Arno Holz
Ignorabimus
Tragödie

Personen

[293] Personen.

    • Prof. Dr. Dufroy-Regnier, Wirklicher Geheimer Oberregierungsrat, Exzellenz, Rektor der Friedrich-Wilhelms-Universität.

    • Marianne, seine Tochter.

    • Dr. Ludwig Adrian Brodersen, sein Stiefbruder.

    • Prof. Dr. Georg Dorninger.

    • Baron Uexküll.
    • [293]

1. Akt

Erster Akt

Großer geräumiger Gartensaal. Im Hintergrund, aus der matt gelblich glänzenden Marmorwand, eine hohe, sehr breite, dreiteilige Ebenholztür, deren sechs Glasflügel nach dem Garten zu weit geöffnet stehn. Über ihr ein rundes, ehernes, bereits grün patiniertes Medusenmedaillon, das durch seinen machtvollen Ausdruck den ganzen Raum beherrscht. Rechts und links, in gleicher Höhe mit ihr abschließend, je ein vielscheibiges, verhältnismäßig schmal wirkendes Fenster. Unter diesen zwei weiße, schwarz geäderte Greifenbänke, auf denen dunkelrote Samtkissen liegen. In den beiden Seitenwänden mächtige, ebenfalls schwarze Flügeltüren, die bis zur halben Höhe von grünen Dioritsäulen flankiert werden, auf denen Barockbüsten schimmern: aus braunroten Drapierungen weißliche Köpfe. Über diesen, je rechts und links, getriebne, eckige Bronzeschilder als Kerzenhalter. Auf dem schwarz und weißen, schräg gequaderten Fliesenboden ein schwerer, tiefdunkelblauroter Teppich im Stil der alten, italienischen Kirchenmuster. In seiner Mitte ein großer, runder, schwarz polierter Tisch mit schwerem, barockem Schnitzwerk, um den, mit den Lehnen gegen die beiden Flügeltüren, zwei dazu
passende Sessel stehn. Als Plafond ein farbenfreudiger Freskorausch in der Art Tiepolos. – Aus dem Garten her, in den drei Stufen hinabführen, plätschert ein Springbrunnen, die Sonne draußen über den bunten Blumenrabatten leuchtet, und der ganze Raum wird belebt und erfüllt durch ein fortwährendes, heimliches Blätterspiel, das aus den hohen Bäumen durch die geöffneten Türen und die Fenster fällt. Ab und zu Wolkenschatten, bald fern, bald näher tutende Autos, Radfahrerklingeln, Stimmengeräusch, monotones Pferdegetrappel und die verschiedensten Vogellaute. Dazwischen der leise fortwährend eintönige Fall des Springbrunnens. Das Ganze, sofort einsetzend, durch den gesamten Akt wie eine allerfeinste und kunstvollste Instrumentation.

[294]
MARIANNE
schlanke, noch junge Schönheit, deren Hauptreiz in einer gewissen, seltsamen, leis über sie gebreiteten Melancholie liegt.

Die feine Haut leicht gebräunt, das prachtvolle Haar tiefgold-kastanienbraun, die Augen schwarz, groß und mit langen, seidigen Wimpern. Sie trägt ein violettes, faltig fließendes Gewand, keinen Schmuck, und hält in ihrer herabhängenden Linken einen dem Kleid angepaßten, welligen, mit dunklen Rosen garnierten Florentiner. Sie steigt eben aus dem Garten, hilft sich dabei müde mit der Rechten, in der sie ein paar Frühlingsblumen trägt, an der offnen, mittelsten Glastür, steht, wie erschöpft, einen Augenblick vor dem Mitteltisch, seufzt tief auf, geht lässig auf die Tür ihr zur Linken, hat bereits deren Klinke erfaßt und blickt nun, wie einem unwiderstehlichen Trieb oder Drange gehorchend, nach der Tür links zurück. Sie läßt die Hand sinken, geht langsam wieder an den Mitteltisch, legt hier die Blumen und ihren Hut nieder und geht wie traumwandelnd weiter auf die Tür links zu. Noch bevor sie diese ganz erreicht hat, schrickt sie bei einem plötzlich ganz besonders nahen Autolaut schmerzlichst zusammen, dreht den Kopf wie entsetzt nach dem Medusenhaupt und bricht, mit der Rechten, gegen die sie die Stirn preßt, an den Türpfosten gelehnt, während die Linke, wie unbewußt, die Tür streichelt, in ein leises, wimmerndes herzrührendes Schluchzen aus. Georg! ... Georg!! ...

ONKEL LUDWIG
alter weißhaariger Hüne; das energische, scharf geschnittne Gesicht, aus dem unter buschigen Brauen zwei nordisch blaue Augen ab und zu noch seltsam jugendlich blitzen, glatt rasiert, durch die Tür rechts; seine schwere Wucht dabei auf einen Stock gestützt.
Über den unerwarteten Anblick ganz starr; beide »a« kurz, das erste betont. Ja aber ...
MARIANNE
die ihn zuerst nicht hatte kommen hören; nach ihm umgedreht; entsetzter, halb wie irrer Blick nach der Mitteltür, durch die sie vorhin gekommen war, als hätte sie von hierher das plötzliche Auftauchen eines ganz andern erwartet; noch ganz wirr.
Du? ...
ONKEL LUDWIG
der ihrem Blick gefolgt war; ganz besorgt.
Marianne! ... Was ist dir denn? Du machst ein paar Augen ... Wer soll jetzt durch diese Tür ...
[295]
MARIANNE
sich mit der flachen Linken, während sie die Lider einige Sekunden geschlossen hält, wie um wieder zu sich zu kommen, über die Stirn streichend.
Verzeih! ... Ich war im Moment ...
ONKEL LUDWIG
erst jetzt, etwas schwerfällig, nähertretend.

Erst sucht man dich den ganzen Morgen Zwitschernde Spatzen. wie ne Stecknadel, und wenn man dich dann endlich ... Hat den Sessel rechts, auf den er zugesteuert war, jetzt erfaßt.

MARIANNE
jetzt ebenfalls am Tisch; in den Sessel links zusammenbrechend.
Ach, Onkel Ludwig!
ONKEL LUDWIG
der sich inzwischen gesetzt hat; dabei wieder, besorgt-unruhig, einen Moment nach der Mitteltür blickend.
Hat sich irgendwas ... ereignet oder zugetragen? ... Ist dir was passiert? ...
MARIANNE
stumm abwehrende Geste.
»frag mich nicht!« ...
ONKEL LUDWIG
auf seinen Stock jetzt, forschend- eindringlich, gegen sie vorgebeugt.
Willst dus mir nicht sagen?
MARIANNE
vergeblich mit sich ringend.
Ich ... kann nicht!
ONKEL LUDWIG
in seinen Sessel wieder znrückgelehnt; durch die Erfolglosigkeit seiner Bemühungen etwas verschnupft und verstimmt.
Hm! So! Na! ...
MARIANNE
um ihn auf ein andres Thema zu bringen; nach dem Garten hin.
Ein Tag heute ...!»Vogel Bülow«..
ONKEL LUDWIG
als wär ihm etwas in die Kehle gekommen.
Tja!
MARIANNE
in die prachtvolle, wahrhafte Schönheit des Tags einen Augenblick wie versunken; als ob sie sich gleichzeitig dadurch von etwas befreien wolle.

Ein herrlicher ... wohltuender ... ausgesucht schöner Tag! Derselbe »Vogel Bülow«, wie vorhin; diesmal zweimal.

ONKEL LUDWIG
in seinem Sessel vergneddert hin und her.
Und den hat man nu so bis jetzt ... aus dem Haus in den Garten, aus dem Garten wieder ins Haus ...
MARIANNE
gequält zu ihm aufblickend.
Daß dir schon ... drei kurze Stunden ...
ONKEL LUDWIG
wie höchst übel und ungerecht von ihr behandelt; fast gekränkt.

Da du doch sonst nie ... Ich kann mich gar nicht mehr entsinnen ...Leichte, scheinbar lässige Kopfbewegung nach ihrem Hut hin. Du warst weg?

MARIANNE
die sich noch immer nicht recht gefaßt hat; unbestimmt-ausweichend.

[296] Ich hatte geglaubt ... du würdest mal unterdessen ... vielleicht einen deiner alten Spaziergänge wieder aufnehmen!

ONKEL LUDWIG
als hätte sie ihm damit die denkbar stärkste Zumutung gestellt.

In dies neue Berlin? Auto: »wütendes Wildschwein«. Wo man alle fünf Schritt Gefahr läuft, die paar mürben Reste, die einem der gnädige Schöpfer noch gelassen hat, unter irgend so ne widerwärtige Elektrische, oder son Satansbiest von Autoomnibus zu betten? Radfahrer; schrillst. Hab ich jetzt satt!

MARIANNE: Man atmet förmlich immer auf ... Unwillkürlich dies etwas selbst tuend. sobald man aus diesem häßlichen, wirbelnden Malstrom ...

ONKEL LUDWIG
sie unterbrechend; zuerst noch brummig-grollend, dann sich mehr und mehr in Rage und Feuer redend.

Vor siebzig Jahren wars schöner! ... Wenn ich damals Wieder Geste nach dem Garten hin. durch das große, schwarze Eisengitter drüben, mit meiner Botanisiertrommel oder einem Buch, in den Tiergarten ging, glaubst du, da begegnete einem auch bloß eine einzge Menschen seele? Da gabs nichts, wie Sonnenschein und Schmetterlinge! Meisen: »Zizigäg, Zizigäg«. Vom Brandenburger Tor nach dem Großen Stern oder dem Neuen See war ne Landpartie! Heut Andrer Tonfall; Auto: Doppellaut. kann man vor lauter Kindern und Ammen dort kaum noch treten! In der Hofjägerallee verkauft n Kerl mit ner weißen Schürze Speiseeis, und am Goldfischteich steht ne dicke Italienerin mit Luftballons! ... Ganz fernes Auto. Überhaupt! Erheblich mit sich im Selbsthader; fast düster. Ich weiß manchmal gar nicht, wozu ich meine morschen Knochen in dies elende Sündenbabel wieder zurückgeschleppt habe!

MARIANNE
die sich inzwischen, nach und nach, endlich etwas gefaßt hat; nachsichtig-gütig; fast wie eine junge Mutter zu ihrem kleinen Kind.
Hast du nicht oft gesagt ... daß du dich da draußen ...
ONKEL LUDWIG
in seinem Sessel wieder unbehaglich-unruhig.
Nu ja, ja, ja!
MARIANNE
in ihrem Satz fortfahrend; Ton noch seelischer.
Wo du niemand hattest, wo sich keiner um dich bekümmerte ...
ONKEL LUDWIG
konzedierend-bärbeißig.

Ist ja wahr! Ist ja wahr!

MARIANNE: Wo du immer nur ganz allein warst ...Abbrechend und plötzlich aus ihrem eigensten, tiefsten Innenleben. Auch der geistig [297] in sich geschlossenste Mensch ... und wenn man sich auch noch so ... bloß auf sich selbst zurückziehn möchte ... wer zu andern keine Brücke mehr hat ... oder keine mehr findet ... Zerquält innehaltend.

ONKEL LUDWIG
melancholisch vor sich hin.
Einsam ...
MARIANNE
den Kopf etwas zurück, die Augen dabei geschlossen.
Entsetzlich!
ONKEL LUDWIG
von ihrem unwillkürlichen Zwischenruf kaum unterbrochen in seiner Meditation weiter.

Was wir auch anstellen! Wie wirs auch drehn! Sind wir alle! ... Nach einer kleinen, unwillkürlichen Pause; Buchfinken und ferne Stimmen. Du bist einsam ... Kopfbewegung nach der Tür ihm gegenüber. Georg ist einsam ... Ebensolche Kopfbewegung rechts nach dem Garten rüber. dein Vater, mein Herr Stiefbruder, der Magnifikus, in seinem riesigen, protzigen Prunkkasten da vorne, ist einsam ... und ich In seiner Sprache etwas langsamer. glaube ... meine steinalte Mutter ... die ja nu wohl, zu seinem Leidwesen, bei ihm »fromm« geworden ... mit nächstem ... bald ihre Hundert wird ... ist auch einsam!

MARIANNE
die ihn solange aufmerksam, mitleid- und teilnahmsvoll, angeblickt hat.
Onkelchen! Gib mir mal deine alte, liebe, gute Hand.
ONKEL LUDWIG
ihr mit einem gewissen, zögern den Unbehagen und Widerstreben diesen Wunsch erfüllend.
N ... na?
MARIANNE
seine harte Tatze mit ihrer weichen Patsche streichelnd.
Willst du deinen bösen Groll auf die beiden nicht endlich vergessen?
ONKEL LUDWIG
der seine Hand wieder zurückgezogen hat; im höchsten Grade unwillig; fast entrüstet.
Marianne!
MARIANNE
von neuem; eindringlich; ihren Vermittlungsversuch noch nicht aufgebend.
Was du gegen Großmutter auch hast ...
ONKEL LUDWIG
dem die Brauen nur so gewittern; beide Silben zornig vorstoßend; die zweite kurz und betont.

Jaja!

MARIANNE: Was du ihr auch nachträgst! Die Hauptakzente noch verstärkt. Und mag es sogar das Allerkränkendste und Bitterste gewesen sein! So viel Zeit ist drüber vergangen!

ONKEL LUDWIG
knurrend-verbissen.
So einige Lustra! Allerdings! Macht sich!
MARIANNE
noch intensiver; bereits fast mit einem leisen Vorwurf.

Könntest [298] du dir nicht denken, ist es dir wirklich so ganz unmöglich, dir das vorzustellen, daß du damit meinem Vater, der nun auch schon grau ist Gedämpftes, sich während der nächsten zwei Repliken entfernendes Pferdegetrappel. der noch Kind war, als du in die Welt gingst, und ...

ONKEL LUDWIG
der es auf seinem Sessel kaum noch aushält; ungeduldigst.
Und, und, und?
MARIANNE
sich noch immer steigernd; in ihrem Satz weiter.

Und der doch sofort, nachdem du wieder zurückgekehrt warst, alles getan, um aus innerstem Herzensdrang, wenn auch leider vergeblich ...

ONKEL LUDWIG
sie unterbrechend und in ihrem Satz, dessen Gedankengang er dabei geradezu auf den Kopf stellt, grotesk-höhnisch fortfahrend.

Mich alten Sünder in die verzeihend und liebevoll geöffneten Arme unsrer gemeinsamen Frau Mutter wieder ... etcetra pepeh ...

MARIANNE
von seiner ironischen Großmut, ihren Satz jetzt vollenden zu dürfen, nicht Gebrauch machend; seinem so hartnäckig fortgesetzten Widerstand gegenüber erlahmt und mutlos; »a« kurz.
Ja, wenn du so sprichst ...
ONKEL LUDWIG
der nur mit Mühe so lange an sich gehalten; erbittert; seinen nun schon seit länger als einem halben Jahrhundert in den untersten »Kellern seiner Seele« aufgespeicherten Grimm und Groll aus sich herauspolternd.

Fünfzig Jahre hab ich mich rumgestoßen! In allen Erdteilen war ich! Immer mit meinem großen, grundlegenden, transphysikalischen »System« beschäftigt! Die Welt ist nu mal da, Verstand hat uns der Allmächtige in seiner weisen, unerforschlichen, väterlichen Nachsicht und Güte mit auf den Weg gegeben, sie muß also auch erklärt werden können! Mundus explicari potest, ergo explicetur! Auto. Das ist klar! Ferneres, wie ein Echo. Und überall, wo ich gesessen und drüber nachgedacht habe, jede Sekunde hab ich geglaubt: Nu kommt ... von deiner alten, angestammten Bank ... die dein Vermögen verwaltet ... die allein deinen Aufenthalt kennt ... und die dir jeden dritten Ersten pünktlich dein Deputat, dein Subsidium und dein Leibgeding schickt ... nu kommt ... Lang anhaltendes Radfahrergeklingel. das Telegramm!

[299]
MARIANNE
als hätte sie nicht recht gehört; sich vergewissernd.
»Das ...?«
ONKEL LUDWIG
nickend und in seinem Stiebel unbeirrt weiter.
Das Telegramm! ... Nu sind die vier oder fünf Talermillionen ...
MARIANNE
durch diese ihm sonst so fremde Betonung seines »irdischen Schätzeplunders« leis indigniert.
Du tust manchmal ...
ONKEL LUDWIG
der nicht locker läßt; noch hartnäckiger.

Die vier oder fünf Talermillionen, die dir dein fleißiger Vater hinterlassen hat, durch den natürlich erfolgten Hintritt seiner Frau Witwe ... Auf eine leichte, kaum merkbare, unwillkürliche Bewegung Mariannes, als wolle sie gegen diese lieblose Überhärte und zugleich mehr als bloß respektlose Ausdrucksweise einen gewissen Protest einlegen; seine Worte nun noch unterstreichend. Jawohl! Seiner Frau Witwe, die es vorgezogen, sich nach seinem Tode nicht verbrennen zu lassen, endlich für dich frei! Dann kehrst du zurück und gründest dort, wo deine Wiege gestanden, Spatzen. mitten unter dem Berliner hochnasigen, großpratschigen, rationalistischen Aufklärungsgesindel dein großes Okkultistenkloster! Dann hast du für das, was andre in ihrem Leben begangen, gebüßt, und ... Abbrechend und sofort, sich noch abermals steigernd, weiter. Ja, prost! Wären nicht ... die paar lächerlichen, armseligen, kärglichen Zinsen aus diesen lumpigen hunderttausend Mark gewesen ... die mir die betrübte, provisorische Universalerbin ... als ich mündig geworden war ... laut Kodizill, auf Heller und Pfennig bar hatte ausbezahlen lassen müssen ... Empörte, aufgebrachte Geste nach dem Garten hin. für die da ... hätte ich ebensogut in Surinam Kuli, oder in Kamtschatka Schneeschipper sein können!

MARIANNE
so wenig sie ihn auch im Moment verletzen und seine Aufregung dadurch womöglich noch steigern möchte; doch ganz entschieden für die geschmähten Abwesenden Partei ergreifend.
Du bist ... ungerecht!
ONKEL LUDWIG
als hätte sie damit das absolut Unmöglichste aus der ganzen Welt behauptet.
Ich???
MARIANNE
etwas sanfter; wieder einlenkend; aber trotzdem innerlich sehr bestimmt.

Ein Wort von dir, ein einziger Brief, wo du auch warst, die ganzen Jahre, das kleinste Lebenszeichen hätte genügt ...

[300]
ONKEL LUDWIG
ausbrechend; mit der rechten Faust vor sich auf den Tisch schlagend; seine Augen drohen und blitzen.
Hab ich gewollt?!
MARIANNE
über seine unvermutete Heftigkeit ganz erschrocken und betreten; die Augen gesenkt; stumm.
...
ONKEL LUDWIG
in dem das Gewitter, dessen er sich eben entladen, noch immer bedenklich nachgrollt.

Dank deinem Herrgott, daß du das, was mich von deiner Frau Großmutter und damit auch von deinem Vater für dieses Dasein trennt, von mir nie zu wissen bekommst!

MARIANNE
nach einem kurzen Stutzen; durch seine dunkle Anspielung ganz verwirrt und betroffen; fast wie zu sich selbst.
Ja, aber was kann denn das ...?
ONKEL LUDWIG
brüsk; mit düster zusammengezognen Brauen.

Nichts! ... Gar nichts! ... Wirr; abgerissen; kataraktartig; sich schnell heftig steigernd. Ich war damals ... als grüner Junge ... in jener verruchten ... wetterschwülen ... höllenschwarzen Julinacht ... in demselben Augenblick ... als fast gleichzeitig ... ohne daß ich es ahnte oder gar bereits darauf gefaßt war ... mein Vater ... schon seit Stunden bewußtlos ... nach langem, leidensvollstem Schmerzenslager ... seiner traurigen Auflösung entgegenröchelte ... Marianne unter seinen rollenden Blicken ganz entsetzt. und ich mit beklommnem Herzen ... Sich mit der linken, geballten Faust erbittert zweimal vor die Brust schlagend. denn damals hatt ich noch eins! ... hatt ich noch eins! ... Unbestimmte Geste hinter sich nach oben. mich aus meiner Dachstube oben ... heimlich die Treppe runter ins Vorzimmer geschlichen hatte ... Zu ihr vorgebeugt; seine Augen sprühen, seine Stimme, noch tiefer und rauher geworden, vibriert und zittert. wo ich den Vater deines Vaters ... Knöcheltremulando vor sich auf der Tischplatte. meinen Hauspräzeptor ... ich unterstreiche ... Wie eben; nur noch gesteigert. meinen Hauspräzeptor ...

MARIANNE
ganz hilflos; mit groß aufgerißnen Augen ihn anstarrend; die Worte wollen ihr kaum durch die Kehle.
Ich ... weiß ... wirklich nicht ...
ONKEL LUDWIG
noch immer in seinem selben Satz; zäh weiter.

Fünf Minuten lang Sich erbittert vor die Stirn tippend. wahrscheinlich nicht recht bei Verstand ... was ich dort mit eignen Ohren gehört [301] und mit meinen eignen Augen gesehn ... Fast heiser. fünf Minuten lang ... daß sich mir meine weißen Haare noch heute zu Berge sträuben ...

MARIANNE
wie entgeistert.
Mir kommt das alles ...
ONKEL LUDWIG
erst jetzt seine lange Periode schließend; einen kurzen Augenblick wie erschöpft.

War ein Phantasma ... Sich wieder aufruckend; jedes Wort betont; mit letzter verbissen-erbittertster Steigerung. und ich habe mir seitdem ... über zwei Menschenalter lang ... bloß was eingebildet!

MARIANNE
vor seiner Leidenschaft noch ganz ratlos.
Ich kann unmöglich ... ahnen, ich ... kann mir nicht ... vorstellen ...
ONKEL LUDWIG
in dem noch alles nachzittert und zischt; mit größter energischster Entschiedenheit.
Kannst du auch nicht! Ausgeschlossen! Bist du gar nicht fähig!
MARIANNE
mit erneutem, nochmaligem Versuch sich zusammenraffend.

Würdest du es aber ... vielleicht trotzdem über dich gewinnen ... könntest du es dir ... abringen ... die alte Frau noch mal zu sehn ...

ONKEL LUDWIG
sie ergrimmt unterbrechend; ihren Satz fortsetzend; letzter, schneidendster Hohn.

Wie sie jetzt in reuemütiger ... sich selbst bezichtigender Zerknirschtheit ... post festum ... christliche Bußtränen über ihre Bibel vergießt ...

MARIANNE
mit Mühe sich wieder sammelnd.
Ich ... begreife nicht, ich ... kann gar nicht verstehn ... wie du bei deiner sonstigen Güte ...
ONKEL LUDWIG
der sich keineswegs wieder beruhigt hat; die Brauen buschig zusammengezogen.
Güte??
MARIANNE
sich mehr und mehr zurückgewinnend.

Wenn du dich auch ... anstellst, als ob du mich deshalb ... gleich verschlingen und auffressen möchtest ... mir ist es geradezu ganz unfaßbar, wie du in diesem einen Punkt ...

ONKEL LUDWIG
der sie wieder nicht ausreden läßt; hart; die Angelegenheit, wie er glaubt, damit endgültig erledigend.
Von deiner Frau Großmutter schweig! Von der hast du mein Ultimatum eben gehört ... und damit basta!
MARIANNE
den für sie wichtigsten Punkt ihrer Position jetzt erst recht verteidigend.

Und mein Vater? Der an dem, was dich betroffen oder worüber du dich beklagst, doch aber auch sicher ganz und [302] gar unschuldig ist? Der von seinem Leben nichts mehr hat und dessen Dasein bis auf den heutigen Tag ... Auto. wenigstens rein menschlich, innerhalb seiner vier Wände und mit seiner Familie ...

ONKEL LUDWIG
knurrend-wegwerfend.
Weiberknecht!
MARIANNE
die seinen Sparren nach dieser Richtung kennt.

Weil er in so selbstloser, rührender, aufopfrungsvoller Weise meine kranke Mutter geliebt hat? Bis zu ihrem letzten, traurigen Schmerzenstag? Und noch heute der besorgteste, treuste und zärtlichste Sohn ist?

ONKEL LUDWIG
widerborstig.
»Sohn ist?« ... »Sohn«? ... Sag lieber willenloser, widerstandsunfähiger ...
MARIANNE
andrer Tonfall; sich jetzt doch etwas zur Wehr setzend.
Du solltest zu mir ...
ONKEL LUDWIG
unbekümmert-rücksichtslos weiter.
Auf den Wink gehorsamer Schleppträger, Handlanger und Unterwürfling ...
MARIANNE
die ihn nicht ausreden lassen will; jetzt bereits fast energisch.
Ihr habt euch in euerm ganzen Leben nie ...
ONKEL LUDWIG
über ihre Einrede hinweg; erst jetzt seinen Satz schließend; durch den ihm entgegengehalten Sachverhalt nicht im mindesten irritiert.
Und du kommst der Wahrheit näher!
MARIANNE
für den von ihm so Verlästerten mit größter Entschiedenheit eintretend.
Du hast und machst dir eine vollständig falsche Vorstellung von ihm!
ONKEL LUDWIG
überzeugt, damit jetzt seinen Haupt-Trumpf auszuspielen; wieder mit einer Kopfbewegung nach der Tür ihm gegenüber.
Hat Georg oft, und zwar sehr deutlich ...
MARIANNE
die seinem Blick halb gefolgt war; durch seinen bedauerlichen Rekurs auf die Zeugnisschaft Georgs etwas peinlich berührt.

Bei dessen ... persönlich ebenfalls und genau so gereizter ... bedauerlicher Stellungnahme ... gegen Großmutter ...

ONKEL LUDWIG
»unerbittlich«.

Ich habe gesagt: Weiberknecht! Und wenn ich von einem sage: »Weiberknecht«, dann möcht ich ihm immer gleich das Messer in die Brust stoßen!

MARIANNE
trotz der ungewollten Komik seiner mehr als überfarbigen Ausdrucksweise einen Augenblick doch fast wie verletzt.
Ich ... bitte dich!
[303]
ONKEL LUDWIG
an selbstbewußter Bestimmtheit sich jetzt womöglich noch überbietend.
Mulier taceat in ecclesia. De nihilo nihil! Das Weib ist die Wurzel alles Übels!
MARIANNE
schon halb wieder bezwungen; den »Kampf« gegen ihn aufgebend.
Danke!
ONKEL LUDWIG
dadurch völlig mit ihr »versöhnt«; großmütigstes »Blümchen«.

Du bist ne Ausnahme! Daß du mal summa cum laude deinen Doktor gemacht, merkt man dir Gott sei Dank nicht an!

MARIANNE
amüsiert; scherzend.
Das ist aber nett von dir!
ONKEL LUDWIG
bis ins letzte davon durchdrungen und überzeugt.

Bin ich zu dir immer! In seine alte Unversöhnlichkeit wieder zurückfallend; Pferdegetrappel; »Hü!«. Wenn einer aber sein Lebtag ...

MARIANNE
beide Handflächen, wie in unwillkürlicher Abwehr, gegen ihn.
Mein Vater ...
ONKEL LUDWIG
eigensinnig-hartnäckig; einen Augenblick ebenso wie sie.

Dein Vater, als der Berliner biologische Papst des krassesten, materialistischen Deszendenztheoretikertums bis zur dogmatischen Intoleranz, hätte sich mit deiner Mutter, seiner direkten, regulären, blutsverwandten Cousine ...

MARIANNE
durch seine umständliche Weitschweifigkeit leicht nervös.
Mein Gott, deshalb ...!
ONKEL LUDWIG
parenthetisch in seinem Satz weiter.

Und nun gar noch dazu aus jener dünkelstolzen, parasitären, französischen Emigrantenlinie, die sich mit ihrem alten, lächerlichen, abgelegten Adel ...

MARIANNE
mit leiser, heimlicher Mokerie.
Du berauschst dich in einer nachträglichen Buchführung ...!
ONKEL LUDWIG
erst jetzt seinen Satz, fast jede Silbe betont mit erhobner Stimme schließend.

Überhaupt und unter gar keinen Umständen erst aufs Standesamt verirren dürfen! Und mag se meinetwegen auch noch so anmutig und liebreizend gewesen sein! Weibliches Wesen von einer so nervösen Gebrechlichkeit, daß der Verzicht auf jede Nachkommenschaft bei Vollzug der Eheschließung primäre Voraussetzung war ... wie dieser »Verzicht« dann von beiden Seiten schließlich gehalten wurde ... Sie von oben bis unten sehr deutlich und fast mißbilligend messend. nimm mirs nicht übel, aber das sieht man ... Jetzt »empört-seitlich in die Luft« und neu anhebende, noch erbittertere Parenthese. nach neun Jahren ...

[304]
MARIANNE
leicht spöttisch lächelnd; »a« kurz.
Ja ...
ONKEL LUDWIG
in seiner Riesenperiode dadurch nicht unterbrochen; mit noch größerem Nachdruck.

Nach neun Jahren Zwillinge und zugleich mit ihrer Geburt dann natürlich das ganze, rührende Idyll aus ... Abrupt-grimmig und sich in seinem Sessel, den er in seiner gerechten Entrüstung schon beinah halb geräumt hatte, empört wieder zurechtrückend. da hört doch verschiednes auf!

MARIANNE
jetzt wieder sehr ernst.
Du kannst doch aber nicht deshalb ...
ONKEL LUDWIG
der sie nicht erst ausreden läßt; mit dem letzten Abschluß seiner Beschwerde hinterdreinpolternd.

Daß sie zum Überfluß, außerdem, obendrein auch noch keinen blanken Heller gehabt hatte, rechne ich ihr schon gar nicht nach!

MARIANNE
gutmütige, nicht weh tuende Ironie.
Du bist von einer Generosität ...!
ONKEL LUDWIG
unter den ganzen Klumpatsch sein grollend-bekräftigendes Siegel drückend.
Ihr vertrackten, schlauen Weibsleute pfeift, und wir dummen, taprigen Mannsbilder ...
MARIANNE
nervös-ungeduldig.
Dein Lieblingsthema!
ONKEL LUDWIG
mit stärkster Gewalt.

Und mit Recht ...! Finster. Denn, wenn einer in seinem Leben unter etwas gelitten hat, und du kannst sagen, was du willst, ich ... Vor Erregung nicht fähig, den Satz weiterzusprechen.

MARIANNE
in unbestimmtem Grauen.
Ich habe ... meinen Großvater ... nie ...
ONKEL LUDWIG
verbissen-grimmig.
Freu dich! ... De mortuis nihil ... Sanft ruhe ...
MARIANNE
wie bereits vorhin; nur noch gesteigert.
Sein Tod ... war ein so schrecklicher ...
ONKEL LUDWIG
ihr letztes Wort, wuchtig, nochmal aufnehmend.

»Schrecklicher!« ... Ja ja! Leichte, etwas geärgerte Bewegung mit dem Kinn nach der Tür ihm gegenüber; dumpfes Auto. Georg schon auf?

MARIANNE
Achselzucken; mit seinem »neuen Kurs« offenbar nicht ganz einverstanden; leicht- nervös unbestimmte Geste halb ebenfalls nach der Tür rechts.
Wenn er noch nicht geklingelt hat ... ich weiß es nicht.
[305]
ONKEL LUDWIG
seinem Groll auch hier wieder die Zügel schießen lassend.

Man kriegt ihn ja kaum noch zu sehn! ... Sein Frühstück nimmt jeder für sich allein, zu Mittag wird kein Wort gesprochen, und wenn man mal nachts zufällig aufwacht, hört man, wie der Herr Professor unten bei sich rumwankt!

MARIANNE
gequält-abwehrend.
Wozu drüber reden? Das ...
ONKEL LUDWIG
als hätte sie nicht einmal »Muck« gesagt; mit Wonne in seinem Grimm weiter.

Wer hält denn das aus? Nerven hat er doch bloß noch wie die Spinnweben! ... Mensch von so ner ursprünglichen Kraftnatur! ... Forscher, vormalger Artillerieleutnant! ... Hast du gemerkt, wie er wieder seine dummen Schlafpulver nimmt?

MARIANNE
die plötzlich aufgehorcht hat.
Woher ...?
ONKEL LUDWIG
aufgebrachte, sich verteidigende, illustrierende Handbewegung.

Wenn die leeren, ausgebrauchten, pharmazeutischen Originalbeweise auf seinem Schreibtisch bloß so rumliegen?

MARIANNE
fast verweisend.
Du ... solltest auf keinen Fall ...
ONKEL LUDWIG
ihr das Wort wieder kappend.
Seit zwei Wochen! Wahrscheinlich präzis von jenem verrückten Abend ab, wo er uns Afra ...
MARIANNE
unter diesen zwei Silben fast zusammengezuckt.
»Afra!«
ONKEL LUDWIG
mit noch erhöhtem Nachdruck.

Wo er uns Afra, dieses liebe, süße Geschöpf aus einer andern und, wie ich denn doch zuversichtlich hoffen möchte, bessern Welt ... durch seine törichte, unvernünftige, plötzliche Fragerei verscheucht hat!

MARIANNE
zweifelnde, fast schmerzliche Geste.
»Afra!« Du sprichst immer von »Afra«! Schon wenn ich bloß diesen seltsamen Namen höre!
ONKEL LUDWIG
auf den diese Ungläubigkeit von ihr nicht den geringsten Eindruck macht.

Hätte sie uns nicht ... mit so ziemlicher Bestimmtheit ... in Aussicht gestellt ... daß sie unter allen Umständen nochmal, falls wir dies durchaus wünschten ...

MARIANNE
hierauf gar nicht eingehend; ihn unterbrechend; ihre zweifelnde Ungläubigkeit von vorhin noch gesteigert.
Als ob es sich Erschreckt bellender Köter. um ein lebendiges Wesen handelt!
ONKEL LUDWIG
mit unbeirrter Sicherheit, wie von einer für ihn selbstverständlichsten Tatsache redend, weiter.

Da du bei ihrem Erscheinen stets in Trance lagst, kannst du von ihrer Realität natürlich[306] nicht überzeugt sein! Oder bildest du dir vielleicht gar etwa ein, Georg wars gleich?

MARIANNE
noch immer ganz bei ihrer Skepsis; ratlose, völlige Verständnislosigkeit markierende Geste.
Georg! Ich verstehe gar nicht! ... Georg, der sonst in solchen Dingen ...
ONKEL LUDWIG
ihre Unterbrechung gar nicht beachtend.

Erst, fast dies ganze Jahr lang, vor, in und nach jeder Sitzung immer wieder und wieder, bloß die skeptischsten Zweifel und Zweifel, äfft uns kein Blendwerk und Betrug? Existierst du überhaupt? Bist du nicht eins mit deinem Medium?

MARIANNE
mit dem Versuch, ihn wieder zu unterbrechen.
Du kannst aber doch Georg ...
ONKEL LUDWIG
in seinem Referat weiter; von ihrem »Unterfangen« gar nicht Notiz nehmend.

Hunderte und aber Hunderte der umständlichsten, kompliziertesten Messungen und Versuche, klopft in dir ein anatomisch normales Herz? Wie viel Frequenz hat dein Pulsschlag? Atmest du Kohlensäure aus?

MARIANNE
ihren Versuch wiederholend.
Ich finde das alles ...
ONKEL LUDWIG
über ihre Worte wieder hinweg.

Mit Mühe und Not, namentlich zu Anfang, mehr als einmal, wo ihm die Erscheinung oder Gestalt noch so gut wie mit dir identisch schien, hab ich ihn kaum davon zurückhalten können, daß er nicht die Verschwindende freventlich und mit Gewalt ...

MARIANNE
wie bereits wiederholt; wieder vergeblich.
Ich bat ihn oft selbst: wenn du der Erscheinung mißtraust ...
ONKEL LUDWIG
sich an seinen Worten mehr und mehr »berauschend«; mit größter Steigrung bis zum Schluß.

Alle enthüllenden Offenbarungen und Aussagen, auf die ich für meine Person doch aber auch ganz natürlich und selbstverständlich das Hauptschwergewicht gelegt hätte, werden meinen permanenten Protesten zum Trotz, angeblich als »völlig belanglos«, unregistriert in den Wind geschlagen, und mit einmal, zum Schluß, ich denke, der exakte Herr Professor der Physik und Chemie an der Friderica Guilelma hat für anderthalb Minuten seinen Verstand eingebüßt: »Wer bist du? Hast du, außer, wie du uns angegeben, im dritten Jahrhundert, sonst noch mal gelebt? Warum erscheinst du uns? Ist dein Schicksal mit meinem bereits irgendwie verknüpft [307] gewesen? Nach einer kurzen Effektpause; mit letzter Wucht; jedes Wort einzeln »siegerisch« hervorgehoben. Kannst du mir das Rätsel von Mariettes Tod lösen?«

MARIANNE
die diese erneute Rekapitulation seiner umständlichen Schilderung, die sie schon oft von ihm gehört, kaum noch ertragen konnte; durch die letzten Sätze trotzdem wieder bis ins Innerste getroffen.
Du quälst mich ja bloß!
ONKEL LUDWIG
über ihre Pein wieder hinweg.
Wenn ne junge Mutter mit zwei kleinen Kindern durch ne unglückliche Leuchtgasvergiftung ...
MARIANNE
durch das Wiederaufreißen dieser alten Wunde wie gefoltert; mit geschloßnen Augen etwas zurückgelehnt; fast flehend.
Hörst du nicht auf?
ONKEL LUDWIG
ganz naiv.

Na, was ist denn da aufzuhören? Von diesem prachtvollen Jungen, der allein wieder aufgewacht war ... Fernes, wie klagendes Auto. anfangs ganz frisch und munter ... höchstens n bißchen Kopfschmerz ... nu ja ... bis er euch dann schließlich doch ... auf so unerklärbare Weise genommen wurde, hast du mir doch oft genug, lang und breit, selbst erzählt!

MARIANNE
in der Erinnrung an ihren kleinen, toten Liebling einen Augenblick wie versinkend; vor sich hin.

Ich werde den Schmerz ... daß ich wenigstens dieses eine Leben ... nicht noch haberet ten können ... nie verwinden!

ONKEL LUDWIG
noch immer bei seinem Protest gegen Georg.

Drei einem so Nahestehende und fast auf einen Ruck ... ja nu! So was ist in diesem irdischen Jammertal ne Prüfung, meinetwegen sogar ne ganz heimtückische, miserable und hundsföttische, ich kann das Georg zur Not vollkommen nachfühlen, aber doch noch kein Grund ...

MARIANNE
ihre ganze Energie zusammennehmend.
Ich bitte dich jetzt inständigst!
ONKEL LUDWIG
als der mangelhafte Psychologe, der er ist, die Stimmung, die er in ihr hervorgerufen, nicht verstehend und begreifend; seine ganze Naivität nichts ahnend znsammenfassend.

Du bist seitdem hier bei ihm im Haus, ihr hattet schon vorher, die ganzen Jahre, wenn auch nur aus der Ferne und erst mal präliminarisch ... Marianne aufmerksam geworden. die verschiedensten [308] gemeinsamen wissenschaftlichen Arbeitspunkte hin- und herkorrespondiert ...

MARIANNE
energisch ansetzender Tonfall.
Lieber Onkel ...
ONKEL LUDWIG
»unschuldig« weiter.

Deine, wie wir doch alle hoffen wollen, jetzt in Gott ruhende Schwester soll dir überdies und außerdem auch noch so furchtbar ähnlich gewesen sein, ja ... find das von mir nich komisch, aber ... warum heiratet ihr denn eigentlich nich?

MARIANNE
in ihrer Erregung fast aufstehend; nur noch mit Mühe sich beherrschend.
Wenn du willst ... daß wir die alten Freunde bleiben sollen ...
ONKEL LUDWIG
ganz verwundert zu ihr auf.

Aber Engelchen! Liebling! Begleitende, verdeutlichende Geste nach der Tür ihm gegenüber. Ich habe doch vorhin eben gehört ...

MARIANNE
die Unwiderleglichkeit dieses Beweises fühlend; mit dem Bestreben, ihn etwas davon abzubringen.

Du hattest mich so erschreckt, ich ...Relativ ganz nahes, trompetenhelles Auto. war so erregt, daß ich im ersten Augenblick wirklich ...Von der Tür rechts nach der großen Mitteltür blickend; unfähig weiter zu sprechen.

ONKEL LUDWIG
der ihren Blick bemerkt hat; warnend seinen großen, linken Zeigefinger hebend und ihn langsam schüttelnd.

Mariannchen, Mariannchen! Du bist mir seit dieser letzten Zeit, wo wir unsre Sitzungen ja allerdings ... ich gebs zu ... wenn meist auch durch den Übereifer Georgs ... so doch vielleicht schließlich auch nicht ganz mit ohne meine Schuld, etwas forciert hatten ... fast permanent von einer ... wie soll ich da gleich sagen ... beinahe exaltierten ... Erregtheit und Sensibilität ...

MARIANNE
ihn unterbrechend; aus tiefster, innerlichster Zerquältheit.

Unter der ich selbst ... Aufgescheuchte Amsel; geller Warnruf. am allerschwersten leide! Ich habe vor diesem Etwas ... das sich »Afra« nennt ... ein solches Grauen ... ich empfinde ... seit sie euch, wie ihr mir versichert, »erscheint« ... vor den Experimenten, mit denen ihr mich quält ... wo ich jeden Zusammenhang mit mir verliere und von nichts mehr weiß ... eine so unerklärliche Abneigung ...

ONKEL LUDWIG
durch ihren Ausbruch, auf den er in diesem Augenblick nicht gefaßt war, ganz erschreckt; ihre Atempause benutzend; vollkommen ratlos.
Ja, was soll man denn da ...
[309]
MARIANNE
von ihm kaum unterbrochen; in ihrem selben Satzgefüge fortfahrend.

Mich schüttelt oft ein so ... Bei diesen Worten, wie ganz am Anfang, wieder entsetzt auf die Meduse starrend. unbestimmtes Angstgefühl ... daß ich wünschte ... eure schreckliche Schlußsitzung ... die ihr alle beide so herbeisehnt ...

ONKEL LUDWIG
der ihrem Blick gefolgt war; von ihrer Erregung fast angesteckt.
Was ... kuckste denn da?
MARIANNE
die Augen noch auf der Meduse.
Ich hatte diese Nacht ... obs nun eine Halluzination oder ...
ONKEL LUDWIG
ganz erschreckt-überrascht.
Doch nicht etwa wieder ... Geste. die Meduse?
MARIANNE
nickend; schwer.
Ja! ... Die Meduse!
ONKEL LUDWIG
Bewegung mit der Linken unbestimmt hinter sich nach oben.
Du ... warst doch aber ...
MARIANNE
ganz erschöpft; mit Mühe nur sich sammelnd.

