! du! Droht ihm heimlich und geht dann links ab.
WILHELM
hat Emilie bis zur Tür begleitet.
EDUARD
vortretend.
Herr Hasemann –
HASEMANN.
Herrjeh, der Provisor im Frack!
WILHELM.
Wahrhaftig, das bemerke ich auch erst jetzt. Du gehst wohl auf die Freite?
EDUARD
verlegen.
O – nicht doch!
HASEMANN.
Na, na, ich glaube, Wilhelm hat den Nagel auf den Kopf getroffen.
WILHELM.
Dafür bin ich Schlosser.
HASEMANN.
Wenn Sie übrigens wirklich heiraten wollen, dann will ich Ihnen einen guten Rat geben.
EDUARD.
O, das würde mich sehr glücklich machen.
HASEMANN.
Sie sind ja, so viel ich weiß, aus wohlhabender Familie?
EDUARD
erfreut zustimmend.
Gewiß, gewiß!
HASEMANN.
Na, dann kaufen Sie sich ein Kursbuch und gehen Sie auf Reisen.
EDUARD
enttäuscht.
Ein Kursbuch?
HASEMANN.

Ja, aber das neuste, von diesem Monat, denn es wird alle Augenblicke was an den Zügen geändert. Wenn Sie eine Weile in der Welt 'rumkutschiert sind, dann werden Sie um hundert Prozent klüger zurückkommen und vielleicht gar nicht mehr ans Heiraten denken.

EDUARD.

O, dieser Gedanke ist der Entschluß reiflicher Ueberlegung – so leicht kann ich mich nicht von ihm trennen.

WILHELM.
Bist du denn verliebt?
EDUARD.
Ach ja, sehr!
[111]
WILHELM.
In wen denn?
EDUARD
deutet nach der Tür links.
WILHELM.

Was machst du denn für Pantomimen?Die Seitentür öffnet sich, Albertine tritt, von Emilie gefolgt, ein. In meine Schwiegermutter?

EDUARD
macht ihm Zeichen, zu schweigen.
13. Szene
13. Szene.
Vorige. Albertine. Emilie.

ALBERTINE
zu Emilie.

Unsinn, ich lasse mich nicht so leicht einschüchtern, wie du. Zu Wilhelm. Sie wünschen mit mir zu sprechen, Herr Knorr?

WILHELM.
Zu dienen, Frau Schwiegermutter. Ich möchte höflichst um eine Auskunft bitten.
ALBERTINE.
Und was ist gefällig?
WILHELM.
Meine Frau – nebenbei gesagt, ein vortreffliches Wesen, das Ihrer Erziehung alle Ehre macht –
ALBERTINE
ihn unterbrechend.
Ohne Vorrede, wenn ich bitten darf.
WILHELM.

Schön, also ohne Vorrede. Heute, zum ersten Male nach meiner Verheiratung, hat Emilie mich in sehr auffallender Weise gebeten, nicht in den Verein zu gehen.

ALBERTINE
spöttisch.
So? Sie gehen in einen Verein?
WILHELM.
Ja, ich gehe alle Montage in den Verein.
ALBERTINE.
Sie gehen alle Montage in den Verein? Anton, hörst du? Herr Knorr geht alle Montage in den Verein.
HASEMANN
im Kursbuch blätternd.
Ja, er geht alle Montage in den Verein.
WILHELM.
Sie scheinen darüber erstaunt zu sein?
ALBERTINE.
Allerdings bin ich erstaunt, höchst! Nicht wahr, Anton, wir sind erstaunt – höchst! –
HASEMANN.
Höchst – Frankfurt – Soden – 8 Uhr 28 mit'n Schnellzug.
ALBERTINE
leise zu Hasemann.
Anton, ich dächte, die Sache wäre wichtig genug, so daß du etwas aufmerksamer zuhören könntest.
HASEMANN
ruhig.
So?
WILHELM.

Da nun meine Emilie heute, ehe sie mir die hübsche Szene machte, vorher bei Ihnen zur Kaffee-Soiree war, so vermute ich –

[112]
ALBERTINE.
Was vermuten Sie?
EMILIE
Wilhelm am Rock zupfend.
So schweige doch.
WILHELM.

Daß Sie mit meiner Frau über diese Vereinsangelegenheit gesprochen und ihr Verhaltungsmaßregeln gegeben haben.

ALBERTINE.
Und wenn dem so wäre?
WILHELM.

Dann würde ich Sie bitten, Frau Schwiegermutter, das in Zukunft zu unterlassen, weil dadurch sehr leicht unser häuslicher Frieden gestört werden könnte.

EDUARD
beiseite.
Ach, wenn ich doch auch so reden könnte!
ALBERTINE.

So? Also ich störe Ihren häuslichen Frieden? Hörst du's Anton, ich störe den häuslichen Frieden meiner Tochter.

HASEMANN.
Ja.
EMILIE.
Er meint es ja nicht so, Mutter.
ALBERTINE
abweisend.

Ich brauche deinen Schutz nicht. Zu Wilhelm. Sie wollen also sagen, daß ich nicht im stande bin, meinen Kindern gute Lehren zu geben, Sie wollen meine Kinder zum Ungehorsam gegen mich zwingen, Sie wollen –

WILHELM.

Bitte, das will ich nicht. Ich achte selber meine Eltern viel zu hoch, als daß ich es billigen könnte, wenn Emilie unehrerbietig gegen ihre Mutter handeln würde.

HASEMANN
zu Albertine.
Na, da hörst du's.
ALBERTINE.
Schweige doch, der hinkende Bote wird schon nachkommen.
WILHELM.
Aber –
ALBERTINE.
Na, was habe ich gesagt? Aber –?
WILHELM.

Aber in einer Ehe, noch dazu in einer so jungen Ehe, wie die unsrige, ist jede Einmischung eines Dritten, selbst wenn dieser Dritte eine Mutter wäre, vom Uebel.

ALBERTINE.

Ach, Sie werden mir doch erlauben, es unpassend zu finden, wenn Sie die halbe Nacht außer dem Hause zubringen?

WILHELM.

Nein, das erlaube ich nicht; denn ich finde nichts Unpassendes darin, ein paar Stunden mit guten Freunden zuzubringen und fröhliche Lieder zu singen.

ALBERTINE.

Kurz und gut, ich finde es unpassend, daß Sie jeden Montag in den Verein gehen und Ihre Frau die halbe Nacht allein lassen.

[113]
WILHELM.

Kurz und gut, ich werde nach wie vor jeden Montag in den Verein gehen und bitte Sie, Ihre Ansicht hierüber für sich zu behalten.

ALBERTINE.

Ach, das sind Impertinenzen! Auf Eduard blickend. Und noch dazu in Gegenwart fremder Leute. Stürztt auf Eduard zu. Mein Herr, was machen Sie noch hier?

EDUARD
zaghaft.
Liebe Frau Hasemann, ich wollte nur fragen, ob ich nicht Fräulein Rosa –
ALBERTINE
grob.
Nein, meine Tochter ist leidend. Ein andermal, wenn ich bitten darf. Geht erregt auf und ab.
EDUARD.
Empfehle mich. Geht nach der Mitteltür.
EMILIE
hält Eduard zurück, indem sie das Benehmen ihrer Mutter zu entschuldigen sucht.
ALBERTINE.

Ich bin außer mir – ich finde keine Worte! Zu Wilhelm. Auf Ihre Unverschämtheit soll Ihnen mein Mann antworten. Hörst du, Anton, du sollst antworten.

HASEMANN
zu Wilhelm, welcher inzwischen leise mit ihm gesprochen.
Ja wohl, Wilhelm, da haben Sie ganz recht.
ALBERTINE
aufschreiend.
Mann, was sagst du?
HASEMANN
sehr ruhig.
Schreie nicht so, Tine, du könntest dir inwendig ein Gefäß zerplatzen.
14. Szene
14. Szene.
Vorige. Klinkert. Frau Klinkert.

FRAU KLINKERT.

Guten Abend, liebe Hasemann. Klinkert will mit Ihrem Manne ein Partiechen machen – natürlich nur um fünf Pfennige, höher leide ich's nicht. Wir können dabei ein bißchen plaudern – ist's Ihnen recht, oder stören wir?

ALBERTINE.

Durchaus nicht, liebe Klinkert. Denken Sie sich, was mir eben passiert ist. Spricht unter heftigen Gestikulationen leise mit ihr.

KLINKERT.

Na, Hasemann, wollen wir einen kleinen Sechsundsechzig machen? Vielleicht spielt Knorr 'ne Partie mit.

WILHELM.
Nein, ich muß danken.
HASEMANN.
Ich habe auch keine Lust, gib mir mal erst die zwanzig Pfennige von gestern.
FRAU KLINKERT
erstaunt die Hände zusammenschlagend.
Nein, ist es denn die Möglichkeit?!
ALBERTINE.
Was sagen Sie dazu, liebe Klinkert?
FRAU KLINKERT.
Ich bin starr, liebe Hasemann.
[114]
WILHELM
zu Emilie.
Ich glaube, es ist die höchste Zeit daß wir gehen, sonst platzt bei mir auch was.
EMILIE.
Pfui, du abscheulicher Mann, ich rede heute kein Wort mehr mit dir.
WILHELM.
Na, na?
FRAU KLINKERT.
Ich würde meinem Mann niemals erlauben, in einen Verein zu gehen.
ALBERTINE.

Ich auch nicht, aber natürlich, wir sind unerfahrene Frauen, wir verstehen nicht, wie es in einer Ehe zugehen muß.

WILHELM.

Daß Sie 'ne Nachtmütze sind, Klinkert, das ist bekannt; aber daß mein Schwiegervater sich auch erlauben lassen muß, wohin er gehen darf, das kann ich mir nicht denken.

EMILIE.
Komm', Wilhelm, du wolltest ja gehen.
WILHELM.
Nee, jetzt bleibe ich noch ein bißchen.
KLINKERT.
Wer sagt, daß ich 'ne Nachtmütze bin?
WILHELM.
Na, Ihre Frau.
FRAU KLINKERT.
Herr Knorr, ich muß sehr bitten –
WILHELM.
Wenn eine Frau sagen darf »ich erlaube meinem Mann nicht, auszugehen« – dann ist er eine Nachtmütze.
ALBERTINE.
Es kommt darauf an, wohin der Mann geht.
FRAU KLINKERT.
Richtig.
HASEMANN.
Was ist denn das für ein Verein, von dem immer die Rede ist?
WILHELM.

Schwiegervater, Sie werden mir doch nichts Unanständiges zumuten? Ein Gesangverein, in dem man mit guten Freunden zusammenkommt, Lieder singt und sich gemütlich unterhält.

HASEMANN.
Nee, das finde ich nicht unanständig.
KLINKERT.
Ich auch nicht, ich finde es sogar sehr nett.
WILHELM
zu Klinkert.
Na, dann kommen Sie mit.
FRAU KLINKERT.
Untersteh' dich!
WILHELM
lacht.
Hahaha!
15. Szene
15. Szene.
Vorige. Anna. Dann Körner.

ANNA
durch die Mitte, meldend.
Herr Körner ist unten.
HASEMANN
beiseite.

Na ja, da haben wir's. Laut zu Anna. Herr Körner möchte so gut sein und 'raufkommen. Beiseite. Wenn ich nur wüßte, wie ich mich da aus der Patsche ziehe?

[115]
WILHELM.
Also Papa Klinkert, nicht unterstehen!
HASEMANN
beiseite.

Das einfachste ist, ich drücke mich. Laut zu Klinkert. Du bist wirklich 'ne Schlafmütze. Du wirst dich doch nicht so ins Bockshorn jagen lassen? Komm', ich gehe auch mit.

WILHELM.
Im Ernst, Schwiegervater?
HASEMANN.
Natürlich!
ALBERTINE.
Aber Hasemann –?
HASEMANN.
Ich muß mich doch überzeugen, was das für ein Verein ist.
FRAU KLINKERT.
Klinkert, Emanuel, du bleibst hier.
HASEMANN
Klinkert unter den Arm nehmend.
Nee, du gehst mit. Komm', wir können auch da unseren Sechsundsechzig machen – nicht wahr, Wilhelm?
WILHELM.
Gewiß.
KLINKERT
sich ängstlich nach seiner Frau umsehend.
Freilich, mein Partiechen möchte ich nicht gerne im Stich lassen.
HASEMANN.
Na also!
KÖRNER
durch die Mitte.
Ich wünsche guten Abend.
HASEMANN.

Guten Abend, Körner, du entschuldigst mich wohl auf einen Augenblick, ich muß bloß mit meinem Schwiegersohn mal in'n Verein.

KÖRNER.
Aber, Anton, du wolltest ja –?
HASEMANN.

Natürlich, mein Junge, alles besorgt.Leise zu ihm. Rosa will dir selber Bescheid sagen.Laut. Klinkert halb gewaltsam mit sich fortziehend. Also vorwärts, Nachtmütze! Ich ziehe mir schnell den Rock an, wir gehen dann durch den Garten.

FRAU KLINKERT.
Emanuel!

Hasemann mit Klinkert ab nach rechts.
WILHELM.
Bravo! Zu Eduard. Ede, du hast einen schönen Tenor, du kannst auch mitkommen.
EDUARD.
O nein, ich bleibe lieber bei den Damen.
WILHELM.

Nichts da, du gehst mit den Männern.Faßt ihn unter den Arm. Adieu, Milchen. Wenn's nicht zu spät wird, hole ich dich hier ab. Adieu, Schwiegermama. Vorwärts, Ede! Zieht ihn fort.

EDUARD.

Ich empfehle mich, meine Damen. Zu Wilhelm. Es ist aber sehr unrecht von dir, mich mit Gewalt – Wilhelm folgt mit Eduard den anderen durch die Tür rechts.

16. Szene
[116] 16. Szene.
Albertine. Frau Klinkert. Emilie. Körner.

FRAU KLINKERT.
Ich bin außer mir, ich muß ihm nach. Will nach rechts.
EMILIE
sie zurückhaltend.
Was fällt Ihnen ein? Er kehrt doch nicht um.
FRAU KLINKERT.

So? Und wenn ihm ein Unglück passiert! Er kann kein bairisch Bier vertragen – wenn er zwei Seidel getrunken hat, ist er zu allem fähig.

EMILIE.
Ihr hättet es ihnen nicht verbieten sollen, dann wären sie gar nicht mitgegangen.
ALBERTINE.
Ach, sieh' mal, jetzt wirst du uns wohl gute Lehren geben?
EMILIE.
Jedenfalls habe ich die Sache dadurch, daß ich Eurem Rate gefolgt bin, nur schlimmer gemacht.
FRAU KLINKERT.
Was sagen Sie dazu, liebe Hasemann?
ALBERTINE.
Ich bin empört, liebe Klinkert, und wenn wir nicht Besuch hätten –
KÖRNER.
O, bitte, wenn ich etwa störe –
ALBERTINE.
Durchaus nicht. Wollen Sie nicht gefälligst Platz nehmen? Deutet auf das Sofa.
KÖRNER.
Ich danke. Ah! Fräulein Rosa.
17. Szene
17. Szene.
Vorige. Rosa von links. Dann Anna.

ROSA.

Mutter – Erblickt Körner. Ah Verlegen. Guten Abend, Herr Körner. Beiseite. Welch' peinliche Verlegenheit! Reicht ihm die Hand.

KÖRNER
Rosas Hand küssend.
Ich komme Ihnen hoffentlich nicht ungelegen, liebe Rosa?
ROSA.

Wie können Sie nur fragen! Sie wissen, daß mir der Freund meines Vaters stets willkommen ist. Leise zu Albertine. Mutter, ich sah den Baron Zinnow auf das Haus zukommen.

ALBERTINE
ebenfalls leise.

Wirklich? Vielleicht kommt er, um seinen Antrag zu machen. Sei energisch, Rosa, heute muß er sich entscheiden.

ROSA
leise.
Ich denke auch.
ANNA
durch die Mitte.
Herr Baron von Zinnow möchte aufwarten.
[117]
ALBERTINE.
Sehr angenehm! Wir lassen den Herrn Baron bitten. Anna ab.
ALBERTINE
zu Körner.
Sie kennen doch den Baron?
KÖRNER.
Nein.
ALBERTINE.

Es ist wahr, Sie haben sich noch nie zusammen getroffen. Er ist ebenfalls ein Freund des Hauses – o, ein sehr feiner, liebenswürdiger Mann, nicht wahr, liebe Klinkert?

FRAU KLINKERT.
Gewiß, liebe Hasemann, ein echter Kavalier.
18. Szene
18. Szene.
Vorige. Zinnow.

ZINNOW
eleganter junger Mann, kein Geck, durch die Mitte.

Meine Damen, ich habe die Ehre, Sie zu begrüßen, und bitte um Entschuldigung, wenn ich noch so spät komme.

ALBERTINE.
O, bitte, Herr Baron, Sie können nie zu spät kommen.
ZINNOW
Albertine lächelnd die Hand küssend.
Immer die liebenswürdige Hausfrau – charmant!
ALBERTINE.

Erlauben Sie, Herr Baron, daß ich Ihnen den Herrn Fabrikant Körner vorstelle – ein Freund meines Mannes.

ZINNOW
sich leicht verneigend.
Sehr erfreut, mein Herr.
KÖRNER.
Gleichfalls.
ZINNOW
begrüßt Rosa.
ALBERTINE.

Aber wollen die Herrschaften nicht Platz nehmen? Bitte! Es wird übrigens schon schummrig – soll ich Licht bringen lassen?

ZINNOW.

Nicht doch, es plaudert sich im Schummerstündchen gerade am angenehmsten. Oder noch besser, Fräulein Rosa präludiert ein wenig auf dem Klavier.

ALBERTINE.

Ach ja, Röschen, präludiere uns was – vielleicht die neuesten Variationen aus dem Karneval von Venedig. Soll ich die Lichter anstecken?

ROSA.
Es ist nicht nötig, Mutter.
ALBERTINE
zu Körner.
Sie spielt nämlich alles auswendig, das Kind – selbst die schwierigsten Stücke.

Albertine, Frau Klinkert, Emilie und Körner haben sich um den Tisch rechts gesetzt; Rosa setzt sich ans Klavier, Zinnow stellt sich neben sie.
[118]
EMILIE.

Ist es nicht unrecht, Herr Körner, daß Rosa allein das Klavierspielen gelernt hat, und ich gar nichts, was zur feinen Erziehung gehört?

KÖRNER.

Wer eine so gute Hausfrau und Gattin geworden ist, wie Sie, liebe Emilie, hat gewiß keine Ursache sich über seine Erziehung zu beklagen.

ALBERTINE, Still, Emilie, still – Röschen spielt schon.

ROSA
präludiert in haibleisen Akkorden und spricht dabei mit dem neben ihr stehenden Baron.
Warum sehen Sie mich so an, Herr von Zinnow?
ZINNOW.

