Phillis, die Helferin

Eine Idylle an Damon.


1763.


Hellaugige, dem Frühling ähnliche Tage wünsch ich
O Damon! dir, und jeglichem zartfühlenden Schäfer,
Dem sein Schicksal verlieh eine Hütte von dünnen
Gewebten Widerstand gegen die herbstlichen Sturmwinde,
Welche gefiedert mit Schneeflocken, oder mit peitschenden
Wolkengüssen daher kommen, und in mitternächtlicher Stunde
Feindseelig von deinem Auge verscheuchen den Kraft einflößenden
Schlummer. Du lächelst meinen Bedaurungen, denn
Deine zufriedne ruhige Seele schätzt dich glückseelig
Gegen einer unzählbaren Menge von Menschen, denen nicht
Das gefräßige Raubthier, der Krieg, gelassen hat das Fell
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Eines Lammes, um ihre Schultern zu schützen vor
Dem Mauerdurchdringenden Nordwind, der
Die Wälder entblößt, und abstreift sorgfältig gepflegeten Bäumen
Des ungezäuneten Gartens jegliches Blatt. Traurig
Stehen sie da! gleich der nakkenden Armuth weinen
Sie von ihrer schmucklosen Stirn herunter die Nässe
Der dicken niederfallenden Luft, voll Schauer einhauchenden
Kälte. Dieser Anblick, o Damon! erinnert deine Phillis
An das Bild einer unglücklichen Hirtin. Höre von mir
Du leisefühlender Schäfer! Diese das Herz angreifende
Geschichte, und liebe noch anbetender Deine Phillis.
Sie bewohnte mit ihrer trauertragenden Mutter
Eine nicht weiträumliche Hütte auf wehrloser Trift
In jenen schrecklichen Tagen, als Räuberheerden
Aus fernen Wüsteneyen gezogen kamen. Gleich den
Verderblichen Wetterwolken hagelten sie Verwüstung
Auf blühende Fluren, und dichtverwachsene Weitzenfurchen,
Und zerbissen mit schäumendem Zahn den grasgrünen Apfel
Und die unvollkommene, steinharte Birn
Abgerissen von den widerstrebenden Aesten des unwilligen
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Baumes. Brüllend stürzten sie über die Felder
Auf Pfeilschnellen Roß. Ihr Ansehn war das furchtbare
Bild eines Thraciers oder Parthers, vor welchen in alten Zeiten
Gezittert haben die Schäfer unter den Mandelbäumen
Und Weinstökken der innergrünenden Hügel
Und blumvollen Thälern Italiens. Phillis tröstete
Mit überredender Stimme ihre zaghafte Mutter;
Zärtlich drückte sie das bebende Herz an ihren kindlichen
Busen, in welchem mehr männlicher Muth klopfte,
Und mehr Zuversicht redete von den beschützenden Göttern.
Aber jetzt ward Phillis geschreckt aus mütterlichen Armen
Durch Tumult und Geschrei, gleich dem Geheule eines
Wirbelwindes, der verwickelt gewesen in irgend einem alten
Gemäuer, und nun mit tösender Gewalt hervorbrauset
Und in Grauen verhüllt die Seele des nächtlichen Wandrers.
Phillis eilte dem Wirbel entgegen;
Ihr aufgelösetes Haar flog in melancholischer Ordnung
Um den elegantesten Nacken. Mit kelchender
Brust drängte sie sich in einen wehklagenden
Zirkel des erschrockenen Volks. Alle rungen über
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Bestäubten Häuptern die Hände, und in der Mitte des Kreises
Lag ausgebreitet ein elendes Weib auf ihrem sterbenden
Mann. Er weidete Rinder unter den Haselstauden
Und Pappelbäumen, als die Wolke von Feinden
Daher gerauschet kam. Einer, dem die Schwärze des Pluto
Die haarliche Wange bedeckte, trat vor dem Rinderhirten
Und frug mit der Stimme des Donners: ob jenseits
Des Berges gelagert wären kreigerische Jünglinge
Zum deckendem Schilde der Heerde? Ihn verstand nicht
Der zurückbebende Rinderhirte, und plötzlich flog
Aus den rauhhäutigen Händen des Barbaren
Der mörderische Wurfspieß in das Eingeweide
Des Mannes, welcher nun schwimmend in seinem Blute
Das Leben ausröchelte. Drei übelgekleidete Kinder
Vermengeten ihre weinende Stimme in das Jammer-
Geschrei ihrer Mutter, an deren Busen ein dreitägiger
Säugling einen Theil der Bitterkeit ihres Schmerzes
Verschluckte. Die mitleidige Luft heulte ihre laute
Seufzer nach, und die Erde des Grabhügels öffnete sich
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In großen Ritzen, aufzutrinken den salzigen Strom ihrer Augen.