Ich weiß ganz bestimmt! Ich lag und schlief! Und doch ... war ich hier unten! Müde und fast automatische Geste nach dem Zuschauerraum. Mitten im dunklen Musiksaal! ... Die Tür vor mir, lautlos, geht auf ... und ich trete, wie von einer unwiderstehlichen Kraft ... gezogen ... in diesen Raum! Wieder betreffende mechanische Verdeutlichung, wie vorhin. Links die Bibliothek ... rechts das chinesische Zimmer. Alles, wie sonst. Die Fenster ... kohlschwarz ... die großen Glasflügel ... kaum schimmernd ... und nur aus dem Gorgokopf über ihnen ... während aus der Orgel ... hinter mir ... wie von unsichtbaren Händen gespielt, eine mir seltsam altvertraute Melodie ertönte ... ein merkwürdig flimmerndes ... fahl zitterndes Mondlicht! ... Und da sah ich deutlich: die grünen Schlangen drum ... Vor ihrem Erinnrungsbild zusammenschauernd. wanden sich wieder! ... Wie damals! ...

ONKEL LUDWIG
aus einer halben Betäubung, in die ihn die Lebhaftigkeit ihrer Schilderung versetzt hat, noch nicht wieder recht zu sich gekommen.
Sonderbar! Während eine Melodie ...?
MARIANNE
seine Wiederholung bestätigend.
Während aus der Orgel gleichzeitig eine Melodie erklang ... die ich sicher schon oft ...
ONKEL LUDWIG
noch halb zweiflerisch-ungläubig sich vergewissernd.
Und du meinst ... daß dieser Traum ...
[310]
MARIANNE
schmerzlich-bestimmt; aus innerster Überzeugung und Gewißheit.
Es war mehr als das!
ONKEL LUDWIG
durch ihren Tonfall betroffen; fast scheu um sich blickend.
Du kannst einen ... beinahe ...
MARIANNE
in wieder schnell wachsender, steigender Erregung.

Schon heute ... ganz früh! ... Ich war einen Augenblick, fröstelnd ... auf den Balkon getreten ... der Garten unter mir wie im Nebel, das große, rote Tulpenbeet noch fast grau ... niemand wach ... Pferdegetrappel. da fühlte ich es bereits und wußte Allerschmerzlichst und schwer. dieser Tag ...

ONKEL LUDWIG
erst jetzt wieder ganz zu sich gekommen; ihren qualvollen »beinahe Monolog« unterbrechend; äußerste, teilnehmendste Besorgnis.

Aber Kind!! Kindchen! ... Hätte ich vor zirka drei Jahren geahnt ... als ich meine großartge Entdeckung hier machte, was du für ein wunderbarstes Medium bist ... wunderbarer als alle Eusapia Palladinos und wie die Weibsbilder alle heißen mögen, zusammengenommen ... hätte ich damals vorausgesehn, daß das für dein spätres Gemütsleben mal von solchen Folgen begleitet sein würde ... ich glaube ... trotz Afra ... und so wenig ich mir nu ... diesen ... späten Seelentrost aus meinem Leben auch wieder wegdenken möchte ... ich hätte meine Weisheit ... für mich behalten!

MARIANNE
die sich inzwischen, wenn auch nur einigermaßen, wieder gefaßt hat.
Hättest dus doch!
ONKEL LUDWIG
durch diese unverhohlne Zustimmung, die ihm bei all seiner väterlichonkelhaften Liebe zu Marianne doch absolut nicht in den Kram paßt, jetzt fast entrüstet.

Waas? Das mutest du mir zu? Eine so kostbarste Gotteskraft, eine Offenbarungsmöglichkeit, wie sie unter Millionen noch nicht einem Einzigen beschert wird, für die jeder, der sie ... wenn vielleicht auch nicht grade empfangen, so doch ... gefunden ... dem Allmächtgen auf Knien danken sollte ... Dunkles Auto: nur ein einziger, langgezogner Laut. eine solche Gabe hätte ich verkümmern lassen sollen? Ich? Der ich nun schon fast drei Menschenalter an meinem »System« arbeite?

MARIANNE
trotz ihrer innerlichen Zerquältheit jetzt doch über seinen primitiven Egoismus und seine drollige, ihm völlig unbewußte Naivität, wenn auch trübe, etwas lächelnd.

»Mundus explicatus! [311] Das gelöste Welträtsel oder der durchhaune gordische Knoten!« Ich weiß, Onkelchen, ich weiß!

ONKEL LUDWIG
durch diese offenbare »Unbotmäßigkeit« erbittert; sich mehr und mehr wieder in Eifer schwatzend.

Nichts weißte! Das war damals bloß meine Habilitationsschrift, die mir der Hohlkopf, dein seliger Herr Großvater ...

MARIANNE
achselzuckend; seine Redseligkeit unterbrechend.
»Hohlkopf!« Du hast mir ... mehr als einmal selbst ...
ONKEL LUDWIG
das ihm beanstandete Wort seiner Gewohnheit gemäß, mit noch größerem Nachdruck wieder ergreifend; von seinem gefällten Urteil jetzt noch überzeugter.

Die mir der Hohlkopf, dein seliger Herr Großvater, mein ehmaliger Hauslehrer, nachdem er sich hier ins warme Nest gesetzt und durch das angeheiratete Geld meines verstorbnen, armen Vaters zu staatlich sanktioniertem, amtlichem Rang und Nimbus gekommen war, mit seiner übrigen Zunftbruderschaft, die er natürlich dazu bestempelt hatte, abgelehnt hat!

MARIANNE
die diese alte Beschwerde bereits kennt.
Du willst doch damit nicht sagen ...
ONKEL LUDWIG
der sie nicht ausreden läßt.

Nichts will ich damit sagen! Als was ich dir schon oft gesagt, und was ich dir immer wieder sagen werde! Daß n königlich preußischer Armeelieferant, der mit seiner ersten Frau, trotzdem se keine Kinder gehabt ... oder vielmehr vielleicht grade, weil se keine gehabt ... was man so nennt, »glücklich« gewesen war, nicht die Erzdummheit hätte begehn sollen, sich mit schon halb kahl gewordnem Schädelbein, nachdem er die Nummer eins sozusagen optima forma auf dem regulär üblichen Wege unverdient los geworden war, nu auch noch ne zweite auf n Hals zu laden! Zumal, wenn diese zweite so praeter propter vierzig Jahre jünger war, als er, und ihre anmutige Erziehung nicht in irgendeinem tugendsamen Fräuleinsinstitut, sondern beim hiesigen ... Kurzes fernes Radfahrersignal. Berliner Corps de ballet genossen!

MARIANNE
die seinen Wortschwall mit Geduld ertragen; gegen die mehr als eigentümliche Form seines rabiaten Schlußverdikts, sich jetzt aber doch auflehnend.
Was konnte Großmutter dafür, wenn sie als arme Tochter eines bürgerlichen Offiziers ...
[312]
ONKEL LUDWIG
verächtlich-wegwerfend; als ob ihm so was nicht imponieren könne.
»Offiziers«!
MARIANNE
ihre Verteidigung fortsetzend; in ihrem selben Satz weiter.
Der sein Leben in den Befreiungskriegen gelassen ...
ONKEL LUDWIG
sie wieder brüsk unterbrechend; noch ungenierter.

Man heiratet nicht aus Liebe mit siebzehn einen alt gewordnen Geldsack, der außer damals drei Millionen und sieben Zahnlücken ...

MARIANNE
die kaum ihren Ohren traut.
Du sprichst ... von deinem leiblichen ...
ONKEL LUDWIG
mit erhobner Stimme; sie znrechtstupsend.

Ich spreche von der Dame, verwitwete Brodersen, emeritierte Tänzerin, die noch keine zehn Monate nach dem Hinscheiden meines Vaters ...

MARIANNE
ironisch, bitter.
Dem du ein dankbar Andenken ...
ONKEL LUDWIG
auch dadurch wieder noch keineswegs, auch nur um einen Millimeter, aus seinem Konzept gebracht.
Dem ich ein dankbares Andenken ... du kannst kakeln, was du willst ... nie verweigern werde ...
MARIANNE
nickend-amüsiert.
Wie das Exempel ...
ONKEL LUDWIG
von der absoluten Richtigkeit seiner vorgebrachten Behauptung aufs tiefste überzeugt; fast grob; die letzte »Syllaba« schon mehr im Posaunenton.
Wie das Exempel beweist!!
MARIANNE
da sie weiß, daß sich gegen diesen Ton bei ihm nicht ankämpfen läßt.
M! ... Sarkastisch. Also du sprichst von der »Dame« ...
ONKEL LUDWIG
erst jetzt seinen ganzen und, wie er glaubt, höchst gerechten Zorn in dies Schlußwort packend; mit von neuem und abermals erhobner Stimme.

Von der Dame, die als kaum eben erst fröhlich Hinterbliebne, mit stark dreiunddreißig, deinen um mehr wie sieben Jahre als sie selbst jüngeren Großvater geehelicht hat!

MARIANNE
ihn, ganz verwundert, groß anblickend.
War das ... ein Verbrechen?
ONKEL LUDWIG
mit Emphase ausholend; in ungeheuerlichster Naivität; argloser und unschuldiger als ein neugebornes Kind.

Wenn ich nicht befürchten müßte, dir damit ... wenn auch noch nicht die Sache selbst, so doch wenigstens schon ihren eigentlichen und Hauptpunkt ... so gewissermaßen zu verraten, ich würde dir jetzt drauf antworten, das »Verbrechen« hatte bereits vorher gelegen!

MARIANNE
in ihrem Sessel fast zurückgeprallt.
Onkel!!
[313]
ONKEL LUDWIG
triumphierend; seine gemachte »Andeutung«, wie er glaubt, zur Genüge und hinlänglich damit »dementierend«.
Das heißt ... ich habe dir aber noch nichts verraten!
MARIANNE
durch diese Art seines »Dementis« nichts weniger als beruhigt; ihre Augen garnicht von ihm lassend; stockend.
Entweder ... ich muß dich eben ... nicht recht verstanden haben, oder ...
ONKEL LUDWIG
seine bereits unter ihm wankende Position durch einen möglichst drohenden Tonfall aufrechtzuerhalten suchend.
Wieso?!
MARIANNE
ihre entsetzt fragenden Augen auf ihm wie vorhin; noch forschend-eindringlicher.
Du sagtest ... Verbrechen!
ONKEL LUDWIG
mit einem letzten, noch gesteigerten Versuch, sich zu »salvieren«.
Ich?? ... Verbrechen?!
MARIANNE
die sich dadurch nicht abbringen läßt; äußerst bestimmt.
Das kann ... in diesem Zusammenhang ...
ONKEL LUDWIG
der sich anders nicht mehr zu helfen weiß.

Dummheit! Unsinn! Quark! Fabulei! ... Mit seiner überflüssig verräterischen Schwatzhaftigkeit so unzufrieden, daß er sich am liebsten eine usw. Hör nicht zu, was dir so n alter ...

MARIANNE
trotzdem sie in der Hauptsache eigentlich schon längst alles weiß.
Du hattest mir doch aber ... schon vorhin ...
ONKEL LUDWIG
in der, wie er mit Schmerz und Zorn fühlt, vergeblichen Absicht, alles damit wieder zuzudecken.
Nichts hatt ich dir »vorhin«! Nichts!!
MARIANNE
noch eindringlich-inquirierender.
Du hattest mir ... von jener Nacht ... wo dein Vater ...
ONKEL LUDWIG
ganz hilflos; wie verdattert; in noch gesteigerterem Zorn auf sich selbst.
Hab ich dir ...? Hatt ich dir ...? Da siehst du ... wie schon mein Hirn ...
MARIANNE
erschüttert; mit mehr und mehr wachsendem Mitleid mit ihm.
Daß dich diese ... schreckliche Erinnrung noch immer so ...
ONKEL LUDWIG
kaum noch fähig, sie mit ihrer Anteilnahme von sich abzuwehren.

Laß! ... Laß! ... Es genügt ... Abbrechend; wieder mit nochmals gesteigertem Ingrimm auf sich selbst. Hätt ich doch mein altes ... Ratternd und puffend sich in Bewegung setzendes Auto. unbedachtes Plappermaul ...

MARIANNE
schwer ausatmend, mit innerlichem Entschluß, das andeutungsweise durch ihn Gehörte nach Kräften wieder zu vergessen, und [314] so, falls ihr dies möglich sein sollte, damit fertig zu werden.
Es ist auch wohl schließlich ... vielleicht besser ...
ONKEL LUDWIG
ihren begonnenen Satzanfang mit Eifer aufgreifend und ihren Ideen- und Gedankengang, von sich aus, eine Strecke weiter fortführend.

Daß ein so junges ... unschuldges ... von all dem wüsten, unflätigen Schlamm und Schmutz ... dieser satanischsten ... ruchlosesten ... gottverlassensten Welten noch so rührend unbeflecktes, reines und lautres Geschöpf wie du ...

MARIANNE
schmerzlich; als wolle sie sich damit, heimlich, irgendwie selbst anklagen.
»Wie ...«
ONKEL LUDWIG
auf diesen Ton gar nicht achtend; in letzter, verzweifelter Steigrung, mit der flachen Rechten, während seine Augen sich einen Moment lang schließen, wie erschöpft vor die Stirn fassend.

Wenn das aber einem so hier ... ohne daß man etwas dagegen kann ... im Wachen und im Traum, im Traum und im Wachen ... nun schon seit fast einem dreiviertel Jahrhundert ... immer wieder dieselben ... unreinen, widrigen, sumpfschillrigsten Blüten und Blasen auftreibt ... daß man sich oft ... und manchmal ... selbst wie son ... Verbrecher ...Abbrechend; fast wie irr vor sich hin. Die eigne Mutter! ... Die eigne ...

MARIANNE
ihre durch seinen Anblick in diesem Moment grausige, innerliche Stimmung mit aller Gewalt von sich abschüttelnd.
Du sprichst ... in Rätseln!
ONKEL LUDWIG
allmählich wieder zu sich kommend; dann sich »ermannend« und schließlich ganz wieder der Alte.

Hat mir dein hochmütiger ... stolzer ... auf seine gepriesne, siegende Mannsschönheit mit Recht eingebildeter Herr Großvater ... als er mir als wohlbestallter Dekan seiner sich »philosophisch« schimpfenden Fakultät meine bahnbrechende Ephebenarbeit mit dem bekannten impertinenten, einem das Blut in die Schläfen treibenden Augurenlächeln wieder ein- und zurückhändigte, auch orakelt! Damit glücklich wieder auf sein, in normalen Anständen bevorzugtestes Thema gekommen. Was dem Heftige, zornige Vogellaute. Zopfgelichter nicht in seinen langweiligen, ledernen, hergebrachten Kram und in sein Handwerk paßt, Entsprechende, energische Geste. wird abgemurkst! ... So wars schon immer, und so isses noch heut! ... Wenn die Entwicklung der Menschheit, [315] ganz gleich auf welchem Gebiet, mal wieder um einen tüchtigen Ruck vorwärts gedreht wird, so steht an der Kurbel nicht einer aus jener anmaßlichen, sich überhebenden, hoffärtigen Koterie und Klicke, sondern einer von uns Autseidern! Das hat schon damals dem ollen Sokrates den Giftbecher gekostet und mir ... fast zwei Dutzend Säkula später, respektive postea ... die Venia legendi!

MARIANNE
die kaum auf ihn hingehört hat; mit ihren Gedanken halb noch immer bei der ihr von ihm gemachten »Andeutung«.
Gewiß! Gewiß! Allerdings! Nur ... ich meine wirklich ...
ONKEL LUDWIG
aufbegehrend-mißtrauisch.
Hm?!
MARIANNE
einlenkend; in ihrem Satz weiter.
Du hättest zum regelrechten Universitätsprofessor ...
ONKEL LUDWIG
mit gespitzten Ohren; scharf.
Hä?
MARIANNE
wie vorhin; nur noch behutsamer.
Schon rein deiner ganzen ... autonomen Eigenwilligkeit und Eigenart nach ...
ONKEL LUDWIG
beruhigt.
Freilich! Freilich!
MARIANNE
durch seine Unterbrechung erst jetzt imstande, ihren Satz zu seiner Zufriedenheit zu beenden.
Doch wohl schließlich ... auch kaum gepaßt!
ONKEL LUDWIG
der sich inzwischen machtvoll in sein »Sacktuch« geschneuzt hat.

Wie n Seeigel zum Nastuch! ... Das Institut wieder wegpackend. Hast recht! ... Aber gesteckt soll das der Bagage noch mal werden! »Mein System!« Ich bin noch nicht achtzig. Also erst nicht ganz junger Mann! Mit hundertundzwanzig hab ichs fertig! Doktor Ludwig Adrian Brodersen! Der Name wird noch mal mit goldnen Lettern in die Weltgeschichte geschrieben werden! Wenn andre Leute längst ... Zusammenzuckend; die rechte Seite macht ihm im Moment offenbar heftigst zu schaffen. Verdammt!

MARIANNE
besorgt-teilnehmend.
Du hast wieder Schmerzen?
ONKEL LUDWIG
die Hand noch immer an der Hüfte.

Hol sie der Kuckuck! Seit ich mich an diesem ... nichtswürdigen, niederträchtigen Möbel von Stock rumkräpeln muß ...

MARIANNE
durch die »Mannhaftigkeit«, mit der er die Zähne zusammenbeißt, sich nicht täuschen lassend; noch gesteigert.
Du klagst jetzt öfter!
[316]
ONKEL LUDWIG
sich wieder zusammenreißend.
Eh! Wird schon vorübergehn! Alter, ausgetrockneter Kohlstrunk, wie ich ...
MARIANNE
noch immer lebhaft besorgt um ihn; vorsichtig.
Ich weiß, wie du über Ärzte ...
ONKEL LUDWIG
verachtungsvoll-aufgebracht; zugleich fast wie von einer Stecknadel gepiekst.
Ärzte!
MARIANNE
nicht nachlassend.
Trotzdem ...
ONKEL LUDWIG
noch ganz ergrimmt; sie keinen Laut weitersprechen lassend.
Schickt doch lieber gleich nach dem Totengräber!
MARIANNE
ihren Satz wieder aufnehmend.
Trotzdem würde ich an deiner Stelle ...
ONKEL LUDWIG
sie unterbrechend; knurrend.
Nu empfiehl ... und rekommandier mir ...
MARIANNE
seinen Gedankengang bereits erratend; begütigend.
Es brauchte ja nicht grade ausgerechnet ...
ONKEL LUDWIG
ihr wieder ins Wort fallend; wütend nickend.

Dein Vater zu sein! ... Höhnisch- mißtrauisch; aber auch hier, wie überhaupt bei allen Stellen, wo er, direkt oder indirekt, scheinbar »unsympathisch« wirkt, mit einem konstant festgehaltnen Unterton, der alles entwaffnet. Meinst, n andrer Arzt, Schlächtermeister und Krebsspezialist tuts auch!

MARIANNE
die sich damit in ihrem innersten Befürchten von ihm durchschaut sieht; mit dem Versuch, ihre begangne Unvorsichtigkeit wieder wett zu machen.
Wer ... spricht von ...
ONKEL LUDWIG
ihr alles weitre kurz abschneidend; auch dieses Thema damit »abtuend«.

Na also, was redste? ... Nachknurrend; trüb-melancholisch. Wenn man das so bedenkt ... Automobilgetute und Vogelgezwitscher. daß man mal nich mehr sein soll ... Fern ein Kuckuck. und das geht hier alles so weiter ...

MARIANNE
von seiner plötzlichen Stimmung angesteckt; meditativ-schwermütig vor sich hin; »a« kurz.
Ja ...
ONKEL LUDWIG
in seinem Trübsinn weiter.
Die Vögel singen ... die Sonne scheint ... das schöne, grüne Blätterspiel ...
MARIANNE
sich aufraffend.
Du solltest dir solche Gedanken ...
ONKEL LUDWIG
wie vorhin; nur noch gesteigert.
Und sich denn da unten sagen müssen ... »Kuckuck ... Kuckuck«.
MARIANNE
ebenso gesteigert.
Du darfst wirklich ...
[317]
ONKEL LUDWIG
auf sie gar nicht achtend.
Gelebt. was man so »leben« nennen kann ... hat man doch eigentlich ... Abbrechend.
MARIANNE
in ihren Kleinmut dadurch wieder zurückgefallen; freudlose Geste.
Wer ...
ONKEL LUDWIG
ihren Satz aufnehmend und zu Ende führend.
Wer ... »lebt« überhaupt?
MARIANNE
stockend; trostlos.
Jedenfalls ... wir ...
ONKEL LUDWIG
sich mit Gewalt zusammenruckend; wieder »Herr seiner selbst«; von neuem veränderter Tonfall.

Bloß einen hab ich gekannt! Der hat gelebt! Und tuts wahrscheinlich auch noch! ... Von dem Racker hab ich dir schon oft erzählt! Der hat sich um den letzten, grauen, kreuzvermaledeiten Rätselurgrund aller Dinge nie bekümmert! In Rom und Paris, in London und Neuyork, in Konstantinopel und Kalkutta: überall traf ich den Halunken! Totus mundus in femina! Der Welt einzger Sinn ist das Weib!

MARIANNE
die sich in der Zwischenzeit wieder gefaßt hat; nur um jetzt etwas zu sagen; leis-verächtlich vor sich hin.
Auch ... eine Philosophie!
ONKEL LUDWIG
der auf ihre Bemerkung nur mit halbem Ohr geachtet hat; sich für den von ihm in seiner Rückerinnrung Bewunderten mit immer größerer Verve und Wärme ins Zeug legend.

Den hatte unser alter, lieber, kluger Gott Vater in seinen großen, bunten Wundergarten nicht umsonst reingesetzt! Heut n junges, kaum fünfzehnjähriges, kreolisches Milliardärsbaby, morgen dafür schon ne um so ausgewachsnere, klassisch gebaute, englische Lady, wo dann der so lange kaltgestellte Herr Gemahl über beide pflichtschuldigst den mit taubenei-großen Brillanten besetzten Sonnenschirm balanzieren durfte, übermorgen, als Intermezzo, eine, die vor womöglich noch erst acht Tagen, da so hinter Temesvar oder Bukarest rum, auf wildem, ungesatteltem Hengst mit nackten Beinen über die Pußta gejagt war ... und so die ganze Skala! Und verrückt waren all die verdrehten Frauenzimmer, Weibsbilder und Luders in den verdammten Sakramenter, verrückt ...

MARIANNE
die schon kaum mehr auf ihn hinhört; fast nur noch wie mechanisch.
Dein »Homme de fer«, wie du ihn immer nennst. Dein Neo-Don- Juan!
[318]
ONKEL LUDWIG
bereit, in dieser schönsten seiner Erinnrungen ganz und gar aufzugehn.

Der einzge Mensch, den ich in meinem Leben beneidet habe! Weiß der Deubel, wie er das immer gemacht hat! Unsereins ... Auto; drei kurze ungehaltne »Buh« laute.

MARIANNE
ihn plötzlich unterbrechend.

Einen Augenblick! Verzeih! ... Ihre Züge haben auf einmal einen aufmerksam, gespannten Ausdruck angenommen. Wie sah dieser moderne, internationale Abenteurer, Liebesritter und Frauenheld, der einen so gewaltigen, fabelhaften, fast mythischen Eindruck auf dich gemacht hat, aus?

ONKEL LUDWIG
verblüfft.

Aus? Wie soll er ausgesehn haben? Mensch, wie jeder andre! Etwas über mittelgroß, schlank, aber dabei doch kraftvoll ...

MARIANNE
fortfahrend.
Blühende, leicht gebräunte Gesichtsfarbe ...
ONKEL LUDWIG
im selben Satz weiter.
Blond ...
MARIANNE
im gleichen Tonfall.
Blond ...
ONKEL LUDWIG
mit der Absicht, seinen Satz jetzt zu schließen.
Und der heute allgemein übliche ...
MARIANNE
seinen Satz beendend und sofort weiter.

Kurze, modisch amerikanisch geschnittne Schnurrbart! Unter der linken Schläfe ein kleiner, kaum merkbarer Schmiß ...

ONKEL LUDWIG
ganz fragend-verwundert; als bezweifle er, recht gehört zu haben.
Kaum ... merkbarer Schmiß? ...
MARIANNE
ihre Beschreibung jetzt schließend.

Jetziges Alter ungefähr Anfang dreißig und alles in allem, sagen wir Typ eines eleganten, ehemaligen Offiziers aus irgendeinem bevorzugten Reiterregiment! Bonner Husaren, Potsdamer Ulanen Auto; höchst fröhlicher Natur. oder Berliner Dragoner!

ONKEL LUDWIG
vor Erstaunen ganz paff.
Hast du am Ende ... gar heute seinen Doppelgänger gesehn? Genau so!
MARIANNE
die innre Erregung, in die sie wieder geraten, vergeblich zu kaschieren versuchend.

Ich kam in unserm offnen Zweispänner ... vor noch nicht einer halben Stunde ... von Unter den Linden her ... als ein Automobil ... das uns aufdringlich gefolgt war ... dicht am Rolandsbrunnen unmittelbar hinter uns ... während wir den Platz noch grade hatten passieren können ... mit einer aus der Bellevuestraße heranrasenden Dampfspritze zusammenstieß! ... Der Chauffeur ... wie ich mich umsehe ...[319] in weitem Bogen bewußtlos auf den Asphalt geschleudert ... dem einen Pferd der Feuerwehr ... das schlotternd dastand ... armbreit die ganze Brust aufgerissen ... das Blut, kaskadenartig ... stürzte und plätscherte nur so ... die Menschen schreiend ... und die Schutzleute um den Fahrgast herum ... den sie als Zeugen ... Zwei sich kreuzende Autos; ziemlich unwillig. wie es schien, festbehielten!

ONKEL LUDWIG
der ihrer lebhaften Schilderung mit größtem Interesse und immer stärkerer innerer Anteilnahme gefolgt war.
Und dieser ... Fahrgast ... du glaubst ...
MARIANNE
sich von neuem steigernd.

Da der Kutscher alle Augenblicke ... wie um die Aufmerksamkeit auf seinen Wagen zu lenken, die Signalhupe gedrückt hatte ... was er in dieser auffälligen Manier ... doch sicher nicht ... aus eignem Antriebe getan ... und was mich in der Tat veranlaßt hatte ... mich im ersten Anfang einmal umzudrehn ... worauf der Fremde ... als ob er mich kenne, grüßte ... hatte ich das bestimmte Gefühl ... Wieder fast mit dem ursprünglichen Ausdruck ihres jähen Erschrecktseins nach der großen, weit offnen Mitteltür blickend. und habe es auch jetzt noch ...

ONKEL LUDWIG
aus der halben Erstarrung, in der er ihr zugehört, dadurch wieder zu sich kommend.

Herzchen! Zuckerle! Du redest dir doch nicht etwa ein ... du nimmst doch nicht gar an ... daß du von einem dir gänzlich Unbekannten ...Fernes Auto. was man so nennt ... verfolgt wurdest?

MARIANNE
mit aller Bestimmtheit.
Ja!
ONKEL LUDWIG
der in seiner alten Ehrbarkeit von Anno dazumal an diese ihm denn doch etwas zu seltsam vorkommende Deutung ihres »Abenteuers« noch immer nicht recht glauben will.
Auf offner Straße? Per Automobil? Während du selbst ...
MARIANNE
ihrer Sache absolut sicher; seine umständliche, vorsichtige Vergewisserung ihm bestätigend.
Und zwar von einem Mann ... der wie der eben Beschriebne aussah!
ONKEL LUDWIG
von der Tatsächlichkeit ihrer Annahme jetzt endlich überzeugt; über die offenbare Verworfenheit unsrer heutigen reichshauptstädtischen Zustände aufs höchste sittlich entrüstet und empört.
Dieses neumodische, sittenlose Berlin heut ...?!
[320]
MARIANNE
noch immer bei ihrer Rückerinnerung an den ihr gänzlich Unbekannten; mit wieder neu einsetzender Erregung.

Schon in der ganzen Art seines Grußes ... trotz einer gewissen betonten Korrektheit ... hatte eine so chevalereske Vertraulichkeit gelegen ...

ONKEL LUDWIG
dem dadurch die ganze Geschichte sich jetzt plötzlich sehr simpel aufzuhellen scheint.
Na, denn ist das doch sehr einfach! Dann kann der Betreffende dich doch bloß ...
MARIANNE
in seinen unterbrochenen Satz fast wider Willen einfallend und ihn überzeugt zu Ende führend.
Für Mariette gehalten haben!
ONKEL LUDWIG
dem das Exempel damit restlos gelöst vorkommt.
Nu ja also!
MARIANNE
letzte Bestimmtheit; immer erregter.
Davon bin ich überzeugt! Das kann überhaupt gar nicht anders sein!
ONKEL LUDWIG
verwundert-vorwurfsvoll.
Und dann regst du dich so darüber auf?
MARIANNE
fast wie zu sich selbst; auf Onkel Ludwig kaum noch achtend; irritiert-fragender Tonfall.

Ein Bekannter des Hauses ... ein Freund meines Vaters oder Georgs ... ein uns irgendwie Nahestehender ... und der es noch nicht wissen sollte ... daß Mariette schon seit drei Jahren tot ist ...?

ONKEL LUDWIG
der das alles noch sehr leicht nimmt; sie unterbrechend; »a« kurz.
Gott, na!
MARIANNE
gequält-grübelnd vor sich hin; die gestreckten Finger der Rechten vor ihrer Stirn; fast als ob diese sie schmerze.
Hinter diesem Rätsel ...
ONKEL LUDWIG
dem das nun doch »zu viel« wird; vorwurfsvoll-aufgebracht.

Rätsel! ... Rätsel!! ... Bei dir und Georg scheint nun wirklich bald alles, was auch im entferntesten mal mit Mariette zusammengehangen hat ... Sich unmutig unterbrechend und sofort von neuem beginnend. der Mann hat sie eben ... zu ihren Lebzeiten gekannt ... war wahrscheinlich hocherfreut ... als er sie heut in dir wiederzusehn glaubte ... und so ist es vielleicht bloß zu bedauern ... Erster, leiser Wolkenschatten. daß da die unglückliche Katastrophe ...

MARIANNE
mit starren Augen, plötzlich, wie somnambul vor sich hin.

Ich empfinde und weiß ... ich verspürs mit einer instinktiven, elementaren, mir ganz zweifelsfreien, innersten Sicherheit und Gewißheit ... [321] daß dieser Mensch ... der mit unserm Leben durch irgend etwas Geheimnisvolles schon verknüpft sein muß ... dessen Gedanken jetzt in diesem Augenblick um uns sind ... und der jeden Moment ...

ONKEL LUDWIG
der ihrem Blick, den sie bei den letzten Worten wieder nach der offnen Tür gerichtet hatte, unwillkürlich gefolgt war; ihre Atempause benutzend; von ihrer Erregtheit bereits angesteckt.
Aber Goldkindchen! Herzblatt!
MARIANNE
durch seine Zwischenworte wie aus einem Traum erwacht; veränderter Tonfall; erschöpft schließend.

Daß von diesem Menschen ... für uns alle ein vielleicht schon ganz nahes ... letztes ... größtes ... und schwerstes Unheil heranzieht!

ONKEL LUDWIG
einer gewissen, innerlichen, dunklen Angst sich jetzt ebenfalls nicht länger erwehren könnend.
Du kannst einen ... Wieder hellster Sonnenschein. wahrhaftig wirklich ...
MARIANNE
mit dem Versuch sich wieder zusammenzuraffen.

Ich hätte bei meiner Rückkehr ... eigentlich unbedingt auf einige Minuten ... auch noch zum Vater und der Großmutter mit rangehn müssen ... war aber so erschöpft, daß ich kaum wußte ... wie ich mich durch den Garten fand! Und als du mich dann vorhin ... ohne daß ich dein Kommen gehört ... plötzlich ... so unvermutet ansprachst ... hatte ich für den Bruchteil einer Sekunde fast die schreckhafte Illusion ...

ONKEL LUDWIG
der ihrem Blick, der wieder unruhig nach der großen Mitteltür geflackert war, wieder unwillkürlich gefolgt war; als könne er die Möglichkeit, die Marianne damit andeutet, unter keinen Umständen annehmen oder gar an sie glauben.

Durch ... diese ... Tür? ... Du hast geglaubt ... du hältst es für ... möglich ... daß dieser freche ... Patron ...

MARIANNE
vollkommen erschöpft und wie nach einem Paroxysmus.
Durch diese ... oder durch irgendeine andre!
ONKEL LUDWIG
dagegen sich »denn doch« auflehnend; mit aller autoritativen Empörung.

Na, das ... In diesem Augenblick ertönt von links her sehr laut und unterbricht ihn energisch eine elektrische Klingel.

MARIANNE
die zuerst zusammengeschreckt war und dann sofort aufgehorcht hat; halb nach der Tür links zurück.
Georg!
[322]
ONKEL LUDWIG
nachdem auch er sich inzwischen wieder beruhigt hat; nachdenklich das greise Haupt schüttelnd.

Seltsam! ... Nachgrübelnd. Es könnte allerdings sein ... es wäre ja schließlich ... vielleicht nicht ganz ausgeschlossen ... daß jener merkwürdge Mensch ...

MARIANNE
mit ihrer Aufmerksamkeit, seit das Klingelzeichen ertönt ist, immer wieder nach der Tür links; ihn ungeduldig unterbrechend; mit dabei fast schmerzlich zusammengezogenen Brauen.
Unsinn! ... Dein abgeschmackter Seladon und Mariette!
ONKEL LUDWIG
der sich so leichten Kaufs von seinem »Merkwürdgen« nicht abbringen läßt.
Nein, nein, du!
MARIANNE
noch gesteigerter als vorhin.
Reden wir nicht mehr darüber!
ONKEL LUDWIG
hartnäckig.
Ich versichre dir!
MARIANNE
wie etwas Unsichtbares von sich abschüttelnd.
Es war eine ganz willkürliche, lächerliche Kombination!
ONKEL LUDWIG
von seinem »Merkwürdgen« noch immer nicht lassend.
Die Beschreibung, die du mir gemacht, paßt auf ihn so akkurat ...
MARIANNE
jedes weitere Wiederdaraufzurückkommen ihm damit abschneidend.
Du tust mir einen Gefallen!
ONKEL LUDWIG
dem jetzt nicht recht etwas andres »übrig« bleibt; so gern er bei ihrer »ganz willkürlichen und lächerlichen Kombination« auch noch »des längeren verweilt« hätte; »a« lang, »o« kurz; beide betont.

Ja, no! ... Zögernd; Spatzen und Buchfinken. Wenn du meinst ...?! Definitiv damit abrüstend; sein letztes Resümee ziehend. Wär ja auch ... noch doller! ... Sich in seinen Sessel zurücklehnend; epikuräisch-asketisch. Integer vitae scelerisque purus! Reinen Lebens und frei von Schuld! Der einzge Kantus ... Pferdegetrappel und Auto. den ich mir wie eine Art Wahr- und Wahlspruch ...

MARIANNE
die plötzlich starr aufgemerkt hat.
»Integer ... Mit einem Blick nach der Meduse. vitae«?
ONKEL LUDWIG
der diesen Blick bemerkt hat.
Was hast du? ... Was ist?
MARIANNE
in schnell wachsender Erregung; die Linke leicht vor der Stirn; zuletzt, wie entsetzt, wieder nach der Meduse.

Das ... war die Melodie! Jetzt ... erinnre ich mich! Deutlich ... Unter ihren getragnen ... feierlichen Klängen sah ich ... wie in dieser furchtbaren Nacht ...

[323]
ONKEL LUDWIG
besorgt-angstvoll; von ihrer Erregung wieder angesteckt.
Sieh nicht hin! Sieh nicht hin ... Du wirst uns noch nächstens ...
MARIANNE
mit geschloßnen Augen wegblickend.
Grauenhaft!
ONKEL LUDWIG
der sie mit aller Gewalt ablenken will.

Ein Nervensystem ... mehr als eins ... hat man doch nu mal nich! ... Diese Melodie ... oder ne andre! Du legst der Sache ...

MARIANNE
wie aus einem innersten Schauder.
Mariettes Lieblingsmelodie!! ... Mariettes ...
ONKEL LUDWIG
sie nicht weitersprechen lassend; seine Uhr ziehend; ein vorsündflutliches Gehäuse aus der Urgroßvaterzeit; mit Gewalt auf ein andres Thema; brummig-grollend.

Fünf Minuten vor zwölf hat er nu geklingelt! Erst jetzt das Morgenfrühstück! Son Unverstand! ... Um eins, zwei werden wir ja dann wohl das Vergnügen haben, den Herrn Professor ... begrüßen zu dürfen!

MARIANNE
ganz überrascht-erstaunt.

Hast du denn wirklich ... ganz vergessen, was wir heute ...Ein melancholisches Rotkehlchen. für einen Tag haben?

ONKEL LUDWIG
erst jetzt auf ihr Kostüm aufmerksam; dann wieder auf den Hut und die Blumen blickend; aus tiefstem Innern; fast erschüttert.
Kindchen! Du warst ...
MARIANNE
die Stimme etwas leiser.
Ich war ... bei Mariette.
ONKEL LUDWIG
wieder auf den Strauß blickend.
Und die bunten ... paar Blumen hier?
MARIANNE
die Stimme noch immer etwas gesenkt.
Darf ich sie dir schenken?
ONKEL LUDWIG
die Hand, die sie nach den Blumen ausgestreckt hat, ihr streichelnd.

Deine arme, arme Schwester! ... In seinen Sessel wieder zurückgelehnt; vor sich hinnickend. Drei ... Jahre nu schon! Wieder, fern, ein Auto.

MARIANNE
schwer vor sich hin.
Drei ... Jahre! Auto noch ferner und leiser.
ONKEL LUDWIG
leichte, fragende Kopfbewegung nach der Tür ihm gegenüber.
Und du ... mutmaßt, daß wir ihn heute deshalb ...
MARIANNE
sich mit aller Kraft zur äußersten Ruhe zwingend.
Es wäre das erste Mal, daß er an diesem Tage ... aus seinen Zimmern käme.
GEORG
in diesem Augenblick durch die Tür links; schlanke, nervöse Erscheinung; in ihrer ganzen Haltung den ehemaligen Offizier noch verratend; das dunkle Haar an den Schläfen bereits stark [324] ergraut; Schnurrbart noch dunkel, die Augen hellgrau und durchdringend.
Guten Morgen!
MARIANNE
herzklopfend aufgestanden; ihn groß anstarrend; sie hat unwillkürlich versucht, die Blumen etwas zu verbergen.
...
GEORG
unruhig, dabei eine Zigarette rauchend, auf und ab; seine Sprechweise ist hastig knapp.
Du brauchst die Dinger nicht zu verstecken! ... Laßt euch nicht stören!
ONKEL LUDWIG
die Blumen ergreifend und sie vor sich hinlegend; ruhig.
Gib sie mir, Kind. Ich werde sie mir oben auf meine stille Stube stellen.
MARIANNE
die sich erst jetzt etwas gefaßt hat; stockend; zu Georg.
Hat dir der Diener ... deinen Tee schon gebracht?
GEORG
durch dessen Ton fast permanent etwas wie Unruhe, federnde Unzufriedenheit oder Gereiztheit klingt.

Danke. Ich rauche! ... Hatte nur so aus Gewohnheit geschellt. Reflexbewegung! Kann ihn wieder wegtragen. Pferdegetrappel.

ONKEL LUDWIG
ablenkend; nach dem Garten hin.
Eine Hitze draußen ...
GEORG
kurz; sachlich.
Ja.
ONKEL LUDWIG
der dunkel die Verpflichtung fühlt, das Thema, das er aufgegriffen, nicht gleich wieder fallen zu lassen.

Und das wollen nu die Eisheilgen sein! Der einzge Raum hier ... Leichte Atempause einer erneuten, kleinen Seitenbeschwerde wegen. wo mans noch aushalten kann!

GEORG
der sich fast nur im Hintergrund nach dem Garten zu aufhält; stehnbleibend.

Liebe Schwägerin ... setz dich! Du weißt, daß mich solches Rumstehn ... Abbrechend; seinen Gang immer gereizter, wieder aufnehmend; höhnisch nach den vier Büsten. Aristoteles, Plato, Leibniz und Voltaire! Unsre vier lieben Idioten! Flüchtig zur Decke hoch. »Kampf des Lichts mit der Finsternis!« Die lauter herrlichsten Symbolika! ... Warum unterhaltet ihr euch nicht weiter? ... Ich brauche bloß aufzutauchen, und alles wird stumm! –

ONKEL LUDWIG
während Marianne sich still gesetzt hat; nachdem er mit ihr einen Blick gewechselt.
Wir haben uns hier von nichts unterhalten! Fernes Auto; Spatzen.
GEORG
bissig-sarkastisch; mit heimlicher, kaum noch unterdrückter Eifersucht auf die von ihm schon längst gehaßte und im Stillen [325] von ihm beneidete, freundschaftliche Vertraulichkeit zwischen den zweien.

Nein, nein! Ihr seid mal heute ausnahmsweise ohne euern üblichen Schwatz geblieben! ... Ihr unterhaltet euch ja hier nie von was! ... Ihr habt hier die ganze Zeit, Dabei schnell, aber doch sehr auffällig, als wolle er etwas Bestimmtes damit andeuten, nach der Meduse blickend. alle beide wie versteint dagesessen!

MARIANNE
die seinem Blick gefolgt war; ganz überrascht-befremdet.
Warum blickst du ...
ONKEL LUDWIG
ebenfalls zu Georg; ähnlich wie sie.
Du tust ja ...
GEORG
zu Marianne; ihn gar nicht mehr beachtend; wieder stehngeblieben.

Hast du diese Nacht ... es muß ungefähr gegen zwei gewesen sein ... hast du da einen Traum gehabt? Irgendeine Vision? Oder Erscheinung? ... Da Marianne ganz perplex ihn nur mit großen Augen anstarrt. Und zwar, genauer präzisiert, dieselbe ...

MARIANNE
die ihn noch immer, wie ganz entgeistert, anstarrt; ihn unterbrechend; während Onkel Ludwig, nicht minder erstaunt, »Nase, Mund und Ohren«, aufsperrt.
Woher ... weißt du das?!
GEORG
Stellung wie vorhin; den ersten Satz, fast wie sich gegen dessen Inhalt wehrend, zornig durch die Zähne; das übrige zerfetzt-abgehackt.

Mediumität ... oder, wie du dies nennen willst, steckt an! ... Ich war um die Zeit noch wach ... kramte zwischen alten Briefschaften und Papieren rum ... als ich plötzlich ... mir unerklärbar ... Nach den rechten Worten ringend. ich kanns nicht anders ausdrücken ... aber ich fühlte deutlich und wußte: du tratst in diesen Raum ... ich sah ... wie du nach der Meduse blicktest ... deine Züge verzerrten sich ... auf der Orgel nebenan spielte das Integer vitae ... du wanktest ... ich stand wie gelähmt ... ich konnte nicht zuspringen ... und in dem gleichen Moment ... schoß es mir durch den Kopf: dich durchzuckt jetzt dieselbe Halluzination ... die du hier schon einmal ... und als Kind gehabt!