Ich möchte wissen, was Ihr Köpfchen für Gedanken brütet, wenn Ihre Finger dem Instrument so schwärmerisch süße Töne entlocken.

ROSA.
Die Musik ist die Sprache des Herzens.
ZINNOW.
So ist es Ihr Herz, welches so melodisch schwärmt?
ROSA.

Schwärmt – phantasiert – träumt – ja träumt, von einem Glück, das ihm die Wirklichkeit wohl nie bieten wird.

ZINNOW.

Das Glück des Mädchenherzens ist die Liebe, und was könnte Ihnen, der Mutter Natur eine so reiche Mitgift gegeben hat, die Liebe versagen?

ROSA.

Alles, wenn sie von mir verlangt, daß ich mein Gefühl im Schatten der Heimlichkeit verkümmern lasse. Meine Liebe verlangt Sonne – ich will es vor den Augen der Welt nicht bergen müssen, daß ich liebe.

ZINNOW.
Und dennoch singen alle Dichter von dem Glück heimlicher Liebe.
ROSA.
So schelten Sie mich eine prosaische Natur, denn ich habe kein Verständnis für dieses Glück.
ZINNOW.
Wenn aber Umstände, Verhältnisse gebieten –
ROSA.
O, nicht doch! Mein Stolz würde mir niemals erlauben, mein Herz ohne meine Hand zu verschenken.
ZINNOW.

Sie haben unrecht, liebe Rosa, sich eine prosaische Natur zu nennen – Sie sind eine prak tische Natur. Er entfernt sich vom Klavier und tritt zu der Gruppe rechts.

ROSA.

Er geht – er würdigt mich keiner Antwort – o, es ist klar, er treibt sein Spiel mit mir – es ist empörend! Bricht mit einem kräftigen Akkord das Spiel ab.

ALBERTINE.
Ist das Stück aus, Röschen?
ROSA.
Ja.
ALBERTINE.
Was war es doch?
[119]
ROSA.
Nichts – eine Phantasie!
ANNA
tritt mit einer brennenden Lampe ein und setzt dieselbe auf den Tisch rechts.
ALBERTINE.

Ach, da bringt Anna die Lampe – hierher. Die Herrschaften essen doch ein Butterbrötchen? Natürlich. Vielleicht im Garten? Der Abend ist so schön. Anna, Sie können in der Laube decken – haben Sie gehört, Anna?

ANNA
an der Mitteltür.
Ja doch. Ab.
ALBERTINE
geht zu Rosa, leise.
Nun, wie weit bist du mit dem Baron?
ROSA.
Es ist aus.
ALBERTINE
erstaunt.
Wie?
ROSA.
Er macht sich lustig über mich.
ALBERTINE.
Ach warum nicht gar? Verlaß dich darauf, er liebt dich.
ROSA
Albertine an der Hand zu sich ziehend.
Glaubst du, ich sei gut genug, mich von Jedem lieben zu lassen?
ALBERTINE.
Aber, Kind, hast du denn an dem Baron auch was auszusetzen?
ROSA.
Mehr als das – ich verachte ihn.
ALBERTINE.
Willst du denn mit aller Gewalt eine alte Jungfer werden?
ROSA
erregt.
Ich bitte dich, laß mich.
ALBERTINE.

Nun ja, ja. Beiseite. Das ist doch aber ärgerlich – ich habe der Klinkert schon durch die Blume zu verstehen gegeben, daß wir wahrscheinlich Verlobung feiern würden, nun ist's wieder nichts. Geht wieder nach dem Tisch rechts.

KÖRNER
welcher inzwischen in den Büchern, welche auf dem Mitteltisch liegen, geblättert hat, tritt zu Rosa – halbleise.
Liebe Rosa.
ROSA
aus ihren Gedanken auffahrend.
Ach! – Herr Körner?
KÖRNER.
Haben Sie mir nichts zu sagen?
ROSA
verlegen.
Ich –
KÖRNER.

Ich stehe vor Ihnen wie ein Schulknabe, der ein Unrecht begangen und ängstlich der Strafe wartet, die ihm werden soll. Machen Sie's kurz, wenn Sie den Toren auslachen wollen. Oder – was noch schlimmer wäre – müßte der Schulknabe sich selber anklagen, hätte Ihr Vater Ihnen mein Geständnis nicht überbracht?

ROSA.
Er hat mir alles gesagt.
KÖRNER.
Aber die Antwort ist er mir schuldig geblieben. Soll ich daraus einen Schluß ziehen?
[120]
ROSA.
Und welchen?
KÖRNER.
Daß Ihr Vater mir auswich, weil Niemand gern der Ueberbringer einer Hiobspost ist?
ROSA.

Sie machen mich gar zu eitel, Herr Körner, wenn Sie mich glauben machen wollen, daß eine Ablehnung Ihres Antrages für Sie eine Hiobspost sei.

KÖRNER.

Ich will Ihrer Eitelkeit nicht schmeicheln – fürchten Sie nicht, die meine zu verletzen. Ein rasches Nein, wenn es sein muß, und ich gehe. Mein Anblick soll Sie nie mehr an das Peinliche dieser Stunde erinnern.

ROSA.

Das Peinliche dieser Stunde für mich liegt nur darin, daß Sie mich überreden wollen, ich brächte ein Opfer, wenn –

KÖRNER.

O, warum halten Sie ein? Fürchten Sie schon zu viel gesagt zu haben? Liebste Rosa, wecken Sie keine Hoffnungen in mir, wenn Sie schließlich doch mit einem Nein endigen wollen; versuchen Sie nicht, mir ein Bündel Trostgründe mit auf den Weg zu geben – ich würde sie doch als eine lästige Bürde abschütteln, wenn Sie mich gehen heißen. Aber ich bleibe nur, wenn Sie mir alles sein wollen – Alles! Mein angebetetes Weib!

ROSA
beiseite.
Welch' eine andere Sprache! Ist es nicht Torheit, hier noch zu überlegen?
ZINNOW
welcher mit Emilie geplaudert hat, lachend.
Hahaha! Wahrhaftig? Nein, das ist zu komisch, hahaha!
ROSA
beiseite.

Ich bin entschlossen. Zu Körner. Herr Körner, ich habe nur den einen Wunsch, daß ich imstande sei, Ihnen das Glück zu gewähren, welches Sie an meiner Seite zu finden hoffen. Hier ist meine Hand.

KÖRNER
Rosas Hand mit Küssen bedeckend, laut.
Rosa, meine geliebte Rosa!

Die Gesellschaft an dem Tische rechts wird aufmerksam und erhebt sich.
ALBERTINE
erstaunt.
Was?
ZINNOW.
Herr Körner scheint mit Fräulein Rosa in sehr lebhafter Unterhaltung begriffen zu sein.
FRAU KLINKERT.
Ach, liebe Hasemann, Sie sprachen doch von einer Verlobung, die heute stattfinden sollte?
EMILIE.
Wer soll sich verloben?
FRAU KLINKERT.
Nun, da wir drei schon unser Teil haben, bliebe doch Niemand übrig als –
ROSA.
Als ich. Meine Mutter hat Ihnen die Wahrheit gesagt. Auf Körner deutend. Hier steht mein Verlobter!
[121]
KÖRNER.
Die Einwilligung Ihres Mannes habe ich, Frau Hasemann, werden Sie Nein sagen?
ALBERTINE
zu Rosa.
Aber Kind?

Man hört hinter der Szene das Mendelssohn'sche Quartett: »Wer hat dich, du schöner Wald« etc.
FRAU KLINKERT.
Was ist das?
ZINNOW.
Vielleicht gar ein Ständchen für die glücklichen Verlobten.
EMILIE
am Fenster rechts.
Das sind unsere Männer.
FRAU KLINKERT
ebenfalls ans Fenster eilend.

Wahrhaftig. Der meine auch – und der Provisor! Und wie sie aussehen? Emanuel! Er hat richtig bairisch Bier getrunken. Eilt an die Tür.

EMILIE.
Ach Gott, sie scheinen alle einen Spitz zu haben.
19. Szene
19. Szene.
Vorige. Franziska.

FRANZISKA
durch die Mitte.

Mutter, Mutter! Der Vater kommt und Wilhelm und die Andern. Sie wackeln hin und her und schreien – die sind gewiß betrunken. Hahaha!

ALBERTINE.
Schweige doch, Fränzchen.
KÖRNER
spricht leise mit Albertine.
ZINNOW
leise zu Rosa.
Rosa, Sie lieben diesen Herrn Körner nicht.
ROSA.
Möglich.
ZINNOW.
Und Sie heiraten ihn dennoch?
ROSA.
Ja. Er ist ein Ehrenmann und besitzt ein bedeutendes Vermögen.
ZINNOW.
Und das könnte Sie bestimmen?
ROSA.
Warum nicht? Sie sagten es ja selbst – ich bin eine praktische Natur.
ZINNOW
beiseite.
O, wir werden ja sehen.
20. Szene
20. Szene.
Vorige. Hasemann. Wilhelm. Klinkert. Eduard. Anna.
Die vier Männer sind etwas angetrunken und wanken, sich unter die Arme fassend zur Tür herein. Klinkert hat ein stark gerötetes Gesicht, Eduard ist sehr blaß; Hasemann und Wilhelm sehen sehr vergnügt aus und tragen den Hut aus der Seite. Der Quartettgesang ist stärker geworden, sie singen, während sie auf sie Bühne treten, die letzten Worte: »Lebe wohl« usw.

ANNA
steht lachend an der Mitteltür.
FRANZISKA
lacht ebenfalls.
[122]
ALBERTINE.
Anton, Mann!
EMILIE.
Aber Wilhelm!
FRAU KLINKERT.
Emanuel!

Die drei Frauen schlagen entsetzt die Hände zusammen.
KÖRNER
erfaßt Rosas linke Hand.
ROSA
mißt den neben ihr zur Seite rechts stehenden Zinnow mit stolzem Blick.

Während nach Beendigung des Quartetts das Orchester ein Nachspiel anstimmt, fällt der
Vorhang.

Ende des ersten Aktes.

2. Akt

1. Szene
1. Szene.
Emilie im Hauskleid, mit Schürze und Schlüsselbund. Bartsch. Lohmann. Fritz. Schlossergesellen im Arbeitsanzug.

EMILIE.

Meine Herren, ich danke Ihnen für Ihre Gratulation; es freut mich, daß Sie meinen Geburtstag nicht vergessen haben.

LOHMANN.
Sie werden uns doch nicht für so ungalant halten?
BARTSCH.

Wie können die Frau Meisterin nur glauben, daß wir Ihren Geburtstag vergessen werden. Der Meister hat es zu der Jette gesagt, die Jette hat es dem Fritz gesagt, und der Fritz hat es in der Werkstatt erzählt – erst gestern Abend. So was vergißt man nicht!

EMILIE.

Wenn Sie erlauben, schicke ich nach Feierabend ein Fäßchen Bier in die Werkstatt 'runter, damit Sie auf meine Gesundheit trinken.

BARTSCH.
O, warum sollen wir das nicht erlauben?
LOHMANN.
Sie werden uns doch nicht für so ungalant halten?
BARTSCH.

Wenn es Ihnen egal ist, dann würde ich Ihnen Stresow'n empfehlen – der hat Patzenhofer Bier, und das trinken wir am liebsten.

EMILIE.
Ich werde gewiß für Patzenhofer sorgen.
BARTSCH.
Den Kümmel dazu können wir uns dann ja selber besorgen.
[124]
EMILIE
lächelnd.
Ich hoffe, Sie werden an meinem Ehrentage auch den Kümmel von mir annehmen.
BARTSCH
zu den andern.
Allerdings, da es der Meistern ihr Ehrentag ist – –
DIE GESELLEN.
Ja, ja!
LOHMANN.
Sie werden uns doch nicht für so ungalant halten?
EMILIE.
Ich danke Ihnen nochmals, meine Herren, und will Sie nun auch nicht länger von der Arbeit aufhalten.
BARTSCH.
Sie sind sehr freundlich. Also, Kinder, empfehlen wir uns.
ALLE
drängen sich um Emilie.
FRITZ
für sich.

Ach, die Meister'n ist doch eine zu schöne Frau! Wenn ich wüßte, daß mir der Meister nich haut, dann würde ich es ihr 'mal sagen, daß ich in sie verliebt bin. Geht ebenfalls zu Emilie und reicht ihr die Hand.


Alle ab.
2. Szene
2. Szene.
Emilie allein.

EMILIE.

Heute bin ich 22 Jahre alt! Und was ich in der Zeit schon alles erlebt habe! Erst die lange Schulzeit, dann die Tanzstunde, dann meine Verlobung mit Wilhelm – und nun seit beinahe zwei Jahren verheiratet! Es ist zwar nicht so sehr lang, aber wenn man bedenkt, daß Rosa kaum anderthalb Jahr verheiratet ist, und schon mit einem prächtigen Jungen Staat machen kann – ach, es muß doch das höchste Glück sein! Setzt sich an den Tisch links und nimmt ein aufgeschlagenes Buch zur Hand. Und ich habe mich so genau unterrichtet über die Pflichten einer Mutter – das ganze Buch fast kann ich schon auswendig. Liest.

3. Szene
3. Szene.
Emilie. Eduard.

EDUARD
einen Blumentopf unter dem Arm, tritt durch die Mitte ein.

Verehrte Freundin – – Sie hört mich nicht, sie scheint in Gedanken zu sein? Ich möchte sie nicht gern erschrecken. Räuspert sich. Hm! Hm! Sie hört noch immer [125] nicht. Aber ich muß mich doch bemerkbar machen. Ich werde leise in die Hände klatschen. Klatscht in die Hände und läßt dabei den Blumentopf auf die Erde fallen.

EMILIE
erschreckt auffahrend.
Ach!
EDUARD.

Guten Morgen, liebe Freundin. Nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich Sie erschreckt habe – ich wollte Ihnen zum Geburtstag gratulieren.

EMILIE.
Das ist ja sehr liebenswürdig von Ihnen.
EDUARD
sich bückend.

Der Topf ist zersprungen, aber die Blume ist noch ganz. Es ist eine Tulpenzwiebel, die ich selber gezogen habe.

EMILIE
hilft Eduard den Topf aufnehmen und setzt ihn auf einen Tisch.
Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Reicht ihm die Hand.
EDUARD.
O, es ist ja so wenig – nur, damit Sie sehen, daß ich Ihren Geburtstag nicht vergessen habe.
EMILIE.

Wollen Sie sich nicht ein bißchen zu mir setzen? Aber Sie müssen kein so trauriges Gesicht machen, Herr Klein, ich kann das nicht sehen, das verstimmt mich.

EDUARD.

Sie wissen ja, warum ich traurig bin – ich werde es immer sein, wenn ich sehe, wie andere Menschen glücklich sind.

EMILIE.
Sie werden doch nicht Ihr Leben lang unglücklich sein wollen?
EDUARD
mit einem wehmütigen Lächeln.
Es wird mir wohl nichts anderes übrig bleiben.
EMILIE.

Ach, schämen Sie sich doch! Ein junger Mensch, gesund, ohne Nahrungssorgen, geachtet und gern gesehen von seinen Freunden – wie kann der so blasiert sprechen?

EDUARD.

Blasiert? Ach nein, ich bin nicht blasiert. Ich kann mich über ein Blümchen freuen, über einen schönen Stein, über die Sonne, wenn sie ihren goldigen Reflex aufs Wasser wirft, oder über den Mond, wenn sein weißes Licht die dunklen Wolken durchbricht – die ganze Natur ist für mich ein Born der Freude! Aber mein Herz ist wund, und die Pharmakopöe hat der Natur noch kein Kraut abgewonnen, das solche Wunden heilt.

EMILIE.
Sie denken noch immer an Rosa?
EDUARD.
Ach ja!
EMILIE.
Da sie aber doch für Sie verloren ist –?
EDUARD.
Verloren – ja – vielleicht durch meine eigene Schuld.
[126]
EMILIE.
Wieso das?
EDUARD.

An jenem Tage, als Rosa sich mit Herrn Körner verlobte, da hatte ich auch um ihre Hand angehalten. Aber Ihre Frau Mutter wies mich so schroff ab, sie ließ mich nicht zu ihr, sie sagte, mein Zungenfehler – das Lispeln – würde Rosa abstoßen. Und wer weiß, ob sie mich nicht ebenso gut genommen hätte, wie Herrn Körner, den sie doch auch nicht liebt.

EMILIE.
Wie können Sie so etwas sagen!
EDUARD.

Weil ich es weiß, liebe Emilie. Glauben Sie, daß eine Frau, die ihren Mann liebt, nur Zerstreuungen außer dem Hause suchen würde – ohne ihn? Ich stehe oft, wenn ich nachts Dienst habe, an dem Fenster der Löwenapotheke und sehe in dem Hause gegenüber einen Mann unruhig die Zimmer durchlaufen, ich sehe, wie er in das Schlafzimmer tritt, sich über die Wiege seines Kindes beugt, dann nach einer Weile ein Fenster öffnet und ausspäht nach seiner Frau, die sich inzwischen in Gesellschaften, auf Bällen, am Arme eines Anderen amüsiert. Und Sie glauben, daß diese Frau ihren Mann liebt? O nein! Rosa ist nicht glücklich, und das schmerzt mich am meisten.

EMILIE.
Wenn das wirklich wahr ist, so ist es Rosas eigene Schuld.
EDUARD.

Möglich, aber ich kann mich doch des Gedankens nicht entschlagen, daß es anders gekommen wäre, wenn –

EMILIE.
Wenn sie Ihre Frau geworden wäre?
EDUARD.
Ja, warum nicht? Oder glauben Sie, daß ich nicht imstande sei, eine Frau glücklich zu machen?
EMILIE.

Im Gegenteil, ich bin überzeugt, daß Sie ein sehr guter Ehemann sein würden, und Sie werden auch gewiß noch ein Mädchen finden, das besser zu Ihnen paßt, als Rosa.

EDUARD.
O nein! Ich habe abgeschlossen mit der Welt, ich heirate nie!
EMILIE.

Ach, sprechen Sie nicht so dummes Zeug, sonst werde ich böse. Wenn wir das nächstemal im Verein wieder Gesellschaftsabend und Ball haben, dann müssen Sie mit; ich plaziere Sie in die Nähe einiger Freundinnen von mir – ich weiß schon, wen ich Ihnen aussuche – und dann wollen wir doch sehen, ob Sie nicht Feuer fangen.

EDUARD.
Ich? o –!
[127]
EMILIE.

Ja, ja, Sie. Stille Wasser sind tief – ein Streichholz brennt nicht, so lange es in der Schachtel liegt. Wir wollen doch sehen, ob Sie nicht aufflackern, wenn ich Ihnen ein Paar schelmische Mädchenaugen als Zündstoff in die Nähe bringe.

