[205] Die Wiederkehr

Gaul, mein Arzt, du gedenkst doch des Frühlinges? oder vergassest
Du den lieblichen May,
Unter den Mayen allen seit Jünglingsalter den schönsten?
Nein, du vergassest ihn nicht;
Denn du wiehertest mir. Der May ist wiedergekommen,
Ob er gleich September sich nent.
Beyde gleichen sich, wie ein Haberkorn in der vollen,
Reifen Ähre dem anderen gleicht.
Niese nur fort; ich versteh dich: du niesest mir fröhlichen Beyfall,
Durch die Ähre gerührt.
Also ist jetzo Septembermay, wie du meinst, und ich meine.
Angenehm ist es, wenn Zween
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Eben die Meinung vereint; da schallt der entheiternde Strauss nicht,
Da ist Lebensgenuss.
Lass uns geniessen, du in dem Schatten, zu dem ich dich leuke,
Frisches, kühlendes Gras,
Von der weisslichen Blume durchwebt, und der goldnen; auch hebt dort
Dein erkohrnes Gewürz,
Heilende Wermuth ihr Haupt. Ich schau geniessend den hellern,
Blaueren Himmel, des Sees
Ebnen Kristall, und umschwebt von ziehenden Metten, vergess' ich
Fast der Blüthe, die nun
Fruchtet, und mit vielfarbiger Last, den biegsamen Zweig krümt.
Also trink' ich die reinere Lust,
Und ein sanftes frohes Gefühl des Lebens berauscht mich!
Aber du störest mich ja!
Schmause doch nicht so gierig; sie legten dir Xenophons Zaum an,
Dessen Gebiss durch Ringe dich zähmt:
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O du köntest durch ihn dir so leicht die Zunge verwunden,
Färben die Halme mit Blut.
Doch du gehorsamest nicht. So steh denn gehobenes Halses,
Athme die Weste, wie ich.
Spitze nicht horchend das Ohr. Die Nachtigall ist mit dem zweyten
Lenze nicht wiedergekehrt:
Kehret auch mit dem künftigen May nicht wieder; ist Fabel
Nicht, was man staunend erzählt.
Gallische Wilde, sagen sie, sind gekommen, und haben
Ihre Nester entdeckt;
Haben die Kinderchen ihr mit Geyerklauen entrissen,
Und sie samt dem Gefieder verzehrt.
Hast du sie nicht gehöret der Mütter Klage? Sie schwankten
Au den Zweigen; ihr Lied
Jammerte Nächte lang: bald sunk das Flöten der Wehmuth
Immer tiefer, und bald
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Schien's zu verstummen, verstumte. So hab' ich nie sie vernommen;
Aber es war auch Leichengesang!
Stamst du vielleicht von den Rossen Achills? Denn du senkst ja die Mähne
Erdwärts, und in den Staub
Stürzen dir heisse Thränen hinab; so hat dich der kleinen
Sänger klägliches Ende gerührt.

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TextGrid Repository (2012). Klopstock, Friedrich Gottlieb. Gedichte. Oden. Zweiter Band. Die Wiederkehr. Die Wiederkehr. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B4B4-5