Karl Immermann
Tulifäntchen
In drei Gesängen

[411] An Michael Beer

Tulifäntchen kommt und spricht:
»Aus dem Stübchen, eng, umgrünet
Von der Linde, der Akazie,
Aus dem Stübchen, das die Malve
Anlacht mit dem runden, roten
Vollgesichte, schickt der Vater
Mich zur großen Stadt Paris.
Daß ich in den langen Gassen
Mir nicht selber komm' abhanden,
Gab er mir an dich Adresse.
Schütze du mit deiner Weisheit
Vor Verführung, Trug und Unstern
Meine unerfahrne Jugend
In dem Sündenlabyrinth!«
Tulifäntchen kommt und spricht:
»Von dem Vater soll ich melden,
Er sei ganz und gar der alte
Grillenfänger, unter strengem
Zauberbanne Wechsel duldend,
Jetzt in trostlos-öde Wüste
Hingeschleudert, und zurücke
Dann mit einem Schlag geschmeichelt
In das jüngste Paradies.
Manch ein Edler will ihn anders,
Er will manchen Edeln anders,
Er bleibt er, sie bleiben sie,
Und so leben Welt und Dichter
In dem wunderbarsten Einklang.«
Tulifäntchen kommt und spricht:
»Ich bin nur ein winz'ger Bursche,
[411]
Ich bin nur ein armes Garnichts,
Mein Verdienst, vom Sonnenstäubchen
Wird es weidlich überwogen.
Doch der Vater sprach, mir solle
Nicht das Herz darob erkranken.
Jeder zeige hierzulande
Sein Gesicht, krumm oder grade,
Wie's gewachsen sei, er frage
Nicht danach, ob seinem Nächsten
Krämpfe vom Aspekt entstünden.
Darum soll' auch meines herzhaft
Ich nur weisen allen Leuten,
Denn mir habe keiner jemals
Was geschenkt, so hab' ich keinem
Deutschen Landsmann was zu danken,
Und wer nicht mich ansehn wolle,
Lass' es bleiben immerhin.«
Tulifäntchen kommt und spricht:
»Noch ein Gleichnis gab beim Scheiden
Mir der Vater auf den Weg mit
'Lieder sind wie junge Vöglein,
Welche flattern flügg' vom Neste;
Nahe lauscht ein dummer Jammer,
Schlägt mit seiner plumpen Keule
Nach den leichten, doch die Schwingen
Tragen unverletzt sie fürder.
Flatternd spähn sie da und dorten,
Bis sie ruhn auf wackern Händen,
Auf dem Knie der schönen Frauen,
An der Brust geliebter Mädchen.
Dann die Kehlen öffnend, gießen
In den Äther sie die Seele,
Daß der Dichter, schleicht er eben
An so guter Statt vorüber,
Wundernd fragt beim feinen Schalle:
Ist das meine Brut, der tausend!
Die dort singt so nett und süß?'«
[412]
Tulifäntchen kommt und spricht:
»Zur Genüg' ist nun geplaudert.
Nimm mich auf die Hand, du Wackrer!
Wollen sehn, ob ich den Schnabel
Auch dann öffne zu dem bißchen
Melodie, das sich im kleinen
Körper einquartieren konnte!
Viel ging freilich nicht hinein.«

[413][415]

I. Tulifäntchen Fliegentöter

[415]

1. Der letzte Tulifant

O Vergänglichkeit, du Sieg'rin
Aller Sieger, alte Göttin!
Angetan mit grauem Leibrock,
Eppich um die Brust geknotet,
Eine Krone, falb von Moose
Auf dem weißen Haupt, so sitzst du
Unter Trümmern regenmürbe,
Auf zerbrochner Säule Sturze,
Bei verblichnen Liebespfändern,
Bei dem Putz verwelkter Schönen,
Unter ausgetrunknen Flaschen,
Ach, und unter armen Beuteln,
Die von Golde strotzten, jetzo
Leer in deinem Dienste ruhn!
Einst im Fantenreiche blühte
Das Geschlecht der Tulifanten.
Reiches Kornland, zwanzig Schlösser,
Schöne Wiesen, manch ein Geldsack
Waren sein, jedoch wo blieb es?
Mäus' verwüsteten das Kornland,
Und der Strom verschlang die Wiesen,
Raben trugen aus den Säcken
All das blanke Geld zu Neste,
Doch die Gläub'ger kauften spöttlich,
Was gelassen Mäus' und Raben.
Seht ihr dort am stillen Hügel,
Erlengrün und bachbenetzet,
Jenes Mäuerlein, zwei Schuh hoch,
Drin die feuchtverstockte Holztür?
[416]
Seht ihr jenen langen, hagern
Mann im Mantel, braun wie Zimmet,
Wie er feierlich durchs Feld schleicht?
Nun, die Mau'r verschließt, die Türe
Öffnet den Kartoffelkeller,
Dieser Keller der Kartoffeln
Ist das letzte von dem Erbe
Der berühmten Tulifanten,
Blieb allein von zwanzig Schlössern,
Weil kein Gläubiger ihn brauchen
Konnte, denen sonst doch brauchbar
Alles zwischen Erd' und Himmel.
Jetzo kam der braune Wandrer
Zu der Mauer, drauf sich setzend
Schaut' er ernst ins Gold der Sonne.
Nahm darauf aus seinem Mantel
Den Quartanten, sah die Farben
Der Geschlechter an des Landes.
Aber als der Abend dunkelt',
Schlug er zu das Buch und rufte:
»O wie hat mich Gott gesegnet,
Mich und meine edle Tulpe!
Wie mir im Gefühle wohl ist
Richt'ger Ahnen, im Besitze
Meines teuren Eigentumes!
Ach nur einen Wunsch, nur einen
Ließ der Himmel unerfüllet,
Diesen klag' ich hier den Lüften:
Daß mir würd' ein Sohn, ein edler,
Namens Erbe, Erbes Erbe!
Alt bin ich! Bald kommt die Stunde,
Wo der ferne Lehngevetter
Pflanzen wird auf diese Mauer,
Ach, sein Wappenschild, das fremde!
[417]
Denk' ich daran, dann erscheinst du
O Vergänglichkeit, du Sieg'rin
Aller Sieger, greise Göttin,
Riesig mir, gespensterhaft!«
Tulifant stieg, solches sagend,
Wehmutsvoll von seinem Erbe,
Und er kehrte langsam, seufzend
Heim zur vielgeliebten Tulpe.

2. Die Hoffnung des Hauses

Welch ein Rennen, welch ein Kramen
In dem Zimmer Tulifantens!
In Geschlechtsregistern sucht er
Namen, voll und hoch erklingend:
Roderich, Fadrique, Perez,
Luis, Jose, Pedro, Sancho,
Juan, Toribio, Quadradillos,
Tönen ihm noch nicht genugsam.
Endlich hat er ihn gefunden,
Einen Namen, majestätisch:
»Christoph heiß' er! Wie Sankt Christoph
Einst das Heil der Welt getragen,
Wird das Heil des Hauses dieser
Tragen auf den beiden Schultern.«
Jetzt dem Diener ruft er: »Gines!«
Gines kommt gewackelt: »Sennor?«
»Steck ein Küchlein an den Bratspieß,
Kauf ein Krüglein guten Schmalbiers,
Such uns einen Korb voll Schötlein,
Iß dich selber satt in Weißbrot!«
Zweifelnd steht der treue Gines,
Zuckt die Achseln, sagt mit Schwermut:
[418]
»Herr, vergebt, es ist ja Fasttag
Heute nach der Zeiten Ordnung.
Gestern war der Tag des Fleisches,
Heute leben wir im Geiste.
Ach, bedenkt, bedenkt das Morgen,
Essen heute wir das Küchlein,
Trinken heute wir das Schmalbier,
Pflück' ich heut Euch ab die Schötlein,
Zehr' ich selber auf das Weißbrot!«
Spricht der Herr: »Gines verrichte,
Was ich dir befahl, nicht zaudre!
's ist ein Festtag, nicht ein Fasttag.
Wenn der Himmel sie begnadigt,
Soll'n die Menschen fröhlich sein.«
Zweifelnd stand noch immer Gines,
Da, die Hüft' umbauscht vom Reifrock
Aus gestreiftem gelbem Atlas,
Der gesehn drei Menschenalter,
Trat zur Tür hinein voll Würde
Die erhabne Donna Tulpe.
Und Don Tulifant entgegen
Gehend der Genossin, küßt' ihr
Ernst die Hand, die Wange küßt' er,
Und er sprach zu ihr bedeutsam:
»Immer wart Ihr, o Gemahlin,
Meiner Gegenwart Beglückung,
Nun schafft Ihr der Zukunft Segen.
O wie fühl' ich mich verschuldet
Tief für alles, was Ihr gabet,
Gebt und mir noch geben werdet!«
Zweifelnd stand nicht länger Gines,
Rannt' hinaus und rief mit Jubel:
»Gerne fahr' ich nun ins Grab ein,
Denn ich seh' des alten Hauses
[419]
Junge Hoffnung winken glanzreich!«
Pflückte tänzelnd drauf die Schötlein,
Kochte sie und briet das Küchlein,
Kaufte, halb im Taumel, Schmalbier
Für den letzten Groschen, trug dann
Seinen Herren auf die Mahlzeit,
Aß sich selber satt in Weißbrot,
Zechte tapfer dazu Wasser,
Und sank auf das Stroh, betrunken.

3. Tulifäntchens Geburt

Dämmrung im verhangnen Zimmer,
Grüne Dämmrung um das Ehbett!
Leise weinet Donna Tulpe,
Seufzend schaut Don Tulifant.
Was liegt in des Vaters Schoße?
Ist's ein neugebornes Wiesel?
Ist es ein Alraunenmännlein?
Ist's ein Püppchen zart von Seide?
's ist kein Püppchen, kein Alräunchen,
's ist kein neugebornes Wiesel,
's ist das neugeborne Knäblein,
Fingerlang und fingerdick.
»O was soll mir dieser Segen,
Dieser Wicht, das Zwergenknirpslein?
Nimmer baut des Hauses Ehre
So ein kurzes Endchen Schande,
Nimmer kann zu Lehen tragen
Dieser Wurm das Vatererbe.
Fallet ein, ihr Kellermauern,
Eh' ihr fremdes Wappen zeigt!«
Leise weinet Donna Tulpe,
Seufzend schaut Don Tulifant.
[420]
»Ach, nun kann ich nicht ihn Christoph
Taufen lassen, wie ich wollte,
Denn er ist Diminutivum
Eines Menschen, und die Knaben
Würden, herzlos ihn verkleinernd,
Ihn nur rufen: Kleiner Töffel!«
Leise weinet Donna Tulpe,
Seufzend schaut Don Tulifant.
Siehe, durch die Dämmrung Lichtglanz
Und im Glanze welch ein Wesen!
Auf des Regenbogens Brücke
Steigt ins Zimmer, lieblich lächelnd,
Große Flügel, blaupunktierte,
Goldenschillrige bewegend,
Steigt zum Bett ein zartes Weiblein.
Und zu den erschrocknen Eltern
Sprach das goldbeschwingte Wunder:
»Fürchtet nichts, ihr Guten, blickt mich
Mutig an! Ich bin der Schutzgeist
Eures Hauses, Fee Libelle,
Auch die Letzte des Geschlechtes,
Das in allen Elementen
Einst so herrscherhaft gewaltet,
Aber im Verlauf der Tage
Bis zu mir ist eingeschrumpfet.
An dem Keller, eurem Erbe,
Fließt das Wässerchen, darüber
Grünt der Erle voller Zweigschmuck.
In der Erle wohn' ich. Hofhalt
Führ' ich mit den dünngeleibten
Dort den bunten Wasserjungfern.
Würd'ger Don, du hast beständig
Diesen Feienbaum geschonet,
Und die Donna hat, was taub war
An den Ästen, abgeschnitten,
[421]
Fee Libell' ist drum euch dankbar.
Weine nicht, o Donna Tulpe,
Seufze nicht, Don Tulifant,
Denn ein Sohn ward euch geboren,
Der des Hauses Stern und Blume,
Euch zum Troste wisset das!«
»Ach, wie soll«, sprach Donna Tulpe,
»Hohes Wesen, das geschehn wohl?
Ist doch jene Blum', der Hausstern,
Gar zu kurz und klein geraten!«
Darauf sprach das goldne Wunder,
Fee Libelle, Flügel schwingend:
»Jetzo ist die Zeit der Kleinen!
Große Taten kleiner Leute
Will die Welt, noch einmal sag' ich,
Freut euch dieses winz'gen Helden!«
Sprach's, und stieg mit Füßen zierlich
Auf des Regenbogens Brücke
Durch das Fenster in die Lüfte.
Regenbogen troff in Flocken,
Purpurn, gelben, violblauen
Auseinander, Lichtglanz graute,
Wieder webt' im Zimmer Dämmrung.
Zweifelnd blinzelten die Eltern,
Und sie rieben sich die Augen.
Da tät auf sein rosig Mündlein
Tulifäntchen, so im Schoß lag
Alten Tulifants, und zirpte
Ganz vernehmlich wie ein Heimchen:
»Eltern, ja, ich will's vollenden,
Bin des Hauses Stern und Blume!«
Schwörend hub er auf das Händlein,
Und sah tapfer aus den Augen.
[422]
Wunder über Wunder machten
So bestürzt den Don, die Donna,
Daß sie lange schwiegen zitternd.
Endlich hat der Don begonnen:
»Dieses läßt sich nicht begreifen,
Aber glauben wir, o Donna,
An des Hauses Blum' und Stern!«

4. Vater und Sohn

TULIFÄNTCHEN:
Mein Vater, mich verzehren
Der Tatenhunger und der Durst nach Ehren!
Jüngling bereits an Jahren,
Bin ich ein Kind in dem, was ich erfahren.
Ehrwürd'ger Wappen Schilder
Sehn mahnend nieder, großer Ahnen Bilder
Befragen mich voll Hoheit:
Wie lange bleibst du hier im Stand der Roheit?
Laß mich, mein Vater, ziehen
Hin, wo die Blumen heil'gen Ruhmes blühen!
TULIFANT:
Mein Söhnlein, ach, du Kleiner,
Du Daumesdicker, Fingerlanger, Feiner,
Wo wüchse doch das Blümchen
Wohl in der Welt, mein Kind, von deinem Rühmchen?
Willst du vielleicht in Schachten
Der Erde tief mit Zwergen liefern Schlachten?
Die Kran'che helfen wehren
Von der Pygmäen hartbedrängten Heeren?
Willst zu den Liliputtern
Du wandern gehn, dein Schwert dort abzufuttern?
TULIFÄNTCHEN:
Du bist mein Vater, Vater!
Quell meines Lebens, meiner Tage Rater!
[423]
Drum darf ich nicht gesunden
In deinem Blut, von solcher Worte Wunden!
Ein andrer, o Erzeuger,
Der würde wohl ein kalter blasser Schweiger,
Wollt' er mit Schimpf und Faxen
Verspotten mich, weil ich nicht lang gewachsen.
Seit wann denn hat die Elle
Den wahren Wert zu schätzen, Amt und Stelle?
Nicht in den großen Gliedern,
Im großen Herzen steckt der Mut dem Biedern!
TULIFANT:
Dies Wort voll Kraft und Ruhe
Setzt, Sohn, zu deiner Länge viele Schuhe.
Du widerlegtest bündig
Mein Argument; Erzeugter, du bist mündig!
TULIFÄNTCHEN:
So gib mir, Vater, Waffen!
TULIFANT:
Ich will dir, die du tragen kannst, verschaffen.