EDUARD.
Sie meinen es gut, Sie wollen mich aufheitern, und beinahe könnte ich auch lachen.
EMILIE.
Na, dann lachen Sie doch! Es steht Ihnen viel besser, als diese immerwährende Leichenbittermiene!
EDUARD.
O, ich zeige nicht jedem meine trübsinnige Miene; nur Ihnen, weil ich weiß, daß Sie mich verstehen.
EMILIE.
Am Ende könnte mir's aber doch auch zu viel werden.
EDUARD
aufstehend.
Freilich, ich will Ihre Geduld auch nicht mißbrauchen; ich bin sowieso schon zu lang geblieben.
EMILIE.
Na, zu gehen brauchen Sie darum noch nicht.
EDUARD.
O doch, ich muß. Adieu, liebe Freundin, und nochmals meine herzlichste Gratulation.
EMILIE
Eduards Hand drückend.
Sie müssen mir versprechen, in Zukunft auch heiterer zu sein. Versuchen Sie's nur, es geht schon.
EDUARD.

O, ich versuche es ja – sehr oft sogar. Und es geht auch – so lange wenigstens, bis irgend ein Ungefähr meine Gedanken wieder auf das Eine lenkt, was ich nicht verschmerzen kann. Seien Sie mir nicht böse, liebe Emilie, daß ich Sie so schlecht unterhalten habe; mir hat es doch eine rechte Erleichterung gewährt, daß ich mich wieder einmal habe aussprechen können. Jetzt haben Sie Ruhe vor mir – ja, lange – ich tu's so bald nicht wieder, gewiß nicht. Ab durch die Mitte.

4. Szene
4. Szene.
Emilie allein.

EMILIE.

Er tut mir recht leid, der arme Mensch. Ich mag's ihm nur nicht sagen, sonst wird er noch trübsinniger. Aber ich glaube es wohl, daß ihm das Herz weh tut; denn lassen, was man liebt, ist nicht viel anders, als Abschied nehmen vom Leben.

5. Szene
[128] 5. Szene.
Emilie. Wilhelm.

WILHELM.
Milchen!
EMILIE.
Wilhelm! Eilt auf ihren Mann zu und umarmt ihn. Du bist ja schnell zurückgekommen.
WILHELM.
Ich werde dich doch heute nicht lang allein lassen!
EMILIE.
O, es waren schon viele Gratulanten da.
WILHELM.
So? Wer denn?
EMILIE.
Alle Gesellen und Eduard.
WILHELM.
Eduard? Der hat dir wohl wieder was vorgejammert?
EMILIE.
Pfui, Wilhelm, du sollst nicht so sprechen.
WILHELM.
Wie?
EMILIE.
Du sollst dich nicht immer über den armen Menschen lustig machen.
WILHELM
lächelnd.
Und wenn ich es doch tue?
EMILIE
drohend.
Du! – Wilhelm, wir haben abgemacht, daß wir uns heute nicht zanken wollen.
WILHELM.

Ich denke ja auch gar nicht daran, mich mit dir zu zanken; aber du wirst mir doch zugestehen müssen, das es höchst läppisch ist von einem Manne, fortwährend um ein Frauenzimmer zu lamentieren, als ob es nur die Eine auf der Welt gäbe?!

EMILIE.

Und wenn er diese Eine nun liebt, wenn ihr Verlust ihm so nahe geht, daß er sich aus Gram darüber verzehrt?

WILHELM.
Er sich selbst?
EMILIE.

O, spotte nur. Du freilich bist eine prosaische Natur, aber es gibt poetische Gemüter, die sich aus unglücklicher Liebe das Leben nehmen können.

WILHELM.
Das glaube ich nicht.
EMILIE.

Ja, du hast deinen Teil und bist glücklich. Aber ich möchte wohl wissen, wie du dich angestellt haben würdest, wenn ich dir einen Korb gegeben hätte!

WILHELM.
Dann hätte ich eine Andere geheiratet.
EMILIE.
Oho!
WILHELM.
Verlaß dich darauf.
EMILIE.
Dann hätte ich dir die Augen ausgekratzt.
WILHELM.

Hahaha! Na, komm' her, Alte, streiten wir uns nicht um des Kaisers Bart. Ich will auch gar nicht [129] leugnen, daß ich mich sehr gewundert haben würde, wenn du mich nicht gewollt hättest.

EMILIE.
Bloß gewundert?
WILHELM.
Oder geärgert.
EMILIE.
Bloß geärgert? nicht gegrämt? Gegrämt hättest du dich nicht?
WILHELM.
Nein. Will sie umarmen.
EMILIE.
Laß mich. Das hätte ich wissen sollen, daß ich dir so gleichgiltig war.
WILHELM.
Wer sagt das? Ich hätte mich vielleicht auch gegrämt –
EMILIE
rasch.
Also doch?
WILHELM.

Ja, wenn ich dich damals so gekannt hätte wie jetzt. Aber ich konnte doch nicht wissen, daß du so ein vortreffliches Weibchen werden würdest.

EMILIE.
Also jetzt würdest du dich grämen?
WILHELM.
Worüber?
EMILIE.
Wenn – Stockt.
WILHELM.
Wenn du mir einen Korb gäbest?
EMILIE.
Ach, du drehst einem ja die Worte im Munde um. Umarmt und küßt ihn.
6. Szene
6. Szene.
Vorige. Fritz.

FRITZ
einen Brief in der Hand, durch die Mitte, halblaut.
Herrgott er küßt sie – ich könnte ihn erwürgen vor Eifersucht.
WILHELM
sich umwendend.
Wer ist da?
FRITZ.
Eine Empfehlung von der Rohrpost.
WILHELM.
Gib her. Nimmt den Brief und liest.
FRITZ
beiseite.

Eine zu schöne Frau! Ob ich ihr meine Liebe 'mal schriftlich anzeige? Wenn ich bloß nicht dächte, daß er mir haut – er ist so roh –

WILHELM.
Na, da ist großartig.
EMILIE.
Was ist denn?
WILHELM
zu Fritz.
Na, was hältst du da noch Maulaffen feil? Marsch, runter in die Werkstatt.
FRITZ
im Abgehen, für sich.

Ich sage es ja, er ist eine rohe Natur; aber sie ist eine hinreißende Schönheit. Seufzend. Ach! Ab durch die Mitte.

7. Szene
[130] 7. Szene.
Vorige. Ohne Fritz.

EMILIE.
Von wem ist denn der Brief?
WILHELM.

Von deinem Vater. Er entschuldigt sich, daß er nicht gratulieren kommen kann – er muß verreisen. Gibt ihr den Brief.

EMILIE
erstaunt.
Mein Vater verreist?
WILHELM.

Ja, es klingt unglaublich. Ich habe zwar noch niemand so viel vom Reisen sprechen hören, wie ihn, daß er aber wirklich die Courage dazu haben sollte –

EMILIE
hat gelesen.
Er reist noch heute ab.
WILHELM.
Vielleicht reißt er aus.
EMILIE.
Wieso?
WILHELM.
Vor Muttern.
EMILIE
ärgerlich.
Solche Späße verbitte ich mir.Setzt sich an den Tisch links und nimmt das Buch zur Hand.
WILHELM
ihr nachgehend.
Du bist wohl böse?
EMILIE.
Laß mich zufrieden.
WILHELM.

Ah, du willst lesen? Dann werde ich schreiben – Rechnungen ausziehen. Setzt sich an das Schreibpult rechts.


Pause.
EMILIE.
Ein netter Geburtstag!
WILHELM.
Ja, wenn du maulst –
EMILIE.

Ich soll es mir wohl ruhig gefallen lassen, wenn du alle Tage einen Zank vom Zaune brichst? – heute über die Mutter, morgen über die Kinder!

WILHELM.
Wir haben ja gar keine.
EMILIE.
Das ist vielleicht ein Glück; denn wenn Eltern schon vorher so uneinig sind über die Erziehung –
WILHELM.
O, ich bin ganz einig mit mir.
EMILIE.

Ja, du! Wenn es nach dir ginge, dann würde der Junge wo möglich in Watte verpackt und in einen Glaskasten gesetzt, damit ihn kein Windchen anweht. Man soll Kinder aber nicht so verpimpeln, davon haben sie nachher ihr ganzes Leben lang zu leiden. Ich bin für Abhärtung.

WILHELM.

Und ich sage dir, ein zarter Organismus muß geschont werden. Vor dem dritten Jahre kommt das Kind – namentlich im Winter – nicht an die Luft.

EMILIE.
Das wäre noch schöner! Abhärten muß man es von früh auf durch kalte Abreibungen.
[131]
WILHELM.
Im Gegenteil, Wärme ist die Hauptsache.
EMILIE.
Nein, kaltes Wasser.
WILHELM.
Ach, das ist wohl die Weisheit, die du aus dem Buche hast?
EMILIE.

Darüber ist gar nicht zu spotten. Die Frau schreibt aus Erfahrung, denn sie hat selber sechs Kinder groß gezogen. Uebrigens ist die Erziehung in den ersten Jahren Sache der Mutter.

WILHELM.
Na, du wirst mir doch schon erlauben müssen, daß ich mich um mein Kind auch bekümmre.
EMILIE.
Das magst du tun; aber was die Erziehungsmethode betrifft, so werde ich gewiß nicht nachgeben.
WILHELM.
Ich auch nicht, mein Kind ist doch immer mein Kind.
EMILIE.
Dein Kind ist vor allen Dingen mein Kind – ich bin die Mutter!
WILHELM.
Und ich bin der Vater.
8. Szene
8. Szene.
Vorige. Albertine.

ALBERTINE
in eleganter, etwas auffallender Toilette, ist schon früher durch die Mitte eingetreten.
Ei, hier geht es ja wieder recht lebhaft zu.
EMILIE.

Ach, Mutter, gut, daß du kommst, du wirst am besten entscheiden können. Ich sage, man muß das Kind schon in frühester Jugend abhärten, namentlich durch kalte Abreibungen – was sagst du?

WILHELM.

Ich hoffe, Sie werden sich nicht durch Ihre Antipathie gegen mich als Schwiegermutter verleiten lassen, parteiisch zu urteilen. Ich behaupte, das Kind muß geschont werden – Wärme ist die Hauptsache, nicht wahr?

EMILIE.
Nein, kaltes Wasser.
WILHELM.
Was sagen Sie?
EMILIE.
Was sagst du?
ALBERTINE.
Von welchem Kinde ist denn eigentlich die Rede?
EMILIE
wendet sich verlegen ab.
WILHELM
ebenfalls verlegen.
Ach so!

Kleine Pause.
[132]
ALBERTINE.
Es ist doch ein rechtes Unglück! Den ganzen Tag zankt Ihr Euch.
EMILIE.
O nein.
WILHELM.
Man muß doch seine Meinung austauschen.
ALBERTINE.
Ich kam, um dir zum Geburtstag zu gratulieren, Emilie.
EMILIE.
Ich danke schön, Mutter. Willst du dich nicht setzen?
ALBERTINE
setzt sich an den Tisch links.
WILHELM
geht wieder an das Schreibpult.
ALBERTINE.

Ihr solltet Euch ein Beispiel nehmen an Rosas Ehe. Da hört man nie ein böses Wort – immer Zufriedenheit und Eintracht.

EMILIE.
Du glaubst also, daß Rosa sehr glücklich ist?
ALBERTINE.

Ob ich glaube? Natürlich ist sie es. Körner ist allerdings nicht der Schwiegersohn, wie ich ihn mir geträumt habe und wie ihn Rosas Erziehung und Tournüre eigentlich verdient hätte; indessen der Mann sieht das ein und benimmt sich danach. Wenigstens ist er sehr reich, und mein Kind braucht nur einen Wunsch auszusprechen, dann ist er schon erfüllt. Im übrigen hat sie sich ihren vollständig freien Willen bewahrt und sucht sich den Umgang und die Gesellschaftskreise, die ihr passen.

WILHELM.
Und das paßt ihm?
ALBERTINE.

O, Herr Körner ist ein sehr gescheiter Mann. Er beschäftigt sich mit seiner Fabrik und seinen Arbeitern, und überläßt die Repräsentation des Hauses seiner Frau.

WILHELM.
Aber sie besuchen sich doch manchmal?
ALBERTINE.

Es ist jedenfalls angemessener, sich nur manchmal zu besuchen, dann aber nur freundliche und liebevolle Worte auszutauschen, als den ganzen Tag zusammen zu hocken und sich immerwährend zu zanken.

EMILIE.
Nein, Mutter, was das anbelangt –
ALBERTINE.

Natürlich, du siehst das nicht ein. Es ist recht schade, daß du so wenig mit Rosa verkehrst, du wurdest viel von ihr lernen können. Ach, und wie sie eingerichtet ist! Wir haben jetzt wieder ein neues Meublement à la Pompadour und Herculanum bekommen – genau nach der antiken Ausgrabungen – himmlisch – entzückend!

WILHELM
beiseite.
In mir kocht's schon wieder.
[133]
ALBERTINE.

Und was für Konnexionen wir haben. Rosa ist doch durch des Barons von Zinnow Vermittlung zur Vorstandsdame im Komitee des Suppenvereins gewählt – na, Ihr habt es gewiß in der Zeitung gelesen? Auch Lose für die Wohltätigkeits-Lotterie habe ich zu verkaufen! Zu Wilhelm. Sie sollten ein paar nehmen, nur eine Mark das Stück.

WILHELM.
Nein, ich danke.
ALBERTINE.

Aber ich bitte Sie, es ist ja für einen wohltätigen Zweck, für den Suppenverein. Man ist doch verpflichtet, etwas für die Armen zu tun.

EMILIE.
O, Wilhelm gibt ja jeden Monat für den Suppenverein fünf Mark.
ALBERTINE.

Monatlich fünf Mark? Aber Sie stehen ja gar nicht in der Liste, die immer in der Zeitung veröffentlicht wird?

WILHELM.
Weil ich mir das verbeten habe.
ALBERTINE.

Wie? Sie lassen es nicht in die Zeitung setzen, wenn Sie für die Armen etwas geben? Ja, warum gibt man es denn? Da sieht man's, Kinder, Ihr versteht nicht zu leben.

WILHELM.
Da hat die Schwiegermutter eigentlich recht.
ALBERTINE.
Habe ich wirklich einmal recht? Es ist ja ein Wunder, daß Sie das einsehen.
WILHELM.
Der Unterschied ist bloß, ob man wohltun will, oder dicketun.
ALBERTINE.

Ich dachte wohl, daß es sich wieder um eine Bosheit handelt. Na, mit Ihnen streite ich überhaupt nicht, Sie Krakehler. Ich muß auch jetzt fort.

EMILIE.
Du willst schon wieder gehen? Kommt Ihr nicht abends auf ein Stündchen?
ALBERTINE.

Ich weiß wirklich nicht, ob es heute gehen wird, ich habe Rosa versprochen, sie in eine Soiree zu begleiten, und der Vater –

EMILIE.
Was ist das mit dem Vater? Er schrieb uns vorhin, er müsse heute verreisen.
ALBERTINE.

Ja, denkt Euch, der Mann ist ganz komisch. In irgend einem Nest ist ein weitläufiger Verwandter gestorben, von dem wir nie etwas gehört haben – da soll er nun wegen Erbschaftsgeschichten hinkommen. Wird 'ne nette Erbschaft sein! Heute Abend will der Vater mit der Eisenbahn fort. Früh morgens um vier Uhr ist er schon aufgestanden, [134] läuft herum, packt ein und wieder aus und kehrt das ganze Haus um. Na, ich habe mich fortgemacht.

WILHELM
lachend.
Natürlich!
ALBERTINE.
Wieso natürlich?
WILHELM.
Da ist ja der Schwiegervater.
9. Szene
9. Szene.
Vorige. Hasemann. Fritz.

HASEMANN
durch die Mitte, in einen großen Schuppenpelz und Reisemütze, sehr echauffiert.

Er ist beladen mit Reise-Effekten, Koffer, Tasche usw., Fritz folgt ihm und trägt zwei große, mit Riemen versehene Kissen.

HASEMANN
zu Fritz.

Lege nur hin die Kissen, mein Junge. Du kannst mir 'ne Droschke holen, ich will mich bloß 'n bißchen verpusten.

FRITZ.
Schön! Ab durch die Mitte.
HASEMANN.
Guten Tag, Kinder. Ich komme bloß auf 'n Sprung, um dir zu gratulieren, Emilie.
EMILIE.
Ich danke schön.
ALBERTINE
auf das Gebäck deutend.
Sind das deine Geburtstagsgeschenke?
HASEMANN.

Nein, das sind Reise-Effekten; ich habe mir einen neuen Koffer gekauft und 'ne Tasche. Stellt die Sachen beiseite. So, nun umarme mich, Emilie, und gib mir'n Kuß.

EMILIE.
Von Herzen gern. Umarmt Hasemann.
HASEMANN.
Tine, sorgst du auch dafür, daß das Mittagessen zeitig fertig ist?
ALBERTINE.
Doch nicht früher als sonst?
HASEMANN.
Gewiß, ich verreise ja.
ALBERTINE.
Mein Gott, doch erst abends um acht Uhr.
HASEMANN.

8 Uhr 12. – richtig; aber ich muß noch einpacken, und wer weiß, was noch zu besorgen ist. Ueberhaupt mit der Eisenbahn ist nicht zu spaßen, die wartet keine Minute.

ALBERTINE.
Du packst ja schon seit heute Morgen um vier Uhr ein.
HASEMANN.
Frau, rede nichts – du weißt, mit dem Reisen weiß ich Bescheid – das habe ich studiert.
ALBERTINE.
Ach, du bist ja närrisch!
HASEMANN.
Expektoriere dich etwas höflicher und besorge das Mittagessen.
[135]
ALBERTINE.

Da habe ich vorher doch noch andere Besorgungen. Adieu, Milchen, vielleicht komme ich doch noch abends ein Stündchen. Herr Knorr –Ab durch die Mitte.

WILHELM.
Verehrte Frau Schwiegermutter –
10. Szene
10. Szene.
Hasemann. Wilhelm. Emilie.

HASEMANN
pustend.
Puh! Kinder, es ist aber furchtbar heiß bei Euch.
EMILIE.
Ja, wenn du mit einem so riesigen Pelz herumläufst –
HASEMANN.

Den brauche ich ja für die Reise, wir haben manchmal im September schon Nachtfröste, und geheizt wird auf der Bahn noch nicht. Vorsicht ist die Hauptsache beim Reisen.

WILHELM
ist in den Hintergrund gegangen und hat die dort liegen-Kissen aufgehoben.
Was haben Sie denn da?
HASEMANN.
Das ist eine ganz neue, sehr praktische Erfindung: Entgleisungskissen.
WILHELM.
Was?
HASEMANN.

Entgleisungskissen – als Präservativmitel. Die Kissen werden um die Hände und Beine geschnallt, und dann ist die Gefahr eines Gliederbruchs oder einer Verrenkung im Falle einer Entgleisung lange nicht so groß.