Dazumal rieselten kleine Bäche in dem Herzen der Phillis
Und zween kostbare Thränen, gleich den Thautropfen,
Die auf Rosen zittern, flossen auf den Aurorfarbnen
Wangen nieder in ihren Lilienbusen. Hülfreich bot sie
Ihre Rechte der mattgeächtzen Hirtin, und führte sie
Zurück. Ihre Kinder wankten um sie her. So kommen
Nach einem Wolkenbrechenden Platzregen unvermögende
Blökende Lämmer hinter den Schaafmüttern, und tragen
Den Tod in erstarreten Knöcheln. Jetzt waren Phillis
Und die Verlaßnen in einer armseligen Hütte.
Sie zog aus ihrer Tasche hervor, Feigen, und Rosinen
Und zween erquickende Aepfel, und stärkte mit Reden
Der Weisheit das verzweifelnde Weib, und ging von ihr,
Um das Herz der besten Schäfer zum Mitleid
Gegen die Bedürftige zu schmelzen. Ein so edler Vorsatz
Gelung ihr. Die Schäfer gaben zusammen, und Phillis
Vergaß nicht beizulegen ihr Theil zum Unterhalt
Derer, die alles verloren hatten. Unsere Vorfahren
Haben erzählet von einem Lautenspieler, der die Wellen
Und die Meerfische horchend gemacht. Deine Geliebte,
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Mein fernweidender Damon! trägt in ihrer Zunge
Ein gleich wunderbares wohlklingendes Saytenspiel.
Sie öffnete die Lippen, und alles stand unter der Herrschaft
Ihrer Honigströhmenden Beredsamkeit. Nun wandelten
Sich die Klagen der unglückseligen Kinderhirtin
Zu einem Lobgesang. Einsmals, da schon das Angesicht
Der Nacht mit dunkelgrauem Schleyer verhangen war,
Und nur einige Sterne anzeigten ihre königliche Würde;
Da schlich die bescheidene Phillis zu der schwarzbalkigten
Hütte ihrer armen Hirtin. Sie lauschte unter der
Niedrigen Hütte, und hörte singen, und vernahm
Bald darauf einen betenden Ton. Auf ihren
Abgemergelten Knieen lag das mühselige Weib,
Auf jeglicher Seite knieeten zween Kinder,
Und auf ihren beyden ausgestreckten Armen hielt sie
Den Säugling. »Höre mich! rief sie, du Erster, Unsichtbarer,
All-Lebenschaffender! es sei, daß dich die Himmel Jupiter
Oder Apollo nennen, wie du auch heißest, ich fühle
Daß du bist; denn durch deinen unhörbaren Zuruf
Ward mir gebracht jene helfende Phillis; eine Göttin
Muß sie seyn, nachgebildet deiner Erbarmung. Ohne sie
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Wär ich nicht mehr, und diese Kinder müßten einen lang-
samen Tod leiden. Unter den Bissen eines nagenden Hungers
Zum Grabe herunterschmachten würden sie mir nach
Und ihrem verbluteten Vater. Wir athmen mit gesättigtem
Munde das Leben, das neue Geschenk von dir, ein.
Du gabst es uns durch sie, an der du verwendet hast
Alle Reitzungen, die du deinen Geschöpfen zu geben vermagst.
Laß diese Träuen und dieses Wimmern meines Säuglings
Opfer und Hynine seyn vor dir; und wenn du Wohlgefallen hast
Daran, daß dir nachahmen die Sterblichen;
So vergilt dieser Erretterin, dieser wohlthätigen Phillis,
Ihre göttlichen Verrichtungen. Alle Glückseeligkeit
Und alle Freuden der Erden bestimme für sie;
Und wenn vor ihrem himmlischglänzenden Auge
Hundert Frühlinge vorüber geblühet sind, alsdann
Sei die blühendste Gegend in Elysium bereitet
Zu ihren Empfang. Unter einer Laube von ewig grünenden
Myrthen will ich sie finden; und noch mit Freude zitternden
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Armen umfassen will ich ihr Knie, und mit stammelnder
Zunge lobreden Dir, du Namenloser, Unsterblicher!
Der die Fluren durch träufelnden Regen, und die Herzen
Der Elenden erfrischet durch Menschen, welche wetteifern
Mit deiner Hülfe verbreitenden Liebe!«

Anmerkung. Diese von der Dichterin im Idyllenton bearbeitete Geschichte ist eine wahre Anekdote aus den traurigen Begebenheiten des siebenjährigen Krieges.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Karsch, Anna Louisa. Gedichte. Gedichte (Ausgabe 1792). Vermischte Gedichte. Phillis, die Helferin. Phillis, die Helferin. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-8F6E-E