ONKEL LUDWIG
zu Marianne, die in ihrem inneren Aufruhr von Georg kein Auge läßt; rausplatzend.
Aber doch auch ganz haargenau, wie dus mir eben ...
[326]
MARIANNE
ohne Onkel Ludwig beachtet zu haben; zu Georg; noch immer innerlich ganz aufgewühlt.
Du hast, soviel ich weiß ... bisher auch nur Ähnliches noch niemals ...
GEORG
noch immer in der gleichen Stellung; eben falls wieder zu Marianne.

Um so befremdlicher!Kurz, knapp, sachlich. Du warst damals dreizehn, man fand dich ohnmächtig, mit einer klaffenden Kopfwunde auf dem rechten Scheitel, von der dir, unter deinem Haar, noch heute die kleine Narbe blieb ...

MARIANNE
die nicht recht begreift, warum er ihr dieses alles in diesem Augenblick nieder ins Gedächtnis ruft.
Ja, warum ...
GEORG
von ihrer Zwischenfrage kaum unterbrochen; mit erhöhtem Nachdruck in seinem selben Satz weiter.

Das einzige Merkmal, an dessen Fehlen ich dann später dein Phantom, wenigstens in seinem frühsten Erscheinungsstadium, von dir zu unterscheiden vermochte, der Vorfall hatte sich am hellichten Tage abgespielt, und das erste sich einstellende Resultat war dann ein wochenlanges, schwerstes Nervenfieber gewesen!

MARIANNE
die noch immer nicht versteht, worauf er damit hinaus will.
Ich habe dir alles ... bereits ...
GEORG
noch im selben Tonfall.

Ich rekapituliere nur! Ich möchte mich im Moment nur nochmal vergewissern, ob das, was ich in deiner Vorgeschichte über diesen Komplex niedergeschrieben habe, nicht bloß en bloc stimmt ... was ich für selbstverständlich halte ... sondern auch bis in gewisse, letzte, charakteristische Einzelheiten! Entsinnst du dich noch des Monats und des Datums?

ONKEL LUDWIG
da Marianne, nachdenkend, nicht sofort auf diese Frage antwortet; erst zu Georg rüber, dann zu Marianne.
Täuscht mich nicht meine »Magie der Zahlen« ... dann muß es an einem Dreizehnten gewesen sein!
MARIANNE
aus ihrem Nachdenken zu Georg aufblickend.

Es war an einem Maitag ... Nach dem Garten hin, aus dem in diesem Augenblick eine Amsel pfeift. wie heute! ... Es ... Jetzt zu Onkel Ludwig; langsam. war an einem Dreizehnten!

ONKEL LUDWIG
zu Georg triumphierend.
Siehst du?
GEORG
der sich solange nicht von der Stelle bewegt hatte; zu Marianne.
Davon hast du mir nie ...
[327]
MARIANNE
da er seinen Satz, durch ihre Eröffnung überrumpelt, nicht zu Ende gesprochen hat; noch immer langsam, als kehre ihr erst jetzt wieder das Gedächtnis daran zurück.

Es war ... drei Tage nach meinem ... Dunkles, fernes Auto. und Mariettes gemeinsamen Geburtstag gewesen!

ONKEL LUDWIG
wieder zu Georg; in seinem Triumph noch gesteigert.
Hab ichs dir nicht gesagt?
MARIANNE
vor sich hin; leise.
Ich hatte es ... vergessen.
GEORG
wie mit einem Entschluß ringend; wieder dabei, einmal, auf und ab.
Gut. Um so besser!
ONKEL LUDWIG
diesmal erst zu Marianne, dann wieder zu Georg rüber.
Also vor heute genau dreizehn Jahren! Wenn mir das nicht mein ganzes Pythagoraskapitel bestätigt!
GEORG
wieder gar nicht auf ihn achtend; von neuem stehngeblieben; zu Marianne; jedes Wort wie dozierend und bestimmt.

Du hattest bis dahin in diesem alten Hause, und zwar nur in diesem alten Hause, etwa schon von deinem fünften Lebensjahr ab, lediglich Halluzinationen rein friedfertiger Natur gehabt. Um nicht zu sagen, geradezu angenehmer!

MARIANNE
die betreffenden Erinnerungsbilder jetzt wie aus ihrem Gedächtnis holend.

Eine alte Dame in einer verschoßnen Goldhaube, die meine Puppen streichelte ... ein Herr mit Puderzopf und besticktem Frack, der immer bloß um die Abenddämmrung kam ...

GEORG
durch diese Details schon wieder ein ganz klein wenig ungeduldig; dabei fast wie aus einer leisen Skepsis.
M!
MARIANNE
in ihrem selben Satz, immer »weltferner«, weiter.

Ein mir etwa gleichaltriger, blondgelockter, kleiner Junge, der verträumt auf einer Glasharmonika spielte, deren Töne ich nie hörte ...

GEORG
mit zusammengezognen Brauen; fast wie in nachträglicher »Eifersucht«; ihre Aufzählung abschneidend.

Kurz und gut, jene mehr oder minder nebulose Gestaltenreihe, die wir aufgezeichnet haben! Du hattest diese seltsamen Schattenwesen mit der Zeit immer lieber gewonnen, und da du dunkel befürchtetest, man könne dich eventuell von ihnen trennen, hattest du zu niemand etwas davon gesagt!

MARIANNE
bestimmt.
Zu niemand!
[328]
GEORG
trotzdem sich doch noch vergewissernd.

Auch zu deiner ... Unwillkürlich etwas zögernd. Schwester nicht!

MARIANNE: Auch zu ... Den Namen, den er nicht ausgesprochen, nur schwer über die Lippen bringend. Mariette nicht!

GEORG
in seiner Ausführung weiter; jetzt auf den für ihn wichtigsten Hauptpunkt kommend.

Und nachdem dann jene Nervenkrisis überstanden war, hatten diese Erscheinungen, die den exzeptionellen Grad deiner Medialität jedem Wissenden schon damals verraten hätten, radikal aufgehört!

MARIANNE
die ihn solange, fast mit verhaltnem Atem, scheu fragend angeblickt; schwer stockend.
Bis ... auf jenen einen Fall ... vor drei Jahren in Genf ... wo mir Mariette ...
GEORG
ihrem Blick nicht ausweichend; ihren Satz, fast hart, vollendend.
In ihrer Todesnacht erschien!
ONKEL LUDWIG
mit gewichtigster Bestätigung.
Fast Schlag zwölf ... Ziemlich nahes Auto; dumpfer, kurzer Laut. mit den deutlichen Worten ...
MARIANNE
in seine Atempause; aus innerstem Grauen; die Worte jener Nacht, noch wie sie ihr im Ohr klingen, den Kopf etwas zurück, die Augen geschlossen, unwillkürlich, langsam, wiederholend.
»Noch drei ... Jahre!«
ONKEL LUDWIG
überzeugt-eifrig.

Ein dir damals ... nach meiner hier später sofortigen Deutung ... in allerangenehmste, erfreulichste Aussicht gestelltes, ganz besondres Glücksdatum ...

MARIANNE
zu Onkel Ludwig; mit einem gequält- flackernden Blick nach Georg rüber, der für dieses angebliche »Glücks«datum früher im geheimen genau die gleiche, allerschwerste Deutung, wie sie selber, gehabt hatte.
Du weißt ...
ONKEL LUDWIG
über ihren kaum noch begonnenen Einspruchsversuch bereits wieder weiter und hinweg.
Dessen Eintritt wir heute ...
GEORG
der ihm jetzt mit einer leichten, abwehrenden Geste ins Wort fällt; zu Marianne rüber.

Auch ich möchte mich jetzt ... wenigstens bis zu einem gewissen Grade ... einer solchen, eher antipessimistischen Auffassung und Auslegung nicht mehr verschließen!

ONKEL LUDWIG
durch diesen unverhofften Beistand noch ermutigter.
Das für uns alle eigentliche, große Haupt- und Zentralfaktum ...
[329]
GEORG
wieder ähnlich wie vorhin; nur noch bestimmter.

Durch dessen Mitteilung du mich veranlagest, diesem gesamten, einschlägigen Komplex überhaupt näherzutreten, das aber hier und im Moment für mich nichts mehr zur Sache tut! Sich von ihr abwendend und seinen Gang wieder aufnehmend.

ONKEL LUDWIG
verdutzt ihm nach.
»Nichts mehr ...«?
GEORG
resümierend-geschäftsmäßig; wie um jeden etwa dagegen möglichen Widerstand von vornherein und diskussionslos abzuschneiden.

Wir werden also unsre letzte Sitzung, auf die wir nun schon seit vierzehn Tagen warten, heute abend ...

MARIANNE
ihn unterbrechend; wie von einem tödlichen Schreck betroffen; die linke Hand am pochenden Herzen und ihn ganz entsetzt anblickend.
Heute ...?
GEORG
seine letzten Worte nachdrücklich nochmals wiederaufnehmend und seinen Satz, scheinbar ganz gleichgültig, schließend.
Heute abend abhalten! Ja!
ONKEL LUDWIG
als hätte er nicht recht gehört; zu Georg rüber; empört.

Und die versprochne Botschaft? Die Auffordrung dazu? Der deutliche Wink aus jenen andren Sphären, der uns so bestimmt vor her ...

GEORG
scharf; den Schluß seiner Frage garnicht abwartend.
Das fragst du?
ONKEL LUDWIG
durch diesen Ton ganz perplex; von einem zum andern blickend.
Ja, war ich denn nu eigentlich ... an jenem Abend mit dabei ... oder nich?
GEORG
trocken.
Mir scheint, ja! Wie vom ersten Anfang an, doch wohl bei allen unsern Sitzungen!
ONKEL LUDWIG
durch diese Art, die ihm bei einem Manne wie ihm und noch dazu in einem solchen Augenblick denn doch nicht am Platz zu sein scheint, immer pikierter.

Darf ich dann ... wenn der Herr Professor gestatten ... jetzt vielleicht auch mal ... »rekapitulieren«?

GEORG
achselzuckend.
Wenn dir das irgendwie eine Genugtuung oder Beruhigung gewährt ...
ONKEL LUDWIG
ausholend.
Ich möchte nur Euer Hochwohlgeboren ...
MARIANNE
unter ihrem Disput wie unter einem körperlichen Schmerz leidend.
Warum streitet ihr?
[330]
GEORG
prononciert-gleichgültig; die Schuld auf Onkel Ludwig wälzend.
Der Kampfhahn Onkel Ludwig!
ONKEL LUDWIG
seinem »jungen Widerpart« nicht gerade liebreich gesinnt.

Ich hatte mir nur erlauben wollen ... den Herrn Professor zuvörderst und submissest darauf aufmerksam zu machen ... daß nicht er es war, auf dessen Initiative oder Urheberschaft ... diese ganze phänomenale Untersuchungsreihe ... die ihn jetzt nachträglich, wie es scheint, mit so gerechtem Stolz erfüllt, zurückzuführen ist ... sondern mit Verlaub ... Ihm den Hieb wieder zurückgebend. auf den »Kampfhahn!«

GEORG
der bei dem »gerechten Stolz« nur mit Mühe an sich gehalten; nachdem er sich inzwischen wieder bezwungen; »kühl«.
Was bereits vor anderthalb Minuten, wenn du gestattest, nicht bestritten wurde!
ONKEL LUDWIG
mit seiner Eloquenz, respektive bereits deren erstem Resultat, höchst zufrieden.

Freut mich! ... Nachdem wir so ... dank den aufopfrungsvollen Bemühungen Jetzt einen Augenblick zu Marianne gewandt, die geniert-peinlich seinen Redeschwall über sich ergehn läßt. unsres verehrten Dritten ... ohne dessen überlegne, superiore Kraft wir noch heute ohnmächtig im Dunklen tappten ... vorsichtig und schrittweise bis zu der vollkommensten Materialisation gelangt waren, die die Geschichte des Spiritualismus bis jetzt aufzuweisen gehabt hat ... oder doch wenigstens keine vollkommnere ... hat uns nun Afra ... dies transzendentale, überirdische Seelenwesen aus jener andern Welt ... deren Wunder uns ja nicht für ewig verschlossen bleiben werden ...

GEORG
der diese zuversichtliche Hoffnungsarie Onkel Ludwigs bereits bis zum Überdruß kennt; ungeduldig-abwehrende Geste; nervös-schnalzender Zungenlaut; seinen Gang dabei nicht unterbrechend.
Ttt ...!
ONKEL LUDWIG
fast im gleichen Moment aufgefahren; grimmig; wie von einer faustgroßen Tarantel gestochen.
Wie?!
GEORG
in der Hoffnung, seinen demosthenischen Erguß dadurch wenigstens etwas abzukürzen.
Du meinst »verlassen« ...
ONKEL LUDWIG
in Georgs Tonfall fortfahrend.

Verlassen ... Und, jetzt wieder zu Marianne gewandt, die dieser Bevorzugung krampfhaft [331] standhält, sein kunstvolles Wortgebäude mit der bereits längst vorbereiteten Kuppel krönend. mit dem Bedeuten ... daß ihr Medium erschöpft sei!

GEORG
schnell; fast überstürzt; allem noch drohend Weiteren damit bereits vorsorglich zuvorkommend.

Aber falls wir dies wünschten, könnte sie noch mal wiederkommen, und sie würde uns vorher zu diesem Zweck ein Zeichen geben! Ich finde, so was läßt sich in drei Worten sagen!

ONKEL LUDWIG
durch diese so ganz und durchaus gegen seinen Willen erfolgte respektlose »Abkürzung« in seinen heiligsten »Rechten« gekränkt; in seinen Sessel zurückgelehnt; mit seinen Brauen gewitternd.
Cher neveu! Wenn ich rede, habe ich das Wort! Und wenn ich das Wort habe, rede ich!
GEORG
gemacht-nachlässig; den Rest seiner Zigarette durch den großen Mittelflügel in den Garten schleudernd.
Bitte.
ONKEL LUDWIG
in der triumphierenden, sichern Erwartung, seinem Gegner damit den entscheidenden Knacks beizubringen.
Also und wo ist jetzt das Zeichen?!
GEORG
ohne ihn dabei anzublicken; sich eine neue Zigarette rausholend.
Wenn es dir noch nicht zum Bewußtsein gekommen?
ONKEL LUDWIG
nach einem Augenblick des verblüfftesten Stutzens; zu Marianne rüber.
Wirst du draus ... klüger als ich! Pferdegetrappel.
MARIANNE:... Hilfloses Achselzucken.
GEORG
zu Marianne; stehngeblieben; die Zigarette sich anzündend; seinen Gedankengang erst jetzt aufdeckend.

Daß die eklatante Traumwiederholung jener exzeptionellen Halluzination, die damals ein erstes, vorläufiges Ende deiner Mediumschaft angezeigt hatte, jetzt, wo wir doch ganz zweifellos abermals vor einer Art Abschluß stehn ... noch dazu mir gleichzeitig auf diese auffällige Weise signalisiert ... ein bloßer »Zufall« gewesen ... Seinen Gang wieder aufnehmend. ich hätte wirklich gedacht ... über eine solche primitive Erklärungsmethode wären wir doch alle bereits längst ... Abbrechend.

MARIANNE
die ihm, mit erhobnem Kopf, groß nachgeblickt hatte; nachdem sie ihn voll verstanden.
Und wenn du dich mit diesem ... Deutungsversuch Fernes, helles, lang hingezognes Hupensignal. irrst?
ONKEL LUDWIG
ebenso; ihr lebhaft zu Hilfe kommend.
Wenn deine hypothetische [332] Annahme, trotz meiner Drei- und Dreizehnzahl, doch bloß ... »Zufall« war?
MARIANNE
die Georg noch immer anblickt.

Oder wenn mein Traum ... vielleicht einen ganz andern Sinn und eine ganz andre Bedeutung gehabt hat? ... Wenn er dich und mich ... vor etwas uns Drohendem ...

GEORG
mit zusammengezognen Brauen; ohne sie anzublicken; mit Mühe sich beherrschend.
Dann nehme ich die Folgen ...
ONKEL LUDWIG
ihn unterbrechend; ganz empört und ergrimmt.
»Folgen!« Sich beschwerend zu Marianne rüber. Mir altem Praktikus wirft dies jugendliche ...
GEORG
sich mit der Linken zornig-erbittert ins ergraute Schläfenhaar fassend; kurzer, höhnisch- nasaler Lachlaut.
Hä!
ONKEL LUDWIG
wie vorhin; von Georg kaum unterbrochen; in seinem Satz weiter.

Kaum erst flügge gewordne Semester, bei jeder Gelegenheit, oder hat es doch wenigstens immer getan, »dilettantische«, »unwissenschaftliche«, und wie der präzise Herr Professor behauptet, »alle Augenblick übers Ziel schießende Phantasterei« vor, und jetzt, wo er auf einmal selbst ...

GEORG
ihm ins Wort; scharf; schneidend; ja, gradezu heftig; dabei wieder stehngeblieben und ihn, eigentlich zum erstenmal, anblickend.

Die unsinnige Frage, auf die du eben anspielst, und zu der ich mich vor vierzehn Tagen allerdings habe hinreißen lassen ...

ONKEL LUDWIG
ärgerlich-trotzig.
Na also!
GEORG
von ihm kaum unterbrochen; in seinem Satz weiter.

Diese törichte und von mir längst bedauerte Frage wird und soll selbstverständlich heute aber auch nicht mehr die geringste Rolle spielen!

MARIANNE
Georg groß anstarrend; während Onkel Ludwig sich damit »begnügt«, ihm nur mit einer ungläubigen Miene und Geste zu replizieren.
Darauf gibst du mir ... dein Versprechen?
GEORG
sich wieder in Bewegung setzend; ihrem Blick ausweichend; in der Heftigkeit seiner Ablehnung noch gesteigert.

Ich gebe dir auf gar nichts mein Versprechen! Der strikt-umfassend durchgeführte, zum erstenmal endlich einwandfreie, exakte Nachweis menschlicher, leibhafter Phantombildung, ganz gleich, wie man [333] sich zu dieser Tatsache als solcher dann auch stellen mag, ist für mich der weitaus wichtigste, wertvollste und wesentlichste Bestandteil unsrer gesamten, mühseligen Untersuchungsergebnisse! Und es fällt mir nicht ein, ich denke gar nicht daran, es wäre überhaupt eine Lächerlichkeit und Absurdität sondergleichen, wenn ich mir jetzt kurz vorm Ziel durch irgendeine Verhaltungsmaßregel die Hände binden, oder gar eine bestimmt abgesteckte Marschroute vorschreiben lassen wollte!

MARIANNE
die ihm so lange unruhevoll nachgeblickt hat; fast wider ihren Willen; gespannt- angstvoll.
Und wenn du mit deinem beendeten Werk ... dann vor die Öffentlichkeit treten wirst ... mein Vater?
ONKEL LUDWIG
durch diesen Einwurf plötzlich wie von einer meterlangen und vielleicht zum Überfluß auch noch gar vergifteten Stecknadel angepiekst; fragend-mißbilligend zu Marianne.
»Vater??!«
MARIANNE
zu Georg; ohne Onkel Ludwig zu beachten; zum erstenmal mit leisem Vorwurf.
Er hätte es vielleicht immerhin ... um dich verdient ...
GEORG
der schon bei dem Wort »Vater« wieder stehngeblieben; mit zusammengezogenen Brauen; durch die Zähne; aggressiv-heftig.
»Verdient???«
MARIANNE
einlenkend; wenn auch bloß äußerlich, rein formal und nur bis zu einem gewissen Grade; durch seinen Tonfall gegen ihren Vater aufs peinlichste berührt.
Also wenn schon nicht deinet- ... so doch wenigstens meinetwegen!
ONKEL LUDWIG
zu Marianne; noch immer ihre Riesenstecknadel im Gedärm; plötzlich ganz ihr Gegner.
Ich möchte wissen ...
GEORG
wieder auf und ab; noch ausfälliger als vorhin.
Warum rückst du nicht schließlich gleich ... auch noch deine liebe Großmutter gegen mich ins Feld?
MARIANNE
sich gegen beide jetzt gleichzeitig wehrend.
Ihr vergeßt ...
ONKEL LUDWIG
aufgebracht-zornige Geste nach dem Garten hin.
Was uns die ganze Gesellschaft da drüben überhaupt angeht?
MARIANNE
in ihrer Verteidigung weiter.

Es ist mir nicht zu verdenken, ihr dürft mich nicht ausschelten, wenn ich meinen Vater ... Bei seiner grade jetzt ... in diesem Jahr ... so doppelt exponierten, wissenschaftlichen Position und Stellung ...

[334]
ONKEL LUDWIG
sich in Positur werfend.

Du lieber Gott! Aufgeplusterter als ein Truthahn, prahlerischer – notabene alles dies aus seiner »Seele« – als der Großtürke und selbstherrlicher als der Papst. Was schon unsereinem ... dies bißchen mittelalterlicher, antiquierter Brimborium und purpurner Dalailamamantel ...!

MARIANNE
noch gesteigerter als vorhin; unwillkürlich mehr und mehr »geschulte Wissenschaftlerin«.

Seine ganze, prinzipiell ultrarationalistische ... extrem antimetaphysische Denkart und Weltauffassung ... der jederlei transzendentaler Idealismus ...

GEORG
der so lange nervös an sich gehalten; wieder stehngeblieben; scharf; fast schneidend.

Traust du mir zu, bildest du dir ein, hast du die edle Befürchtung, es liegt in meiner Absicht, mich ihm Person gegen Person ...

MARIANNE
sich nochmal für den Abwesenden in die Bresche stellend; eindringlich.
Es würde ihn doch aber aufs tiefste ...
ONKEL LUDWIG
tapsig; unbekümmert-zuhauend- grob.
Nu wenn schon!
MARIANNE
noch immer zu Georg; fast bittend.
Grade von uns beiden!
GEORG
Ton wie vorhin; seine Augen in ihren.

An diese Unabwendbarkeit, die sich für mich ... perspektivisch, bereits von allem Anfang ergab ... denkst du erst jetzt?

MARIANNE
ausholend; dann sofort wieder abbrechend und beinahe flehend.

Nicht »erst jetzt«, aber ... Nochmals das melancholische Rotkehlchen von vorhin. Wenn du dir jene Zeit zurückrufst ...

GEORG
wieder auf und ab; unterdrückt-ungeduldig.
Du mußtest dir doch klar sein ...
MARIANNE
noch gesteigerter als vorhin; fast rührend-hilflos.

Dein ganzer Lebensmut lag so zerbrochen ... Arbeit ... existierte für dich nicht mehr ... alle meine ehrlich und bestgemeinten, wiederholten Anläufe und Ansätze ...

GEORG
brüsk; sie mitten in ihrem Satz unterbrechend.
Weiß ich! Weiß ich!
MARIANNE
in ihrem Satz, zögernd, weiter.

Dich durch zunächst ... und vorläufig mal erst für mich selbst ... und allein angestellte Versuche in deinem Laboratorium ...

GEORG
sie wieder unterbrechend; jetzt schon fast feindselig.

Du konntest nicht erwarten ... es war etwas naiv von dir, zu verlangen ... daß ich durch deine hausmütterlichen Bemühungen bis [335] zu Tränen gerührt ... in alte, defekte, kaputt gegangne Eierschalen wieder zurückkroch!

ONKEL LUDWIG
zu Marianne; mitleidig; für die so zurechtgestupste unwillkürlich, wenn auch auf seine Weise, Partei ergreifend.
Nönöh! ... Nöh, du! ... Wirklich nich! ... Bestätigend zu Georg. Dann trat ich dazwischen ...
GEORG
zu Onkel Ludwig; ohne ihn anzublicken; dann zu Marianne; ebenso.

Dann tratst du dazwischen ... sehr richtig ... gleich die ersten Experimente ... so von vornherein bocksbeinig widerwillig ich mich auch mit ihnen befaßte ... ergaben die verblüffendsten Resultate ... alles, was mir bis dahin absolut feststehend, unantastbar und durch nichts zu erschüttern gegolten hatte, kam ins Kippen und Wanken ... ich konnte mich gegen das Neue, das vor mir aufstieg, nicht mehr wehren ... und damit schien dir ... mein auf den Grund geratnes Wrack ...

MARIANNE
da er in seiner Erregung kaum noch fähig ist, weiterzusprechen; ihn unterbrechend; aus tiefstem Herzen.

Ja! ... Ich war so froh, als du für irgend etwas, das außer dir lag, überhaupt wieder ein gewisses, geistiges, wachsendes Interesse zeigtest, daß ich mir Gedanken ... wirkliche, ernstere Gedanken ... über die uns jetzt plötzlich ... so erschreckend nahgerückten ... drohenden ... notwendig schweren Konsequenzen ... eigentlich ... noch nie bis jetzt ... gemacht habe!

ONKEL LUDWIG
mit dem Versuch, in dieser prekären Situation gegen sein eignes Gewissen den ehrlichen Makler und Vermittler zu spielen; von einem zum andern.

Ja, was ist da ...? Was ... e ... läßt sich da ...? Pferdegetrappel. Könntest du eventualiter ... und schlimmstenfalls ... deine beabsichtigte Publikation ...? Radfahrer: kurz, heftig.

GEORG
wieder stehngeblieben; zu ihm rüber; höhnisch; die einzelnen Akzente scharf schneidend betont.

Du meinst und schlägst mir vor, ich soll mein dickleibiges, fünf oder sieben Pfund schweres Bibelbuch, meinen zehntausend Seiten langen Wälzer, erst dreißig Jahre nach meinem Tode rausgeben? Mit Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist? Nachdem meine Knochen inzwischen längst verschimmelt sind?

MARIANNE
durch seinen Ton schmerzlich getroffen.

Wenn natürlich selbstverständlich [336] auch nicht das! Aber ... Sich wieder zusammenraffend. vielleicht wartest du wenigstens ab, bis Vater ...

GEORG
wieder gereizt-nervös auf und ab; trotzdem jedes Wort äußerst klar und bestimmt.

Ich weiß mich deinem Vater ... dessen in ihrer Art ... vorkämpferisch-kulturelle Bedeutsamkeit nach außen hin ich schätze ... so manches mich jetzt ... auch allerdings von ihm trennt ... in meinem Innern noch immer erkenntlich ... daß er vor nun ... ja wohl nächstens bald acht Jahren ... rein aus wissenschaftlichem Überzeugungseifer ... noch bevor ihn mit mir auch nur die geringste persönliche Beziehung verband, meine Berliner Berufung veranlaßt und sie dann, allem sonst üblichen akademischen Firlefanz zum Trotz, auch energisch vertreten und durchgesetzt hat! Aber er kann dafür heute nachträglich unmöglich das Opfer meines Intellekts verlangen! ... Mit letzter Steigrung. Meine Geduld, aber auch mit allem, ist durch diese letzte, gräßliche, mir einfach aufgezwungene Untätigkeit erschöpft, ich sehe nicht den mindesten Grund ein, meine Qual noch zu verlängern, und ich werde daher die Sitzung Bei diesen Worten stehngeblieben; heftige, energische, allen und jeden Widerstand abschneidende Geste mit der Linken. noch heute mit dir abhalten!

ONKEL LUDWIG
vor dieser Entschiedenheit endgültig sein letztes Segel einziehend; paktierend zu Marianne; zwei sich mißtönig durcheinander schlingende Hupensignale.
Da bleibt uns doch schließlich ...
MARIANNE
die sich kaum noch aufrecht erhält; beschwörend zu Georg.

Tus nicht! Ich bitte dich! Ich bitte dich flehentlich! Diese letzte, furchtbare ... nächtliche Vision ...

GEORG
aus seine eigne Andersauslegnng dieser damit wieder zurückkommend; trotzdem einen kurzen Augenblick fast wankend.
Ich habe dir doch bereits ...
MARIANNE
in ihrem selben Satz, noch verstärkt- eindringlicher, weiter.
Grade vor diesem Tag ...
ONKEL LUDWIG
mit ihrer Argumentation nichts weniger als einverstanden; halb unwillig.
»Vor diesem ...«
MARIANNE
sein letztes Wort unwillkürlich wiederholend; noch immer in ihrem selben Satz; schon fast verzweifelt.
Diesem schrecklichen ... [337] lächerlichen ... sogenannten »Glücks«tag, den ich mir ganz anders deute ...
ONKEL LUDWIG
sie unterbrechend; wie vorhin.
Ja, wenn man alles ...
GEORG
noch unsichrer; wenn auch mit äußerlich wieder betonter Energie; aus der Absicht, sie daran zu erinnern, daß er für jene damalige Prophezeiung ja jetzt inzwischen bereits zu einer gänzlich andern Ausdeutung gekommen.
Ich kann dir ... nur wiederholen ...
MARIANNE
ansprechend; halb wie hysterisch; fast mit jedem Rhythmen- und Atemstoß sich steigernd; neuer Wolkenschatten.

Redet mir vor, was euch beliebt! Wiederholt, was ihr wollt! Jene entsetzliche, unheimliche, grauenerregende Prophezeiung ... die mich gepeinigt hat und gequält ... unter der ich gelitten, im stillen, die ganze Zeit ... Abbrechend und wie irr um sich blickend.

ONKEL LUDWIG
von ihrem Ausbruch ganz betroffen.
Du sitzt hier vor uns ... wohlbehalten ... und gesund ...
GEORG
in seinem Satz instinktiv weiter; ähnlich wie Onkel Ludwig; nur inzwischen bereits gefaßter.
Ein Erdbeben ist für Berlin ... heute sicher nicht zu erwarten ...
ONKEL LUDWIG
in derselben Linie weiter.
Man wüßte also beim besten Willen wirklich nicht ...
MARIANNE
die ihn nicht ausreden läßt; zu Georg rüber; letzte, sich noch fortwährend steigernde, überzeugteste Bestimmtheit.

Wie und nach welcher Richtung du dir auch ihre häßlichen, hinterhältigen, dunklen drei Worte jetzt zurechtlegen und ausdeuten magst! Womit ihr mich auch zu beschwichtigen und zu beruhigen versucht! Ihr werdet mich durch nichts davon abbringen! Ich fühls bestimmt! Uns droht ein Unglück!

GEORG
gegen alles wie taub; seinen Gang wieder aufnehmend; fatalistisch.

Wenn uns eins droht ... wir werdens nicht aufhalten! Wie wirs auch anstellten ... es würde über uns hereinbrechen!

ONKEL LUDWIG
der schon während der letzten Replik Mariannes, wie plötzlich von etwas interessiert, in den Garten geblickt hat; sich mit einmal aufrappelnd.

Kinder ... Bereits aufrecht und durch einen heimtückischen Stich in der rechten Seite dabei gleichzeitig wieder an die scheußliche Visitenkarte erinnert, die der Imperator Mors bereits bei ihm abgegeben. der Magnifikus!!

[338]
MARIANNE
hastig ebenfalls aufgestanden; nach dem Garten hin.
Der Vater?
GEORG
unwillkürlich stehngeblieben; ebenso; scharf.
Wo?!
ONKEL LUDWIG
fast atemlos; Zeigefinger.
Dort! Durch die Taxusallee! Schon keine zwanzig Schritt mehr vom Springbrunnen!
GEORG
der den Kommenden jetzt ebenfalls erblickt hat; ganz erbittert-überrascht.
Wahrhaftig! ...Sich wieder in Bewegung setzend; feindselig- schadenfroh. Na!
ONKEL LUDWIG
mit den Blumen, die er an sich gerafft hat; schon unterwegs nach der Tür rechts.
Zum ersten Mal, seit ich hier bei euch hause! Wenn das nicht eine Explosion gibt!
GEORG
der als einziger seine Fassung vollkommen wiedergewonnen hat; wie verwundert zu Onkel Ludwig.
Du gehst weg? Warum bleibst du nicht?
ONKEL LUDWIG
erst wieder »Stich«, dann trocken; Ton auf der ersten Silbe.
Merci!
MARIANNE
von ihrem Platz aus; wie festgebannt; dem Davonstelzenden nach.
Du willst uns ... in diesem Augenblick ...
ONKEL LUDWIG
schon fast an der Tür.

Jaja! Laß man! Nochmal »Hans Mors«. Ich weiß schon!Während der Aufgetauchte im Hintergrund bereits sichtbar wird, ab; wieder prallste Sonne.

PROF.

DR. DUFROY-REGNIER älterer, feingliedriger, sehr sympathisch aussehender Herr mit ausgeprägtem Charakterkopf; nicht viel größer als seine Tochter; die als Dame allerdings nicht klein ist; Haar und Bart weißgrau, der französische Kolonieeinschlag in seinem ganzen Habitus unverkennbar; er macht den Eindruck eines sehr harmonisch veranlagten Menschen, in dem aber durch irgendein schweres Erleben seelisch etwas zerbrochen ist; ohne Hut und Mantel, da er eben aus der Vordervilla nach der Tiergartenstraße zu gekommen; auf der letzten Mittelschwelle ist er stehngeblieben und blickt fragend nach der Tür rüber, durch die Onkel Ludwig eben verschwunden ist. War das nicht ...

GEORG
der ihm, ebenso wie Marianne, fast bis zur Tür, entgegengegangen war; den Rest seiner Zigarette durch den großen Mittelflügel rechts wieder in den Garten schleudernd; mit verstecktem Hohn, als bereite ihm das beinahe eine gewisse, innere Genugtuung.
Dein zärtlicher Stiefbruder, Herr Doktor Brodersen!
[339]
DUFROY
der diese heimliche Feindseligkeit sofort sehr wohl verspürt; bekümmertes Kopfschütteln; noch immer nach der Tür rechts.

Traurig! ... Diese ... Unversöhnlichkeit?! ... Jetzt zu Marianne und Georg rüber. Es ist ja schließlich ... nicht, daß ich darunter zu leiden habe und es so drückend empfände, als ... Unwillkürlich zögernd.

GEORG
der den Sprechenden so lange nicht aus seinem Blick gelassen; ihm seinen Satz abnehmend und sarkastisch schließend.
Eure gute Mutter!
DUFROY
seinen Ton ignorierend; fragend-überrascht.
Du kannst ihr das ... Pferdegetrappel. nicht nachfühlen?
GEORG
Achselzucken; zornig-verächtlicher Gaumen- und Nasallaut.

Hng! ... Sich wieder in Bewegung setzend; jetzt nach der Seite rechts. Wenn ich mir besondre Mühe geben wollte?

DUFROY
zu Marianne gewandt, die durch die Art Georgs ihrem Vater gegenüber nun auch noch in dessen Gegenwart offenbar wieder aufs peinlichste berührt ist.

Großmutter ... die dich nach elf erwartet hatte ... Noch immer Pferdegetrappel, Auto. schien mir durch dein Ausbleiben so beunruhigt ...

MARIANNE
aufrichtig.
Das tut mir aber ...
GEORG
bissig.

Frau Professor wird sich trösten müssen! Den üblichen, rührenden Blumengruß ... von ihrem verstorbenen Liebling ...

MARIANNE
unter diesen beiden letzten Worten zusammengezuckt; fast erschreckt.
Georg!
GEORG
von ihrem Zwischenruf kaum unterbrochen; kurze heftige Kopfbewegung nach der Tür rechts; noch unterstrichener.

Hat ihr der eben eilends Davongestürzte ... Abbrechend und sofort weiter; letzter Hohn und Grimm. Um ihn sich auf seine »stille Stube« zu stellen!

DUFROY
über die ganze Art und den Ton Georgs wieder hinweg; zu Marianne, der er dabei die Hand reicht, liebevoll-gütig.
Du warst auch heute wieder ... bei unsern drei ...?
MARIANNE
einem plötzlichen Impulse folgend; über seine Hand gebückt und diese küssend.
...
DUFROY
der seine Hand sofort, fast erschrocken, zurückgezogen.

Aber Herzl! ... Ihr übers Haar streichelnd; weich-zärtlich. Du ... bist und bleibst doch die einzige! Zu seinem Schwiegersohn rüber; [340] etwas verlegen-zurückhaltend; die Rechte leicht um die Linke reibend und umgekehrt. Lieber Georg ... ich ... möchte an diesem schweren Erinnerungstag ...

GEORG
kurz ablehnend; ohne sich in seinem nervösen Hin und Her dadurch aufhalten zu lassen.
Danke. Ich danke dir!
DUFROY
ohne jeden Vorwurf, leichte, bedauernde Geste; Schwalben.
Wir haben uns ... in diesen letzten Jahren ...
GEORG
ihn ungeduldig unterbrechend, seinen Satz weiter und zu Ende.
Leider nicht allzu häufig gesehn! Eine Tatsache, die ich nicht in Abrede stelle.
DUFROY
jetzt doch etwas befremdet; leis gekränkt.
Du sprichst das in einem ... Sich bezwingend; mild-vorwurfsvoll; wieder Schwalben. Lag es an mir?
GEORG
seinen Blick vermeidend; unterdrückt-gereizt.

Zu freundnachbarlichem Verkehr, du mußt das schon einigermaßen begreiflich finden, war ich nicht aufgelegt!

DUFROY
schonend-abwehrende Geste.
Ich habe dich ... weiß Gott nicht ...
GEORG
durch diese nachsichtige Milde nun doch in seinem Innern ein ganz klein wenig bedrückt und geniert; wie um nur etwas zu sagen.
Hätte ich dich nicht einmal zufällig im Garten getroffen ... so würden wir uns überhaupt nicht ...
DUFROY
inzwischen nähergetreten; im Raum sich umblickend; tief-schmerzlich aufseufzend.
Ja ... früher ... wars fröhlicher hier! ...
GEORG
seinen unruhigen Gang nicht unterbrechend; Ton jetzt noch gereizter.

Da dein Besuch ... Nochmal Schwalben; schrillst. doch wohl offenbar ... nicht bloß eine verspätete und als solche ziemlich überflüssige Kondolenzvisite bedeuten soll ... möchte ich dich bitten ...

DUFROY
ihm mitleidsvoll nachblickend; aus bewegtem Herzen.
Mußt du in diesen Zeiten ...
GEORG
brüsk abweisend; ohne ihn anzublicken; wie jede allzu intim-seelische Annäherung sich damit verbittend.
Womit kann ich dienen? Was wünschst du?
DUFROY
auf seinen Ton nicht reagierend; überlegen-ruhig; jetzt am Tisch etwas den Sessel rückend, in dem vorhin Marianne gesessen.
Du erlaubst?
GEORG
korrekt-höflich; seine »Unaufmerksamkeit« gewissermaßen redressierend.
Pardon.
[341]
DUFROY
im Sessel Platz nehmend; von seiner Linken, die er vor sich leger in die Rechte legt, scheinbar interessiert die Fingerspitzen bekuckend; ausholend.

Du erinnertest mich eben ... daß du mich einmal Aufblickend; etwas betonter. wie du sagtest, zufällig ...

GEORG
nervös-ungehalten; seinen Satz, um ihn sofort schnell fortzusetzen, ihm abnehmend.

An irgendeinem Vormittag in irgendeinem Juni, nicht weit von eurer kaputten Sandsteinflora, unter der alten Platane getroffen! Jawohl! Gewiß! Und aus jenem Faktum resultiert jetzt?

DUFROY
der ihn jetzt nicht aus den Augen läßt.

Du hattest mir damals ... auf meine wiederholte Bitte dein Wort gegeben ... du würdest deine große Arbeit ...

GEORG
wieder wie vorhin; auch jetzt ohne ihn anzublicken.

Über die energetische Einheit der Elemente sobald als möglich, jedenfalls aber vielleicht mal gelegentlich, wieder aufnehmen. Allerdings! Und zwar war das damals auch noch meine Absicht gewesen!

DUFROY
einen Moment sprachlos; dann, nach einem fragend sich vergewissernden Blick zu Marianne rüber, die wie schuldbewußt dasteht, wieder zu Georg; als könne oder wolle er das, was dieser ihm eben indirekt angedeutet hat, noch nicht glauben.
Du ... hast sie nicht wieder aufgenommen?
GEORG
unterdrückt-heftig.
Nein!
DUFROY
nach einer kleinen Pause; ferne, erregte Stimmen; dazwischen, akkompagnierend, ein Hund; zwar bereits veränderter Tonfall, aber noch mit aller Gewalt an sich haltend.

Jene Begegnung, von der du ... zu einer gewissen Verwundrung und Überraschung von mir ... anzunehmen scheinst ... daß sie nur eine zufällige gewesen ...

GEORG
sofort stutzend stehngeblieben und jetzt zu ihm rüberblickend; scharf.
War von dir entriert worden?
DUFROY
nun doch dadurch etwas getroffen.

Wenn du das ... mit dieser Vokabel, die mich in einem solchen Zusammenhang etwas sonderbar anmutet, belegen willst ...?! Wieder einen Moment lang veränderter, sich verinnerlichender Tonfall. Nachdem über dem plötzlichen Verlust ... unsrer unvergeßlichen Mariette ... zwölf [342] Monate vergangen waren ... hatte ich es für meine Pflicht gehalten ...

GEORG
inzwischen hinter den Sessel rechts getreten, dessen Lehne er gepackt hält, und dem Blick seines Schwiegervaters nicht mehr ausweichend; Marianne ist in der Mitteltür, an deren linken Pfosten gelehnt, stehngeblieben, von wo aus sie der beginnenden Auseinandersetzung zwischen den beiden unterdrückt-angstvoll folgt.
Ich höre!
DUFROY
so schonend-rücksichtsvoll, als ihm das, einer solchen Herausforderung gegenüber überhaupt nur möglich ist.

Daß du nach einem so herben Schicksalsschlag ... tatlos zusammengebrochen warst ... hatte dir niemand verübeln können! Ich weiß: du hast deinen Fuß seitdem nicht mehr aus diesem Haus und diesem Garten gesetzt! ... Aber es liegt in der Natur der menschlichen Dinge ... und es liegt Gott sei Dank in ihr ... daß auch selbst die wehste Wunde ...