WILHELM.
Sie scheinen mir doch ein bißchen zu vorsichtig zu sein.
HASEMANN.
Man kann beim Reisen nie vorsichtig genug sein. Sagt mal, Ihr habt wohl schon geheizt?
EMILIE.
Bewahre, aber lege doch den schweren Pelz ab. Will ihm helfen.
HASEMANN.

Nein, laß nur, es ist gut, wenn man beizeiten fertig ist und nicht im letzten Augenblick erst nach seinen Sachen suchen muß.

EMILIE.
Aber du willst doch nicht bis zum Abend in dem Pelze herumlaufen?
HASEMANN.
Wir werden ja sehen.
WILHELM.
Wohin reisen Sie denn eigentlich?
HASEMANN.

Hat's Euch meine Frau nicht erzählt? Nach Holzdorf. Ich habe nämlich da einen weitläufigen Stiefcousin gehabt, der ist gestorben, und morgen muß ich [136] zum Erbschaftstermin da sein. Wißt Ihr, wo Holzdorf liegt? Sechste Station – Anhalter Bahn. Berlin 8 Uhr 12. Großbeeren wird nicht gehalten. Trebbin 8,55. Luckenwalde 9,13. Jüterbog 9,22. Holzdorf 10,5. Zurück von Holzdorf nachmittags 5 Uhr 15. Jüterbog 5,58. Luckenwalde 6,16. Trebbin 6,34. Großbeeren 6,57. Ankunft Berlin 7,35. abends. Seht Ihr, das ist der Vorteil, wenn man das Kursbuch studiert hat – ja!

WILHELM.
Das ist wohl die erste Reise, die Sie machen?
HASEMANN.

Praktisch ja, aber theoretisch bin ich schon durch ganz Europa gereist, inklusive Dampfschiffe und Post. Und wenn man seine richtigen Vorstudien gemacht hat, dann ist das 'ne Kleinigkeit. Ein gewöhnlicher Reisender z.B. würde 'rausfahren nach der Bahn, sich sein Billet kaufen und in den Zug steigen; ich aber bin heute früh schon nach dem Bahnhof gefahren, um mir für heute Abend das Billet zu besorgen.

WILHELM.
Haben Sie es denn bekommen?
HASEMANN.

Nein, aber ich habe mich wenigstens gemeldet und mit dem Kassierer bekannt gemacht; außerdem habe ich meine Uhr nach der Bahnhofsuhr gestellt – nun kann mir gar nichts mehr passieren. Jetzt esse ich schnell, dann packe ich meine Sachen, lese noch 'mal das Kursbuch durch, und um fünf Uhr setze ich mich in die Droschke. Dann will ich 'mal sehen, ob ich nicht richtig nach Holzdorf komme.

EMILIE.
Vater, du scheinst mir sehr aufgeregt zu sein?
HASEMANN
nimmt die Kissen und Reise-Effekten wieder auf.

Das bin ich auch, der Gedanke an die Reise regt mich auf. Reisen ist meine Leidenschaft, das wißt Ihr ja. Alle bedeutenden Männer reisen leidenschaftlich, und das ist ein Glück. Was sollten wir z.B. rauchen, wenn Columbus nicht die Passion gehabt hätte zu reisen? Wie hätte Meyerbeer die Afrikanerin machen können, wenn sie ihm Fatzke de Gamo nicht entdeckt hätte? Also adieu, Kinder.Ab durch die Mitte.

WILHELM.
Glückliche Reise.
EMILIE.
Adieu, Vater!

Während Hasemann abgeht, Emilie und Wilhelm ihm lächelnd nachsehen, fällt der Vorhang.
Schlußmusik im Orchester.

Ende des zweiten Aktes.

3. Akt

1. Szene
1. Szene.
Rosa allein.

ROSA
in Gesellschaftstoilette, eine Coiffüre von Rosen im Haar und ein Rosenbouquet an der Brust, hält einen geöffneten Brief in der Hand.

Es ist empörend! Den Brief lesend. »Verehrte Frau! Also Sie lieben Ihren Mann? Sie drohen mir sogar, Schutz bei ihm suchen zu wollen, wenn ich meine Bemühungen fortsetze? Ganz einfach: ich glaube Ihnen nicht und halte Ihre pikante Drohung für die letzte Notwehr eines zitternden Herzens, welches – so hoffe ich – schon lange mir gehört. Mut, teure Rosa! Jeder Mensch hat das Recht, glücklich zu sein. Wir sehen uns heute Abend in der Soiree, Sie werden, wie immer, ohne Ihren Mann erscheinen, und ich will Ihre Lieblingsblumen, die Veilchen an Ihrer Brust, für ein Zeichen nehmen, daß Sie endlich aufhören wollen, in glühender Sehnsucht verschmachten zu lassen Ihren treuesten Verehrer Julius von Zinnow.« – O, welche Unverschämtheit!Wirft den Brief auf den Schreibtisch. Wer hat ihm das Recht gegeben, solche Sprache zu führen? Ich will meinem Manne alles sagen! – Nein, ich kann nicht. – »Jeder Mensch hat das Recht, glücklich zu sein!« – O ja, wenn er dieses Recht nicht verscherzt hat, wie ich. Aber was soll ich tun? Ich will ihm noch einmal schreiben – zum letzten Male – und diesmal soll er mir glauben. Sie setzt sich an den Schreibtisch. Während die Feder über das Papier fliegt, ertönt in dem ersten Zimmer links der Gesang einer weibliche Stimme.


[138] Schlaf, Kindchen, schlaf.
Noch trübt kein Traum, kein Kummer
Des jungen Herzens Schlummer,
Dein Herz, so fromm, so gut und rein,
Bewachen Gottes Engelein.
Schlaf, Kindchen, schlaf!
ROSA
während des Gesanges, unruhig.

Ach, der Singsang stört mich. Pause. Wird sie denn nicht aufhören? Klingelt heftig. – Der Gesang hört auf, gleich darauf Marthe durch die erste Tür links ein.

2. Szene
2. Szene.
Rosa. Marthe.

MARTHE.
Madame haben geklingelt?
ROSA.
Ja. Warum singen Sie? Es stört mich.
MARTHE.
O, Madame wissen ja, es ist so eine Angewohnheit, um den Kleinen zu beruhigen.
ROSA.
Ist das Kind unruhig?
MARTHE.
Wohl ein wenig mehr als sonst; ich glaube zwar nicht, daß ihm etwas fehlt, allein –
ROSA.
Es ist gut, Sie mögen meinetwegen weiter singen.
MARTHE.
Es wird nicht mehr nötig sein, ich glaube, der Knabe schläft schon.
ROSA.
Gut, Sie können wieder gehen.
MARTHE
für sich.
Daß sie nicht einmal selbst nach dem Kinde sieht! Ab links.
3. Szene
3. Szene.
Rosa, dann Albertine.

ROSA
schreibt wieder, aber gleich darauf zerreißt sie, was sie schrieben, und wirft die Stücke des zerrissenen Briefes in einen Papierkorb.
Nein, keinen Brief mehr! ich werde den Mut haben, ihm alles zu sagen!
ALBERTINE
ebenfalls in Gesellschaftstoilette, aus der zweiten Tür links.
Aber Rosa, wo bleibst du denn? Der Wagen wartet schon.
ROSA.
Sogleich. Beiseite. Vielleicht wäre es besser, ihm heute gar nicht zu begegnen?
ALBERTINE.
Nun?
[139]
ROSA.
Mutter, ich möchte wohl zu Hause bleiben.
ALBERTINE.
Wie, du willst die Soiree der Frau Kommerzienrätin im Stich lassen?
ROSA.
Ich fühle mich nicht wohl.
ALBERTINE.
Ei was, dein Gesichtchen sagt das Gegenteil – du sahst nie reizender aus, als heute.
ROSA
halb für sich.
Um so schlimmer!
ALBERTINE.

Was sagst du? Bedenke doch, das ganze Komitee versammelt sich bei der Frau Kommerzienrätin, auch der hohe Adel kommt. Und dann findest du auch unsern Freund, den Baron Zinnow, da.

ROSA.
Jawohl – ich bleibe.
4. Szene
4. Szene.
Vorige. Körner.

ALBERTINE.

Aber Rosa? Ach, Körner, gerade recht, daß Sie kommen. Denken Sie nur, Rosa will nicht in die Soiree gehen.

KÖRNER
ein Veilchenbouquet in der Hand, von rechts.
Und warum nicht, mein Kind?
ROSA
verlegen.
Weil, weil – Rasch. Willst du mich begleiten?
KÖRNER
lachend.

Ich? Haha! Wie kommst du wohl darauf? Du weißt doch, daß ich mich nicht behaglich fühle in Euren Gesellschaften; ich finde weder den Stoff, noch den Ton für die Unterhaltung, welche dort beliebt ist, und spiele überhaupt im Frack keine glückliche Figur. Aber ich will nicht, daß du dir um meinetwillen irgend ein Vergnügen versagst, die Mutter wird gewiß so freundlich sein, dich zu begleiten, nicht wahr?

ALBERTINE.
Natürlich.
KÖRNER.
Du siehst also –
ROSA.
Auch ist der Kleine nicht ganz wohl, Marthe sagte mir soeben noch, er sei recht unruhig.
KÖRNER.

Nicht doch, ich habe das Kind erst vor einer Viertelstunde gesehen und fand es ganz munter. Um dich aber auch darüber zu beruhigen, werde ich den Doktor bitten lassen, heute Abend noch einmal vorzusprechen.

ALBERTINE.
Nun also. Komm', Rosa.
KÖRNER.

Aber was sehe ich? Du trägst ja heute meine Lieblingsblumen nicht – keine Veilchen im Haar und [140] an der Brust? Ah, da wirst du am Ende dieses Bouquet auch verschmähen?

ROSA
erschreckt.
Ein Veilchenbouquet!
KÖRNER.
Nun, willst du es nicht nehmen?
ROSA.
Gewiß – o – ich danke dir. Nimmt das Bouquet und betrachtet es verlegen.
ALBERTINE.
Das muß wahr sein, Körner, Sie sind ein Muster von einem Ehemann.
KÖRNER
lächelnd.
So?
ALBERTINE.

Ja, immer rücksichtsvoll und aufmerksam. Rosa kann sehr zufrieden sein, sie hätte es nicht besser haben können, wenn sie –

ROSA
rasch.
Mutter!
ALBERTINE.

Warum soll ich ihn nicht loben? Du tust es ja so selten. Zu Körner. Aber glauben Sie nur, wenn wir allein sind, oder bei Fremden, dann weiß sie Ihre Vorzüge nicht genug zu rühmen.

KÖRNER.
Wirklich?
ALBERTINE.
Ich hörte erst gestern, wie sie zu dem Herrn Baron von Zinnow sagte –
ROSA
wirft rasch das Veilchenbouquet auf den Schreibtisch, neben welchem sie steht, und wendet sich nach links.
Wenn wir wirklich gehen wollen, dann ist es jetzt die höchste Zeit.
KÖRNER.
Willst du mir nicht Adieu sagen?
ROSA
zurückkehrend.
Adieu, Herrmann. Reicht ihm die Hand. Ich komme bald zurück.
KÖRNER.
Nicht, so lang du dich amüsierst.
ROSA
ab durch die zweite Tür links.
ALBERTINE.

Rosa! Du vergißt ja das schöne Bouquet. Nimmt das Bouquet vom Schreibtisch – im Abgehen. Sie sieht reizend aus, nicht wahr? Gute Nacht, Körner. Morgen erzähle ich Ihnen, wie Rosa bewundert worden ist und mit wem sie getanzt hat. Ab, zweite Tür links.

5. Szene
5. Szene.
Körner allein. Dann Wilhelm.

KÖRNER.
Wie sie bewundert wird! O, ich glaube es wohl; aber von niemand mehr, als von mir.
WILHELM
durch die Mitte.
Bon soir, Schwager.
KÖRNER.
Ah, Wilhelm, guten Abend.
[141]
WILHELM.
Störe ich dich?
KÖRNER.
Durchaus nicht.
WILHELM.
Willst du mitkommen?
KÖRNER.
Wohin?
WILHELM.
Na, zu mir. Du weißt ja, wir feiern Emiliens Geburtstag.
KÖRNER.

Leider kann ich nicht, mein Junge. Aber warte einen Augenblick, ich stehe gleich zu deiner Disposition, ich will nur einen Auftrag geben. Ab durch die Mitte.

WILHELM
sich umsehend.

Es sieht verdammt nobel hier aus, und dabei doch behaglich. Wenn nur sonst alles stimmt! Die Emilie hat mich ordentlich angesteckt mit ihren Befürchtungen. Es täte mir leid um Körner, denn der ist ein prächtiger Kerl.

KÖRNER
durch die Mitte.

So. Du trinkst doch ein Glas Wein? Ein Dienstmädchen, welches Körner gefolgt ist, setzt eine Flasche Wein und zwei Gläser auf den Tisch und entfernt sich sodann wie der.

WILHELM.

Warum nicht! Ich habe zwar heute schon eine ganze Menge durcheinander getrunken; denn erst haben wir auf dem Bau Geburtstag gefeiert, dann zu Hause, dann bei Klinkerts – aber einen Schluck Wein trinke ich schon noch.

KÖRNER.
Setze dich.
WILHELM.

1 Aber nicht lange, ich muß nach Hause. Uebrigens nette Verwandte seid Ihr! Die Schwester schickt ein Bouquet und eine Gratulation auf rosa Papier, und der Schwager tut gar nicht, als ob er wüßte, daß meine Frau geboren ist. Warum wollt Ihr nicht wenigstens heute einmal ein Stündchen bei uns verplaudern?

KÖRNER.
Rosa ist nicht zu Hause.
WILHELM.
Wieder in Gesellschaft?
KÖRNER.

Eine Einladung, welche sie nicht ausschlagen konnte. Und ich – das weißt du ja – käme sehr gern zu Euch, aber ich habe meiner Frau versprochen, zu Hause zu bleiben wegen des Kleinen, der ihr ein wenig unruhig schien. Ich habe unseren Hausarzt bitten lassen, heute Abend noch einmal vorzusprechen.

[142]
WILHELM.
Sage 'mal, wie behandelt Ihr den Jungen? Kalt oder warm?
KÖRNER.
Das ist eine närrische Frage.
WILHELM.

Ich streite mich nämlich immer mit mei ner Frau darüber – sie ist für kalte Abreibungen, während ich sage, das Kind muß warm behandelt werden, immer warm.

KÖRNER.
Welches Kind? Mein Junge?
WILHELM.
Ach, was geht mich denn dein Junge an, ich meine –
KÖRNER.
Na, so viel ich weiß, braucht Ihr Euch doch darüber noch keine Sorgen zu machen?
WILHELM.

So? Denkst du vielleicht, wir wollen Waiseneltern bleiben? Im Gegenteil, ich rechne auf eine sehr starke Familie – Trinkend. Prosit! – darauf wollen wir mal anstoßen – und es ist von großer Wichtigkeit, daß die Eltern über die Erziehung einig sind. Seid Ihr eigentlich einig?

KÖRNER.
Rosa und ich? O, wir sind immer einig.
WILHELM.
Das heißt, du tust, was sie will.
KÖRNER
lachend.
Oho, du hältst mich am Ende gar für einen Pantoffelbruder?
WILHELM.
Für so was Aehnliches. Wenn dein Kind unwohl ist, warum bleibt deine Frau nicht zu Hause?
KÖRNER.

Ich sagte dir ja, eine Einladung, die man nicht abschlagen konnte. Uebrigens hat das mit dem Unwohlsein keine Gefahr.

WILHELM.
Dann hättest du ja auch mitgehen können?
KÖRNER.
Ich gehe nicht gern in solche Gesellschaften.
WILHELM.
Das ist es ja eben. Wenn du deine Frau immer allein läßt, gibst du ihr ja selber die Gelegenheit.
KÖRNER.
Die Gelegenheit!? Wozu?
WILHELM.
Zum Kokettieren und sich die Cour machen zu lassen. Prosit! stoßen wir mal drauf an.
KÖRNER
unruhig.
Du hältst Rosa für kokett?
WILHELM.

Na und ob! Du etwa nicht? Ich kenne sie ja genau – Mäkelröschen! Ehe ich meine Emilie heiratete, kam ich alle Tage ins Haus – ich wußte damals noch gar nicht, auf welche von Hasemanns Töchtern sich meine Liebe konzentrieren würde. Na, von der Rosa bin ich bald abgeschnappt; denn wenn man das so mit ansah, wie sie mit [143] jedem schmunzelte und liebäugelte, und hinterher, wenn sie Ernst machen wollten, alle auslachte, da konnte einem wahrhaftig der Appetit zum Heiraten vergehen. Meinst du nicht? Prosit! stoßen wir mal an. Dein Wein ist gut.

KÖRNER.
Du scheinst gar nicht zu wissen, daß du von meiner Frau sprichst?
WILHELM.

Na, na, du denkst wohl, ich bin benebelt? – Ich bitte dich, Schwager, ich weiß doch, wie alles gekommen ist. Wir dachten ja zuletzt alle, der Baron würde kleben bleiben; Mühe hat sie sich ja auch genug um den gegeben.

KÖRNER.
Welcher Baron?
WILHELM.

Na, der Baron Zinnow. Mir scheint aber, der wollte nicht, und mit einemmal hieß es, Ihr seid verlobt, und schon ein paar Wochen darauf war die Hochzeit. Weißt du, ich habe damals am meisten deine Partei genommen. Die andern sagten: er ist zu alt, zu solide, die passen nicht zusammen; ich aber sagte: laßt nur, er ist ein tüchtiger Mann mit Grundsätzen, der wird sie schon mores lehren und ihr die Mucken austreiben. Nun haben doch die andern recht behalten. Prosit!

KÖRNER.

Das sind ja recht freundliche Ansichten – ich weiß nur nicht, ob ich darüber lachen oder mich ärgern soll.

WILHELM.

Aergern mußt du dich – natürlich! und dazwischen fahren. Wie wirst du dir denn als Ehemann nachsagen lassen, daß dir so'n windiger Laffe, wie dieser Baron, ins Gehege kommt und versuchen will, dir –

KÖRNER
auffahrend.

Nun ist's genug!

Wilhelm steht ebenfalls auf. Ja, du hast recht, ich muß nach Hause, Emilie wird schon böse sein. Na, nimm's nicht übel, daß ich damit 'rausgeplatzt bin. Ich wollte es dir eigentlich gar nicht sagen, aber es ist doch am Ende besser, man hackt den bösen Zungen gleich von vornherein die Spitzen ab; denn wenn die Klatschbasen so'n Histörchen mal erst in die Welt gesetzt haben, dann ist's zu spät: man hat sein Anhängsel am Kragen und mag noch so viel stopfen und stopfen – es rutscht doch immer wieder raus. Es täte mir leid um dich, wahrhaftig! Wir haben dich alle gern, bloß ein bißchen zu gutmütig bist du, zu schwach. Na Prosit, stoßen wir nochmal an. Guten Abend, Schwager. Ab durch die Mitte.