5. Tulifäntchens Auszug

O du freud'ges Waffenblitzen!
Edle Waffen, rechte Waffen!
Tulifant, der Vater, sitzet
Bei dem Licht in seiner Kammer,
Schafft das Schwert dem tapfern Söhnlein.
Eine Federmesserklinge,
Stark und scharf und spitz und stahlblank
Hält er in den Händen, schmelzet
Siegellack, und macht den Griff dran
Von dem Siegellack in Kreuzform.
[424]
Welch ein Prachtgewehr, unscheltbar!
Federklinge mit dem Lackgriff!
Ritterrüstung! Panzerrüstung!
Gute Rüstung, tücht'ge Rüstung!
Donna Tulpe sucht in Zähren,
Frommen Zähren, Mutterzähren,
Einen Silberling, durchlöchert.
Fäden zieht sie, seidne Fäden
Durch die Löcher, schlingt die Knoten.
Ei, welch mächtig Silberschildlein,
Mit den Riemen, seidenfadig!
Donna Tulpe geht im Baumhof
Zur Kastanie, liest die Frucht auf,
Schnitzet aus der braunen Hülle
Armesschienen, Beinesschienen,
Und den Küraß, den gewalt'gen.
Eine halbe hohle Nußschal'
Holt sie aus der Vorratskammer,
Macht daraus dem Sohn das Helmdach.
Aus der Türe tritt der Vater,
Führet seinen Sohn und saget:
»Nun beweiset, edle Donna,
Mut, gleich der spartan'schen Mutter!
Denn es geht zum Scheiden jetzo,
Doch es geht in hohe Tatbahn.«
»Kehre mit ihm oder auf ihm!«
Spricht die Mutter, reicht dem Sohne
Den betränten Silberlingsschild.
»Decke dich der Panzer treulich!«
Spricht die Mutter, wappnet sorgsam
Ihren Sohn mit der Kastanie.
»Sei dir stets der Helm ein Schutzdach!«
Spricht die Mutter, setzt aufs Haupt ihm
Ihre halbe hohle Nußschal'.
[425]
Spricht der Vater: »Kniee, Junkherr!«
Nieder kniet Don Tulifäntchen,
Und der Vater gibt ihm Schwertschlag
Dreimal mit der Federklinge:
»Führ' dies Schwert zum Heil der Waisen,
Führ's zum Hort der Witwen, Jungfraun,
Führ's zum Trutz der schnöden Unbill!«
Freudig sprang der neue Ritter
Auf vom Boden, rief: »Mein Vater,
Laßt mir bringen nun mein Schlachtroß,
Unsern Schimmel, den bewährten,
Den loyalen Zuckladoro,
Denn ich reite gleich auf Taten.«
Gines brachte, der getreue,
Jetzt den alten, guten Schimmel,
Den loyalen Zuckladoro.
»Wollt Ihr, Ritter, fraunhaft querwärts
Sitzen, oder männlich schrittlings?
Fast zu kurz sind Eure Beinlein
Für des Rückenteils Beschreitung.«
Sprach der Held, Don Tulifäntchen:
»Nicht will schrittlings, nicht will querwärts
Ich auf diesem Schimmel reiten.
Nein, ich setze mich ins Ohr ihm,
Und gebiet' ihm, wie er gehn soll.«
Drauf versetzt der treue Gines:
»Pferde dulden nichts im Ohre,
Kitzeln wird es unsern Schimmel,
Und hinaus Euch schütteln wird er.«
Sprach der Held, Don Tulifäntchen:
»Dulden wird mich Zuckladoro.
Kitzel ist ein Wort des Pöbels,
Dieser Schimmel ist ein Schimmel,
[426]
Welcher durch Vernunft besieget
Der Natur gemeine Regung.«
Alles dies verstand der Schimmel,
Und er bog das Knie. Der Held nun
Schwang von Haar zu Haar sich aufwärts,
Bis er kam zum Rand des Ohres.
Drinnen setzt' er sich zurechte
Auf dem Knorpel, auf dem festen,
Grüßte mit dem Schwerte höflich
Seine Eltern, grüßte huldvoll
Auch den vielgetreuen Gines,
Rief: »Ihr höret von mir Großes,
Oder nichts mehr! Trab, mein Schimmel!«
Schimmel schnob und strich von dannen,
Aus Vernunft hielt er das Ohr steif,
Daß der Held gesichert sitze.
Staunend sahn die guten Eltern
Nach dem wunderbaren Sohne.
Sahn noch lange seiner Augen
Tatendeutungsvolles Leuchten
Unterm Helm von Haselnußschal'
Aus dem Ohr des wackern Schimmels.

6. Erste Rast

Nieten sind in jedem Lostopf,
Taube Nüss' auf jedem Nußbaum,
Und Windeier legt ein jedes
Noch so tät'ge Huhn mitunter.
So hat diese Heldensage
Auch die taube Nuß, die Niete,
Und das Blatt, gleich einem Windei.
Tulifäntchen ritt in Hasten
In dem Ohr des wackern Schimmels
[427]
Über Heiden, Felder, Halden
Ohne Taten, ohne Wunder.
Sonne schien, und Lüfte spielten,
Sangen Vögel, muntre, kleine,
Schimmel nahm als wahrer Weiser,
Stillesteh'nd, am Weg mitunter
Gras und Kraut ein derbes Maulvoll,
Eh' die Gottesgabe faulte.
Äußerst böse, daß sich nirgends
Zeigt' ein Tatumstand von Würde,
War der Held, Don Tulifäntchen.
Doch als er sich satt gezürnet,
Und als nichts dabei herauskam,
Wurd' er müde, gähnte, schlief bald.
Der loyale Zuckladoro
Merkte kaum des Helden Schnarchen
Auf dem Knorpel seines Ohres,
Als er sprach: »Wir schlummern gleichfalls.«
Ließ sich nieder leise, sächtlich,
Seine Augen schloß er beide,
Auch im Schlafe steif erhielt er
Aus Vernunft das Ohr, auf daß nicht
Haltlos in den Sand der Heide
Fiel die Hoffnung des Gedichtes.
Aber wachend überschienen
Alle Sterne Roß und Heide,
Mit dem Licht, dem kalten, weißen.

7. Das Land der Weiber

Immer noch schlief Tulifäntchen,
Als schon auf den Feuerrädern
Helios' goldner Wagen rollte,
Wach schon lang war Zuckladoro.
Schimmel, nach dem Schläfer horchend,
[428]
Sprach bei sich: »Hier gilt nicht zaudern,
Rasch von dannen, in die Weite!
Schlummernd soll mein Herre vorwärts,
Gleich so manchem Tatentäter.«
Sprach's, und hob sich auf die Füße,
Rannte durch die Welt im schrägen
Windelweichen Schaukelpaßgang.
Tulifäntchen träumt' indessen
Von den Drachen, Riesen, Ogern,
Hieb auf gift'ge Ungeheuer,
Fing den Phönix ein, den Vogel,
Wohnt' in Bergkristallengrotten,
Liebend mit der Nixe kost' er.
Doch ein lärmend Rufen kreischte
Jetzt ins Ohr des Schimmels, weckend
Drang es in des Helden Öhrchen.
Rings um ihn erscholl es: »Haltet,
Haltet auf das Pferd, das led'ge,
Auf den Schimmel, den verloffnen!«
Aus dem Ohre höchst gereizet
Sprang der Held Don Tulifäntchen,
Glitt von Haar zu Haar hinunter.
Feu'r vom Wirbel bis zur Zehe,
Trotzig rief er: »Wer da waget
Zu behaupten, daß ein led'ger
Schimmel sei an diesem Platze,
Der verfechte die Behauptung!
Ich beweis' auf Tod und Leben,
Daß ein Schimmel mit dem Reiter
Ist zur Stelle; hier der Reiter!«
Aber als er um sich blickte,
Sah er nichts als Weiber, Schürzen
Sah sein Aug', so weit es reichte.
Und er stand vor einer großen
[429]
Stadt, und vor dem großen Stadttor,
Überm Tore prangt' ein mächt'ges
Wappen, und im Wappen stolzte
Eine Kunkel als das Hauptschild.
Frug der Held, Don Tulifäntchen:
»Wo bin ich, und wes das Land hier?«
Und die Nächste, zu ihm tretend,
Eine kräftige Brünette,
Sprach: »Du bist im Land der Weiber,
Vor der Stadt der Weiber stehst du.«
Sinnend fragte Tulifäntchen:
»Leben hier denn keine Männer,
Wie gebräuchlich allerorten?«
Sprach die kräftige Brünette:
»Keine Männer sind geduldet,
Oder nur im Sklavenkittel,
Unterm Schatten jener Kunkel.
Groß ist unser Reich; die Grenzen
Schlossen sich noch nicht, des Landes.
Täglich mehren die Provinzen
Sich durch wachsende Erob'rung.
Frauen führen die Geschäfte
Hier des Orts. In Ehr' und Staatsamt
Siehst du Frauen nur; die Kön'gin
Grandiose herrscht ob allen.«
Frug der Held, Don Tulifäntchen:
»Doch wie kam es, daß das Mannsvolk
Euch gewichen ist? Das sag mir!«
Sprach die kräftige Brünette:
»Unsre Männer hießen girrend
Uns der Schöpfung Meisterstücke,
Engel, ird'sche, ohne Flügel,
Lagen stets zu unsern Füßen,
[430]
Nannten sich der Schönheit Knechte.
Dies geschah so lang, bis daß wir
Einstens sprachen: 'Nun, so wollen,
Da wir Engel sind, wir künftig
Wohnen in der Herrschaft Himmel,
Und der Schöpfung Meisterstücke
Soll'n nicht ferner euch, den niedern
Rohen Dutzendfabrikaten
Kochen Supp' und Fleisch, Gemüse.'
Griffen drauf zu unsern Waffen,
Zu den Spindeln, zu den Nadeln,
Schlugen unsre Männer, schwächlich
Waren sie vom Knien geworden,
Trieben sie nach fernen Zonen,
Und so haben wir die Herrschaft.
Doch nicht länger frag, o Fremdling,
Führen muß ich zum Palast dich,
Da du gleichfalls bist ein Mannsbild.«
»Nur noch eines fragen laß mich«,
Sprach Don Tulifäntchen, »sag mir,
Wie erhält wohl euer Staat sich
Ohne Männer für die Folge?«
Sprach die kräftige Brünette:
»Dafür auch ist schon gesorget.
Denn Provinzen, neuerobert,
Grenzen an des Paradieses
Langverschollnen grünen Garten.
Dort wächst eine Art von Bäumen,
So die teuren Schwestern alle
Ohne jenen Spruch des Fluches
Hätt' der Mühe überhoben,
Die seitdem herkömmlich worden.
Denn es reifen an den Ästen
Dicht und voll die schönsten Kinder.
Dieser Baumfleck ist Regale.
Welche nun der Weiber wünschet
[431]
Mutterfreuden zu genießen,
Diese löset von der Herrsch'rin
Auf gestempeltem Papiere
Einen Kinderschein, und darf dann
So viel Früchtchen, als sie liebet,
Dort sich von den Zweigen schütteln.
Siehe, Jüngling, so erneut sich
Ohne Männer, ohne Kindsnot
Unser Staat allein durch Baumobst.
Aber jetzt frag mich nicht weiter,
Folge mir zur Kön'gin spornstracks.«
Tulifäntchen blickte glühend
Um sich, rief: »Bin ich denn wehrlos?«
Dann die Hand zur Stirn geführet,
Faßte sich der Held und sagte:
»Weißen Händen gern ergibt sich
Jeder Paladin von Ehre.«
Sprach's mit adliger Gebärde,
Neigend zierlich Haupt und Schwertlein.
Und voran schritt die Brünette,
Hinterdrein schritt Tulifäntchen,
Schimmel folgte, jetzo schüttelnd
Voll Bedenklichkeit das Ohr schwer.
Also schritt der Zug palastwärts
Durch die weiberangefüllten
Straßen, durch die Straßen, voll von
Kindern aus dem Pflanzenreiche.

8. Die Brummfliege

Fürstenzürnen, böses Zürnen!
Königsgrimm, o schlimm Verhängnis!
Herrlich glänzt das Schloß, das güldne,
Von der Säulen Wald umkränzet,
[432]
Mit den Toren, blau, von Jaspis.
Aber das Entsetzen blicket
Tulifäntchen bleich entgegen
In dem Schloß, aus jedem Antlitz.
Auf nun rauschen ihm die Flügel
Zu den innersten Gemächern,
Und er steht im Marmorsaale
Unter weiblichen Ministern,
Reichs-Kron-Würdeträgerinnen,
Adjutantinnen der Garde.
Und Brünette ging zurücke,
Tulifäntchen war alleine
Unter den besternten Weibern.
Alle schaun, von Angst geschüttelt,
Nach dem roten Damastvorhang,
Welcher deckt den Grund des Saales,
Aber die Premierminist'rin
Lauschet durch des Zeuges Falte.
Tulifäntchen naht sich zierlich
Der Minist'rin, spricht in Züchten:
»Damen seh' ich voll Bedrängnis,
Wollet Exzellenz gebieten
Über Eures Ritters Kräfte!
Was trübt Eurer Augen Sternglanz,
Daß sie, Sonnen des Gesichtes,
Nur durch Nebel düster brennend,
Künden finstern Tag der Seele?«
»Ritter«, sagte die Minist'rin,
»Wisse, dieses ist die Stunde,
Wo die nie genug gelobte
Große Kön'gin Grandiose
Denkt ans Glück der Untertanen.«
[433]
»Nicht versteh' ich Eure Rede«,
Sprach der Held, Don Tulifäntchen.
»Siehe!« sagte die Minist'rin;
Hob den Vorhang auf, da schaut' er
Im gewölbten Kabinette
Hehr die Kön'gin Grandiose,
Angetan mit Hermelinvlies,
Auf dem Haupt die goldne Krone,
Goldnen Zepter in der Rechten,
In der Linken den Reichsapfel,
Ganz genau wie Karo-Dame.
Sinnend saß sie, tiefes Denken
Hatte sie durchaus umwoben.
Der bemeldete Reichsapfel
War gefüllt mit Spaniole,
Und sie schnupfte draus voll Inbrunst.
»Warum bebt Ihr, wenn der Kön'gin
Landesmütterliche Liebe
Sich zum Heil des Volkes abmüht?«
Frug der Held Don Tulifäntchen.
Trüb versetzte die Minist'rin:
»Fremdling du im Land der Frauen,
Wisse, daß die große Kön'gin
Nie so leicht ist aufzuregen,
Als wenn sie sich ganz vertieft hat
In die edelsten Gedanken.
Darum faßt uns stets ein Bangen,
Denkt sie an das Glück des Landes,
Denn dann fließen ihre Tränen
Einem schönen Ideale,
Wie es könnte sein, und nicht ist.
Greift das Leben dann, das rohe,
Ins Konzert der Seele, stört sie
Nur ein Sonnenstäubchen, das nicht
Nach dem höchsten Willen kräuselt,
[434]
Fährt sie furchtbar auf, und meistens
Läßt sie, um sich herzustellen
Zum Regentengleichgewichte,
Ihrer Nächsten köpfen ein'ge.«
Ernst erwog in seiner Seele
Dies der Held. Urplötzlich aber
Sah er dringende Gefahren
Für die schutzvertrauten Frauen,
Für das Volk von Micromona,
Denn so hieß die Stadt, die große.
Zu dem offnen Fenster sausend
Schoß herein der Fliegen eine,
Die uns Brummer oder Schmeißer
Nennet die Naturbeschreibung.
Erst vom weiten flog die Wüste
In unangemeßner Weise
Um die Krone, um den Zepter,
Um den Vlies, und um die goldne
Spaniol-Reichsapfeldose.
Doch der kugelrunden Augen
Freches Demagogenleuchten
Zeigte deutlich, daß sie strebet',
Auf die Nase sich der Kön'gin
Hochverrät'risch hinzupflanzen.
Da empfiehlt sich Tulifäntchen
Hergebrachterweis' im stillen
Der Geliebten, die noch nicht ihm
Ward beschieden, zieht vom Leder,
Zieh'nd am Lackgriff, schwingt und wetzet
Vaters guten Federflamberg.
Flüstert: »Edle Damen, gramschwer,
Betet für des Jünglings Heil nun!
Eine Tathandlung verrichtet
Seine Faust zu Eurem Frommen.
Doch wenn ihn sein Stern dem Tod weiht,
[435]
Geb' ein simpler Stein Bescheid nur
Von dem Namen, dem Geschlechte.
Tulifäntchen heißt der Jüngling,
Tulifantens Sohn; er rühmt sich
Reinen Bluts und edler Eltern.«
Sprach's; und sprang mit gleichen Füßen
In das Kabinett der Kön'gin.
Leise, wie ein Mückchen, schritt er
Über die gebohnten Dielen.
Kön'gin Grandiose hörte
Nicht des Paladines Schreiten,
Sondern dachte tiefgerühret,
Eine große Trän' im Auge,
An das Glück der Untertanen.

