[134] [138]Ewald Christian von Kleist
Cißides und Paches
in drey Gesängen
vom Verfasser des Frühlings
Cißides und Paches

[138] Vorrede

Ich bilde mir nicht ein, durch dieß Gedicht die Welt mit einem Heldengedicht zu bereichern. Meine Absicht war, einen kleinen kriegerischen Roman aufzusetzen; und nach dieser Absicht wird mich der Leser beurtheilen. Den Abschnitt des Verses habe ich nicht immer an dieselbe Stelle gesetzt, weil ich besorgte, durch den beständigen Gleichlaut den Leser zu ermüden. Sollte ich aber Übelklang durch die genommene Freyheit verursacht haben: so bitte ich das Gedicht wie Prose zu lesen.

Der Verfasser.

Erster Gesang

Die beyden Freunde, die voll Edelmuth
Sich gegen ein gewaltig Heer Athens,
Mit kleiner Macht, beherzt vertheidigten,
Besing ich. Muse sey dem Vorsatz hold!
Begeistre mich, auf daß der ehrne Klang
Des Kriegs, aus iedem Ton erschall! Auf daß
Mein Lied der großen That nicht unwerth sey!
Kaum starb der griechsche Held, für dessen Muth
Der Orient erbebt, als sich Athen
Erkühnete, gereitzt durch Eigennutz,
Vom Macedonschen Reich, Thessalien
Zu sich zu reißen, und ein furchtbar Heer
Versammelt' und es dem Leosthenes
[139]
Vertraute. Wie ein Strom, im frühen Lentz,
Von Regengüssen und geschmoltznem Schnee
Geschwollen, rauscht, und aus den Ufern dringt,
Die Flur zum Meere macht und Wohnungen
Des Landmanns, Bäum und Stein fortrollt und tobt,
Daß Fels und Wald erschrickt und drüber klagt;
So rauscht die wilde Schaar Athens daher,
Verheert und überschwemmt Thessalien.
Antipater 1 zog sich mit seiner Macht
Aus Lamia 2 zurück, dem kühnen Feind
Im freyen Feld die Stirn zu biethen. Nur
Blieb Cißides als Haupt von wenig Volck
In einem festen Schloß bey Lamia;
Und Paches gab darinn nach ihm Befehl,
Den gleiche Tugend ihm zum Freund gemacht.
»Ihr Macedonier!« Sprach Cißides
Zur kleinen Schaar, die um die Mau'r bereits
Den fernen Feind mit Blicken tödtete,
»Ihr Macedonier! Zeigt ietzt, daß ihr
Verdienetet von Alexandern einst
Gebothe zu empfahn. Sein Heldengeist
Sieht vom Olymp auf alles, was ihr thut.
Den, der fürs Vaterland den Tod nicht scheut
Erwartet sein Olymp und ewger Ruhm,
Wie ewge Schande den, dem Muth gebricht.
Die Menge nicht, nur Muth macht Heere starck,
Und nur durch ihn bezwangt ihr sonst die Welt.
Athen ist nicht die Welt. Es wird, es wird
Sich neigen für Antipater und uns!
Durch uns geschwächt erliegt Leosthenes,
Und durch Verlust von seinem halben Heer
Erkauf er unser Schloß! Erinnert euch,
O Macedonier! stets wer ihr seyd!
[140]
Und fechtet noch, auf Knien, wenn ihr fallt!«
So sagt er; Und ein laut Gemurmel, wie
Vor nahem Sturm im regen Meer entsteht,
Durchlief die Schaar. Ein Krieger, der mit Blut
Den Ganges färben half, dem edler Stoltz
Im ofnen Angesicht voll Narben saß,
Erhub die Stimm und sprach zum Cißides:
»Mißtrauen hat das Heer, das dir gehorcht,«
Noch nie verdient, und doch zeigt was du sagst
Mißtraun und Sorgen an. Derselbe Geist
Der Tapferkeit beseelt uns noch, der uns
In Asien beseelte. Jeder denckt
In Nächten, die, für Ehrbegierd erhitzt,
Er oft durchwacht, an nichts als seine Pflicht,
Und seinen künftgen Ruhm. Sein Leben hat
