116. Lüchtemännchen gefangen.

Mündlich von einem Schäfer.


Da war einmal ein Kuhhirt zu Ferchesar bei Rathenow, der hatte mit seiner Heerde in der Heide umhergetrieben, und hatte, als es schon finster zu werden begann [100] und er heimtrieb, nicht bemerkt, daß er eine Kuh verloren habe. Als er nun nach Hause kam, ward er dessen inne und machte sich alsbald auf, um sie zu suchen. Er ging deshalb wieder in den Wald und suchte hier und dort, konnte sie aber nicht finden und setzte sich endlich vor Ermüdung auf einen alten Baumstumpf und wollte sich eine Pfeife anstecken. Wie er aber da so sitzt, kommt auf einmal ein großes Heer von Lüchtemännchen, die tanzen wild um ihn herum, daß ihm ordentlich hätte bange werden können, wäre er nicht ein dreister Bursche gewesen. Er blieb aber ruhig sitzen und stopfte sich seine Pfeife; als er sie indeß eben anstecken wollte und Feuerstahl und Stein, sowie die Schwammbüchse hervorzog, da flogen sie ihm um den Kopf herum, daß er jeden Augenblick dachte, sie würden ihm die Haare versengen. Deshalb nahm er seinen Stock und schlug gewaltig um sich, aber je mehr er schlug, desto mehr Lüchtemännchen kamen, so daß er endlich zugriff, um einen zu haschen, und da hatte er auf einmal einen Knochen in der Hand. Das mochte den andern Haufen erschreckt haben, denn sie gingen davon; er aber steckte sich den Knochen in die Tasche, brannte seine Pfeife an und ging nach Hause. Andern Morgens trieb er mit der Heerde wieder hinaus und fand auch seine Kuh wieder; als er aber Abends nach Hause kam und es schon dunkel geworden war, da sah er ein paar Lichtchen vor seinem Fenster und weil er glaubte, es sei ein Nachbar, der mit der Laterne zu ihm komme, um sich wegen eines kranken Viehes bei ihm Rath zu holen, öffnete er das Fenster und sah nun die ganze Dorfstraße voll von Lüchtemännchen; die kamen in gewaltigen Haufen dahergehüpft, wirbelten unruhig durcheinander und riefen »gibst du uns unsern Kameraden nicht heraus, so stecken wir dir's Haus an!« Da fiel ihm erst der Knochen wieder ein und er sagte: »ach, [101] so macht doch kein dumm Zeug, der Knochen kann doch euer Kamerad nicht sein!« aber sie riefen nur immer lauter: »gibst du uns unsern Kameraden nicht heraus, so stecken wir dir's Haus an!« Da dachte er, es könnte doch wohl Ernst werden, nahm den Knochen, legte ihn sich in die flache Hand und hielt ihn zum Fenster hinaus. Da war er sogleich wieder ein hellflackerndes Lüchtemännchen und hüpfte davon und die andern alle umringten es wie im Jubel und hüpften und sprangen lustig zum Dorfe hinaus.

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TextGrid Repository (2012). Kuhn, Adalbert. Märchen und Sagen. Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche. A. Sagen. 116. Lüchtemännchen gefangen. 116. Lüchtemännchen gefangen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-BD68-F