9. Brummers Tod

Fürstenzürnen, böses Zürnen!
Königsgrimm, o schlimm Verhängnis!
Brummer brummt und summt und surret
Um die Nase der Gesalbten,
Und schon schwillt, man sieht es deutlich,
Auf der Stirn der Landesmutter
Mählich an die Kollerader.
In dem großen Augenblicke
Sammelt Tulifäntchen schleunig
Alle Geister seiner Klugheit,
Nimmt behend aus seinem Täschlein
Ein erspartes Stückchen Zucker,
Hält es lockend in die Luft hin.
Kaum erschaut der grimm'ge Brummer
Das geliebte, stetsersehnte,
Nie genug geleckte Süße,
Als er durch die Luft, geschwungnen
[436]
Kreises naht dem werten Zucker.
Aber Tulifäntchen mutig,
Sichern Blicks im Feldherrnauge,
Zielet mit dem Schwert, und eben
Wie das Ungeheu'r sich heftig
Niederstürzen will zum Zucker,
Stößt er ihm mit festem Stoße
Durch den Magen grad' das Schwert nun,
Daß die Spitze hinten vordrang.
Opfer seiner Leidenschaften
Haucht' der Wütrich in den Hades
Seine Seele, lasterschmutzig;
Und der Held trug die gespießte
Leiche zu den Weibern, Jubel
Hallt' im Marmorsaal, vom Kusse
Der Erfreuten ward der Junkherr
Fast zu Tode dort gedrücket.
Aber jetzt erschien die Kön'gin,
Die Reichsapfeldosenträg'rin,
Und geruhte, sich zu äußern:
»Unsre Stunde war sehr fruchtbar.
Künftig wird, behufs Ersparung
Überflüss'ger Dinte, niemals
Übers i der Punkt gesetzet.
Dies erdachten Wir zum Heile
Treuer Untertanen gnädigst.
Das Gesetz emporzuhalten,
Werden Wir sofort ernennen
Hundertzwanzig Kommissarien
Mit auskömmlichen Diäten.
Eine Flieg' umflog, so dünkt' Uns,
Unserer Person, der heil'gen,
Allerhöchste Riechorgane.
Schon erschraken Wir im Geiste
Selbst vor Unsrem künft'gen Zorne,
Wenn das Untier sollte wagen,
[437]
Sei's durch Krabblung oder Kitzlung,
Sei's durch Rennen, Rüsselfühlen,
Unsre Nas' und Ruh' zu schäd'gen.
Denn Wir sind, Wir wissen's, schrecklich,
Stört man Unsre weichen Stunden.
Doch auf einmal stille ward es,
Und wir sannen weiter friedlich.
Hat jemand vielleicht durch kluge
Tücht'ge Tat die Flieg' entscheuchet,
Nenn' er frei sich, denn bekannt ist's,
Daß Wir kein Verdienst im Staate
Lassen ohne Band im Knopfloch.«
Sprach jetzt die Premierminist'rin:
»Dieser tugendhafte Degen,
Kön'gin, ist der Held des Tages.«
Knickste, hob auf ihren Fächer
Tulifäntchen, präsentierte
Ihrer Königin den Helden.
Und das Knie bog Tulifäntchen,
Und der Fliege Leichnam hielt er
Hoch empor am Schwert, dem guten.
»Mögen deines Namens Feinde
All', wie dieser Brummer, enden!«
Sprach er mit gesetztem Mute.
Doch die Kön'gin sagt' in milder
Würd'ger, königlicher Haltung:
»Fremder Ritter, du erwarbest
Großes Recht auf Unsem Dank dir.
Wir erkennen's, Wir beweisen's.
Leb' im Staat von Micromona,
Ausnahmsweis', ein Mann, und dennoch
Hochgeehrt! Der Hof vernehme:
Wer dem Paladine wohltut,
Reicht der Königin die Wohltat.
Mit des Reiches höchstem Orden
[438]
Seid Ihr, Held, hiemit bestallet,
Mit dem Orden vom Pantoffel!«
Unbeschreiblich war die Wirkung,
Welche diese Wort' erzeugten.
Tulifäntchen war gerühret,
Grandiose war desgleichen
Sehr gerührt von ihrer Güte.
Alle Kammerdamen weinten,
Laut aufschluchzte die Minist'rin,
Schimmel draußen schwamm in Zähren.
Drauf zur Tafel ging man, speiset'
Mit erhöhtem Appetite.
Abends war die Stadt beleuchtet,
Und in rotem, grünem Feuer
Brannte transparent an hundert
Orten: »Vivat!« und: »Es lebe
Tulifäntchen Fliegentöter!«
So ward groß der Held im Kleinen
An dem Hof von Micromona,
Welches liegt im Reich der Weiber.

[439][441]

II. Die Mauer von Brambambra

[441]

1. Der Königin Leid

TULIFÄNTCHEN:
Schon viele Wochen habet
Ihr, Kön'gin, mich mit Eurer Gunst gelabet!
Ihr schuft mein Glück, ich wohne
Im Sonnenschein des Heils an Eurem Throne.
Jedoch mein Herz verzehret
Sich in der Ruh, weil Taten es begehret!
Es will mein Jugendfeuer
Zu neuem Ruhm auf frische Abenteuer!
Die Welt ist voll des Schlechten,
Entlaßt mich, Majestät! Pflicht ist's, zu fechten!
GRANDIOSE:
So willst auch du mich meiden,
Du teurer Held, so edel und bescheiden?
In dir fand ich den werten,
Vertrauten Freund, den ach! so lang entbehrten.
TULIFÄNTCHEN:
Des Heldentums Verhängnis
Trifft nun auch mich, des Scheidewegs Bedrängnis!
Mich ruft hinweg die Tugend,
Doch Dank hält in der Fessel meine Jugend.
Wie soll aus Doppelketten
Sein Selbst der Sohn Don Tulifantens retten?
Daß sich ein Mittel fände,
So Pflicht und Gegenpflicht gelind verbände!
Mir künden Eure Mienen
Geheimen Gram, drum sprecht: kann ich Euch dienen?
[442] GRANDIOSE:
Willst du, daß ich dich stürze
In sichre Schmach?
TULIFÄNTCHEN:
Du deut'st auf meine Kürze!
O schmerzliche Verletzung!
GRANDIOSE:
Nein, durch Vertraun beweis' ich meine Schätzung.
Mit dem Gemahl, dem lieben,
Den ich nachher aus Stadt und Land getrieben,
Genoß ich wenig Glücke,
Charaktervoll war ich, und er voll Tücke.
Ich litt durch ihn unendlich,
Doch kam ich in die Wochen unabwendlich
Jedwedes Jahr. Erkläre,
Vermagst du es, das Rätsel mir, das schwere,
Daß wir, die schlimmsten Gatten,
In sechszehn Jahren sechszehn Kinder hatten?
Die Parze spann vom Rocken
Rasch ihren Flachs, sie starben an den Pocken.
Vermittelst der Vakzine
Erhielt ich nur Prinzessin Balsamine.
Die Tochter, seit der Kindheit
War stets ein Muster lernender Geschwindheit,
Sie stand mit achtzehn Lenzen
Beinah an jedes Wissens letzten Grenzen,
Trieb dreizehn tote Sprachen,
Und las am liebsten philosoph'sche Sachen.
Anatomie ins kleinste
Verstand sie, spaltete Begriffe auf das feinste!
TULIFÄNTCHEN:
Wo ist sie denn zu schauen?
GRANDIOSE:
Geraubt, entführt, in eines Riesen Klauen!
[443] TULIFÄNTCHEN:
Entführt? Ein Ries'? Ich bebe ...
Doch nein! Es lebt die Tapferkeit, ich lebe!
GRANDIOSE:
Der Riese, wehe! wehe!
Hat seinen Horst in meines Reiches Nähe
Auf hohem Schloß, die Mauer
Von Eisen ließ sie machen der Erbauer.
Und hinter diesen Wänden
Von Eisen hält mit seinen plumpen Händen
Das Untier fest die Tochter,
Sie ist bei ihm, seht, Teurer, das vermocht' er!
TULIFÄNTCHEN:
Von böser Lust getrieben?
GRANDIOSE:
Dergleichen hat sie niemals mir geschrieben.
TULIFÄNTCHEN:
Schickt sie dir denn Billette?
GRANDIOSE:
Allwöchentlich. Sie rühmt die Etikette
In jenes Riesen Wohnung,
Mir zum Erstaunen preist sie seine Schonung.
TULIFÄNTCHEN:
Warum sie dann verhaften?
GRANDIOSE:
Aus reiner Liebe zu den Wissenschaften.
Wie meist die Riesen pflegen,
Hat dieser in der Jugend obgelegen
Dem Spiele bloß, dem Trunke,
Und niemals glomm in ihm des Geistes Funke.
[444]
Auf einmal aber haben,
Als er ins Alter trat der klugen Schwaben,
Sich neue Wünsche, denket!
In seine breite, rauhe Brust gesenket.
Denn weil er sah, wie jeder
Jetzt braucht den Mund und besser noch die Feder,
Entschloß er sich – das Grauen –
Den Geist, der lang gebrachet, anzubauen.
Sogleich verschrieb er Maîtres
In Sprachen, Wissenschaften und belles lettres,
Wovon jedoch nicht einer
Den Riesen klüger machte oder feiner.
Stets blieb ein Ignorante
Der späte Bildung dürstende Gigante.
Die Lehrer mußten tragen
Die Schuld, er hat sie sämtlich totgeschlagen!
Drauf hört' er von dem Rufe
Der Tochter, daß sie klomm zur höchsten Stufe
In der Minerva Tempel,
Als der Gelehrsamkeit hellstrahlendes Exempel.
Und alsobald im Herzen
Sprach er: »Sie ist's! Sie zündet mit die Kerzen!«
Als über Konjekturen
Sie einst nun sann auf unsern Wiesenfluren,
Sprang aus der Büsche Dicke
Der räuberische Riese, voll von Tücke,
Geschwinde, wie der Wind her,
Seit diesem Tage, Freund, hab' ich kein Kind mehr!
TULIFÄNTCHEN:
Leb wohl!
GRANDIOSE:
Wohin?
TULIFÄNTCHEN:
Noch fragen?
Du kennest mich! Nichts mehr hab' ich zu sagen.
[445] GRANDIOSE:
Du wolltest ...
TULIFÄNTCHEN:
Wollen? Wollen?
Gibt's hier ein andres Wort, als: Müssen, Sollen?
GRANDIOSE:
Ach, fürchte ...
TULIFÄNTCHEN:
Nur die Schande
Fürcht' ich! Was fürchtet sonst ein Mann von Stande?
Mir ist der Tag erschienen
Der Tat, des Ruhms! Ich rette Balsaminen!

2. Ritter Fis von Quinten

Welche Triller, welche Läufe,
Dringen aus dem Busch, dem grünen?
Klingt es doch wie Sterbeklaglaut!
Aber singt man, wenn man abfährt?
Tulifäntchen kam getrabet,
Sprang behend vom Ohr des Schimmels,
In das Dickicht, ohne Bangen,
Abenteuerdurstgequälet,
Schritt der Held, Don Tulifäntchen.
Blut'ge Steine! Roter Rasen!
Einen Jüngling, bleich zum Tode,
Trug das rote Bett von Rasen.
Tulifäntchen flog zum Wunden,
Sprang auf seine Brust mitleidig,
Neigte sich zum Ohr des Blut'gen,
Und er wisperte ins Ohr ihm:
»Sprich, wer bist du? Wer erschlug dich?
Kann ich helfen? Kann ich noch dir
Was erzeigen? Liebes, Gutes?«
[446]
Sprach's. Da griff der Todeswunde,
Welcher war ein Mann des Sanges,
Mollakkord' auf der Gitarre,
Die er hielt in seinem Arme,
Präludierte, sang. Er sang es
Mit dem reinsten, schönsten Vortrag:
»Nicht kannst du mir helfen, Kleiner,
Liebes, Gutes nicht erzeigen.
Mich ereilt der Tod inmitten
Meiner harmonieenschwangern,
Sang- und klangdurchrauschten Tage;
Sieh das Blut in meinem Schopfe,
Fühl im Schädel dieses Loch!«
Sprach der Held, Don Tulifäntchen:
»Nenne deinen Mörder, Jüngling,
Denn ein Rächer jeder Unbill,
Steht, ich bin's, auf deinem Busen.
Fielst du nicht in gleich-gerechtem
Ritterkampf von Hieb und Stoße,
Schlug dich ein Verräter meuchlings,
Räch' ich dich. Bei meiner Ehre
Sei's geschworen, wisse solches!«
Sang der blut'ge Gitarriste:
»Solfeggierend zog durchs Land ich,
Da vernahm ich, daß Prinzessin
Balsamine sei forcierter
Maître eines dummen Riesen.
Wisse nun, daß ich der Kön'gin
Mich zum Dank verpflichtet fühlte.
Als ich unversehns gekommen
Jüngst ins Land, ins Reich der Weiber,
Schenkte sie das Leben mir
In Betrachtung des Tenores,
Den mir die Natur verliehn.
Drum den notgedrungnen Unter-
[447]
richt (die Arie heischt die Unter-
brechung, wie gar oft, des Wortes)
Jene Zwangslehrstunden, sag' ich,
Aufzuheben, schwoll das Herz mir.
Nicht mit Schwert noch Spieß bewehrt' ich
Meine kunstgeweihten Hände;
Nein, der Macht der Töne traut' ich.
Ein Konzert wollt' ich im Schlosse
Jenes Riesen geben, hoffte,
Im Gewühl der Menschen leichtlich
Zu entführen die Prinzessin.
Als ich angelangt vorm Schloßtor,
Saß der Riese Schlagadodro
(Dieses ist des Untiers Name)
Auf der Zinne seiner Mauer,
Wie er pflegt zu tun nach Tische,
Gähnte, blinzte mit den Augen.
Ich sang ihn mit meiner größten
Arie an, und bat um Einlaß,
Nannt' ihn alles Schönen Fördrer,
Nannt' ihn geistreich und gemütvoll.
Doch der Riese rief mit rohem
Spott: 'Ich hatte mytholog'sche
Stunde just bei der Prinzessin,
Und vernahm von jenen Wundern,
Welch' in alten finstern Zeiten
Deiner holden Kunst gelungen.
Hat sie Steine aus dem Bett nicht
Nach der Töne Klang gezogen?
Dies Mirakel wiederhole
Heut sich in der jüngsten Sonne!'
Sprach's; und eh' ich konnte ducken,
Hat das Ungeheu'r den größten
Stein gerissen aus dem Turme,
Hat ihn mir aufs Haupt geschleudert,
Daß die Stirn zerbarste klaffend.
Hieher schleppt' ich mich im Blute.
[448]
So, als Opfer halber Bildung,
Mißverstandener Antike,
Fiel der Ritter Fis von Quinten,
Fiel der Ritter vom Tenore.«
Sprach der Held, Don Tulifäntchen:
»Warum singst du stets, mein Guter,
Singst noch in der Todesstunde?«
Sang der Ritter Fis von Quinten:
»Weil ich nichts versteh', als dieses.
Schon als Knab' im weißen Jäckchen
Merkt' ich, was der Welt behaget,
Danach hab' ich mich geschicket.«
Sprach der Held, Don Tulifäntchen:
»Ist es wahr, was mir ein düstrer
Spötter zugeraunet jüngstens?
'Unsre Welt verlangt mitnichten',
Sagt' er, 'mehr nach Geist und Größe,
Sinn und Tiefe, Tatenmarke,
Denn sie gähnt in der Tragödie,
Denn sie gähnt im kühnen Lustspiel,
Denn sie gähnt bei dem Gedichte,
Und bei dem Gespräche gähnt sie,
Gähnet über Männer, gähnet
Über Helden, Gott und Himmel.
Diese alte Gähnevettel',
Sprach der düstre Mann voll Ingrimm,
'Hält nur noch die Augen auf,
Wenn die wollustmüden Nerven
Eine Opernarie kraut.'
Wunder Ritter, ist dem also?«
Sang der Ritter vom Tenore:
»Diesem ist so, ja, gottlob!
Darum lernt' ich, was jetzt not tut,
Lernte singen, nichts als singen,
[449]
Sang mich in den Arm der Frauen,
Sang mich in der Großen Palast,
Sang mich in der Kön'ge Prachtsaal.
Wo ein Wen'ges von gesundem
Menschenwitze wollte keimen,
Sang ich nieder diesen Erzfeind
Aller Sänger, nieder siegreich.
Sprechen hab' ich ganz vergessen,
Und beinah das Denken gleichfalls.
So ward ich zum reinen Tone,
Ward zum wandelnden Akkorde.«
Schmetternd schlug ein runder Triller
Aus dem Mund des Gitarristen
Gleich dem Blitz in blaue Lüfte,
Wurde schwächer dann und bebte
Aus im Bock, dem sogenannten.
Dieser erste Fehler kündet
An des Sängers letzte Stunde,
Nieder sinkt das Haupt, gebrochen
Starr'n die Augen, fälschlich trillernd
Stirbt der Ritter Fis von Quinten,
Stirbt der Ritter vom Tenor.
Tulifäntchen saß beweget
Auf der Brust des Toten, weinte:
»Rächen will ich Fis von Quinten,
Retten will ich Balsaminen!«
Kam ein Bauer, seufzt' und klagte:
»Niedertritt mein Korn der Riese,
Ach, wer hilft, wer hilft mir Armen?«
Sprach der Held, Don Tulifäntchen:
»Ich will diesem Bauer helfen,
Ich will rächen Fis von Quinten,
Ich will retten Balsaminen.«
[450]
Kam ein Schäfer, seufzt' und klagte:
»Ach, der Riese stahl das Schaf mir!
Ach, wer schützt, wer schützt mich Armen?«
Sprach der Held, Don Tulifäntchen:
»Ich will diesen Schäfer schützen,
Ich will jenem Bauer helfen,
Ich will rächen Fis von Quinten,
Ich will retten Balsaminen.«
Kam der Apfelbaum gewackelt:
»Riese frißt all meine Äpfel,
Ach, wer schirmt die Zweig' am Stamme?«
Sprach der Held, Don Tulifäntchen:
»Ich will deine Zweige schirmen,
Diesen Schäfer will ich schützen,
Jenem Bauer will ich helfen,
Ich will rächen Fis von Quinten,
Ich will retten Balsaminen.«
Kam die Luft heran und klagte:
»Mich zerreißt der Ries' mit Schnarchen,
Ach, wer heilet mich, die Arme?«
Sprach der Held, Don Tulifäntchen:
»Heilen will ich Luft mit Blute,
Schirmen Apfelbaumes Zweige,
Diesen Schäfer will ich schützen,
Jenem Bauer will ich helfen,
Rächen will ich Fis von Quinten,
Und erretten Balsaminen.«
Sank die Sonn' herab und klagte:
»Mir wird übel von dem Riesen,
Wer bringt ihn mir aus den Augen?«
[451]
Sprach der Held, Don Tulifäntchen:
»Süßer, goldner Quell des Tages,
Ich will bergen ihn im Grabe!«
Auf vom Leichnam sprang begeistert
Unser liebenswürd'ges Heldchen.
Bauer betet, Schäfer betet
Für den Paladin, den kleinen,
Apfelbaum wirft ihn mit Blüten,
Luft, gleich einer Siegesfahne,
Wehet vor ihm her gewaltig,
Sonne sieht ihm günstig lächelnd
Nach auf seinen großen Bahnen.
Schlaf in Frieden, Fis von Quinten,
Hoff Erlösung, Balsamine!
Zittre, zittre, Schlagadodro!

