Auf Wilhelm Müllers Besuch

Du kamst zu mir, ein Stern in stiller Nacht,
Warst mit der Sonne Wiederkehr verschwunden,
Von Liedern nicht und nicht von Hellas Wunden
Ward da gesprochen oder still gedacht.
Nein! von des Erdentraumes kurzen Stunden,
Vom Tag, wo unser Innerstes erwacht,
Vom Wiedersehn in beßrer Welten Pracht,
Hat sich hier Geist mit Geist nur eng verbunden.
Der Morgen kam, und in des Nebels Schleier
Sah ich dein bleiches Bild nun ferne schweben,
Die Leichenfahn' vom alten Turme wehen 1.
Die Glocken läuteten zur Sonntagsfeier,
Und mir im Herzen fühlt' ich's mächtig beben:
»Fahr wohl! fahr wohl! Dich werd' ich wiedersehen!«

Fußnoten

1 Dem Sänger der Griechenlieder zu Ehren wollte ich bei seinem mir angekündigten Besuche die griechische Fahne auf dem alten Turme an meiner Wohnung wehen lassen. Aus Unkenntnis der Farben dieser Fahne wurde auf den weißen und hellblauen Grund ein schwarzes Kreuz gesetzt, wozu nach kam, daß in der Nacht Regen und Herbstnebel die leichtgefärbte hellblaue Farbe völlig auswuschen und dem baldvollendeten Sänger (er starb wenige Tage nachher) nun morgens statt der griechischen Fahne eine bedeutungsvolle weiße mit schwarzem Kreuze nachblickte.

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TextGrid Repository (2012). Kerner, Justinus. Gedichte. Die lyrischen Gedichte. Auf Wilhelm Müllers Besuch. Auf Wilhelm Müllers Besuch. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-A47B-A