[76] 5. Die Verkündigung

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Die Allee entlang
Scholl herauf heller Trompetenklang
Und Trommeln und Pfeifen und Pauken und Zinken,
Und schon sah man Schilder und Speere blinken.
Aber siehe!
Da kamen von der Seite heran
Mann für Mann,
Des Handwerks zugleich und der Waffen Kenner,
Mit festem Schritt wie Eisenmänner,
Eine Schaar Gestalten frisch und kühn,
Das war die Schutzwehr der Freistadt Berlin.
Eine rothe Fahne rollt ihr Führer aus,
Drei goldene Sterne blitzen heraus.
Zur Linken, wo die Werkmänner saßen,
Stellten sie sich auf längs der Straßen.
Dort aber, wo der Führer stand mit der Fahne,
War eine Erhöhung gebaut gleich einem Altane.
Und jetzt kam heran der Zug. –
Da gab es zu schau'n und zu gaffen genug.
Bald wimmelt es hier von Rittern und Knappen
Mit allerlei bunten, gestickten Wappen.
Auch die Prälaten – die ritten auf Rappen –
In gar prächtigem Priestergewand
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Stellten sich vor der Tribüne Rand,
Dort, wo sich der Rath und der Bischof befand.
Aber auf stolzem Roß alsbald
Erschien eine ragende Rittergestalt
Mit düsterm Antlitz und strengen Mienen,
Ganz gepanzert in Eisenschienen.
Doch ihm zur Seite ritt eine Frauen,
Wunderlieblich anzuschauen,
In aller Reize und Zier Vereinung
So schön wie eine Märchenerscheinung.
Und wie die Menge sie sah,
Da
Jauchzten Alle auf ringsum,
Und wußten eigentlich nicht warum. –
Wie sie nun allesammt hielten in dem Rondell,
Da trat in schlichtem Kleid ein Gesell
Aus der Menge vor
Und stieg auf den Altan empor.
Und mit einmal war
Alles still rings so wunderbar,
Als ob auch alle Bäume sich neigen
Und lauschen wollten mit ihren Zweigen.
Ein Sonnenstrahl aus wolkiger Höh'
Blitzte hernieder auf den Schnee.
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Da ward von goldigem Glanz umhaucht
Sein bleiches Gesicht in Licht getaucht.
Wie die Sonne nun das Gewölk durchbrach.
Und er sprach,
Seine Stimme die Menschen ganz durchdrang,
Und Alles athmete auf tief bang
Bei dem noch nie gehörten Klang:
Ein freier Bote steh' ich hier und Herold einer freien Stadt,
Und eine Botschaft künd' ich dir, die mir ein Gott gegeben hat.
Zum erstenmal geschieht es heut, auf dieser Erd' zum ersten Mal,
Daß sich der Mensch auf Erden wird bewußt der ganzen Menschheit Qual,
Des Unrechts, das die Gier ihm thut und Herrschsucht übt und der Betrug,
Der ihm die Augen stumpf gemacht, der seinen Geist in Ketten schlug.
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Und die Bewegung, die du schaust, wird unaufhaltsam weitergehn,
Vor keines Wahnes Machtgebäu, vor keinem Throne bleibt sie stehn.
Bis aus dem Gramgesicht der Welt das Elend nicht mehr grausig schaut,
Und bis auf Erden allerwärts ein neuer Menschenfrühling thaut.
Das ist die Leuchte, die uns führt, sie strahlt in wunderbarem Glanz,
Und wandelt vor uns her im Streit, bis wir den Sieg errungen ganz. –
Doch du, der Frauen hohe Zier, so anmuthreich, so schön und mild,
Im bittern Kampfe, der uns droht, ein liebliches Versöhnungsbild,
O glaube nicht, der niedre Mensch, er sei des Sinns der Schönheit baar;
Was auch der Bosheit Zunge spricht, o glaub' es nicht, es ist nicht wahr!
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Ein tiefes, banges Sehnen zieht, ein Streben auch, ihm unbewußt,
Nach dem, was göttlich ist und schön, durch des geringsten Menschen Brust.
Wann abgewaschen von der Zeit das Unrecht sein wird und die Gier,
Dann blühen Blumen weit und breit in nie geseh'ner Pracht und Zier.
Dann sprudelt hell der Schönheit Born aus tausend Quellen wundersam,
Und Sangesweisen werden laut, wie sie bis heut kein Ohr vernahm.
Die pflanzen fort und ewig fort der Menschheit höchsten Jubelschrei,
Bis alle Erdenmenschen ihn mitrufen können: Wir sind frei!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Jacoby, Leopold. Gedichte. Es werde Licht. Aus Berlins Vorzeit. 5. Die Verkündigung. 5. Die Verkündigung. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-8BD9-B