3. Die Riesenwirtschaft

Schlagadodro! Schlagadodro!
Ungeschlacht hieß dein Herr Vater,
Tramplagonde die Frau Mutter,
Doch du selbst heißt Schlagadodro!
O bedeutungsvolle Wahrheit
Jenes tiefen Spruchs aus Osten:
»Was das Hänschen nicht gelernet,
Wird der Hans wohl wissen schwerlich!"
Folgt mir jetzo zu dem Haushalt
Meines alten Riesenschülers
Schlagadodro, Schlagadodro!
Nur mir nach! Der Weg ist schlüpfrig,
Felsenauf, durch Waldgerinnicht
Winden sich die Pfade rieselnd.
Hütet das Gesicht vor Nesseln!
[452]
Nehmt in acht die Hand vor Dornen,
Vor dem Pfriemkraut, vor den Brombeer'n!
Fürchtet nichts! Euch führt der Dichter,
Und ihn führt die freud'ge Muse;
Nur den Fels noch! So, da sind wir
Auf der Blöße, hoch im Dickicht.
Seht, da steht das Schloß Brambambra!
Gelt, das ist ein Riesenlustschloß?
Kost't dreihunderttausend Taler!
Vater sel'ger Schlagadodros
Kauft' es einst. Nun aber ratet,
Ratet klug, von wem er's kaufte?
Von dem alten Tulifanten,
Welcher damals Gelder brauchte.
Ha Verhängnis! Tulifäntchen!
Geht nur näher zu der Mauer
Ohne Scheu! Noch speist der Riese.
Seht, sie ist durchaus von Gußstahl.
Schlagadodro holt' aus England
Sich den Meister, der sie baute
Mit geheimnisvoller Kunsthand.
Nirgends seht ihr eine Schraube,
Nirgends eines Stücks Verbindung,
Frisch und ganz steht diese Mauer,
Wie ein Kind aus Mutterleibe,
Und doch wurden viele tausend
Eisenplatten ineinander
Eingefüget; wer entdecket
Dieses Werks verstecktes Wunder?
Scheuern läßt der Riese samstags
Seine Mohren diese Mauer,
Sie mit Schmirgel reinlich putzen,
Daß sie glänzt, ein blauer Spiegel,
Weit vom Berg in alle Landschaft.
Denn er hält auf sie unendlich,
Und sie ist sein Glück, sein Abgott.
[453]
Schlaft um aller Götter willen
Nicht, ihr Teuren, wenn die Mauer
Vorkommt, schlaft bei andern Stellen!
Glaubt, sie ist vom höchsten Einfluß
Auf das weitere Verläufnis
Dieses großen Heldenliedes!
Rasch hinweg, da naht der Riese!
Nach dem Essen wird studieret,
Rasch nur hinter jenen Vorsprung!
Muse, bleibe du auf Posten,
Sag uns treulich, was du schautest!
Schlagadodro blickt verdrießlich
Wie der alte Hund bei Lichtwer,
Der zum Lernen war so kopflos.
Unter jedem Arme trägt er
Sein Getränk in einem Oxhoft.
Setzt sich zwischen seine Fässer
Auf der Mauer Kante, baumelt
Mit den Beinen, sagt verdrießlich:
»Sonne sticht auch gar zu stark hier,
Und dabei soll man studieren!
Ein verfluchtes durst'ges Wetter!«
Führt mit Anstand zu den Lippen
Eins der beiden Oxhoftfässer,
Trinkt gelinde aus dem Spundloch,
Trinkt, verschluckt sich nicht im mind'sten,
Trinkt das Oxhoft bis zur Neige,
Wirft die Tonne von der Mauer,
Trinkt die zweite, wirft sie 'nunter,
Leer bis auf die Nagelprobe.
Seine Augen wurden wacker.
Sprach: »Nun soll'n die Wissenschaften
Auch getrieben werden endlich.
Immer Schlingen, Schlucken, Schlemmen
Ist, bei Gott dem Herrn, fast viehisch.
[454]
Denn im Leibe sitzt der Magen,
Und im Kopfe sitzt die Seele.
Brot und Fleisch verlangt der Magen,
Kenntnisse verlangt die Seele.
Ist der Magen satt vom Essen,
Muß die Seele auch was haben,
Das ist Ordnung, also will es
Die Gerechtigkeit, die erste
Aller Tugenden; die Seele
Ist just'ment so gut, wie du bist,
Musje Magen. – Damit Punktum!«
Sprach's; holt' aus der Tasch' ein Büchlein,
Buttmanns Griechische Grammatik.
Denn er stand beim Griech'schen grade,
»Das Ebräische soll folgen«,
Sagte die Prinzeß, »im Herbste.«
Lernte: »Tüpto, Tüpteis, Tüptei,
Tüptomen, zuletzt Tüptusi«,
Daß der Wald von dem Gebrüll scholl,
Und die Erd' in Ängsten bebte.
Während so der arme Riese
Griechisch lernte mit Beeifrung,
Und den Takt schlug mit den Beinen,
Standen hinter ihm die Mohren,
Seine tägliche Bedienung,
Wedelnd mit den Straußenwedeln;
Knull, der Obermohr, und fünfzig
Kohlpechschwarze Untermohren;
Einundfünfzig Stück im ganzen.
»Knull, jetzt kann ich's, überhöre!«
Rief voll Freuden Schlagadodro
Nach dreistündiger Bemühung.
Knull nahm's Buch hin, überhörte;
Schlagadodro kratzt' im Haupte,
[455]
Blickt' hinunter, blickt' gen Himmel,
Schwang und schlenkerte die Finger,
Konnte nicht ein Sterbenswörtchen,
Weinte, daß das Griech'sche nimmer
Woll' in seinen Kopf, den harten.
Weinte zwanzig Eimer Tränen
Aus den Augen, vierzigzöllig,
Von der Mauer von Brambambra
Nieder auf den sel'gen Buttmann.
Dieses waren deine Leiden,
Schlagadodro! Schlagadodro!
Ungeschlacht hieß dein Herr Vater,
Tramplagonde die Frau Mutter,
Doch du selbst heißt Schlagadodro.

4. Die Prinzessin und der Rinderbraten

Süße Minne! Rätselnacht!
Labyrinth der Liebeswege!
In dem roten Atlasdiwan
Saß Prinzessin Balsamine
An dem wohlbesetzten Teetisch,
Trank den Tee als wie zu Hause,
Trank ihn aus gemalter Tasse,
Sie trank ihren Tee mit Sahne.
Ihr zu Füßen saß der Riese,
Trank desgleichen Tee, doch trank er
Seinen Tee mit Branntwein, schaudernd
Trank er diesen Trank hinabwärts,
Denn er schmeckt' ihm stets wie Spülicht.
Und ein herber Kummer zehrte
An der edlen schönen Seele,
Seine Nerven litten sichtlich.
[456]
Feurig sagte Balsamine,
Die lavendelduft'ge Fürstin:
»Teure Mutter, daß du wüßtest,
Wie es deinem Kind so wohl geht!
Hätt' ich damals ahnen können,
Als du mich entführtest, guter,
Von der Welt verkannter Riese,
Daß ich solchen geist'gen Umgang,
Solche Sympathie der Seelen,
Alle die Berührungspunkte
Finden würd' auf Schloß Brambambra?«
Sprach's und rief mit genialem
Augenzwinkern, zärtlichblitzend:
»Süße Minne! Rätselnacht!
Labyrinth der Liebeswege!«
Ärgerlich rief Schlagadodro,
Ungeschlachtens Sohn und Erbe:
»Hört, Prinzessin, menagiert Euch!
Dieses Blicken, Blinzen, Blitzen
Zeigt mir, was die Glocke schlug hier.
Ihr habt, Hoheit, leider Gottes
Sündlich Euch in mich verguckt.
Lasset solche Narrenspossen!
Nehmt Vernunft an, bitt' ich herzlich.«
Drauf versetzte Balsamine,
Die lavendelduft'ge Fürstin:
»Das Genie hat kein Geschlecht!
Ich bin genial! Was kümmert
Mich der niedern Schwestern Zierspuk?
Titan du, ich Titanide!
Und ich suchte mir den andern,
Und du liebtest eine andre?
Kühn und frei, wie mir's geziemet,
Sprech' ich: In der Zeit der Kleinen
Hat mich, Riese, deine Größe,
Deine echte Urnatur,
[457]
Hat mich, Demant, deine Roheit,
Deine ungeschliffne Einfalt
Höchst energisch angesprochen!«
Ärgerlich rief Schlagadodro,
Ungeschlachtens Sohn und Erbe:
»Ein gesittet Frauenzimmer
Muß von Energie nichts wissen!
Sind mir das nicht Modefloskeln!
Liebet mich in Gottes Namen,
Nur macht keine Prätensionen,
Ich versag' Euch jede Hoffnung.
Den Romanenkram, den hass' ich,
Meine Ruh' ist, was ich liebe,
Und ich halt' auf gute Sitten
In dem Schlosse von Brambambra.
Ihr seid Maître, damit basta!
Dieses ist das Wort, das rohe,
Eures ungeschliffnen Demants.«
Drauf erhob sich Balsamine,
Die lavendelduft'ge Fürstin,
Und sprach hochbegeistert also:
»Saft und Kraft in jedem Zuge!
Schlafe wohl, du herz'ger Räuber,
Gott beschirme deine Unschuld,
Wie er mich so kindlich anblickt!
Gute Nacht, rechtschaffne Seele!«
Hüllte sich in ihre Schleier,
Ging zu der gewölbten Kammer,
Lehnt' ihr hohes Haupt ans Fenster,
Blickt' emporwärts zu den Sternen,
Schwatzte mit dem Großen Bären,
Bis sie endlich einschlief drüber,
Von Genie, Gefühl ermüdet.
Ärgerlich rief Schlagadodro,
Ungeschlachtens Sohn und Erbe:
[458]
»Müssen mir noch solche Sachen
Gar begegnen in dem Kursus?
Hol' der Henker mein verdammtes
Schwaches, zartes Herz von Butter!
Die Vernunft sagt: Schlag die Närrin
Tot, wie du bis jetzo totschlugst
Jeden, der dir schuf Beschwernis.
Alles Ding auf Erden schwindet
Nach vollendeter Bestimmung,
So ist's recht, das will die Ordnung.
Der Prinzessin Erdenzweck war,
Mich zu bilden. Aber jetzo
Hat sie diesen Zweck erfüllet,
Denn ich weiß die schwere Menge.
Deklinieren kann ich, lernte
Griechisch, kam bereits bis Tüpto.
Asien, Afrika, Europa
Und Amerika, und unten
Da im Stillen Meer das viele
Gänseklein von Inselsuiten,
Sind die fünf Weltteil'; es lebet
Ein allmächt'ger Gott im Himmel,
Sterben wir, ist die Geschichte
Nicht so mir nichts, dir nichts aus;
Nein, dann kommt das ew'ge Leben,
Und der Mensch hat freien Willen.
Wenn ich frage: Wem? dann setz' ich
Mir, und frag' ich: Wen? dann ziemt es
Mich zu sagen; und die Erde
Gleicht 'ner alten Pomeranze. –
Wozu noch mit mehrerm Wissen
Meinen Leib aufblasen? frag' ich.
Wozu lebt noch die Prinzessin,
Da, lass' ich die Törin leben,
Sie nicht fahren läßt die Liebe,
Allerhand mir in den Kopf setzt,
Was mir raubet meinen Frieden,
Inkommodität verursacht,
[459]
Trouble bringt in meine Hausruh,
Träume bringt in meinen Schlummer,
Und mir störet die Verdauung,
Welch' im Leben ist der Hauptpunkt?
Doch das Herz spricht: Schlag sie nicht tot!
Töten, was uns liebt, ist schwerlich
Zu entschuldigen, man prügelt
Schon nicht gern, die uns verehren.
Auch das Herz hat seine Rechte,
Und ein ewiges Gesetz ruft:
Schone Menschenblut! – Wie harmlos
Lebt' ich, als ich noch nichts wußte
Von dem ewigen Gesetze!
Damals, kann ich sagen, schlug ich
Tot im reinsten Seelenfrieden.
Du hast aus dem Paradiese
Mich getrieben, o Kulturstand!
Fluch dem Baume der Erkenntnis!«
Sprach's, und setzte sich zum Essen.
Einen fetten Ochsen trugen
Vierzehn Mohren auf, am Spieße
War er delikat gebraten.
Schlagadodro kaute, wurde
Nur der einen Keule mächtig.
Melancholisch rief er: »Schlinget,
Mohren, ihr des Ochsen Reste!
Mir im Munde quillt der Bissen.«
Stöhnend ging der biedre Riese
Mit den angegriffnen Nerven
Drauf spazieren in dem Mondschein.
Pflückt' am Bach ein blaues Blümchen,
Führt' es zu den Lippen zärtlich,
Sprach: »Vergiß mein nicht, du Holde!
Ja, ich muß dich schlagen tot.
Einen tiefen Blick heut abend
[460]
Hab' ich in mein Herz geworfen.
Nie hat ein gebratner Ochse
Mir bis heute widerstanden,
Nicht, als starb mein teurer Vater,
Nicht, als starb die würd'ge Mutter,
Die verklärte Tramplagunde.
Heute widerstand der Ochs mir!
Suchst du noch nach andern Zeichen,
Unglücksel'ger Schlagadodro?
Ja, du liebst, und sie muß sterben,
Denn die Tugend ist mein Stolz,
Keuschheit meine Passion,
Jeder hat ja Steckenpferde.
Ich will nicht bei den verdorbnen
Liederlichen Hünen zählen,
Die in allen Sagen spuken.
Nein, ich will auf meinem Sarg
Einst die Inschrift: 'Hier, o Wandrer
Ruht der jungfräuliche Riese!' –
Arme Balsamine! Wärst du
Nie was andres mir gewesen,
Als ein frommer, stiller Maître!
Wunderbar, daß ich doch alle
Meine Lehrer muß ermorden!
O, das Schicksal ist wahrhaftig
Eine Nuß, die aufzuknacken,
Kein Verstand besitzt die Zähne.
Still! Vom Grübeln wird man mager,
Sei ein Mann, und schone deiner!
Alle Menschen sind ja sterblich,
's ist ein Übergang! Das bißchen
Tod ist kaum der Rede würdig.
Sie hat's gut, sie geht zur Ruhe,
Ich bleib' hier im Tal der Schmerzen,
Ihr wird wohl! – Na, mir wird besser.
Noch drei Tage soll sie leben,
Sterben an dem vierten Tage!«
[461]
Süße Minne! Rätselnacht!
Labyrinth der Liebeswege!