Ein jeder gegens Wohl des Vaterlands
Und gegen seinen Ruhm verrechnet. Wird
Von Helden was geredt; horcht jeder auf,
Und glaubt es geh ihn an. Mehr Zuversicht!
Mehr Zuversicht zu uns, o Cißides!
Von Schande sprich uns nicht, und Feigheit nicht!
Bis auf den letzten Mann wird sich dein Volck
Vertheidigen; und hat die Schickung mich
Zum letzten ausersehn, so fecht ich noch,
Bis mit dem Blut das Leben von mir fließt.
Der Feldherr sprach: O Freunde! nie hat mich
Ein Schatten von Mißtrauen gegen euch
Und euren Muth, gequält, und ich bin stoltz,
Daß solch ein Heer mir anvertrauet ist.
Ehr und Unsterblichkeit ist unser Theil;
Denn unsre Thaten wird einst das Gerücht
Auf ewgen Fittigen von einen Pol
Zum andern tragen, und es wird einmal
Gestirn nach uns benannt, und unser Ruhm
Wird funckeln ewiglich am Horizont.«
[141]
Wenn, vom Orcan gepeitscht, des Meeres Fluth,
Die mit den sinckenden Gewölcken sich,
Hoch in der finstern Luft, zu mischen schien,
Gleich Berg und Felsen im Erdbeben, fällt,
Und wieder steigt und fällt, daß alles heult,
Und alles Donner wird, und schnell Neptun
Den mächtigen Trident mit starckem Arm
Aus Wasserbergen hebt; wie dann der Sturm
Verstummt, die Flügel nicht mehr regt, und Meer
Und Himmel ruhig wird, daß Phöbus lacht,
Und jeder Strahl von ihm im Meere blitzt:
So legte sich der Schaar Unwille schnell
Nachdem der Feldherr dieß zu ihr gesagt,
Und Hofnung flößte Lust den Tapfern ein.
Indessen nahte sich der kühne Feind,
Und Mann und Roß trat aus dem Staub hervor. 3
Ein unabsehlich Heer, das Bogen, Pfeil
Und lange Spieße, Schild', und Schwerdter trug,
Zog einen Kreis ums Schloß im wilden Lerm.
Und eine weiße Stadt von Zeltern, stieg
Schnell aus der Erd. Im Meere sehen so
Beym Mondenschein die lichten Wellen aus –
Mit Pfeilen und Ballisten 4 war der Feind
Nicht zu erreichen, drum faßt Cißides
[142]
Kühn den Entschluß, ihn in der nahen Nacht
Zu überfallen, und den Schlaf in Todt
Ihm zu verwandeln. Bald sank sie herab
Vom Himmel, diese Nacht. Und Paches nahm
Zweyhundert Krieger aus der dunkeln Burg
Und überfiel in Eil den müden Feind,
Den gleichsam Schlaf von Bley belästigte.
Wie ein gewaltger Sturm den Hayn ergreift
Auf Eichen Eichen stürzt, und eine Bahn
Sich durch die Wohnung der Dryaden macht;
So machte Paches auch sich eine Bahn
Durchs Feindes Lager, würgt und tödtete
Erst die entschlafne Wacht, dann eilt er fort,
Und tränkte Schwerdt und Spieß mit vielem Blut,
Und machte jedes Zelt zur Todtengruft,
Bis, durch der Sterbenden Geschrey erweckt,
Das weite Lager zu den Waffen griff.
Schnell zündet' er die öden Zelter an.
Das Feuer lief durch ihre Reihn – Und schnell
Lief jedermann nach seinem leichten Haus,
Entweder es zu löschen, oder auch
Es einzureißen, wenns vom Feur noch nicht
Ergriffen war. Indessen zog, vergnügt
Und unverfolgt, sich Paches in die Burg,
Und sah draus, selbst erstaunt, am Morgen, was
Sein Schwerdt und die Gewalt des Feuers verübt.
Leosthenes ergrimmt. Im Lager kam
Kaum der Ballisten Last beschwerlich an,
Und Katapulte 5, Thürm 6 und was die Wuth
[143]
Zum Untergang der Menschen ausgedacht;
Als er dem Schlosse sich in Gräben 7, und