6. Szene
[144] 6. Szene.
Körner allein.

KÖRNER.

Träume ich denn? Habe ich wirklich recht gehört? Man sollte es wagen, solche Dinge Rosa, meiner Frau, nachzusagen? Nein, es ist nicht möglich, aus ihm sprach der Wein. Sie sollte so falsch, so – ach, ich mag den Gedanken nicht ausdenken, es könnte mich rasend machen. – Wenn sie nur erst wieder da wäre, daß ich ihr ins Gesicht sehen könnte, daß ihre Augen zu mir sprächen: »Tor, der du bist, Frevler! An mir kannst du zweifeln?« – Ist das nicht Geräusch in ihrem Zimmer: Sollte sie schon zurück sein! Oeffnet die zweite Tür links. Nein. Aber was ist das? Liegt dort nicht das Bouquet, welches ich ihr vorhin gegeben, die Veilchen? O, ich täusche mich wohl. Rasch ab.

7. Szene
7. Szene.
Marthe. Eduard.
Man hört ein Kloofen an der ersten Tür links, gleich darauf erscheint Marthe.

MARTHE
sich umsehend.
Herr Körner – mir war's doch, als hätte ich ihn hier sprechen hören? Geht in den Hintergrund.
EDUARD
erscheint in der Mitte, halblaut.
Pst! Marthe!
MARTHE.
He? Ach, Sie sind's, Herr Klein?
EDUARD.
Der Doktor ist soeben noch zu Euch gekommen. Rosa – Frau Körner ist doch nicht krank?
MARTHE.
Nein. Madame ist gar nicht zu Hause. Der Doktor ist bei dem Kleinen drinnen.
EDUARD.
Ist es schlimm?
MARTHE.
Bewahre.
EDUARD.

Ich warte in der Küche. Wenn der Doktor etwas verschreiben sollte, geben Sie mir das Rezept, ich mache es sogleich und bringe die Medizin herüber.

MARTHE.
Schönen Dank. Aber ich muß den Herrn suchen.
EDUARD.
Also ich erhalte Bescheid?
MARTHE.
Ja, ja!
EDUARD
entfernt sich wieder.
8. Szene
[145] 8. Szene.
Marthe. Körner, dann Dr. Seiler.

MARTHE.
Ah, da ist ja der Herr – Herr Körner!
KÖRNER
in Gedanken, das Veilchenbouquet in der Hand, von links.
Ja?
MARTHE.
Der Herr Doktor ist drinnen bei dem Kleinen.
KÖRNER.
Gut. Für sich. Es ist wirklich mein Bouquet.
MARTHE.
Wollen der Herr nicht hereinkommen? Oder soll ich dem Herrn Doktor sagen –?
KÖRNER.
Ich komme gleich.
MARTHE
ab erste Tür links.
KÖRNER.

Sie hat es vergessen – natürlich – vielleicht absichtlich vergessen? – Nein, das nicht – sie wird die Veilchen vermissen, suchen –

DR.
SEILER von links, erste Tür, Marthe folgt ihm. Guten Abend, Herr Körner.
KÖRNER.
Ah, Herr Doktor, Nun?
DR.

SEILER. Sie brauchen sich durchaus nicht zu beunruhigen, der Knabe hat nur ein leichtes Fieber. Darf ich um etwas Papier bitten?

KÖRNER.
Hier. Deutet auf den Schreibtisch.
DR.
SEILER setzt sich und schreibt auf die Rückseite des Briefes, welchen Rosa liegen ließ, ein Rezept.
KÖRNER
währenddessen.
Schläft das Kind jetzt?
MARTHE.
Ja.
KÖRNER.
Lassen Sie die Medizin sogleich machen, es soll jemand in der Apotheke drüben darauf warten.
MARTHE.
Jawohl. Tritt hinter den Stuhl des Doktors, empfängt das Rezept und geht dann durch die Mitte ab.
DR.
SEILER aufstehend. So.
KÖRNER.
Entschuldigen Sie, lieber Doktor, daß ich Sie noch einmal bemühte.
DR.
SEILER. Bitte, bitte. Ihre Frau Gemahlin ist wohl nicht zu Hause?
KÖRNER
verlegen.
O doch – sie ist in ihrem Zimmer – sie wollte nur das Kleid wechseln –
DR.
SEILER. Ich bitte, mich zu empfehlen. Guten Abend.
KÖRNER.
Guten Abend, Herr Doktor.
DR.
SEILER ab durch die Mitte.
9. Szene
[146] 9. Szene.
Körner allein, dann Hasemann.

KÖRNER.

Ihre Frau Gemahlin ist wohl nicht zu Hause? Nein, die Frau Gemahlin tanzt, läßt sich bewundern. O ja, schön ist sie, sehr schön. Das Bouquet betrachtend. Und meine Veilchen verschmäht sie.

HASEMANN
durch die Mitte, immer noch im Schuppenpelz.
Körner, bist Du allein?
KÖRNER
sich umwendend.
Was, Anton? Ich denke, Du bist verreist?
HASEMANN
mit trübseliger Miene.
Stelle Dir mal so'n schauderhaftes Pech vor – ich habe den Zug verpaßt.
KÖRNER.
Trotz Deiner Vorsorge?
HASEMANN.

Ja, aber es ist eine Hinterlist von der Bahn dabei. Denke Dir, ich bin schon um 7 Uhr auf dem Perron, es war noch kein Mensch da, selbst die Schaffner nicht. Ich mache mir selber ein Coupé auf und schließe wieder zu und mache mir's drinnen recht bequem. Ich sitze wohl eine halbe Stunde so, dann bin ich ein bißchen eingedrusselt und fühle plötzlich, wie sich der Zug in Bewegung setzt, Ich wundere mich noch, daß der Schaffner das Billet nicht verlangt, aber denke, er wird wohl unterwegs kommen. Nach einer Weile hält der Zug an – ich sehe eine Menge Laternen und denke, was kann denn das für 'ne Station sein? In Großbeeren hält der Zug nicht und für Trebbin ist es noch zu früh. Ich mache also das Fenster auf und frage einen Weichensteller, wo wir sind. Na, auf dem Güterbahnhof, sagt er: aber wie kommen Sie denn in den Wagen? – Na, ich will doch nach Holzdorf, sage ich. – Ach, Unsinn! sagt er, das ist ein Güterzug, der hier bis morgen früh liegen bleibt. – Nun kannst du dir meinen Schreck denken. Ich springe raus aus dem Coupé, packe meine Sachen zusammen und laufe längs den Schienen zurück nach dem Bahnhof. Ich höre schon läuten, falle über meinen Koffer, raffe mich aber wieder auf, und als ich auf dem Perron ankomme, dampft gerade der Zug an mir vorbei. Ist dir schon so'n Pech vorgekommen?

KÖRNER
zerstreut.
Freilich, – es ist unangenehm, indessen –
HASEMANN.

Ich kann nun erst morgen früh fahren. Meine Sachen habe ich auf dem Bahnhof gelassen, und die [147] Nacht möchte ich – wenn du nichts dagegen hast – hier bleiben; denn wenn ich jetzt nach Hause komme, dann habe ich zu allem Aerger noch die Redensarten von meiner Frau anzuhören und von dem naseweisen Ding, der Fränze. Du hast gewiß ein Zimmer, wo ich die Nacht kampieren kann?

KÖRNER
deutet nach rechts.
Mein Arbeitszimmer steht Dir zur Verfügung, ich will Dir gleich ein Bett zurecht machen lassen.
HASEMANN.

Nein, laß nur, ich lege mich aufs Sofa, das genügt vollkommen für die paar Stunden. Ich werde drinnen meinen Pelz ablegen, dann plaudern wir noch ein bißchen. Ist Dir's recht?

KÖRNER.
Gewiß.
HASEMANN
nach rechts gehend.
Apropos, wo ist Rosa?
KÖRNER.
In einer Gesellschaft; sie muß aber bald kommen.
HASEMANN.

Es ist mir ganz lieb, daß sie nicht zu Hause ist. Du brauchst ihr auch nicht zu sagen, daß Du mich diese Nacht beherbergst. Na, ich komme gleich wieder. Ab rechts.

KÖRNER.

Ist es nicht töricht, daß ich meiner Unruhe, meiner Angst Herrschaft über die ruhige Überlegung einräume? Wer zwang sie, mir ihre Hand zu reichen? Und konnte sie mir freiwillig ihre Hand geben, wenn ihr Herz nicht frei war? Gewiß, ich bin ein Tor und tue Unrecht, mit Argwohn sie zu kränken und mich zu quälen.

HASEMANN
von rechts, ohne Pelz.

So, ich fühle mich ordentlich erleichtert. Zwölf Stunden so'n Pelz spazieren führen, das ist'n Stück Arbeit.

KÖRNER.
Willst du was genießen?
HASEMANN.

Ich danke dir, ich habe von 6 Uhr ab auf dem Bahnhof immerzu genossen, bloß um nicht hungrig zu werden in der Nacht. Es war, wie gesagt, alles so schön präpariert – na, reden wir von was anderem, ich habe mich schon genug geärgert. – In welcher Gesellschaft ist denn Rosa?

KÖRNER.
Bei einer Kommerzienrätin. Deine Frau begleitet sie.
HASEMANN.
Hm! Hm! Das ist was für Mutter'n. Na, und du?
KÖRNER.
Ich – ich fühle mich in diesen Gesellschaften nicht behaglich.
HASEMANN.

Dann sollten sie eigentlich deiner Frau auch nicht behagen. Aber das geht mich ja nichts an, Ihr lebt doch sonst glücklich zusammen, will ich hoffen?

[148]
KÖRNER
argwöhnisch.
Wie kommst du auf diese Frage?
HASEMANN.

Man sieht Euch so selten zusammen, Ihr führt gewissermassen so 'ne Separat-Ehe, – da ist die Frage doch ganz natürlich.

KÖRNER.

Es ist wahr, man sieht meine Frau oft in Gesellschaften ohne mich, aber ich will nicht, daß sie die Zerstreuungen entbehrt, welche ihr Vergnügen machen; und es ist sehr freundlich von ihr, daß sie mich von der Pflicht entbindet, Kreise aufzusuchen, die mir nun einmal nicht zusagen.

HASEMANN.

Ja, das ist sehr freundlich von ihr. Aber vielleicht wäre es noch freundlicher, wenn sie diese Kreise auch nicht aussuchte.

KÖRNER.

Wer hat sie denn daran gewöhnt, daß sie an Aeußerlichkeiten, an Vergnügungen dieser Art Gefallen findet? Ihr habt sie doch danach erzogen.

HASEMANN.

Reden wir nicht von der Erziehung – die hat meine Frau gemacht, ich war nie damit einverstanden. Uebrigens ist das ganz egal. Da sie sich doch einmal entschlossen hat, deine Frau zu werden, solltest du den Mann nicht bloß zu Hause spielen, sondern auch wo anders.

KÖRNER.
Das klingt ja gerade, als bereutest Du es, mir deine Tochter gegeben zu haben?
HASEMANN.
Warum bist Du denn so gereizt? Ich bin doch an der Geschichte sehr unschuldig.
KÖRNER
ironisch.
Also hat deine gütige Fürsprache wohl nicht viel dazu beigetragen, wenn Rosa heute meine Frau ist?
HASEMANN
ruhig.
Nein, durchaus nicht; denn mir hatte sie ja ganz entschieden erklärt, sie wolle nicht.
KÖRNER.
Was wollte sie nicht?
HASEMANN.
Dich heiraten.
KÖRNER.
Wann?
HASEMANN.

Wann? Na, an demselben Tage, als du mich batest, bei ihr anzufragen und ihr euch dann hinterher auf eigene Faust verlobt habt.

KÖRNER.
An jenem Tage hat Rosa dir erklärt, sie wolle nicht meine Frau werden?
HASEMANN.
Na freilich.
KÖRNER.
Das ist nicht wahr.
HASEMANN.
Du, ich muß sehr bitten – Lügen ist nicht meine Passion.
[149]
KÖRNER
sehr aufgeregt.
Und warum hast du mir das damals nicht gesagt?
HASEMANN.

Mein Gott, es war mir unangenehm; und als ich nachher etwas angesäuselt nach Hause kam und euch in Glückseligkeit schwimmen sah, da schwamm ich mit. Mir konnte es doch am Ende nur lieb sein, jedenfalls lieber, als wenn aus der Geschichte mit dem Baron was geworden wäre.

KÖRNER.
Also auch das ist wahr?
HASEMANN.
Meine Frau behauptet es, ich weiß es nicht.
KÖRNER.
Deine Frau – natürlich – die liebe Schwiegermutter! sie geht ihr ja nicht von der Seite.
HASEMANN.
Was willst du damit sagen?
KÖRNER.

Mich wußte sie mit gleißnerischen Schmeichelworten einzulullen, um bei ihr desto leichteres Spiel zu haben.

HASEMANN.
Ich frage, was das heißen soll?
KÖRNER.
O, war ich denn mit Blindheit geschlagen?
HASEMANN.

Das scheint so, und mit Taubheit auch. Werde ich nun endlich erfahren, was diese Szene bedeuten soll?

KÖRNER.

O ja, das sollst du bald erfahren. – Eilt an das Fenster rechts. Ein Wagen hält – sie ist es. Ich bitte dich, laß mich allein.

HASEMANN.
Kommt Rosa nach Hause?
KÖRNER.
Ja; laß mich allein mit ihr.
HASEMANN.
Es scheint mir richtiger, wenn ich gerade jetzt –
KÖRNER
energisch.
Geh! Ich habe mit meiner Frau zu sprechen, allein zu sprechen – hörst du? Ich will es.
HASEMANN.

Na ja, aber ich möchte bitten, daß du dich ein wenig moderierst – ich werde nicht leiden, daß du ihr etwas tust, verstehst du? Beiseite. In der Nähe bleibe ich jedenfalls. Ab rechts.

10. Szene
10. Szene.
Körner. Rosa.

KÖRNER
bleibt am Fenster, von der Gardine ein wenig verdeckt.
ROSA
in einem eleganten Ueberwurf, tritt hastig durch die Mitte ein.

Es läßt mir keine Ruhe, ich weiß es bestimmt, ich habe den Brief hier liegen lassen. Geht zum Schreibtisch.

[150]
KÖRNER
tritt Rosa entgegen, ruhig.
Was willst du?
ROSA
leicht erschreckend.
Mein Mann!
KÖRNER.
Ja, dein Mann.
ROSA.

Mein Gott, du siehst ja sonderbar aus, so verstört? – Ist dem Kinde etwas passiert? Will nach dem ersten Zimmer links eilen.

KÖRNER
hält sie zurück.
Bleib, dem Kinde fehlt nichts – nichts, als eine ehrbare Mutter.
ROSA.
Hermann!

Pause.
KÖRNER.
Warum hast du mich geheiratet?
ROSA
verwirrt.
Warum ich –?
KÖRNER.
Ja, warum du mich geheiratet hast?
ROSA
rasch.
Du hast den Brief gelesen?
KÖRNER.
Welchen Brief?
ROSA.
Ich hatte ihn liegen lassen – dort auf dem Schreibtisch.
KÖRNER.

Es tut mir leid, daß ich ihn nicht gefunden habe, er wäre vielleicht ein Beweis mehr, wenn ich eines solchen noch bedürfte.

ROSA.
Um Gottes willen, du wirst doch nicht glauben? –
KÖRNER.

Antworte mir, warum bist du meine Frau geworden? Oder findest du die Antwort nicht? So will ich es dir sagen. Du warst ein schönes, vielumworbenes Mädchen, deiner Eitelkeit aber genügte das einfach bürgerliche Haus nicht, du wolltest für deine Hand mindestens einen hochklingenden Titel, ein Wappen eintauschen. Und als diese Spekulation mißlang, da trat im geeigneten Augenblick ein Mann vor dich hin, welcher sich einbildete, daß Liebe nur um Liebe, ein Herz nur um ein Herz zu gewinnen sei, ein Mann, welcher dir sein Herz, seine Liebe, sein Leben bot. Und du nahmst es an. Aber du hast ein falsches Spiel getrieben, und mit der Absicht, mich zu betrügen, bist du meine Frau geworden.

ROSA.
Wenn du alles weißt, so mußt du auch wissen, daß ich unschuldig bin.
KÖRNER.

Kannst du es leugnen, daß du meine Frau geworden bist nicht mit dem Wunsche, mich zu beglücken, sondern mit der Absicht, dich an einem andern zu rächen?! –

ROSA.

Wenn du so grausam sein willst, meine Seele zu zermartern und mit schneidigem Messer klar zu legen, was mir selbst damals vielleicht nicht klar war – sei es [151] darum! Hier aber hört meine Schuld auf, was weiter folgt –

KÖRNER
sie unterbrechend.

Was weiter folgt? Ist es nicht ein Werk der Heuchelei, ein Lügengewebe, in welchem du mich einfingst, wie die Spinne ihr Opfer? Machtest du mich nicht glauben, daß du mein Weib aus Neigung seist? Auf den Gipfel der Seligkeit hast du mich gelockt, um mir mit einem Sturz den Narrenschädel zu zerschmettern.

ROSA.

O, wenn du mich nur anhören wolltest? Wenn ich nur wüßte, wie ich die Worte setzen soll, um dich zu überzeugen, daß du mir unrecht tust. Deine Aufregung, dein Zorn verwirren mich – so sah ich dich noch nie.

KÖRNER.
Ja, ich kenne mich selber nicht wieder.
ROSA.

Du sagst, ich täusche dich. Nun denn, ich tat es gewiß nicht, seitdem ich dein Weib bin. O, wenn du wüßtest, wie mich dein hoher Sinn, deine aufopfernde Liebe gerührt, wie mich deine zarten Aufmerksamkeiten mit innigem Dank erfüllt haben –

KÖRNER
höhnisch auflachend.

Haha! meine zarten Aufmerksamkeiten! Ergreift das Veilchenbouquet und wirft es Rosa vor die Füße. Da!

ROSA.
Dies Bouquet – diese unglückseligen Veilchen – Hermann, bei meinem Seelenheil! Du tust mir unrecht.
KÖRNER
finster und ruhig.

Nein. Den Verrat, welchen du an meinem Herzen begangen, werde ich verschmerzen lernen – vielleicht schwer, vielleicht erst spät, aber ich will es, und ich bin ein Mann. Allein meinen Namen, das beste Erbteil meines Sohnes, will ich nicht besudeln lassen; darum machen wir ein Ende, ehe es so weit kommt. Wir trennen uns.

ROSA
verwirrt.
Wie? Wir trennen uns?
KÖRNER.