GEORG
ihm seinen schönen Satz mit verbißnem Hohn abnehmend und von sich aus zu Ende führend.
Mit der Zeit und wenn man tüchtig Verbandwatte drauftut, und so weiter und so weiter!
DUFROY
der sich dadurch noch absolut und keineswegs wieder provozieren läßt.
Dieses Gesetz ... du magst darüber höhnen und spotten ...
GEORG
sarkastisch.
Kennt keine Ausnahme!
DUFROY
auch hierin und in diesem Punkt, soweit seine Gewissenhaftigkeit ihm das erlaubt, ihm entgegenkommend.
Wenigstens keine radikale!
GEORG
kurz; grimmig; Auto entsprechend.
M! ...
DUFROY
nach einer unwillkürlich kleinen Pause; von neuem.
Nach Ablauf eines weiteren Jahrs ... frug ich dich dann abermals an, und diesmal schriftlich!
GEORG
der sich so ganz genau nicht mehr darauf besinnt.
Und ich antwortete dir darauf?
DUFROY
ihn zitierend.
»Habe noch Geduld mit mir! Dränge mich nicht! Ich bin jetzt tätiger denn je!«
GEORG
ungläubig sich vergewissernd.
Wörtlich?
DUFROY
einen Pflock zurücksteckend.
Dem ... Sinne nach!
GEORG
ihn quälend, wie ein Junge an einem Faden einen Maikäfer [343] quält.
Und nun kommst du, nicht wahr, und frägst mich heute zum dritten Mal?!
DUFROY
in der vagen Hoffnung, ihn durch eine, wenn auch nur halbe captatio benevolentiae wieder zur Räson zu bringen; ihm aber dabei doch gleichzeitig seine unbedingte und absolute Mißbilligung sehr deutlich zu verstehn gebend.
Ein Mann, wie du ... hat auf kopfhängerischen Müßiggang ... und dauernde Indolenz kein Anrecht!
GEORG
den scheinbar ganz Erstaunten und Überraschten spielend.
Ich denke, du hast doch ... eben erst selbst gesagt ... ich hätte dir bereits schwarz auf weiß ...
DUFROY
dies Katz- und Mausspiel jetzt energisch beendend.

Und die Früchte deiner Tätigkeit? ... Die Ergebnisse, zu denen du gelangt bist? ... Willst du sie mir nicht vorzeigen? ... Du schweigst??

GEORG
mit sich ringend.
...
DUFROY
dessen »Geduld« jetzt zu Ende ist.

Ja, du kannst doch nicht hier so dein ganzes Leben ... Abbrechend und sofort wieder, noch fragend-vorwurfsvoller, von neuem. Möchtest du dann nicht jetzt wenigstens endlich wieder ... mit deinen Vorlesungen beginnen?

GEORG
jetzt endlich mit sich im reinen; sich unwillkürlich etwas höher reckend; sein Temperament geht mit ihm durch.

Was ich vor meinem Auditorium, von meinem geweihten, hochragenden, mir von Staats wegen aufgestellten Katheder, unter dem heiligen Schirm und Schutz eurer »Universitas literaria« jetzt mitzuteilen hätte ... wäre für eure überlieferte ... professionelle Schusterweisheit ...

DUFROY
der sich vor diesem Ton und Inhalt, bei dem Wort »Schusterweisheit« merkbar zurückgezuckt, von seinem Sessel unwillkürlich erhoben hat; so ehrlich zornig, daß er kaum noch sprechen kann.
Zu wem ...
GEORG
wieder zu sich gekommen; sich mit den Fingerspitzen der Linken leicht über die Stirn streichend.
Verzeih! ... Ich war in der Form ...
DUFROY
der sich mit Gewalt bezwungen hat; sich wieder setzend.

Und ... e ... die Sache? ... Seine Stimme, durch die jetzt ein gerechter [344] Groll klingt, wieder anschwellend, Tonfall fast inquirierend. Die dich zu dem dir anvertrauten Lehramt ... wie ich aus deiner maßlosen Invektive unbedingt habe heraushören müssen ... in eine solche Widerspruchsstellung gedrängt hat ... daß du dich in deiner Form mir gegenüber ... derartig hast vergessen und vergreifen können?

GEORG
seinen verräterischen Ausspruch zwar außerordentlich bedauernd, aber sonst und im übrigen nach wie vor nicht gewillt, vor seinem Gegenüber auch nur einen Millimeter breit zurückzuweichen.

Ich bitte dich gern ... noch mal um Entschuldigung ... meine kühne, schwungvoll improvisierte Rede war ein Temperamentsausbruch ... aber es ist absolut nicht mein Vorhaben, dir schon jetzt ... mit dem Beweis, daß ich in dieser langen Zwischenzeit nicht bloß so dagesessen und die Daumen gedreht habe ... lästig zu fallen!

DUFROY
in seiner Fehde gegen ihn weiter; auf eine klippe und klare Beantwortung der von ihm gestellten Frage nun unter keinen Umständen und unter gar keiner Bedingung mehr verzichtend; gehalten-eindringlich.

Wir standen bisher auf demselben Boden! Wir kämpften Schulter an Schulter! Unser beider Streben, in seinem letzten, besten Sinn, war aus das gleiche Ziel gerichtet! Wäre es nach all dem Gemeinsamen, das uns auf diese Weise verband, nicht doch besser und vorzuziehn, ich erführe das, was dich mir so entfremdet ... schon jetzt? Wie bereits im voraus schon von der bloßen Möglichkeit dieser Möglichkeit aufs empfindlichste verletzt. Und nicht erst als letzter, nachdem es inzwischen womöglich die Runde bereits durch die ganze wissenschaftliche Presse gemacht hat?

GEORG
ausholend; mit einer heimlich drohenden Verwarnung in seinem Ton.

Mein Manuskript ... ist noch nicht abgeschlossen und fertig! Seine eigentümlich-dokumentarische, konfessionell tagebuchartige, intime Darstellungsform ... die sich mir aus meinem Fall ... als die leider einzig mögliche einfach aufzwang ... ist eine extrem individuelle!

DUFROY
aggressiv-anerkennend.
Das sind wir doch bei dir ...
GEORG
wie vorhin; nur noch verstärkt.

Das Ganze mit seinen zahllosen, bis zum Überdruß immer wieder und wieder variierten, sorgsamst [345] bis in die geringfügigsten scheinbar nur zufälligen und belanglosen Kleinigkeiten, Einzelheiten und Nebenumstände systematisch protokollierten Beobachtungs- und Versuchsreihen ... wird dich vielleicht überhaupt bloß ... wie eine überumfängliche, unnötig weitläufige, mit allerhand Persönlichstem durchspickte Materialienaufhäufung anmuten! Fernes, wie fragendes Auto.

DUFROY
ganz erstaunt-verwundert.
Um so angenehm-aufschlußreicher und ... interessierender!
GEORG
noch eifriger; in erhöhter Bedrängnis.

Allein schon die Materie selbst ... rein an sich und als solche ... Dufroy aufhorchend. dürfte dir eine so widerwärtig-antipathische sein ...

DUFROY
als hätte er nicht ganz recht gehört; die Augen leicht zusammengekniffen.
Ein Wissensgebiet, das mir schon rein an sich und als solches ...?
GEORG
noch pointierender und deutlicher; in seiner warnenden Abmahnung jetzt ganz offen und unverhüllt.

Ja, ich gehe sogar noch weiter! Und bin mir darin ganz sicher! Schon allein die abstrakte Möglichkeit, schon allein die bloße, abstrakte Existenzmöglichkeit der hier in Frage stehenden, von mir behandelten, einschlägigen Wissensmaterie muß dir, und zwar auf Grund dessen, was du für deine bisherige, unter Opfern schwer errungene Weltanschauung hältst, so sonderbar seltsam und verdächtig vorkommen, daß du sie rund und glatt, ohne dich auch nur zu bedenken, von vorne herein leugnen wirst!

DUFROY
scharf aufmerkend geworden; mit leicht gerunzelter Stirn.
Du mutest mir zu ... du unterstellst mir ...?
GEORG
ihn fest dabei anblickend; prononciert betont.

Eine »Zumutung« und »Unterstellung«, Irgendwo wird irgend etwas allerhäßlichst geklopft. für deren leider typische Berechtigung es in der Geschichte unsrer menschlichen Errungenschaften an betreffenden Vorbildern und Beispielen nur so wimmelt!

DUFROY
unwillkürlich etwas vorgebeugt, als hätte sein Gegner sich damit das Unerhörteste geleistet, was menschlicher Unverstand sich überhaupt aus der Luft greifen könnte.

Ein Naturwissenschaftler, ein moderner, ernsthafter Naturwissenschaftler, der aus irgendeinem Gefühls- oder Empfindungsuntergrund der [346] ersten Voraussetzung aller Forschung ... unbeschränkte Wahlfreiheit des zu bearbeitenden oder gar noch besser neu zu erschließenden Wissens- oder Erkenntnissegments ... willkürlich apriorische Grenzen stecken wollte?Wieder das Geklopfe; noch stärker.

GEORG
mit seiner innersten Überzeugtheit nun nicht länger mehr zurückhaltend.

Du würdest nicht der letzte sein ... wie du ... ich betone das zu meinem Bedauern scharf und nochmal ... schon nicht der erste gewesen wärst!

DUFROY
leicht zurückgeprallt.
Du stabilierst das mit einer Positivität und Bestimmtheit ...
GEORG
ironisch-zuvorkommend.

Es würde mir ein erlesenster, ausgesuchtester Genuß sein, verlaß dich drauf ... und es scheint mir fast überflüssig, das hier noch hervorzukehren ... wenn es sich zu meiner Überraschung ergeben sollte, Mit versteckter, seinen Gegner offenbar ganz besonders peinlich berührender Anspielung. daß sich auch bei dieser Gelegenheit »Theorie« und »Praxis« für dich decken!

DUFROY
den Kampf damit beenden wollend; mit aller Gewalt sich zur Ruhe zwingend.
Darf ich dich nun ... um deine epochale ... »Materie« bitten?
GEORG
mit unwillkürlich nochmaligerWarnung.
Wenn du darauf ... bestehst?
DUFROY
eigensinnig-hartnäckig; nur noch mit Mühe beherrscht.
Ich bestehe darauf!
GEORG
nochmals; mit letzter Ansich- und Zurückhaltung.

Ich befürchte allerdings ... du wirst diesmal an meiner »suprakritischen, hyperskrupulösen Präzisionsmethodik«, die dich mir ursprünglich mal so gewann ... nur wenig Freude erleben!

DUFROY
der langen Diskussion satt; in seinem heimlichsten Eigenstolz durch all das ihm Entgegengehaltne auf das empfindlichste gekränkt.
Nach dieser Richtung ... glaube ich ... hast du mich jetzt bereits zur Genüge vorbereitet.
GEORG
mit plötzlichem Entschluß; die Hände von seinem Sessel lassend.

Schön! Da du mich fast dazu zwingst ... Bereits nach seinen Zimmern hin. Ich werde dir also meine einstweilige, vorläufige Unterlage ...

[347]
MARIANNE
die von ihrem Platz aus der erregten Debatte mit wechselndem Mienenspiel gefolgt war; mit einer ihr im Moment kaum selbst zum Bewußtsein kommenden Bewegung, als wolle sie Georg noch im letzten Augenblick von seinem Vorhaben abhalten.
Ich denke ... deine Papiere ...Gurrender Wildtauber. Ich sah da noch gestern alles so verstreut ...
GEORG
schon nach den ersten Schritten stehngeblieben.
Du hast allerdings recht! ... Zaudernd-zögernd zu Dufroy. Wäre es nicht dasselbe ...
DUFROY
autoritative, Einspruch erhebende Geste; fast bereits ungehalten.

Nicht erst morgen! Gleich! Wie du es mir eben versprochen! ... Nun zuerst halb auch noch zu Marianne rüber; gegen alle beide nicht ohne einen gewissen, sich beschwerenden Vorwurf. Es dauert ja schließlich ... keine Ewigkeit!

GEORG
dem jetzt etwas andres nicht mehr übrigbleibt; an Marianne vorüber, deren Blick er leicht streift, auf die Tür links zu.

Also einige Minuten!Ab, während beide ihm nachblicken, nochmal der jetzt wie blödsinnig gewordne Wildtauber.

DUFROY
nachdem er sich inzwischen wieder einigermaßen beruhigt und gesammelt hat; aus einem in ihm aufgestiegnen, unbestimmten Verdacht zu Marianne rüber.

Bist du über diese ... »einstweilige, vorläufige Unterlage«, mit der er mir jetzt kommen will ... informiert?

MARIANNE
erst jetzt, trotz aller Besorgtheit, mit der sie dem nun unausweichlich Kommenden entgegensieht, von einem innern Alpdruck wie befreit, von ihrem Platz sich loslösend; alle ihre Kraft zusammennehmend.

Ich ... glaube, ja! Langsam näher auf den Tisch zu. Und ... ich bitte dich deshalb allerherzlichst schon jetzt ...

DUFROY
sie erregt unterbrechend; sich in seinem Sessel dabei wieder breit zurücklehnend.

Und darüber hast du mir ... so oft du bei uns drüben warst, auch nicht die leiseste Andeutung gemacht? Hast du mir nie auch nur das geringste Sterbenswörtchen gesagt?

MARIANNE
in den Sessel rechts sich jetzt ebenfalls niederlassend; ihre Worte so vorsichtig als nur irgend möglich; schonend-behutsam.

Die Dinge ... mit denen Georg sich in diesen letzten [348] Jahren beschäftigt hat ... liegen deiner Anschauung so fern, die Ergebnisse, zu denen er gelangt zu sein glaubt, waren zum Teil ... oft auch noch selbst für mich so befremdlich überraschende ...

DUFROY
der sie so lange angeblickt hat; fast bestürzt.
Ihr sprecht ja beide ...
MARIANNE
seinen Blick jetzt erwidernd; in nur noch schwer und mühsam verhaltner Erregung.

Es wäre für mich das Schrecklichste, wenn nach allem, was uns betroffen ... Fernes, tiefes Auto. jetzt auch noch zwischen dir und Georg ...

DUFROY
mit stärkster Selbstbeherrschung sich bezwingend.

Du darfst völlig beruhigt sein! ... Schon allein ... um deinetwillen ... werde ich nichts unversucht lassen, um einen Konflikt ... Abbrechend und sofort, auf ihre Antwort offenbar lebhaft gespannt, wieder von neuem; das Auto von vorhin näher gekommen. Hast du ihm bei seiner Arbeit ... etwa ähnlich, wie schon damals, während deiner Genfer Studienzeit und Dozentur ... wieder irgendwie welche Beihilfe geleistet?

MARIANNE
ausweichend; fast wider ihren Willen mit einer kleinen, leisen Sophistik.
Bei seiner eigentlichen Arbeit diesmal ... nein!
DUFROY
sich nochmal, obgleich ihn diese Antwort ganz selbstverständlich nicht befriedigt hat, mit Rücksicht auf die Situation bezwingend und beschwichtigend; das Auto unmittelbar vorbei.

Nun ... ich bin neugierig! ... Nach einer kleinen Pause; veränderter Tonfall; den Kopf grübelnd in die rechte Hand gestützt, deren tastende Fingerspitzen nervös-suchend vor der Stirn. Seit diesem Unglück mit Mariette ist Georg gegen mich von einer Feindseligkeit ...

MARIANNE
schnell; fast wie erstaunt-überrascht.
Gegen dich? ... Zerquält-bitter. Gegen alle und alles!
DUFROY
ungeduldig.

Mag sein! Aber gegen mich ... In plötzlich nachträglich in ihm aufsteigender Gekränktheit und Erbittrung. wenn du eben Ohren gehabt hast, zu hören ... Noch einmal das Auto von vorhin; bereits wieder in der Ferne. in einer Zuspitzung ...

MARIANNE
die dies zu ihrem eignen, schmerzlichsten Bedauern nicht leugnen kann; mit dem Versuch, ihm und sich darüber hinwegzuhelfen.
[349] Ich ... räume ein, ich kann dir da leider ... nicht völlig widersprechen, aber ...
DUFROY
noch gesteigerter als vorhin.

Als ob ich ihm mal irgendwie, ich weiß nicht recht ... Jetzt zu ihr aufblickend; mit zurückerhobnem Haupt, den Ellenbogen noch gestützt, als hätte er das Gesuchte, wenn auch vorläufig nur erst im Prinzip, plötzlich aufgestöbert. das allerschwerste, persönliche Unrecht getan!

MARIANNE
in dem instinktiven Bemühen, Georg, und sei dies auch nur bis zu einem gewissen Grade, vor ihm zu entlasten.
Du mußt eben ... Georg ...
DUFROY
von der unbedingten Richtigkeit der von ihm verfolgten Fährte jetzt bereits fest überzeugt; immer hartnäckiger.
Und ich kann ihn verstehn! Ich begreife und billige sogar vollkommen seinen Gedankengang!
MARIANNE
die diesen »Gedankengang« aus seinen Augen und seinem Mienenspiel vergeblich zu erraten versucht.

Falls du ... so gut sein willst ...

DUFROY: Mariette hat ihre Tat ... Auf eine gegen diese Auffassung und namentlich deren Bestimmtheit unwillkürlich protestierende Geste Mariannes; fast heftig. Jawohl, ihre Tat! Davon bist du überzeugt, wie Georg! ... Erbittert weiter, während Marianne sich gegen diese der Wahrheit nur allzu entsprechende Feststellung nun nicht mehr aufzulehnen wagt. Mariette hat ihre Tat in hellem Wahnsinn begangen! ... Auf eine jetzt plötzlich ganz naiv stutzende Bewegung Mariannes, die deutlich ihren Unglauben an diesen »Wahnsinn« verrät. In hellem Wahnsinn!! Und wer will ihm beweisen, durch nichts könnte man ihm jetzt doch schließlich ausreden, daß dieser Fast jede Silbe nachdrücklichst betont. Wahnsinn nicht bereits vorbedingt gelegen in der psycho-physischen Gesamtkonstitution ihrer Mutter?!

MARIANNE
mit »großen Augen«; allereifrigst.
Du irrst dich! Ich ... glaube bestimmt ...
DUFROY
unwillig.

Verlaß dich drauf! Von seiner Überzeugung immer durchdrungner. Er trägt es mir nach ... und ich mache es mir ja jetzt schließlich selbst zum Vorwurf ... daß ich vor fünfunddreißig Jahren ...

[350]
MARIANNE
die ihn erst jetzt ganz begreift.

Du traust Georg ... eine solche Ungerechtigkeit zu? ...Mit größter Entschiedenheit. Nein! ... Da bist du ganz ...

DUFROY
vor diesem Ton, durch ihre absolute Sicherheit irritiert, etwas einlenkend.
Das sage ich mir ja allerdings ... auf der andern Seite wieder auch! Nur ...
MARIANNE
noch bestimmter.

Und dann und ... vor allem! Sich nochmal vergewissernd; als verstünde sie gar nicht, wie er auf einen solchen Verdacht ernstlich überhaupt gekommen sein könnte. Mariette und ... »wahnsinnig«? Im regulär üblichen Sinne zuletzt wahnsinnig? ... Das ist doch von dir ... bloß eine Annahme?!

DUFROY
aus stärkster selbstquälerischster Überzeugtheit; fast verzweifelt.
Es ist keine Annahme!! ... Leiden Gottes! Nein!!
MARIANNE
an ihrer Gegenüberzeugung festhaltend.
Solange du mir nicht ...
DUFROY
unruhig-ausholend.

Es fällt mir ... etwas schwer, dir das anzudeuten, aber ... durch einen mir beruflich befreundeten Gynäkologen, den deine Schwester noch keine vierundzwanzig Stunden vor jenem entsetzlichen Schreckensbegebnis konsultiert hatte, weiß ich mit aller Bestimmtheit ... und zwar bereits seit Jahr und Tag ... daß sie sonst in absehbarer Zeit ... Da er jetzt merkt, daß er bereits verstanden wird; seinen Satz, schnell anders gedreht, endend. es hätte sich eben gerade ... noch um sieben Monate gehandelt!

MARIANNE
über diese Eröffnung fast fassungslos.
Das? ... Das hat dir der Mann ...?
DUFROY
hart nickend.
Das!
MARIANNE
noch ganz betroffen-entsetzt; als könne sie an das Gehörte noch immer nicht recht glauben; in diesem Augenblick ganz die »Tochter ihres Vaters«.

Eine medizinische Kapazität ... der notorisch angesehenste, berühmteste unsrer Berliner Frauenkliniker ... denn in der betreffenden Annahme irre ich mich doch wohl nicht? ... und von einer ... derartigen Indiskretion?

DUFROY
herb-bitter.

Indiskretion! In einem solchen Fall und unter Kollegen! ... Die ihm angetane Schmach und Marter sich nochmal, fast wie in seelischer Selbst-Vivisektion, zurückrufend. Der[351] Mensch sah mich in meiner Trostlosigkeit und in meinem Schmerz, und es war ihm zweifellos ein Genuß, durch seine »vertrauliche Mitteilung« unter dem Siegel der »brüderlichen Amts-Verschwiegenheit« die Qualen, die ich litt, Gelbspötter. »Grüß di Gott! Grüß di Gott!«. nun noch erst recht ... Abbrechend; letzte, schmerzlichste Verachtung. »Kollegen!«

MARIANNE
die sich in der Zwischenzeit wieder etwas gesammelt hat: auch jetzt noch nicht überzeugt.
Auch der erfahrenste Fachmann ...
DUFROY
ihren Satz fort- und zu Ende führend.

Kann sich mal ab und zu irren! Gewiß! Nur in diesem fraglichen Zustand ... sind die Symptome so sichre, jede Möglichkeit einer trügerischen Diagnose meist von einer so apodiktischen Unwahrscheinlichkeit ...

MARIANNE
die bei ihrem Unglauben bleibt, noch gesteigert.

Mariette und »Wahnsinn!« ... Daran glaube ich nicht! Das halte ich für ganz und gar ausgeschlossen! Und wenn du mir dafür noch hundert ...

DUFROY
sie groß anblickend, fast gespannt-erwartungsvoll; die einzelnen Akzente scharf-nachdrücklich betont.

Du kannst mir für Mariettes Grauentat ... Wieder Wolkenschatten; etwas dunkler. irgendeinen andern ... zureichenden Grund ...Auto: hoher, lang gezogner, doppelter Fanfarenlaut. nicht geben!

MARIANNE
die heimliche Brücke, die er ihr damit gebaut, unwillkürlich betretend.
Der noch einzig möglich andre ...
DUFROY
sie sofort von diesem Weg wieder zurückreißend.

Ist für uns beide von einer solchen Indiskutierbarkeit ... daß es mir, ehrlich gesagt, nicht recht verständlich ist, wie du überhaupt ...

MARIANNE
wieder zur Besinnung kommend.
Du hast recht! ... Wie durfte ich auch nur einen Augenblick ...
DUFROY
versteckt-mißtrauisch; von neuem.
Oder hat dir ... vielleicht Georg ...?
MARIANNE
erstaunt aufhorchend.
Georg??
DUFROY
sich fast wider seinen Willen noch einen Schritt weiter wagend.
Es würde mir dadurch manches ...
MARIANNE
noch verwundert-befremdeter; leicht abweisend.
Georg ... hat sich zu mir ... über derartiges nie ...
DUFROY
nicht recht mit sich im klaren, welche Taktik er jetzt in diesem [352] Augenblick ihr gegenüber einschlagen soll; den Kopf hin und her.
Hm ... hm ... hm ... hmm!!
MARIANNE
aus ihrer Zurückhaltung beinahe offensiv.
Es scheint mir aber fast ... Zankende Spatzen. als ob gradezu du ...
DUFROY
nun zu einer näheren Erläuterung und Erklärung seines wiederholten, vorsichtigen Fühlhörnerausstreckens so gut wie gezwungen.

Etwas befremdend berührt und ... eigentlich schon damals lebhaft beunruhigt ... hatte mich allerdings eine Mitteilung ... die mir bald nach jener fürchterlichen Entsetzensnacht ... gleich, ob mit, oder ohne besondre Absicht, deine Großmutter gemacht hat!

MARIANNE
ganz erstaunt.
Großmutter?
DUFROY
nicht ganz angenehm davon berührt, daß sie ihn durch ihre verwunderte Frage nun auch noch in diesem Punkt zu einer Art Kommentar drängt.

Gelegentlich einer ... ihrer damals ersten ... religiösen, bedauerlich selbstquälerischen Gemütsdepressionen, die bei ihr seitdem ...

MARIANNE
in jetzt auf einmal plötzlicher Erinnrung an das erst vor so ganz kurzem nach dieser Richtung von Onkel Ludwig Gehörte ihm seinen Satz unwillkürlich schnell schließend.
So erschreckend häufig geworden sind! Ich weiß! Ich weiß!
DUFROY
immerhin froh, seinen gesuchten Anfang damit nun wenigstens glücklich gefunden zu haben.

Wie unser alter Hauswart ihr damals nachträglich anvertraut hatte, muß Mariette ... das genaue Datum ließ sich zu meinem Bedauern nicht mehr feststellen, jedenfalls aber bereits eine geraume Reihe Wochen vorher ... fast eine ganze Nacht, und zwar ohne sich in der Begleitung Georgs oder einer andern, mir bekanntgewordnen, verläßlichen Person zu befinden, irgendwie außerhalb des Hauses verbracht haben!

MARIANNE
die ihm aufmerksam zugehört.
Diese bloße Tatsache allein ...
DUFROY
der sie nicht ausreden läßt; alle »Indizien« sorgfältigst unterstreichend.

Sie wird auch dir vielleicht etwas sonderbar und eigentümlich vorkommen, wenn ich dir die Eröffnung mache, daß erstens deine Schwester damals das Haus nicht, wie sonst ausnahmslos, in ihrer Equipage verlassen haben konnte, da sie bei ihrer späten Heimkehr in einem ganz gewöhnlichen, üblichen [353] Mietsauto vorgefahren kam, zweitens, daß der dadurch mitten aus seinem Schlaf Geschreckte, dem es bei seinem Gang mit ihr durch den Garten auffiel, daß sie als Kopfputz nur einen leichten Schleier um hatte ... aus welchen Gründen weiß ich nicht, ich erwähne das nur ... daß dieser Alte zu seiner weiteren Verwundrung die Haustür hier hinten dann sperrangelweit offen und das kleine Gartenpförtchen nach dem Kanal zu, das er selbst, Punkt zehn Uhr, ordnungsgemäß geschlossen hatte, nur leicht angelehnt fand ...

MARIANNE
ihn sehr ruhig unterbrechend.
Daraus ginge doch bloß hervor ...
DUFROY
ihren Satz fortsetzend und beschließend; die sich auch für ihn als notwendig ergebende Schlußfolgerung wie die verwerflich-auffälligste Tatsache von der Welt betonend.
Daß Georg auf seine Frau ... wahrscheinlich ... bereits stundenlang gewartet hatte!
MARIANNE
scheinbar ganz verwundert.
Nun ja, und?
DUFROY
durch ihren seltsam passiven Widerstand fast gereizt.

Um so befremdlicher, daß diese dann ... Ein großer, ganz zweifellos schwarzer Hund irgendwo bellt. offenbar in der Absicht ... ihren Mann zu vermeiden ...

MARIANNE
jetzt ebenfalls etwas nervös; ungeduldig.
Kombination! Wie willst du wissen ...
DUFROY
wie ihre »oberflächliche Leichtfertigkeit« nicht begreifend.

Kombination? Kombination, wo Mariette, drittens, und da unterbrachst du mich vorhin, dem Alten, für seine ja doch schließlich nur ganz selbstverständliche Pflichtleistung, gradezu eine Barsumme angeboten hatte, ein Schweigegeld, das er ehrlich genug gewesen war, abzulehnen?

MARIANNE
in ihrer Verteidigung der durch ihn so Verdächtigten verharrend.
Wir können trotzdem ...
DUFROY
beeilt; unwillkürlich.
Gott sei Dank nicht! Gott sei Dank noch nicht!! Von neuem Sonne.
MARIANNE
die feinen Brauen leicht zusammengezogen.
Und doch ... nimmst du ... gradezu an ...?
DUFROY
heftig; sie mit ihrem anklagenden Vorwurf nicht erst ausreden lassend.

Verbrechen oder nicht ... Wahnsinn!! Der schwarze »Pluto« von vorhin noch intensiv-ungehaltner. In jedem Fall Wahnsinn!! Schon immer in ihr latent gewesner, konstitutionell-hereditärer, [354] plötzlich, jähkatastrophal-eruptiv, nach außen hin durchgebrochner Wahnsinn!! Wie hätte sonst eine Frau, eine gebildete, feine Frau, die erzogen war, wie Mariette ...

MARIANNE
die an diese Annahme und Auslegung von ihm noch immer nicht glauben will.
»Wahnsinn!« ... »Wahnsinn!«
DUFROY
noch gesteigert.
Aber ganz ohne jede Frage!
MARIANNE
wie vorhin.
Ich ... kann dir da ...
DUFROY
hartnäckig; fast eigensinnig.

Laß dir das versichern! Von allen übrigen Beweisen, Symptomen und Anzeichen meinetwegen sogar mal einen Augenblick grundsätzlich abgesehn! Allein bereits jene sinnlose, krankhafte, mir stets unerklärbar gewesne Eifersucht auf dich, die, kaum daß Georg in unser aller Leben damals aufgetaucht war ... ohne, daß er dich je, und zwar noch dazu auf deinen eignen, ausdrücklichen, persönlichen Wunsch, auch nur eine einzige, halbe Sekunde lang zu sehn bekommen ... sofort eingesetzt hatte, die, obgleich du dann doch die ganzen, nächsten Jahre, bis zum unglücklichen Tode Mariettes, ununterbrochen abwesend warst, sich wahrhaft bis zur Unerträglichkeit steigerte, und die nicht eher geruht hatte, als bis ...Schleppdampfer vom Kanal her; Hamburger Hafenklangfarbe.

MARIANNE
durch sein Wiederaufwühlen so vieler vergangener Dinge, wie sie glaubt, unnütz von ihm gequält.
Nun ja, ja, ja, aber ...
DUFROY
in seiner Begründung weiter.

Das allenfalls einzige, kärgliche, kümmerliche Bißchen und Stückchen Untergrund und Anlaß dafür, eure auffallende, irritierende, absolute Ähnlichkeit ...

MARIANNE
in seine plötzliche Pause; schwer vor sich hin.
Ein Schicksalsgeschenk, für das wir Schwestern beide ...
DUFROY
fast unwirsch.
Wenn jedes Schwesternpaar ...
MARIANNE
ganz erstaunt-überrascht.
Du ... nimmst das so leicht?
DUFROY
ihren Vorwurf zurückweisend.

Leicht! Leicht! Dem von ihr so plötzlich in den Vordergrund gerückten Problem nun nicht länger mehr ausweichend. Ich habe mir ja oft auch über dieses Faktum und Fatum, über diese launisch seltsame, merkwürdige Zufallsfügung, zum mindesten aber und namentlich in diesen letzten Jahren, die wiederholt bizarrst grüblerischsten, absonderlichsten Gedanken gemacht!

[355]
MARIANNE
müde, resigniert-schmerzliche Geste.

Was hilft jetzt alles nachträgliche ... Spintisieren und Rückwärtsrechnen ... wenn sich dadurch ...Pferdegetrappel.

DUFROY
sich jetzt gewissermaßen selbst Rechenschaft ablegend; mit jedem neuen Detail immer interessierter.

So amüsant reizend und drollig, als ihr noch Kinder wart, die immer wiederkehrende Verwechslungskomödie zwischen euch, die Großmutter und mich oft in die ratlos komischsten Situationen und Verwirrungen brachte, auch auf alle Welt wirkte, und natürlich und selbstverständlich am weitaus meisten und elementarsten auf uns selbst: bereits euer erster Eintritt in die Gesellschaft, als ihr in weißen Blütenkleidern, jede sie selbst und zugleich, durch ein seltenstes, erlesenstes, wunderlichstes Naturspiel, auch wieder die andre, Arm in Arm durch die sich überrascht und erstaunt vor uns öffnenden Reihen in den großen, festlich erleuchteten Saal der Philharmonie tratet, machte mich stutzen! ... Ein sanft tirilierendes Rotschwänzchen. Und als dann auch auf den nächsten Bällen, so unbestreitbar eure junge, strahlende, fremdartige Schönheit auch überall den Mittelpunkt bildete, grade die ernsthafter in Frage kommenden jüngeren Herren Adoleszenten und allenfallsigen Aspiranten, nach deutlich sich auf ihren Gesichtern verratenden Seelenkämpfen, zu eurer innerlich nicht geringen Erheitrung, Belustigung und Ergötzung, immer wieder tapfer kehrtmachten, wurde auch Großmutter ... nachdenksam!

MARIANNE
apathisch ablehnend.
Das ist ja alles ...
DUFROY
noch immer lebhaft bei seinem »Problem«.
Die Tragödie begann erst ...
MARIANNE
durch diese Wendung, mit der er in seinem immer farbig-spezifischer gewordnen Memorial fortfahren will, plötzlich ergriffen; unwillkürlich in seinem Satz weiter.
Als in meiner Abwesenheit Georg ...
DUFROY
eifrig nickend; Ton noch verstärkt.
Als in deiner Abwesenheit Georg ...
MARIANNE
ausbrechend; aus seinem langen Exkurs jetzt das für sie resultierende Fazit ziehend.

Mariette ... hätte sich nie das Leben genommen ... und ich selbst käme mir nicht rein dadurch, daß [356] ich existiere und existierte ... jetzt fast wie halb schuldbeladen vor ... wenn ein mitleidigeres Geschick ...

DUFROY
wie vorhin; ihren Satz schließend; fast bedauernd-feierlich.
Eure Körper so verschieden wie eure Seelen geformt hätte!
MARIANNE
in ihrem Resümee von neuem.
Dieser böse Fluch ...
DUFROY
noch verstärkt.

Diese Danaergabe in Verbindung und im Verein mit ihrer unglücklich ererbten, seelisch morbiden, traurigen Veranlagung und Prädisposition ... scheint in der Tat deine arme Schwester, wie ich zugeben muß, mit der Zeit und auf die Dauer ... speziell gegen dich ... ich will und möchte ja nicht geradezu sagen und behaupten, auf erotomanischer Grundlage, aber ... »Explodierendes« Auto. jedenfalls mit einem Zorn, einer Abneigung und einem Haß erfüllt zu haben, Nach dieser eleganten Kurve auf seine unterbrochne Beweisführung wieder zurückkommend; fast jede Silbe steigend betont. der die auch nur entfernteste Möglichkeit irgendeiner psychologisch hinlänglichen Andersausdeutung für jeden Sachkenner und Fachmann von vorne herein und a priori ausschließt!

MARIANNE
in ihrem Widerstand einen Augenblick nun doch fast wankend.
Ich fand allerdings ... nach ihrem Tode hier Aufzeichnungen vor ... die für deine Ansicht ...
DUFROY
aufhorchend-neugierig.
Aufzeichnungen? Was für ...?
MARIANNE
der ihre kleine »Indiskretion« offenbar schon halb wieder leid tut.

Ausbrüche, Klagen und Anklagen, die ich dir nicht vorenthalten hätte, wenn sie mich nicht in ihrer erbitterten, Plötzlich, ganz gegen ihren Willen die denkbar stärksten Worte wählend und so ihre Position, die sie so lange mühsam aufrechterhalten, einen Moment fast preisgebend. bösartigen, ich muß gestehn, fast monströsen Vehemenz ... Radfahrer.

DUFROY
einfallend; triumphierend-heftig; alles übrige ihr damit abschneidend.
Das genügt! ... Das genügt mir! ... Das genügt für mich und mein Urteil ... vollkommen!!
MARIANNE
achselzuckend; noch immer, trotzdem, nicht überzeugt.
Für ... mich und ...
DUFROY
über ihre Worte hinweg; aus tiefster, innerster Selbstqual; sich schnell und bis zum Schluß steigernd.

So ... hat sich jetzt jene Handlungsweise, die ich damals für die altruistischste meines [357] Lebens hielt, daß ich von deiner Mutter nicht ließ, daß ich ihr, allen vernünftigen Gegengründen zum Trotz, die ich sämtlich sah, die sich mir einer nach dem andern aufdrängten und von denen jeder für mich infallibel war, zu einem Bunde die Hand reichte, der in diametralem, unüberbrückbarem Widerspruch mit meinem letzten, innersten Wissen und Gewissen als Mensch und als Forscher stand ... so hat sich das nun ... gerächt! ...

MARIANNE
zart, weich, aus überquellendstem Mitleid; ihren eignen Kummer fast vergessend.
Du mißt dir eine Schuld bei ... wo du doch grade ...
DUFROY
in seiner Selbstanklage nun noch erbitterter.

Ein Arzt, ein durch unsre ganze, neuzeitliche Schulung gegangner Physiologe, der gläubigste, glühendste Propagandist und Apostel für die praktische Notwendigkeit einer absolut lückenlosen Vererbungsmathematik ... und in seinem eigenen Tun und Nichtlassen ... Abbrechend und sofort nieder von neuem. Das mußte ja ... zu irgendeiner Wiederwettmachung ... und Vergeltung führen! Diese gerechte Strafe ... Die Stimme versagt ihm fast. habe ich doch auch bloß ... verdient!!

MARIANNE
sich jetzt immer mehr und mehr auf seine Seite stellend.

Da du, grade als Arzt ... damals genau wußtest ... daß diese Heirat für Mutter ... die so schwärmerisch zu dir aufblickte ... die so exaltiert an dir hing ...

DUFROY
einlenkend-zugebend.

Das ist ja wahr! Ich stand vor der Alternative, ein Wesen, das ich liebte und das mich ... armen Menschen selbst ... gradezu vergötterte ... in schneller Frist rettungslos ... entweder vor mir hinsterben zu sehn oder ... mich eben zu entschließen ...

MARIANNE
ihm schnell zur Hilfe kommend; jetzt ganz auf seiner Seite.

Und du entschloßt dich so selbstlos, daß ich mir eine noch selbstlosere Handlungsweise überhaupt gar nicht vorstellen kann!

DUFROY
abwehrend; schmerzlichst.

Wäre ich damals selbstlos gewesen ... ich würde mir heute ... vielleicht keinen Vorwurf machen! Daß ich von deiner Mutter nicht ließ, daß ich auf diese kurze, glücks- und schmerzensreiche Vereinigung mit ihr nicht verzichtete, einfach nicht verzichten konnte, daß ich dazu nicht die Kraft besaß ... Seinen Satz unterbrechend; erläuternd. ich hatte damals [358] extra, um mir selbst zu entfliehn, kaum drei Monate nach dem so überraschend plötzlich erfolgten Hinscheiden meines Vaters, meine große, langjährige, südostasiatische Reise unternommen ...

MARIANNE
nickend.
Ich weiß!
DUFROY
verstärkt; noch in seiner selben Erläutrung.

Vergeblich ... Erst jetzt seinen Satz schließend. grade das war die höchste, denkbar ausgesprochenste, raffinierteste Form meines Egoismus gewesen!

MARIANNE
vor so viel Selbstbezichtigung ganz starr.
Ja, aber ... auf diese Art ... und in dieser Weise ...
DUFROY
einfallend; eifrig.

Läßt sich sogar auch die heroischste Selbstverleugnung ... Ausbrechend; fast verzweifelt. Es gibt keinen »Altruismus!« Es gibt für uns nur Entscheidungen unsres Verstands oder unsrer Gefühle! Und es scheint ... Letzte, tragischste Erkenntnis, als ob er sich jedes Wort blutend aus seiner Seele risse. als führte ... durch die oft unsagbare Schmerzlichkeit dieses Lebens ... nur die kälteste, grausamste Berechnung zum Ziel!

MARIANNE
bis in ihr Innerstes erschüttert.
Und zu dieser Anschauung ... zu dieser trostlosen Anschauung ...
DUFROY
der sich mit Gewalt wieder gefaßt hat; nach einem schnellen Blick rechtsrum auf die Tür, hinter der Georg vorhin verschwunden war.

Es ist mir eine wahre Beruhigung, daß wenigstens du ... bei dem steten, unveränderlichen Gleichmaß deines Naturells ... bei deiner ganzen ... Gemütsart und Charakterveranlagung ...

MARIANNE
die seinen Blick wahrgenommen; zögernd; unsicher.
Ich ... weiß nicht ... ob du mich da nicht ... Pferdegetrappel.
DUFROY
nach einem nochmaligen, hastigen Blick auf dieselbe Tür; veränderte, etwas beschleunigtere Sprechweise.

Georg ... muß leider jeden Augenblick eintreten. Ich würde dieses Thema sonst nicht berühren! Ich berühre es auch nicht meinetwegen, liebe Tochter! Deine Anwesenheit in diesem Hause hat, soweit ich darüber informiert bin, längst aufgehört, einen beliebten Gesprächsstoff unsrer gesellschaftlich sogenannt besseren Kreise zu bilden! Aber du weißt, oder wirst doch wenigstens bereits bemerkt haben ...

[359]
MARIANNE
die schon fast nach seinen ersten Worten unruhig zurückgestutzt war; ihn unterbrechend; abkehrender, beinahe harter Tonfall.
Du kommst ... auf Wunsch ... um nicht zu sagen, im direkten Auftrag von Großmutter?
DUFROY
der sie groß anblickt; ganz unwillig-überrascht.
Es muß ... zwischen dir und Georg ... doch mal endlich ... Wildenten.
MARIANNE
aufgestanden; ihm gegenüber; ihren Hut, den sie vom Tisch genommen, in der starrkrampfhaft herabhängenden Rechten.

Wenn du willst ... verlasse ich dies Haus ... mit dir schon jetzt ... Blick nach der Tür ihr gegenüber. und noch ehe ...

DUFROY
der sich sofort, halb mechanisch, ebenfalls erhoben hatte und nun ihrem Blick gefolgt war; besorgt-angstvoll.
Ihr seid euch in diesen Jahren ... nicht einen Schritt näher gekommen?
MARIANNE
ihre innere Erregung mit aller Kraft zu verbergen trachtend; ihn nicht anblickend; nur langsam den Kopf schüttelnd.
...
DUFROY
unwillkürlich; durch seinen Ausruf klingt es jetzt fast wie Schrecken.
Marianne!
MARIANNE
an ihm vorbei wie ins Leere blickend.

Wir haben in diesen ganzen Jahren Dinge, die uns angingen, noch nie auch nur mit einem einzigen Wort berührt!

GEORG
bevor Dufroy, von dem ihm Eröffneten, noch ganz starr, Marianne etwas darauf erwidern kann, zurück durch die Tür links; in der Rechten ein ziemlich starkes Foliomanuskript in dunkelbuntem Lederumschlag.

Ich habe dir gleich den ganzen Schwamm ... Einen kurzen Moment stutzend und die Situation überblickend. Eine kleine Aussprache?

DUFROY
sich zusammenraffend und, etwas nach Marianne zu, hinter den Tisch getreten.

Oh ... nur ganz harmlos und nebenbei! ... Nach dem Manuskript hin, mit dem Georg jetzt näher gekommen. Das corpus delicti?

GEORG
durch diesen Ton, den er nicht recht vertragen kann, bereits wieder heimlich irritiert.
Jawohl! ... Seinen Packen wuchtig auf den Tisch legend. Der neue »codex argenteus!«
DUFROY
seiner seelischen Erregtheit noch nicht ganz Herr geworden; maskiert ironisch.
In einem flexiblen Umschlag ...
GEORG
den Satz ihm abnehmend und ihn in seinem Tonfall noch überbietend.