Verdecken 8 näherte. Nichts wird versäumt
Was fähig war, es mit Gefahr und Todt
Zu füllen. Eisen fiel wie Regen drein.
Der Felsenstücke Last, von dem Ballist
Geschleudert, sauset', (und durchkreuzte sich,
Irrsternen gleich, im Raum der finstern Luft)
Und jeden, den sie traf, begrub sie tief.
Und vom Geschrey der Stürmenden erklang
Des Himmels Bühne weit, wie sie erklingt
Vom tausendstimmigen Sturmwinde, wie
Der Wald in Lybien ertönt, wenn Löw
Und Tyger, und manch wütend Thier ins Netz
Der schreynden Jäger fällt, und heult und brüllt;
Der Widerhall brüllt von den Felsen auch,
Und jede Höle brüllt. – Doch Cißides
Blieb ruhig und ward nicht betäubt vom Lerm,
Und überschüttet' auch mit Todt den Feind.
Gleichsam ein Wolkenbruch von Steinen fiel
Aufs Heer Athens. Der mächtge Katapult
Durchbohrte Brustwehr und den Feind zugleich
Mit langen Pfeilen, wie des Blitzes Strahl,
Und Spießen. Eine Erndt Erschlagener
Lag auf dem Felde weit verbreitet. Selbst
Des Feindes Widder, die den Grund der Mau'r
Erschütterten, (wie Harz und Schwefel, in
Der Erd entbrannt, die Felsen beben macht,
Und spaltet) und die Mauerbohre, Thürm,
[144]
Sammt der gewaltigen Phalangen 9 Wuth,
Auch Schaaren, die gehoben in die Luft
Durch Hebel, auf Gerüsten 10 stürmeten,
Erschreckten nicht die Macedonier.
Das Ungewitter, das vom Schlosse fiel,
Zerschlug, und schleuderte zum Grund den Feind.
So schlug die wüthenden Giganten Zevs,
Als sie den Himmel zu bekriegen, Berg
Auf Berg gethürmt. Sein Blitz warf sie herab,
Verbrannt und blutig lag die tolle Schaar
Umher, und maß der Berge Höh verkehrt. – –
Doch blieb auch mancher Held des Cißides;
Die Todten lagen in der Burg, gehäuft,
Wie Halmen, die die Sichel hat gefällt.
Den tapfern Parmeo 11 durchbort ein Pfeil;
Simotes auch. Dem Zelon, der allein
Ein Heer an Muth und Geiste war, zerschlug
Ein Felsstück beide Bein'. Er lebte lang'
Ein grausam Leben, und verbiß den Schmerz
Voll Großmuth. Endlich fand sein Bruder ihn
Im Kampf mit Schmerz und Todt, und schlug, erblaßt,
Die Hände über sich zusammen. Selbst
Dem Tode für Entsetzen nah, verband
Er den Geliebtesten. Ein Thränenbach
Floß ihm vom Aug. – – Ach Bruder, endige
»Mein Leben! Endig' es, o du, um den
Es mir allein gefiel, sprach Zelon. Nimm
Mein unnütz Gold von mir, das du, und nicht
Der Feind verdient – Allein der Bruder weint,«
Und gieng davon. Verlässest du mich auch?
Rief Zelon, »Gönnst du mir langsamen Todt?«
»Sonst treuster Freund, gönnst du mir, daß ich noch
[145]
Den Schmerzen und der Schwachheit unterlieg'
Und winsel' und nicht sterbe wie ein Held?
Grausamer geh! und rühme dich nur nie,
Daß du mein Bruder warst! – Der Bruder kehrt«
Zurück, umarmet den Verwundeten,
Auf dessen Lippen mit den seinigen
Er lang' erstarret lag, indessen daß
Mit Schmerzen und mit Jammer Zelon rang.
Zuletzt setzt er den Bogen auf die Brust
Dem Flehenden, mit weggewandtem Blick.
Mitleidig fuhr der Pfeil ihm durch das Herz,
Und endigt' ihm die Qvaal. Und jammernd floh
Der edle Mörder, der freundschaftliche,
Zur Maur, um auch den Todt fürs Vaterland
Dem Bruder gleich zu sterben, aber ließ,
Zu groß zum Eigennutz, der Leich ihr Gold.

