[52] [55]Achter Gesang

Die Du am Sion den heiligsten unter den Sängern Jehovah'
Sahst, von ihm lerntest, als er, von dem ewigen Geiste gelehrt, sang,
Den der Richter im Tode verließ, den größten der Todten,
Lehr, Sionitin, mich wieder; Du lerntest himmlische Dinge!
Komm und leite den Schritt des Wankenden, Deines Geweihten,
Führe mich in des Gekreuzigten Nacht. Des Heiligthums Schauer
Faßt mich; ich will den Sterbenden sehn, ich will die gebrochnen
Starren Augen, den Tod auf der Wange, den Tod in den schönsten
Unter den Wunden, Dich sehn, Du Blut der Versöhnung! Er bebte,
Rang mit dem Tode; da sank ihm sein Haupt, er blutete, neigte
In die Nacht sein heiliges Haupt; da verstummte der Gottmensch.
Von des Richtenden Antlitz flog Eloa herunter,
Kaum den Unsterblichen sichtbar, so eilt' er herab durch die Himmel.
Und er hielt in der Linken die himmlische Krone; die Rechte
Hob die Posaune. Sie tönt, und es tönen die Welten im Kreislauf.
Und der Nächste dem Unerschaffenen rief durch die Himmel:
»Feiert! Es flamm' Anbetung der große, der Sabbath des Bundes,
Von den Sonnen zum Thron des Richters! Die Stund' ist gekommen!
Feiert! die Stunde der Nacht ist gekommen! Sie führen das Opfer.«
Und die Himmel umher vernahmen des Rufenden Stimme.
Doch schon war er vorübergeeilt. Zween Winke, so schwebt er
Ueber Golgatha. Um ihn herum versammeln der Erde
Engel sich eilend. Er rief sie. Ihr strahlenwerfender Kreis schloß
Jetzt um Eloa sich zu. Eloa stieg aus dem Kreise,
Feierlich stieg er nieder auf Golgatha, stand auf der Höhe.
Dreimal neigt' er nunmehr sein tiefanbetendes Antlitz
Auf den Staub des Hügels herab; dann erhub er sich, streckte
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Ueber den Hügel aus den weitverbreiteten Arm, schaut'
Auf den Messias herab, der in der Ferne, begleitet
Von Judäa, langsam gen Golgatha wandelt und schwerer
Trägt wie sein Kreuz das Weltgericht. So sah ihn Eloa,
Stand, hielt über den Hügel den hohen Arm hin und sagte:
»Höret mich, Himmel, und jauchzt! Abgrund, vernimm mich und bebe!
In dem Namen des Auszusöhnenden, Deß, der zu bluten
Kommt, des Versöhners Namen und in des Geistes, der Sündern
Himmlisches Licht strahlt, weih' ich Dich, Hügel, zum Tode des Sohnes!
Heilig, heilig, heilig ist Der, der sein wird und sein wird!«
Also weiht Eloa und staunt. Des Unsterblichen Schimmer
Wurde Dämmrung, so staunet' er. Nun verstummt er nicht länger,
Senket gegen den Mann von Erde gefaltete Hände,
Welcher die Tief' herauf sein niederbeugendes Kreuz trägt,
Siehet ihn unter dem wankenden Kreuz, fällt nieder aufs Antlitz,
Betet: »O, der dem Altare sich naht, zu sterben den schönsten
Und den wunderbarsten der Tode, Du Menschlicher! Schöpfer!
Mitgeborner und Sohn des Geschlechts, das Gräber begraben!
Bethlehem's Kind! Du weintest; wir sangen Dir Jubel! Du lässest
Dich bis auf Golgatha nieder; die tiefre Bewundrung verstummt Dir,
Mehr zu jauchzen! O Sohn, Sohn Gottes und der Gebornen!
Unerschaffner! kein Endlicher sang da Jubel! Vollender
Alles deß, so das Höchste, das Wundervollste, das Beste,
Das ganz Herrlichkeit ist! tiefangebeteter Gottmensch!
Wiederbringer der freudigen, gottgefallenden Unschuld!
Todtenerwecker! Vertilger des ewigen Tods! Weltrichter!
Oder, wie Deine Menschen Dich nennen, Du Lamm, das erwürgt wird!
Höre mein tiefes Gebet, vernimm des Endlichen Stimme,
Die von dem Staube, worauf Dein Blut wird bluten, Dir betet!
Wenn Dein Auge nun bricht, die letzte Blässe des Todes
Ueber Dich, Geopferter, strömt, die Himmel der Himmel
Nun erzittern und fliehn, nun nur Jehovah mit vollem
Hingehefteten Blick anschaut den Sterbenden: stärke
Dann aus der hangenden Nacht mich, in die Dein Leben hinabstirbt,
Stärke, großer Vollender, mich dann, damit ich nicht hilflos,
Nicht zu bebend unter der Erde Gräber versinke,
Und, wenn in schwimmender Dämmrung um mich die Schöpfung nun wanket,
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Ich, wie dunkel mir auch das Aug' hinstarret, Dich sterben
Sehe! Tod des Sohnes! Du nahest Dich, Tod! Von dem Ersten,
Der ein Sterblicher ward, bis hinab zu dem Letzten von Adam,
Dessen jungem Leben der Auferstehung Posaune
Wegzuathmen gebeut, sie Alle wirst Du versöhnen,
Wenn Du, noch einmal Schöpfer: Es ist vollendet! nun ausrufst.
Tod, o Tod des Sohnes! und Du, des Geopferten Blut! Heil,
Heil den erlösten Seelen! Sie kommen und wandeln und jauchzen!