Aus echtem, kokett krokodilnem, pfauenbunt irisierendem [360] Japanleder!Von neuem, diesmal nach links, wieder auf und ab. Wenn du dich seines dürftigen Inhalts erbarmen willst?

DUFROY
das Manuskript aufs Geratewohl halb aufklappend und interessiert in ihm blätternd; ganz verblüfft.

Acht- oder neunhundert Folioseiten auf dünnstem Übersee, ohne jede Durchstreichung und Rasur, in deiner haarschmalen, steilscharfen,Spatzen. fast mikroskopisch kleinen Schrift ...

GEORG
in seinen Satz schnell einfallend; noch schärfer als vorhin.
Aus geschliffnen, vergifteten Dolchspitzen! Jawohl!
DUFROY
mit leicht zusammengezogenen Brauen nach ihm aufblickend.
Du solltest nicht ... von dir selbst ...
GEORG
Achselzucken; durch den so prompt zurückerhaltnen Hieb noch nervös-gereizter.

Nicht eben jeder kann, seiner großzügigen, breitbasigen, edleren Charakterveranlagung entsprechend ... Unwillkürlich stockend.

DUFROY
kühl; abwartend.
»Entsprechend ...«
GEORG
mit seinem ganzen, angesammelten Ärger jetzt rausplatzend.
Gutmütig parfümierte Löwenklauen aufs Papier setzen!
DUFROY
ruhig; überlegen.

Gewiß nicht! ... Wie um jedes etwa obwaltende Mißverständnis zu beseitigen; sofort nochmal und etwas schneller. Übrigens lag es mir durchaus fern ...

GEORG
sarkastisch; ihn nicht ausreden lassend.
Aber ganz selbstverständlich! ... Grob nachhinkend; hinterdrein. Mir gleichfalls! ...
DUFROY
nach einer kurzen Pause; irgendwo Kinder; in seinem Innern durch die ganze, aus lauter Widerhaken bestehende Art Georgs nun doch leis pikiert; die Rechte wieder auf dem Manuskript.
Darf ich mal in das Fazit ... deiner anerkennenswerten, fleißigen Ameisentätigkeit ...
GEORG
schnell; stehngeblieben.
Einen flüchtigen, provisorischen Einblick nehmen? Nein!
DUFROY
unwillkürlich einen halben Schritt, unmutig, zurück.
Du dekretierst und ... befiehlst ...?
GEORG
nach dem Zuschauerraum zu hinter dem Sessel links; veränderter Tonfall; dabei ab und zu mißtrauisch nach Marianne rüber, die, seine Blicke vermeidend, die Augen meist auf den Vater, etwas nach dem Hintergrund zu, hinter dem Sessel rechts steht.

Im Gegenteil! Du tätest mir einen besondern Gefallen, und ich [361] bitte dich darum, Wort für Wort, Satz für Satz und Zeile für Zeile zu lesen! Mit dem Anfang zu beginnen und erst mit dem Schluß, soweit von einem solchen bereits die Rede sein kann, aufzuhören!

DUFROY
mit gesteigerter Verwunderung; noch wie vorhin.
Du verlangst ...
GEORG
der sich jetzt ganz gesammelt hat; die Linke neben sich auf der Lehne seines Sessels; unwillkürlich sich etwas höher richtend.

Ja! Denn diese Blätter, so gering und so im letzten Grund trotz allem mich nicht überhebend ich schließlich auch von mir denke, dienen einem Problem oder wollen ihm doch wenigstens dienen, von dessen endgültiger Lösung für mich das Wohl und Wehe ... und zwar nicht bloß intellektuell, sondern überhaupt ... das Wohl und Wehe unsrer ganzen, gesamten, kultur-stolzen, modern zivilisierten, weltherrschenden Rasse abhängt!

DUFROY
als hätte er ihm eine Rede in Volapük gehalten.
»Unsrer ... ganzen ...«?
GEORG
seine letzten Worte wiederholend und mit noch erhöhterem Nachdruck weiter.

Unsrer ganzen, gesamten, kulturstolzen, modern zivilisierten, weltherrschenden Rasse, die trotz aller ihrer äußeren, riesenhaften, gewaltigen Fortschritte, Erfolge und Errungenschaften bereits längst einem innern, tiefen, stetig weiter um sich greifenden Verfall entgegengeht!

DUFROY
vor dem hohen, getragnen, gradezu fast priesterlichen Ernst seiner Worte stutzend.
So ... feierlich?
GEORG
noch immer sich steigernd, jetzt hinter den Sessel getreten, dessen Lehne er, ähnlich wie in der Szene vorhin, gepackt hält.

Ja! Denn es gilt den feierlichsten, folgenschwersten Gerichts- und Wahrspruch, zu dessen Verkündigung man ... das Wort, nebenbei, stammt nicht von mir, aber ich reiße es aus seiner schon halben Vergessenheit und werfe es weiter ... Mit unwillkürlich noch erhobnerer Stimme. zu dessen Verkündigung man die Wissenschaft ... je aufgefordert hat!

DUFROY
mild abgeklärt-bitter.

Die Wissenschaft, mein lieber Sohn, hat schon viele »Wahrsprüche« verkündigt! Und noch alle haben sich bis jetzt ... als falsch erwiesen!

GEORG
herb; hart.
Um so schlimmer ... für diese »Wahrsprüche«!
DUFROY
fast mitleidig auf das Manuskript hin.
Und mit diesem halben [362] Arm voll Papier glaubst du jetzt endlich den richtigen zu verkündigen!
GEORG
noch immer wachsend.

Als Letzter ... und wenn ihrer auch noch nicht wert und würdig ... als Letzter einer Reihe der erlauchtesten und selbstlosesten Geister! Ja! Den Sessel lassend und beiden den Rücken drehend; wieder nach links.

DUFROY
unwillkürlich sein ergrautes Haupt schüttelnd.
Beneidenswerte Zuversicht!
GEORG
sofort, höhnisch, mit einem Ruck nach ihm zurückgedreht; aggressiv-feindselig; fast verächtlich.

Beneidenswerter jedenfalls, als die »männliche Entsagung«, mit der du dich aus unserm alten, ehrwürdigen, unleugbaren »Ignoramus«, »Wir wissen es nicht«, bis zu diesem neuen, an- und vorgeblich noch selbstbescheidneren, in Wahrheit und Wirklichkeit aber blasphemischen, hoffärtigen, hochmütigen »Ignorabimus«, »Wir werden es nie wissen«, aufgeschwungen hast ...

DUFROY
mit jetzt »schnellender Zornader«; in seinem Satz, den er ihm unwillig unterbrochen hat, sich schnell steigernd, weiter.

Und das, trotz deiner, wie mir ernstlich vorkommen will, im Moment noch ungleich hoffärtigeren Gemütsverfassung, ganz sicher und gewiß auch du nochmal ... Ganz nahes, schnell und mehrfach scheußlichst aufschnarrendes Auto.

GEORG
ausbrechend-wuchtigst.
Lieber krepieren und ein verfaulender Hund sein ...
MARIANNE
fast angstvoll.
Georg!
GEORG
von ihrem erschreckten Ausruf kaum unterbrochen.
Als von dieser feigsten, waschlappigsten und ruchlos oberflächlichsten ...
DUFROY
vor seinem fanatischen »Radikalismus« gradezu wie entsetzt.
»Ru ...«
GEORG
verbissen sofort zurückhakend und in letzter, wütendster Steigrung.

Ruchlos oberflächlichsten aller sogenannten »Weltanschauungen« je wie der auch nur das kärglichste, verschimmeltste Stückchen Ideen- oder Gedankenbrot beziehn!

DUFROY
sich bezwingend und seinen ganzen Grimm, als wäre ihm dieser in die Kehle geraten, in sich runterschluckend.
Hmhm!
GEORG
mit nochmaligem Paukenschlag; wie ein Tier im Käfig wieder auf und ab.
Beziehn ... oder beziehn müssen!
[363]
DUFROY
der sich mit aller Kraft und Gewalt wieder gefaßt hat; dasselbe Auto; bereits fern.
Dann wünsche ich dir ... und zwar von Herzen ...
GEORG
kurz; brüsk; ohne sich nach ihm auch nur umzudrehn.
Danke! ...
DUFROY
nach einer kleinen Pause; zögernd vor sich hin.

Hm! ... Ja! Und ... e ... Zu Marianne rüber; veränderter Tonfall. was ich dir noch sagen wollte! Ich habe Onkel Ludwig ... Zwar noch etwas stockend, aber doch mehr und mehr wieder »Herr der Situation«. in letzter Zeit wiederholt ... und auch erst heute morgen wieder ... aus meinem Gartenfenster gesehn! Er scheint mir doch kränker, als er es euch in seinem Eigensinn ... Leise, wehmütige Vogellaute.

MARIANNE
in seine jetzt unwillkürlich wie etwas abwartende Atempause; ganz seiner »Diagnose«.
Die böse Befürchtung ...
GEORG
ohne sich in seiner Promenade dadurch aufhalten zu lassen.
Galle! Beginnender schwerster Ikterus! Lebenslänglicher Ärger, der nach innen geschlagen!
DUFROY
zu Marianne; ohne auf ihn, scheinbar, zu achten.

Sein Vater ... starb mit neunundsechzig an Leberkrebs! Könntest du ihn nicht bewegen, daß er sich mal schließlich ... von mir untersuchen ließe?

MARIANNE
ganz erstaunt; als hätte sie eine solche Frage von ihm überhaupt gar nicht für möglich gehalten.
Onkel ... Ludwig?
GEORG
einen Augenblick stehngeblieben; zu Dufroy rüber; durch die von diesem in die Luft gemalte Perspektive fast wie grimmig belustigt.
Dieser durchtriebene alte Satan, der dich damals in seinem Hospiz ...?
DUFROY
durch seinen »gelaunten Sarkasmus« nicht gerade angenehm berührt.

Nachdem Großmutter doch nun damals gewünscht hatte, daß ich nach seinem derzeitigen Aufenthaltsort amtlich diskrete Ermittlungen und Erkundigungen anstellen ließ, und die Rückkunft meines Bruders, zu meiner eignen, außerordentlichen Überraschung, mir dann bekannt geworden war, war es doch wohl nur selbstverständlich ...

GEORG
»grausam- unbarmherzig«; wieder auf und ab.

Diese obskure, christliche Herberge in der Naunynstraße und der Wirkliche Herr Geheime Oberregierungsrat, Exzellenz, de- und wehmütigst [364] Audienz nachsuchend, um von seiner Zerlumptheit, dem heimgekehrten Dulder Odysseus, Herrn Doktor Ludwig Adrian Brodersen ... Kleine, »wohlgezielte« Kunstpause. nicht vorgelassen und empfangen zu werden! Tableau!!

DUFROY
dem alle diese Worte, wie ebenso viele Dolche, »mitten durch die Seele« gegangen waren.

Es war mir ja gewiß ... schmerzlich und ... schließlich auch allerdings etwas peinlich, aber ...Abbrechend; zu Marianne; vorsichtig tastend. Hat er sich mal ... über seine Motive geäußert? Da er aus ihrer unsicher ausweichenden Haltung unbedingt den Schluß ziehen muß, daß Onkel Ludwig dies irgendwie getan. Über den Grund seines Grolls? ... Jetzt mit einem halben Blick auch noch nach Georg rüber. Es muß euch doch auffallen, daß er noch nach so viel Jahren ...

GEORG
der, ohne nach ihm hinzusehn, schon rein aus seinem etwas zögernd-veränderten Tonfall, diesen Blick »gefühlt« hat; versteckt-spitz.
Meinst du?
DUFROY
zu Marianne; irritiert-indezis fragender Nasallaut.
N?
MARIANNE
die nicht recht weiß, wie sie, namentlich in Gegenwart Georgs, in diesem Moment sich aus der Affäre ziehn soll.
Seine Anspielungen ... sind so merkwürdig, seine Andeutungen ... so dunkel, daß ich ...
GEORG
der sofort »die Ohren gespitzt« hat; stehngeblieben; zu Marianne rüber.
»Daß du ...?
DUFROY
zu Marianne.
Nun, es ... Beruhigende, ablenkende Geste. wird sich ja vielleicht ... schon noch alles ...
GEORG
sarkastisch-bitter.
Eine rührende Gutgläubigkeit und ein Optimismus ...
DUFROY
einen kurzen Moment sich gegen ihn zur Wehr setzend und sich verteidigend.

Mit dem ich in meinem Leben ... Vor seinem höhnischen Blick abbrechend; stockend. Übrigens ... ehe ich ... jetzt deine »gastliche Schwelle« ...

GEORG
kurz.
Bitte?
DUFROY
Ton jetzt fest.
Eine kleine Anfrage! ...Stimmfall noch verstärkt. Eine offne, ehrliche Anfrage!
GEORG
scheinbar ganz erstaunt-überrascht.
Eine ... »Anfrage?«
DUFROY
so schwer, ja so fast bitter diese Frage ihm in diesem Augenblick auch fällt.
Was hast du gegen mich ... persönlich?
[365]
GEORG
ausweichend; als verstünde er ihn gar nicht.
Ich?
DUFROY
noch gesteigerter als vorhin; jeder Iktus betont.

Eine Animosität, die ich mir durch dein ... du verzeihst ... durch dein Unglück allein ... nicht erklären kann!

GEORG
dem dieses direkte »Gestelltsein«, namentlich aber und vor allem auch in Gegenwart Mariannes, nun denn doch etwas unbehaglich und peinlich zu werden beginnt.
Lieber Schwiegervater ...
MARIANNE
ihm sofort wieder entgegenkommend; Geste.
Wenn du wünschst ...
GEORG
der sich dadurch nur noch mehr und erst recht »in die Ecke gedrückt« vorkommt; scharf.

Ich wünsche gar nichts, sondern ziehe vor ... Unwillkürlich, wie für seine Worte nach einer Rechtfertigung und Stütze suchend, die Augen einen Moment lang nach seinem Manuskript hin. diese Interpellation, auf die ich im Augenblick nicht recht gefaßt war ... Abbrechend; Pferdegetrappel.

DUFROY
achselzuckend; eine kleine Pieke sich nun ebenfalls nicht versagen könnend.

Sollte es dir lieber sein, sie mir erst nach Genuß ... deines unsterblichen Meisterwerks zu beantworten, so ...

GEORG
ironisch-dankbar; als hätte er ihm damit einen allergrößten Gefallen erwiesen; aber dabei doch, unwillkürlich, etwas aufatmend.
Du nimmst mir einen »Stein vom Herzen«!
DUFROY
das Manuskript jetzt an sich nehmend, tadellos »höflich«.

Was mir stets ... Sich unterbrechend und zu Marianne rüber; heimlicher Beziehungsfaden zum Schluß der voraufgegangenen Szene zurück. Also, liebes Kind ... du läßt dich mal bald wieder ...

GEORG
hellhörig-bissig; ihm seinen Satz vollendend; wieder auf und ab.
Bei deiner Großmutter sehn!
MARIANNE
zu ihrem Vater; Georg gar nicht mehr anblickend.
Gewiß!
DUFROY
beeilt-schnell.

Ja! Darum möchte ich dich doch ... Nochmal der diesmal noch stärker geknüpfte »Beziehungsfaden«. recht sehr bitten!

GEORG
noch unterdrückt heftiger als vorhin; für das von ihm aufgefangne seelische Marconitelegramm mit einem ebensolchen eignen quittierend, von dem er um so befriedigter ist, als er [366] ganz genau fühlt und weiß, daß es von den beiden bis ins letzte unmöglich dechiffriert werden kann; wieder ohne sich in seinem Gang dadurch aufhalten zu lassen.
Ich werde mich bemühn, dafür Sorge zu tragen, daß sies nicht vergißt! Dufroy aufhorchend.
MARIANNE
ihrem Gefühl plötzlich wieder folgend und ihm den Mund zum Kusse bietend.
Adieu, Papa!
DUFROY
nachdem er ihr nur leicht die Stirn geküßt.

Adieu, Liebling! ... Bereits zurückgewandt; wie nur so leicht nebenbei. Über die andere Sache sprechen wir dann noch!

MARIANNE
nickend.
...
DUFROY
zu Georg rüber; »versöhnlich«.
Nicht wahr? Auf morgen!
GEORG
stehngeblieben; finster; ohne sich von seinem Platz zu rühren.
Auf morgen!
DUFROY
noch einen kurzen Moment, bevor er geht, zögernd, dann, wie in der Absicht, sich und die beiden möglichst zu beruhigen.

Es ... wird ja schon so schlimm nicht sein! Durch die Mitteltür in den Garten ab; in diesem angelangt, sich nochmals halb umdrehend und beiden mit der erhobnen Linken freundlich-liebenswürdig zurückwinkend; dann, hinterm Springbrunnen, zwischen dem hohen Taxushalbrund verschwindend.

GEORG
der so lange gewartet hat; nachdem er inzwischen zu Marianne, die ihrem Vater wortlos nachgesehn, einigemal nervös-argwöhnisch rübergeblickt hat.

Diese überströmenden, überflüssigen Zärtlichkeiten ...?! ... Da Marianne ihm nicht antwortet, sondern sich nur auf die Unterlippe beißt, sie jetzt direkt, sehr bestimmt und energisch fragend. Was war das für eine »andere Sache«, über die er dann ... noch mit dir »sprechen« wollte?

MARIANNE
ausweichend; mit der Linken die Lehne des Sessels glättend.
Es ist für dich wirklich ... von keinem Belang.
GEORG
mit unterdrückt steigender Heftigkeit.

Ist er besorgt für deine Zukunft gewesen? Paßt es ihm nicht, daß du hier den Haushalt führst? Oder wünscht er vielleicht am Ende gar ... daß du dich nach drei Jahren »glücklicher Muße« ... alte Herren sind oft ab und zu wunderlich ... jetzt unter seinem väterlichen Patronat als erste Berliner Privatdozentin etablierst?

MARIANNE
nervös-gequält; von ihm abgewandt.
Frag mich nichts ...
[367]
GEORG
durch ihr Ausweichen gereizt; in seinem Teil des Raums wieder unstet auf und ab; nach einer kleinen Pause, schroff-abgehackt, mit plötzlich durchbrechendem Entschluß.
Ich werde seine Rückkunft ... morgen vormittag gar nicht erst abwarten!
MARIANNE
ganz bestürzt-überrascht.
Du willst ... weg?
GEORG
mühsam; sich diese »Konfession« wie abringend.
Das einzge ... was mich in diesem Hause ... jetzt nur noch hält ... ist unsre Sitzung! ...
MARIANNE
nach einer erneuten kleinen Pause; fernes Auto; stockend.
Hast du ... diese Idee ...
GEORG
schnell; scharf; den von ihr unausgesprochen Schluß ihrer Frage als Antwort.
Schon seit langem!
MARIANNE
nachdem sie, kurz, abermals gestutzt hat; als befürchte sie bereits mit Bestimmtheit die betreffende Bestätigung.
Und du würdest ... dann am Ende gar noch heute ...?
GEORG
hart; noch immer ohne sie dabei anzublicken; mit einer geheimen Wut auf sich selbst.

Soll ich mich etwa mit deinem Vater, nachdem ich eben die Riesendummheit besessen, ihm mein Manuskript ...

MARIANNE
die sich inzwischen wieder gefaßt hat.
Eine mündliche Aussprache ...
GEORG
sie unterbrechend; wie um mit aller Gewalt sich schon jetzt darauf festzunageln.
Ich würde mich ... zu irgendeiner Debatte über diese Dinge ... unter keinen Umständen ...
MARIANNE
mit dem geheimen Bestreben, ihn, falls das noch angängig, von seinem gefaßten Entschluß abzubringen; in ihrem Satz fort und zu Ende.

Eine solche ... auch für mich und mein Empfinden gänzlich überflüssige Diskussion ... brauchte ja gar nicht Platz zu greifen!

GEORG
einen Augenblick stehngeblieben und zu ihr rüber.

Wo wir mit ihm ... Kurze, unwillige Kopfbewegung nach dem Garten hin. beinahe unter dem gleichen Dache wohnen?

MARIANNE
Geste; unterdrückt-ungeduldig; Tonfall fast erstaunt.

Ihr habt euch so gut ... wie die ganzen Jahre nicht gesehn ... es würde sich also einrichten lassen ...

GEORG
sich hastig wieder in Bewegung setzend.

Und selbst wenn, wenn, wenn! Hast du geglaubt, mutest du mir zu, ich könnte nach [368] eröffnetem Kampf, wo ich mir doch ganz genau sagen muß, daß an der Spitze meiner erbittertsten Widersacher hier in Berlin ... niemand anders ... als eben grade dein Vater stehn wird ...

MARIANNE
die ihn nicht ausreden läßt; noch entschiedner als vorhin.

Weder sein Amt ... noch seine sonstige ... wissenschaftliche Stellungnahme und Tätigkeit ... verpflichtet ihn, gegen dich öffentlich ...

GEORG
»alles ablehnend«; erst ruckweis und stockend, dann ausbrechend und zuletzt in konzentriertester zugleich Qual und Energie.

Ich kann ... und will mein Leben ... aus dem sich jetzt ... vielleicht doch noch wieder ... etwas schaffen und gestalten läßt ... nicht, wie ein gefangnes Tier, in diesem entseuchen Käfig verbringen! Entsprechender »Blick«. Zwischen diesen Wänden, wo mich alles ... aber auch alles ... an Stunden und Dinge erinnert ... auf die immer wieder zurückgestoßen zu werden, ich einfach nicht mehr ertragen kann!

MARIANNE
die ihm stumm nachgeblickt hat; sich ihre Worte jetzt fast wie aus dem »Herzen« reißend.
Wenn du allerdings ... das Gefühl hast ... daß deines Bleibens hier nicht mehr ist ... geh!
GEORG
einen Augenblick wieder stehngeblieben; nach ihr zurückgedreht; in seinem Innern, einen Moment, fast schon wieder wie wankend; maskiert höhnisch.

Und du? ... Wirst dir eine weiße Schürze umbinden und in irgendeinem Laboratorium als Assistentin hospitieren? ... Oder warten, bis Onkel Ludwig dich in sein phantastisches Millionenkloster als lebenslängliche Äbtissin einsetzt?

MARIANNE
die ihn nicht anblickt; letzte, mit aller Gewalt zurückgehaltne Bitterkeit und Trauer.
Um mich brauchst du dich nicht ... zu bekümmern! ...
GEORG
der seinen Gang wieder fortgesetzt hat; nach einer kleinen Pause; veränderter Tonfall.

Du hättest Onkel Ludwig ...nachdem er die noblen, wiederholten Anerbietungen deines Vaters so brüsk abgelehnt hatte ... zumal ihr euch damals noch gar nicht bekannt wart ... nicht auf offner Straße ansprechen ...und zu uns ins Haus fordern sollen!

MARIANNE
über diese plötzliche, nachträgliche Ungerechtigkeit fast empört.

[369] Nachdem er jeden Tag ... um dieselbe Stunde ... Leichte Kopfbewegung nach dem Zuschauerraum. sich uns hier gegenüber aufgestellt ... und sehnsüchtig nach seinem alten Giebelfenster geguckt hatte ... Vergnügter Zaunkönig. hinter dem mal sein Jungensparadies gelegen? ... Da hätte ich ja ein Herz aus Stein haben müssen!

GEORG
als hätte sie ihre Replik überhaupt gar nicht gesprochen; in der von ihm nun einmal gefaßten »Sündenbock«-idee zäh weiter.

Nur ihm ... verdanken wir jetzt diese Trennung ... Auf eine unwillkürlich Einspruch erhebende Geste von ihr; womöglich noch verbissen-erbitterter. jawohl, diese Trennung, an die keiner von uns ... weder du, noch ich ... trotz allem und allem, je gedacht haben würde ... wenn nicht seine alberne, herausfordernde, kopfverdrehende Transzendentalistik ...Radfahrer; Auto.

MARIANNE
ihn unterbrechend; »stark«.
Es ist besser ... unsre Trennung ... erfolgt schon jetzt ... und in dieser Weise ...
GEORG
in ihrem Satz weiter; sich dadurch mit einmal ganz auf ihre Seite stellend.
Als daß sie durch das ... was hinter uns liegt ...
MARIANNE
ihren Satz schließend.
Vielleicht ...Letzte, mühsam verhaltne Kraft. sowieso erfolgen müßte!
GEORG
mit unwillkürlich erhobner Stimme; zornig, grollend, grimmig; zum Schluß fast knirschend vor sich hin.

»Noch drei Jahre!« Dieser Zeitraum war uns gesteckt, und heute abend ... elf Uhr neunundfünfzig, Kurzer Kopfruck nach der Tür links. ich hatte für alle Fälle bereits nachgesehn, fährt mein Zug ... fast pünktlich mit dem Glockenschlag, ist diese Frist um!

MARIANNE
die ganz erstaunt aufgehorcht hat.
So ... hast du dir jene Prophezeiung ...
GEORG
noch präzisierend-unterstrichner.

So ...wenn auch erst in diesen letzten zwei Wochen ... habe ich sie mir ausgedeutet ... und so ...Letzte, grimmigste Steigrung. jawohl ... geht sie jetzt in Erfüllung!

MARIANNE
durch diese vehemente Sicherheit und Bestimmtheit in ihrer furchtbaren eignen Ausdeutung einen Augenblick fast schwankend.
Es ist ... möglich ... daß du ... Dumpfes, wie klagendes Auto; Wolkenschatten.
[370]
GEORG
plötzlich wieder stehngeblieben; im Vordergrund links; »alles« in sich »sammelnd«; mit steigender, wachsender Erregung, daß jeder Nerv nur so an ihm vibriert und jedes Wort fast in allen Nuancen und Tinten schwimmt, zu ihr rüber.

Ich habe dir nie drüber ... ein Wort gesagt! ... Aber als du ... an jenem Abend damals ... dem verlassensten ... den ich in meinem Leben ... bis heute »gefeiert« ... nah schon ... dicht nah schon jenem gewissen Punkt ... in den mehr oder minder ... minder oder mehr ... jeder mal starrt ... Posten für Posten ... gegeneinander ausspielend, abwägend und aufrechnend ... laufendes Girokonto bei unserm »lieben Vater im Himmel«, ausgestellte, noch nicht eingelöste Wechsel bei seinem alten, eingefleischten Widerpart, »Wert in mir selbst« ... als du damals ... hier eintratst ... die Lichter um die beiden Bahren brannten ... aus dem Garten ... Abbrechend und von seiner Erinnerung einen Augenblick überwältigt; dann sich sofort wieder aufraffend und von neuem, noch gesteigerter, nach der Tür rechts. du kamst durch jene Tür! ... Und obgleich ichs ja gewußt! ... die ganzen langen Jahre über gewußt!! ... aber als du so dastandst ... unbeweglich ... und mich ansahst ... mich ... durchschauderte nur ein Empfinden ... nur ein Gefühl ... die wieder lebendig gewordne Tote! ... Und diesen Eindruck ... diesen furchtbaren Eindruck ... Seine Stimme versagt ihm, nur mit dem Aufgebot seiner letzten Kraft ist er imstande, seinen Satz zu schließen. bin ich seitdem ... nie wieder losgeworden! ...

MARIANNE
nach einer kleinen Pause; verschleierter Tonfall; leis stockend; das letzte Wort fast klagend-vorwurfsvoll; wieder Sonne.
Ich denke ... du hast Mariette ... geliebt!
GEORG
in seinem Gang jetzt wieder weiter; noch immer in elementarster, innerer Erregung, wenn auch, soweit als möglich, diese nach außen bereits etwas gedämpft.

Ja! ... Aber unter ihrer jähen, heftigen Leidenschaftlichkeit ... unter ihren unberechenbaren, maßlosen Gemütsausbrüchen ... unter ihrem alles um sich erstickenden, zerstörenden und verwüstenden Temperament ... habe ich oft ... auf das qualvollste gelitten! ...

MARIANNE
die ihm nicht sofort geantwortet hat; sich wie erschöpft in ihren Sessel setzend; sie stützt den Kopf in die Linke und starrt, [371] nachdenklich nickend, vor sich hin.
Ihr wart ... beide ... nicht glücklich.
GEORG
verhalten-leidenschaftlich.

Zwei Schwestern ... zwei Zwillingsschwestern ... die sich so glichen ... daß die eine das leibhafte, absolut vollkommne, in nichts unterscheidbare, sinnverwirrende Spiegelbild der andern war ... und diese fundamentale ... gradezu kaum glaubliche, widerspruchsvolle Divergenz der Charaktere! Höhnisch tutendes Auto.

MARIANNE
ähnlich wie vorhin.

Und doch hatten sich Schwestern ... bis das Leben sie dann ... zum erstenmal, trennte ... Eine kleine Grasmücke schwätzt, piepst und zwitschert. nie inniger liebgehabt ... und nie ... besser verstanden!

GEORG
fast wider Willen und wie halb zu sich selbst.

Es war ein seltsamstes, sonderbarstes Verhängnis, daß deine Großmutter von euch beiden grade dich damals zu ihrer Reisebegleiterin hatte auswählen müssen, wo ihr doch sonst ... eigentlich grade Mariette ... Abbrechend und sofort wieder weiter. Oder wars, weil du als die Ältere ... soweit davon überhaupt bei euch die Rede sein konnte ...

MARIANNE
in melancholisch-schmerzlicher Rückerinnrung, mit einem leisen Einschlag von leichtem, nachträglichem Selbstspott.

Wir waren junge, dumme Dinger und hatten uns, ohne es zu ahnen und zu wissen, unsre Lebenslose ... durch zwei Zündhölzer bestimmt! Hätte ich, statt des linken, das rechte gezogen ...

GEORG
einen Moment stehngeblieben; den Kopf mit geschloßnen Augen etwas zurück, beide Hände quer über die Schläfen weg vor der Stirn.
Wenn man sich das alles so ... Zurückdenkt ...!Amsel.
MARIANNE
von seinem Empfinden angesteckt; durch das allmähliche Wiederauftauchen ihrer Erinnrungsbilder immer belebter.

Wir hatten uns bis dahin ... auch in Baden-Baden ... in Großmutters üblichem Sommerdomizil ... immer nur beide zusammen gezeigt! Wir wollten in unserm kindischen Übermut doch mal »sehn«, wie das Abenteuer »auslaufen« würde, sobald wir uns ... Pferdegetrappel. und richtig! Kaum war ich fort ... so war Mariettes Unglück ... bereits geschehn!

GEORG
jetzt auch durch den andern Teil des Raums; stärkst und temperamentvollst einsetzend.

Ich lebe den Tag ... noch wie heute! [372] Ich hatte bei deinem Vater, der mich aus meiner stillen, Heidelberger Verborgenheit ... zu einer ersten, vertraulichen Vorbesprechung, in liebenswürdigster Weise zu sich nach Berlin gebeten hatte ... eben meine Antrittsvisite gemacht, ihr Ergebnis war, wie es schien, ein ihn aufs höchste zufriedenstellendes gewesen ... er hatte mich ... nicht ohne einen gewissen, verzeihlichen, geheimen Stolz auf dies Geste; beide Arme unwillkürlich ausgebreitet; Stimme wärmster Klang. unvergleichbare Besitztum, dies köstliche, wie vom Himmel gefallne, versprengte Stückchen Dorado, Handbewegung nach dem Hintergrund; »Amsel, Drossel, Fink und Star«. noch in diesen alten, prachtvollen Garten geführt ... Noch verstärkt. wir waren durch die lange, dunkle Laubenbogenallee, über die kleine Sphinxbrücke weg, in angeregt heiterstem Gespräch, grade bis zu dem großen, offnen Taxusrondell um den Springbrunnen gelangt ... Die »Vogelschau« noch lauter; einen Moment unwillkürlich stehngeblieben. als deine Schwester ... blühend und herrlich ... ein wunderbarstes Geschöpf Gottes ... aus diesem verwunschnen Haus trat! ... Schon längst wieder weiter. Aus dem beabsichtigten Besuch von einer halben Stunde wurden zwei Wochen, mein überraschtes Entzücken über dies ganze, halb verschollne, unvermutete Buenretiro und Tuskulum hier, das ich in meiner hellen Freude an jedem Raum, an jeder neuen Einzelheit einfältig und unvorsichtig genug war vor beiden zu äußern, hatte deinen Vater sofort veranlaßt, mich in seiner urbanen, gastlichen Art, gegen die es kein Sträuben gab, in diese stille, verlaßne, mitten im brandenden Treiben und Trubel der Großstadt wie weltentrückte Philosopheneinsiedelei zu laden, in der damals keine Katze mehr hauste; Tage, Stunden, Augenblicke, in die es jetzt für mich grausam wäre, mich zurückzuerinnern, folgten ... und als ich mich dann schließlich ... aus diesem Märchen wieder losriß ... in dem kaum ein Schatten das Glück zweier Menschen, deren letzte Interessen so wesensungleich verschiedne waren, getrübt hatte ... wußte ich: Du bist gefangen und gefesselt! Du bist gebunden und verstrickt! Dir hilft jetzt keine Flucht mehr! Ob du willst oder nicht ... ob du deinen Lehrstuhl erhältst oder ob deine Bewerbung um ihn eine vergebliche [373] sein wird; du kehrst wieder! ... Und ich kehrte wieder! Schon nach fünf Tagen!

MARIANNE
in jene »ferne Zeit« ganz versunken.

Ich habe dir nie ... Mariettes Briefe gezeigt! ...Auto. Aber schon aus dem zweiten und dritten wurde mir klar! ... Sie war damals sofort ... genau so dir verfallen gewesen ... wie du ihr verfallen gewesen warst! ... Und als du dann plötzlich ... vielleicht ... oder vielmehr wahrscheinlich ... um das, was dir damals als deine »Freiheit« und »Selbstbestimmung« vorschwebte, noch im letzten Augenblick zu retten ...

GEORG
sie unterbrechend; mit ihren betreffenden Ausdrücken nicht ganz einverstanden.

»Freiheit« und »Selbstbestimmung«, ich ... weiß nicht! Mir kommt vor, als ob ich schon damals ... in meinem tiefsten Innern ...

MARIANNE
durch die Unsicherheit seiner Parenthese in der Fortsetzung ihrer Schildrung nicht beeinträchtigt; womöglich noch lebhafter.

Jedenfalls, als du dann ... ohne auch nur den geringsten Abschied zu nehmen ... von ihr gegangen warst ... die Verzweiflung! ... Wir kamen ... so schnell es uns überhaupt möglich war, zurück ... und noch am Abend desselben Tages ...

GEORG
herb, schnell; ihren betreffenden Erinnrungsabschnitt damit schließend.
War dann auch dein ... und mein Unglück ... besiegelt!
MARIANNE
die Linke wieder vor der Stirn; ihn wie fragend dabei anblickend.
Mir ist es noch immer ... unerklärlich, wie du an jenem Abend ...Sanft lockender Hänfling.
GEORG
den Rest nicht erst abwartend; in seinem Selbstbericht, sich schnell wieder steigernd, weiter.

Ich war auf nur vierundzwanzig Stunden, bereits sehr spät am Nachmittag, wieder auf dem Anhalter Bahnhof eingetroffen, durfte selbstverständlich nicht daran denken, vor dem nächsten Morgen früh bei deinem Vater vorzusprechen, hatte trotzdem, da ich es in meinem Hotel nicht aushielt und das ganze übrige Berlin mir natürlich mehr als gleichgültig war, sofort den Weg nach diesem Viertel eingeschlagen und irrte nun ... das Bild ... Mariettes im Herzen ... im letzten, roten Abendschein ... ruhelos hier herum, wie in irgendeiner ... Hoffnung oder Erwartung ... ich wußte es selber[374] nicht! ... Da sehe ich euer großes Gartentor, das nach dem Kanal zu sonst geschlossen war, zufällig weit auf ... fühle das wie einen Schicksalswink ... trete ein ... Wieder stehngeblieben und ihr gegenüber; langsam, fast jede Silbe betont. und stehe mit einemmal ... ohne mir dessen bewußt zu werden ... vor dir ... statt ... vor Mariette! ... Radfahrer.

MARIANNE
mit mühsam verhaltner Erregung;von ihm abgewandt; die Augen geschlossen.
Du hättest ... die du für Mariette hieltst ... nicht gleich in deine Arme schließen sollen! ...
GEORG
nach einer kurzen Pause; mit arbeitender Brust; noch stockend-wuchtiger; als hätte er seine Frage schon seit Jahr und Tag an sie stellen wollen.
Warum hast du mir ... über meinen unglückseligen Irrtum ... nicht sofort damals die Augen geöffnet?
MARIANNE
aufgestanden; unwillkürlich einen Schritt zurück; aus ihrer Liebe, so wenig sie diese vor ihm verbergen kann, lodert es eine Sekunde lang fast wie Haß; draußen plötzlich völlige Ruhe.

Und du? ... Wenn ich diese Fassungskraft ... unter deinem Ungestüm ... besessen hätte? ... Du ... und Mariette? ... Mariette, deren Briefe schon damals ... von bereits beginnender versteckter Eifersucht auf mich, ich möchte fast sagen ... förmlich getropft hatten? ... Die mich flehentlich gebeten, doch ja nicht eine Sekunde früher aufzutauchen, als bis alles zwischen euch beiden glücklich im reinen und bis in die letzten, üblichen Formalitäten erledigt war? ... Die weder dir noch mir, einen solchen »Zufall«, wenn wir sie darüber aufgeklärt hätten, jemals »verziehen« haben würde? Auto.

GEORG
der ihren Blicken so lange standgehalten; aufs heftigste mit sich unzufrieden; wieder auf und ab.

Eine solche »Aufklärung« wäre nicht nötig gewesen! Es hätte genügt, wenn du mir wenigstens nachträglich ...

MARIANNE
ihn unterbrechend; »scharf«.
Unter welcher Form?! ... Da wir uns doch ... nach jenem Abend ...?
GEORG
ungehalten-mißvergnügt; in seinem Tempo noch beschleunigter.

Sieben Zeilen hätten mehr als auskömmlich hingereicht, um mich vor einer gefährlichen, unbewußten, arglosen Ausplauderei und Redseligkeit zu behüten, von der du doch unbedingt hättest sagen müssen, daß ich ihr über kurz oder lang ...

[375]
MARIANNE
abweisend; aufrecht; über seine »Zumutung« geradezu entrüstet.

Mit einem solchen Geheimnis ... zwischen dir und mir ... hätte ich es je wieder wagen sollen, meiner Schwester unter die Augen zu treten?

GEORG
schnell; höhnisch; fast als freue es ihn, ihr zu allem Bisherigen nun auch noch das zu versetzen.
Blieb es eins weniger, wenn dus allein trugst?
MARIANNE
mit aller Gewalt an sich haltend; »stolz«; aus ihrem Tonfall klingt es fast wie »Verachtung«.

Ich möchte dir auf diese Frage ... Da er auf diese »Nuance« hin unwillkürlich stehngeblieben ist und nun, wie fragend, zu ihr rüberblickt; unterstrichen-langsam; den Kopf von ihm abwendend und nach dem Garten zu. keine Antwort erteilen ...

GEORG
nachdem er sich sofort wieder in Bewegung gesetzt; erneut kleine Pause; ferne Stimmen, Pferdegetrappel; abermals veränderter Tonfall; »sachlich«.

Mariette hatte mir erzählt ... daß ihr als Kinder ... auf einen Einfall eurer Großmutter ... damit man euch überhaupt voneinander unterscheiden konnte ... daß du um den Hals ein himmelblaues Bändchen hättest tragen müssen ... sie aber ein rosa! Als ihr dann konfirmiert wurdet und eure erste Tanzstunde besuchtet ... wurden diese Bändchen durch zwei Goldkettchen ersetzt. Beide ganz gleichartig, nur daß du deins ums rechte Handgelenk trugst, Mariette ihrs aber ums linke!

MARIANNE
die ihn »verstanden«; fast triumphierend.

Und da ich also ... wie du mir jetzt bestätigst ... an jenem bedauerlichen Abend durchaus nur mit Recht angenommen hatte, dir würde dies Unterscheidungsmerkmal zwischen uns ... das einzge, sehr wohl bekannt sein ... habe ich das Kettchen von meinem rechten Arm, noch bevor es an mir zum Verräter werden konnte, heimlich fallen lassen ... und du hast es mir ... kniend zugehakt um den linken!

GEORG
wie um alle »Schuld« von sich »abzuwälzen«; ihre Blicke vermeidend.
Hätte ich ... geahnt, daß du nicht Mariette warst ...
MARIANNE
fest.
Was du mir auch vorwirfst ...
GEORG
unwirsch.
»Vorwirfst!«
MARIANNE
in ihrer Verteidigung, von seinem Zwischenruf kaum unterbrochen, weiter.

Mein Gewissen ist rein! Die Eingebung, unter [376] der ich in jener Sekunde ... fast automatisch blitzschnell gehandelt hatte ...

GEORG
durch die Zähne.
»Fast« ...
MARIANNE
wie vorhin; nur noch gesteigert.
War eine halb willenlos unbewußte gewesen ... und ich sage mir noch heute ...
GEORG
mit dessen »Fassung« es jetzt aus ist; ihr wieder gegenüber; wenn auch fast durch die halbe Bühne von ihr getrennt.

War es auch »halb willenlos unbewußt« von dir gewesen, daß du deine so »fast automatisch blitzschnell« übernommene Rolle, vielleicht gut eine dreiviertel Stunde lang mit dem Aufwand und Aufgebot der denkbar ingeniös-raffiniertesten Geschicklichkeit und Verstellungskraft weiter und zu Ende spieltest? Daß du mich, schmeichlerisch-zärtlichst, um nicht zu sagen geradezu verführerischst, mit allen Mitteln listigster Beredsamkeit, daran hindertest, sofort und auf der Stelle, wie mir dies damals als das einzig Natürliche und Selbstverständliche erschien, vor deinen Vater zu treten, und daß du mir beim Abschied, zum Schluß, ich verstand dich damals nicht, das bindende Wort, das feste Gelöbnis, das heiligste Versprechen abnahmst, zu niemand von unsrer Begegnung ...

MARIANNE
seinen zornsprühenden Blicken standhaltend; nicht wankend und nicht weichend.
»Willenlos unbewußt«, oder meinetwegen auch das genaue Gegenteil ... hätte ich damals ...
GEORG
sie unterbrechend; mit seiner nachträglichen »Liquidation« noch nicht fertig.

Deine Berechnung ... deine mehr als gescheit-kluge Voraussicht ... daß ich bereits an jenem nächsten Tage ... in fast permanenter Gegenwart entweder deines Vaters oder deiner Großmutter ...

MARIANNE
mit verstecktem Triumph; sich »sanft«- höhnisch rächend.
Oder aller beider ...
GEORG
mit dadurch nur um so verdoppeltem Ingrimm in seiner Abrechnung weiter.

