[117] Feuer-Idylle

1

Wild hallt der Schrei der Glocken durch die Nacht,
Und Schüsse dröhnen von des Berges Wacht;
In allen Gassen tönt's: es brennt! es brennt!
Und jeder angstvoll an sein Fenster rennt.
Der erste Blick: Ist es in unserm Haus?
Der zweite mindert schon den Schreck und Graus,
Wenn weit, o weit die wunderschöne Glut
Behaglich dort am fernen Himmel ruht!
Nun strömt der Neugier Bächlein ungehemmt,
Und ungewaschen wohl und ungekämmt,
Der ohne Strümpfe, jener ohne Schuh',
Läuft alles nun dem seltnen Schauspiel zu.
Und manchem ehrlichen Philister bangt,
Es könnte enden, eh er angelangt;
Auch der Poet, er watschelt mit hinaus
Und sendet seinen Kennerblick voraus.
Da wallt vom Berg mit ungebrochnem Lauf
Die eine Flamme hell zum Himmel auf;
Von Feuerlilien ein gewalt'ger Strauß:
So blüht und sprüht das alte Bauernhaus.
Es ist die allerschönste Maiennacht;
Von Gold durchwirkt, tiefblau der Himmel lacht.
Eng zwischen Gärten voller Frühlingsflor
Klimmt der Poet zur Feuerstätt empor.
[118]
Da sitzt der helle Geist auf seinem Raub
Und macht den morschen Kram zu Asch und Staub;
Umsonst belästigt ihn der Menschenschwarm,
Er wehrt ihn ruhig ab mit glühem Arm.
Es brennt der Hof dem reichen Bauersmann,
Der nie genug sehn und erhalten kann;
Längst hat der Sohn ein neues Haus begehrt,
Wogegen sich der Alte stets gewehrt.
Nun steht er da und schlottert jämmerlich,
Weiß nicht zu raten noch zu helfen sich;
Doch alle sind in guter Sicherheit,
Kein Nachbarhaus gefährdet weit und breit.
Drum laßt uns keck ein wenig näher gehn,
Die heiße Wirtschaft besser zu besehn,
Zu lesen in des Feuers Angesicht
Und was es heimlich mit den Sternen spricht!

2

Von Holz und Reisig eine hohe Wand
Seit langen Jahren um die Scheune stand,
Schon vieles ward vom Regen unbrauchbar,
Doch jeder Herbst bringt neue Lasten dar.
Der letzte Winter brachte große Not,
Und manche arme Witwe, frierend, bot
Ihr armes Geld dem Mann für wenig Holz;
Er gab's nicht her in seinem Bauernstolz.
Nun flammt es auf im wilden Feuerflug,
Mit Scheun und Stall, Pferd, Wagen, Vieh und Pflug;
[119]
Die armen Weiber stehn und schaun es an
Und wärmen lächelnd ihre Hände dran.
Dies Lächeln mag die bleichste Blume sein,
Die einstens ziert des Mannes Totenschrein –
Weh dem, der solchen Blütenflor gesät,
Wenn einst die Saat in reifen Knospen steht!

3

Seit alter Zeit her war des Hauses Wand
Von wuchernd dichtem Efeu überspannt;
Den liebt' der Bauer, sonst so liebeleer,
Weil er so gierig, alt und zäh wie er!
Nun brennt das dunkle Unkraut lichterloh
Und flackert in die Luft wie leichtes Stroh;
Wer glaubte, daß der alte, schwere Kranz
So lustig hielte seinen Totentanz?
Ei, was fliegt da für Ungeziefer aus!
In ganzen Schwärmen flieht die Fledermaus;
Kreuzspinnen, Käfer, was da kriechen mag,
Kommt sterbend in der hellen Glut zu Tag.
Was von Gespenstern und von Koboldsbrut,
Von alten Sünden auf dem Hause ruht,
Und was es sonst für Spuk und Sagen gab,
Brennt mit den alten Efeuranken ab.
Was mag wohl schimmern dort, und, seh ich recht?
Was löst sich aus dem brennenden Geflecht
Und poltert da zu meinen Füßen her?
Ein tüchtig Kruzifix, von Golde schwer!
[120]
Einst riß der Ahn, vor manchem Hundertjahr,
Das Kreuz als Bilderstürmer vom Altar;
Es blieb im grünen Rankenwerk versteckt,
Nun endlich hat's das Feuer aufgedeckt!
Zwar munkelt man, daß in verschloßner Brust
Die Enkel jederzeit davon gewußt;
Sie hätten's nächtlich auf den Tisch gesetzt
Und sich an dem Geflunker oft ergetzt.
Eins tut mir leid: manch zierlich Schwalbennest
Hing traulich in den wirren Ranken fest;
Wenn nun die liebe Schwalbe wiederkehrt,
So findet sie ihr kleines Haus verheert.
Doch tröste dich, o Schwalbe zart und traut!
Ist erst der neue Giebel aufgebaut:
G'nug Winkel noch und Ecken findest du,
Daran du bauen kannst in guter Ruh!

