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Und wieder grünt' der schöne Mai,
O dreimal selige Zeit!
Wie zog die Schwalbe froh herbei,
Mir ward es im Gemüt so frei,
Das Herz so leicht und weit!
O fremde Luft, o schönes Land
In Bergen und Gefild!
Wie reizend fand ich diesen Strand,
Allwo mein suchend Auge fand
Ihr leicht hinwandelnd Bild!
Ich sah des Sommers helle Glut
Das deutsche Land durchziehn;
Es tobte dunkler Wetter Wut,
Aus freien Herzen sah das Blut
Ich wild und heiß entfliehn.
Doch ich sah in verliebter Ruh
Die schwülen Wolken gehn;
Ich wandte mich den Blumen zu
Und sprach: »Vielleicht, mein Herz, wirst du
Ein andres Herz erstehn!«
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Die Traube schwoll so frisch und blank,
Und ich nahm froh und frei
Aus ihrer Hand den jungen Trank –
Und als die letzte Traube sank,
Da war der Traum vorbei!
Der Traum! – Jedoch die Wahrheit nicht,
Die ich von hinnen trug,
Die bis zum Tode in mir spricht:
Sie ist und lebt im Sonnenlicht,
Dies sei dir, Herz, genug!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Keller, Gottfried. Gedichte. Neuere Gedichte. Aus der Brieftasche. 14. [Und wieder grünt' der schöne Mai]. 14. [Und wieder grünt' der schöne Mai]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-9F13-C