5. Die Fee im Walde

Traurig unter grünen Buchen,
Auf dem Stiel von einem Farnkraut
Saß der Held, Don Tulifäntchen.
Nachgedankenvoll daneben
Stand der Schimmel, der loyale,
Stand der treue Zuckladoro.
Über Tulifäntchens Gramhaupt
Hing sein ritterlich Gewaffen
An der Binse schwankem Ästlein,
Hing der starke Silberlingsschild,
Hing das blanke Federklingschwert,
Müßig, angegelbt vom Roste.
In den Sand schrieb Tulifäntchen
Mit dem Fuße Zeichen, trübe,
Und der Schimmel hing die Ohren.
Beiden schwoll der tapfre Busen
Von herzkränkender Empfindung.
Aber, was verdroß den Helden?
Was hat ihm den Mut verdüstert?
Weißt du es, so sag es, Muse.
Doch sie schüttelt eigensinnig
Ihr ambrosisch Haupt, so spricht sie:
»Wenn der Dichter sich verfahren,
Und der Wagen steckt im Moore,
Soll'n wir Götter Vorspann geben.
Nein, mein Freund, nun hilf dir selber,
Frag den Helden, was ihn schmerzet?
Schaff den Rat, du schufst die Sorge,
Mir gilt's gleich, wenn Tulifäntchen
Ewig sitzen bleibt im Walde,
[462]
Und am schwanken Binsenaste
Schwertlein, Schildelein verrostet.«
Eigensinn'ge Göttin, böse!
Ja, ich helf', ich helf' mir selber. –
Alte, die du dort das Reisig
Suchst im Wald mit Mühe, keichend,
Alte, komm, sei du die Muse,
Führe du das Epos weiter!
Trippelnd trat die Alte, hüstelnd
Zu dem Helden, dem betrübten,
Setzte sich aufs Bündel Reisig,
Das sie las im Wald und sagte:
»Held, warum so hypochondrisch?
Ward dir deine Liebste untreu?
Sprang dein Schild? Zerbrach das Schwertlein?
Lahmt dein unvergleichlich Kampfroß?«
Sprach der Held, Don Tulifäntchen:
»Schimmel geht noch Schaukelpaßgang,
Schwert und Schild hängt heil am Aste,
Keine Liebste ward mir untreu,
Denn mir fehlt der Schatz bis jetzo,
Doch verstimmt und höchst verdrießlich
Ist der Sohn Don Tulifants.«
Ihm versetzte drauf die Alte
Hüstelnd auf dem Bündel Reisig:
»Jene drei erwähnten Dinge,
Waffenschaden, Damenuntreu,
Spat am Schlachtroß, sind die einz'gen,
Die mit Recht in Trübsal dürfen
Stürzen einen tapfern Degen.«
Schüttelnd drauf sein kleines Häuptlein,
Sprach der Held, Don Tulifäntchen –
(Schimmel, der ihm alles nachmacht,
[463]
Hat gleichfalls den Kopf geschüttelt) –
»Noch ein viertes Ding wohl gibt es,
Schwerer als die drei, das schwerste
Für ein adliges Gemüte.
Kennst du überseh'ne Helden?
Ich bin so ein Überseh'ner!
Eine Welt in meinem Busen,
Eine Welt von kühnem Tatdrang,
Werd' ich ganz und gar verachtet!
Schon drei Tage lagr' ich stillwild
Vor dem Schlosse von Brambambra,
Schon drei Tage klopf' ich trutzvoll
An die eh'rne Flügelpforte,
Schon drei Tage fordr' ich schlachtheiß
Meinen Gegner Schlagadodro
Mir herab auf Schwerteskampfstreich;
Doch mein Lagern, doch mein Klopfen,
Doch mein wildes, zorn'ges Fordern
Ist vergebens, nicht bemerkt er's.
Seine Augen übersehn mich,
Seine großen Ohren hören
Nicht mein Dringen, Zürnen, Schelten.
Vor dem Baum, dem Bauer, Schäfer,
Vor der Luft und vor der Sonne
Werd' ich, wehe mir! zum Spotte.
Ungerächt bleibt Fis von Quinten,
Ungerettet Balsamine,
Wie besteh' ich vor der Kön'gin?
Meine Bahn ist aus. Der Stern fiel
Meines Glückes in den Abgrund!
Wär' ich ein'ge Ellen länger!
Ich verfluche meine Kleinheit.«
Sprach's, und in dem Auge glänzt' ihm
Schwer und heiß die helle Zähre.
Und die Alte nahm ihn sänftlich
Auf den Schoß, strich ihm die Wangen,
[464]
Strich die weichen, blonden Haare.
Schimmel sank auf beide Kniee,
Wollte seinen Herren trösten,
Leckte mit der Zung', der breiten,
Über Kopf und Brust und Beine,
Hätt' ihn fast dabei verschlungen.
Und es sprach die Alte hüstelnd,
Sitzend auf dem Bündel Reisig:
»Sohn, beruh'ge dich! Beruh'ge
Dein geliebtes Herz, sei heiter!
Sieh, ich sage dir: Zur Stunde
Fällt von deiner Faust Brambambra,
Und dem Riesen und den funfzig
Mohren bringt der Sturz den Garaus.«
Sprach der Held, Don Tulifäntchen:
»Willst du meiner spotten, Mutter?
Kannst du machen lang die Kürze?«
Darauf sprach die Alte hüstelnd,
Sitzend auf dem Bündel Reisig:
»Nicht will deiner spotten, Sohn, ich,
Nicht verlängr' ich deine Kürze.
Horche zu. Ein groß Geheimnis
Künd' ich dir; faß meine Worte.«
Tulifäntchen sah ins Aug' ihr,
Welches glüht' in Purpurfeuer,
Seltsam, geisterhaft, doch traulich.
Zucklador', der ganz getreue,
Hielt sein Ohr an ihre Lippen.
Achtsam lauschten Held und Schimmel.
Also drauf begann die Alte,
Sitzend auf dem Bündel Reisig:
»Dir bekannt ist, daß der Riese
Seine vielgeliebte Mauer
[465]
Fert'gen ließ von einem Künstler,
Der aus England kam. Nun, dieser
Gentleman war seines Volkes,
Des maschinengrübeltiefen,
Tiefster Grübelmaschinist.
Mühlen, Spritz- Gieß- Wasserwerke,
Kettenbrücken, Eisenbahnen,
Tunnel, Säg- Dresch- Klopfgetriebe
Taten seinem Geist nicht G'nüge.
Höher, immer höher stieg er
An dem Himmel der Erfindung,
Und aus richtigem Erwägen,
Welch Unheil ein Weib oft stiftet,
So aus Fleisch und Bein gebaut ward,
Wieviel Ärger das Gesinde
Zeugt, das Mensch ist, gleich der Herrschaft,
Hatt' er einen Dampfbedienten
Sich gemacht, und eine Dampffrau,
Die ihm förmlich angetraut war.
Dampfbedienter, Dampfgemahlin
Taten ganz dieselben Dienste,
Wie zwei Menschen simpeln Schlages.
Sieh, so hoch stieg die Mechanik
In Alt-England! Nun hör weiter!
Jener Gentleman sprach denkend
Zu der dampfmaschinenschwangern
Hebel-räderträcht'gen Seele:
,Warum Nägel, warum Schrauben?
Warum Krampen, Kitt und Mörtel,
Baut man eine Mau'r von Eisen?
Mit so kümmerlichen Mitteln
Halfen sich die blinden Alten;
Das Jahrhundert will Ersparnis
Aller überflüss'gen Kräfte'.
Und er tat, wie er gesprochen,
Auf der Höhe von Brambambra.
[466]
Setzte Platt' an Platte trocken
Ohne Kitt, bloß in die Falzen,
Mied die Nägel, mied die Schrauben,
Mied die kümmerlichen Mittel,
Womit sonst man Sachen festmacht.
Einen einz'gen dünnen Stift stieß
Ins Scharnier ein, in dem Schwerpunkt
Jener Gentleman. Der Stift hält,
Dieser einz'ge Stift, das merke,
Hält die ganze Riesenmauer.«
Auf vom Schoß der Alten glühend
Sprang der Held, Don Tulifäntchen,
Schimmel auch sprang auf ganz kühnlich,
Und schlug aus vor Freude, was er
Nicht getan seit langen Zeiten.
»Wo sitzt dieser Stift? Das sag mir«,
Rief der Held, Don Tulifäntchen.
Ihm versetzte drauf die Alte:
»In dem Löchlein links der Pforte,
Sitzet dieser Stift der Stifte.
Ganz umsonst hätt' einem Manne
Von gewöhnlicher Statur ich
Solche Heimlichkeit verraten.
Denn das Loch ist just so groß nur,
Daß ein Held von deiner Länge
Kriechen kann in seine Öffnung.
Dieses ist die Zeit der Kleinen,
Sag' ich, wie an deiner Wiege
Ich's gesaget deinen Eltern.«
Und vor den erstaunten Augen
Tulifäntchens, Zuckladoros
Wirkte sich ein Wunder, freud'ger,
Als die dürren von Alt-England.
In der Alten Angesichte
Glätteten sich alle Runzeln,
[467]
Weiß und Rot und süße Fülle
Keimt' und reift' auf welken Wangen,
An den Schultern sproßten Flügel
Goldenschillernd, blaubepunktet,
Das Gewand fiel ab vom Leibe,
Samt dem Strick, der es gefestet,
Und in nackter Götterschönheit
Stand die zarte Fee Libelle,
Regenbogenglanzumwoben!
Nieder in den Staub der Held sank,
Doch die Fee sprach mild, wie Flöten:
»Fürchte nichts, o mein Erkorner!
Auf! In diesen Armen trag' ich
Durch die Luft dich nach Brambambra.«
Tulifäntchen griff betäubet
Nach dem Schild, dem guten Schwertlein;
In die Arme nahm, die seidnen,
Fee Libell' ihn, drückt' ihn zärtlich
An die Brust, die sammetweiche,
Gleich der Mutter, die das Kind herzt.
Stieß am Platz den zarten Fuß auf,
Wie der Rudrer stößt vom Land ab,
Hob sich in die Lüfte, spreitet'
Aus die Flügel, goldenschillernd,
Flog, den Helden lind im Arme,
Felsenauf durch Klipp' und Dickicht.
Aber, wo ihr Fuß getreten,
Sproßten duftreich Hyazinthen,
Und ein Streif von rotem Lichte
Zog sich, wo die Fee geflogen,
Nach der göttlichen Erscheinung.
Schimmel stand verdutzet, schnobernd,
Roch die Blumen an, der Zweifler.
Sprang dann, ein bekehrter Heide,
Felsenauf, dem roten Glanz nach,
[468]
Nach dem Helden, der begünstigt
Schwebt' empor in Geisterarmen.