Ja. Die Mittel dazu gebe ich in deine Hand. Wende dich an deine Mutter – sie weiß ja so guten Rat zu geben! – sucht einen Advokaten, er mag, um dem Gesetze zu genügen, aussinnen, was er will – ich werde allem zustimmen. Du bist von heute ab frei.

ROSA.
Du willst dich von mir scheiden lassen? Das kann dein Ernst nicht sein.
KÖRNER.
Es ist mein Ernst, mein unerschütterlicher Wille.
ROSA.
Niemals! Ich werde nein sagen. Du kannst mich nicht zwingen, den Schimpf zu ertragen.
KÖRNER.
Du hörst ja, ich bin bereit, die Schuld auf mich zu nehmen.
[152]
ROSA.
Hermann, es ist nicht möglich, daß du mich so leicht aufgeben kannst?
KÖRNER.
Leicht? o, nein! Aber ich werde den Kampf bestehen und meine Schwachheit besiegen.
ROSA.
Und wenn ich nicht von dir lasse, wenn ich mich an dich klammere – Ergreift seine Hand.
KÖRNER
sie von sich stoßend.

Dann werde ich dich gewaltsam abschütteln. Genug! Ich will es mir täglich und täglich vorsagen, daß es das Schicksal versuchen hieß, als ich dein junges, üppiges Leben an mich fesselte. Es wird dieser Gedanke einen milderen Schatten auf dich werfen. Ich will auch einen Teil deiner Schuld auf diejenigen abwälzen, welche deine Jugend so schlecht bewacht und es nicht verstanden haben, deinem Gemüte das bildende Beispiel zu geben. Es wird mir immerhin ein Trost sein, dich beklagen zu dürfen. Aber raubst du mir auch diesen Trost, zeigst du auch jetzt noch den traurigen Mut, das Leben der Lüge und Heuchelei an meiner Seite fortsetzen zu wollen, dann habe ich nichts für dich, als – Verachtung. Leb' wohl! Rasch ab durch die zweite Tür links.

ROSA
aufschreiend.
Hermann! Sinkt ohnmächtig auf einen Stuhl.
11. Szene
11. Szene.
Hasemann. Rosa.

HASEMANN
betrachtet Rosa, wischt sich die Augen, tritt dann zu ihr und berührt ihre Schultern.
Rosa!
ROSA
erwachend.
Wer ruft mich? Du bist es, Vater?
HASEMANN.
Ich habe alles gehört.
ROSA.
Du weist also, daß er sich von mir trennen, mich verlassen will?
HASEMANN.
Ja.
ROSA.
Und nicht wahr, du wirst es nicht dulden, du wirst mir zur Seite stehen?
HASEMANN.
Es ist doch wohl am Ende das Beste für Euch beide.
ROSA.
Das Beste? Das Schlimmste, das Ende wäre es für mich. Ich liebe ihn ja!
HASEMANN.
Wen?
ROSA.
Ihn, meinen Mann.
HASEMANN
freudig erregt.
Du liebst deinen Mann? Rosa, Herzenskind, warum hast du ihm das nicht gesagt?
[153]
ROSA.
Er würde mir ja nicht glauben, mich wieder eine Lügnerin schelten.
HASEMANN
erregt auf und ab gehend.

Oho, Herr Körner, meine Tochter eine Lügnerin? Wir werden uns das nicht gefallen lassen. Vor Rosa hintretend. Also du liebst ihn – wahr und wahrhaftig?

ROSA.
Wahr und wahrhaftig – schon lange.
HASEMANN.

Recht hast du – er ist ein kreuzbraver, guter Mann. Komm an mein Herz, Kind, mir ist es, als wenn ich dir nie so gut gewesen wäre, wie jetzt. Es war unrecht von mir, daß ich mich früher so wenig um dich gekümmert habe – das soll jetzt anders werden, ich will es wieder gut machen und dir vor allen Dingen deinen Mann wieder schaffen.

ROSA.
Ach, Vater, ich fürchte, mir ist der Weg zu seinem Herzen versperrt.
HASEMANN.

Nichts da, Unsinn! Verirrt hast du dich bloß auf dem Weg, wir werden die richtige Spur schon wieder finden. Suchen wir nur den Wegweiser –

ROSA.
Ich weiß ihn nicht zu finden.

Aus dem ersten Zimmer links ertönt das Wiegenlied: »Schlaf, Kindchen, schlaf« etc., welches bis zum Schluß des Aktes fortdauert.
HASEMANN
erfreut.
Aber ich. Hörst du da drinnen deinen Jungen? Da haben wir den Wegweiser. Komm!
ROSA
weinend.
Ach, liebster Vater!
HASEMANN
sie an sich schließend.

Weine dich nur tüchtig aus, das schadet nichts, im Gegenteil! Du hast dein Leben lang immer zu viel Sonne gehabt, und die große Hitze trocknet die Herzen aus wie die Pflanzen. Ein schöner, kräftiger Regen frischt die ganze Natur auf. Weine nur, ich weine mit – wir weinen ein Duett. Komm zu deinem Jungen.Wendet sich mit Rosa zum Gehen nach der ersten Tür links.


Das Orchester fällt mit einem Nachspiel zu dem Liede ein.
Der Vorhang fällt langsam.

Ende des dritten Aktes.

4. Akt

1. Szene
1. Szene.
Albertine. Emilie. Frau Klinkert in lebhafter Unterhaltung begriffen. Franziska an dem Sofatisch mit einer Schularbeit beschäftigt.

ALBERTINE.
Was sagen Sie dazu, liebe Klinkert?
FRAU KLINKERT.
Ich bin starr, liebe Hasemann.
ALBERTINE.
Er will sich von ihr scheiden lassen!
FRAU KLINKERT.
Es ist empörend.
EMILIE.
Ach, es wird ja nicht dahin kommen.
FRANZISKA.
Ich finde es geradezu absurd.
ALBERTINE.

Und warum? Weil sie ihn nicht aus Liebe geheiratet hat. Aus Liebe! Als ob es nicht schon genug war, daß sie ihn überhaupt geheiratet hat!

FRAU KLINKERT.
Natürlich.
EMILIE.
Aber Mutter, wie kannst du so sprechen?
ALBERTINE.

Etwa nicht? Man liebt doch nicht gleich so darauf los, wenn einer kommt und seinen Antrag macht? So was findet sich vielleicht nach und nach.

FRANZISKA.
Unsere Liebe muß sich der Mann überhaupt erst verdienen.
EMILIE.
Schweige du still. Mutter, verbiete doch dem vorlauten Ding den Mund.
FRANZISKA.
Ach, wieso denn? ich kann ebenso gut mitreden, wie du.
ALBERTINE.
Na, streitet Euch doch nicht. Fränzchen, du sollst ja deinen deutschen Aufsatz machen?
FRANZISKA.
Wenn Ihr so laut sprecht, kann man nicht arbeiten.
[155]
EMILIE.
Dann geh doch in ein anderes Zimmer.
FRANZISKA.
O nein, ich will zuhören, ich gehöre auch zur Familie.
ALBERTINE.
Ich bitte mir Ruhe aus.
FRAU KLINKERT.
Die arme Rosa! Das liebe Frauchen ist wohl sehr aufgeregt?
ALBERTINE.

Ich habe sie ja gar nicht gesprochen. Mein Mann hat die saubere Mär mit nach Hause gebracht. Ich denke, er sitzt längst auf der Eisenbahn, da reißt es mitten in der Nacht an der Klingel, und Hasemann kommt nach Hause – ganz verstört, wie ich ihn noch nie gesehen. Die ganze Nacht hat er kein Auge zugetan, immerzu ist er im Zimmer herumgelaufen, und nur mit aller Mühe habe ich endlich die Geschichte erfahren. Er war dabei, und heute früh ist er wieder hin, um den Körner zur Rede zu stellen.

FRAU KLINKERT.
Das ist recht. O, ich werde schon dafür sorgen, daß sein schändliches Benehmen überall bekannt wird.
EMILIE.

O nein, Frau Klinkert, es ist gewiß besser, man spricht vorderhand gar nicht darüber. Wir wissen ja noch nicht einmal, inwieweit Rosa selbst die Schuld trifft.

ALBERTINE.

Rosa? Rosa hat sich gar nichts vorzuwerfen – das weiß ich am besten – höchstens, daß sie meinem Rate nicht folgte und einen Mann geheiratet hat, der ihr an Bildung durchaus nicht gewachsen war.

FRANZISKA.
Allerdings, ein Mann von Charakter und Erziehung würde sich nie so benehmen.
EMILIE.
Du sollst ja deine Arbeit machen.
FRANZISKA.
Freilich, du würdest dazu nicht imstande sein.
EMILIE.
Mutter?!
ALBERTINE
die inzwischen mit Frau Klinkert gesprochen.
Was gibt's denn? Vertragt Euch doch, wie es Geschwistern zukommt.
2. Szene
2. Szene.
Vorige. Wilhelm.

WILHELM
durch die Mitte.
Ist meine Frau hier? Ja.
ALBERTINE.
Man sagt hübsch guten Tag.
WILHELM.

Also hübsch guten Tag. Emilie, ich suche dich. Nimmt Emilie beiseite. Weißt du, wer an der ganzen Geschichte schuld ist?

[156]
EMILIE.
An welcher Geschichte?
WILHELM.
Na, an dem Skandal bei Körner.
EMILIE.
Nun?
WILHELM.
Ich, oder vielmehr du,
EMILIE.
Ich?
WILHELM.

Ja. Deine Stoßseufzer und die verschiedenen Weine, welche ich gestern getrunken, haben mir den Kopf warm gemacht; nachher habe ich bei Körner geschwatzt – vielleicht mehr als ich wollte, ich weiß es nicht – und nun wird er jedenfalls Rechenschaft von mir verlangen. Also sage, was du weißt.

EMILIE.
Ich? Ich habe dir nur erzählt, was Eduard mir gesagt hat.
WILHELM.
Also Eduard? Gut, dann soll er beichten. Ich will doch hören, ob er Beweise hat.
EMILIE.
Ich bitte dich, tue keinen unüberlegten Schritt.
WILHELM.

Daran hättest du mich gestern erinnern sollen, heute weiß ich schon, was ich zu tun habe.Zu den anderen. Ich empfehle mich, meine Damen. Rasch ab durch die Mitte.

3. Szene
3. Szene.
Vorige. Ohne Wilhelm.

ALBERTINE.

Dein Mann entwickelt wirklich viel Lebensart. Recht nett, so ins Zimmer hereinzuplatzen und dann wieder hinauszustürmen, noch dazu, wenn Fremde da sind.

FRAU KLINKERT.

O, meinetwegen müssen Sie sich nicht ärgern, liebe Hasemann, ich habe längst aufgehört, Herrn Knorr etwas übel zu nehmen.

EMILIE.
Mein Gott, Wilhelm hatte mir etwas Wichtiges zu sagen – darum so ein Aufhebens zu machen!
ALBERTINE.

Natürlich, entschuldige du nur immer seine Ungezogenheiten, du wirst schon sehen, wohin das führt. Du siehst es ja an deiner Schwester Rosa, zu welchen Ausschreitungen ein Mann, wenn er sich auch noch so lange zurückhält, schließlich fähig ist.

FRANZISKA.
Vielleicht prügelt er dich noch.
EMILIE.

Ich wünschte nur, es fände sich einmal jemand, der dich ordentlich durchprügelt und dir den losen Mund stopft.

FRANZISKA.
Haha! Du kannst mir leid tun.
[157]
EMILIE.
Wenn du nicht still bist, kannst du gleich von mir was besehen.
ALBERTINE.
Na, na, ich muß sehr bitten, den Ton wünsche ich hier nicht eingeführt, laß den gefälligst zu Hause.
EMILIE.

Jawohl, ich werde den Ton zu Hause lassen und mich dazu; es scheint wirklich, als ob ich hier nicht mehr her passe.

FRAU KLINKERT.
Gott, wie empfindlich die jungen Leute heutzutage sind!
EMILIE
im Begriff, durch die Mitte abzugehen.
Rosa!
4. Szene
4. Szene.
Vorige. Rosa. Hasemann durch die Mitte.

ALBERTINE
auf Rosa zueilend.
Röschen, mein Herzblatt, das ist recht, daß du kommst. Weine dich aus am Herzen deiner Mutter.
HASEMANN.
Bitte, geheult wird nicht mehr, ich habe gerade genug.
FRAU KLINKERT.
Wir bedauern Sie alle so sehr, liebe Rosa.
HASEMANN.

Wir sind auch nicht gekommen, um uns bedauern zu lassen, wir wollen bloß alles hübsch ruhig überlegen.

FRAU KLINKERT.
Ach, Sie wissen ja, welchen Anteil ich an Ihnen nehme.
HASEMANN.

Wenn ich sage, überlegen, so meine ich im engsten Familienkreis. Wenn Sie also zu Hause oder im Laden etwas zu tun haben sollten, verehrteste Madame Klinkert, dann lassen Sie sich durch uns ja nicht abhalten.

FRAU KLINKERT
pikiert.
Ei, Herr Hasemann, Sie weisen mir ja geradezu die Tür?
HASEMANN.

Wie werde ich denn so unhöflich sein! Sie kommen gewiß ein andermal wieder? Bitte, grüßen Sie Klinkert und sagen Sie ihm, er soll sich an mir ein Beispiel nehmen.

FRAU KLINKERT.
Was heißt denn das?
HASEMANN.
Das wird ihm morgen schon klar werden.
FRAU KLINKERT
erstaunt.
Liebe Hasemann –?
ALBERTINE.

Liebe Klinkert, ich bin auch höchst erstaunt. Ich bitte Sie nur, meinem Manne heute nichts übel zu nehmen. Sie können sich doch denken, die Aufregung –

[158]
FRAU KLINKERT.
Ja, ja, aber –
HASEMANN.
Also nochmals, adieu!
FRAU KLINKERT
kurz und bissig.

Adieu! Die Herrschaften können sicher sein, daß ich so bald nicht wieder störe. Rasch ab durch die Mitte.

5. Szene
5. Szene.
Vorige ohne Frau Klinkert.

ALBERTINE.
Was für ein Benehmen ist denn das, Hasemann? Ich muß dir sagen, daß –
HASEMANN
immer ruhig.

Ich stehe gleich zu deinen Diensten, laß mich nur erst das andere in Ordnung bringen. Zu Emilie, welche inzwischen zu Rosa getreten ist und ihr die Hand gereicht hat. Emilie, du leistest wohl Rosa ein bißchen Gesellschaft?

EMILIE.
Gewiß, Vater.
ROSA.

Es wird mir wohl tun, Schwester, mich einmal wieder mit dir aussprechen zu können, wie in früheren Zeiten. O, wir werden uns besser verstehen, weit besser.

ALBERTINE.

Mein armes Kind, wie angegriffen du aussiehst. O, der schändliche Mensch! Aber sei ruhig, ich werde dir Genugtuung verschaffen.

HASEMANN.
Emilie, geh mit Rosa dort hinein Zeigt nach links. ich habe mit Mutter'n zu reden.
ALBERTINE
kurz.
Nachher! Jetzt will ich vor allen Dingen von Rosa selbst hören –
HASEMANN
faßt Albertine bei der Hand.
Ich werde dir alles sagen, sei so gut und bleibe hier. Geht, Kinder.
ALBERTINE
sich losmachend.
Laß doch die Dummheiten, Anton, du hörst ja, ich will nicht.
HASEMANN
etwas stärker.
Aber ich will, und ich wünsche, daß mein Wunsch respektiert wird. Geht, Kinder.
EMILIE
leise zu Rosa.
Wie ist denn der Vater, er ist ja ganz verändert?
ROSA
ebenso.

O, er ist gut, herzensgut, sein Trost allein hat mich wieder aufgerichtet. Komm, gehorchen wir ihm. Ab mit Emilie links.

6. Szene
6. Szene.
Hasemann. Albertine. Franziska.

ALBERTINE.
Was nimmst du dir denn eigentlich heraus?
HASEMANN
wieder ruhig.
Ich stehe gleich zu deinen Diensten. Zu Franziska. Was machst du hier?
[159]
FRANZISKA.
Meine Arbeiten – deutschen Aufsatz.
HASEMANN.
Warum arbeitest du nicht auf deinem Zimmer?
FRANZISKA.
Na, weil's mir nicht paßt.
HASEMANN.
Weil du hier alles besser behorchen kannst, was gesprochen wird, nicht wahr?
ALBERTINE.
Du hast dich doch sonst nie darum gekümmert, wo das Kind arbeitet!
HASEMANN.
Aber jetzt werde ich mich darum kümmern; auch was sie arbeitet, will ich sehen!
FRANZISKA
lachend.
Du, Vater, willst meine Arbeiten durchsehen? Haha!
HASEMANN.
Was gibt's da zu lachen? He? Holt aus.
ALBERTINE
Hasemann aufhaltend.
Aber Mann –
HASEMANN
ruhig.

Ich stehe gleich zu deinen Diensten. Zu Franziska. Wenn du dich noch einmal unterstehst, mir so 'ne freche Antwort zu geben, dann sollst du mich kennen lernen. Her das Buch!

FRANZISKA.
Meine Arbeit?
HASEMANN.
Ja, verstehst du nicht Deutsch?
FRANZISKA.
Es ist ja Poesie.
HASEMANN.

Das schadet nichts, es ist mir gerade sehr interessant, deine Poesie kennen zu lernen. Her mit dem Buch – so! Und nun mach', daß du fortkommst.

FRANZISKA.
Mutter?
ALBERTINE.
Nein, ehe ich solch ein Benehmen dulde –
HASEMANN.

Ich stehe gleich zu deinen Diensten.Zu Franziska. Marsch! Du kannst in den Garten gehen, wenn ich dich brauche, werde ich dich rufen. Na, was stehst du noch da und glotzest Muttern an? Wenn ich was befehle, ist das gerade so gut, als ob es die Mutter sagt. Nicht wahr, Albertine?

ALBERTINE
mit unterdrücktem Zorn.
Allerdings – ja. Geh, mein Kind.
FRANZISKA
im Abgehen für sich.
Na, wenn die Mutter sich das gefallen läßt, dann begreife ich sie nicht. Ab durch die Mitte.
7. Szene
7. Szene.
Hasemann. Albertine.

ALBERTINE
aufatmend.

Jetzt reißt mir aber die Geduld! Du scheinst von deinen Herren Schwiegersöhnen lernen zu wollen, wie man seine Frau pöbelhaft behandelt. Wenn du [160] aber glaubst, daß ich mir ein solches Regiment gefallen lasse, dann irrst du dich. Du kennst mich, dächte ich, lange genug, um zu wissen, daß ich nicht die Frau bin, die sich auch nur das Mindeste von ihren Rechten nehmen läßt.

HASEMANN.