4

Da ist ein Buch, geschwärzt und halb verbrannt,
Wonach der Mann in Todesangst gesandt;
Ein Jüngling wagte dran sein junges Blut
Und trug's mit keckem Arme aus der Glut.
Und gierig stürzt der Mann sich auf das Buch
Und – wirft es weg mit einem derben Fluch!
Sein dickes Schuldnerbuch hatt er gemeint!
Nun liegt – die Bibel vor dem guten Freund.
Wie arg und undankbar ist diese Welt!
Wie schmählich nun der alte Mann sich stellt!
[121]
Erinnert ihn die Bibel nicht mehr dran,
Wie gütlich er sich oft an ihr getan?
Wenn er am Sonntagabend vor ihr saß
Und schmunzelnd dann von dem Kamele las,
Dem Nadelöhre und dem Himmelreich,
Wie ward ihm das Gemüt da froh und weich!
Wie manchen Bettler, hungerig und matt,
Macht' er mit schönen Bibelsprüchen satt,
Beteurend hoch und feierlich dabei,
Daß dies sein reichster Trost und Hausschatz sei!
Nun liegt das alte Buch zertreten hier,
Im Feuer blieb der Ecken Silberzier;
Zerrißnen Angesichtes liegt im Kot
Das einst so hoch gepriesne Lebensbrot.

5

Ich denke dran mit wehmutsvollem Schmerz,
Wie rettungslos ein königliches Herz,
Indes das Haus in Rauch und Schutt verfliegt,
Tief unter ihm in schnöden Banden liegt.
Goldfarbner Löwe, seufzt' der edle Wein
Seit Jahr und Tag im dunklen Eichenschrein,
Und ob ihm trampelte der graue Wicht,
Ließ keinen Tropfen an das Tageslicht.
Wenn still der Sonnenschein das Haus umfing
Und singend ein Gesell vorüberging,
Ein fröhlich dürstender, mit heißem Blut,
Dann wallt' es unten auf mit süßer Wut:
[122]
»O laßt mich an des Tages goldnen Blick,
Ich bring euch Freiheit, Freude, Lieb und Glück!
Laßt schäumend mich entgegensprühn dem Lied,
Das aus der hellen Menschenkehle zieht!«
Umsonst versprach er reichen Minnelohn,
Gefesselt blieb der goldne Sonnensohn!
Nicht wahr, ihr alle, die ihr Herrscher heißt,
Es ruht sich süß auf unterdrücktem Geist?
Nun wankt und stürzt das morsche Sündenhaus;
Doch unter seinen Trümmern atmet aus,
Vergessen, was so lang das Licht gesucht –
Heil unsrer jungen Reben süßer Frucht!

6

Ein Apfelbaum in voller Blüte steht,
Ein leichter West in seinen Zweigen weht;
Er schaut, verklärt vom blutig roten Schein,
Verwundert auf den wilden Brand herein.
Es ist, als ob der helle Glanz ihn freut',
Weil Blütenblätter in die Glut er streut;
Er atmet ein des Feuers heißen Hauch,
Um seine Krone spielend zieht der Rauch.
Da plötzlich langt herüber aus dem Brand
In seine Äste tief die Flammenhand:
Zu Kohlen brennt der schöne Blütenbaum –
Hin ist ein dichterlicher Lebenstraum!