Ende des ersten Gesangs

Fußnoten

1 Alexanders General.

2 Die Hauptstadt in Thessalien.

3 Dieser Gedancke des Herrn Bodmers ist in dem Neologischen Wörterbuche gemißhandelt worden. Aber eben deßwegen bediene ich mich desselben, weil man ihn gemißhandelt hat, und weil er schön ist.

4 Maschinen mit denen man Steine warf. S. Lipsii Poliorceti κων lib. III. Dial. 3.

5 Maschinen, mit denen man Eisenpfeile, Spieße, und dergleichen warf.

6 Bewegliche Thürme, welche die Alten oben mit Volk besetzten, und sie gegen die besetzten Thürme der Mauern gebrauchten. Siehe den Polybius.

7 Die Alten machten Laufgräben, die den unsrigen sehr ähnlich waren. Siehe St. Genie, Art milit. pratique, Tom. I. pag. 82.

8 Eine Art beweglicher Hütten deren flache aber starke Dächer die Belagerer vor den Steinen sicherten, und bey den Römern Musculi, Crates, Vineae etc. hießen. S. Lipsii Poliorc. Lib. I. Dial. 9.

9 Φαλαγξ, Συνασπισμος oder wie es die Römer nennten, Testudo militaris. Geschlossene Colonnen legten ihre Schilde über die Häupter. Andere Colonnen stiegen auf dieses Dach von Schilden, und von da über die Mauer.

