10. Ob eine Gesellschaft, die Sprache zu verbessern, durch öffentliches Ansehn müsse berechtigt werden

Beym Eintritt in die Leipziger deutsche Gesellschaft, den 12. des Heumonats 1741 vorgelesen.


Ihr Deutsche, die ihr euch für Deutschlands Ruhm vereinigt,
Ihr, die ihr unsern Witz und unsre Mundart reinigt,
Mit Zweifel, der die Lust in engen Schranken hält,
Erblick' ich diesen Tag, der mich zu euch gesellt;
Vielleicht, daß meine Kraft durch eure Hülfe steiget,
Vielleicht, daß neben euch sich meine Schwäche zeiget.
Ich wag' es, nehmt von mir nur Fleiß und Eifer an,
Wo ich durch Witz und Geist mich nicht erheben kann.
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Ist's euer Eifer doch, den ich an euch geschätzet,
Noch mehr, als euer Witz, so sehr er mich ergötzet:
Ihr liebt das Vaterland, nur dadurch brennt der Fleiß,
Der noch der Klugen Lob statt alles Lohnes weiß;
Zu glücklich, sollt' ihn nur dies Lob allein vergelten,
Und ihn nicht jeder Thor, der euch nicht kennet, schelten.
Ihr Deutsche, die ihr euch von deutschem Sinn entfernt,
Und fremde Thorheit nur von fremden Völkern lernt,
Den Satz noch nicht erkennt, den sie so deutlich zeigen:
Es steigt des Landes Ruhm, wenn Witz und Mundart steigen.
An euch bekehrt man nichts. Es sey euch immer recht,
Daß ihr mit Fremden schön, mit uns barbarisch sprecht:
Darf eure Thaten doch kein deutscher Pindar melden;
Werd' ich ein Juvenal, so seyd ihr meine Helden.
»Wie aber? Ist dein Fleiß, Gesellschaft, nennenswerth?
Dein scharfer Richterspruch, der Das für falsch erklärt,
Und Jenes richtig heißt, was ist es, das er nützet,
Wenn ihn dein Eigensinn statt alles Ansehns stützet?
So redet Der 1 euch an, Der, dessen kühner Geist
Jetzt Frankreichs Fehler zeigt, jetzt Deutschlands Mängel weist,
Gut, wenn er sich zuvor genugsam unterrichtet,
Schlecht, wenn er übereilt und ohne Kenntniß richtet.
Dies widerfähret ihm, wenn er der Sprache lacht,
Wo strif und straf so sehr der Wörter Endung macht,
Und Günthern oben an bey Deutschlands Dichtern setzet,
Und ein verachtet Lied für Günther's bestes schätzet,
Und, als verstünd er deutsch, es ohne Zittern wagt,
Aus Günther übersetzt, was Günther nie gesagt.
Der ist es, der an euch die eitle Mühe tadelt,
Daß ihr, die kein Gesetz zu deutschen Richtern adelt,
Nur kühn auf eigne Kraft, ganz Deutschland Regeln gebt,
Da, wie er sicher weiß, ganz Deutschland widerstrebt.
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Unendlich schwere Pein -- hat ihn so viel gelehret,
Daß man gebrochen Deutsch aus seinem Munde höret.
Er selbst gestehet dies. Nun wundre man sich nicht.
Wenn er, so wohl gelehrt, ein weises Urtheil spricht.
»Die deutsche Zierlichkeit ist nicht den Meißnern eigen,
Der Bai'r kann sie so gut, und selbst der Schweizer zeigen;
Der freyen Völker Zahl, die Deutschlands Weite hegt,
Wird keiner Sprachkunst Joch von Sachsen auferlegt.«
So wird dadurch ein Volk als Oberherr verehret,
Daß es ein gleiches Volk der Sprache Schönheit lehret?
Wenn Theben einst Athen der Mundart Vorzug gab,
Was ging Böotien an seiner Freyheit ab?
