[117] Die beiden Musen

Ich sah, o sagt mir, sah ich, was jetzt geschieht?
Erblickt' ich Zukunft? mit der britannischen
Sah ich in Streitlauf Deutschlands Muse
Heiss zu den krönenden Zielen fliegen.
Zwey Ziele gränzten, wo sich der Blick verlor,
Dort an die Laufbahn. Eichen beschatteten
Des Hains das eine; nah dem andren
Weheten Palmen im Abendschimmer.
Gewohnt des Streitlaufs, trat die von Albion
Stolz in die Schranken, so wie sie kam, da sie
Einst mit der Mäonid', und jener
Am Kapitol in den heissen Sand trat.
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Sie sah die junge bebende Streiterin;
Doch diese bebte männlich, und glühende
Siegswerthe Röthen überströmten
Flammend die Wang', und ihr goldnes Haar flog.
Schon hielt sie mühsam in der empörten Brust
Den engen Athem; hing schon hervorgebeugt
Dein Ziele zu; schon hub der Herold
Ihr die Drommet', und ihr trunkner Blick schwamm.
Stolz auf die kühne, stolzer auf sich, bemass
Die hohe Brittin, aber mit edlem Blick,
Dich, Thuiskone: Ja bey Barden
Wuchs ich mit dir in dem Eichenhain auf;
Allein die Sage kam mir, du seyst nicht mehr!
Verzeih, o Muse, wenn du unsterblich bist,
Verzeih, dass ichs erst jetzo lerne;
Doch an dem Ziele nur will ichs lernen!
Dort steht es! Aber siehst du das weitere,
Und seine Kron' auch? Diesen gehaltnen Muth,
Diess stolze Schweigen, diesen Blick, der
Feurig zur Erde sich senkt, die kenn' ich!
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Doch wäg's noch Einmal, eh zu gefahrvoll dir
Der Herold tönet. War es nicht ich, die schon
Mit der an Thermopyl die Bahn mass?
Und mit der hohen der sieben Hügel?
Sie sprachs. Der ernste, richtende Augenblick
Kam mit dem Herold näher. Ich liebe dich!
Sprach schnell mit Flammenblick Teutona,
Brittin, ich liebe dich mit Bewundrung!
Doch dich nicht heisser, als die Unsterblichkeit,
Und jene Palmen! Rühre, dein Genius
Gebeut ers, sie vor mir; doch fass' ich,
Wenn du sie fassest, dann gleich die Kron' auch.
Und, o wie beb' ich! o ihr Unsterblichen!
Vielleicht erreich' ich früher das hohe Ziel!
Dann mag, o dann an meine leichte
Fliegende Locke dein Athem hauchen!
Der Herold klang! Sie flogen mit Adlereil.
Die weite Laufbahn stäubte, wie Wolken, auf.
Ich sah: Vorbey der Eiche wehte
Dunkler der Staub, und mein Blick verlor sie!

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TextGrid Repository (2012). Klopstock, Friedrich Gottlieb. Gedichte. Oden. Erster Band. Die beiden Musen. Die beiden Musen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B554-8