Oder aller beider ... daß ich dann also aber auch ganz unmöglich ... und zwar auf Grund meines dir gegebenen Worts und Versprechens ... deine damals »in allen Himmeln schwebende« Schwester ... durch irgendeine, und sei es nur die geringste Andeutung, die an den voraufgegangenen Abend rührte ... jäh auf diesen fragwürdigen, zweifelhaften, [377] an seinen beiden Polen flach und platt gedrückten »Sonnensatelliten« wieder runter- und zurückreißen würde ...

MARIANNE
wie vorhin; seinen etwas länglich geratnen Zornausbruch schließend.
War eine »rabiat richtige« gewesen!
GEORG
der sich jetzt kaum noch in der Gewalt hat; in ohnmächtigstem Grimm; stärkst.
Ich ... woll te ...
MARIANNE
aufrecht; seinem Blick nicht ausweichend.
Hätte ich damals anders gehandelt ... ich hätte Mariette ... unglücklich gemacht ...
GEORG
heftig; jäh.
Du hast sie unglücklich gemacht!
MARIANNE
schwer; das letzte Wort will ihr kaum noch über die Lippen.
Bin ich jetzt ... »glücklich«? ...
GEORG
von neuem auf und ab; plötzlich; unvermittelt; beißendster, fast »giftiger« Sarkasmus.

Ich vergegenwärtige mir das reizend rührende, liebliche Familienidyll nächsten Morgen um euern Frühstückstisch! Fernes, helles Hundegekläff. Die perplexe Miene deines Vaters, als er meinen Brief aufbrach, die einen Moment absolute Sprachlosigkeit Mariettchens ...

MARIANNE
die ganz erstaunt zu ihm aufgeblickt hat.
Hat dir ...?
GEORG
kaum von ihr unterbrochen im selben Ton noch gesteigert weiter.

Die natürlich den Braten, das heißt also den Zweck meines so offiziell und respektvoll bereits für zwei Stunden später gemeldeten Besuchs gleich roch, die strengen, melancholisch schwarzen Jettaugen ihrer Frau Großmama und deine wahrscheinlich sehr geschickt gespielte Überraschtheit, als wüßtest du von dem auf diese Weise so plötzlich und unvermutet angenehm wiederaufgetauchten Freier ...

MARIANNE
ihn unterbrechend; sich unwillkürlich gegen ihn auflehnend.
Ich ... konnte doch nicht ... erzählen ...
GEORG
Hohn, Grimm, Schmerz, Selbsthaß, Verzweiflung.
Nein! ... Leider nicht! ... Allerdings nicht! Autogeratter.
MARIANNE
»überlegen«.
Dann ist es mir ... aufrichtig ... Langgedehntes Hupensignal.
GEORG
hart, scharf, schroff; in dem von ihm angeschlagnen Thema fortfahrend.

Ich begreife und schätze vollkommen die Noblesse, aus der heraus du dich den Aufgeregten gegenüber erbotst, dich zugunsten deiner damals von dir über alles geliebten Schwester [378] für diesen einen Tag aus der Bildfläche eures Familienensembles vor mir auszulöschen! Ich verstehe und würdige genau und ebenso den überhasteten, vorsorglichen Feuereifer, mit dem eure Großmutter ...

MARIANNE
schnell; abwehrend.
»Großmutter!«
GEORG
durch ihren unwilligen Zwischenruf kaum unterbrochen, in seinem Satz und in seiner Rage sofort weiter.

Deinen durch nichts fundierten Vorschlag, kaum daß du ihn ausgesprochen hattest, auch bereits sofort prompt akzeptierte! Aber es will mir nicht in den Kopf, ich kapiere es absolut nicht, es ist mir völlig unverständlich, wie dein Vater ...

MARIANNE
ganz erstaunt-überrascht.
»Wie ...?«
GEORG
wie vorhin; nur noch verstärkt.

Wie dein Vater, dessen gesundes, natürliches Empfinden, dessen gerechtes Gefühl sich doch zunächst unwillkürlich und mit aller Energie gegen eine solche Familien- und Unterschlagungspolitik ... Auf eine betreffende, unwillige Geste von ihr; noch gesteigert. jawohl! Familien- und Unterschlagungspolitik, ich finde zu meinem Bedauern keinen andern Ausdruck, gesträubt hatte ...

MARIANNE
ihn unterbrechend; fast verblüfft.
Ist es ...
GEORG
ihr sofort replizierend; Stimmfall unverlangsamt.

Das und nichts anders ist es, jawohl, was mich von deinem Vater seit jenem ersten Abend, wo du hier eintratst ...

MARIANNE
noch ganz »paff«.
Also ... darum ... deshalb ...
GEORG
der sie nicht ausreden läßt; was sie inzwischen erraten ihr bestätigend; noch immer im gleichen Tempo.

Einzig und allein das und nichts andres ist es, was mich seitdem von ihm getrennt hat! Jawohl! Radfahrer.

MARIANNE
protestierend.
Nicht durch Mariette oder Großmutter ...
GEORG
heftig; und noch immer sich steigernd.

Ob durch Großmutter, Mariette oder dich ... durch keinerlei weibliche Überredungskünste hätte sich dein Vater ...

MARIANNE
jetzt ganz für diesen eintretend.

Du tust meinem Vater ... Sich unterbrechend. Selbst angenommen, einen Augenblick angenommen, ich wäre auf jene Idee ... für die mich die Schuld ... und die Verantwortung ganz ausschließlich und allein trifft, nie verfallen ... wie kannst du glauben ...

[379]
GEORG
der sie auch jetzt und diesmal wieder nicht ausreden läßt; in dem ihm peinlich-unbehaglichen Gefühl, mit allem, was er sagt und vorbringt, fortwährend und immer wieder wie gegen eine unsichtbare Mauer zu rennen.

Auch ich ... bin beim besten Willen nicht imstande ... dir jetzt zu sagen und anzugeben, wie sich dann dadurch ... vielleicht alles, und zwar von Grund auf ... Jetzt auf einen Moment im Vordergrund rechts; abbrechend und wieder auf sein ursprüngliches Thema zurück; Marianne sich in den Sessel links setzend. Jedenfalls ... als dann aber später Mariette ... und zwar noch dazu in unsrer Hochzeitsnacht ... jene Szene im Garten ... an die ich sie in meiner vollständigen Ahnungslosigkeit ganz selbstverständlich glaubte erinnern zu dürfen ... nun doch und endlich erfuhr ... von dem Augenblick ... Ferne Autos. war der Friede zwischen uns aus!

MARIANNE
stockend-ungeduldig; mit der Linken zuerst noch an den Rosen ihres Huts nestelnd, den sie bereits vorhin wieder auf den Tisch gelegt.

Mariette hätte so gerecht ... und so verständig sein sollen ... Sich unterbrechend und sofort wieder von neuem. Statt mir noch nachträglich dafür zu danken ... statt anzuerkennen ... daß ich euch nie wieder in den Weg gekommen war ... daß ich mich im Gegenteil damals sofort von ihr mehr als hundert Meilen weit weg nach Genf aufgemacht hatte, ohne ihren zukünftigen »Mann« auch nur ein einziges Mal noch gesehn zu haben, ja, daß ich mich nicht einmal, wie doch allgemein erwartet, hatte zur Hochzeit blicken lassen ... statt mir für alles dies ... erkenntlich zu sein, überhäufte sie mich mit Vorwürfen, schrieb mir, als ob ich das größte Verbrechen an ihr begangen, und antwortete mir nicht mehr, als ich ihr in ruhigster und vernünftigster Weise ...

GEORG
die trotz ihrer äußeren, nur scheinbaren Gefaßtheit doch wieder innerlich erregter Gewordne, während sie jetzt einen Augenblick zaudernd innehält, unterbrechend; noch immer auf und ab; jetzt mehr rechts.

Ruhe und Vernunft, sooft ... und dann, allerdings, über alle Maßen ...Schmetternder Stieglitz. sie auch beglückend und lieb sein konnte, waren bei ihr leider nie ... Abbrechend und sofort wieder weiter. Deswegen schrieb ich dir ja auch damals gleich ... und suchte ihren entsetzlichen Absagebrief ... [380] Radfahrer; einen Moment an ihrem Tisch vorbei und in kurzer, noch nachträglich in ihm aufsteigender Wut und Empörung mit seinen Fingerknöcheln auf ihn draufschlagend. dessen Konzept sie mir ... extra auf meinen Schreibtisch gelegt hatte ... bei dir ... soweit dies ging ... abzuschwächen und ... zu entschuldgen!

MARIANNE
ihm nachblickend; seine und ihre Schuld mit leisem, unbarmherzigem Hohn aufdeckend.

Was du nie hättest tun sollen! ... Denn daraus entwickelte sich ... allmählich ... ein regelrechter, schriftlicher Gedankenaustausch ... der vor Mariette ... notwendig hatte geheim bleiben müssen!

GEORG
mit dem halben Versuch, sich vor ihr zu verteidigen.

Da du, entgegen dem ursprünglichen Wunsch deines Vaters ... dich hier in Berlin seinem Spezialfach zu widmen ... in Genf ... sofort umgeschlagen warst ... und statt Medizin Chemie studiertest ... hatten sich gewisse ... interessierende ... Anhalte ganz von selbst ergeben!

MARIANNE
mit schmerzlich-bittrer, ihn in diesem Augenblick ebenso wie sich selbst anklagender Ironie.

Und zwar um so mehr, als du dahinterkamst, daß meine Arbeiten, je eifriger ich fortschritt, in ihrem letzten Grunde eigentlich bloß noch deinen Untersuchungen dienten!

GEORG
nervös-unbehaglich; sich immer mehr verwickelnd.

Ich hätte auch sonst kaum gewußt, wie wir eine derartige Korrespondenz, die sich ohne einen solchen Berührungspunkt doch naturgemäß nie so gesteigert hätte, über einen Zeitraum ... von ganzen fünf Jahren hätten ausdehnen können! Pferdegetrappel.

MARIANNE
auf seine Antwort, aber mit dem Bestreben, ihm dies möglichst nicht zu zeigen, schon im voraus lebhaft gespannt.

Bist du bei Mariette ... und sei dies auch nur ein einziges Mal gewesen ... auf eine ähnliche Anteilnahme an deinem damaligen »Haupt- und Lebenswerk«, wie du es nanntest, gestoßen?

GEORG
fast unwillig.

Mariette! ... Wie konnte ich von einem Wesen, das in allem, was es anstellte, immer noch dreiviertel Kind geblieben war, von einem Weib ... das nichts als Weib war ... Sich unterbrechend und sich sofort selbst verbessernd. ich meine das natürlich im besten, allerprächtigsten Sinne ... von einem [381] solchen Geschöpf, dem jede ernstliche Anstrengung, außer etwa allenfalls in ihrem bißchen Musik, fast wie die überflüssigste, närrischste Zeitvergeudung schien ... von Mariette ... ich kann mir das nicht einmal vorstellen ... von Mariette hätte ich das auch gar nicht verlangt!

MARIANNE
durch diese Antwort, trotz ihrer erkünstelten Sicherheit vor sich selbst, wie von einer geheimen Angst befreit.

Sie war dir also die ganzen Jahre ... das gewesen ... Unwillkürlich dabei aufatmend. was ich angenommen hatte! ... Fröhliche, zärtliche Meisen und Finken. Die berückendste, entzückendste Frau, die anbetungswürdigste Mutter eurer zwei Kinder, der farbenbunteste Paradiesvogel ... von ihren gelegentlichen, zeitweiligen, kleinen Raubtierkrallen, die du mir vorhin andeutetest, schweige ich ... aber ... kein Kamerad! ...

GEORG
zuerst, da dies Geständnis ihm nicht leicht fällt, fast widerwillig, dann, plötzlich, mit aller elementarsten Kraft und Energie dickst unterstrichen.

Nein! ... »Kein Kamerad!« ... Und diese Unterbilanz ... hat genügt ... um ihr Leben zu zerstören ... und meins! Nahes Auto; drohend.

MARIANNE
nach einer kleinen Pause; tiefer vollklingender Tonfall.
Du wirst es dir wieder aufbauen!
GEORG
jetzt zu ihr getreten; die linke, geballte Faust neben sich auf der Tischplatte; Marianne fest dabei anblickend; letzte Eindringlichkeit.

Marianne! ... Ich frage dich! ... Hast du bis zum heutigen Tage geglaubt ... Wolkenschatten; dunkel. daß der Tod deiner Schwester ein ... »zufällig-natürli cher« war? ... Da sie, statt ihm darauf etwas zu erwidern, nur schweigt und zu Boden blickt; fast fiebernd. Ich frage! ...

MARIANNE
ausweichend; mühsam.
Ich kann dir darauf ... nichts antworten! Dasselbe Auto; nochmal.
GEORG
nachdem er sich inzwischen wieder gesammelt; ausholend.

Du hast meinen letzten Brief an dich ... den ich kaum erst begonnen hatte ... nie erhalten! Ich saß grade und schrieb an ihm ... als Mariette ... leise hinter mir eintrat! ... Ich schob das Papier ... unter ein aufgeschlagnes Buch ... und verschloß dann beides! ... Mariette ... die mich dann, etwas auffallend ... in ein längeres Gespräch verwickelte ... bis ich mich schließlich ... [382] um nicht mein Kolleg zu versäumen ... genötigt sah, zugleich mit ihr das Zimmer zu verlassen ... mußte die Aufschrift bereits gelesen haben! ... Als ich spät am Nachmittag ... schon fast mit einer gewissen Vorahnung ... wieder nach Hause kam ... fand ich sie vor meinem erbrochnen Schreibtisch ... und alles ... was ich von dir erhalten ... zwischen meinen Büchern ... auf Stühlen, über den halben Teppich ... wirr verstreut! ... Starker Straßenlärm; Radfahrer, Pferdegetrappel, Auto; in seiner Darstellung und in seinem Bericht, so sehr und mit aller Kraft er auch noch an sich hält, immer erregter. Die Schildrung der Szene, die nun folgte ... erläßt du mir wohl, bitte! ... Ich hatte mit deiner Schwester ... ja schon ... die verschiedensten kleinen Kontroversen gehabt! Aber in diesem Falle ...Abbrechend und sofort wieder weiter. Nie hätte ich es für möglich gehalten, daß ein Mensch ... sich in eine solche ... Sinnlosigkeit ... rasen könnte! ... Zum erstenmal ... vielleicht verzeihlicherweise ... verlor auch ich die Geduld! ... Nie ... hatte ich bis dahin ... Zorn, Ingrimm, fast Verachtung; stark antithetisch. daß sie nur das Weib ... und ich der Mann war ... nie hatte ich sie das fühlen lassen! ... Alles hatte ich ertragen! ... Alles!! ... Aber da ...Letzte, kaum noch verhaltne, fast furchtbare Leidenschaft; seine Stimme hat einen beinahe fremden Klang. lernte sie mich kennen!!! ... Nachdem er, mit Mühe, wieder Herr über sich geworden. Das Resultat ... war ... daß sie sich oben ... einschloß! ... Als ich später ... zirka viertel zehn ... noch mal klopfte ... war das Zimmer leer ... und sie ... im ganzen Haus ... nirgends zu finden! ... Ich wartete bis elf ... zwölf ... ließ, da sie den Hausschlüssel, wie ich feststellte, nicht mitgenommen hatte, die kleine Gartentür auf ... und muß dann ... etwa so gegen eins ... in meinem Schreibstuhl ... vor Übermüdung ... denn ich hatte die Tage ... sehr schwer gearbeitet ... eingeschlafen sein! ... Als ich aufwachte ... merkte ich ... daß sie wieder in ihrem Zimmer war! ... Die Uhr ... zeigte viertel zwei! ...Wieder stärkst betont; fast wie von Marianne, die sich in ihrem Sessel kaum noch aufrecht hält, Rechenschaft fordernd; hohes, helles Auto. Wo ... war sie so lange gewesen? ... Bei ihrer Großmutter drüben ... bestimmt [383] nicht! ... Denn die hatte zufällig ... noch am selben Abend ... vergeblich nach ihr rübergeschickt! ... In der Familie meines einzigen Freundes ... Major von Usedom ... meines alten Regimentskameraden ... einige Häuser hier weiter ... war sie auch nicht! ... Vorsichtige ... sonst noch angestellte Umfragen ... blieben genau so resultatlos! ... Mariette ... wie du vielleicht weißt ... oder auch nicht weißt ... hatte die drollige Eigenart ... sich in einer besonderen Riesenvitrine ... Kurze, leicht unmutige Kopfbewegung rechts nach der Decke hoch. die dir ja oben aufgefallen sein wird ... pro Saison ... wie so eine Art Rennstallbesitzerin ... immer sieben Hüte zu halten! Nie einen mehr, nie einen weniger! ... Die ganze Garnitur ... wie ich mich zu meiner Überraschung überzeugte ... war an jenem Abend vollzählig! Sie konnte sich also nur irgendwie einen Schleier oder ein Tuch umgetan haben! In diesem Aufzug ... muß sie davongestürzt sein! Mir vollends und ganz und gar rätselhaft! ... Um sich nicht mit einem Dreihundertmarkhut ... was ihr vielleicht doch zu grotesk vorgekommen war ... Ähnlich wie vorhin; nur nach dem Zuschauerraum. noch keine fünfzig Schritt weit von hier, in den Kanal zu stürzen? ... Eine Absicht oder ein Vornehmen, das sie dann ... aus irgendwelchen Gründen ... wieder aufgesteckt haben muß? ... Ich weiß es nicht! ... Das mir noch genau erinnerliche Datum ... Marianne aufhorchend. war der siebzehnte März gewesen! ... Nach acht Wochen ... wir hatten in der Zwischenzeit ... nicht ein Wort mehr miteinander gewechselt ... Auf ein ganz erschrecktes, unwillkürliches Stutzen von ihr; noch verstärkt. Nicht ein Wort mehr ... Wir sahen uns nur noch bei den Mahlzeiten! ... Jeder hatte am andern vorübergelebt ... als ob der andere für ihn Luft wäre! Nach acht Wochen ... ohne jeden weiteren ... wenigstens mir bekannten Anlaß ereignete sich dann die Katastrophe! ... Auf sein »Fazit« los. Gewiß! Man kann einen Gashahn ... den man vorher aufgedreht hat ... aus einem unglücklichen Versehn wieder aufdrehn! ... Plötzlich scharf unterstreichend. Man kann dies aber auch absichtlich tun! ... Noch stärker. Deine Schwester ... die in allem, was sie tat ... im Guten, wie im Schlimmen ... sofort immer über alle Grenzen [384] sprang ... die kein Maß und kein Ziel kannte ... die in ihrer Leidenschaft ... Abbrechend und sofort mit noch erhobnerer Stimme wieder weiter. deine Schwester hat ihren Tod gewollt ... und ihre beiden Kinder ...Ganz fern ein kläglich heulender Hund. weil sie sie dir nicht gönnte ...

MARIANNE
bei seinen letzten Worten tiefatmend aufgestanden und neben ihren Sessel rechts nach der Seite des Zuschauerraums getreten; fast verstört; erst jetzt Georg wieder ganz anblickend.
Wie konnte Mariette ... vermuten oder wissen ...
GEORG
sie unterbrechend; wieder auf und ab; ihren Satz fort- und zu Ende führend.

Daß du nach ihrem Tode ... hier einziehn würdest? Das war nach allem Voraufgegangnen für sie so selbstverständlich und sicher, daß sie dich schon als ihre Nachfolgerin sah!

MARIANNE
mit aller Gewalt sich dagegen wehrend.
Hätte dein Sohn ...
GEORG
zustimmend; in ihrem Satz weiter.
Der arme Bengel, an dem du so hingst, nicht deiner Pflege bedurft ... ich weiß!
MARIANNE
jetzt erst ihren Satz schließend.

Ich wäre auch bei meinem Vater und der Großmutter drüben ... noch keine vierundzwanzig Stunden geblieben!

GEORG
wieder stehngeblieben; hinter dem Sessel rechts, dessen Lehne er wieder gepackt hält; stark, eindringlich, den Sinn seiner Worte ihr wie suggerierend.

Mariette ist nicht durch unsre Schuld ... sondern aus einem Irrtum über uns in den Tod gegangen! Sie hat im letzten Grunde weder dich ... noch mich gekannt!

MARIANNE
unsicher; wegblickend.
Mich?
GEORG
wie vorhin; nur noch gesteigert.

Auch ... dich nicht!! ... Nach einer kurzen, unwillkürlichen Pause; letzte, für ihn schmerzvollste Steigerung. An jenem Abend ... an jenem infamen siebzehnten Märzabend vor drei Jahren ... muß etwas gespielt haben ... was ich nicht weiß!! ... Und was ich auch nie ... unter keinen Umständen ... Auto; drei kurze, jähe Laute.

MARIANNE
jetzt ebenfalls hinter ihrem Sessel; dort fast wie gegen ihn verschanzt.

Dann geh! ... Geh ... ehe es nicht schon vielleicht ... Abbrechend; ihre Augen, wiederholt, angstvoll, irren nach der großoffnen Mitteltür. Jede Minute, die du hier bleibst ... jede Sekunde, die du zögerst ...

[385]
GEORG
ganz erstaunt-starr.
Du tust ... als ob durch diese Tür ...
MARIANNE
ihn unterbrechend; drängend, beinahe flehend.
Geh!
GEORG
der sie nicht aus den Augen läßt; stockend; mißtrauisch; in seinem selben Satz weiter.
Oder als ob du ... irgendwie wüßtest ... was an jenem Abend ...
MARIANNE
fast verzweifelt.
Ich weiß nur ... daß hier deines Bleibens ...
GEORG
der kaum seinen Ohren traut.
Du ... treibst mich ja ...
MARIANNE
mit aller Energie sich zusammenraffend.
Es war ... deine eigene ... Überzeugung vorhin ...
GEORG
seine Worte nochmal und noch stärker und gesteigerter.
Du treibst mich ja ... förmlich von dir!
MARIANNE
ebenso.
Es war deine eigne Überzeugung ... daß eine solche Trennung zwischen uns ... genau für heute ...
GEORG
veränderter, zögernd-warnender Tonfall.
Wenn ich meinen Fuß ... erst aus diesem Hause gesetzt haben werde ...
MARIANNE
in seinen Satz schnell einfallend.
Werden wir uns in diesem Leben ...
GEORG
erst jetzt ihn schließend; fast drohend.
Wahrscheinlich ... nie wiedersehn!
MARIANNE
mit aller Gewalt aufrecht; seinen Blick erwidernd.
Ich ... hoffe es!
GEORG
langsam; bitter.
Ist das ... dein einzges ... Abschiedswort an mich?
MARIANNE
seinem Blick ausweichend.
Ich habe dir ein andres ... nicht zu geben!
GEORG
mit seinem Blick den ganzen Raum überfliegend; unwillkürlich sich verschleiernder Stimmfall.

Dann werde ich also ... Unterstrichen. da du dieses wünschst ... Besonders betont. ohne unsre Sitzung ... erst abzuwarten ... Sich zusammenruckend; als wolle er bereits gehn; fernes Auto. sofort und ...

MARIANNE
mit dem Aufgebot ihrer letzten, sie fast bereits verlassenden Kraft.
Tus!
ONKEL LUDWIG
ganz aufgeregt noch im Garten, aus dem er eben auftaucht; schon von weitem winkend.

Schorsl! ... Mariannl! ... Beide blicken nach ihm hin; er steigt, ganz Feuer und Temperament, an seinem Stock die drei niedrigen, breiten Stufen empor; Sonne. Kinder Kurzer, schmerzhafter Knacks rechts. isses [386] wahr? ... Ich Wieder »Knacks!«. humple eben um die alte Muschellaube, und wen seh ich da sitzen ... bis über seine Haarspitzen in unsre Akten vertieft? ... Jetzt bereits zu einem Drittel in der Mitte des Raums; ausbrechend; »selig«. Den Nochmal »Knacks«. Magnifikus! ... Ganz entzückt. Wird das jetzt n Polterabend geben! ... Da die beiden andern ihm nicht antworten; stutzend; »Vogel Bülow«. Nanu? ... Was macht ihr denn für Gesichter? ... Wie seht ihr denn aus? ... Von einem zum andern blickend; erst zuckt Georg die Achseln, dann Marianne. Onkel Ludwig bis an den Tisch nähertretend; beide stehn hinter ihren Sesseln und vermeiden es, sich anzublicken. Nochmal »Vogel Bülow«. Onkel Ludwig: andrer Tonfall; von einem zum andern. Was ist ... hier geschehn?! ... Was ist hier ... vorgegangen?! ...

GEORG
nach einer kurzen Pause; wie vollkommen ruhig.
Nichts ...
MARIANNE
nach einer ebenfalls kurzen Pause; ebenso.
Nichts ...
ONKEL LUDWIG
wieder von einem zum andern blickend; langsamer, schwerer Tonfall.
Das ...Ganz fernes Auto. glaube ich nicht!

Vorhang.

2. Akt

[387] Zweiter Akt

Das »Chinesische Zimmer« Ein nicht zu breiter, mäßig tiefer Raum mit zwei großen Fenstern. Rechts eine kleine, links eine große Tür. Diese letzte von einem schimmernden Perlenvorhang verdeckt, den ein grünliches, grimmig aufgerecktes, grotesk stilisiertes Löwenungeheuer ziert. Die Wand, deren Ecken leicht abgeschrägt sind, ebenso wie die gleichfalls etwas abgeschrägte Ecke, ist mit einer alten, tiefdunkelblau leuchtenden Seide überspannt, in der aus einem gestickten, sich kringelnden Wolkenkranz, der zugleich als Fries dient, ebenfalls gestickt, mit mächtigen, sich kreisrund breitenden Schwingen, ein riesiges, märchenfarbnes Phönixpaar schwebt. Die beiden Türen sind von altem, kostbarem Schnitzwerk umrahmt, dessen ehemalige Buntheit – phantastisch vergoldete Pflanzenornamentik – bereits diskret verblaßt ist. In der Mitte des Raums, auf einem ebenfalls chinesischen Teppich, der den ganzen Boden deckt, ein nicht zu hohes, gestrecktes Postament, auf dem sich, als eigentliches Prunkstück, ein bronzener, »tausendgliedriger« Drachen windet, gezügelt vom bärtigen »Herrscher der Meere«, der nach der kleineren Tür zu drohend seinen Dreizack schwingt. Unmittelbar vor diesem Postament – ebenso wie
dieses aus einer schweren, dunkelbraunen, reich skulpturierten Holzart – dem Zuschauerraum zu ein breiter Armstuhl, und ganz nach vorn, rechts wie links, ein damit harmonierendes Tischchen mit je einem kleinen Hocker. In den abgeschrägten Ecken zwei riesige Stehlampen: durchbrochne, mit hell blutroter Seide hinterlegte Bronzekugeln. An den Wänden außerdem mit allerhand auserlesnem, »östlichem« Bricabrac gefüllte Schränke und Vitrinen und zwischen den beiden Fenstern ein Waffenarrangement. Diese Fenster, auf die beim Aufgehn des Vorhangs prall die Sonne scheint, sind von langen, gelbseidnen Vorhängen verhüllt, in denen sich dunkle Blätterschatten abzeichnen. Die Bühne, nachdem der Vorhang aufgegangen ist, steht einen Augenblick leer. Die ferne Großstadtmusik nur noch ganz diskret und gedämpft.

[388]
MARIANNE
während die Blätterschatten durch eine plötzlich aufziehende Wolke matt werden und etwas verschwimmen, mit allen Anzeichen innerer Erregung durch die kleine Tür rechts; sie sucht diese, mit vorgedrücktem linken Knie, instinktiv zu verriegeln, findet aber, woran sie in ihrer Eile und Aufregung nicht gedacht, nicht die entsprechende Vorrichtung, eilt hastig zu dem bunten, matt glitzernden Waffenarrangement zwischen den beiden Fenstern, enthakt diesem einen kleinen, geschliffnen Dolch und steht nun, das von den lang herabfließenden Falten ihres Kleides verdeckte Mordinstrument in der krampfhaft geballten Rechten, aufrecht vor dem Mittelpostament, die Augen gespannt auf die kleine Tür geheftet.
UEXKÜLL
durch diese Tür; letzte, englische Mode, »tipptopp«, den Hut in der Hand; eleganteste, weltmännische Verbeugung, als ob sich sein unerhörtes Eindringen bis in diesen Raum eigentlich ganz von selbst verstünde.
Gnädigste Frau?
MARIANNE
deren Augen blitzen.
Wer sind Sie? Was wollen Sie? Wie können Sie sich unterstehn ...
UEXKÜLL
der sich nach allen Seiten sofort scharf umgeblickt; sein Benehmen ist von größter Sicherheit und Ruhe, zu der nur sehr selten ein auffällig entschlossnes, energisches Zugreifen und ein sich Dienstbarmachen der Situation ganz überraschend kontrastieren; die Augen noch immer lebhaft beschäftigt; im Ton eines entzückten, ganz überraschten Kenners.
Ein seltsam ... köstlicher Raum hier!
MARIANNE
über seine gelassne, unglaubliche Kaltblütigkeit ganz entsetzt; dann sich sofort wieder fassend und noch gesteigerter als vorhin.

Wollen Sie mir, bitte, Aufklärung geben, wie Sie so ... zudringlich sein konnten ... auf fremdem Grund und Boden einer Ihnen gänzlich unbekannten Dame ... bis durch drei Türen zu folgen?

UEXKÜLL
von der eigentümlichen Haltung ihrer Rechten, die ihm auffällt, nach dem Arrangement zwischen den Fenstern blickend und wieder zurück.
Ich bitte tausendfach um Verzeihung, aber ...
MARIANNE
noch erregter.

Sie hätten doch schon heute vormittag ... und zwar mit aller wünschenswerten Deutlichkeit ersehn müssen, daß mir Ihre Annäherung ...

[389]
UEXKÜLL
die »Höflichkeit selbst«.

Ich bitte nochmals um Verzeihung ... Ähnlich wie vorhin. aber in jener prachtvollen, alten Armatur ... fehlt ein kleiner, spitzer ... ja, wahrscheinlich sogar sehr spitzer ... Plötzlich schnell auf sie zu und sie fest um das Handgelenk packend. Pardon! Der Dolch gleitet sofort in den Teppich. Gegenstand! ... Sich bückend und ihn aufhebend; das nicht ungefährliche Ding schon in der Hand; fast mitleidig-vorwurfsvoll. Wozu zwischen uns ...? Die Waffe wieder an ihren Platz hängend; zu Marianne bereits zurückgewandt. Gnädige Frau werden mir gütigst nachsehn, wenn ich Sie daran zu erinnern wage, aber ... Bei diesen Worten schon wieder vor ihr. gnädige Frau stehn doch einem Gentleman gegenüber!

MARIANNE
bis an das Postament mit großen, starr offnen Augen vor ihm zurückgewichen; schwer atmend.
Ich weiß ... überhaupt noch nicht ... wem ich gegenüberstehe!
UEXKÜLL
diskret-verbindlich.
Gnädigste erinnern sich nicht?
MARIANNE
wie vorhin; fast mechanisch.
Ich habe Sie, außer heute vormittag ... noch nie ... Abbrechend.
UEXKÜLL
jetzt, einen Moment, offenbar selbst ganz verblüfft.
Wie kann aus dem Gedächtnis einer Frau ...?
MARIANNE
die sich inzwischen etwas gefaßt hat.
Vielleicht helfen Sie diesem Gedächtnis ... ein wenig nach?
UEXKÜLL
zuvorkommend; liebenswürdig; ganz »Gent«.

Es wird mir zwar stets ... ein Vergnügen sein ... mich jeder Ihrer Launen ... und sei es auch der kapriziösesten, zu fügen ...

MARIANNE
schnell.
Dann bitte!
UEXKÜLL
noch in seinem selben Satz weiter.
Nur begreife ich wirklich nicht ...
MARIANNE
scharf.
Darf ich meine Bitte wiederholen?
UEXKÜLL
kurzes, noch immer etwas erstauntes Zögern.
Wenn Sie es ... wünschen ...?
MARIANNE
fest.
Ich wünsche es!
UEXKÜLL
nach einer kleinen Pause; Wolke noch dunkler; die Blätterschatten vollständig verschwunden.
Es war an einem ... Abend ... einem sehr häßlichen, regnerischen Märzabend ...
MARIANNE
die sofort, ganz seltsam, aufgehorcht hat.
»Märzabend ...?«
UEXKÜLL
ihre Frage mit einem leichten Nicken bestätigend.

Als eine [390] junge ... auffallend schöne Frau ... die ihr schweres, dunkelgoldkastanienbraunes Haar in ein seltsam schillerndes, indisches Schleiergewebe gehüllt trug ... Abbrechend; wie in der Erwartung, daß die rekapitulierten Details doch nun hoffentlich bereits vollauf usw. usw.

MARIANNE
die jedes seiner Worte fast »verschlungen«.
Sprechen Sie! ... Sprechen Sie weiter!
UEXKÜLL
mit Augen wie ein Hypnotiseur.

Diese junge Frau, von einem entzückend südlichen Typus, mit einem Profil ... Auf eine kurze, unwillig abkehrende, fast wie degoutiert wirkende Geste von ihr. Gut. Ich werde mich also nur noch ... auf das Notwendigste beschränken! ... Nach einer erneuten, ganz kleinen, sehr klug berechneten Steigerungs- und Kunstpause. Diese Dame, wie ich dies später aus gewissen, kleinen, mir verbliebnen Belegstücken habe rekonstruieren können, hatte an jenem Abend ... ich kann Ihnen auch noch sogar ganz genau das Datum sagen, es war an einem Siebzehnten gewesen ... Marianne fast zusammengezuckt. eine auffällige, etwas absonderliche Runde durch eine Anzahl hier im Westen gelegner Apotheken gemacht. Als sie mit diesen ... und ihrer vielleicht nicht zu weit reichenden Ortskenntnis zu Ende war ... muß sie ... ich schätze ungefähr am Magdeburger Platz ... eine Droschke genommen und so ihre merkwürdige Tour fortgesetzt haben. Am Belleallianceplatz, Ecke Wilhelmstraße, weigerte sich der Kutscher, der mir kein schlechter Menschenkenner schien, seine vergeblich dagegen protestierende Insassin ... noch weiter zu fahren. Fünf von diesen »alten Giftbudiken« ... verzeihn Sie, aber so populär-prononciert äußerte sich der Mann ... wären genug! ... Gnädige Frau erkundigten sich dann bei dem Schutzmannsposten Hallesches Tor nach der nächsten Apotheke gegen die Johanniskirche zu und verlangten dann dort ... gnädige Frau hatten in Ihrer Aufregung nicht gemerkt, oder darauf geachtet, daß ich Ihnen gefolgt war ... ein »halbes Dutzend Veronalpulver«. Der etwas ältre, erfahrne Herr mit der unvermeidlichen, deutschen, goldnen Brille verabfolgte Ihnen, vorsichtig, nur eins. Auf der halbdunklen Straße draußen wieder angelangt, ließen gnädige Frau sich durch ein kleines, ärmlich gekleidetes [391] Mädchen, dem gnädige Frau, wie es schien, ein dafür ganz überraschend hoch bemessnes Geldgeschenk verabreichten, nach der abermals nächsten Apotheke führen, und als Sie aus dieser heraustraten, erlaubte ich mir die Kühnheit, mich gnädiger Frau vorzustellen, mit der ergebnen Anfrage, ob gnädige Frau wünschten, noch zu einer weiteren Offizin geführt zu werden. Gnädige Frau ... Gedämpftes, dunkles Auto. blickten mich erschrocken an, als ob ich ein Wesen aus einer andern Welt wäre! ... Zwei reichlich Betrunkne jener Gegend näherten sich uns in diesem Augenblick, und gnädige Frau waren vernünftig und einsichtsvoll genug, mit mir in einen Wagen zu steigen, der grade vom Urban kam.

MARIANNE
durch seine Unterbrechung ganz ungeduldig.
Weiter!
UEXKÜLL
mit derselben Ruhe und Sicherheit, in seiner Bestimmtheit unvermindert, seinen Bericht jetzt schließend.

Wir landeten in einem sehr netten Lokal der Friedrichstadt ... in einem kleinen, achteckigen Rokokozimmerchen, das reizend war ... die gefährlichen Medikamente hatte ich unterwegs schon beschlagnahmt ... und so anfänglich gnädige Frau gedrängt hatten, es war bereits gegen Eins geworden, als ein grausames Automobil ... Letzte, raffinierte kleine Kunstpause; langsam; fast jede Silbe unterstrichen. uns unserm Idyll entführte!

MARIANNE
der fast der Atem stockt; zu Tode erschrocken.
Hierher!
UEXKÜLL
beeilt-verbindlich.

Leider nein. Ich kann es zwar immer noch nicht ganz begreifen ... warum gnädige Frau ... mich alles dies erzählen lassen ...

MARIANNE
kaum fähig, noch zu sprechen; die Augen in diesem Moment geschlossen.
Wohin ... hat mich das Automobil ... »entführt«?
UEXKÜLL
trotz seiner fast absoluten Selbstbeherrschung in diesem Augenblick doch wieder ganz erstaunt-überrascht.

Wenn gnädige Frau ... mir das heute nicht selbst verraten können ...? An der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche war ich auf gnädiger Frau wiederholtesten, dringlichsten Wunsch ausgestiegen, weil Ihr verehrter Herr Gemahl ... Leis ironisch. angeblich Kurfürstendamm sechsundachtzig wohnte, ein neues, baldiges Wiederzusammentreffen war zwischen uns fest verabredet worden, als ich bereits am nächsten Tage ... leider für mich zu spät ... dahinter [392] kam, daß mich gnädige Frau ... Abbrechend und sofort weiter. Wären gnädige Frau ... nicht von einer so bestrickenden Liebenswürdigkeit gewesen, von einem so ... kaptivierenden, Sie dürfen mir das im Moment jetzt wirklich nicht verübeln, Verstellungsraffinement ... gnädige Frau hätten mich zu einer solchen Dummheit nie ... Nachträgliches Mißvergnügen und unverhohlenster Unmut über sich selbst. Die einzige, leichtfertige Vertrauensseligkeit meines Lebens!

MARIANNE
nach einer kleinen Pause; wieder matte Blätterschatten; mit aller Kraft sich sammelnd.

Und wenn ich nun ... die ... die Sie nach so langer Zeit ... endlich wiedergefunden zu haben glauben ... nicht wäre?

UEXKÜLL
unterdrückt-leidenschaftlich; veränderter Tonfall.

Warum ... peinigen Sie mich so? Warum quälen Sie mich? Daß ich an jenem Abend im Aufruhr meiner Leidenschaft für Sie ... mich in einem kurzen, unbewachten Augenblick von Ihrem berückenden Zauber habe überwältigen und hinreißen lassen ...

MARIANNE
die sich kaum noch auf ihren Füßen hält.
Schweigen Sie!
UEXKÜLL
noch gesteigerter als vorhin.

Nicht eine Stunde, nicht eine Sekunde habe ich Sie vergessen können! Schon damals hatte ich halb Berlin durchsucht! Und als ich Sie dann heute endlich ...

MARIANNE
fast verzweifelt.
Sie hören doch!
UEXKÜLL
über ihre Worte hinweg.

Dieser blöde, greuliche Unfall vor noch nicht drei Stunden am Kemperplatz hätte Sie mir fast abermals entrissen, wenn mich nicht mit einemmal ... nachdem ich alle Hoffnung schon so gut wie aufgegeben ... ein dunkler, vager Instinkt hier eben auch noch den Kanal entlang geführt hätte, wo ich plötzlich ... das große, mir auch jetzt noch unfaßbare Glück hatte, Sie durch ein wundervoll verschlungnes Gitter in einem blühenden Laubengang zu entdecken!

MARIANNE
nochmal; mit letzter, in diesem Moment voll wieder- und zurückgewonnener Macht und Kraft.

Ich habe Ihnen ... die Wahrheit gesagt! Die volle ... strikte Wahrheit! Ich bin nicht die ... die Sie in Ihrer Verblendung ...

UEXKÜLL
jetzt wieder vollkommen Herr über sich selbst; leichte, chevalereske Verbeugung; lächelnd; fast mitleidsvoll.
Aber meine Allergnädigste!
[393]
ONKEL LUDWIG
in diesem Augenblick an seinem Stock durch die Tür rechts; vor Überraschung ganz starr.
Herr ... Baron!!
UEXKÜLL
der sich sofort gefaßt hat; scheinbar aufs höchste erfreut.
Ah ... teuerster, verehrtester Herr Doktor!!
ONKEL LUDWIG
von einem zum andern; noch immer wie verdattert.
Ja ... bin ich denn ...?
UEXKÜLL
geschmeidig-verbindlich.

Da ich durch einen glücklichen Zufall erfahren, daß Sie Ihre Residenz hier wieder in Berlin aufgeschlagen ...

ONKEL LUDWIG
zornig; fast drohend.
Sie sind es also doch?
UEXKÜLL
nach einem schnellen, halb wie fragend sich vergewissernden Blick zu Marianne rüber, die ihre Haltung noch nicht ganz wiedergewonnen hat; »aalglatt«.
Ich ... verstehe zwar nicht, ich begreife gar nicht, worauf Herr Doktor anspielen, aber ...
ONKEL LUDWIG
zu Marianne; Uexküll beinahe verächtlich messend; noch gesteigert.
Dein kurioser Held ... vom Rolandsbrunnen?
UEXKÜLL
als sei ihm das allergrößte Unrecht geschehn; bald zu ihm, bald zu Marianne rüber.

Ich komme direkt vom Bahnhof Friedrichstraße! Ich bin vor knapp einer halben Stunde erst aus meinem Zug gestiegen! Es scheint hier irgend etwas ... wie eine Verwechslung, oder ein Irrtum vorzuliegen!

MARIANNE
durch den Moment dazu gezwungen, diese Lüge nur mit Mühe über die Lippen bringend.
Ich habe Herrn Baron ... vor fünf Minuten ... zum erstenmal gesehn!
ONKEL LUDWIG
wieder von einem zum andern rüber; noch immer nicht ganz überzeugt.
Das ist ... wahr?
UEXKÜLL
fast »gekränkt«.

Falls Herr Doktor etwa ... die Bestätigung meiner Angaben auch noch durch den Hotelportier wünschen ...

ONKEL LUDWIG
widerwillig einlenkend; brummig.
Nun, nun!
MARIANNE
der für alle Beteiligten nachgrade etwas peinlich gewordnen Situation dadurch endlich ein Ende machend.
Ich bitte dich wirklich ... nicht weiter ...
ONKEL LUDWIG
zu Uexküll; ihm revozierend die mächtige Pratze bietend; erste Silbe betont.
Na, denn ...
UEXKÜLL
ihm die Hand ostentativ schüttelnd; draußen hellste Sonne.
Es ist mir eine ... aufrichtige ... herzliche Freude!
ONKEL LUDWIG
nunmehr ganz mit allem einverstanden; »versöhnlich«.

