[209] Aus Berlin

Wilhelm v. Humboldts Landhaus am Tegelsee

Es glänzt ein heitres stilles Haus
Aus stillen grünen Kronen;
Auf seinen Warten ruhen aus
Die Winde aller Zonen.
Auf ihrem Hauch ein edler Klang
Hat sich hinausgeschwungen,
Von Meer zu Meer grüßt ihn Gesang,
Gesang in allen Zungen.
Im Hause sind Gemach und Saal
Gefüllt von Glanzgestalten,
Die in vergangner Tage Strahl
Die stumme Wache halten.
Die Marmorlippen scheinen sich
Just aufzutun wie Blüten,
Erhobne Hände feierlich
Ein heilig Gut zu hüten.
Laß hinter dir, was trüb und wild,
Der du dies Haus betreten,
Denn zu der Hoffnung reinem Bild
Darfst du gefaßt hier beten.
Trittst du hinaus, den Föhrensaum
Sieh ernst den See umgeben!
[210]
In seinen Wipfeln rauscht der Traum
Vom ferneblauen Leben.
Und auf dem Walde wandeln sacht
Die weißen Wolkenfrauen,
Die in der Flut kristallner Nacht
Ihr klares Bild beschauen.
In leisrem Blau die Sonne schweift,
Ihr eigner Schein ist blasser,
Von feuchter Reiherschwinge träuft
Er perlenbleich ins Wasser.
Fühlst nach der Heimat du das Weh,
O Fremdling, dich durchschauern,
Land an dem nord'schen Geistersee,
Hier ist es schön zu trauern!

Polkakirche

Wie nach dem Rezept geschaffen,
Fein und niedlich ist der Tempel,
Baubeflißnen jungen Leuten
Ein Modell und Lehrexempel!
Byzantinisch jede Fuge,
Bogen, Bögelchen und Kehlen;
Nur die tollen und genialen
Alten Fratzenbilder fehlen.
Durch die byzantin'schen Pförtchen
Rauscht es leis in Samt und Seiden,
Drinnen glitzert's fromm und geistreich,
Wie zu der Komnenen Zeiten.
[211]
Und die Kanzel mit germanisch-
Christlichem Pastor garnieret –
Ja, den Glaspalast zu London
Hätte dieses Werk gezieret!

Berliner Pfingsten

Heute sah ich ein Gesicht,
Wonnevoll zu deuten:
In dem frühen Pfingstenlicht
Und beim Glockenläuten
Schritten Weiber drei einher,
Feierlich im Gange,
Wäscherinnen, fest und schwer!
Jede trug 'ne Stange.
Mädchensommerkleider drei
Flaggten von den Stangen;
Schönre Fahnen, stolz und frei,
Als je Krieger schwangen,
Blau und weiß und rot gestreift,
Wunderbar beflügelt,
Frisch gewaschen und gesteift,
Tadellos gebügelt.
Lustig blies der Wind, der Schuft,
Lenden auf und Büste,
Und von frischer Morgenluft
Blähten sich die Brüste!
Und ich sang, als ich gesehn
Ferne sie entschweben:
Auf und laßt die Fahnen wehn,
Schön ist doch das Leben!

[212] Weihnachtsmarkt

Welch lustiger Wald um das graue Schloß
Hat sich zusammengefunden,
Ein grünes bewegliches Nadelgehölz,
Von keiner Wurzel gebunden!
Anstatt der warmen Sonne scheint
Das Rauschgold durch die Wipfel;
Hier backt man Kuchen, dort brät man Wurst,
Das Räuchlein zieht um die Gipfel.
Es ist ein fröhliches Leben im Wald,
Das Volk erfüllet die Räume;
Die nie mit Tränen ein Reis gepflanzt,
Die fällen am frohsten die Bäume.
Der eine kauft ein bescheidnes Gewächs
Zu überreichen Geschenken,
Der andre einen gewaltigen Strauch,
Drei Nüsse daran zu henken.
Dort feilscht um ein verkrüppeltes Reis
Ein Weib mit scharfen Waffen:
Der dünne Silberling soll zugleich
Den Baum und die Früchte verschaffen!
Mit glühender Nase schleppt der Lakai
Die schwere Tanne von hinnen,
Das Zöfchen trägt ein Leiterchen nach,
Zu ersteigen die grünen Zinnen.
Und kommt die Nacht, so singt der Wald
Und wiegt sich im Gaslichtscheine;
[213]
Bang führt die arme Mutter ihr Kind
Vorüber dem Zauberhaine.
Einst sah ich einen Weihnachtsbaum:
Im düstern Bergesbanne
Stand eisbezuckert auf dem Granit
Die alte Wettertanne.
Und zwischen den Ästen waren schön
Die Sterne aufgegangen,
Am untersten Ast sah ich entsetzt
Die alte Schmidtin hangen.
Hell schien der Mond ihr ins Gesicht,
Das festlich still verkläret;
Weil sie auf der Welt sonst nichts besaß,
Hatte sie sich selbst bescheret.

Frühling 1853

Welch schauriger Lenz, der Sonne beraubt,
Um Pfingsten die Bäume noch nicht belaubt!
Der Eisbär sperrte den Rachen auf,
Propheten hemmten der Erde Lauf;
Die Hochgebildeten und Geweihten
Knieten vor Tischen, die prophezeiten!
Es war eine stechende Maienlust,
Das Säulein schrie in der Menschenbrust.

[214] Sonntags

Lässig bald und wieder schneller
Greifend in den blauen Himmel,
Dreht sich eine graue Mühle
Hoch am schweigenden Friedrichshain.
Drüben glänzt des Königs Kuppel,
Still ist's auch in jener Gegend;
Schmollend läßt er Gras ergrünen
Vor dem riesigen Schloßportal.
Aus den Toren summt und brummt es,
Und das Weichbild schwirrt von Geigen;
Fernhin watet in dem Sande
Staubaufregendes Volk Berlins.
Aber auf dem trägen Flusse
Fahren stille Wendenschiffe;
Durch die Wipfel in die Ferne
Hoch die sonnigen Segel ziehn.

Im Tiergarten

Ich bin ein Fremder hier zu Lande,
Wo Krongewalt herrscht allerwärts,
Mich binden nicht die starren Bande,
Doch dieser Hain erfreut mein Herz!
[215]
Um dieses grünen Lebens willen,
Um dieser Weiher sanfte Flut,
Um diese ruhgewiegten, stillen
Baumwipfel in der Abendglut,
Um diesen tiefen milden Frieden,
Den mir ein braver Toter beut,
Sei ihm ein voller Dank beschieden
Des Herzens, das dies Grün erfreut!

Notes
Entstanden zwischen 1850 und 1854. Erstdruck des Zyklus 1854.
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TextGrid Repository (2012). Keller, Gottfried. Aus Berlin. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-9A4E-0