7. Der Nutzen der schönen Wissenschaften beym Vortrage philosophischer Lehren

An Herrn Heinrich Gottlieb Schellhafer, beyder Rechte und der Weltweisheit Doctor, der deutschen Gesellschaft in Leipzig Mitglied, als selbiger zum Professor der praktischen Philosophie an dem hamburgischen Gymnasio war ernennet worden, und zur Antretung dieses Lehramtes den 18. September 1742 von Leipzig wegging.


Im Namen der Leipziger deutschen Gesellschaft.


Freund, dir sind Recht und Brauch vom alten Rom bekannt,
Doch kein gelehrter Stolz verschmäht dein Vaterland;
Dein Eifer ist bemüht mit Mustern und mit Lehren
Den Ruhm Germanien's, der Sprache Glanz zu mehren:
Bald, wenn ein muntrer Vers, der deinen Einfall ziert,
Das Ohr durch Harmonie, durch Witz das Herze rührt;
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Bald, wenn der freye Geist zwar nicht die Sylben zählet,
Doch Wort und Redensart voll Reiz und Nachdruck wählet.
O Freund, ist nicht der Fleiß, der Witz und Schönheit schätzt,
Auf's höchste Zeitvertreib, der ohne Frucht ergötzt?
Die Kraft, die Grund und Schluß erkannter Wahrheit geben,
Braucht die wohl Putz und Kunst, sich erstlich zu beleben?
So glaubt vielleicht ein Geist, der nur für sich gelehrt,
Nie Wahrheit und Vernunft durch Unterrichten mehrt,
Vergnügt, wofern nur er, den Schwierigkeit entzündet,
Durch unbewegten Fleiß den tiefsten Satz ergründet,
Er lerne, wie man sich zum schwächern Geiste senkt,
Der nicht so scharf, wie wir, auch nicht so eifrig denkt.
Vergebens wird man dem, die Wahrheit vorzutragen,
In unzertrennter Reih', nur trockne Schlüsse sagen,
Zeigt nicht des Lehrers Witz, was er begreifen soll,
Ihm leicht für den Verstand, dem Sinne reizungsvoll;
Kann muntrer Vortrag nicht die Schläfrigkeit erheitern,
Oft Ausdruck mancher Art nur einen Satz erläutern;
Macht Beyspiel, Aehnlichkeit, was eine Rede schmückt,
Nicht, daß Beweis und Satz sich stärker in ihn drückt.
So läßt uns Tullius die Kraft von tiefen Gründen,
Auch wenn er Weisen schreibt, mit Rednerkunst empfinden.
Als Redner ist er groß, weil ihn die Weisheit stärkt,
Als Weiser schreibt er schön, weil man den Redner merkt.
Vor ihm mag noch die Schaar von ungelehrten Weisen
Die trockne Barbarey als tief und gründlich preisen.
Das heißt nicht gründlich seyn, daß man die Sprache kränkt,
Neu und barbarisch spricht, gemein und dunkel denkt,
Im Schreiben Satz an Satz mit Syllogismen bindet,
Im Denken falschen Schluß auf falsche Sätze gründet.
Soll stets der Criticus des Weisen Schreibart schmähn?
Wer scharf und richtig denkt, der sprech' auch rein und schön,
Daß er im Ausdruck sich so wie im Denken übet,
Die Kunst der Redner kennt, den Geist der Dichter liebet,
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Und dennoch nicht dabey, von Munterkeit verführt,
Ganz den Verstand vergißt, wenn er die Sinne rührt,
Für strenge Gründlichkeit mit Witze spielend pranget,
Und uns ein Gleichniß giebt, wenn man Beweis verlanget.
Ein prächtiger Palast sey seiner Lehrart gleich,
Befestigt durch Vernunft, durch Witz an Anmuth reich.
Am meisten sey er da auf Reiz und Schmuck beflissen,
Befiehlt sein Unterricht zu thun und nicht zu wissen.
Vergebens, daß er nur den trocknen Satz gebeut
Und ewig wiederholt: Strebt nach Vollkommenheit.
In Rechten ungelehrt, unwissend in Geschichten,
Mag er vom Plato nur die Bürger unterrichten;
Der Tugend Reiz vergeht, wenn uns sein ernster Geist
Ein metaphysisch Bild von ihrer Schönheit weist.
Der Dichtkunst altes Recht ist, von der Tugend spielen;
Den Menschen lehrte sie längst seine Pflichten fühlen,
Eh' ein Gelehrter noch mit Arbeit ohne Frucht
Vom Rechte der Natur den ersten Satz gesucht,
Durch Schlüsse kann das Kind nicht gut und böses trennen;
Es wird den Unterschied in ihrer Fabel kennen.
Sie zwingt uns, daß man selbst der eignen Thorheit lacht,
Und lehrt den Bürger fliehn, was Helden elend macht.
O daß doch öfters Der, den ihre Gluth beseelet,
Der Laster falschen Reiz zum Gegenstande wählet!
Und wenn die Redekunst der Städte Freyheit schützt,
Auf Catilina hier, dort auf Philippus blitzt:
Bleibt ihr der Vorzug noch, daß sie manch Volk regieret,
Wenn heil'ger Wahrheit Kraft durch sie die Herzen rühret.
Freund, glücklich, wer von dir, was die Natur uns lehrt,
Wie voller Gründlichkeit, so voller Anmuth hört.
Zeuch hin, wo Ueberfluß der Freyheit Fleiß beglücket,
Und Lust zur Wissenschaft auch Reicher Seelen schmücket,
Und lieb' uns, weil uns noch der Trieb, der dich auch führt,
Für Deutschlands Redlichkeit und Deutschlands Mundart rührt.
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TextGrid Repository (2012). Kästner, Abraham Gotthelf. Gedichte. Lehrgedichte. 7. Der Nutzen der schönen Wissenschaften. 7. Der Nutzen der schönen Wissenschaften. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-94BE-6