Ihre Kleider sind hell in des Todten Blute gewaschen!«
Drauf erhebt sich Eloa, vertheilt die Engel der Erde
Weit um Golgatha her. Auf niederhangender Wolke
Sammeln sie sich, bedecken die breiten Rücken der Berge
Oder schweben über der Ceder und gehen voll Tiefsinn
Auf den wallenden Wipfeln; er selbst steht über des Tempels
Höhen: ein weitumkreisendes Heer! der allmächtigen Vorsicht,
Welche von fern herrscht, furchtbare Diener! Engel des Todes
Und des Gerichts, der Menschen Hüter, künftiger Christen
Hüter! und weil sie Engel der Märtyrer wurden, am Throne
Deß, dem der Palmenträger, der Märtyrer blutet, die Ersten!
Gabriel aber, ihn hatte gesandt zu der Sonne der Mittler,
Ließ sich mit silbertönendem Flug auf den strahlenden Tempel
Nieder und stand vor der Väter Seelen und sagte zu ihnen:
»Kommt nun näher, Ihr Väter der Menschen! Ihr sehet ihn!« (Hier wies
Er mit der bebenden Rechte.) »Da trägt der Sündeversöhner
Gegen den Hügel sein Kreuz. Dies ist der Hügel des Todes!
An dem höheren dort, der mit zween Gipfeln heraufragt,
Ging er ins erste Gericht. Von diesem sollt Ihr ihn sehen,
Wenn er für Eure Kinder und Euch sein Leben wird bluten.
Kommt, Erlöste! Die Enkel der Enkel, die noch die Geburt nicht
Zu Unsterblichen schuf, er geht, er eilt, er versöhnt sie!«
Feurig sagt es der Seraph. Verstummt vor Wehmuth und Wonne,
Folgen die Väter ihm schon. Sie eilen. Der schnelle Gedanke,
Der aus des Betenden Seele von Sternen zu Sternen hinaufdenkt,
Eilet nur eilender. Gabriel führte die schimmernden Schaaren.
Schon betrat ihr schwebender Fuß den liegenden Oelberg.
Adam betrat ihn zuerst, sank nieder und küßte die Erde.
»Mütterlich Land,« so sprach er, »ich seh', o Erde, Dich wieder!
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Seit den Jahrhunderten, da mein Gebein an dem Abend des Todes
Du in Deinen friedsamen Schooß, o Mutter, zurücknahmst,
Stand ich nicht über dem Staube der todtenvollen Gefilde!
Nun, nun steh' ich darauf. Sei mir, o Erde, gegrüßet!
Seid mir, Gebeine der Todten, gegrüßt! Ihr werdet erstehen!
Meine Kinder, ach, meine Kinder, Ihr werdet erstehen!
Und, o Stunde, Du nahende, sei auch Du mir in Jubel,
In Triumphe genannt! Du entlastest die Erde vom Fluche!
Ihrem heiligen Staub erschallt des Blutenden Segen!
Halleluja! er kommt, er kommt, der Erdegeborne!
Siehe, der Allerheiligste kommt und nahet dem Tode!«
Also sprach er. Noch hielt er sein Herz, das in himmlische Wehmuth
Aufzuschauern begann; er hielt es noch, schwieg und schaute.
Aber Eloa stand auf dem Tempel und sahe die Väter
Kommen. Er wandte sein Antlitz und sah hoch über dem Kreuze
Satan und Adramelech in wildem Triumphe schweben,
Satan wegen des Werks, das er schon vollendet, und Beide
Wegen künftiger Thaten. Eloa sieht die Empörer,
Wie sie, erhoben über die Wolken der wandelnden Erde,
In weitkreisendem Schwunge die höheren Wölbungen messen.
Und in seiner Herrlichkeit hub sich Eloa vom Tempel
Gegen die ewigen Sünder empor. Er ging in dem Glanze
Dieses gefeirtesten Tags vor allen Tagen der Feier.
Gottes Schrecken schwebten um ihn. Die leiseren Lüfte
Wurden vor ihm zu Sturm und rauschten. Des Kommenden Gang war
Eines Heers Gang, welchem die tragenden Felsen erzittern.
Und der Unsterbliche tönt' und glänzte daher. Die Empörer
Sahen ihn, hörten ihn kommen und strebten umsonst, zu verbergen
Ihr Erstaunen. Sie standen und wurden dunkler. So stehen
In der untersten Höll' Abgrund zween nächtliche Felsen.
Blitzeil' hatte der letzte Schwung Eloa's; er trat jetzt
Vor die Verworfnen und sprach: »Ihr, deren Namen die Hölle
Nenne, verlaßt – Ihr seht der hohen Unsterblichen Lichtkreis –
Diesen verlaßt und entlastet von Euch die heilige Stätte!
Siehe, so weit der äußerste Glanz der Seligen Grenzen
Euren Empörungen strahlt, schwebt da nicht über der Wolke!
Kriecht da nicht an dem Staube der Erde!« Der Seraph gebot so.
Aber wie zwei Gewitter, die an zwo Alpen herunter
Dunkel kommen (ein stärkerer Sturm tönt ihnen entgegen,
Wird sie verstreun), wie die in ihrem Schooße den Donner
Fliegend reizen, damit er die krummen Thäler durchbrülle:
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Also rüsten sich wider Eloa die Stolzen zur Antwort.
Was die Wuth Entsetzliches hat, die Rache Verwegnes,
Runzelt' auf ihrer Stirne sich, rollt' in dem flammenden Auge.
Aber mit herrschendem Blick schaut ihnen Eloa ins Antlitz:
»Erst verstummt! dann flieht! Käm' ich mit der siegenden Stärke,
Die Jehovah mir gab, so sollte von diesem erhobnen
Treffenden Arm Euch ferne von mir mein Donner verschleudern.
Aber ich komm' in dem Namen des Sohns von Adam, der – schaut ihn –
Trägt sein Kreuz! In dem Namen des Ueberwinders der Hölle:
Flieht!« Sie flohen, dunkler als Nächte. Ereilende Schrecken
Hefteten sich an die Ferse der Flucht und trieben sie seitwärts
Auf die Trümmern Gomorra im todten Meere. Die Engel
Sahen sie fliehn; es sahen sie fliehn die Väter. Eloa
Stieg zu der Zinne des Tempels in seiner Herrlichkeit nieder.