Wußte [394] doch ... daß wir uns noch mal wiedersehn? ... Mit einer wie scheinbar nebensächlich-nachlässigen Handbewegung selbstbewußt-stolz durch den Raum weisend. Hä? ... Überrascht?

UEXKÜLL
wie sich erst jetzt umblickend.
Entzückend!
ONKEL LUDWIG
durch diesen Eindruck »befriedigt«.

Zwar schon scheußlich modernisiert, wie überhaupt fast alles hier ... Nach den beiden Lampen hin. sogar neuerdings ... elektrisch Licht, aber ... Das Haus seiner Geburt »erläuternd«. pompöser Kasten aus dem letzten Regierungsjahr Friedrichs des Großen! Erbaut für einen alten, philosophisch angelegten Haudegen seiner ehmalgen Tafelrunde! Nach hinterlassnen Plänen von Knobelsdorff!

UEXKÜLL
wie aufs lebhafteste interessiert und überrascht.
Was Sie sagen!
ONKEL LUDWIG
immer eifriger; das betreffende »Möbel« ihm vordemonstrierend.

Glauben Sie etwa miserabler, ganz gewöhnlicher, ixbeliebiger Krückstock? Einzges Pendant zu ihm hier im Hohenzollern-Museum! Dem ersten Inhaber und Besitzer allerhöchsteigenhändigst geschenkt und verliehen von seinem erhabnen, glorreichen, wohlauktionierten Herrn und König!

UEXKÜLL
bewundernd.
Ja ganz fabelhafte Reliquie!
ONKEL LUDWIG
auf seinen Stab sich stützend.
Jetzt von mir natürlich bloß benutzt ... »Knax«. huhp!!
MARIANNE
besorgt.
Du solltest deine Kräfte wirklich ...
ONKEL LUDWIG
der sich bereits wieder zusammengeruckt hat; seinen Satz schließend; beruhigend zu Uexküll.
Nur so trallala und pro forma ...Zu Marianne. Dir zu Liebe! Dir zu Liebe!
UEXKÜLL
ebenso.
Herr Doktor erfreuten sich zum Glück stets ...
ONKEL LUDWIG
Geste; geschmeichelt abwehrend.

Unberufen! Unberufen! »Für alle Fälle« dreimaliges, »dezent« markiertes »Ausspucken«; in seiner »Erläuterung« weiter. Der ganze Krempel von meinem Vater selig achtzehnhundertdreißig um dreiundvierzigtausend Taler Preußisch Courant bar angekauft! Wert heute fünfundzwanzigfach! ...Auf ein unwillkürliches, respektvoll-beifälliges Stutzen Uexkülls. Fünfundzwanzigfach! Halb nach den Fenstern hin. Einzges, noch nicht demoliertes Parkgrundstück in diesem ... ja nun leider auch schon längst passé gewordnen Viertel! ... Entsprechende, verdeutlichende Geste. Drüben, nach dem Tiergarten zu, Anno fünfundsiebzig, während meiner Abwesenheit, [395] zu meinem Kreuz und Leidwesen, von meiner Frau Mutter verschandelt durch einen ganz widerwärtgen, hundsmiserablen Vor- und Vorderbau im abscheulichsten, neumodischen Gründerstil! Pfui Deubel!

UEXKÜLL
der unterdessen, von dem mit seiner vertraulich-großtuerischen Auskramerei zu Beschäftigten darin nicht beachtet, immer wieder heimlich Marianne beobachtet hat, die, zum Teil mit zu Boden gesenkten Blicken, trotz ihres inneren Aufruhrs, ihre Haltung zu bewahren versucht, beeilt zuvorkommend zu seinem auf so seltsame Art und Weise plötzlich wiedergefunden, ehemaligen, zeitweiligen Reisekameraden.
Den Herr Doktor also doch sicherlich wieder abreißen lassen werden, sobald Herr Doktor ...
ONKEL LUDWIG
der ihn bereits verstanden, abwinkend; seiner überragenden Würde sich bewußt.

Versteht sich! Versteht sich! Nur der vorhandne Baumbestand und dies alte, ehrwürdige Landhaus bleibt!

UEXKÜLL
noch in seinem selben Satz weiter; die beiden letzten Worte unterstrichen betont.
Um dann als das eigentliche Sanktuarium ...
ONKEL LUDWIG
wie vorhin.
Selbstverständlich! Selbstverständlich! ... Zu Marianne. Der Herr Papa noch nich da?
MARIANNE
während Uexküll sofort die Ohren gespitzt hat, in seiner Gegenwart durch diese Frage etwas peinlich berührt; den Namen »Georg« absichtlich ziemlich scharf hervorhebend.
Ich habe dir bereits gesagt ... daß Georg ausdrücklich ...
ONKEL LUDWIG
dessen seelische Epidermis auf allzu große Feinheiten, und nun gar noch in diesem Augenblick, nicht besonders gestimmt ist; seiner Sache sicher.
Na denn kommt er noch! Bilde dir doch nicht ein, daß der so lange ...
MARIANNE
ihn unterbrechend; mit einem halben, leis ungeduldigen Blick nach Uexküll.
Es wäre vielleicht ... richtger ...
ONKEL LUDWIG
nachgrollend.

Mit der Platzbombe in der Hand! ... Zu Uexküll; veränderter »jovialer« Tonfall; in dem dunklen Gefühl, daß er eben vielleicht doch etwas wie in einen »Fett-Topp« getreten. Erinnern sich noch? Do you remember? Souvenez vous-en? Wie wir uns kennen lernten??

[396]
UEXKÜLL
einen Augenblick durch diesen kühnen Überfall ganz überrumpelt.
Ich ... kann mich im Moment ...
ONKEL LUDWIG
seinem Gedächtnis nachhelfend.
Pästum?
UEXKÜLL
wie nachträglich nicht begreifend, daß er dies weltgeschichtliche Ereignis auch nur eine Sekunde lang usw.
Ah! Allerdings! Freilich!
ONKEL LUDWIG
triumphierend.

Jene alte Rosen-, Ruinen- und Tempelstadt? Als ich auf geheiligter ... dem Poseidon geweihter Schwelle ... Fett- Topp Nummer Zwei. Ihrer schönen Dame Geste. »Wie einst ...«. ein kleines Sträußchen selbstgepflückter Frühlingsmargueriten überreichte? Letzte, altväterischste Grandezza. Amore, more, ore ... re ... firmantur amicitiae!

UEXKÜLL
zu Marianne, der Onkel Ludwig, so lieb sie ihn sonst hat, in diesem Moment einfach »schrecklich« ist.

Herr Doktor waren damals so gütig, Bereits wieder zu Onkel Ludwig. uns mit Ihrem profunden Wissen ...

ONKEL LUDWIG
auf den großen bequemen Mittelsitz zu; dabei nach dem kleinen Hocker links weisend; vertraulich-gemütlich.

Setzen sich, lieber junger Freund, setzen sich! ... Durch seinen rechten Seitenschmerz etwas geniert, sich umständlich niederlassend. Ich bin überhaupt der einzge Mensch, der heut noch ... Wieder »Knax«; sich sofort aufrappelnd. äh! ... der heut noch Latein kann!

UEXKÜLL
bereits an seinem Tischchen links.

Verbindlichsten Dank! ... Zu Marianne rüber. Gestatten? Marianne, von Onkel Ludwig in diesem Augenblick nicht mehr gesehn, blickt ihn nur wie ganz erstaunt von oben herab an, was ihn aber nicht im mindesten hindert, den ihm von Onkel Ludwig angewiesnen Platz, ein ganz klein wenig betont leger, einzunehmen.

ONKEL LUDWIG
zu Marianne; halb nach ihr zurückgedreht; nach dem Tischchen rechts weisend.

Mariannchen! ... Wieder zu Uexküll, der auf dem Tischchen, vor dem er jetzt sitzt – ebenso, wie auf dem ihm gegenüber, an den sich nun Marianne setzt – eine flache, ziemlich große, ganz dünn geschliffne, milchig-graugrün schimmernde Schale auf einem schwarzen zierlich geschnitzten Holzuntergestell entdeckt hat, die er, wie davon lebhaft interessiert, mit »Kennermiene« betrachtet. Alte, echte Nephritopferschalen [397] aus irgend so 'nem tibetanischen oder südchinesischen Tabernakel! Von mir selbst mitgebracht!

UEXKÜLL
dessen entzückter Enthusiasmus diesmal wirklich echt scheint.

Wundervoll! ... Anknüpfend zu Marianne rüber. Herr Doktor interessierten sich damals ... Respektvoll zu dem Gefeierten. durch ganz Indien ...

ONKEL LUDWIG
jetzt ganz in seinem Element; ihn unterbrechend und in seinem Satz weiter.

Für sämtliche okkultistischen Manifestationen, Kundgebungen und Schaustellungen, deren ich überhaupt bloß habhaft werden konnte! Natürlich! Wozu bereist heut 'n halbwegs gebildeter Mensch sonst den Orient?

UEXKÜLL
der unterdessen wieder die Gelegenheit benutzt hatte, nach Marianne rüberzublicken; beeilt artig.
Gewiß! Allerdings! Aber ganz unbestreitbar!
ONKEL LUDWIG
immer mehr und mehr bei seinen »alten Fahrten«.
Entsinnen sich? Unsre phantastisch himmelhohe, steile Felsenfakirkrypte in Karli?
UEXKÜLL
jetzt verbindlich wieder zu Marianne rüber.

Auch mich ... ich muß gestehn ... reizten und fesselten alle diese Dinge ja lebhaft! Einschränkende, skeptische Geste. Wenngleich ...

ONKEL LUDWIG
jetzt ebenfalls zu Marianne.

Herrn Baron ... Kommentierend zu Uexküll rüber; Fett-Topp Nummro Drei. begleitete damals ein junges ...

UEXKÜLL
schleunigst.

Haben Herr Doktor, falls ich fragen darf, Ihr auf jener Reise so Jedes Wort, um den Angeredeten möglichst auf ein andres Thema zu bringen, nach Kräften prononciert. so sehnlichst gesuchtes Medium inzwischen ...

MARIANNE
auf eine nach ihr wie vorstellend präsentierende Geste Onkel Ludwigs; ganz entsetzt.
Onkel!
ONKEL LUDWIG
der sich dadurch nicht ans seinem »Konzept« bringen läßt.
Papperlapapp!
MARIANNE
wie um ihn mit aller Gewalt noch im letzten Moment von seiner mehr als überflüssigen Indiskretion abzubringen.
Du hast nicht das Recht ...
ONKEL LUDWIG
nochmal wie vorhin; »a« kurz.
Da! Fünf Schritt Ihnen gegenüber!
MARIANNE
empört aufgestanden.
Es ist von dir im höchsten Grade ...
[398]
ONKEL LUDWIG
noch verstärkt.
Mit allen Phänomenen, die sich sonst ... eigentlich bloß vereinzelt finden!
UEXKÜLL
der sich jetzt ebenfalls erhoben hat; mit allen Anzeichen höchster Überraschtheit zu Marianne rüber.
Ich bin ganz ...
GEORG
durch die große Tür links, deren Drücker er noch in der Linken hält, während er mit der Rechten den Perlenvorhang gehoben; mit seinen Augen das Zimmer durchsuchend und dabei den ihm gänzlich Fremden erblickend; unangenehm überrascht; Blätterschatten wieder blässer.
Verzeihung!
MARIANNE
ganz erstaunt; fast betroffen; unwillkürlich einen halben Schritt zurück.
Du?
GEORG
noch ähnlich wie vorhin; nur jetzt lediglich zu Marianne rüber.
Ich hätte noch gern ...
ONKEL LUDWIG
sitzen geblieben; die Herren von weitem einander vorstellend.

Mein Freund, Baron Uexküll ... mein Neffe, Professor Doktor Dorninger! Marianne hinter ihrem Tischchen, auf das sie sich stützt, beide gespannt-angstvoll beobachtend.

UEXKÜLL
zu dem federnd näher Getretnen; sofort die Verbindlichkeit selbst.

Sehr erfreut ... Habe bereits das große Vergnügen ... wenn auch nur aus ... von fern bewunderten Schriften ...

GEORG
dicht vor ihm; ihn scharf messend; dabei sofort mißbilligend-verwundert seinen Hut streifend, den Uexküll bei seinem schnellen, eigenmächtigen Eindringen vorhin weder die Zeit noch die Gelegenheit gehabt, in der Vorhalle abzulegen.
»Uexküll«? ... Die gesuchte Erinnrung in seinem Gedächtnis findend. Ostseeprovinzen!
UEXKÜLL
durch diese Art sofort auf dem Qui vive; kurz, kühl; aber sich noch halb verbeugend.
Ungefähr!
ONKEL LUDWIG
noch immer sitzend; seinen Protegee »erläuternd«.
Der interessante, junge Mann ... von dem ich dir und unserm lieben Mariannchen ...
GEORG
in seinem Satz, den er ihm ungeduldig- rücksichtslos unterbrochen, weiter; den etwas erstaunten Uexküll dabei stehnlassend.

Schon so wiederholt und oft ... Sarkastisch. Entsinne mich! ... Bereits im Raumteil rechts; zu Marianne rüber; andrer Tonfall; ohne sie anzublicken. Ich hätte noch gern ... einiges mit dir besprochen!

[399]
MARIANNE
die sich inzwischen wieder gefaßt hat.
Wie du wünschst.
UEXKÜLL
der sich auf diese Weise plötzlich wie »Luft« behandelt sieht; in Ton und Haltung eines sich Verabschiedenden.
Herr Doktor?
ONKEL LUDWIG
die Situation allmählich begreifend; schneller, empörter Blick nach Georg rüber, der diesen aber nur in den Rücken trifft.

Ach, so! ... Beide »a« kurz, das letzte betont. Jaja! ...Ganz hilflos; nach allen Seiten hin. Eine Temperatur heut ...

GEORG
»konstatierend«, trocken; ohne sich in seiner Promenade dadurch stören zu lassen.
Noch zwei Stunden, und wir kriegen das schönste Gewitter!
UEXKÜLL
der inzwischen wiederholt scharf, wie um sich über ihr beiderseitiges Verhältnis zu orientieren, von Georg zu Marianne geblickt; nochmal.
Wenn Sie gestatten ... daß ich mich jetzt empfehle?
ONKEL LUDWIG
tolpatschig-taprig; wie ganz verdutzt zu ihm rauf.
Sie stören nicht!
GEORG
zuklappend wie mit einem Hammerschlag; wieder Blick nach dem Hut.
Nicht im geringsten!
UEXKÜLL
der diesen Blick wieder nicht grade angenehm empfunden; Georg ignorierend; noch immer zu Onkel Ludwig.
Zu gütig.
ONKEL LUDWIG
an seinem Stock sich jetzt mühsam hochkräpelnd.
Ich muß Ihnen doch noch wenigstens ... unser Haus und ...
GEORG
ihn unterbrechend; sehr »deutlich«; mit dem nochmals indirekten Versuch, Uexküll dadurch abzuwimmeln.
Du wirst dich überanstrengen!
UEXKÜLL
der Onkel Ludwig sofort dienstbereit zur Hilfe gekommen.
Sehr liebenswürdig!
ONKEL LUDWIG
aus seinem pompösen Armstuhl nun glücklich wieder auf den Beinen.

Lassen Sie nur, Barönchen! Lassen Sie nur! Geht schon! Geht schon! ... »Knax«. Hühp?! ... Sich reckend. Mille remerciments! ... Hoheitsvolle, fast »königliche« Geste auf die Tür links. Also dort winkt uns zunächst ... wie der Dichter sagt ... das hohe, schimmernde Atrium dieses alten, ehemaligen, jetzt emeritierten und degradierten Herren- und Edelsitzes ... Von seinem Schützling halb unterstützt, halb begleitet, auf diese Tür zu. da sollen Sie 'n beinah echten Tiepolo sehn ... und wenn ich Ihnen dann ... meine bunten Rabatten gezeigt habe ...

[400]
UEXKÜLL
bereits an der Tür; zu Georg und Marianne zurück; offiziersmäßig.

Herr Professor? ... Meine Gnädigste? ... Vor Onkel Ludwig den Perlenvorhang hebend. Darf ich mir erlauben?

ONKEL LUDWIG
bevor er das derangierte Löwenungeheuer passiert; mit nochmaligem Retardement; nicht ohne gewisse, ihn sowohl wie seinen Gast sozusagen rehabilitierende, naive Renommage zu Georg rüber.

Seit wir das letztemal ... an den Ufern des Manzanares promenierten ... ist mir in dies alte, fossile Knochengestell ...

UEXKÜLL
ihm nun auch noch die Tür selbst öffnend.
Bitte?
ONKEL LUDWIG
jetzt ebenfalls nochmal zurück.
Aber glaubt etwa ja nicht ... daß wir nich wiederkommen!
UEXKÜLL
bevor er hinter ihm den Raum verläßt; wie vorhin.
Nochmals!
MARIANNE
nachdem beide verschwunden; mit aller Energie sich zusammenraffend.
Ich hätte nach unserm Abschied ... nicht mehr erwartet ...
GEORG
der Uexküll kaum gedankt; stehngeblieben; losplatzend; die Sonne in den Vorhängen ganz erloschen.
Wie kommt dieser Mensch ... in unser Haus?!
MARIANNE
achselzuckend; den noch immer in ihr tobenden Aufruhr geschickt vor ihm verbergend.
Ich kann dir darauf wirklich ...
GEORG
mit instinktivem Widerwillen; fast wie schon jetzt seinen Todfeind in ihm witternd; inquirierend.

Um Onkel Ludwig, der ihm doch höchstens ... eine bloß mehr oder minder amüsante, oder groteske Globetrotter-Erinnrung sein kann ... auf einmal improvisierte Krankenwärterdienste zu leisten? Oder mir, mit seinem Hut in der Hand, mißglückte Komplimente an den Kopf zu werfen?

MARIANNE
ablehnend-ausweichend; mit Gewalt ihre Fassung bewahrend.
Du stellst mir Fragen ...
GEORG
elementar aus sich heraus; seinen Gang wieder aufnehmend.

Der Mensch ist mir widerwärtig! ... Diese kalten ... unverschämten Metallaugen ...! Mit solchen Blicken empfiehlt man sich nicht von einer Dame der Gesellschaft, mit der man nur oberflächlich ... erst einige Worte gewechselt ... und die man noch nie vorher gesehn hat!

MARIANNE
die sich nur noch mit Mühe aufrecht hält; gegen die dunkle, [401] unbestimmte Verdächtigung, die aus diesen Worten klingt, sich zur Wehr setzend.
Du sprichst ...
GEORG
kurz, hart; alles Weitre ihr abschneidend.

Ich rede nicht von dir! Ich rede von ihm! ... Nach einer kleinen, verstimmten Pause; noch aufgebrachter und ungehaltner als vorhin; auf seine alte, fixe, verquer unglückliche Sündenbock- und Prügelknabenidee eigensinnig wieder znrückkommend. Da siehst du, wie fahrlässig und verkehrt es von dir damals war ... ein so ausgefallenes, gefährliches Original und Unikum, wie Onkel Ludwig ...

MARIANNE
leis ungeduldig-ablenkend; ihn zu beruhigen suchend.
Mein Gott, daran ist doch jetzt ...
GEORG
erbittert durch die Zähne.

Muß einem noch im letzten Augenblick ... Plötzlich; nach ihr umgedreht; mit erneutem, nun noch gesteigertem Unbehagen und Mißtrauen; von draußen, gedämpft, Pferdegetrappel. Wie kam dieser Gent übrigens dazu, dich für eine verheiratete Frau zu halten? Hat Onkel Ludwig dich ihm denn nicht richtig vorgestellt? ...Da er in diesem Augenblick denn doch, und zwar beinahe mit Entsetzen bemerkt, daß sie unter seinen Worten fast wankt. Was ist dir? ... Was hast du? ... Bist du krank?

MARIANNE
ganz erschöpft; an ihrem Tischchen sich niederlassend; das von ihm abgewandte Gesicht leicht hinter der aufgestützten Rechten bergend.
Du weißt ... ich fühle mich jetzt manchmal plötzlich so elend abgemattet und schwach ...
GEORG
wieder auf und ab; durch diesen augenscheinlichen »Anfall«, an dem er sich im letzten Grunde mit selbst die Schuld beimessen muß, sofort um eine erhebliche Anzahl Nüancen milder gestimmt.

Es tut mir leid ... und ich bedaure aufrichtig, daß wir deine Kräfte durch diese übermäßigen Sitzungen so unvernünftig haben in Anspruch nehmen müssen! Aber ich durfte die Rücksichtnahme auf deine Person ...

MARIANNE
müde, fast apathisch; aber dabei doch in ihrem Innern »froh«, daß der vielleicht allergefährlichste Kelch eben noch so glücklich an ihnen vorübergegangen war.
Ich beschwere ... und beklage mich ja auch nicht!
GEORG
durch diese provokatorisch taubenblütige Sanftmut, ohne daß [402] er sich eigentlich darüber Rechenschaft ablegen kann warum, doch bereits wieder auf das Empfindlichste gereizt.
Nein, nein! Das tust du nie! Das tust du nie! Das kann man dir beim besten Willen ...
MARIANNE
mit sehr starker, innerer Überlegenheit.
Wirf es mir nur ruhig vor!
GEORG
»nervös«.
Jedes zweite Wort von mir empfindest du jetzt als Vorwurf!
MARIANNE
gelassen.
Wenn es ... keiner war ...
GEORG
unterdrückt heftig.

Es wäre von allem Anfang an ... und zwar schon sofort bei unserm ersten Zusammensein damals ... von dir gescheuter gewesen ... Abbrechend.

MARIANNE
ihn groß anblickend.
Was?
GEORG
ihren Blick nicht erwidernd; beide Fäuste unwillkürlich krampfhaft geballt.
»Was«! »Was«!! Diese dumme, gräßliche, lächerliche Kandare, in die man ewig hineinbeißt?
MARIANNE
langsam; schwer.
Leidest du ... allein drunter?
GEORG
kurze Pause; veränderter Tonfall; stockend; einen Moment fast etwas wie »Herz«.

Du hast mir ... in der ganzen Zeit ... ich weiß ... Opfer um Opfer gebracht! Und ich habe noch nie etwas getan ... um sie dir auch nur im geringsten ...

MARIANNE
leise; warm.
Ich ... brachte sie dir gern!
GEORG
gepreßt ausholend.

Und zum Dank dafür ... verlasse ich dich jetzt! In dieser häßlichen, unangenehmen ... prekären Situation gegenüber deinem Vater ...

MARIANNE
die jetzt plötzlich ahnt, worauf er hinaus will; Geste; scheinbar fast unbekümmert- gleichmütig.
Er wird sich schon bald beruhigen!
GEORG
mit Absicht auf ihren Ton, so durchaus er ihn auch gehört hat, nicht eingehend; sein von ihr unterbrochnes Thema nochmals aufnehmend.

Trotz all ... seiner ja sonst unbestreitbaren Konzilianz ... bricht bei ihm erst ... der deutsche Professor durch ...

MARIANNE
in ihrer Abwehr jetzt mehr und mehr »deutlich«.
Du selbst hast mich davon überzeugt ... daß du hier unmöglich ...
GEORG
der sie nicht erst ausreden läßt; wieder stehngeblieben; jetzt direkt auf sein Ziel zu.

Ließe es sich nicht einrichten ... ginge es nicht ... und lediglich zu diesem Zweck ... habe ich dich [403] jetzt noch einmal aufgesucht ... ich war schon im Garten und hatte dich dann oben auf deinem Zimmer geglaubt ... wäre es nicht das Allervernünftigste, ich fahre erst nachts, im äußersten Notfall ... sogar erst morgen früh, und wir versuchten es vorher doch noch ... mit unsrer letzten Sitzung?

MARIANNE
von seiner Eröffnung wie ganz überrascht; sehr entschieden.
Du hattest dir ... felsenfest vorgenommen und mir versprochen ...
GEORG
von neuem auf und ab; durch ihren in dieser Form von ihm nicht erwarteten Widerstand ganz erregt.

Ich darf im Interesse meiner Arbeit ... auf diesen Abschluß nicht verzichten! Ich kann mein Buch nicht Fragment lassen! Ob ich nun zwölf Stunden früher oder später aufbreche ...

MARIANNE
»unbarmherzig«, »mitleidslos«.
Du änderst mit einer ... Vehemenz deine Pläne und Entschlüsse ...
GEORG
losbrechend; mit jedem Satzteil sich steigernd.

Ich muß mir über das Marterndste, das mich noch quält, über dies Unbekannte, das mich nicht losläßt, und über das ich einfach nicht hinwegkomme ... was an jenem siebzehnten Märzabend ...

MARIANNE
ihn unterbrechend; ganz entsetzt-empört.
Du willst ... an dies abscheuliche Phantom ...
GEORG
über ihre Worte hinweg; noch in seinem selben Satz; mit erhobner Stimme ihn schließend und dann, nach kurzer Atempause, sofort mit größter Bestimmtheit weiter.

Ich muß mir unbedingt ... darüber Klarheit verschaffen! ... Ja! ... Die Antwort auf meine Frage, so spontan und unüberlegt ... ich sie vor vierzehn Tagen damals auch gestellt hatte ... wurde mir für diese Schlußsitzung zugesichert, ich sehe also nicht ein ...

MARIANNE
wieder wie vorhin; nur diesmal fast strafend-vorwurfsvoll.
Wie kannst du als ernster ... Wissenschafter und Experimentator ...
GEORG
seiner kaum noch mächtig.
Setze dafür armer, gepeinigter, schon beinah halb verzweifelter Mensch, und ...
MARIANNE
von seiner Qual erschüttert; unter ihr elend fast wie er selbst; aus tiefstem, innerstem Mitleid mit ihm.

Ich bitte dich! Ich bitte dich nochmal und flehentlich! Du wirst Geschehnes nicht ungeschehn machen können! Laß das Vergangne ruhn!! Auto. [404] Du wirst jetzt ... Tränen, die ihr bei diesen Worten heimlich aufsteigen wollen, mit aller Gewalt niederkämpfend und zurückhaltend. von hier fortgehn ... alles ... was hinter dir liegt ... allmählich vergessen ... Bereits etwas leichter; die zornig abwehrende Geste, die er bei ihren letzten Worten gemacht hat, nicht beachtend. und dir irgendwo ... sei's in deiner süddeutschen Heimat ...

GEORG
schnell, heftig, verbissen.
Das gute Land Franken sieht mich nicht wieder!
MARIANNE
mühsam; noch in ihrem selben Satz weiter; fast jedes Wort wie ein fallender Tropfen Herzblut.
Oder sonst ... ganz ... weit ... weg von uns ...
GEORG
wieder stehngeblieben; sie voll anblickend; einen Moment helle Sonne.
Marianne!!
MARIANNE
seinen Blick erwidernd.
Ja?
GEORG
von neuem; mit arbeitender Brust; schwer ausholend.

Vielleicht ... läge doch noch für uns ... etwas ... wie eine letzte Hoffnung vor! Auf eine stumme, mutlos-verzweifelte Geste von ihr; sich schnell steigernd. Die Motive, die ich mir für Mariettes Untat zusammengegrübelt habe, reichen nicht aus! ... Eine junge Frau von noch kaum Dreiundzwanzig! Reich! Angesehn! Bewundert! Beneidet! Mutter von blühendsten Kindern, und dann ...Die Lider einen Moment geschlossen; wie schaudernd vor sich hin; mit aller Kraft sich zusammenraffend. Selbst, wenn ich für einen Augenblick ... Jäh abbrechend und sofort wieder weiter. Das geht nicht in meinen Kopf! Das will nicht in meinen Verstand! Vielleicht ... Letzte, verzweifeltste, angstvollste Frage; jeder Akzent aus wehstem, qualzerrissenstem Herzen; zum Schluß fast wie wieder aufatmend. ist ihr Tod doch ... kein freiwillig selbstgewählter ... gewesen!

MARIANNE
mit finster zusammengezognen Brauen; ihre Augen in seinen; Sonne wieder erloschen.

Das, hoffst du ... wirst du zu hören bekommen, wenn du jetzt ... Einen kurzen Moment lang von einem Grauen überlaufen, fast wie von einem Zittern. diese »Afra« ...

GEORG
in seinem tiefsten Unterbewußtsein, ohne sich darüber im Augenblick klar zu sein, von ihrem Ton gepackt; mit aller Kraft sich [405] zur Wehr setzend; »gläubig-innig«; einen halben Atemzug lang fast »weich«.
Man hofft ... man hört nicht auf zu hoffen ... was man mit allen Fasern ...
MARIANNE
die ihn kaum »wiedererkennt«; ganz erschüttert-perplex.
Und auf eine solche Antwort ... wenn du sie erhalten würdest ...
GEORG
einfallend; noch gesteigerter als vorhin; mit auseinandergebreiteten Armen.
Würde ich mich verlassen! ... Inbrünstiger, als ein Christ auf sein Evangelium!
MARIANNE
die das mit ihrem »Verstand« nicht »begreift«; kopfschüttelnd.

Dieser neue ... plötzliche Glaube von dir ... an eine andre ... höher organisierte, uns geheimnisvoll übergeordnete Welt, zu der unsre ...

GEORG
der sich wieder in Bewegung gesetzt hat; veränderter Tonfall; die letzten Worte ätzend bitter.

Ein Glaube, den du nicht teilst ... und der dir als Nicht-Mann ... natürlich auch vollkommen gleichgültig ist!

MARIANNE
durch die heimliche fast Verachtung, die aus seinen Worten klingt, aufs schmerzlichste in ihrem Innern getroffen.
Ich weiß es nicht! Ich weiß ... nur ...
GEORG
einen Moment stehngeblieben und wieder nach ihr zurück.
Du weißt ... »nur« ...?
MARIANNE
in ihrem Satz, wie gequält, weiter.
Daß mich dieses Wesen ... das uns bereits von allem Anfang an ... unsichtbar umgab ...
GEORG
sich gegen diese doch aber auch durch nichts beweisbare, plötzliche Behauptung von ihr mit aller Energie auflehnend; wieder ungeduldig auf und ab.
Wie ... kannst du ...
MARIANNE
wie vorhin; nur noch gesteigert.

Das dann vor einem Jahr plötzlich ... mir ganz unerklärlich und unfaßbar ... als ich, zum erstenmal bewußtlos ... in diesen seltsam tiefen Schlaf verfallen war ... wie aus Fleisch und Blut vor euch stand ...

GEORG
sie wieder ungeduldig unterbrechend.
Du irrst! Es hatte geraume Zeit ...
MARIANNE
nochmals; wie vorhin.
Und das, entgegen aller bisher üblichen Erfahrung auf diesem Gebiet, grade mir sich nie zeigt ...
GEORG
ähnlich wie vorhin.
Dieses Gebiet ist ein so variables, unsre Erfahrung eine so fluktuierende ...
MARIANNE
als hätte er seine richtigstellende Einwendung gar nicht erhoben [406] und vorgebracht; noch immer in ihrem selben Satz weiter.
Ich weiß nur ... daß mich jetzt ... schon der bloße Gedanke an diese furchtbare Erscheinung ...
GEORG
nochmal und von neuem ihre sich beschwerende Anklage rektifizierend.
Sie ist nicht furchtbar. Sie ist ein Wesen ...
MARIANNE
erst jetzt ihren langen Satz abbrechend; aus ihrer nur scheinbaren Zustimmung klingt es plötzlich fast wie Eifersucht.
Von »bestrickendstem Liebreiz«! So faszinierend-bezaubernd, daß sogar Onkel Ludwig ...
GEORG
unwillig; alles eventuell noch Übrige und Weitre nach dieser Richtung sich damit gewissermaßen energisch verbittend.

Ich bin für diesen alten Narren, diesen philosophasternden Don Quixote mit seiner lächerlichen, knieenden Verehrung für diese neue Dulzinea aus irgendeinem imaginären, skurrilen, transmundanen Toboso nicht verantwortlich! Dies »Wesen«, diese »Erscheinung«, oder wie du sie betiteln und benennen willst, war für mich dieses ganze Jahr ein rein wissenschaftliches Objekt, ein Substrat für meine Untersuchungen, wie jedes andre, und ich muß es ablehnen ...

MARIANNE
die diesen »Ton« von ihm, unter dem sie fast physisch leidet, nicht länger mehr aushält.
Wie du mich ... folterst! Wie du mich ... quälst!
GEORG
plötzlich mit einem jähen Ruck wieder auf sein eigentliches Haupt- und Zentralthema zurück, das er, durch ihre Unterbrechung abgelenkt, bereits einen Augenblick fallen gelassen hatte, die Hände »ohnmächtig« vor sich hin, als ob er etwas Unsichtbares packen wolle.

Wüßte ich nicht ... wüßte ich nicht haarscharf ... daß Mariettes Verstand ... trotz all ihrer weiblichen Unlogik ... und einzelner ... mir oft gradezu unfaßbar gewesner Unglaublichkeiten ... die allerdings ... in letzter Zeit ... immer heftiger und häufiger durchgebrochen waren ... doch ... und zwar, soweit mir kontrollierbar, bis zum Schluß ... der denkbar intakteste geblieben war ... ich hätte nur diese eine Erklärung!

MARIANNE
nach einer letzten Selbstüberwindung; so schwer es ihr auch fällt.
Vielleicht ... war es so!
GEORG
der sich sofort wieder nach ihr zurückgedreht hatte; nachdem [407] er sie einen Moment lang durchdringend angeblickt hat; mit letzter Bestimmtheit.
Das ... glaubst du selbst nicht!
MARIANNE
die seinem Blick standhält.
Mariette ... war stets unberechenbar! Und wenn ich natürlich auch nicht ... direkt sagen kann ...
GEORG
als wolle er noch immer im Grunde ihrer Seele lesen; die ersten Worte langsam, dann etwas schneller, lebhaft und steigend nachdrücklich betont.

Mir kommt fast vor ... als ob du mich damit plötzlich ... von einem Nachdenken abhalten wolltest ... über einen psychischen Rätselkomplex ... den ich mir unter allen Umständen erst gelöst haben müßte ... bevor ich ... Abbrechend; verächtlich-heftige Geste und Kopfbewegung nach der Tür links; von draußen her Radfahrerklingel. Hast du mit diesem ... Herrn da vorhin ... der sich auf so sonderbare Weise ... wie's scheint, überall mit seinem Hut rumschleppt ... und dem der Abschied von dir so schwer fiel ... Auf eine unwillig- abwehrende Bewegung Mariannes; im Ton noch verstärkt und gradezu drohend schließend. so schwer fiel, auch nur eine Minute allein gesprochen?

MARIANNE
unter dem tödlichen Schreck, daß ihr Geheimnis, dessen letzte Spur sie vor ihm schon so gut wie verwischt zu haben glaubte, nun vielleicht doch noch durch irgendeine neue, unglückliche Fragestellung von ihm aus Licht kommen könnte; alle ihre Kräfte in sich zusammenraffend; von ihrem Hockerchen unwillkürlich aufgestanden.
Es ist von dir im höchsten Grade unrecht ...
GEORG
höhnisch-grimmig; ihren Satz persiflierend fortsetzend und schließend.

»Mich danach überhaupt auch nur zu fragen!« Ihr erbittert den Rücken drehend und wieder auf und ab. Dann weiß ich genug!!

MARIANNE
ihm ganz entsetzt nachstarrend.
Ja, um Gottes Willen was?!
GEORG
in heftigster, kaum noch gezügelter Erregung; ohne zu ahnen, wie eigentlich fast haarscharf genau er den von ihm mit so verzweifelter Leidenschaft gesuchten, wirklichen Tatsachenverhalt damit bereits präzisiert und trifft.

Daß du jetzt ... oder vielleicht meinetwegen auch schon seit langem ... nach jenem Abend rüber irgendeinen Fühlfaden oder Anhalt hast, und daß dies dein einzger Grund ist ... mir diese Sitzung ... so hartnäckig zu verweigern! In der Furcht ...

[408]
MARIANNE
ihn unterbrechend; in ihre Worte unwillkürlich so viel Suggestivkraft legend, daß sie im Moment fast selbst dran glaubt.
Dein ganzes ... Kombinationsgespinst ist von einer Phantastik ...!
GEORG
verächtlich; die Achseln zuckend.

Da du einen andern Grund ... einen wirklichen Grund ... absolut außerstande bist ... mir anzugeben ...?

MARIANNE
mit letzter Ausflucht; sich kaum noch aufrecht haltend; unruhig durch den Raum und dabei auch nach dem jetzt wieder matt blaugrau auftauchenden Blätterschattenspiel in den Fenstern blickend.

Ich weiß nicht, ob es draußen ... an dieser drückenden Schwüle liegt, oder ... ist es bloß ... meine Erschöpftheit ... aber ich habe das Gefühl ... grade heute ... würde die Sitzung ... uns mißlingen!

GEORG
noch gesteigerter als vorhin.

Wenn der ausschlaggebende Teil es auf ein solches Mißlingen von vornherein abgesehn hat und anlegt ... sind wir übrigen natürlich ...

MARIANNE
mit deren Kraft es jetzt fast zu Ende ist; ihr bereits so gut wie gewonnenes Spiel durch eine einzige, ungeschickte Wendung beinahe wieder auf- und preisgebend.
Ich kann dir nur wiederholen! Wenn du durchaus drauf bestehst ...
GEORG
brüsk, knapp, kalt; mit »allem fertig«.

Danke! Verzichte! Die Sache ist für mich erledigt! ... Schnell nach seiner Uhr blickend. Ich reise jetzt schon mit dem Zug sofort ... und werde in dies zukünftge Stift von Onkel Ludwig ... Abbrechend und sofort wieder weiter; noch permanent sich steigernd. Es ist alles Unsinn ... Ob man arbeitet, oder die Hände in den Schoß legt ... ob man sich mit dem Krimskrams beschäftigt oder nicht ... ob man sich an dies oder das hängt ... es ist alles Unsinn!

MARIANNE
um die das ganze »chinesische Zimmer« sich fast schon dreht; sich nochmal zusammenraffend.
Ist das ... nach diesen drei Jahren deine ganze Philosophie?
GEORG
der sie noch immer nicht anblickt; ausbrechend; letzte, verbissenste Wut und Leidenschaft.

Ja! ... Und ich werde alles ... was ich über das Zeug niedergeschrieben habe ... sofort, nachdem du es mir, wie verabredet, zurückgestellt haben wirst ... verbrennen!

DUFROY
durch die kleine Tür rechts; man merkt ihm an, daß er aufs [409] äußerste aufgebracht, erregt und verstimmt ist, so sehr er sich auch bemüht, seinen Zustand vor sich und den andern zu verbergen; die beiden erblickend.

Endlich! Die Tür hinter sich schließend. Also hier sind die Herrschaften! Man findet euch ja nicht im ganzen Haus?!

GEORG
über sein Auftauchen noch ganz starr.
Du kannst mein Manuskript ... doch unmöglich schon gelesen haben?
DUFROY
ihm darauf gar keine Antwort erteilend; zu Marianne, die sich mit aller Kraft beherrscht.
Ich bitte dich, heut noch zur Großmutter zu gehn! Sie wird dir das Nötige mitteilen.
GEORG
während Marianne, als einzige Antwort, nur einen Blick nach ihm wirft; die Hände leger in den Seiten, das linke Bein etwas vor; das zweite »a« kurz und betont.
Aha! ... Nummer Eins ... der zu vollstreckenden Exekution!
DUFROY
in dem schmalen Längsraum vor den beiden Fenstern, die Hände ergrimmt umeinanderdrehend, auf und ab.
Die Dispositionen, die ich jetzt zu treffen wünsche, sind meine Sache!
MARIANNE
zu Georg rüber; leicht zögernd; bereit, den Raum, durch die Tür rechts, schon auf der Stelle zu verlassen.
Wenn es dir also ... recht ist ...
GEORG
durch den scharfen Ton Dufroys, wie mit einem Ruck, seltsam ruhig und gefaßt.

Liebe Marianne ... Geste, die sie wieder sich zu setzen bewegt. tu mir den Gefallen und ... Abbrechend und auf das kleine Tischchen links zu. Noch bist du mein Gast! ... Auf dem Hockerchen dort Platz nehmend; ein Bein übers andre. Darf ich, bester Schwiegervater, fragen, was dich so erbittert?

DUFROY
noch immer in seinem Längsteil, die Hände jetzt hinterm Rücken, den Kopf ins Genick, den Blick starr vor sich in die Luft, auf und ab; durch seine Stimme ferne Tubahörner.

Ich habe dir dein Manuskript ... du hörst, daß ich mich über dies Elaborat noch sehr respektvoll und höflich ausdrücke ... ich habe dir also dein »Manuskript« ... in deine Bibliothek gelegt!

GEORG
über diesen Ton, wenigstens im ersten Moment, doch etwas perplex; dann sofort fast »liebenswürdig«.
Sehr nett von dir.
DUFROY
Kopf und Stimme womöglich noch erhobner.
Ja! Und ich ersuche dich dringend ... mich mit solchen, oder auch nur ähnlichen Allotriis ...
[410]
MARIANNE
durch diese Form seines Ausbruchs, auf die sie bei seiner sonstigen Urbanität denn doch nicht gefaßt gewesen war, ganz überrascht und erschreckt; fast flehend-vorwurfsvoll.
Vater!
GEORG
zu ihr rüber; kühl-gelassen; aber dabei doch schon mit einem leisen Unterton bereits aufsteigenden, wenn auch noch zurückgedämmten Grolls.
Wie ich es dir prophezeit habe!
DUFROY
noch immer vor seinen Fenstern, in denen die Sonne wieder völlig erloschen; jetzt ebenfalls zu ihr rüber.

Mich so über dich zu täuschen! ... Das ist nun das Resultat, nachdem ich mir zehn Jahre lang, bei meiner sonstigen Arbeit und Tätigkeit, die große Mühe aufgehalst hatte, deine Erziehung selbst und persönlich zu leiten! Mariette war oberflächlich und leichtfertig! Aber sie war doch wenigstens aufrichtig! ... Plötzlich stehnbleibend und zu ihr direkt. Wie konntest du mir schon in früher Jugend Dinge verbergen, die du, wenn auch schon nicht deinem Vater, so doch mindestens zu mir als dem Arzt hättest sagen müssen?!

MARIANNE
durch seine ganze, auch ihr gegenüber auf einmal so veränderte Art aufs schmerzlichste betroffen; es kostet ihr ordentlich Mühe, sich vor ihm zu verteidigen.
Selbst ... wenn ich das damals gewollt hätte, es wäre mir nicht ...
DUFROY
sie noch immer ganz aufgebracht und erbittert unterbrechend.
Man hätte dann doch zeitig Vorkehrungen treffen können!
GEORG
mit erheblich zusammengezognen Brauen; im Ton aber noch mit aller Macht an sich haltend.