6. Schlagadodros Tugend und Fall

Balsamine! Schlagadodro!
Macht der Schönheit! Kraft der Tugend!
Auf der Mauer saß der Riese,
Mit den Beinen düster baumelnd,
Tief im Herzen schwarzen Vorsatz,
Traurigkeit im finstern Auge
Über seine strenge Tugend,
Die ihn morden hieß, den Guten.
Und er sprach zu seinen Mohren:
»Grabet eine Gruft, sechs Schuh tief,
Unterm Ringe dieser Mauer!
Meine Liebste schlag' ich heute
Tot, und werf' hinab die Leiche.«
Knull, der Obermohr, die andern
Kohlpechschwarzen Untermohren
Neigten sich und gingen eiligst,
Schaufelten das Grab sechs Schuh tief
An der Mauer von Brambambra.
Kam die Zofe Violette,
Sprach mit ihrem schnipp'schen Munde:
»Meine gnädigste Prinzessin
Läßt Euch fragen, langer Recke,
Weshalb Ihr seit dreien Tagen
Gänzlich sie vermieden habet?
Seit drei Tagen sitzt Ihr, baumelnd
Mit den Beinen, auf der Mauer,
Kommt nicht mehr zum Tee, zum Essen;
[469]
Die Prinzessin heischt Erklärung
Wegen dieser großen Grobheit.«
Es versetzte Schlagadodro,
Ungeschlachtens Sohn und Erbe:
»Ich vermeide Tee und Essen,
Sitze baumelnd auf der Mauer,
Meine Unschuld vor Verführung
In der Einsamkeit zu schützen.«
Maulend ging hinweg das Zöfchen,
Zu der Mohren Schaufelchore
Rief hinab der Tugend-Riese:
»Grabt ein zweites Loch, ihr Schwarzen,
Dran soll auch die Kammerkatze!«
Unten auf der Felsenplatte
Aus dem Arm der holden Schütz'rin
Sprang der Held, Don Tulifäntchen.
Schlug's Visier auf, tapferkühnlich,
Von dem Helm von Haselnußschal'.
Sprach zur goldbeschwingten Fee:
»Göttin, was beginn' ich jetzo?«
Drauf versetzte Fee Libelle
Mit den goldenblauen Flügeln:
»Dieses sage dein Gemüt dir.
Deine Tat sei deines Herzens
Eingebornes Kind, Geliebter.«
Sprach der Held, Don Tulifäntchen:
»Mir gebeut das Herz, das edle,
Erst noch einmal Schlagadodro
Herzufordern mir zum Schwertkampf,
Ehrlich, auf den freien Streitplan.
Denn die List gebraucht der Wackre
Nur, wenn offne Schlacht versagt ist.«
[470]
Ihm die Augen küssend, sprach
Fee Libelle: »Handle also!
Du bist immerdar derselbe.«
Und hinauf rief Tulifäntchen
Zu dem tugendhaften Riesen:
»Komm herab, du Kornverderber!
Komm herab, du Schafverschlinger!
Komm herab, du Äpfelfresser!
Luftzerreißer! Sonnenfeind!
Komm herab, du Mörder Quintens!
Komm herab, Prinzessinräuber!
Vor sein Schwert zum letzten Male
Lud der Sohn Don Tulifantens
Nieder deinen langen Leib!«
Oben sagte Schlagadodro,
Ungeschlachtens Sohn und Erbe:
»Wie das Heimchen unten zirpet!
Unglückseligste Prinzessin,
Dieses Heimchen singt dein Grablied.«
Rief der Held, Don Tulifäntchen:
»Nicht einmal mir Antwort gibt
Dieser schändlichste der Riesen!
Ha, so büße deinen Hochmut!«
Rief's, und ging, und kroch ins Löchlein
Links der Pforte. Fee Libelle
Schwebte nah' im Sonnengolde,
Schimmel trabte ausgelassen,
Wie verrückt, rings um die Mauer.
Balsamine! Schlagadodro!
Macht der Schönheit! Kraft der Tugend!
Kam die Zofe Violette,
Sprach zum Riesen, schnipp'schen Mundes:
»Meine gnädigste Prinzessin
[471]
Will mit Euch Französisch treiben,
Sie erwartet Euch im Diwan.«
Riese, Riese, laß die Tugend!
Unter dir miniert das Schicksal.
Geh zur genialen Schönheit,
Zur lavendelduft'gen Fürstin!
Es erseufzte Schlagadodro,
Ungeschlachtens Sohn und Erbe,
So ganz überaus erschrecklich,
Daß die Zofe Violette
Ward vom Luftzug umgeworfen.
Darauf sprach er: »Dieser Seufzer
War der Menschheit Überbleibsel,
Jetzo fühl' ich mich als Halbgott.
Sage deiner Herrin, eilends
Soll sie sich zu mir verfügen!
Du kommst auch mit, schnipp'scher Grasaff'!
Damit holla, punktum, basta!«
Zitternd raffte sich das Zöfchen
Auf und ging. Der biedre Riese
War allein mit seiner Größe.
Sprach: »Zwei Dinge kenn' ich einzig,
Die mir einzuflößen Ehrfurcht
Sind imstande. Nämlich erstens,
Mein Charakter. Darauf zweitens,
Diese Mauer. Beide passen
Wie gegossen aufeinander,
Ganz massiv sind alle beide,
Für die Ewigkeit gegründet.
Bagatellen sind dagegen
Höll' und Himmel. Wohl das beste
Wär's, ich gäb' den ganzen Kram auf,
Religion und Gott und Teufel,
Glaubte künftig an mich selbst nur,
Und an meine eh'rne Mauer!
[472]
Doch wie ist mir denn? Was wackelt
Also seltsam unterm Kreuzbein?«
Und es bebt' und wippt' und wiegte
Und es schwankt' und schwappt' und schwaumelt'
Und es kreischt', es riß, zerspliß,
Ritz an Ritz, die Mauer rings!
Und es stöhnt' und schrie und jaulte
Zeternd Schlagadodro, brüllend
Sank er in zerborstne Klüfte.
Und es schwand und starb sein Laut hin
Ins Getöse, das wild aufdrang
Aus dem neugebornen Chaos.
Schollernd, knallend, krachend, platzend
Rutschten nieder die gelösten
Eisenstücke, Eisenbalken
Quetschten sich dazwischen gellend!
Türme nickten, stürzten drüber,
Diese Balken überwuchtend,
Und sie brachen! Und hinunter
Stürzten Balken, Stücke, Türme,
Die zerrissen in dem Absturz!
Wirrsal, Strudel, Stumpfen, Qualmschutt,
Donnertosende Zerstörung,
Fiel die große Riesenmauer,
Fiel die Mauer von Brambambra! –
Aber unter Donnersturz-Graus
Stand der Held, Don Tulifäntchen,
Festgelehnt aufs Schwert, das gute,
In den Lärmen blickend freudig
Aus den unbewegten Wimpern,
Wohlbeschützt. – Ob seinem Haupte
Flatterte die Fee beschirmend,
Ausgespannt die beiden Flügel,
Wie ein Dach; so wahrte gütig
Die Unsterbliche den Helden.
Platten, Stein' und Balken glitten
[473]
Federn gleich, vom Wind verhauchet,
Links und rechts vom Haupt des Helden
Nieder auf den Boden harmlos.
Wohl dem Manne, dem die Götter
Schützen das geliebte Leben!
Lange stand er so. Der Qualm zog
Um die wilde Trümmerstätte
Schwer, erstickend, deckendichte,
Lang', die Aussicht ihm verbergend.
Als der Himmel wieder blaute,
Sprach der Held, Don Tulifäntchen:
»Göttliche, wenn dir's genehm ist,
Laß uns schaun des Tages Opfer!«
Ihm versetzte Fee Libelle,
Faltend ihre goldnen Flügel:
»Das geschehe, wie du's wünschest.«
Und sie faßt' ihn bei der Locke,
Schritt voran, voll freud'gen Trotzes
Folgt' ihr nach der kleine Kampfherr,
Und so gingen Held und Fee
Über Trümmer durch das Schlachtfeld.

7. Die Toten

Erst gelangten sie zum Platze,
Wo der Riese lag, der Biedre,
Sechs Feldlängen Wegs bedeckt' er,
Ihm zerbrochen war das Kreuzbein,
Und er jappte noch ein kleines.
Tuend auf den Mund, den großen,
Sprach der Riese Schlagadodro:
»Fremdlinge! Wofern ihr Scheu tragt
Vor der Sterbenden Geboten,
Setzt mir einen Stein, und schreibet
Drauf: 'Hier ruhet aus ein Riese,
[474]
Dem die Tugend ward Verhängnis.
Hätt' er nicht auf seiner Mauer
Voll Enthaltsamkeit gesessen,
Nein, dafür mit seiner Liebsten
Ein französisch Buch gelesen,
Brach er nimmer sich das Kreuzbein.
Dieses lehrt: Auch in der Tugend
Halte Maß! Beweine, Wandrer,
Unsern jungfräulichen Riesen!
Ungeschlacht hieß sein Herr Vater,
Tramplagonde die Frau Mutter,
Doch er selbst hieß Schlagadodro.'«
Sprach der Held, Don Tulifäntchen:
»Was du bittest, scheint mir billig.
Rüsten werd' ich dir das Grabmal
Nach den Worten deines Mundes.«
Und der Riese starb beruhigt,
Sicher seines Keuschheitsnachruhms.
Weiter gingen Held und Fee
Über Trümmer durch das Schlachtfeld.
Rings um zwei gegrabne Gräber
Lagen funfzig schwarze Mohren,
Alle tot und schon erkaltet.
Sprach der Held, Don Tulifäntchen:
»Göttliche, sieh dieses Wunder!
Alle funfzig schwarze Mohren
Brachen gleichfalls ab das Kreuzbein,
Also zählen wir bis jetzo
Einundfünzig Brüch' am Kreuzbein,
Gleiche Wunden, gleicher Bruch wie
Bei dem Herrn, so bei den Sklaven!«
Ihm versetzte Fee Libelle,
Flügelschwingend, rosiglächelnd:
[475]
»Auf dem Schlosse von Brambambra
Galt ein unbedingt Gehorchen,
Was der Herr sich abgebrochen
Brachen aus Respekt die Sklaven
Gleichfalls ab, im Tod noch Knechte.«
Frug der Held, Don Tulifäntchen:
»Göttliche, wo blieb der letzte
Einundfünfzigste der Mohren?«
Ihm versetzte Fee Libelle:
»Dieser war kein echter Schwarzer,
Hatte sich nur angeschwärzet,
Um in Dienst bei diesem Riesen
Zu gelangen. Seines Zeichens
War er ein Professor Deutschlands,
Welcher liest die Nibelungen
Auf dem neugeschnitzten Lehrstuhl.
Zu des Lieds Verständnis braucht' er
Blick und Einsicht in die Tiefen
Einer ungeschlachten Wirtschaft,
Darum ward er hier Bedienter.
Heute morgen leis' entschlüpft' er,
Denn sein Studium war vollendet.«
Weiter schritten Held und Fee
Über Trümmer durch das Schlachtfeld.
Unter zwei geborstnen Balken,
Fanden sie, beströmt von Blute,
Einen Mann in grünem Biber,
Lang und hager, das Gesicht glich,
Länglich, dem Gedankenstriche.
Neben ihm stand ein betrübter
Diener in Livree, ein Frau'nbild,
Beide jammernd nach dem Takte.
[476]
»Wes die Leiche? Wer die beiden?«
Frug der Held, Don Tulifäntchen.
»Dieser ist der Mann aus England«,
Sagte Fee Libelle lächelnd,
»Der maschinengrübeltiefe,
Der Erbauer dieses Werkes.
Er kam her auf seinen Reisen,
Wollte nachsehn an der Mauer,
Ob noch alles wohl im Stand sei?
Da erschlug ihn seine Mauer.
Was wohl nicht geschehen, hätt' er
Mehr als einen Stift verwendet,
Kitt gebraucht und Nägel, Schrauben,
Nach der dunklen Alten Weise.
Dieses lehrt: Auch in Mechanik
Halte Maß, wie in der Tugend!
Träger aber sind des Leides
Dampfbedienter, Dampfgemahlin.«
Wundernd schaute die Gebilde
An der Held, Don Tulifäntchen.
Menschen schienen sie vollständig
Von gewohntem Fleisch und Beine,
Nur am Hinterkopf bemerkt' er
Eine Röhre, klein von Eisen,
Aus der Röhre stieg ein Rauch auf,
Zeichen ihrer innern Gluten,
Angefacht von Kohlenfeuer.
Schalkhaft drehte Fee Libelle
Einen Hahn, den beide trugen
An dem linken kleinen Finger.
Zischend, gischend schoß ein Dunst vor,
Wurde schwächer, beide schnappten
Plötzlich ab in einem »Ach!«
Nicht vollendend ihre Klage;
Blieben stehen, fühllos, starr,
[477]
Wurden kalt wie Eis, so schloß sich
Dieser Dampfmaschinen Gram.
Weiter schritten Held und Fee
Über Trümmer durch das Schlachtfeld.
Ach, da lag am stillen Platze,
Unter Tränenweiden, falben,
Ach, da lag ein teurer Toter,
Ach, da lag mit blut'gem Haupte
Zucklador', der treue Schimmel!
Jammernd sah ihn Tulifäntchen,
Warf sich auf des Gaules Leichnam,
Und so tönt' er aus sein Wehe:
»Ach, mein Roß, mein liebes Rößlein!
Ach, mein vielgetreuer Schimmel!
Ach, du Herz von meinem Herzen!
Ach, du Seele meines Lebens!
O wie ist mein Sieg verarmet!
Ach, nun hab' ich keinen Freund mehr
Auf der Erde! Ach, mein Rößlein,
Ach, mein Schimmel, lieb und brav!«
Und gerührt sprach Fee Libelle:
»Hätt' ich doch auch diesen schirmen
Können mit den Götterflügeln!
Doch wer denkt, wer denkt an alles?«
Tulifäntchen lag und klagte,
Fee Libelle sagte tröstend:
»Nun erheb dich, Held! Das Schicksal
Fordert Zoll selbst von den Göttern.
Aphroditen ward Adonis
Von des Ebers Zahn zerfleischet,
Große Taten kauft nur Blut,
Und der Liebsten blasse Leiche.
Mauerstürzer, Riesensieger,
[478]
Auf! Erheb dich! Pflanz dein Schwertlein
In den Schloßhof deines Erbes,
Denn die Burg war deiner Väter.
Führ zur Mutter die Prinzessin,
Welche liegt, vom Knall betäubet,
In den Schlingen tiefer Ohnmacht!«
Ernst erhob vom toten Rosse
Sich der Paladin, und sagte:
»Folgen wir denn unsrem Stern!
Die Ruinen, jener Tote
Sagen uns: wie auch der Lorbeer
Festlich unsre junge Schläfe
Heut umgrünet, gleich dem Pfande
Eines ewiglichen Glückes,
Daß wir gleichfalls können werden
Die Ruine von uns selber,
Und daß wir durch keinen Sieg
Sieger werden des gemeinen
Loses aller Staubgebornen.«
Sprach's. Durch Trümmer in den Schloßhof
Ging die goldbeschwingte Fee,
Ging der Held, Don Tulifäntchen.

[479][481]

III. Balsamine

[481]

Widerspruch, du Herr der Welt!

Widerspruch, du Herr der Welt!
Als die Götter aus dem Chaos
Buken diese Welt, die nicht'ge,
Sah sie aus, wie ein Gebäck,
Das sich durfte sehen lassen,
Rund und glänzend, braun und schier,
Eingefaßt von schmucker Rinde.
Doch im Innern blieb sie Chaos,
Bis ins tiefste Eingeweide.
Und sobald die Rinde birst,
Streckt des Chaos Sohn, der Dämon,
Neckisch vor das irre Haupt,
Streckst du vor das Haupt, das hinten
Trägt die Augen, vorn das Haar,
Oberwärts die Nas' und unten
Einen quergefügten Mund,
Streckst du vor die Wunderglieder,
Widerspruch, o Herr der Welt!
Tränen, so die Freude weint,
Sind die Zeichen deiner Herrschaft,
Und wenn die Verzweiflung lacht,
Klinget deines Ruhms Trompete.
Wenn die Braut, im Herzen Glut,
Ficht im Zeichen spröden Schämens,
Wenn ein langersehntes Glück,
Kaum erlangt, uns angewidert,
Dann, wie oft noch sonst im Jahr,
Feierst du die hohen Feste,
Widerspruch, o Herr der Welt!
Und im Liede nur erschölle
Nicht dein mächt'ges Herrscherwort?
[482]
Sind doch unsre armen Reime
Auch ein Stückchen Welt, erkennen
Müssen sie ja wohl den Meister.
Rebellion und Hochverrat
Bleibe meiner Seele ferne!
Nein, ich beuge dir mein Knie!
Unter deinem milden Zepter
Lebt man herrlich und in Freuden!
Ordnung und Zusammenhang,
Diese Polizeiverwalter,
Hast du gnädigst abgesetzet,
Wir vergessen, was wir sangen
In den früheren Romanzen,
Und wir fall'n aus dem Charakter,
Ohn' uns just den Hals zu brechen.
Lebe hoch, du milder Fürst,
Lebe hoch, du güt'ger König,
Sohn des Chaos, mächt'ger Dämon,
Widersprach, du Herr des Liedes!
Widerspruch, du Herr der Welt!