Jesus war zu dem Todeshügel gekommen. Ermattet
Schwankt' er am Fuß des Hügels. Die blutbegierigen Haufen
Zwangen einen Wanderer, der an Golgatha's Hange
Furchtsam hinabstieg, daß er das Kreuz dem Ermatteten trüge.
Unter dem Volk, so ihm folgte, beweinten ihn Einige, weiche,
Wuthlose Seelen, doch die mit ganzem Herzen am Eiteln
Hingen und kaum den Göttlichen kannten. Ihr flüchtiges Mitleid
War nur sinnlich, nicht edel, nicht Mitleid der Seele. Der Gottmensch
Höret sie klagen und wendet sich um und redet mit ihnen:
»Warum meinen die Töchter Jerusalem's? Weinet mich nicht!
Weinet über Euch selber und über Eure Kinder!
Denn es nahn die Tage der Angst. In den furchtbaren Tagen
Werden sie jammern: ›O, selig die Unfruchtbaren! die Leiber,
Die nicht gebaren! die Brust, die nicht säugte!‹ dann werden sie sagen
Zu den Bergen: ›Fallet auf uns!‹ und den Hügeln: ›Bedeckt uns!‹
Denn geschahe das mir, was wird den Sündern geschehen!«
Jetzt war Jesus gekommen zur Höh des großen Altares.
Und er schaute zum Richter empor. Die Kreuziger nehmen
Ihm das Kreuz ab, richten es unter Todtengebein auf.
Und das Kreuz erhub gen Himmel sich, stand. Der geweihte
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Festliche Tag, er schimmert noch sanft; noch freut sich die kleinste
Schöpfung im Labyrinthe der lebenathmenden Lüfte;
Doch ein Wink, und es fängt in ihrem Schooße die Erde
In den geheimsten, entlegensten Tiefen mit leiser Erschüttrung
An zu beben. Ueber dem Antlitz der schauernden Erde
Rüsten Stürme sich, wirbeln und heulen in hangenden Klüften.
Und es schwankte das Kreuz. Der Gottmensch stand bei dem Kreuze.
Adam sah ihn und hielt sich nicht mehr. Mit glühender Wange,
Mit hinfliegendem Haar, mit offenen bebenden Armen
Eilt' er hervor zu dem äußersten Hange des Bergs, sank nieder.
Als er hinsank, flammte der Himmel im schauenden Auge
Deß, der nicht mehr ein Sterblicher war. Er weinte vor Wonne.
Wonn' und ewiges Leben und Schauer und Wehmuth und Staunen
Ueberströmten sein Herz. Des vollen Herzens Empfindung
Wurd' itzt Stimme; da betete Adam. Die Kreise der Engel
Hörten des Betenden Stimme. Er blickt auf die Gräber und saget:
»Nein, der Seraph nennt Dich nicht aus! Die Unsterblichen weinen,
Wenn sie, in Deine Liebe vertieft, die tausendmal tausend
Herrlichkeiten zu nennen beginnen und betend verstummen!
Ach, ich nenne Dich Sohn und verstumm' und weine mit ihnen!
Jesus Christus, mein Sohn! Mein Sohn, wo wend' ich mich hin? wo,
Daß ich dies unnennbare Heil, die Wehmuth ertrage?
Jesus Christus, mein Sohn! O, die Ihr früher als ich wart,
Aber nicht früher als er, schaut, Engel, auf ihn herunter,
Schaut herunter! Er ist mein Sohn! Dich segn' ich, o Erde!
Dich, o Staub, aus dem ich gemacht ward! O Wonne, Du volle
Ewige Wonne, die ganz die Begier des Unsterblichen ausfüllt!
O, der große, der tiefe, der himmelvolle Gedanke,
Dein Gedanke, Jehovah: Du schufst! da schufst Du auch Adam,
Adam aus Staube, damit er der Vater des Ewigen würde!
Steh hier still, unsterbliche Seele, durchschaue die Tiefe,
Diese weite Tiefe der Wonne! Was sind, o Ihr Himmel,
Diese vor Augenblicke, die jetzt die Unsterblichen leben!
Jeder ist göttlich, und jeder trägt auf dem eilenden Flügel
Ewigkeiten der Ruh, und die wird Adam durchleben!
Nun ist Dieser nicht mehr! nun Dieser! Erhabnere kommen
Immer näher, noch näher! O, Eure Stimmen, Ihr Himmel,
Gebet mir Eure Stimmen, daß ich's durch die Schöpfungen alle
Laut ausrufe: Das Opfer steht an dem Schatten des Todes!
Mache Dich auf, erhebe Dein Haupt, komm, stehe vom Staub auf,
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Menschengeschlecht, und schmücke Dich schön mit betenden Thränen!
Denn der Allerheiligste steht an dem offenen Grabe.
Meine Kinder, ach, meine Kinder, Ihr seid die Geliebten!
Euch versöhnet er! Kommt zu dem Sterbenden, Kinder von Adam!
Wer im Palast mit Golde bedeckt wohnt, lege die Krone
Nieder und komm'! Ihr, die sich mit Erdehütten beschatten,
Laßt die niedrigen Hütten und kommt! Ach, aber sie hören
Meine Stimme, die Stimme des Liebenden, nicht. Ihr Verwesten,
Welche die Gräber und das Gericht mit Tode bedecken,
Höret sie auch nicht! Du bist, der Du Dich opferst, auf ewig
Bist Du Erbarmer! Vollender, Du gnadevoller Erdulder,
Siehe, Du wirst es vollenden! Und nun – unaussprechliche Wehmuth
Ueberfällt mich und dringt in jede Tiefe der Seele –
Nun, nun gehet er hin! O, stärke mich Endlichen, stärke
Mich, den Ersten der Sünder, und der die Verwesung gesehn hat,
Du, der ihn in dem Tode verläßt, Weltrichter Jehovah!«
Adam rief so. Indem trat, Dessen Namen die Himmel
Ewig nennen, nah an das Kreuz, hub seine Hand auf,
Hielt sie vor sein Antlitz und neigte sich tief und sagte,
Was kein Seraph vernahm und kein Erschaffner verstünde.