Ja, soll das Deutsch des Rheins der Pleiße Deutschem gleichen,
So wird Der ohne Streit auch seinen Zweck erreichen,
Der nach der Sprache Glanz, die Frankreichs Ruhm erhöht,
Zum Normann, zum Breton, zum Limosiner geht.
»Da, wo der König selbst der Sprache Richter setzet,
Da wird durchs ganze Land ihr Urtheil hochgeschätzet.«
Dies ist der kühne Satz, den kein Beweis beschützt,
Den selbst das Beyspiel fällt, durch welches er ihn stützt.
Gebeut man auch dem Ohr in drohenden Gesetzen?
Der Ton vergnüge dich! und der soll dich verletzen!
Nein, zwar die Sprache steigt, wo der Monarch sie liebt,
Weil man durch's ganze Land des Hofes Sitten übt,
Allein, will er sein Volk des Ausdrucks Schönheit lehren,
Wird man sein Beyspiel nur, nicht sein Befehlen ehren.
Der Sprachkunst Quellen sind: Brauch, Ursprung Aehnlichkeit;
Was der Gelehrte schreibt, nicht was der Fürst gebeut.
Der Fürst, der Lehrer setzt, macht sie zugleich nicht tüchtig;
Ihr Ausspruch wird dadurch nur bey dem Pöbel wichtig.
Oft trotzet träger Stolz auf ein erschlichnes Amt,
Doch geht der Fleiß ihm vor, der sich nur selbst entflammt.
Muß man die Vierzig wohl, die Frankreich sprechen lehren,
So, wie den König selbst, der sie gesetzt, verehren?
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Hat dieses Ansehn wohl ein Richelet erkannt?
Wenn die Gesellschaft hier, dort er mit Frankreich stand?
Durft ihren Wörterbau kein Evremond verlachen? 2
Und sie kein Despreaux zu halben Wilden machen? 3
Doch ist man jetzt vielleicht nicht wie vor Zeiten kühn;
Denn wer jetzt denken will, muß Frankreich öfters fliehn.
Vielleicht muß man sich jetzt nur nach den Vierzig richten
Und, schreibt man nicht wie sie, nach Lannoi's Hofe flüchten 4.
Gefühl, und nicht Gebot, regiert des Deutschen Ohr;
Er zieht, was Meißen spricht, der eignen Mundart vor.
Nicht, weil ein Meißner Mund die Sprachkunst nie verletzet,
Nein, nur weil er doch mehr durch Richtigkeit ergötzet.
Lehrt unser Meißen nicht der Sprache Zierlichkeit
Noch weiter, als August an Kaisers Statt gebeut? 5
Selbst, wo der Lindmat dort das alte Zürich theilet,
Selbst, wo um Nüchtlands Haupt die Aar gebogen eilet,
Kennt zwar das freye Volk der Deutschen Herrschaft nicht;
Doch uns gehorchet es, und red't, wie Meißen spricht.
Gelehrte, fahret fort die Mundart auszubessern,
Daß ihr nur selbst euch hebt, muß euren Werth vergrößern.
Laßt nicht den Eifer nach, der Deutschlands Ruhm vermehrt:
Hofft keinen schlechtern Lohn, als daß euch Deutschland ehrt.

Fußnoten

1 Dergleichen Vorwürfe sind der Gesellschaft in denLettres Germaniques gemacht worden.

2 S. die Comödie les Academistes, in Evremond's Schriften.

3 S. dessen 18. und 19. Sinngedichte.

4 Es hielten sich damals bey dem Herrn von Lannoi in Brüssel verschiedene Gelehrte auf, die sich in Frankreich nicht durften antreffen lassen.

5 Nach Carls des VI. Absterben.


Notizen
Entstanden 1741. Erstdruck nicht ermittelt.
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Kästner, Abraham Gotthelf. 10. Ob eine Gesellschaft, die Sprache zu verbessern. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-9283-7