10 Dergleichen die Tollenones der Römer waren.

11 Die hier genannten Macedonier waren alte Officiers des Alexanders.

Zweyter Gesang

Leosthenes sah, daß die Burg mit Sturm
Schwer zu erobern war; Er gab demnach
Befehl, sie in den Brand zu stecken. Schnell
Warf der Ballist, statt Steinen, eine Saat
Von Klumpen griechschen Feurs 1. – Wie, wenn Vesuv
Sein brennend Eingeweid hoch durch die Luft
Umher speyt, mit erschrecklichem Geräusch
Der Feuerregen in ein Feuermeer
Im Thal zusammenfließt, und weit das Feld
Mit laufenden und rothen Wellen deckt,
Daß sich das Wasser in den Seeen scheut
[146]
Und vor dem Lande flieht, daß Felß und Meer,
Erschrickt und jammert: So floß in der Burg
Der Feuerregen in ein Feuermeer
Zusammen; Todt und Schrecken schwamm darauf.
Bald donnert' in des Schlosses Innerem
Die Flamme wie im Bauch der Höll', und fuhr
Zu allen Fenstern und zum Dach heraus
In Strudeln. Und der ganze Bau ward Gluth,
Fiel in einander, wie ein Fels, von Blitz
Gespalten, fällt. Die Erde zitterte;
Des Himmels weiter Raum erscholl umher. –
Zu löschen war umsonst. Auch drang der Feind
Stets wüthender heran, und dacht einmal
Den macedonschen Muth zu schwächen. – Doch
Er schwächt' ihn nicht, und Cißides blieb stets
Derselbe; Paches auch. Sie breiteten
Nacht übers Volk Athens, mit Pfeilen, aus,
Ermunterten ihr Heer, und wo Gefahr
Groß war, da waren sie. Begegneten
Sie sich, so sahen sie vergnügt sich an.
Schwieg gleich der Mund, so sprach ihr Auge viel,
Und sagt: Unsterblichkeit ist unser Theil! –
Doch auch die Freundschaft sah zum Blick heraus,
Und es blieb ungewiß, ob Heldenmuth
Die Freunde mehr beherrscht', als Zärtlichkeit.
Sie drückten sich die Händ', und eilten dann
Wohin sie Ehre trieb, und wo der Tod
In Feur und Stein, und Pfeilen sausete. –
Gleich unerschrocken blieb ihr kleines Heer.
Sah jemand seinen Freund getödtet: floß,
Vom trüben Aug ihm eine Thränenfluth;
Doch schickt er Pfeil auf Pfeil dem Feinde zu. –
Zuletzt befiel den von dem Streit, vom Brand
Und Noth an Ruh, erhitzten Cißides
Ein heftger Durst. Er kämpfte lange schon
Mit Angst und Ohnmacht, weil Getränk gebrach.
[147]
(Des Schlosses Brunnen war verschüttet von
Ruinen. –) Ach ich sterbe! sagt' er schwach
Zum Paches; schon seh ich den Himmel schwarz;
Durst ist mein Tod und nicht Leosthenes. –
Sein Freund erblaßte mehr für Angst als er,
Und eilte fort, und schöpft in seinen Helm
Von eben nur Erschlagnen, Blut, und brachts
Dem Cißides, und sagte: Trink! Er trank
Und seufzte schaudernd: Ach! ihr Götter! ach!
Wozu bringt ihr die schwachen Sterblichen! –
Allein er ward erquickt, und Heiterkeit
Kam ihm ins Antlitz. Nach dem Thau der Nacht
Erheben Blumen so (die schon die Au
Besäen wollten mit der Blätter Schmuck,
Gedruckt vom Sonnenstrahl des vorgen Tags)
Voll Pracht ihr hangend Haupt, und glänzen, wie
Der helle Morgenstern, der auf sie sieht. –
Er ward erquickt der tapfre Cißides,
Und eilte zu der Maur, wo alles noch
Mit Löwenmuthe stritt', ob gleich die Zahl
Der Todten seines Volks schon größer war,
Als der noch Lebenden. Er kam nicht hin!
Ein Pfeil flog über die zerfallne Burg,
Und fuhr dem Helden – Ach erschreckliche
Erinnrung! Müssen auch des Todes Raub
Diejengen seyn, die zu der Erde Glück,
Zu leben ewiglich verdieneten! –
Fuhr in den Rücken ihm und durch die Brust.
Er fiel aufs Angesicht. Gefühllos lag
Er lange so. – Erhohlte sich dennoch,
Und wollte sich erheben, aber Kraft
Gebrach ihm. – Paches kam, und fand den Freund
Im Blute schwimmend. Ach, wer kann den Schmerz
Des Redlichen beschreiben! Ohne sich
Zu regen stand er. – So erstarrt die Fluth
Im Winter, wenn der rauhe Nordwind stürmt;
Sein Athem rührt sie an, und sie ist Stein.
[148]
Ach, sagte Cißides, zieh doch den Pfeil
Mir aus dem Rücken, Freund, und kehr mich um!
Der Tod fürs Vaterland wird mir nicht schwer;
Die Art des Todes nur wird mirs. Wer so
Mich findet, kann vermuthen, als hätt ich
Die Brust dem Feinde nicht gezeigt. Laß nicht
Mit Schande mich mein Leben endigen,
Da stets mein Wunsch nur Ehr und Tugend war!
Und Paches zog den Pfeil 2 zur Wund' heraus
(Blut stürzt dem Eisen nach, wie Wasser aus
Der Quell') umarmet' und erhub den Freund
Mit Thränen in dem Aug, und kehrt ihn um.
Hab Dank! – – Leb ewig wohl! – – sprach Cißides,
Freund! – – und verschied. Von tausend Sterbenden
Die Quaal zusammen, ist kein Theil der Quaal,
Die Paches fühlt'. Er glaubt nur halb zu seyn,
Wehklagte laut und irrte wild umher,
Wie eine Löwin in der Wüste, wenn
Man ihr die Jungen raubt. Das Heer erschrack,
Und klagte mit. Der Feind erfuhr den Schmerz
Desselben, durch Ballist und Katapult.
Von Neuerschlagnen raucht umher das Feld,
Blut und Gehirn und Leichen deckten es.

Ende des zweyten Gesangs.