Aber von dem Thron des Gerichts antwortet Jehovah.
Von der Antwort klangen des Allerheiligsten Tiefen,
Und es bebte des Richtenden Thron. Die Kreuziger nahten
Sich dem Versöhner. Da betraten die wandelnden Welten
Mit weitwehendem Rauschen des Kreislaufs Stätten, von denen
Jesus' Tod sie verkündigen sollten. Sie standen. Die Pole
Donnerten sanfter herab und verstummten. Die stehende Schöpfung
Schwieg und zeigt' in den Himmeln umher die Stunden des Opfers.
Auch Du standest, der Sünder Welt und der Gräber! Das Grabmal
Dessen, der bluten sollte, mit Dir! Nun schauten mit allen
Ihren Unsterblichkeiten die Engel. Es schaute Jehovah,
Hielt die Erde, die vor ihm sank, es schaute Jehovah,
Siehe, der war und sein wird, auf Jesus Christus herunter;
Und sie kreuzigten ihn. Die Du unsterblich wie sie bist,
Welch' ihn sahen, o Du, die seine Wunden auch sehn wird,
Neige Dich tief an das unterste Kreuz, umfass' es, verhülle
Dich, o Seele, bis Dir die bebende Stimme zurückkömmt!
Als ob über der Schöpfung umher allmächtig der Tod läg',
Und in den Welten allen nur stille Verwesungen schliefen,
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Nun kein Lebender auf der Verwesenden Staube mehr stünde:
So mit feirlicher, todter Stille schauten die Engel
Und die Väter auf Dich, Gekreuzigter! Aber sein Leben,
Da sein unsterbliches Leben begann, mit dem stärksten der Tode
Nun zu ringen, und nun sein erstes Blut floß: Stimme
Wurde da das Erstaunen der Engel. Sie jauchzeten, weinten,
Und es hallten die Himmel von neuen Anbetungen wider.
Nun noch einmal und nun noch einmal blicket' Eloa
Nach dem Blutenden nieder, und dann mit einer Erhebung,
Wie ihn noch nie ein Unsterblicher sah, mit lautem Erstaunen
Schwung er sich in die Himmel der Himmel und rufte – so tönen
Eilende Stern' im kreisenden Lauf – er rufte: »Sein Blut fließt!«
Flog in der Tiefe des Unermeßlichen, rufte: »Sein Blut fließt!«
Schwebete dann mit stiller Bewundrung herauf zu der Erde.
Als er durch die Schöpfung einherkam, sah er die Engel
Auf den Sonnen, die ersten der Cherubim an den Altären
Stehen. Sie standen feirend, und von den goldnen Altären
Flammten Morgenröthen hinauf zu des Richtenden Throne.
Rings umher in der ganzen Schöpfung flammten die Opfer,
Bilder des blutenden Opfers am Kreuz: ein himmlischer Anblick!
Also sahen die Aeltesten einst des gottgewählten
Und lautzeugenden Volks auf Sina die Herrlichkeit Gottes.
Oder so hub sich, dem heiligen Volk den Weg zu gebieten,
Von der Hütte, worin Dein Allerheiligstes ruhte,
Offenbarter, die Flammensäul' in donnernde Wolken.
Aber der Gottmensch blutet. Er schaut' auf Juda hernieder,
Das von Jerusalem an bis nah zu dem Kreuze gedrängt stand.
Sieh, er neigte sich hin und rief herab von dem Hügel:
»Vater! sie wissen es nicht, was sie thun. Erbarme Dich ihrer!«
Stille Bewundrungen wandelten Dir, Du Stimme der Liebe,
Durch die Heere der Schauenden nach. Die huben ihr Antlitz
Zu dem Blutenden auf und sahn die Blässe des Todes,
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Deine, Du tödtlichster unter den Toden, über ihn strömen.
Dieses nur sah der Sterblichen Auge; der großen Gestorbnen
Seelenvolleres sah geheimere Dinge: sein Leben,
Wie es rang, sein Leben, von keinem Tode zu tödten,
Hätte Gott den Tod nicht gesandt; wie allmächtige Schauer
Durch den Sterbenden schütterten; wie er, verlassen vom Vater,
Hing an dem hohen Kreuz; zu welchem Heile sein Blut floß;
Welche Versöhnung dies Blut aus diesen Wunden herabquoll.
Sieh, er hub sein Auge gen Himmel, suchte nach Ruhe.
Aber er fand nicht Ruhe; mit jedem fliegenden Winke
Starb er einen furchtbaren Tod und fand nicht Ruhe.
Unterweilen war der Unsterblichen einer, durch kurzes
Hinschaun, in den Gefilden des heut kaum irdischen Frühlings,
Schöpfend aus diesem Quell ein wenig linderndes Labsal.
Mit dem Versöhner waren zween Verbrecher gekreuzigt;
Denn zu dieser Tiefe beschloß des Ewigen Rathschluß
Und sein eigener, ihn zu erniedrigen. Einer der Mörder
Hing zu der Rechten ihm, und zu der Linken der andre. Der eine
War ein versteinerter Sünder, ein graugewordner Verbrecher.
Dieser kehrte sein finstres, entstelltes Gesicht zu dem Mittler:
»Christus wärst Du? Ha, wärest Du's, hülfst Du uns, hülfest Dir selber!