1. Die Eltern

Kennt ihr den Kartoffelkeller
Noch am erlengrünen Hügel?
Kennt ihr noch den treuen Gines,
Der in Wasser sich betrank,
Als er hofft' auf das Gestirne
Seines alten Herrenstamms?
Ach, der Hügel ist nicht grün,
Und der Gines ist nicht trunken,
Auf dem Hügel liegt der Reif,
Der Novembersturm umweht ihn,
Auf dem Gines liegt das Leid,
Und das Trauerkleid umhüllt ihn.
Seine Hände graben mühsam
[483]
An dem weißbereiften Hügel
Unter Tränen tief die Grube.
Kennt ihr noch den langen, hagern
Mann im zimmetbraunen Mantel,
Der so froh war im Besitztum
Seiner Ahnen? Tulifanten?
Sitzet nun gebückt am Sarge,
Seine beiden Hände halten
Eine weiße Totenhand.
Ja, ihr kennt die Hand der Toten,
Kennt die Tote, still im Prunkkleid
Von verblichnem, gelbem Atlas.
Seine Lippen öffnet klagend
Tulifant, der alte Degen:
»Nun steh' ich allein auf Erden!
Meine Donna ist gestorben,
Und mein Söhnlein ist verschollen,
Liegt wohl auch im Grab, dem kleinen.
O wann kommst du, Tod? Wann forderst
Du den letzten Tulifanten?«
Sieg und Segen! Fest und Glorie!
Paukenhall, Trompetenschmettern!
Kam ein Page, blau mit Silber,
Trug auf rotem Sammetkissen
Dar die Leiche einer Brummflieg':
»Dieses sendet, Heldenvater,
Tulifäntchen Fliegentöter,
Des Pantoffelordens Ritter!«
Sieg und Segen! Fest und Glorie!
Paukenhall, Trompetenschmettern!
Kam ein Page, weiß mit Lila,
Trug auf rotem Sammetkissen
[484]
Dar den Stift des Maschinisten:
»Dieses sendet, Heldenvater,
Tulifäntchen Mauerstürzer,
Erb- und Lehnsherr von Brambambra!«
Sieg und Segen! Fest und Glorie!
Paukenhall, Trompetenschmettern!
Kam ein Page, grün mit Golde,
Trug auf rotem Sammetkissen
Dar das Stück von einem Strumpfband:
»Dieses sendet, Heldenvater,
Hoheit Tulifäntchen Kronprinz,
Eidam Kön'gin Grandiosens!«
Aufschrie laut der alte Vater
Bei so ungeheurer Botschaft,
Faßte nach dem Herzen schmerzlich,
Weiß ward sein Gesicht, er lächelt'
Durch die letzte Pein so selig:
»Gleich muß ich zu Donna Tulpe,
Ihr von unsrem Sohn berichten!« –
Sprach's, und auf der Gattin Leiche
Fiel er, atmete den süßen
Freuden-Todesseufzer aus.
Die drei Pagen stehn bestürzet,
Trauer blasen die Trompeten,
Leichenklage hallt die Pauke;
Gines grub am Erlenhügel
Unter Reif und Wintersturme
Bei dem ersten Grab das zweite.

2. Drei Leiden

O du helle Hochzeitskerze
Mit der langen, schwarzen Schnuppe!
[485]
Auf den Spezialbefehl
Kön'gin Grandiosens, glänzend
Der Prinzessin anvermählt,
Der lavendelduft'gen Fürstin,
Ward der Held, Don Tulifäntchen,
Kleidet sich in Seid' und Sammet,
Speiset indian'sche Nester
Von dukatengoldnem Teller,
Sitzt auf einem Bemsteinthrönchen,
Trägt ein Zepterchen von Perlen,
Trägt ein Krönchen von Brillanten,
Aber ach, du helle Kerze,
Helle, schöne Hochzeitskerze
Mit der langen, schwarzen Schnuppe!
Noch sind süße Flitterwochen,
Wo, zu küssen, gilt die Sitte,
Aber das Geschick verbeut es.
Denn zu der Prinzessin Lippen
Mit dem Mund emporzureichen,
Um verschiedne Fuß zu niedrig
Ist der Held, Don Tulifäntchen.
Und den Schreiner heißt er kommen,
Schreiner ist ein Mann von Kopfe,
Fertigt ein Gerüst mit Stiegen,
Und mit dreigeteiltem Stockwerk,
Eine Kußvorrichtung, tragbar.
Wie ein Laubfrosch, an den Stiegen
Klomm empor und schwang der Held sich
Kühn von Stock zu Stock des Sparrwerks,
Neben stand die Fürstin harrend.
Angelangt auf höchstem Gipfel
Ehelicher Liebesleiter,
Spitzte unser Held das Mündlein,
Parallel der Gattin Lippen.
[486]
Aber ach! Die Liebe gleichet,
Wie die Dichter oft gesungen,
Einer Blüte, augenblicklich
Aufgeknospet, blüh'nd, verwittert!
Als der Held auf dem Parkette
Stand, war die Lavendelduft'ge
Wirklich ungemein gefühlvoll;
Bis zum Gipfel er gelangte,
Kam's bei ihr zum Überdrusse,
Und sie wandte sich, erkaltet.
O du helle Hochzeitskerze
Mit der langen, schwarzen Schnuppe!
Wenn beginnt die düstre Nacht,
Dann beginnen düstre Leiden.
Die Prinzessin schläft unruhig,
Regt sich und bewegt sich viel,
Wendet sich zur Rechten, Linken,
Was nicht abgehn kann, natürlich,
Ohne heftige Erschütt'rung
Des gesamten Ehebettes.
Fruchtlos ist's, daß der Gemahl
Aus den Tiefen der Verzweiflung
Ruft: »Lieg ruhig, meine Teure!«
Fruchtlos, daß er bis zum Rand
Flüchtet vor dem steten Schwanken
Der Verhältnisse des Lagers,
Fruchtlos, daß er an den Pfühl,
Wie an einen letzten Trostgrund,
Sich mit beiden Händen klammert,
Nicht vernimmt ihn Balsamine,
Von der Umwälzung der Kissen
Wild ergriffen, über Bord
Auf den Boden des Gemaches
Fliegt der Held, Don Tulifäntchen.
Ach, da sitzt er nun und friert
[487]
Auf gebohntem Prunkgetäfel,
Friert die Nacht hindurch, die kalte.
O du helle Hochzeitskerze
Mit der langen, schwarzen Schnuppe!
Die Prinzessin treibt jetzt Mystik.
Jüngst las sie in Jakob Böhme,
Tulifäntchen saß zur Seite,
Schrieb an seinen Memoiren.
Und beendigt die Lektüre,
Ganz erfüllt von tiefer Mystik,
Stand zerstreut auf vom Studiertisch
Die lavendelduft'ge Fürstin,
Wollt' auf dem Spaziergang ernstlich
Überdenken das Geles'ne,
Griff nach dem Gemahl, dem werten,
Sonder Bosheit, nur zerstreuet,
Legt' ihn, wie er schrie und stampfte,
In das Buch als Lesezeichen,
Ging hinaus, gedankenbildend.
So, im Buch, geklemmt als Zeichen,
Fast erstickend an der Mystik
Des gewalt'gen Folianten,
Lag der arme kleine Held.
Und er sprach zu seiner Seele:
»Immer schlagen wir in Wind,
Was die weisen Alten pred'gen
Von dem Fluch der Mesalliance,
Bis uns aufklärt die Erfahrung.
Hätt' ich vor der Mißheirat
Scheu getragen, nicht im Buche
Läg' als Zeichen seiner Gattin
Jetzt der Held, Don Tulifäntchen!«
O du helle Hochzeitskerze
Mit der langen schwarzen Schnuppe!
[488]

3. Die Rüstung des Riesen

Im Münster. Dämmrung

TULIFÄNTCHEN:


Des Abends, wenn es finster,
Begibt sich die Gemahlin nach dem Münster,
So wie es scheint, zu beten,
Doch kehrt sie stets zurück, verweint, betreten.
Ich sah es augenblicklich,
Als ich sie nahm, es machte sie nicht glücklich.
Daß ich es nur gestehe:
Wir leben in höchst unzufriedner Ehe.
Nun will ich mich verstecken,
Um ihres Grams Geheimnis zu entdecken,
Ihr Pfeiler dieses Domes
Verbergt mich! Denn sie kommt ...

BALSAMINE:
Des Tränenstromes,
Aus meinem Aug' geflossen,
Gesalzner Quell, hast du noch nicht ergossen
Zu Ende dich, verzehret?
Doch wie kann's sein, da dich der Kummer nähret
Für alle Lebenszeiten,
Mit immer frisch erzeugten Feuchtigkeiten?
TULIFÄNTCHEN:
Ich kann durchaus nichts hören,
Die Resonanz muß die Akustik stören.
Dort aber an der Brüstung
Hängt ja des Riesen Schlagadodro Rüstung,
Die als des Siegs Trophäen
Man läßt dem Volke jeden Sonntag sehen!
Die Gattin scheint zu klagen,
Gewandt nach des Giganten Helm und Kragen,
Und folglich zu dem Orte
Gelangen ohne Zweifel ihre Worte.
[489]
Deshalb will ich mich sächtlich
Verfügen in den Helm, der so beträchtlich,
Daß er mich birgt vollkommen.
BALSAMINE
vor den Waffen:
O Schlagadodro, mußt' es dahin kommen?
Ein Phönix ist mein Kummer,
Der aus der Asche steigt nach kurzem Schlummer.
O Zeit, die mich entzückte,
Bis, Kolossaler, dich die Mau'r erdrückte!
O teure Eisenschienen,
Ihr letzter, kalter Trost für Balsaminen!
Du armer Rest der Größe,
Zerschmettert durch des bösen Schicksals Stöße!
O Brust- und Rückenteile,
O Ketten, Ringe, Stäbchen, Draht und Keile!
Bis in das Spezielle
Betaut euch meiner Tränen heiße Welle.
O Helm, von dessen Bogen
Einst war das Haupt, das edelste, umzogen,
Winkt mir aus dir sein Schatten?
TULIFÄNTCHEN
im Helme erscheinend:
Nein, aus dem Helme dräut der Blick des Gatten!
Des Gatten, der, geschändet,
Zum Himmel rachefleh'nd sein Antlitz wendet!
Es gibt hier nichts zu winken,
Aus vollen Bechern sollst du Wahrheit trinken.
Ich seh', ich seh', ihr Götter,
Von welcher Farb' und Stimmung ist das Wetter!
Ich seh', was seh' ich alles
Im grellen Lichte dieses schlimmsten Falles?
Ein abgeschmacktes Feuer
Für jenes dumme tote Ungeheuer!
O unermeßne Schande
Von Micromona, von dem ganzen Lande!
[490] BALSAMINE:
Ha! Schimpf von dir entboten,
Schimpf von dem Zwerge meinem großen Toten?
TULIFÄNTCHEN:
Nun ist's genug, ich komme!
Balsamine:
Erwäge wohl, o Kleiner, was dir fromme,
Daß ich Delikatesse,
Die ich sonst liebe, nicht zuletzt vergesse!
Denn deiner Frevel Ähren
Sie neigen, reif, die Häupter schon, die schweren.
Wer stahl durch Lügenkünste
Der Mutter Herz? Vielleicht durch Zaubers Dünste?
Daß sie mit Überlassung
Des Throns an dich, verletzte die Verfassung,
Mich zum unsel'gen Bunde
Gezwungen hat, und in derselben Stunde
Hat ein Edikt erlassen,
Das nach der Frau'nstadt Micromona Gassen
Zurück aus allen Zonen
Beruft die jüngst vertriebnen Mannspersonen?
TULIFÄNTCHEN:
O Berg von Wahn und Trügen!
O Chimborasso wild erträumter Lügen!
Verklärte Grandiose,
Sieh nicht herab auf die Gewissenlose!
Du Edle! Teure, nimmer
Genug beweinte Schwiegermutter! Immer
Erwarb mir dein Gemüte
Mein schwach Verdienst und deine hohe Güte.
Das waren meine Künste,
Das waren freilich schlimmen Zaubers Dünste!
Die Weiber selbst, in hellen
Gedrängten Haufen, flehten, herzustellen
Der alten Ordnung Weise,
[491]
Weil sie zu sehr langweilten sich im Kreise
Der klatschgewalt'gen Schwestern,
Und mich verklagt um das Gesetz dein Lästern?
Dich endlich (es ist billig,
Du hörst die Wahrheit) nahm ich widerwillig,
Weil mir die Ahnung sagte,
Daß mir der letzte Tag des Glückes tagte,
Als wir die Ring' gewechselt;
Du warest mir zu groß, gelehrt, gedrechselt!
Allein die Kön'gin glaubte,
Daß, was Natur an der Statur mir raubte,
Erstattet sei durch Gaben,
Die niedre Seelen nie begriffen haben,
So bin ich, dankbezwungen
Und ihr zulieb', ins Ehebett gesprungen!
BALSAMINE:
Hat uns der Zwang verbunden,
So sei der Zwang der Gott von unsern Stunden!
Hieher zu mir!
TULIFÄNTCHEN:
Die Hände
Legst du an mich? Sinnst du des Gatten Ende?
BALSAMINE:
Nein, nur des Gatten Zücht'gung!
TULIFÄNTCHEN:
GedrängtenWie? Züchtigung?
BALSAMINE:
Des eiteln Sinns Bericht'gung!
TULIFÄNTCHEN:
Was willst du?
BALSAMINE:
Wirst's erfahren,
So stolzen Helden muß man wohl verwahren!
[492]
Jetzt zeige deine Stärke,
Die Ehe haßt den Schein, sie will die Werke!
TULIFÄNTCHEN:
Stürzt Pfeiler! Brecht Pilaster!
BALSAMINE:
Sie stehen unerschüttert auf dem Pflaster.
TULIFÄNTCHEN:
Hör du mich, Grandiose!
BALSAMINE:
Sie schlummert taub in ihres Grabes Schoße.
TULIFÄNTCHEN:
Errettet mich, ihr Sterne!
BALSAMINE:
Von einem Zwerge wandeln sie zu ferne.

4. Schmach und Verzweiflung

Durch die Gassen Micromonas
Rennt es, fragt es, lamentiert es.
Weiber stehen an den Ecken,
Nieder hängt der Strickstrumpf, müßig,
Ob dem Eifer des Gespräches,
Polizeisoldaten suchen,
Vetter Hinz schlägt Vetter Kunzen
Auf die Schulter neubegierig,
Kinder lassen ruhn den Kreisel,
Alles rennt, fragt, lamentieret:
»Ach, wo blieb der kleine König,
Wo der Held, Don Tulifäntchen?«
[493]
Durch das Schloß von Micromona
Rennt es, fragt es, lamentiert es:
Trauer tragen die Hofdamen,
Die Frau Premierminist'rin,
Ringt die Hände pflichtbeflissen,
Schon seit vierundzwanzig Stunden
Sitzt der Staatsrat in der Sitzung.
Alles rennt, fragt, lamentieret:
»Ach, wo blieb der kleine König,
Wo der Held, Don Tulifäntchen?«
Vor dem Schloß von Micromona,
An dem Fenster hoch in Lüften,
Draußen mit der Schnur am Kreuze
Hing ein Vogel-Messingkäficht.
Diesen Drahtpalast bewohnte
Der Prinzessin Lieblingsgimpel,
Bis er starb, weh ihm! am Pipse.
Schadenfrohe Winde spielten
Mit dem Vogel-Messingkäficht.
Menschenschicksal! Was ist Größe,
Die der edle Mut sich anträumt?
Vogelkäficht! Messingkäficht,
In dir stak der kleine König,
Stak der Held, Don Tulifäntchen.
Bei der goldnen Sterne Glänzen
Trat zum Fenster die Prinzessin,
Und sprach so mit höhn'schem Worte:
»Tulifäntchen Fliegentöter,
Riesensieger, Mauerstürzer,
Wie behagt dir dieses Luftschloß?«
Nichts versetzte solchem Schimpfe,
Nichts der Held, Don Tulifäntchen.
Starr und stolz, stumm, ohne Seufzer,
Schwieg der großgesinnte Jüngling.
[494]
Und sie rief voll gift'gen Hohnes:
»Ach, der Arme hat kein Futter,
Darum singt er nicht wie sonsten
Sein Trompeterstückchen kecklich
Von den Tätlein, die er übte.
Wart, ich hol' dir blanke Hanfsaat,
Füll' dein Schälchen dir mit Wasser,
Vögelchen soll mir nicht darben,
Auch Gesellschaft will ich senden,
Meise, Zeisiglein, Zaunkönig.«
Sprach's, und schlug das Fenster zu.
Auf von seinem Folterlager
Sprang der Held, Don Tulifäntchen,
Und sprach so zu seiner Seele:
»Klein erschufen mich die Götter,
Aber kleinen Herzens nicht.
Was zu tun nach solchem Tage,
Sei getan! Getan zu Nacht!«
Und er riß aus schwarzer Scheide
Rasch das gute Federklingschwert,
Küßt' es, warf es in die Tiefe.
Schob und hob, gestemmt, mit Mühe,
An der Falltür seines Kerkers,
Schweißgenetzt. Aufflog das Gatter,
Und der Held trat still zum Rande,
Blickte fest hinab, von drunten
Starrt' entgegen ihm der Abgrund,
Nächtig, grauenhaft, erschrecklich.

