[217] An Christiane von Smiterlöwe

1784.


Komm herab von deiner Klageweide,
Meine goldne Harfe, du mein Ruhm,
Meine Trösterinn im Lebensleide,
Meinem Lieblinginn, mein Heiligthum,
Meine Sehnsucht, meine süße Freude,
Mein gewünschtes einzig's Eigenthum,
Komm herab, und klinge lind' und leise,
Süß, wie Kußgelispel, hold, wie Liebesweise.
Dir, o Freundinn, sey mein Lied gesungen,
Die du liebst der Harfe Zauberklang!
Gerne fühlt sich deine Brust durchdrungen
Von der Dichter Weh – und Wonnedrang,
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Gerne deine Seel' emporgeschwungen
Von des Psalters heil'gem Weihgesang.
Solche Seelen sind dem Dichter theuer,
Solchen schwillt sein Herz, entbrennt sein schönstes Feuer.
Meines Blumengartens schönste Pflanze
Brächt' ich gerne dir zum Opfer dar;
Flöchte gern' aus meinem Dichterkranze
Einen Lorbeer in dein blondes Haar;
Führte gerne dich zum Reihentanze
In der Grazien und Musen Schaar;
Reichte gerne dir beim Göttermahle
Der Unsterblichkeit kristallne Nektarschaale.
Doch ein Geist, durchglüht von Dichterfeuer,
Ist nicht edler, als ein reines Herz.
Edel, wie Gefühl für Harf' und Leyer
Ist Gefühl für Menschenwohl und Schmerz.
Theu'r dem Engel und dem Menschen theuer
Ist ein zartes ungefärbtes Herz,
Dessen Einfalt noch kein Wahn verschraubte,
Dem noch Thorheit nicht die schöne Unschuld raubte.
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Schöner ist, als Klopstocks schönste Ode,
Eine That der reinen Menschlichkeit;
Sie beschämt den Putz der schönsten Mode,
Lohnt mit himmlischer Zufriedenheit,
Lächelt, wie ein Engel, Trost im Tode,
Und geleitet in die Ewigkeit.
Solcher Thaten viel dir zu erstreben,
Freundinn, sey dein Preis, dein Kranz, dein Heil im Leben!
Sey geadelt mit dem großen Namen:
Menschenfreundinn – durch ihn edel g'nug,
Trüge gleich dein Schild nicht Helm und Fahnen,
Die er schon seit sieben Säkuln trug;
Wärst du gleich nicht aus des Helden Saamen,
Der den Löwen in der Wüste schlug.
Menschenadel beugt nur Knie und Rücken,
Während, Edle, dir die Seelen selbst sich bücken.
Schonend decken seines Bruders Blöße,
Sorgsam kühlen rascher Jugend Gluth;
Muthig dulden harte Schicksalsstöße,
Groß verachten blinde Bubenwuth;
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Giebet Seelenwerth und Geistesgröße,
Zeugt von Edelsinn und Heldenblut.
Solchem Adel huldigt auch der Weise,
Huldigen des Dichters auserwähltste Preise.
Was ist Leibesschönheit? Was ihr Prangen?
Was ist Lilienhals und ringelnd Haar?
Was sind Purpurlippen, Rosenwangen,
Schwanenbrust und schimmernd Augenpaar?
Blumen sind sie, gestern aufgegangen,
Heut verwelkt, verstoben morgen gar.
Unvergänglich sind des Geistes Schimmer;
Seine Blüthe welkt – sein Kelch verduftet – nimmer.
Reges Mitleid mit der Menschheit Nöthen
Breitet Strahlen übers Angesicht.
Eifer, den Bedrängten zu vertreten,
Leiht auch matten Augen Glanz und Licht.
Leuchtender, als alle Morgenröthen,
Leuchtet, Menschlichkeit, dein Angesicht.
Solche Schönheit ist die Lust der Geister,
Ist des Erdenrunds, ist selbst des Himmels Meister.
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Soll ich denn dich schön und edel preisen,
Holde Freundinn, so sey tugendhaft!
Willst du ernten Lob und Preis der Weisen,
So besiege niedre Leidenschaft!
Willst du g'raden Weg's zum Himmel reisen,
Ringe wohlzuthun mit reger Kraft! –
Schön'ren Inhalt kann mein Lied nicht singen,
Süßern Klanges nicht die goldne Harfe klingen.
Doch noch einmal, meine goldnen Saiten,
Klingt und lispelt, süß, wie Brautgesang!
Singt des reinen Herzens Seligkeiten,
Daß von tiefempfundner Rührung Drang
Thränen meiner Freundinn Aug' entgleiten,
Und sie hang' hinfort mit süßem Hang
An der Tugend, wie am theuren Schatten
Hängt der Uebrigblieb'ne zwei getrennter Gatten.
Groß ist auch schon in des Staubes Hütten,
Groß und rein der Tugend Seligkeit.
Zwischen Freud' und Weisheit in der Mitten
Wandelt sie im lilienweißen Kleid.
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Ueberall auf ihren leisen Schritten
Sprießt das Blümchen Herzensfröhlichkeit.
Reichlich trinket sie des Kelchs der Liebe;
Ihrer Freundschaft Wein wird nimmer schal und trübe.
Süßes Labsal, reine Seelenweide,
Saugt sie aus den Brüsten der Natur.
Sieh, wie schmückt sich ihr im Feierkleide,
Sieh, wie lacht ihr die smaragdne Flur!
Rosen sprießen ihr auf nackter Heide;
Liebend koset ihr die Kreatur.
Nur der reinen Seele, der gesunden,
Mag dein Kelch, Natur, dein Becher, Freude, munden.
Nie versiegt der Brunnquell ihrer Freude.
Ihrem Leben mangelt nie Genuß,
Ihrem Herzen nie ein Trost im Leide,
Ihren Lippen nie ein Liebeskuß,
Ihrem Geiste nie erhabne Weide,
Bis der Ruhe holder Genius
Mit gesenkter Fackel still und milde
Sie hinüber führt in schönere Gefilde,
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Wo sie weilt in Amaranthengründen;
Wo sie ruht am klarer Bächlein Rand,
Die sich murmelnd durch Violen winden;
Wo sich Alle, die ins stille Land
Vor ihr übergingen, zu ihr finden,
Und sie freundlich leiten Hand in Hand
Durch die lotosreichen Sonnenauen,
Die Ambrosia und Nektartropfen thauen.
Wo sie einst sich mit des Lichtes Schnelle
Von Orion zu Orion schwingt,
Nicht mehr blinzelt ob der Sonnenhelle,
Mit des Stoffes Trägheit nicht mehr ringt,
Schöpfet aus der Weisheit reinster Quelle,
Und ins Adytum der Schönheit dringt –
Schweiget, schweiget, zu verwegne Saiten!
Unaussingbar sind der Tugend Seligkeiten!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Kosegarten, Gotthard Ludwig. Gedichte. Gedichte. An Christiane von Smiterlöwe. An Christiane von Smiterlöwe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B748-3