Stiegest von diesem Baum herunter, den Gott verflucht hat!«
Aber der andre Verbrecher, ein Jüngling, verführt in der Blüthe,
Böses Herzens nicht, doch hingerissen zur Sünde,
Rang aus seinem Elend sich auf und strafte den Andern:
»Und auch Du, dem Tode so nah, so nah dem Gerichte –
Denn das sind wir – Du fürchtest auch jetzo Gott nicht! Wir leiden
Zwar mit Recht, was wir leiden, den Lohn von dem, so wir thaten;
Aber Dieser (er winkt auf Jesus) hat nichts verbrochen.«
Und nun kehrt er sich ganz zu dem Gottversöhner und strebet
Gegen ihn tief sich hinzuneigen. Ihm fließen die Wunden
Blutiger, als er es thut; allein er achtet des Bluts nicht,
Nicht der offneren Wunden. Er neigt zum Versöhner sich nieder,
Rufet: »Ach, Herr, wenn Du zu Deiner Herrlichkeit eingehst,
Dann erinnre Dich meiner!« Mit göttlichstrahlendem Lächeln
Sah dem erschütterten Sünder der sterbende Mittler ins Antlitz:
»Heut, ich sag' es Dir, wirst Du im Paradiese mit mir sein!«
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Jener vernahm mit heiligem Schauer die Worte des Lebens;
Ganz empfand er sie, ganz war seine Seele durchdrungen,
Und vor Seligkeit zittert er laut. Er wendet sein Auge
Nun nicht mehr von dem Göttlichen weg. Nach ihm nun ist es,
Stets nach dem Menschenfreunde mit thränendem Blicke gerichtet,
Und so brach es zuletzt. Itzt, da sein Leben noch athmet,
Spricht er in sich gebrochene Worte, des ewigen Lebens
Dunkles Gefühl; er denkt: »Wer war ich? wer bin ich geworden?
Dieses Elend zuvor, und nun die Wonne, dies Beben,
Dieser Seligkeit süßes Gefühl! Wer bin ich geworden?
Wer ist Der an dem Kreuze bei mir? Ein frommer, gerechter,
Heiliger Mensch? Viel mehr, viel mehr! des ewigen Vaters
Sohn! der gottgesandte Messias! Sein Reich ist erhabner,
Herrlicher, weit von der Erde, weit! Das ist er, Ihr Engel!
Aber wie tief erniedrigt er sich! zu diesem Tode
Und noch tiefer, zu mir! Zwar dies erforschet mein Geist nicht;
Aber er hat mich von Neuem erschaffen. Jetzt, da dem Tod ich
Unterliege, da schuf er mich neu. So sei denn auf ewig
Angebetet von mir, obwol ich Dich nicht begreife!
Du bist göttlich und mehr, mehr als der erste der Engel;
Denn ein Engel konnte mich so von Neuem nicht schaffen,
Konnte mir meine Seele zu Gott so hoch nicht erheben!
Göttlich, ja, das bist Du, und Dein, Dein bin ich auf ewig!«
Also dacht' er und sank in entzücktes Staunen. Wohin er
Blickt, vom Himmel herab, herauf von der liegenden Erde,
Lächelt ihm Alles. Auf ihn war Gottes Ruhe gekommen.
Und ein Wink des Versöhners beschied der Seraphim einen.
Dieser verließ mit Eile den Kreis, der um Golgatha glänzte,
Stand dann unten am Kreuze. Des göttlichen Winkes Befehl war:
»Seraph, bringe Du diesen Erlösten zu mir, wenn er todt ist!«
Und er eilte zurück und kam zu dem Kreise der Engel.
Abdiel war's, der Unüberwundne. Die Pforte der Hölle
Hütete jetzt auf Gottes Befehl ein Engel des Todes.
Schnell umgeben ihn Schaaren der anderen Engel und fragen;
Abdiel sprach: »Mit Entzückung empfing ich die hohen Befehle,
Jenen erlösten Sünder nach seinem Tode zum Mittler
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Hinzuführen. Dieser Gedanke durchströmt mich; je mehr ich
Ihn entfalte, je mehr werd' ich von Seligkeit trunken.
Einen geretteten Sünder, und selbst in den Stunden gerettet,
Da das Opfer für das Geschlecht der Sterblichen blutet,
Diese Seele, so rein nun, so hell in Blute gewaschen,
Diese dem Ewigen wiedergegebne, zu dem Versöhner
Hinzuführen. O, segnet zu dieser Wonne mich, Engel!«
Also verlor sich die Stimme des seliggepriesenen Seraphs.
Uriel aber, der Engel der Sonne, hatte schon lange,
Fortzueilen bereit, auf den Höhn der Gebirge gestanden.
Endlich war gekommen die Zeit, den Befehl, den er hatte,
Auszuführen. Er machte sich auf, er allein durch die Himmel.
Lichthell schwebt er empor, den Stern, zu welchem ihn Gott schickt,
Vor die Sonne zu führen, damit Dein Leben, Versöhner,
Unter fürchterlicheren Hüllen, als Hüllen der Nacht sind,
Blute. Schon stand hoch über des Sternes Wende der Seraph.
Diesen Stern umschweben die Seelen, eh die Geburt sie
Sendet in das große, doch sterbliche Leben der Prüfung.
Uriel blickt' auf die Seelen der künftigen Menschengeschlechte
Nieder und nannte den Stern bei seinem unsterblichen Namen.
»Adamida, der Dich in dieses Unendliche streute,
Sieh, er gebeut's! erheb aus Deinem Kreise Dich seitwärts
Gegen die Sonne! dann fleuch und werde der Sonne zur Hülle!«
Und die Himmlischen hörten umher die gebietende Stimme.
Da sie in den Gebirgen des Adamida verhallt war,
Wendet' herüberschauernd der Stern die donnernden Pole.
Und die stehende Schöpfung erscholl, da mit schreckendem Eilen
Adamida mit stürzenden Stürmen, rufenden Wolken,
Fallenden Bergen, gehobenem Meer, gesendet von Gott, flog.
Uriel stand auf der Wende des Sterns und hörte den Stern nicht;
So in Tiefsinn verloren betrachtet' er Golgatha. Donnernd
Eilte der fliegende Stern. Itzt war er in Deine Gebiete,
Sonne, gekommen; itzt naht' er sich Dir. Es erstaunten beim Anblick
Dieser neuen Sonne die sanften menschlichen Seelen
Und erhuben sich über des Sterns hocheilende Wolken.
Adamida erreicht die Sonne. Nun wandelt er. Langsam
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Tritt er vor ihr Antlitz und trinkt die äußersten Strahlen.