5. Die Wolken

Eine Wolke hoch am Himmel,
Schwebend überm Dach des Schlosses,
Sah des Helden Jammerstand.
Aber still! Erst muß ich sagen,
[495]
Was mir gegen Morgen, schwätzend,
Jüngst ein leichter Traum verkündet
Von der Wolken Art und Ursprung.
Wolken sind nicht taube Dünste;
Nicht aus dem gemeinen Wasser
Lockt der Glutenblick der Sonne
Diese launenhaften Rätsel.
Wolken sind der Seufzer Kinder!
Aus den Seufzern, die den Menschen
Abpreßt unsres Lebens Kargheit,
Ballt sich der Luftfahrerinnen
Wunderlicher Zauberchor.
Aus der Kindlein kleinem Ach
Um versagtes buntes Spielwerk,
Werden die gereihten Schäfchen,
Perlenrund und perlenblank,
Weiße Flöckchen, die verschwinden,
Wie sie kamen, lockerzart.
Aus dem Seufzer der Kokette
Um der Liebestauber Flucht,
Aus der Eiteln siechem Stöhnen
Um geschwundne Gnad' und Gunst,
Spinnen sich die langen Streifen,
Die ihr alle oft am Himmel
Stehen saht so fahl und töricht,
Daß sie euch zu sagen schienen:
Selber wissen wir nicht recht,
Was wir wollen und bedeuten.
Wenn zerfleischte Unschuld seufzt
Aus der Brust, bedrückt von Unbill,
Aus den Lippen, deren Rot
Welk gemacht des Frevels Pesthauch,
Steigen auf die grimmigschwarzen
Wolken, blitz- und donnerdrohend,
[496]
Die, den Schoß entladend, zorn'ge
Feuerungeheu'r gebären,
Und dem Schelm im goldnen Saal
Pred'gen Millionen Teufel,
Einen Gott dem Frommen pred'gen.
Nun kommt ihr daran, ihr dicken
Durchgesognen Jammerschläuche!
Graue Tonnen, wasserschwere,
Die, ein unermüdlich Regnen,
Unsern Tag zum Tropfenbade
Schaffen, unsre Welt zur Pfütze.
Euch erzeugten Seufzer, öde,
Über unsre Alltagspein,
Über Not mit dummer Klugheit,
Und mit sittlichen Gemütern.
Aber weg von solchem Elend
Zu den guten, schönen Wolken,
Zu den Fürstinnen der Luft!
Blank mit Silberstreifen säumt sie
Ein der Mond, die Sonne stickt sie
Reich mit purpurroten Rosen,
Und der Himmel hält mit ihnen
Tiefes, heimliches Gespräch.
Aus den holdesten und liebsten
Seufzern woben sich die Schönen,
Aus den Seufzern keuscher Mädchen,
Wenn sie schreckt des Bades Spiegel
Mit den eignen süßen Reizen,
Aus den Seufzern hoher Frauen,
Stürzt' ein heil'ger Kampf ins Blut
Reine jugendblüh'nde Helden;
Aus den Seufzern edler Dichter
Über Leiden, die so lieblich,
Daß sie selbst dem treusten Freunde,
Ihrem Lied, sie nicht vertraun;
[497]
Dichterseufzer, Mädchenseufzer,
Hoher Frauen heil'ge Seufzer
Schaffen jene prachtgeschmückten
Königinnen, hoch im Äther.
Solche gute, schöne Wolke,
Silberblüh'nd im reinen Mondlicht,
Sah die Not des Helden, hörte
Seines großen Herzens Klage.
Und sie sprach zu sich: »Hier gilt es
Nicht verweilen! Zu der Fee
Eil' ich, seines Lebens Schütz'rin,
Künd' ihr an des Helden Jammer.
Wind, mein schnelles Roß, wo bist du?«
Kam herangeschnoben, pustend,
Wind, der Hengst von feur'ger Rasse.
Damenhaft schwang sich die Herrin
Auf des Gaules breiten Rücken.
Auf, davon, durch alle Himmel
Jagte sie mit ihrem Rosse,
Also, weit nach Osten, pfeilschnell
Ritt die silberblüh'nde Wolke.

6. Die Botschaft

Auf der Elfenwiese, duftig,
An dem Hügel, erlengrün,
Wo das Bächlein plaudert lieblich,
Lacht und scherzt das heimlich muntre
Fest der zarten, goldnen Fee.
Denn heut ist Johannisnacht,
Wo der Gnom aus seinem Stollen
Schlüpfet, und von Kapp' und Leder
Ab den Katzenglimmer bürstet,
[498]
Auszuruhn vom sauren Pochwerk,
Sitzet auf der Felsenkante.
Wo hinuntersteigt der Mondmann
Zu der Erd' und auf dem Dach tanzt
Mit Nachtwandlerinnen lustig,
Wo der Salamander buhlet
Feurig um das Fräulein Irrlicht
In dem Torf- und Mooresgrunde,
Wo an jeder Lindenblume
Fröhlich sich ein Sylphchen schaukelt,
Wo den schilf'gen Strom hinabwärts
Schwimmt der Nix mit Floß' und Schuppe,
Base Meerweib zu besuchen.
An dem Hügel, erlengrün,
Auf der Elfenwiese, duftig,
In dem Kelch der roten Tulpe
Saß die zarte Fee Libelle,
Saß das goldbeschwingte Wunder.
Äußerst glänzend war das Fest!
Zu der Tulpe Füßen spielte
Der tonkundigen Zikaden
Auserwählteste Kapelle
Stücke von den besten Meistern.
Ernsthaft standen Exzellenzen
Feuerwürmer, mit den glüh'nden
Ordensternen, in der Runde,
Flogen dann und wann galant
Zu den Damen, die in Lüften
Schwebten strahlend, reichgeputzet,
Zu den lieblichen Libellen.
Diese sind des Tages nur,
Nachstellungen zu entgehen
Von des Menschen ew'ger Tücke,
Argverzaubert in die Leiber,
Die wir sehn um Wässer flattern.
Nachts, wenn anbrach Geistertag,
Werden Jungfräulein sie alle,
[499]
Schön und rosig, glanzgeauget,
Leichte, bunte Flügelelfen.
Kleine Päg'lein präsentierten,
Gnomenknäblein guter Herkunft,
Blütenpunsch in Maienglöcklein;
Alles lacht und scherzt und tändelt,
Alles glüht und funkelt, schwirret
Um den Thron der zarten Kön'gin,
Um den roten Tulpenthron.
Heiter sprach das goldne Wunder:
»Nun beginnt der Nacht geweihten
Reigen, euren Tauperltanz!«
Alsobald in Ordnung stellten
Sich die lieblichen Libellen,
Faßten sich im Kreis geschlungen,
Tanzten nach dem frohen Takte
Der tonkundigen Zikaden
Auf des Taues Perlen munter
Ringelreigen um die Kön'gin,
Um den roten Tulpenthron.
Sicher, ohne je zu fehlen,
Hüpften sie von Perl' zu Perle.
Keine Perl' zerfloß erschüttert,
Nicht einmal erbebt' ein Perlchen
Von dem Druck der Lilienfüße,
Seht, so leicht sind die Libellen!
Doch die glüh'nden Exzellenzen
Feuerwürmer, gingen ernsthaft,
Rund in dieses Reigens Mitte,
Fackelträgerdienst versehend.
Aber als der Reigen kreiste
Nun zum drittenmal mit Jubel
Auf den mondbeblinkten Perlen,
Kam geritten hoch am Himmel
[500]
Auf dem Wind, dem schnellen Roß,
Jetzt die silberblüh'nde Wolke.
Also rasch war sie geritten,
Daß der Wind selbst außer Atem
War gekommen, und zur Erde
Sank ins Gras mit kranker Lunge.
In den Kreis des Festes trat sie,
Und zur Fee, zur goldbeschwingten,
Sprach die silberblüh'nde Wolke:
»Wie? du feierst frohe Feste?
Wie? du schaust den Tauperltanz?
Und dein Held, Don Tulifäntchen
Steckt im Vogel-Messingkäficht,
Eingesperrt von der Gemahlin,
Der lavendelduft'gen Fürstin!
Auf und eile! Rett ihn! Fliege!
Er beschloß im tapfern Herzen,
Stürzen will er in den Abgrund
Seinen Leib, ich hört' es selber.«
Sprach's. Da klagten alle Geister,
Denn beliebt ob seiner Tugend,
Hochbeliebt ob seiner milden,
Adeligen, feinen Sitten,
In dem ganzen Ginnistan
War der Held, Don Tulifäntchen.
Dunkel wurden vor Betrübnis
Alle glüh'nde Exzellenzen.
Die Zikaden machten Pause,
Zagend standen die Libellen.
Doch die Jüngste fiel erbleichend
Und mit leisem Schrei in Ohnmacht.
Rosalindchen hieß das weiche
Schöne Kind voll Sympathie.
[501]
Nur die zarte Fee Libelle
Blieb gefaßt. Emporgerichtet
In der Tulpe, sprach sie also:
»Von dem Fest etwas ermüdet,
Flög' ich wohl nicht rasch genug
Zu der Rettung meines Helden.
Auf ihr Pagen, sagt dem Kutscher,
Sagt dem rauchen Bärenvogel,
Er soll gleich die Equipage
Mit den sechs Hirschkäfern schirren!«
Sprach's. Es rannten fort die Pagen
Nach der Fee gewölbtem Marstall,
Der im Wurzelwerk der Erle
War erbaut zu ebner Erde.
Aus dem Kelch der Tulpe hob sich
Jetzt die Fee, bedient von wieder
Glüh'nd gewordnen Exzellenzen,
Wand ein grünes Kränzlein, schwebte
Zu dem Ort, wo Rosalindchen
Lag in Ohnmacht, weckte sie,
Sprach süßlächelnd: »Unsern Helden
Retten wir heut aus dem Kerker,
Und auch aus dem Arm der Gattin,
Der lavendelduft'gen Fürstin.
Nun, so gilt's, ein andres Bräutlein
Ihm zu geben, das wohl besser
Stimmt zu seiner Art und Größe.«
Sprach's. Das Kränzelein, das grüne,
Drückte sie dem weichen Kinde
In die blonden Ringellöckchen,
Flüstert' ihr zwei Wort' ins Ohr.
Rosenröt' im Angesichte,
Blickte zu der güt'gen Fee
Auf die kleine Rosalinde.
Lang schon ihre stille Liebe
War der Held, Don Tulifäntchen.
[502]
Aber alle Gnomenpäg'lein
Kamen sehr bestürzt und riefen:
»Fürstin, ach, der alte Kutscher,
Ach, der rauche Bärenvogel
Hat sich gänzlich übernommen
In gestohlnem Blütenpunsche,
Liegt und schnarcht im Stall, er ist,
Fürstin, zum Exzeß betrunken.«
Rief die zarte Fee Libelle:
»Er ist morgen aus dem Dienste!
Tausendmal warnt' ich den Schlemmer,
Endlich muß ich stiften Ordnung.«
Und zur silberblüh'nden Wolke
Sprach das goldbeschwingte Wunder:
'Sieh, so geht es mir, Kusine.
Hättest du vielleicht die Güte,
Dieses Mal mich zu befördern?«
»Meine teuerste Kusine«,
Sprach die silberblüh'nde Wolke,
»Dir zu dienen, mich entzückt es.
Komm mit deinem ganzen Hofstaat,
Platz für alle hat mein Roß.«
Wind, dem schnellen Rosse, rief sie.
Wind sprang hergestellt empor,
Drehte sich nach Westen schleunig.
Auf den Rücken sprang die Wolke,
Alle glüh'nde Exzellenzen
Klammerten sich an den Schweif,
Alle liebliche Libellen
Schwangen sich empor zum Halse,
Gnomenpägelein, Zikaden
Saßen bei den schönen Fräulein,
Doch im Schoße der Kusine
Saß die zarte Fee Libelle,
Und das mitleidsvolle Bräutlein.
[503]
Also, wie ein Pfeil, nach Westen,
Nach der prächt'gen Micromona,
Ritt die silberblüh'nde Wolke.

7. Seliges Ende

In dem Vogel-Messingkäficht,
Welcher hing am Fensterkreuze,
Draußen in der Öd', im Nachtsturm,
Schwindelnd hoch ob Micromonas
Quaderhartem Straßenpflaster,
In dem fürchterlichen Käficht
Stand am Rande vor dem Abgrund
Noch der Held, Don Tulifäntchen.
Sprach: »Ein unerschrockner Tod
Sühnt die Schande dieses Tages.
Nicht geziemt's, das Haupt umrauscht
Von dem Flügelschlag der Kere,
Wild zu prahlen in die Lüfte,
Aber sagen darf ich kühnlich:
Ich bin größer, als mein Leib!
Heilen durch das letzte Mittel
Wir die Wunden unsrer Ehre!
So empfang, du grause Tiefe,
Mein zerschmettertes Gebein!«
Sprach's und sprang und stürzt' und stürzte,
Luftumpfiffen, tiefer, tiefer,
Gräßlichhaltlos! Schwindeltot!
Aber mit der ganzen Fabel
War die silberblüh'nde Wolke
Just darunter angelangt.
Tulifäntchen stürzt' und stürzte
Auf den schwanenweichsten Schoß
In die seidenzärtsten Arme.
Und aus Nacht zu sel'gem Schrecken
Seine Wimpern öffnend, sah er
[504]
Um sich, über sich, empor
Nur in Fee Libellens Augen,
Nur in Rosalindchens süße,
Kleine, himmeltrunkne Äuglein.
Fee Libelle herzt' ihn, drückt' ihn,
Und das Bräutlein küßt' ihn zärtlich.
Rief der Held: »Wo bin ich? Wonne!«
»Bei den Deinen!« sprach die Fee,
»Bei den Deinen!« sprach das Bräutlein,
»Bei den Deinen!« riefen alle
Glüh'nde Exzellenzen, alle
Gnomenpägelein, es riefen's
Alle liebliche Libellen,
Die Kapelle musizierte.
Und das schwirrt' und klang und glühte,
Und das jauchzt' und tanzt' und schwärmte,
Daß nun auch den Kopf verlor,
Daß nun auch zu schwärmen anfing
Die jüngst so verständ'ge Wolke.
Plötzlich kam ihr in den Sinn,
Sich zum Palast zu verwandeln.
Auseinanderfließend zog
Sie vier Mauern im Gevierte,
Schlanke Säulen sproßten auf,
Zierlich Schnörkelwerk von Dunst
Kräuselt' an den Kapitälen.
Blaues Dach darüber hin
Ragt' in Winkeln, mondbeglänzet,
Auf des Windes Rücken stand
Blank und schlank der Hochzeitpalast.
Und im Innern des Palastes
War bereits die ganze Fabel.
Wie aus weiter Ferne, leis'
Rief die zarte Fee Libelle:
»Fort, nach Ginnistan! Der Held
Hat vollendet auf der Erde.
[505]
Uns gehört er. Ewge Jugend
Kostet er nun in dem schönen,
Traumessel'gen, grünen, tiefen,
Wunderblüh'nden Reich der Geister!«
Auf des Windes Rücken schwebte
Jetzt empor der Wolkenpalast,
Prachtverklärt! Er schwebt' und schwebte,
Bis er schwand zum hellen Punkt,
Bis er schwand in den Azur.
Nicht auf Erden mehr gesehn
Ward der Held, Don Tulifäntchen.

Notes
Erstdruck mit dem Untertitel »Ein Heldengedicht in drei Gesängen«: Hamburg (Hoffmann und Campe) 1830. Der Text folgt der revidierten Fassung, die Immermann für die Ausgabe seiner »Schriften«, Düsseldorf (J. E. Schaub) 1835, erarbeitete.
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TextGrid Repository (2012). Immermann, Karl. Tulifäntchen. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-89D7-0