Wir werden ja sehen. Vor allen Dingen bitte ich dich, dein aufgeregtes Organ zu besänftigen. – Du siehst, ich bin auch sehr ruhig, und ich möchte nicht, daß die Kinder drinnen viel von dem hören, was wir zu besprechen haben.

ALBERTINE.
Was haben wir denn zu besprechen?
HASEMANN.
Na, es ist doch mancherlei.
ALBERTINE.
Also?
HASEMANN.
Also zuerst das Unglück, welches Rosa betroffen hat.
ALBERTINE
achselzuckend.
Das Unglück! Ob es gerade ein Unglück ist, das ist noch die Frage.
HASEMANN.

So? Ich sage dir, wenn es wirklich zur Trennung käme, dann wäre das Unglück für Rosa groß, sehr groß; denn sie liebt ihren Mann.

ALBERTINE.
Rosa?! Wie kommst du denn auf die korrupte Idee?
HASEMANN.

Na, so korrupt ist doch die Idee am Ende nicht, wenn eine Frau ihren Mann liebt! Uebrigens kannst du dich beruhigen, sie hat es mir selber unter heißen Tränen gestanden.

ALBERTINE.

Und ich sage dir, es ist unmöglich. Du siehst es ja, sie kehrt in das elterliche Haus zurück, weil sie es unter ihrer Würde hält, ferner mit einem solchen Mann unter einem Dache zu leben.

HASEMANN.

Da irrst du dich wieder. Sie hat die halbe Nacht jammernd vor der Tür seines Zimmers zugebracht. Er aber hat ihr nicht einmal Antwort gegeben.

ALBERTINE.
Das ist ja empörend!
HASEMANN.

Bitte, laß mich ausreden. Er hat auch mich nicht zu sich gelassen, obgleich ich mich ziemlich deutlich bemerkbar gemacht habe. Und weil ich den Jammer nicht mehr mit ansehen konnte und wollte, daß Rosa endlich ein wenig zur Ruhe kommt, darum habe ich sie – halb mit Gewalt – hierher gebracht.

ALBERTINE.
Und du willst dir eine solche Behandlungsweise von dem Herrn Körner gefallen lassen?
[161]
HASEMANN.
Ich habe ihm ein paar Zeilen geschrieben und unter jeder Bedingung eine Unterredung verlangt.
ALBERTINE.
Du wirst ihm hoffentlich seinen Standpunkt klar machen?
HASEMANN.

So weit es sich tun läßt, ja. Das Schlimmste bei der Sache ist, daß ich ihm nicht so ganz unrecht geben kann.

ALBERTINE.
Mann! Anton! ich glaube, du bist von Sinnen?
HASEMANN.

Was hat er denn gewollt, als er Rosa heiratete? Doch eine Frau, die ihn liebt. Na, und daß Rosa ihn nicht deshalb genommen, sondern nur, weil er eine sogenannte gute Partie war, darüber brauchen wir beide uns doch nichts vorzumachen.

ALBERTINE.
Na, und wenn es so gewesen, wäre es denn ein so großes Verbrechen?!
HASEMANN.

Ja. Wenn ich Harlemer Tulpen kaufe und bezahle, und es schmiert mir einer spanische Zwiebeln dafür an, so ist das eben eine Betrügerei; und dabei habe ich noch den Vorteil, daß ich sehen kann, was ich kaufe. Wer aber will sehen, daß das Herz falsch ist, wenn Auge und Mund treuherzig ja sagen? Den Betrug merkt man leider zu spät. Ich habe mit angehört, was Körner Rosa gesagt hat, ich habe keines seiner Worte vergessen, und sein Schmerz hat mir wehe getan, doppelt wehe, weil ich nicht bloß einen guten Freund leiden sah, sondern weil es meine eigene Tochter ist, welche ihm das Leid zugefügt hat. Und weißt du, wer die Schuld trägt dafür, daß es so weit kommen konnte? Du!

ALBERTINE.
Ich?!
HASEMANN.

Ja, du. Rosa hat jedenfalls viel Talent und Anlagen – ich weiß nicht, ob sie die von mir hat, aber sie hat sie, das ist nicht zu leugnen – und in der Eitelkeit, deine Tochter um jeden Preis glänzen zu sehen, hast du sie verzogen. Körner kopierend. »Dir genügte das einfach bürgerliche Haus nicht, du wolltest für ihre Hand mindestens einen hochklingenden Titel, ein Wappen eintauschen.«

ALBERTINE.
Aber –
HASEMANN.

Laß mich ausreden. »Wenn sie jetzt ihren Mann unglücklich macht, so muß man einen Teil ihrer Schuld [162] auf diejenigen abwälzen, welche ihre Jugend so schlecht bewacht haben.« Und das bist du.

ALBERTINE.
Wirst du mich nun zu Worte kommen lassen?
HASEMANN.

Laß mich ausreden. Wenn du aber jetzt noch sagst, das Unglück ist nicht so groß, sie soll sich scheiden lassen und damit basta, »dann raubst du mir sogar den Trost, dich beklagen zu dürfen. Wenn du deine Tochter überreden wolltest, dieses Leben der Lüge und Heuchelei fortzusetzen, dann hätte ich nichts für dich als – Verachtung!«

ALBERTINE.
Wahrhaftig, Anton, ich glaube, du bist übergeschnappt!
HASEMANN.

Nun könntest du allerdings sagen: Warum hast du dich denn nicht selber um die Erziehung deiner Tochter bekümmert, du bist ja der Vater? Und darin hast du recht.

ALBERTINE.
O, ich bitte –
HASEMANN.

Du könntest ferner sagen: Wenn ich, die Mutter, zu schwach, zu nachsichtig, zu eitel, zu hochmütig war, warum hast du, der Vater, meiner Unvernunft nicht gesteuert und mir mit deinem überlegenen Verstand nicht hilfreich zur Seite gestanden? Und darin hast du wieder recht.

ALBERTINE.
Nein, durchaus nicht, ich –
HASEMANN.

Ja, du hast recht. Und du könntest schließlich sagen: Wenn du deinen Fehler einsiehst, so mache jetzt wenigstens gut, was noch gut zu machen ist. Von deinem Vierteldutzend ist noch ein lediger Sprößling übrig; allerdings auch schon im Begriff, zu verkrüppeln und abzufallen von dem Baume der Erkenntnis, aber noch ist es Zeit, den Zweig zu stützen und zu binden, damit er wieder gesundes Mark gewinnt und gute Früchte trägt. Zeige also deine Kunst als Gärtner, tue deine Schuldigkeit als Vater und belehre deine verblendete Lebensgefährtin und Gärtnersgehilfin, daß es durchaus nicht gleichgiltig ist, wenn du eine Pflanze, die Wärme braucht, an den Ofen bringst, anstatt an die liebe, freie Sonne. Und darin hast du ganz gewiß recht.

ALBERTINE
gereizt.
Nein, sage ich dir, ich –
HASEMANN
stark.

Ja, du hast recht, sage ich. Und weil du recht hast, will ich deinen Ermahnungen folgen und von heute ab die Oberaufsicht nicht bloß unten im Garten, sondern auch hier oben im Treibhaus übernehmen. Ich werde vor allem die Erziehung unserer Fränze bewachen und nötigenfalls korrigieren, damit, wenn für sie auch einmal die Stunde [163] schlägt, sich ihren eigenen häuslichen Herd zu gründen, sie ihrem Zukünftigen nicht bloß einen schön zugestutzten Kopf voll Schulweisheit und eitler Narrheit, sondern vor allen Dingen ein gesundes Herz voll Bescheidenheit und Wahrheit zubringt. So, das habe ich in dieser Nacht reiflich überlegt und beschlossen; so ist es, so bleibt es, und daran ist nichts zu ändern. Und nun rede du, wenn du willst.

ALBERTINE
weinerlich.

Das ist ja recht hübsch, fange nur in deinen alten Tagen an, den Haustyrannen zu spielen, mir den Respekt vor meinen Kindern zu nehmen und mich in meinem eigenen Hause zur Dienstmagd herabzudrücken. Ein recht edles Ziel, was du dir da gesteckt hast!

HASEMANN
wieder ruhig.

Du irrst dich, ich will gar nicht den Haustyrannen spielen, ebenso wie du dich irrst, wenn du geglaubt hast, ich wäre bis jetzt ein Pantoffelbruder gewesen. Ich habe den Schlendrian nur so gehen lassen, weil ich – zu meiner Schande muß ich es eingestehen – bis jetzt nicht so die richtige Freude an meinen Kindern hatte. Aber wenn man eins verlieren soll, oder leiden sieht, dann merkt man erst, wie sie einem ans Herz gewachsen sind. Ich bin eigentlich erst gestern Abend richtig Vater geworden. – Nicht wahr, Tine, du hast doch die Fränze auch lieb?

ALBERTINE
schmollend.
Das ist 'ne Frage!
HASEMANN.

Na also! Willst du denn nun, daß sie eben so schlimme Erfahrungen machen soll, wie Rosa, oder willst du lieber mit mir zusammen dafür sorgen, daß sie nicht bloß eine kluge, sondern auch eine praktische, gute Frau wird, so wie du – im Grunde genommen – eine bist?

ALBERTINE.
Ach geh, jetzt willst du den Wermut bloß überzuckern.
HASEMANN.

Na und wenn? er rutscht dann besser, und gesund ist ein so kräftiger Bitterer jedenfalls. Sieh' mal, Tine Umhalst Albertine. als uns beide der große Gärtner da oben in einen Topf pflanzte, da wollte er nicht, daß der eine links und der andere rechts auswächst, er schnitt uns aus Pflicht, Gewohnheit und Liebe einen Gartenstock, an dem wir uns beide aufranken sollten. Und wenn uns auch der Wind manchmal ein wenig geschüttelt und auseinander gezerrt hat, der Wegweiser, welcher uns die Richtung vorschreibt, steht noch; und wir werden doch die Kunst des großen Obergärtners nicht zu schanden machen und wild auseinander schießen, anstatt nebeneinander in die Höhe zu streben? Und [164] wenn der Eigensinn des einen auch wollte, es geht nicht. Die beiden Pflanzen haben zusammen Wurzel geschlagen, und ehe nicht die eine abgestorben ist, müssen sie zusammen weiter. Also seien wir ein paar verträgliche Pflanzen und bleiben bei einander, so lange der Lebenstopf, in den wir doch einmal zusammengesperrt sind, noch aushält. Wer weiß, wie bald er in Scherben fällt. Nicht wahr, Alte, auf den letzten Rest noch gute Freundschaft? Hält ihr die Hand hin.

ALBERTINE
reicht ihm die Hand.
Da.
HASEMANN
vergnügt.

So, jetzt fällt mir ein Stein vom Herzen! Stein – Krems – Graz – österreichische Südbahn 8 Uhr 40 vormittags. Und nun geh' hinein zu unserer Rosa; in der Stimmung, in der du jetzt bist, sprich mit ihr, es wird ihr wohltun.

ALBERTINE
will gehen, kehrt aber um.
Anton –
HASEMANN.
Na?
ALBERTINE.
Vielleicht wäre es gut gewesen, wenn –
HASEMANN.

Wenn ich schon früher eingesehen, daß du – daß du recht hast? Das ist wohl möglich. Aber immer besser spät, als gar nicht. Und nun auf Wiedersehen, Alte, ich will noch einmal zu Körner.

ALBERTINE
geht links ab.
8. Szene
8. Szene.
Hasemann allein.

HASEMANN
will gehen, kehrt aber an der Mitteltür um.

Halt, die Poesie von meinem Fräulein Tochter! Daß muß ich mir doch erst noch antun.Nimmt das Schulheft. Aha, wirklich Verse. Liest. J, es ist wohl nicht möglich? Heiliger Linné! was ist das für ein Blödsinn. Geht zum Fenster rechts. Fränze, Franziska! Kommt vor und liest. »Geflügelte Worte und ihre Nutzanwendung auf das praktische Leben.« Na warte, ich will dir geflügelte Antworten geben.

9. Szene
9. Szene.
Hasemann. Franziska.

FRANZISKA.
Hast du mich gerufen, Vater?
HASEMANN.
Ja, komm mal her. Das ist also deine Schularbeit?
FRANZISKA.

Ja, für die deutsche Stunde. Es stand uns frei, Prosa zu wählen, oder Poesie – ich habe das [165] letztere gewählt. Es ist zwar schwieriger, aber man steht auch nachher anders da.

HASEMANN.
Und was meinst du wohl, was dein Lehrer dazu sagen wird?
FRANZISKA.
Nun, ich denke, ich werde Nummer Eins bekommen.
HASEMANN.

Eins wirst du bekommen? Fünfundzwanzig müßtest du haben, wenn du nicht schon ausgewachsen wärest. Zerreißt das Buch. Da hast du den Blödsinn.

FRANZISKA.
Aber Vater!
HASEMANN.
Von heute ab werde ich dir zu arbeiten aufgeben. – Wer strickt deine Strümpfe?
FRANZISKA.
Ach, was das für Fragen sind!
HASEMANN
grob.
Antworte!
FRANZISKA.

Mein Gott, ein feines, junges Mädchen trägt überhaupt keine gestrickten Strümpfe mehr; man trägt nur gewebte.

HASEMANN.

Dann wirst du also aufhören, ein feines, junges Mädchen zu sein und dir deine Strümpfe selber stricken. Du kannst doch stricken?

FRANZISKA.
Allerdings, aber –
HASEMANN.

Es ist gut, das Uebrige werde ich mit Muttern besprechen. – Wie werden Kartoffeln in der Schale gekocht?

FRANZISKA
lachend.
Was du für komische Fragen tust!
HASEMANN.
Wie Kartoffeln in der Schale gekocht werden, will ich wissen.
FRANZISKA
verlegen.
Na, die werden eben in der Schale gekocht und nicht geschält.
Hasemann. Aha! Geht zum Bücherschrank im Hintergrund und holt ein Kochbuch heraus. Hier, lies mal.
FRANZISKA.
Was denn?
HASEMANN.
Hier: Kartoffeln in der Schale. Na, fix! fix!
FRANZISKA
lesend.

»Die Kartoffeln werden, nachdem sie rein gewaschen sind, mit Salz bestreut, in einem Topf mit kaltem Wasser aufgesetzt und so lange gekocht, bis sie gar sind.«

HASEMANN.

Richtig. Das wirst du nun so lang studieren, bis du's auswendig kannst, dann gehst du runter in die Küche und probierst es, und wenn du fertig bist, dann zeigst du mir, was du gekocht hast.

[166]
FRANZISKA.
Vater, ich weiß wirklich nicht, ob ich lachen soll, oder –
HASEMANN.

Ich rate dir zu »oder«. Wenn du nicht ganz genau tust, was ich dir befehle, dann sollst du mich kennen lernen. Heute bleibt's nun bei Kartoffeln in der Schale, morgen werden wir zu weichen Eiern übergehen und dann kommen peu à peu die feineren Speisen 'ran, bis du die ganze Poesie, die in dem Buche Zeigt auf das Kochbuch. da drinnen steht, auswendig kannst. Jetzt werde ich zu deinem Lehrer gehen und ihm melden, daß du die höhere Tochterschule nicht mehr mit deinem Besuche beehren wirst; inzwischen spute dich, lerne, koche – wenn ich zurückkomme, will ich probieren. Ab durch die Mitte.

10. Szene
10. Szene.
Franziska. Albertine.

FRANZISKA.

In die Schule soll ich nicht mehr gehen? Das kann ich mir am Ende gefallen lassen. Aber in die Küche? Ich denke gar nicht daran.

ALBERTINE
tritt von links ein.
FRANZISKA.

Ach, Mutter, sieh nur, der Vater hat mir mein Schulheft zerrissen, meine Poesie, und verlangt, ich soll in die Küche gehen und Kartoffeln kochen. Das ist doch ein bißchen stark. Was soll ich denn nun tun?

ALBERTINE
lächelnd.
Ja, mein Kind, wenn der Vater befiehlt, dann mußt du gehorchen.
FRANZISKA.
Aber es ist doch Unsinn!
ALBERTINE.

Sage das nicht, Fränzchen; es ist ganz gut, wenn du die Wirtschaft kennen lernst, du wirst doch auch einmal deinen eigenen Hausstand haben. Komm, ich gehe mit in die Küche, und wenn der Vater nach Hause kommt, überraschen wir ihn mit den ersten Kartoffeln, die du gekocht hast.

FRANZISKA
weinerlich.
Und Strümpfe soll ich stricken!
ALBERTINE
lachend.
So? Na, das kannst du ja – wir werden schon sehen. Nimmt Franziska an der Hand. Komm nur.
11. Szene
11. Szene.
Vorige. Wilhelm.

WILHELM
eilig durch die Mitte.

Ist meine Frau noch hier? Ach so, hübsch guten Tag. Damit Sie nicht wieder nötig haben, sich zu ärgern.

[167]
ALBERTINE.

Emilie ist drinnen. Zeigt nach links. Sie entschuldigen mich wohl, lieber Wilhelm, ich muß mit Fränzchen in die Küche. Komm. Ab mit Franziska durch die Mitte.

WILHELM
erstaunt.

Lieber Wilhelm? Soll das 'n Witz sein, oder will mir die Frau Schwiegermutter 'ne Falle stellen? Die Freundlichkeit hat ja ordentlich was Beängstigendes. Geht nach links und ruft. Emilie! Kommt vor. Vielleicht hat sie mir wieder bei meiner Frau was eingebrockt? Na, dann mache ich der Klatscherei aber wirklich mal gewaltsam ein Ende.

12. Szene
12. Szene.
Emilie. Wilhelm.

EMILIE
von links.
Du bist schon wieder da? Hast du Eduard gesprochen?
WILHELM.
Ja. Aber erst sage mir mal, was hat deine Mutter dir wieder von mir erzählt?
EMILIE.

Von dir? Wir haben von dir gar nicht gesprochen. Rosa ist da – zwar sehr niedergedrückt, aber doch viel freundlicher und liebevoller als sonst. Sie hat mit der Mutter eine ziemlich ernste Auseinandersetzung gehabt.

WILHELM.
Und von mir war gar nicht die Rede?
EMILIE.
Mir scheint, du hast ein böses Gewissen?
WILHELM.

Ach, Unsinn! ich dachte nur, weil – na, lassen wirs. Also, ich habe Eduard gesprochen. Der Junge ist ganz toll – er springt herum wie ein Hase im Kohl, pfeift ein Liedchen und Lispelnd. arbeitet mit der Zunge gegen die Zähne, daß man fast kein Wort versteht. Nur so viel habe ich verstanden, daß er selber mit Körner sprechen will. Er ist auch schon auf dem Wege zu ihm. Was sagt denn Rosa? Wird sich die Geschichte wieder zusammenziehen?

EMILIE.
Ich weiß nicht, Rosa ist sehr mutlos.
WILHELM.
Aber, wenn es nun wirklich zur Scheidung kommt, was wird dann aus dem Jungen?
EMILIE.
Der bleibt natürlich bei der Mutter.
WILHELM.