Aber die Erde ward still vor der sinkenden Dämmrung. Die Dämmrung
Wurde dunkler, stiller die Erde. Schatten mit bleichem
Schimmer, ängstliche trübe Schatten beströmten die Erde.
Stumm entflogen die Vögel des Himmels in tiefere Haine;
Bis zu dem Wurme verschlichen bestürzt die Thiere der Felder
Sich in die einsame Kluft. Die Lüfte rauschten nicht: todte
Stille herrschte. Der Mensch sah schwer aufathmend gen Himmel.
Jetzo wurd' es noch dunkler, und nun wie Nächte. Der Stern stand,
Hatte die Sonne verlöscht. In fürchterlich sichtbare Nächte
Lagen gehüllt die weiten Gefilde der Erd' und schwiegen.
Aber am hohen Kreuz hing Jesus Christus herunter
In die Nacht, und es rann mit des Duldenden Blute des Todes
Schweiß. Die Erde lag in ihrer Betäubung. Betäubter
Bleibet der Freund nicht am Grabe des frühentfliehenden Freundes
Oder, wer große Thaten versteht, an dem Marmor des edlen
Patrioten, der Tugenden nachließ. Starrer Geberde
Hängt er über der heiligen Trümmer und weint nicht. Auf einmal
Faßt ihn mit anderem Wüthen der Schmerz, erschüttert ihn. Also
Lag die Erde betäubt, so bebte sie auf. Der bewegte
Golgatha schauerte jetzo mit ihr bis zum obersten Kreuze.
Und des Geopferten Wunden ergießen das ewige Leben
Strömender, da das umnachtete Kreuz mit Golgatha's Höhn bebt.
Fürchterlich überschattet die Nacht den Hügel des Todes
Und den Tempel und Dich, Jerusalem. Selber die Engel
Sehn ihr reineres Licht wie in Abenddämmrung erblassen.
Und es strömte sein Blut. Nun stand das Volk vor Entsetzen
Eingewurzelt und sah mit wildem Blick zu dem Kreuz auf.
Furchtbar strömte das Blut der Versöhnung. Es kam nun, sein Blut kam
Ueber ihre Kinder und sie. Sie wollen ihr Antlitz
Wenden; allein stets richten's allmächtige Schrecken zum Kreuz hin.
Aber Uriel hatte noch einen Befehl zu vollenden.
Und er stieg von dem Pole des stehenden Adamida
Zu den Seelen herab. Die sahn den Himmlischen kommen.
Denn auch sie schon waren in Leiber menschlicher Bildung
Wie in luftige Düfte gehüllt, die der Abendschimmer
Röthet. Uriel sprach: »Ich führ' Euch, folgt mir; Ihr kennt uns,
Daß wir zu Euch von dem großen Unendlichen kommen. Er sendet
Euch zu jener Erde, die Euer Schatten verhüllt hat.
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Sieh, Ihr werdet ihn sehn! Sein großer, göttlicher Name
Heißet: Des Ewigen Sohn! Allein vor Eurem Gesicht hängt
Diese Nacht, Ihr kennt ihn noch nicht. Doch wird in der Ferne
Eine Dämmerung himmlischer Wonne vor Euch sich eröffnen.
Kommt, Glückselige, kommt, zu dieser Wonne Geschaffne!
Schaut die Himmel umher, mit welchem Staunen sie feiren!
Aller Kniee beugen sich Dir! Dir sinken die Kronen
Alle! Dir schufest Du, Dir versöhnst Du die ewigen Seelen!«
Und nun flog er den führenden Flug. Ihn umgaben die Seelen.
Wie wenn ein Weiser in Tiefsinn und seiner Unsterblichkeit werther,
Von den Uneinsamen fern, mit des Mondes Düften zum Walde
Wandelt und nun, geführt an der Hand der frommen Entzückung,
Dich, Unendlicher, denkt; wie ihm dann zu tausenden neue,
Bessere, große Gedanken die glühende Stirne voll Wonne
Schnell umschweben: so eilet, umringt von den Seelen, der Seraph.
Diese näherten sich der liegenden Erde. Die Väter
Sahn die zahllose Schaar in hohen, dämmernden Wolken
Kommen, ein feirlicher Zug von den Erstgebornen der Schöpfung,
Denkende Wesen, verehrungswürdige Kinder des Lebens,
Tausendmal tausend Schaaren Unsterblicher. Freudig, mit Wehmuth,
Jetzt das erste Mal, wandte vom Kreuz die Mutter der Menschen
Ihr aufschauendes Antlitz. Es kamen die Kinder, sie kamen!
All' ungeborne Jahrhunderte kamen! Die liebende Mutter
Stützt auf die bebende Linke sich, zeigt mit der Rechte der Menschen
Vater die Kinder, die Christen, und ruft; doch heftet ans Kreuz sich
Wieder ihr Blick, ans blutige Kreuz, da sie red'te: »Sie sind es,
Vater meiner Unsterblichen, sieh, die Kinder, sie sind es!
Welche Namen nennen Dich aus, Du, der für sie blutet!
Welch Hosianna vermag den Wundenvollen zu singen!
Wäret Ihr schon, Ihr Kinder des Heils, Ihr Christen, geboren!
Führten Euch tausend und tausend und wieder tausend entzückte
Weinende Mütter zum Kreuz! und kenntet Ihr schon der Gebornen
Heiligsten, ihn, der zu Bethlem die frühe Menschlichkeit weinte!
Doch sie werden ihn kennen, sie werden, Adam, den Mittler
Unseres Bundes, den liebenden Sohn, den Göttlichen kennen!
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Ach, wie in Sturm gebrochen, die Purpurblume dahinsinkt,
Also werden von Euch die Geliebteren vor der Erwürger
Schwerte sinken und, wenn sie sinken, dem Tode noch lächeln.
