[228] Der Blumenstrauß

Blümchen, die ihr lieblich blühtet,
Düfte hauchtet, Strahlen sprühtet,
Blümchen, ach, ihr seyd verblüht!
Eure Reize sind entwichen,
Eure Schönheit ist verblichen,
Eure Strahlen sind versprüht.
Eures Kelches süße Düfte,
Ausgegossen durch die Lüfte,
Schmeicheln keinem Wandrer mehr.
Eure goldbesprengten Glocken
Kränzen keines Mädchens Locken,
Schmücken keinen Busen mehr.
[229]
Erdentöchter, Erdensöhne,
Rühmet euch nicht eurer Schöne,
Trotzet nicht auf eure Kraft.
Jedes Daseyns Quell versieget,
Jedes Athems Hauch verflieget,
Jeder Stärke Nerv' erschlafft.
Jüngling, dein gewaltig Leben,
Deiner Kräfte rastlos Streben,
Deines Stolzes Herrlichkeit
Wird zerflattern. Starrend liegen
Wirst du, fühllos für Vergnügen,
Fühllos selbst für Lieb' und Leid.
Mädchen, deiner Wangen Rosen
Welken, und das süße Kosen
Deiner Purpurlippen schweigt.
Deines Trittes Reheschnelle
Lähmt die Zeit. Die Frisch' und Helle
Deines Angesichts verbleicht.
[230]
Mond, du wirst nicht ewig schimmern;
Blaue Feste, du wirst trümmern;
Sternensaat, du wirst verweh'n.
Was aus Moder sproß, muß modern,
Was der Asch' entglomm, verlodern,
Was begann, muß untergehn.
Untergehn? ... Nein, untergehen,
Gar verflattern, gar verwehen,
Mag aus Gottes Schooße nichts.
Altern, kränkeln, welken, sterben
Mag es wohl, doch gar verderben,
Gar verlieren mag sich nichts:
Nicht die Asch' erlosch'ner Sonnen,
Nicht Gespinnst, vom Wurm gesponnen,
Nicht des Baumes fallend Laub,
Nicht zerborst'ner Welten Trümmer,
Nicht verblich'ner Wangen Schimmer,
Nicht verflog'ner Blumenstaub.
[231]
Unverloren ruhet Alles,
Stoff des Blatts, des Sonnenballes,
In des Ew'gen sicherm Schooß',
Windet einstens aus dem Staube –
Süße Hoffnung! schöner Glaube! –
Herrlicher sich wieder los. –
Blümchen, die ihr hold und lieblich
Gestern blühtet, still und trüblich
Heute welket – trauert nicht!
Eurer Asch' entsprießen Keime,
Himmelsblumen, Lebensbäume,
Die kein Herbststurm knickt noch bricht.
Edler Jüngling, sey nicht traurig,
Wenn so früh, so dumpf und schaurig
Dir die ernste Stimme ruft!
Edler, kräftiger, verklärter,
Liebevoller, liedenswerther,
Ueberstrahlst du einst die Gruft.
[232]
Mädchen mit der sanften Seele,
Zitt're nicht, die enge Höhle
Langer Ruh' hinab zu sehn!
Ueber Grab und Grabestrümmer
Wirst du einst im Sonnenschimmer
Himmlischer Verklärung stehn.
Englisch wird dein Antlitz glänzen;
Kränzen wirst du dich mit Kränzen,
Deren Rose nie erblass't.
In den sel'gen Myrthenthalen,
Horchend ew'gen Nachtigallen,
Wirst du pflegen süßer Rast.
Leibesschönheit bleibt dahinden;
Seelenschönheit kann nicht schwinden,
Grünt und blüht in Ewigkeit.
Sanftmuth, Demuth, Unschuld, Tugend,
Kränzt mit immergrüner Jugend,
Lohnt mit Himmelseligkeit.
[233]
Erdenseligkeit vergehet;
Himmelseligkeit bestehet.
Hoheit, Schönheit bleibt zurück.
Wie der Himmel unvergänglich,
Wie die Gottheit überschwänglich,
Bleibt der Tugend reines Glück.
[234]

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Kosegarten, Gotthard Ludwig. Gedichte. Gedichte. Der Blumenstrauß. Der Blumenstrauß. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B6B3-8