Das glaube ich nicht, Knaben gehören dem Vater; ich wenigstens würde mir meinen Jungen nicht nehmen lassen.

EMILIE.

Das hätte doch das Gericht zu entscheiden, und wenn einer so verschrobene Grundsätze über Erziehung hat, wie du –

[168]
WILHELM.

Ach, du meinst wohl, für deine barbarische Handlungsweise wirst du eine Prämie bekommen? Du wärst ja imstande, mitten im Winter ein Loch ins Eis zu hauen und das Wurm hineinzustecken, damit es nur ja kalt genug wird. Wer aber kein Gefühl hat für die zarte Konstruktion eines Kindes, der ist gar kein Mensch, vor allem keine Mutter.

EMILIE.
Also ich bin keine Mutter?
WILHELM.
Nein.
EMILIE.
Ach, was bist du denn? Ein Zuckerstengel, ein Sirupskuchen, aber kein Mann, kein Vater.
WILHELM.
Ach, du wirst mir wohl sagen, ob ich ein Vater bin!
EMILIE.
Und du hast gar kein Urteil darüber, ob ich eine Mutter bin.
13. Szene
13. Szene.
Vorige. Hasemann.

HASEMANN
erscheint in der Mitte.

Wollt Ihr wohl die Güte haben und Euch wo anders weiter zanken? Ich habe hier mit Eurem Schwager ein paar Worte zu reden.

EMILIE.
Körner ist hier?
HASEMANN.
Ja, wir wollten jeder den andern aufsuchen und haben uns unterwegs getroffen. Aber nun drückt Euch.
WILHELM UND EMILIE
gehen sich zankend nach links ab.
14. Szene
14. Szene.
Hasemann. Körner.

HASEMANN
öffnet die Mitteltür und tritt vor.
Komm herein, Körner, es ist niemand hier.
KÖRNER
durch die Mitte.
Du verlangst eine Unterredung mit mir, das ist dein Recht, und ich stehe zu deinen Diensten.
HASEMANN.
Das ist schön. Erst setze dich mal, und dann wollen wir recht ruhig mit einander sprechen.
KÖRNER.
O, du hast nichts zu fürchten, ich bin jetzt ruhig, ganz ruhig.
HASEMANN.
Na, und ich bin außerordentlich ruhig, also wird das ja eine sehr ruhige Unterhaltung werden.

Beide setzen sich an den Mitteltisch.
[169]
HASEMANN.
Also – du willst dich wirklich von deiner Frau trennen?
KÖRNER.
Es muß sein.
HASEMANN.
Na, ob es sein muß, darüber ließe sich doch vielleicht noch streiten.
KÖRNER.

Versuche es nicht, es wäre umsonst, ich bin fest entschlossen. Und du kennst mich genugsam, um zu wissen, daß ich nicht der Mann bin, der morgen ändert, was er heute beschließt.

HASEMANN.
Man könnte es ja auch noch heute ändern.
KÖRNER
heftig.

Ich bitte dich, Anton, schlage nicht diesen Ton an, ich bin wahrlich nicht in der Stimmung, mit dir zu scherzen.

HASEMANN.
Was fährst du denn so auf? ich denke, du bist so ruhig?
KÖRNER
ruhig.

Ja, ich bin es, aber martere mich nicht, komm zum Ziele. Jedenfalls habt Ihr doch schon eine Form ersonnen, unter welcher die Scheidung vorgenommen werden soll. Sage, welche? ich erkläre mich im voraus mit allem einverstanden.

HASEMANN.

Also du meinst, wir hätten nichts Eiligeres zu tun gehabt, als das Prozeßrecht zu studieren und irgend welche Winkelzüge zu finden, um mit einem Ruck das Band wieder zu zerreißen, welches vor einem Jahre erst in Liebe und Freundschaft und, wie es schien, fürs Leben geschlossen wurde? Nein, mein Junge. Zuerst lag es uns doch etwas näher, unserem unglücklichen Kind Trost und – ich leugne es nicht – Hoffnung zuzusprechen. Oder meinst du, es wäre so ganz gleichgiltig, wenn man ein Kind, welches man unter seinem Herzen getragen ge – geholfen hat, leiden sieht? Oder meinst du, eine Tochter ist eine Treibhauspflanze, die man im Sommer zum Ausputz einer Fassade ausleiht, um sie im Winter wieder ins Quartier zurückzunehmen und dann im nächsten Sommer wieder einem anderen zu borgen? O nein!Heftiger werdend. Ein Ehepakt ist kein Mietskontrakt, man verheiratet sich nicht, um sich nach einem Jahre wieder zu trennen. Und den eigenen Eltern zuzumuten, daß sie sich mit doppelter Dampfkraft vorspannen sollen, um ihr Kind, anstatt es auf das rechte Gleis zu bringen, selber zu verfahren und in den Graben zu werfen, das ist geradezu eine Schändlichkeit von dir.

KÖRNER.
Ist das deine gepriesene Ruhe?
[170]
HASEMANN.

Ach, na ja! Wenn einem auch solche Geschichten zugemutet werden! Aber du hast recht, ich bin schon wieder ruhig. Sieh' mal, Körner, ich bin nicht bloß dein Schwiegervater, ich bin auch dein ältester Freund, und ich kann sagen, ich bin dir immer ein aufrichtiger Freund gewesen. Wenn du nun auch dem Vater, der ja gewiß etwas parteiisch in der Sache ist, nicht glauben willst, dem Freunde kannst du gewiß glauben. Es ist wahr, Rosa hat nicht offen und ehrlich an dir gehandelt, als sie deine Hand annahm, aber bedenke ihren Charakter, ihre Erziehung, und wie sie von aller Welt verwöhnt war! Und jetzt ist sie eine andere geworden, an deiner Seite, durch dich. Rosa liebt dich.

KÖRNER
auffahrend.
Nein.
HASEMANN.
Ja, du darfst es glauben, und die Trennung von dir wäre der Abschied vom Glück für sie.
KÖRNER.
Hat deine Tochter dich beauftragt, mir das zu sagen?
HASEMANN.
Sie hat mich sogar gebeten, es dir zu verschweigen, weil sie fürchtet, du würdest ihr nicht glauben.
KÖRNER.

Also kennt sie mich doch! Nein, ich glaube es nicht. Ich glaube an keine Liebe als Nachwuchs kalter Berechnung. Eher will ich glauben, daß Haß sich in Liebe verkehren kann, als Uebermut und Selbstsucht. Aufstehend. Hat sie nicht ja gesagt vor Gott und dem Gesetz und hat mich doch belogen? Hat sie nicht meinen Kuß geduldet und erwidert und hat mich doch belogen? Welche Künste will sie denn nun ersinnen, um mich glauben zu machen, daß ihre neue Liebe nicht neue Lüge sei?

HASEMANN.
Und das nennst du ruhig sein?
KÖRNER.

Ich kam mit der Absicht, ruhig zu sein, aber auch mit der Hoffnung, daß Ihr meinen Willen als unabänderlich erkannt haben würdet.

HASEMANN.
Du bist also nicht zu überzeugen?
KÖRNER.
Nein. Ich kam, um mit dir zu beraten, mit dir zu reden, nicht, um mich von dir überreden zu lassen.
HASEMANN.

Ich bin wohl auch kein guter Redner, ich werde mir einen anderen Anwalt holen. Wendet sich nach links.

KÖRNER.
Was soll das heißen?
HASEMANN.
Ich will versuchen, ob Rosas tränenfeuchte Augen nicht besser sprechen.
[171]
KÖRNER.
Deine Tochter ist hier? Das ist eine Falle, in die du mich gelockt hast, ich gehe. Will gehen.
HASEMANN
kräftig.

Nein, du bleibst. Einstweilen ist meine Tochter doch noch deine Frau, und deine Frau wird wohl das Recht haben, wenigstens – geschäftlich mit dir zu verhandeln. Du brauchst dich nicht zu fürchten, daß sie dir mit ihren Liebkosungen allzu lästig fällt. Verbarrikadiere dich doch, stelle Tische und Stühle übereinander, damit sie dir nicht gleich an den Hals fliegen kann, wenn du sie ebenso liebenswürdig behandelst, wie mich. In eine Falle gelockt, – sieh doch!Ab links.

15. Szene
15. Szene.
Körner. Eduard.

KÖRNER
einen Augenblick zögernd.
Und ich gehe doch! Wendet sich zur Mitteltür.
EDUARD
durch die Mitte.
Herr Körner.
KÖRNER.
Sie wünschen?
EDUARD.
Ich suche Sie, ich habe mit Ihnen zureden.
KÖRNER.
Ein andermal, wenn ich bitten darf, ich bin in Eile.
EDUARD.
Aber es ist von Wichtigkeit.
KÖRNER.
Dann begleiten Sie mich nach meiner Wohnung.
EDUARD.
Von dort komme ich eben. Möchten Sie mich nicht hier anhören? Es betrifft Ihre Frau Gemahlin.
KÖRNER.
Meine Frau?
EDUARD.

Ja. Ist es wirklich wahr, Herr Körner, daß Sie sich von Ihrer Frau trennen wollen? Sie verzeihen, daß ich mit Ihnen darüber spreche, aber ich gehöre so halb und halb zur Verwandtschaft.

KÖRNER.

Nun denn, da es sich schon die Spatzen auf dem Dache zu erzählen scheinen, ja, es ist wahr. Und was weiter?

EDUARD.
Herr Körner, das ist ein unüberlegter Schritt.
KÖRNER
auffahrend.
Herr!
EDUARD.
Sie tun Ihrer Frau, welche Sie aufrichtig liebt und verehrt, unrecht.
KÖRNER
höhnisch lachend.

Haha! Das scheint ja ein förmliches Komplott zu sein gegen meine gesunde Vernunft? [172] Lassen Sie mich in Ruhe, Herr. Fangen Sie Gimpel mit Ihrer Melodie, aber keinen Mann.

EDUARD.

O, mein Herr, Sie begehen auch ein Unrecht, wenn Sie mich beleidigen, und ich würde auch kein Wort weiter mit Ihnen wechseln, wenn es sich nicht um Rosas Glück handelte.

KÖRNER.
Rosa, meine Frau? Was kümmert Sie das Glück meiner Frau?
EDUARD.
O, auch ich habe Rosa geliebt.
KÖRNER
höhnisch.
Noch einer!
EDUARD.

Ja, noch einer, und noch dazu einer, der nichts zu hoch gehalten hätte, um es hinzugeben für das Glück, diesen Engel sein zu nennen.

KÖRNER.
Zum Henker, Herr, was faseln Sie?!
EDUARD.

O, unterbrechen Sie mich jetzt nicht, die Zunge will mir sowieso nicht parieren, wenn ich aufgeregt bin. Wenn Sie jetzt noch einen Augenblick zögern, das arme, schwer geprüfte Weib wieder aufzurichten, dann – dann sind Sie ein schlechter Mensch.

KÖRNER
zornig.
Sie unterstehen sich?
EDUARD
ihn schnell unterbrechend.

Hier lesen Sie, und ich will doch sehen, ob Sie dann noch den Mut haben, mich zu beleidigen? Reicht ihm den Brief aus dem zweiten Akt.

KÖRNER.
Was soll das?
EDUARD.
Lesen Sie nur.
KÖRNER
lesend.

»Verehrte Frau! Also Sie lieben Ihren Mann? – Was ist das für ein Brief? Mein Gott! Wie kommen Sie zu diesem Briefe?«

EDUARD.
Er muß wohl auf dem Schreibtisch Ihrer Frau Gemahlin gelegen haben.
KÖRNER
immer erregter.
Ja, ja – sie sprach davon. Aber wie kam der Brief in Ihre Hände?
EDUARD.
Wenden Sie das Blatt gefälligst um.
KÖRNER
betrachtet die Rückseite des Briefes.
Das ist ein Rezept?
EDUARD.

Dasselbe, welches der Doktor gestern Abend für Ihren Knaben aufschrieb, und welches mir zur Anfertigung übergeben wurde.

KÖRNER
vor Freude außer sich.
Ist es denn möglich?! Herr – Herr Klein, nicht wahr, so ist Ihr Name?
EDUARD.
Wie Sie sich mit einemmal an meinen Namen erinnern!
[173]
KÖRNER
Eduard bei den Schultern fassend.
Es ist wirklich Wahrheit? kein Trug? keine Täuschung?
EDUARD
sich losmachend.
Schütteln Sie mich doch nicht so.
KÖRNER.

O, Herr Klein, Sie wissen nicht, was ich Ihnen zu danken habe. Ich wäre ja zu Grunde gegangen – Sie haben mir das Leben gerettet.

EDUARD.

Ich bin aufrichtig genug, Ihnen einzugestehen, daß ich nicht an Sie gedacht habe, sondern nur an das Leben einer anderen.

KÖRNER.
Dennoch danke ich Ihnen. O, was soll ich tun, um Ihnen meinen Dank zu beweisen?
EDUARD.
Machen Sie Rosa glücklich.
KÖRNER.
Es ist die höchste Freude meines Lebens.
EDUARD.

Ich habe das Veilchenbouquet an mich genommen, welches Rosa gestern verschmähte – Sie wissen jetzt, weshalb sie es tat. Diese Veilchen werde ich aufbewahren und Ihnen nur dann als warnende Erinnerung wieder bringen, wenn Sie diese Stunde je vergessen sollten.

KÖRNER
freudig lächelnd.

Seien Sie ruhig, mein Freund, die Veilchen werden in Ihrem Besitze welken, trocknen und zu Staub werden.

EDUARD.
Dann werde ich wirklich Ihr Freund sein.Reicht Körner die Hand. Still, Ihre Frau.
16. Szene
16. Szene.
Vorige. Rosa von links.

EDUARD
verlegen.
Gnädige Frau – ich kam – ich wollte – ist Ihre Frau Schwester vielleicht hier?
ROSA
einige Schritte vortretend.
Emilie ist in jenem Zimmer, Herr Klein. Deutet nach links.
EDUARD.

Dann bin ich so frei, auf einen Augenblick – vielleicht habe ich nachher noch die Ehre? Ich empfehle mich. Im Abgehen, für sich. Es ist mir schwer und doch auch leicht zu Mute. Aber ich fühle es, ich habe recht getan. Ab links.

17. Szene
17. Szene.
Rosa. Körner.
Kleine Pause. Rosa hat die linke, Körner die rechte Seite der Bühne. Rosa senkt verlegen die Augen zu Boden, Körner unterdrückt gewaltsam seine Aufregung und betrachtet Rosa nur von der Seite.

ROSA
langsam und schmerzlich bewegt.

Du willst mir erlauben, [174] noch einmal mit dir zu sprechen. Das ist großmütig von dir, ich erkenne es an und danke dir. Du wirst wohl nicht fürchten, daß ich im Sinne haben könnte, deinen Entschluß wankend zu machen – o nein! ich habe resigniert und begreifen gelernt, daß es dir unmöglich sein mag, ferner mit einer Frau zu leben, welche deine Hoffnungen so sehr getäuscht hat. Wenn ich dir in dieser Abschiedsstunde sage, daß du vielleicht nicht ganz recht daran getan hast, wenn du mich als deine Frau so ganz mir selbst überließest, mir nur stets ein nachsichtiger Freund und nie ein Führer warst, dessen Mahnung ich gewiß gerne gefolgt wäre, – wenn ich dir das jetzt sage, so geschieht es nicht, um dich milder gegen mich zu stimmen, sondern nur, um mir eine Bitte zu erleichtern. Wahre wenigstens den Schein vor der Welt. Fliehe, oder schicke mich in die Ferne. Du darfst sicher sein, da, wenn dich auch meine Gedanken suchen, mein Anblick und meine Worte dich nie belästigen werden. Ich bitte auch nicht für mich, ich bitte für dein Kind. Erhalte ihm die Reinheit des heiligsten Gefühls: die Achtung vor seinen Eltern. – Du antwortest mir nicht? Du bist auch heute stumm für mich? O, ich muß schwer gesündigt haben, daß ich so hart geprüft werde. Sinkt weinend in einen Sessel.

KÖRNER
welcher während dieser Szene kaum seine Erregung bemeistern konnte, tritt hinter den Stuhl, auf welchem Rosa sitzt, und spricht leise, mit zitternder Stimme.
Rosa, ist es denn wirklich war, daß du mich ein wenig lieb hast?
ROSA
wendet, unter Tränen lächelnd, ihr Gesicht zu Körner, sieht ihn zweifelnd an und ruft dann, mit einem Freudenschrei ihre Arme um Körners Hals schlingend, aus.
Hermann! mein geliebter Mann.
KÖRNER.
Mein Weib!

Kleine Pause.
ROSA.
Du glaubst mir?
KÖRNER.
Ich glaube dir und liebe dich. Umarmt Rosa.
18. Szene
18. Szene.
Vorige. Hasemann. Emilie. Wilhelm. Eduard von links.

HASEMANN
auf Rosa und Körner zeigend.
Pst! nicht stören. Na, Kinder, was habe ich gesagt? Wirkt mein Mittel?
EDUARD.
Das muß wahr sein, Herr Hasemann, Sie sind ein großer Diplomat.
19. Szene
[175] 19. Szene.
Vorige. Albertine durch die Mitte.

HASEMANN.
Mutter, komm her, du kommst zu einem Familienfest. Körner denkt gar nicht mehr an die Scheidung.
ALBERTINE
freudig.
Ist das wahr?
ROSA.
Ja, Mutter, es ist wahr.
ALBERTINE.
O, die Freude!
HASEMANN.

Ich zähle die Häupter meiner Lieben, und mir fehlt noch die letzte von meinem Vierteldutzend. Wo ist denn die Fränze?

ALBERTINE.

Die hast du Tyrann ja in die Küche geschickt. O, sie zeigt sich sehr anstellig beim Kochen. Da ist sie.

20. Szene
20. Szene.
Vorige. Franziska.

FRANZISKA
mit hochrotem Gesicht, eine große Küchenschürze vor, auf einer Gabel eine aufgeplatzte Kartoffel aufgespießt, kommt sehr erregt durch die Mitte.
Da, Vater, koste mal!
HASEMANN
beißt in die Kartoffel.

Hm! recht gut. Nur rate ich dir, das nächstemal anstatt Zucker Salz d'ran zu tun. Aber sonst ausgezeichnet. Seine Hand auf Franziskas Kopf legend. Fahre nur so fort, und du wirst noch die Perle von Hasemann's Töchtern!


Der Vorhang fällt.

Ende.

[176]
Fußnoten

1 Die folgende Szene hat Wilhelm nicht etwa als Trunkener zu spielen, sondern nur ein wenig angeregt durch den Wein und möglichst absichtslos.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). L'Arronge, Adolph. Dramen. Hasemann's Töchter. Hasemann's Töchter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-DAF5-1