Fußnoten

1 Le feu gregeois, ce feu inextinguible dont le Secret s'est perdu depuis bien des siecles, etoit composé de souffre, de bitume, de gomme, de poix & de resine, qui bruloit jusques dans l'eau. On le nomme gregeois du nom de Grecs qui s'en sont servi les premieres. Ray de St. Genie, Art de la guerre pratique. T.I.p. 97.

2 Die Alten hatten vielerley Arten Pfeile, und einige davon waren mit keinen Wiederhacken versehen. Die es nicht waren, konnten also leicht aus einer Wunde gezogen werden. Siehe den Lipsius.

Dritter Gesang

Nachdem der Feind den Cißides nicht mehr
Erblickte, der, durch einen Federbusch
Am Helm, erkenntlich war, vermuthet er
Den Tod desselben, und dacht im Triumph
Bald in das Schloß zu steigen, wenn ers jetzt
[149]
Aufbiethen ließ'. Ein Herold ward dazu
Befehliget. Sein Roß war stolz, wie er;
Es schien die Erde zu verachten, kaum
Berührt es sie mit leichten Füssen, schnob
Und wieherte zu der Trompete Klang
Und foderte zum Kampf heraus, wie er.
»Euch wenigen, sagt er, indem er sich«
Der Mauer naht, »euch wenigen, die noch
»Die Macht der Waffen des Leosthenes
Bisher verschonet hat, euch biethet er
Das Leben an, und seine Gnad', im Fall
Ihr euch an ihn ergebt. Verwegenheit
Ist euer vermeinter Muth. – Seht um euch! seht,
Was für ein zahlreich Volk euch noch umschließt!
Seht, seine Spieß' erheben sich umher,
Wie Ähren auf dem Feld'! Und Tapferkeit
Wird in den Busen sie euch tauchen, wenn
Ihr länger kämpft. Laßt eure Wuth einmal
Gehorchen der Vernunft, und übergebt
Die Maur der öden Burg dem Heere, das
Voll Langmuth euch bewundert und nicht scheut.
Wählt seine Huld, wo nicht, so wählt den Tod!
Wir haben längst gewählt, sprach Paches. (Ernst
Und Majestät sah aus dem Angesicht
Des Helden.) Tod ist unser Wunsch und Glück,
Wenn wir dadurch des Vaterlandes Wohl
Erkaufen können. Und wir werden es
Gewiß dadurch erkaufen! Schande trift
Den niedern Stolz und Geitz Athens gewiß!
Warum bekriegtet ihr uns ehmals nicht,
Als Alexander uns beherrschte? Glaubt
Ihr, unser Muth sey mit ihm eingescharrt?
Und wenn ihr dieses glaubt; ists edel, daß
Ihr Schwachheit überfallt? – Allein! allein!
Noch lebt des Helden Geist in seinem Heer,
[150]
Und eure Scheitel wird es fühlen. – Auch
Raubt uns der Tod des Cißides nicht Muth;
Mit ihm liegt unsre Lust, nicht Tapferkeit.
Nicht euch, nicht Tod, nur Schande fürchten wir.«
Der Herold brachte dem Leosthenes
Die Antwort kaum; als alles um die Burg
Zum Angrif sich bereitete. Wenn Sturm
Aus Äols Höle fällt, wie Wasser aus
Der Schleus', und drückt den Wald, dann neigen sich
Die starken Wipfel zu der Erd herab;
Tumult herrscht überall, und jeder Zweig
Vermehret das Geräusch; der Klüfte Schlund
Brüllt dumpfigt; tauber Lerm erfüllet weit
Des Himmels Raum, drinn Wolke Wolke jagt:
So auch erwacht im ganzen Heer Athens
Schnell Aufruhr. Thurm, Ballist und Katapult
Und Hebel, Bohr und alles regte sich,
Und nahte sich dem Schloß in wildem Lerm.
Zwar Paches ließ an tapfrer Gegenwehr
Nichts mangeln. Pfeil und Steine schlugen den
Erhitzten Feind, wie Schloßen schwaches Korn,
Darnieder. Tieger sind so wüthend nicht,