[123] 7

Dort gegen Westen, traulich unterm Dach,
Liegt hoch und abgeschieden das Gemach,
Das sich des Hauses Töchter jederzeit
Zum stillen Allerheiligsten geweiht.
Es ist ein eng und niedrig Kämmerlein
Mit runden Scheiben und uraltem Schrein,
Drin Bänder, Kettlein, Herzchen aller Art
In mannigfachen Kästlein wohlverwahrt.
Am Fenster steht das Spinnrad und davor
Der zartgepflegte bunte Blumenflor,
Gelbveiglein, Nelken, Rosen ohne End,
Und wie man all das liebe Zeug benennt!
Manch nächtlich Lied hat hier heraufgetönt,
Und diese Fensterlein sind dran gewöhnt,
Geräuschlos blinkend, heimlich aufzugehn,
Geöffnet ganze Nächte durch zu stehn.
Und manche Leiter wurde aufgetürmt
Und auf die Liebeswarte kühn gestürmt;
Ob stets das Rosengitter widerstand,
Gehört zu den Geheimnissen im Land.
Auch jetzt ist eine Leiter angelegt,
Die einen Schwarm geschwärzter Männer trägt;
Im roten Mantel stürmet in die Tür
Ein Freiersmann mit flammendem Panier.
Und vor ihm fährt ein Knäuel, wirr und kraus,
Erschreckter Liebesgötter fliehend aus;
Das flattert irrend in der Frühlingsluft,
Verfliegend wie verbrannter Ambraduft.
[124]
Das ganze Fenstergärtlein stürzt herab
Und findet in der Glut sein feurig Grab.
Ob all die stille, schöne Liebeswelt
Wohl rettungslos damit in Asche fällt?
Mir ist nicht bang; ist neu das Haus erbaut,
Man sicher wieder dran ein Fenster schaut
Mit Rosen, Gelbveiglein und Nelkenzier;
Denn solches muß man haben für und für!

8

Welch lieblich Wunder nimmt mein Auge wahr!
Dort fließt ein Brünnlein, gar so frisch und klar,
Ein holzgeschnitzter Meergott gießt den Trank
In eine ausgehöhlte Eichenbank.
Der Westwind hat die Glut herangeweht,
Der alte Gott in vollen Flammen steht,
Und aus der Feuersäule quillt der Schwall,
Des Wasserstrahls lebendiger Kristall.
Wie fröhlich tönt der schöne Silberstrang,
Gleich jenem Kleeblatt, das im Feuer sang!
Du klares Leben, ew'ger Wellenschlag,
Wer sendet aus der Tiefe dich zu Tag?
Ich glaubt, ein Brunnenhaus sei feuerfest –
Nun ist ein Häuflein Kohlen hier der Rest;
Die Quelle aber rieselt frisch und rein
Auch über Kohlen in die Welt hinein.
Wer weiß, wie lange schon der Bergquell springt?
Wer weiß, wie lang er noch zum Lichte dringt?
[125]
Auf! schnitzelt einen neuen Brunnenmann,
Der wieder hundert Jahr ihn fassen kann!

9

Zu loben ist der Männer kühner Mut,
Womit sie ringen mit der heißen Glut,
Zu retten, was man irgend retten kann;
Doch ist nicht redenswert, was man gewann.
Das Beste ist ein alter Totenkranz,
Erinnerung an hohen Jugendglanz,
An irgendeinen früh gestorbnen Sohn,
An einen längst verhallten Harfenton.
Mit welken Blättern liegt er in der Au,
Und auf ihn fällt der milde Maientau;
Die blassen Bänder wehn im Morgenwind,
Daneben zitternd wacht ein schwaches Kind!
Wie leicht und dürr der alte Kranz mag sein,
Man wird ihm wieder eine Stelle weihn
Im neuen Bau, hoch an der Stubenwand,
Als des Vergangnen letztem welkem Pfand.
Da wird er still aufs junge Leben sehn
Und dieses ehrend ihm vorübergehn,
Bis auch sein letztes leichtes Blatt zerstiebt
Und man den nackten Reif dem Feuer gibt!

10

Die Flamm ist tot, der Krater ist verglüht,
Die Himmelsrose drüber aufgeblüht;
[126]
Sie glänzt auf Kohlen, wo die Wohnung stand,
Verschwunden ist das morsche Werk der Hand.
Woran der Mensch die Totenhände legt
Und was er diebisch scheu zusammenträgt:
Hin ist nun alles, was nach Richt und Maß,
Gefügt, gebunden, aufeinander saß.
Doch ihr erglänzet mir unwandelbar,
Ihr Morgenlande, wonniglich und klar,
Ihr Berg' und Täler voller Knospendrang,
Voll Quellenrauschen und voll Frühlingssang!
O Überfülle, die zum Lichte schwillt,
O Blütenwirbel, der da überquillt
Und überwuchert, wo die Sünderhand
Ihr Maß will legen auf das reiche Land!
Das ist die Nachhut, die den Rücken deckt;
Drum auf zum Werke, Menschheit, unerschreckt!
Bau auf, reiß nieder und bau wieder auf:
Das Jahr geht immer seinen Segenslauf!

Notes
Erste Fassung entstanden 1845. Erstdruck 1846.
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TextGrid Repository (2012). Keller, Gottfried. Feuer-Idylle. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-9A20-3