Eure Mutter segnet Euch zu! Ihr seid die erkornen
Höheren Zeugen des größten der Todten! Der sinkenden Wange
Blässe, der brechende Blick strahlt himmlisch herüber! sie schimmern,
Eure Wunden! Ihr röchelt, Märtyrer, Lieder der Wonne!«
Aber der Mittler erhub sein Aug' und sahe die Seelen.
Mit dem Blicke zerrann auf jedes Himmlischen Wange
Eine Thräne des ewigen Lebens. Denn Jesus Christus
Schaute mit einem Blicke der gottversöhnenden Liebe,
Jener, mit welcher er bis zum Tod an dem Kreuze jetzt liebte,
Zu den Seelen empor. Die Seelen schauerten Wonne.
Auf die Wange des Sterbenden kam noch die Farbe des Lebens
Schnell wie Winke zurück, geschwinder als Winke zu fliehen.
Aber itzt kam sie nicht mehr. Die todesvollere Wange
Senkte sich sichtbar. Sein Haupt, von dem Weltgerichte belastet,
Hing zum Herzen. Er hub's arbeitend empor gen Himmel;
Aber es sank zu dem Herzen zurück. Der hangende Himmel
Wölbt sich um Golgatha, wie um Verwesungen Todtengewölbe,
Graunvoll, fürchterlich, stumm. Der Wolken nächtlichste schwebte
Ueber dem Kreuz, hing weitverbreitet herab, an der Wolke
Feirliche Todesstille, die selbst den Unsterblichen Graun war.
Ein Gedanke, so war sie nicht mehr. Von keinem gelindern
Schalle nicht angekündet, zerriß ein Getöse, das aufstieg,
Laut die Erde; da bebte der Todten Gebein, da bebte
Bis zu der Zinne der Tempel. Das war ein Bote des Sturmwinds.
Und der Sturmwind kam und braust' in den Cedern, die Cedern
Stürzten dahin; er braust' auf der stolzen Jerusalem Thürme,
Und sie zitterten ihm. Der war ein Bote des Donners.
Fürchterlich schlug in das Meer des Todes der Schlag, und die Wasser
Fuhren schäumend empor, und die Erd' und der Himmel erschollen.
Als Eloa das sah, da hatt' er den großen Gedanken;
Hatt' ihn nicht nur, er schuf ihn zu That. Von Antlitz zu Antlitz
Wollt' er Den, der Gericht hielt, sehn, Jehovah im Dunkeln,
In der furchtbaren Herrlichkeit, Gott. Er betete dreimal
Gegen Dich, Geopferter, an und erhob sich gen Himmel.
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Jetzo naht' er den Sonnen und kannte den himmlischen Weg kaum,
So durchströmet' ihn Trübes wie Dämmerung. Sieben Sonnen
Vom Eingange begegneten ihm zween Engel des Todes
Mit verhülltem Gesicht. Er schwebt' erstaunend vorüber.
Aber mit starrem Fuße stand auf der Erde die Stille
Wieder. Es schaute von Neuem das Menschengeschlecht, Gestorbne,
Ungeborene, Sterbliche, sprachlos auf den Versöhner.
Aber die erste Gebärerin blickt' am Wehmuthsvollsten
Auf den Sohn, den Versöhner, der sichtbar den langsamen Tod starb.
Wenn von dem Anschauen ihr Aug' in trübender Wehmuth
Dunkel nun ward, ihr Blick mit Dämmrungen kämpfte, so sank er
Nieder dann auf Eine der Sterblichen, Eine vor Allen,
Die mit hangendem Haupt, auf wankenden Füßen, mit bangem
Jammerbleichen Gesicht, mit niederstarrendem Auge,
Leer der Thränen – noch wurd' ihr nicht die lindernde Thräne –
Unbeweglich und stumm – der Tod verstummt so – am Kreuze
Stand. »Sie ist es, sie ist des großen Geborenen Mutter!«
Dachte schnell die erste der Mütter. »Mir sagt's Dein Jammer!
Siehe, Du bist Maria! Das fühlet' ich, als am Altar lag
Abel im Blut! Das fühlest Du! bist des Sterbenden Mutter!«
Also hing sie mit liebendem Blick an Maria. Sie hätt' ihn
Noch von der Dulderin nicht, der theuren Tochter, gewendet,
Wären vom Aufgang her mit ernstem feirlichen Fluge
Nicht zween Todesengel gekommen. Sie kamen, schwiegen,
Schwebten langsam. Ihr Blick war Flamme, Verderben ihr Antlitz,
Nacht ihr Gewand. So schwebten sie langsam gegen des Kreuzes
Hügel her. Sie hatte vom Thron der Richter gesendet.
Fürchterlich kamen sie näher zum Kreuz herüber. Da sanken
Tiefer zur Erd' hinab der Väter Seelen. So ferne
Sich ein Unsterblicher kann in Gedanken vom Grabe verlieren,
Nahten sie sich der Sterblichkeit Grenzen, und Bilder des Todes
Strömten um sie, das Graun der erdebegrabnen Verwesung
Um die Unsterblichen! Da die Todesengel am Hügel
Standen und nun von Antlitz zu Antlitz den Sterbenden sahen,
Wandten sie, Der zu der Rechten und Der zu der Linken erhoben,
Jeder den tönenden Flug, und ernst und todweissagend
Flogen sie siebenmal so um das Kreuz. Zween Flügel bedeckten
Ihren Fuß, zween bebende Flügel das Antlitz, mit zweenen
Flogen sie. Von diesen, indem sie sich breiteten, rauschte
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Todeston. So ertönt's dem Menschenfreunde vom Schlachtfeld,
Wenn zu Tausenden schon in ihrem Blut die Erschlagnen
Liegen. Er flieht gewendet; indem verröchelt noch Einer,
Dann noch Einer, und nun der einsame Letzte sein Leben.
Schrecken Gottes lagen auf ihren Flügeln verbreitet,
Schrecken Gottes rauschten herab, da die Furchtbaren flogen.