Wenn man zum Zorn sie reitzet, wie sein Heer
Jetzt war. Doch die Besatzung war zu schwach,
Und allgemein der Sturm. Mißlung es hier
Dem Feinde, so erstieg er dort die Maur.
Das Schloß ward überschwemmt, und ward ein Raub
Des Todes. So verschlingt die Fluth des Meers
Das Ufer nach der Ebb', und was sich ihm
Genaht. Wo Blumen jetzt stolzierten, tobt
In Wasserwogen das Verderben, jetzt. –
Auch Paches ward des Todes Raub, wie sein
Furchtloses Heer. Leosthenes fand ihn
[151]
Durchbort und hingestreckt, und kannt ihn an
Der Rüstung. Lange sah mitleidig er,
Nebst seinem Volk, das auf die Spieße sich
Umher gelehnt, den todten Helden an,
Und eine Thräne floß ihm von dem Aug'.
Er sah noch Edelmuth in Zügen des
Erblaßten Angesichts. – Drauf wünscht' er, auch
Den Cißides zu sehn, doch lang' umsonst.
Zuletzt erblickt er einen Teppich auf
Der Erd', erhub ihn und erschrak, als sich
Ein Macedonier aufrichtete,
Der mit dem Cißides darunter lag.
»Was liegst du bey dem Todten? trug man ihn.
Er war mein Herr, erwidert' er; doch mehr
Mein Vater. Ich war, als er lebt' ihm treu;
Solt ich vergessen es anjetzt zu seyn?
Ihr habt ihn mir geraubt, raubt mir nur auch
Das Leben, meine Last! – Ein Thränenguß«
Netzt ihm das Angesicht. Leosthenes
Raubt ihm das Leben nicht, dem redlichen
Schildträger, sondern pries die seltne Treu,
Und tröstete den immer jammernden,
Und schenkt' ihm viel. Betrachtete nachher,
Sammt dem gerührten Volk, den Cißides
Und glaubte die entwichne Seele noch
In großen Zügen des Gesichts zu sehn;
Beweint' ihn, ließ die Asche beyder Freund'
In einer Urn bewahren, ihnen auch
Ein prächtig Denkmal baun, und zog sich drauf
Schnell nach Athen zurück. Sein Heer war so
Geschwächt, daß er vergaß in einer Schlacht
Antipatern zu überwältigen.
Und so ward, durch der beyden Freunde Muth,
Des Vaterlands Verderben abgewandt.
[152]
Ihr Krieger! die ihr meiner Helden Grab
In später Zeit noch seht, streut Rosen drauf,
Und pflanzt umher von Lorbern einen Wald!
Der Tod fürs Vaterland ist ewiger
Verehrung werth. – Wie gern sterb ich ihn auch
Den edlen Tod, wenn mein Verhängniß ruft!
Ich, der ich dieses sang im Lerm des Kriegs,
Als Räuber aller Welt mein Vaterland
Mit Feuer und Schwerdt in eine Wüsteney
Verwandelten, – als Friedrich selbst die Fahn
Mit tapfrer Hand ergrif, und Blitz und Tod
Mit ihr, in Feinde trug, und achtete
Der theuern Tage nicht für Volk und Land,
Das in der finstern Nacht des Elends seufzt. –
Doch es verzagt nicht drinn das treue Land;
Sein Friedrich lächelt, und der Tag bricht an.
Der Tag bricht an! Schon zöge Schwab und Russ,
Lappländer und Franzos, Illyrier
Und Pfälzer, in poßierlichem Gemisch,
Den Helden in Triumph; verstattet' es
Desselben Großmuth. Schon fliegt Himmel an
Die Ehr in blitzendem Gewand', und nennt
Ein Sternenbild nach seinem Namen. Ruh
Und Überfluß beglücken bald sein Reich.

Ende des Cißides und Paches.


Notes
Erstdruck: Berlin (Christian Friedrich Voß) 1759 (anonym).
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TextGrid Repository (2012). Kleist, Ewald Christian von. Cißides und Paches. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B034-B