Und sie flogen das siebente Mal. Der Sterbende richtet
Müde sein Haupt auf, blickt den Todesengeln ins Antlitz,
Blickt gen Himmel, dann ruft mit unhörbarer Stimm' aus der Tiefe
Seine Seele: »Laß ab, den Wundenvollen zu schrecken!
Ihrer Flügel Schlag und diesen Ton des Entsetzens
Kenn' ich! laß ab, Weltrichter!« Er ruft's und blutet. Jetzt wandten
Ihren wehenden Flug die Todesengel gen Himmel,
Ließen trübere Wehmuth den Schauenden, bangeren Tiefsinn,
Stummer Erstaunen zurück, Erstaunen über die Gottheit;
Denn es hing die Hülle des Ewigen vor dem Geheimniß
Unbeweglich. Mit starrendem Blick, auf die Gräber gerichtet,
Auf einander, gen Himmel, doch immer wieder zu Dem hin,
Welcher in seinem Blut von dem Kreuz herab in die Nacht hing,
Standen die Schauenden. So unzählbar sie standen, so war doch
Unter allen Augen voll Wehmuth kein Auge, wie Deins war,
Kein Unsterblicher so in heiße Schmerzen zerflossen
Als Du, Mutter des Menschengeschlechts, der Todten Mutter!
Siehe, sie senkt ihr entschimmertes Haupt zu der Erde, dem Grabe
Ihrer Kinder, und breitet die hohen Arme gen Himmel.
Nun berührt der Traurenden Stirne den Staub, nun falten
Vor der umnachteten Stirn die gerungnen Hände sich bang zu.
Halb erhebt sie sich, sinket wieder, erhebet sich, blicket
Starr umher. Es dämmert um sie. Sie ist bei Gebeinen,
Irgendwo unter Todtengebeinen; zwar drüben am Grabe,
Aber am Grabe doch! Endlich begann die gebrochnere Stimme,
Und der Unsterblichen Harmonieen zerflossen in Seufzer.
»Darf ich Sohn Dich nennen, noch Sohn Dich nennen? O, wende,
Wende nicht weg Dein Auge, das bricht! Du vergabst mir, Versöhner,
Mein Versöhner und der Gebornen! Die Himmel erschollen,
Und der Thron des Ewigen klang von der Stimme der Liebe,
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Die der Verbrecherin Leben gebot, unsterbliches Leben.
Aber Du stirbst! jetzt stirbst Du! Zwar ist es ewige Gnade,
Die mich lossprach; aber Du stirbst! Er dringt wie ein Wetter
Gegen mich an, der Gedanke voll Nacht! die Unsterblichkeit stürzt er
Auf die Gräber zurück! Laß Dir mich, Göttlicher, weinen!
Zwar bist Du für Thränen zu groß; doch laß mich Dir weinen!
Sieh ich durste nach Ruh! vergieb, vergieb auch die Thränen,
Du Versöhner, Du Opfer, des Todes Opfer, mein Mittler,
Wundenvoller, Geliebter, o Du, Geliebter, Du Liebe,
Du verzeihest! Verzeihet Ihr auch, zu dem Tode Geborne,
Ihr, die Eva gebar? Wenn mir ihr Röcheln, ihr letzter
Starrender Blick mir flucht, so segne Du mich, Erwürgter!
Fluchet der Todten nicht, Kinder! Um Euch durchweint' ich mein Leben;
Da mein Herz brach, weint' ich um Euch, und Thränen verwesten
Mit der Verwesenden! Bricht nun Euer Herz auch, Kinder,
Nun im Tode, so strömt aus seinen Wunden Euch Labsal,
Wonne des besseren Lebens Euch zu! Ihr sterbt nicht, Ihr schlummert
Nur zu dem Gottversöhner hinauf! Dann glänzen die Wunden,
Die jetzt bluten, die Wunden des Unerschaffnen, der todt war.
Fluchet der Mutter nicht, Kinder! Ihr seid unsterblich, und er ist,
Jesus Christus ist auch mein Sohn! Ach aber, Geliebter,
Du, der Geliebten Geliebtester, Du – doch Dich nennet kein Nam' aus –
Siehe, Du stirbst! O, wär' die trübe, die bebende Stunde,
Wär' sie mit Flügeln des Lichts vorübergeflogen! Gedanke,
Grabgedanke, laß ab! Noch wird sie bleicher, noch sinket
Seine todte Wange! Die Wunden, noch schauern sie Blut aus!
Ach, sein göttliches Haupt, jetzt sank's noch tiefer herunter
In die Nacht! Dies Athmen, o Tod, ist Deine Stimme!
Ja, so röchelst Du, Tod! es ist Deine Stimme! Wo bin ich?
Aber er wendet sein Antlitz auf mich! Der Seraphim Jubel
Sing' es, daß er sein Angesicht wandte! Die Pforten der Himmel
Hallen es nach, daß der Gottversöhner noch einmal sein Antlitz
Auf die Mutter der Sterblichen wandte! Des ewigen Lebens
Ruh umschattet mich wieder. Ich hebe zum Schöpfer mein Aug' auf,
Strecke die heißgefalteten Hände zu Dem, der erwürgt wird,
Meine Kinder, und segn' Euch! In seinem Namen (ihn schließen
Himmel nicht ein; vor ihm hat das Unermeßliche Grenzen),
In des Heiligen Namen, des Wiederbringers der Unschuld,
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In des Todtenerweckers, im Namen des Richters der Welten,
In des Sterbenden Namen, der zählt der Leidenden Thränen,
Und durch seinen blutigen Schweiß in Gethsemane, durch die
Vollen Wunden, dies Blut, das aus diesen Wunden herabquillt,
Durch dies hangende Haupt, die müden Augen voll Jammer,
Diese Stirne der Angst, die Todesmiene, dies Schauern,
Durch sein Rufen zum Richter, segn' ich Euch, Kinder, zum Tod ein!«

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TextGrid Repository (2012). Klopstock, Friedrich Gottlieb. Gedichte. Der Messias. Zweiter Theil. Achter Gesang. Achter Gesang. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B2F8-E