Du solltest jetzt deine Vorwürfe weniger auf Marianne abladen ... als ... Plötzlich, sehr bestimmt; mit der flachen Rechten sich vor die Brust schlagend; von neuem spärliche Sonne. Hier sitzt der Sündge!

DUFROY
der ihn kaum der Ehre gewürdigt, einen kurzen Moment nach ihm rüberzublicken; wieder auf und ab; ihn ignorierend und nach wie vor scheinbar lediglich zu Marianne.

Ich habe nichts gegen meinen älteren Stiefbruder! Das weißt du am besten! Ich begrüßte es mit Freuden, als er zu euch wieder in dieses Haus einzog! Ich hatte gehofft ...Abbrechend und sofort wieder weiter. Aber daß er mir, statt dessen, jetzt auch noch diese, gelinde gesagt, allgemeine Übergeschnapptheit zum schließlichen Danaergeschenk gemacht hat ...

GEORG
die Rückenfläche seiner Linken, die er gespreizt vor sich hinhält, [411] wie auf einmal lebhaft interessiert, betrachtend.
Du drückst dich zwar sehr gewählt ...
DUFROY
von neuem; noch wütender.

Schon damals, vor einem halben Jahrhundert, jenes blamable, lächerliche »Gelöste Welträtsel«, das bereits meinem Vater den Stark betont. schwersten Stand bereitet hatte, und Noch unterstrichner. nun diese aber auch ganz und gar völlig hirnverlassne, alberne, »apokalyptische Theosophastik«, Nun endlich auch wieder zu Georg rüber. über die du dich zwischen deinen Zeilen ... und zwar sehr deutlich ... selbst belustigst!

GEORG
verkappt-ironisch; trocken.
Es freut mich ... aus deinem Munde ... diese autoritäre Anerkennung zu hören!
DUFROY
als hätte Georg nichts erwidert; trotzdem ihm »quittierend«; erst jetzt seine aufgebrachte Beschwerde schließend.

Von solch einem alten, unverbesserlichen Wirrkopf und Phantasten sich ins Schlepptau nehmen zu lassen!

GEORG
sehr ruhig.
Dein Studium meines ... »Elaborats« ...
DUFROY
»giftig«.
Deines neuen Credo quia absurdum est!
GEORG
seinen »Geusen«-Hohn akzeptierend.

Meines »neuen ... Credo quia absurdum est!« ... scheint mir, trotz deines eben von dir geäußerten, mir schmeichelhaften Zitats ... doch ein etwas oberflächliches gewesen zu sein.

DUFROY
einen Moment unwillkürlich stehngeblieben; empört zu ihm rüber.

In diesem einleitenden Anfangsabschnitt ... Schon wieder bei seiner Promenade. Da irrst du! Grade die ersten dreißig, vierzig Seiten habe ich in meiner üblichen Langmut ...

GEORG
ihn unterbrechend.

Hättest du auch nur die paar nächsten Seiten in deiner selben »üblichen Langmut« noch mit dazugenommen, so würdest du vielleicht die Entdeckung gemacht haben ...

DUFROY
ungeduldig; seinen Satz ihm abnehmend und durch den Schluß, den er diesem selber gibt, ihm beweisend, daß er mit seinen »Insinuationen« ihm gegenüber zehntausend Kilometer vorbeigetroffen.

Daß es sogar ganz im Gegenteil deine ursprünglich löbliche Absicht gewesen war, die abstrusen Theoreme Onkel Ludwigs in ihrer ganzen Unsinnigkeit restlos zu widerlegen! Weiß ich! Dazu genügten mir deine ersten vier oder fünf Sätze! Was dich aber dann doch nicht behindert hat ...

[412]
GEORG
jetzt, als Revanche dafür, mit ihm ähnlich verfahrend; das heißt also seinen Satz ihm ebenfalls abnehmend und ihm durch seinen eignen Schluß nachweisend, wie durchaus er mit seinem Vorgehn damals das methodologisch einzig Mögliche und Richtige getan.

Das, was hinter diesen »Theoremen« stand, nämlich eine ganze, große, ungeheure Tatsachenwelt, deren Vorhandensein von eurer heute herrschenden, offiziellen Wissenschaft prinzipiell negiert und geleugnet wird, als vorhanden anzuerkennen, nachdem ich mich von ihrem Vorhandensein überzeugt hatte! Wenn du das »von einem alten, unverbesserlichen Wirrkopf und Phantasten sich ins Schlepptau nehmen lassen« nennst ...

DUFROY
halb ein ganz klein wenig jetzt einlenkend, halb nicht ohne einen gewissen Stolz mit seiner »Erudition« prunkend; prallste Sonne; die Blätterschatten ab und zu leis bewegt.
Es ist mir ja bekannt, daß man bereits vor einigen Dezennien ...
GEORG
markiert-verblüfft; zu Marianne rüber; ironisch.
Erst vor »einigen Dezennien«?
DUFROY
unwillkürlich wieder stehngeblieben.

Ich schrieb damals grade meine »Merkmale niedrer Menschenrassen, Prolegomna zu einer prähistorischen Anthropologie«, und konnte mich daher um den Hokuspokus nicht viel bekümmern! Fragend- ungehalten von einem zum andern rüber. Aber so weit ich darüber informiert bin, ist das Zeug doch seitdem widerlegt worden!

GEORG
nach einem schnellen Blick zu Marianne rüber; schärfst, fast grob.
Von wem?!
DUFROY
nervös-unwirsch.

Ja, wie soll ich dir das sagen? Das ist nicht von mir zu verlangen! Das schlägt nicht in mein Fach! Ich weiß es nicht!

GEORG
»trocken«; mit scheinbar anteilnehmendstem Bedauern.
Schade!
DUFROY
als wäre nun alles bereits damit erledigt.
Daß du aber damit wieder von neuem anfängst, und nun noch gar hier mitten in Berlin ...
GEORG
»unschuldig«; »naiv«; anscheinend ganz »Balduin Bählamm«.
Ja, denke dir nur.
DUFROY
aus seinem Raum vor dem Fenster, er stand zuletzt rechts, jetzt näher kommend und sich in den großen Armstuhl niederlassend, [413] in dem vorhin Onkel Ludwig gesessen; jetzt bereits, trotzdem alles noch in ihm kocht, wie er glaubt, so »ruhig« geworden, daß ihm eine »sachliche Diskussion« keine »Überwindung« mehr kostet.

Willst du mir mal verraten, ob du mir zumutest ... daß ich deine Münchhausiaden überhaupt ernst nehme?

GEORG
während Marianne dasitzt und ihre schmerzhaft geschlossen Augen mit der Rechten deckt; noch »ruhiger« als er.
Ich bitte darum!
DUFROY
aus seiner inneren Brusttasche einen bekritzelten Block ziehend.

Auf Seite einundfünfzig ... ich habe mir, meiner Gewohnheit gemäß, während dieser interessanten Lektüre einige kleinere, stenographische Notizen gemacht ... nur ganz flüchtig, Dutzende von Seiten oft überspringend, Haupt- oder Nebensächlichkeiten, wie es sich mir eben grade ergab, denn sonst wäre ich in acht Tagen nicht damit fertig geworden ... auf Seite einundfünfzig behauptest du, du hättest euer sogenanntes »Medium«, also in diesem Falle Entsprechende Geste. meine arme, bedauernswerte Tochter Marianne, auf eine »automatische Wage« placiert, und zwar auf die mir sehr bekannte in deinem Gartenlaboratorium, wo ihr eure sonderbaren Konventikel, Wobei ein entsprechender »Blick« auch wieder auf das arme Opferlamm rechts fällt. ohne daß ich etwas davon zu wissen bekam, mit einer schon mehr »religiös« zu nennenden Inbrunst abhieltet, und diese Wage, die eine Stunde vorher, unter der gleichen Last, noch das genaue Gewicht von fünfundsechzig Komma sieben Kilogramm registriert hatte, zeigte plötzlich eine Differenz von ... Rücksichtsvollst-höflich. entschuldge ... zehn Kilogramm an!

GEORG
während Marianne jetzt, die Rechte ums Kinn, beide gespannt-lebhaft beobachtet; entgegenkommend-liebenswürdig; fast freundlich.
Ich »entschuldge«.
DUFROY
in seiner Würde »gekränkt«; kaum merklich zurückgezuckt.
Ist das deine einzge Antwort?
GEORG
gelassen.

Da du mir doch wohl zutrauen wirst, daß ich die Skala eines so primitiven Instruments fehlerfrei ablesen kann, wüßte ich nicht, was ich dir für eine noch andre Antwort drauf erteilen sollte.

[414]
DUFROY
mit bereits heimlich siegreichem Triumph.
Und wie erklärst du dir das?
GEORG
gleichmütig.

Ich persönlich durch eine Kraft, deren physikalische Voraussetzung mir die Körperlichkeit des Mediums zu sein scheint, und die, unter bestimmten Bedingungen, sich mit der uns bereits vertrauteren Schwerkraft, deren eigentliches Wesen uns, nebenbei bemerkt, genau so unbekannt ist, entweder verbindet, oder aber ihr entgegenwirkt.

DUFROY
erregt-abwehrende Geste.
Worte!
GEORG
»lapidar«.
Wie alle unsre sogenannt »wissenschaftlichen« Erklärungen!
DUFROY
ganz empört.
Du wirst doch nicht behaupten wollen ...
GEORG
ihn unterbrechend und jeden Disput über diesen Punkt mit größter Entschiedenheit ablehnend.

Wie alle! ... Im übrigen muß ich dich darauf aufmerksam machen, daß ich mich in meiner Darstellung begnügt habe, lediglich die Phänomene als solche festzustellen, ohne daß es mir vorläufig eingefallen wäre, auch nur die winzigste Spekulation, Hypothese, oder Theorie daran zu knüpfen!

DUFROY
immer wieder nur zu Georg; Marianne, nach der er nur noch ab und zu einen schnellen, halben Blick wirft, scheinbar nicht mehr beachtend.
Diese »Phänomene« sind dafür aber auch danach!
GEORG
unterstrichen zustimmend.
Allerdings!
DUFROY
aufbrausend.

Du hättest dich ... Unwillkürlich stockend, da er fühlt, daß er mit dem, was es ihn in diesem Augenblick zu sagen drängt, bei Georg eine vielleicht doch noch allzu wehe Stelle berühren könnte.

GEORG
dem annähernd Entsprechendes bereits schwant.
M?
DUFROY
durch diesen fragend-anreizenden Zwischenlaut sich wieder hinreißen lassend und in seinem Satz erregt weiter.
Trotz deines ... schon seit jeher ... immer höchst eigenmächtigen Autodidaktentums ...
GEORG
ihn ironisch unterbrechend.
Für das du früher ...
DUFROY
patzig.
Ich spreche nicht von früher ... sondern von jetzt!
GEORG
damit, wie es scheint, ganz einverstanden.
Also von jetzt!
DUFROY
verstimmt.

Du hättest dich ... wie gesagt, trotzdem ... Erst [415] jetzt mit seinem eigentlichen, von ihm so umständlich verklausulierten Vorwurf rausrückend; Auto. noch vor drei Jahren nie ...

GEORG
schnell, scharf; Kopfbewegung nach seinem Block.
Bitte dein Register! ...
DUFROY
nachdem er diese »Reprimande« erst mit Mühe in sich hat runterschlucken müssen.

Mein »Register!« ... In dieses, einen kurzen Moment, wieder hineinblickend. Auf Seite vierundfünfzig legt Marianne sich glühende Kohlen in die Hand, und obgleich diesen Kohlen durch einen kleinen Spitzblasebalg atmosphärische Luft noch extra zugeführt wird ... bleibt der Handteller unverbrannt!

MARIANNE
unwillkürlich eifrig nickend.
Ja!
DUFROY
noch verstärkt; als hätte sie seine indirekte Frage überhaupt erst gar nicht bestätigt.

Kurz danach brennen sich diese selben Kohlen ... durch eine Schicht von fünfundzwanzig Bogen Fließpapier durch!

GEORG
der Marianne nicht anblickt; zu seinem entrüsteten und durch alle diese angeblichen »Tatsachen« wie persönlich verletzten Schwiegervater rüber; anscheinend ganz unbefangen.
Findest du das so wunderbar?
DUFROY
auf seinen Ton nicht reagierend.
Bereits auf der nächsten Seite ...
GEORG
sein Spiel weitertreibend; leicht mokant.
Also fünfundfünfzig ...
DUFROY
in seinem Eifer diese kleine Anremplung kaum merkend.

Jawohl, fünfundfünfzig ... bereits auf dieser nächsten Seite ... Unwillkürlich die betreffende, illustrierende Bewegung. schüttelt ihr ein Glas Wasser um ... und das Wasser ... in Gestalt einer blitzenden Kugelform ... bleibt in der Luft hängen!

MARIANNE
während Georg einfach bloß nickt; stark bekräftigend.
Gewiß!
DUFROY
der wieder seinen Block eingesehn.

Es kommt noch schöner! ... Fast bei jeder neuen Nummer wieder in seine Aufzeichnungen blickend. Auf Seite siebenundfünfzig spaziert ein goldnes Zwanzigmarkstück, deutsche Reichswährung, unbeschädigt, quer durch eine drei, drei Viertel Zentimeter starke Eisenplatte, Seite zweiundsechzig verschwindet vor den Augen sämtlicher gespannt Zuschauenden ein eigens zu diesem Zweck isoliert auf den Schmelzofen gestelltes Reagenzgläschen spurlos, um erst [416] nach fünf Minuten aus seinem Nichts sichtbar wiederzuerscheinen, eine Zwischenzeit, die ein Destillierkolben unbotmäßig mißbraucht, um eigenmächtig seinen Standort zu verändern. Während der ganzen Dauer eurer Experimente, auf beliebig niedergelegten Blättern, mit Hilfe von unsichtbaren Materialien, bildet sich »direkte Schrift«, zum Teil in euch völlig unbekannten Idiomen und Alphabeten, und auf Seite neunundneunzig sprießt aus einem ganz gewöhnlichen Kartoffelknollen, zu deutsch Solanum tuberosum, im Zeitraum von fünfundvierzig Minuten, ein hohes, stechapfelartiges Etwas empor, mit weißen, fußlang hängenden Blütentrichtern, das sich nach genauer botanischer Untersuchung als ein natürliches Exemplar Datura fastuosa entpuppt, deren narkotischer Blütenstaub in der malayischen Giftpraxis eine bekannte, misteriöse Rolle spielt, und die ich zum ersten- und letztenmal vor gut dreißig Jahren auf Java selbst gesehn, wo diese Art, meines Wissens, so ziemlich allein heimisch ist! ... Bist du dir darüber klar, was diese Dinge, diese ... Ungeheuerlichkeiten, wenn sie auf Wahrheit beruhten, bedeuten würden?

GEORG
der unterdessen mit Marianne, die in steigender Unruhe beide beobachtet, verschiedne »Blicke« getauscht hat; dem Blick seines Schwiegervaters, dessen Augen unter zornig zusammengezognen Brauen jetzt heftig auf ihn gerichtet sind, ruhig begegnend.
Vollkommen. Und sie beruhen auf Wahrheit!
DUFROY
einen Moment fast seine Fassung verlierend; jäh; nur noch halb Sonne.

Das willst du mir aufbinden?! ... Nach einer kurzen Pause, während welcher alle drei untereinander entsprechende Blicke gewechselt; zwar bereits etwas minder heftig, aber doch noch immer sehr stark und energisch; allgemein; den Blick auf keinen mehr gerichtet. Sie beruhen nicht auf Wahrheit! Sie können nicht auf Wahrheit beruhn! Sie stießen sonst unsre Naturgesetze um!

GEORG
nach dem kleinen, stummen Zwischenfall jetzt womöglich noch ruhiger als vorhin.

Oder sie erweiterten sie! ... Du hast diese Phänomene zwar nie studiert ... du hast dich nie um sie bekümmert ... Imitierendes, leicht wegwerfendes Achselzucken. aber sie existieren nicht!

[417]
DUFROY
die Augen wieder erbittert auf ihn gerichtet; noch elementarer als vorhin; mit der geballten Rechten wütend auf die Armlehne seines Sessels schlagend; fast außer sich.
Sie können nicht existieren!!
MARIANNE
mit dem Versuch, zwischen beiden zu vermitteln; gehend zu Georg rüber.
Georg!
GEORG
nachdem er sich wieder bezwungen hat; zu Marianne.

Aber ganz gewiß! ... Du hast recht! ... Wieder zu seinem Schwiegervater; als wäre dessen nenerlicher und noch stärkerer Ausbruch gar nicht erfolgt. Und die rund achthundertfünfzig übrigen Seiten meiner Arbeit? Über die du mir noch gar nichts gesagt hast? Deinen Notizblock in Ehren, aber sein bisheriger Widerlegungswert ...

DUFROY
mit aller Mühe an sich haltend.

Wenn ich mich nicht in diesem Augenblick ... mit aller Energie daran zu erinnern versuchte ... daß hinter dir eine ernsthafte Vergangenheit als makelloser, ehrlicher Forscher liegt ... den ich noch dazu selbst ...Abbrechend; den Block wieder in seine Tasche praktizierend. kurz und gut, ich würde überhaupt ... auch nicht ein einziges Wort mehr an dich verlieren!

GEORG
auch diesem dritten Ausbruch gegenüber wieder »unglaublich vernünftig«.

Das primärste Prinzip aller Wissenschaftlichkeit, die erste Voraussetzung aller Forschung ... du gestattest, daß ich auf dein eignes Glaubensbekenntnis zurückkomme ... Die Stimme unwillkürlich etwas erhoben. lautet: Über nichts aburteilen, bevor man es nicht untersucht hat!

DUFROY
als hätte man von ihm verlangt, daß er den »Mond viereckig« machen solle.
Ich ... mich zu solchen Experimenten hergeben?
GEORG
vollkommen ruhig; leichte, legere Geste mit der lässig auseinandergespreizten Rechten.
Wenn du wünschst, daß uns dein Urteil auch nur von geringstem Wert sein soll ...?
DUFROY
der allmählich merkt, daß er gegen diese unerschütterliche Sicherheit Georgs nichts ausrichten kann; sich jetzt endlich auch an Marianne wendend; in seinem Grimm aber noch keineswegs besänftigt; ja sogar eher »ganz im Gegenteil«.

Du wirst die unerhörten Lächerlichkeiten, die ich euch eben vorgehalten habe, doch nicht etwa bestätigen wollen?

[418]
MARIANNE
bei aller schuldigen Achtung und Ehrfurcht vor dem Vater, die sie auch jetzt nicht verlassen haben, doch sehr bestimmt.

Ich habe alle diese Dinge, die dir so unglaublich erscheinen ... genau so wie Georg ... und Onkel Ludwig gesehn!

DUFROY
jetzt, bei dieser Erwähnung auch noch Onkel Ludwigs, fast in etwas wie eine Belustigung ausbrechend.
Onkel Ludwig ist allerdings ... 'n klassischer Zeuge!
GEORG
noch immer total selbstbeherrscht.

Es steht dir jederzeit frei, sein Zeugnis, je nachdem du dazu in die Lage geraten solltest, entweder zu bewahrheiten ... oder ... es zu rektifizieren!

DUFROY
der über diese so »erneut« an ihn gestellte »Zumutung« mit nur schlecht verhehltem Unwillen »hinweggehört« hat; »allgemein«.

Ich würde nichts sagen ... wenn es sich bloß ... um diese relativ einfacheren Phänomene handelte! Mit automatisch sich willkürlich verändernden Gewichtsnotifizierungen, mit Phiolen, die auf eigne Faust ihre Regale und Gestelle verlassen, und meinetwegen sogar auch noch mit magischen Kartoffelknollen, aus denen im Handumdrehn alle Zaubergärten der Armida springen, könnte man sich ja allenfalls ... und zur Not ... vorübergehend kompromittieren! Von einem zum andern; sich steigernd; die Vorhänge in den Fenstern wieder sonnenlos. Aber diese sogenannte »Materialisation«? Diese nun aber auch total völlige Übergeschnapptheit?? Dieses vorgeblich »zweite Wesen«, Jetzt nur noch zu Marianne, und zwar, wie er glaubt, gegen diese seinen »letzten Trumpf« ausspielend. das sich nun schon seit über einem Jahr, allwöchentlich zwei- oder dreimal, aus dir als Substanz, etwa wie ein Schmetterling aus der Puppe, oder die Puppe sich aus der Raupe entwickeln soll? ... Da Marianne, die hierauf nichts zu erwidern weiß, nur mit den Achseln zuckt; noch immer sich steigernd; wieder von einem zum andern. Ein leibhaftes Etwas, das Fleisch und Blut besitzt, dessen Pulsschläge gemessen wurden, das sich dreht und bewegt und Rede und Antwort steht ... auf dieses ... Märchen ... Matte Halbsonne. auf diese ... eigentlich schon beinah mehr als bloß Münchhausiade, soll ich mich auch noch einlassen??

GEORG
auch durch diese »starken Worte« wieder noch absolut nicht aus seiner Gelassenheit gebracht; ihm nur amüsiert-ironisch seinen [419] rechten kleinen Finger hinhaltend.
Nachdem du dem Versucher ...
DUFROY
ihn indigniert unterbrechend; erst jetzt seine entrüstete Diatribe schließend.

Da ist mir das alte, drollige Homunkulusmännchen von unserm ehmalgen, selgen Kollegen Doktor Faust ...

GEORG
der ihn nicht ausreden läßt.

Deine Reminiszenz ist zwar falsch ... Abbrechend und seiner Richtigstellung plötzlich eine sehr deutliche, haarscharf geschliffne »Spitze« gebend. Der betreffende, »ehmalge Kollege« von dir nannte sich zufällig Herr Professor Wagner!

DUFROY
der in seiner naiven, auch sogar jetzt noch ganz und gar gutgläubigen Selbstüberzeugtheit diese »Spitze« nicht einmal merkt.
Na ja also oder Wagner!
GEORG
durch diese beschämende »Ahnungslosigkeit« beinahe »entwaffnet«.

Da es aber nun den Anschein hat, daß du mit deinem Notizblock jetzt glücklich fertig und zu Ende bist ...

DUFROY
fast »starr«.

»Zu Ende«? ... Notizblock. Seite dreihundertfünfundsiebzig! ... Eure ... Wieder aufblickend. wenigstens ihrem vorgeblichen Namen nach ... Auto. etwas fragwürdige ... famose Heilige aus der antiken Legende! Letzter, triumphierender Bluffer. Verbrannt unter Diokletian dreihundertvier!

GEORG
scheinbar »ersterbendste Hochachtung«.
Ein Wissen und eine »Bildung!«
DUFROY
von seiner »Akribie« durchdrungen.
Ja! Ich habe in meinem alten Brockhaus ...
GEORG
mit einem erneuten »Blick« zu Marianne rüber.
Ah, sieh da!
DUFROY
der diese Unterbrechung gar nicht beachtet hat.
Ich habe mir die Mühe gemacht und extra nach dieser Donna nachgeschlagen!
GEORG
kaustisch-trocken.
Na, da wirst du ja auf schöne Sachen gestoßen sein!
DUFROY
von neuem sich steigernd; wieder von einem zum andern.

Diese »Schutzpatronin der reuigen Sünderinnen« ... die in Aussehn und Gestalt ... ich muß sagen, skandalöserweise, Zu Marianne jetzt ganz besonders. dir anfangs absolut ähnlich gewesen sein soll ...

[420]
GEORG
mokant zu ihr rüber.
Madam?
MARIANNE
unwillig zu ihm zurück.
Es ist wirklich nicht der Augenblick ...
DUFROY
wie vorhin; von diesem kleinen Intermezzo kaum unterbrochen, noch in seinem selben Satz weiter.

Diese bekehrte Venuspriesterin ... mißt, der verläßlichen Angabe Entsprechender »Blick«. dieses vertrauenswürdigen Chronisten zufolge ... Auf einen heftigen Anruck Georgs, in der begründeten Furcht, daß dieser »vertrauenswürdige Chronist« ihn in seinem Redefluß sonst allerenergischst unterbrechen könnte. bitte, laß mich ausreden! ... eines schönen Tages, oder vielmehr spät abends, da ihr ja anders nie, wie ihr dies nanntet, zu »experimentieren« pflegtet, auf schüchtern geäußerte Zweifel an ihrer Identität plötzlich drei Zentimeter mehr als du, ihr Haar ist aus dunklem Kastanienbraun auf einmal tiefblauschwarz geworden und, um die Metamorphose voll zu machen, radebrecht sie schließlich, als ihre angebliche Fraumuttersprache, Altgriechisch!

MARIANNE
ausweichend.
Ich kann dir da wirklich nicht ...
GEORG
der sich den »vertrauenswürdigen Chronisten« – na, warte – gemerkt hat; schnell; einfallend.
Selbstverständlich nicht!
DUFROY
wieder von einem zum andern; wie nach einer »Entschuldigung« oder »Erklärung« für »alle diese Dinge« suchend.

Ich glaube ganz sicher ... mal irgendwie wo gehört oder gelesen zu haben, daß alle Medien ohne Ausnahme unbewußt ...

GEORG
während Marianne, wie es scheint, ganz überrascht, sofort aufgehorcht hat.

Kostbar! Wie soll Marianne »unbewußt« plötzlich tiefblauschwarzes Haar bekommen und gleichzeitig unter meinem Meßapparat ...

DUFROY
sich verteidigend; wie vorhin; fast desolat-kläglich.
Aber wenigstens das Altgriechisch stimmt doch damit so einigermaßen!
GEORG
amüsiert-ironische Geste; fast verächtlich.
Gegen eine solche ... glänzende Art der Beweisführung ...
DUFROY
der es vorzieht, ihn wieder nicht erst ausreden zu lassen; Notizblock.
Ferner! Noch auf derselben Seite! ... Dies holde Geschöpf aus dem Jenseits ...
GEORG
ihn sofort unterbrechend.
»Jenseits«? Warum grade Jenseits?
DUFROY
ungehalten-unwirsch.

Oder sonstwoher!In seinem unterbrochen [421] Satz weiter. Ist mit einem weißen, »wallenden Gewand« behaftet, »leuchtend, wie aus frisch gefallnem Schnee«, du wirst an dieser Stelle sogar poetisch, und mit einer Papierschere ...

GEORG
sich »relativistisch« in seinen Satz eingliedernd; die »betrübliche Tatsache« noch unterstreichend.
Die du noch dazu selbst mir mal geschenkt hattest ...
DUFROY
nickend; wieder »ganz ahnungslos«.

Ja. Die ich noch dazu selbst dir mal geschenkt hatte!Von neuem. Mit dieser Papierschere schneidest du aus dem Kostüm der Dame, »Marginal«-Bemerkung; »feinsinnig«. selbstverständlich mit deren Einwilligung ...

GEORG
hinter seinem Schwiegervater an »Delikatesse« jetzt, scheinbar, nicht zurückstehend.
Versteht sich!
DUFROY
durch diese Zustimmung kaum unterbrochen; in seinem neuen Satz weiter und diesen mehr und mehr mit »attischem Salz« würzend.

Ein über Hand großes Stück; die liebreizende Tausendkünstlerin, mit einer graziösen Bewegung ihrer feingeformten Rechten, Das Betreffende exekutierend. streicht nur einmal über den Defekt ... Kleine Überraschungspause. und das Gewebe ist wieder ganz!

GEORG
scheinbar wie nur zu Marianne rüber; ihn damit gleichzeitig abfertigend; »zwei Fliegen mit einer Klappe«.
Worüber du dich natürlich ebenfalls etwas verwunderst.
DUFROY
während Marianne wieder nur die Achseln zuckt; Notizblock; Geste.

Auch hier kommt's noch besser! Auf Seite dreihundertundneunundsiebzig verschickst du kleine Proben dieses interessanten Stoffs an so ziemlich alle ersten Modewarenhäuser der Welt, und nicht eine einzige dieser Firmen ist imstande, dich über den mysteriösen Ursprung dieses seltsamen Fabrikats aufzuklären!

GEORG
gelassen-gleichmütig.
Was ich, als das für mich Wahrscheinlichste, auch bereits vorausgesehn hatte!
DUFROY
in seinem Rapport weiter.

Die so zurückerhaltenen Bruchteilchen verschließt du in eine ovale Metallkapsel, verlötest diese eigenhändig, und als du dann diese Kapsel nach Ablauf von sechs Wochen, Von neuem wieder Notizblock. Seite vierhundertvierundachtzig, [422] wieder öffnest ...Auch jetzt wieder die kleine Pause. ist die Kapsel leer!

GEORG
noch immer an sich haltend; so versteckt- drohend es aus seinen Worten auch bereits klingt; Vorhänge wieder dunkel.

Und wenn ich nun den Spieß, lieber Schwiegervater, plötzlich umdrehe? Und dir ebenfalls mit einem kleinen Fragezeichen komme? ... Da der »liebe Schwiegervater« ihn nicht sofort »versteht«; noch nachdrücklicher und seinen Wischer von vorhin ihm jetzt mit Zinsen wieder heim- und zurückzahlend. Glaubst du in einem vielleicht jetzt normalen Moment wirklich, daß ich mir meine »verläßlichen Angaben« als »vertrauenswürdiger Chronist« bloß um dich und allenfalls auch noch einige andre Leute deiner Denk- und Anschauungsart zu ärgern, grob deutsch gesagt, aus den Fingern gesogen habe?

DUFROY
in die »Luft« vor sich hin; mit den Fingern der Rechten auf der Armlehne seines Sessels trommelnd.
Man kann sich täuschen!
GEORG
langsam; fast lauernd.
Hältst du mich ... für einen ... Scharf wie aus der Pistole. Simpel?!
DUFROY
wie vorhin; nur noch verstärkt.
Oder auch, wenn dir dies ehrenvoller und respektabler vorkommt, sich täuschen lassen!
MARIANNE
schnell; unterdrückt-heftig; ihren Anschuldiger jetzt endlich »stellend«.
Durch mich oder durch Onkel Ludwig?
DUFROY
aufgebracht-ablehnend.
Wie soll ich das wissen?!
GEORG
zu Marianne rüber; ihr sekundierend.
Aha!
MARIANNE
noch entschiedner.
Wenn du mit einer ... gelinde gesagt, derartig gewagten Behauptung kommst?
DUFROY
»in die Ecke gedrängt«-ausweichend.

Es wäre immerhin möglich ... und vielleicht schließlich gar nicht einmal so weit von sich abzuweisen ... daß unter Umständen ... selbst auch noch dieser greise und schon beinah halb irre Fanatiker ...

MARIANNE
die ihn nicht ausreden läßt; noch energischer.
Also, mit andern Worten, jedenfalls ich, als die dabei Hauptbeteiligte!
DUFROY
der sie nicht anblickt; Georg, ihren »Parteigänger«, aber ebensowenig.
Ich sage nicht ja und sage nicht nein!
GEORG
vor solcher »Taktik« fast »sprachlos«; unwillkürlich; losplatzend.
Sehr gut! Wirklich! Ganz ausgezeichnet!
MARIANNE
noch immer zu ihrem Vater; als sähe sie eine ganze, große Seite [423] seines Wesens plötzlich zum erstenmal, oder doch wenigstens in einem für sie gänzlich neuen »Licht«.
Das ist für dich die einzige Erklärung?
DUFROY
heftig; wieder keinen von beiden anblickend.
Ich sehe mich bis jetzt vergeblich ...
GEORG
ihn unterbrechend; scharf, aber doch mit aller Kraft an sich haltend.

Und da doch für gewöhnlich niemand etwas ohne jeden Grund und ohne eine gewisse Absicht tut ... wie denkst du dir ungefähr, in diesem Falle, die Motive deiner Tochter?

DUFROY
achselzuckend; noch immer wie vorhin; bereits beinahe mit einem Stich ins Verächtliche.
Die Motive einer Frau ...
GEORG
zu Marianne rüber; höhnisch, fast schadenfroh.
Sieh, sieh!
MARIANNE
auch sie noch wie vorhin; dabei aber zwischendurch, einen kurzen Moment, jetzt erregt nach Georg rüberblickend; ihre Stimme hat auf einmal einen fast harten Klang.
Du wirst mir doch damit ... hoffentlich ... nicht etwa andeuten wollen ...
DUFROY
unbeherrscht; losbrechend; jede Steuerung seiner selbst und überhaupt der ganzen Situation vollkommen verlierend.

Was sich seit drei Jahren in diesem Hause hier abgespielt hat ... und noch abspielt ... ihr mögt mir sagen und versichern, was ihr wollt ... ist für mich von einer Unkontrollierbarkeit ...

GEORG
seinen Paroxysmus unterbrechend; brodelnder Vesuv mit einer plötzlich zehn Meter dicken, künstlichen Eisschicht über sich.
Also, liebe Marianne ... da sich jetzt die ganze Geschichte so angenehm ins Persönliche dreht ...
DUFROY
der schnell und sofort wieder »zur Besinnung« gekommen; zurückstoppend.
Du darfst meine kleinen Einwände ...
GEORG
»kühl«.

»Kleine Einwände« ist vorzüglich! ... Wieder zu Marianne rüber, die ihn groß anstarrt. Ich habe mir also unsre Sache ... nun doch wieder anders überlegt! Ich werde meine Papiere weder vernichten, wie ich dies in meinem Unmut ... Abbrechend und sofort wieder weiter. noch, und vor allem ... Letzte, eiserne Entschieden- und Entschlossenheit. Ich werde jetzt dieses Haus nicht verlassen!

DUFROY
vor Überraschtheit fast »Salzsäule«.
Du ... wolltest ...?
GEORG
kurz.

Ja. Es war meine übereilte Absicht gewesen, dir aus schwiegerpersönlicher Rücksichtnahme ... Abbrechend. Es war [424] Torheit! ... Von neuem zu Marianne. Du wirst mir die Liebe tun, die besprochne letzte Sitzung ... Auf eine unwillkürliche, fast wie entsetzte Bewegung von ihr; noch verstärkt. jawohl! ... ganz gleich, ob dein Vater nun an ihr teilnehmen will, oder nicht ... mit mir abzuhalten, Jetzt zu seinem Schwiegervater rüber, der, in seinen Sessel zurückgesunken, kaum seinen Ohren traut; wieder hellste Sonne. und ich werde schon morgen die sofortige Wiederaufnahme meiner Vorlesungen ankündigen!

MARIANNE
aufgestanden; letzte, zitternde Angst und Freude gleichzeitig in ihrer Stimme; ihren Vater in diesem Augenblick ganz vergessend.
Georg!!
GEORG
sitzengeblieben; jeden Akzent schärfst betont.

Es wäre eine Feigheit von mir sondergleichen, einen Tatsachenverhalt, von dessen realer Existenz mich meine Gott sei Dank noch vollkommen gesunden Sinne überführt und überzeugt haben ...

DUFROY
sich jetzt ebenfalls erhebend; mit beiden Händen noch hinter sich auf seinen Armstuhl ge stützt; stammelnd.
Bist du ...
GEORG
der sich jetzt gleichfalls erhoben; die Rechte auf sein Tischchen gestützt; die Linke leicht in der Seite; zu seinem Schwiegervater rüber; dessen diesem vor innerer Erregung steckengebliebne Frage prompt beantwortend.

Ich fühle mich vollständig im Besitz meiner Vernunft und überblicke durchaus die Tragweite dessen ... was ich dir eben eröffnet habe!

DUFROY
der ihn noch immer anblickt, seine Worte nur mit Mühe aus sich rauspressend.
Von deinem Berliner Lehrstuhl ... als ordentlicher Professor der Chemie und Physik ...
GEORG
ihn unterbrechend und in seinem Satz, von sich aus, weiter; jeden Akzent wieder aufs schärfste betont.

Unter dem denkwürdigen Rektorat meines schwiegerväterlichen Lehrfreundes, Beschützers und Gönners Professor Doktor Eduard Charles Gaston Dufroy-Regnier, geboren Achtzehnhundertachtundvierzig zu Massana in der Republik Andorra ...

DUFROY
unwillig, heftig.
Was hat hier die Republik Andorra ...
GEORG
durch diese Unterbrechung in seinem »Stiehm« noch gesteigert und erst jetzt seinen Satz zu Ende führend.

Werde ich die Stirn und den »herostratischen Mut« haben, inmitten einer trampelnden, oder wenn du willst, auch scharrenden Zuhörerschaft [425] der erstaunten, nördlicheren Hemisphäre diese Riesenbären aufzubinden! Verlaß dich drauf!

DUFROY
nachdem er sich von dem Schreck, in den ihn diese Wiederholung der ihm von seinem Gegner gemachten Eröffnung versetzt hat, einigermaßen wieder erholt hat; als ob er ihn plötzlich von einer Art Koller befallen, oder für »gelinde gesagt blödsinnig« hielte.

Und zu welchem ... falls ich mich überhaupt noch unterstehn darf, darnach zu fragen ... zu welchem Zweck ... willst du dich in dieser Weise opfern?

GEORG
aufrecht, regungslos, fest.

Um einer Idee ... die älter ist, als eure ganze, sogenannte moderne Wissenschaft ... einen Streiter mehr zuzuführen!

DUFROY
ihm an seinem Platz ebenso aufrecht gegenüber; Schultern und Kopf hochmütig zurückgeworfen; ihn feindselig messend.
Und diese »Idee« ... nennt sich, oder ist?
GEORG
mit der gleichen, ehernen Ruhe, wie vorhin.

Einer armen, gequälten Menschheit, der dies elende, unsinnige, irdische Jammerdasein nicht genügt, und die an ihm verzweifelt, die Unsterblichkeit derselben Seele unwiderlegbar zu beweisen, die ihr unter euern Seziermessern ... nie habt finden können! ... Feurig; seine Stimme noch hebend; mau merkt ihm an, wie er bei seinen Worten »mit ganzem Herzen, mit ganzem Gemüt und mit ganzer Seele« ist. Um dieses höchste Problem ... dem kein andres gleicht ... mit dem an Wert und Wichtigkeit ... sich nichts messen kann ... hinter dem alles zurücksteht ... um das unser Hirn sich müht, seit es denken gelernt ... und gegen das euer ganzer, sich »modern« schimpfender »Fortschritts«-Schwindel ... mit seinen Dreadnoughts, Luftkreuzern und Unterseebombenbooten kaum noch die hohle, blutleere Bedeutung eines nichtigen, müßigen Spielwerks für kleine Kinder hat ... wird ... seit einer Generation bereits ... der entscheidende Kampf gekämpft!

DUFROY
höhnisch; ihm noch immer gegenüber.

Mit sich drehenden Tischen, mit Musikinstrumenten, die durch die Luft fliegen, und mit aneinandergeschraubten Schiefertafeln, die sich von innen selbsttätig beschreiben!

GEORG
unerschüttert.

Womit ist gleichgültig. Deine mechanistische [426] Wissenschaft, wenn du dir in dieser linguistischen Blumigkeit gefällst, hat zu Galvanis Zeiten mit zuckenden Froschschenkeln gefochten, zu den Zeiten Newtons mit dem diesem zufällig vor die Nase gefallnen Apfel und in den Tagen Watts mit dessen übergekochtem Teekessel! Der Kampf, von dessen ersten Anfängen du damals, über deinen »prähistorischen Prolegominis«, versäumtest Notiz zu nehmen, Letzte, wuchtigste Steigrung. wird heute in seinem letzten Stadium zum Austrag gebracht, und du darfst jetzt davon überzeugt sein, ich werde in ihm meinen Mann stehn! ... Nach einer kurzen Pause; Radfahrer. Marianne!.. Willst du mir dabei ... als treuer Kamerad ...

DUFROY
während sie von Georgs feuriger Begeistrung hingerissen, noch dasteht und ihn mit leuchtenden Augen anblickt.

Wähle! ... Nach einer kleinen Pause; noch schwerer; seine Brust arbeitet. Kann dir die Wahl ... und wenn ich dich eben ... auch vielleicht noch so mit Unrecht beschuldigt haben sollte ... überhaupt schwer fallen?

MARIANNE
zu Georg, den sie noch immer anblickt; beinahe ekstatisch.
Ich bleibe ... wo du bleibst!
DUFROY
fast zurückgetaumelt; sie ganz entsetzt anstarrend.
Du ... Nicht fähig, seine Frage zu beenden.
GEORG
aufgereckt.
Nun? ... Halb nach Marianne rüber; Geste. Noch ist die Möglichkeit ...
DUFROY
plötzlich wie »um zehn Jahre gealtert«; unwillkürlich, einen Schritt von sich aus nach rechts; den Blick zu Boden, die Linke vor der Stirn; trübe Halbsonne.
Das also ...
GEORG
einen Moment fast wie Mitleid.
Du willst jetzt ... gehn?
DUFROY
fast feindselig-scheu zu Marianne rüber; noch immer wie halb gebrochen.
Ich ... hätte überhaupt erst nicht ...
MARIANNE
leise, weich, zärtlich.
Vater!!
DUFROY
mit dem Versuch, sich wieder zusammenzuraffen.

Ich bedaure ... daß du in solche Hände geraten bist! ... Aber ... so Gott will ... Sich hastig »verbessernd«. Das heißt ... ich hoffe ...

GEORG
noch immer aufrecht; eindringlich.

Versuchs und überzeug dich! Unwillkürlich betreffende Geste. Ich biete dir noch mal die Hand! Nur so ... Abbrechend und sofort wieder weiter. Das große [427] Wissensgebiet, das zu betreten du dich weigerst, ist ein so riesenhaftes, über jede seiner Diszipline existieren bereits so umfangreiche Bibliotheken, die lange Ehrenphalanx glänzender, ruhmreicher, exaktester Denker und Forscher, die sich mit ihm beschäftigt haben, ist schon eine so fast unabsehbare, daß die Vogelstraußpolitik, die du treibst ...

DUFROY
der so lange, mit sich kämpfend, dagestanden; letzter Versuch, sich noch mal zur Wehr zu setzen.
Ich glaube nicht, daß du durch solche Angriffe ...
GEORG
ungeduldig, heftig; jeden weiteren Widerstand damit abschneidend.

Sich gegen alle diese Dinge heute noch radikal ablehnend zu verhalten, ist nicht mehr »berechtigter Skeptizismus«, sondern einfach glatteste, platteste Unwissenheit!

DUFROY
Marianne noch immer nicht wieder anblickend; schwankend, unschlüssig, im letzten und eigentlichsten aber doch schon gewonnen; wieder helle Sonne.

Und ... mein Bruder? ... Wenn ich nun wirklich ... mich überwinden ... und an eurer Sitzung teilnehmen wollte ... würde der nicht sofort wieder ...

GEORG
verändert-entgegenkommend; halb bereits wie gewandelt.
Ich glaube, um diesen Preis ... würde sogar ganz im Gegenteil auch Onkel Ludwig ...
DUFROY
sich vergewissernd.
Das hältst du wirklich ... für so sicher?
GEORG
eifrig, nachdrücklich; das Eisen schmiedend, so lange es noch usw.
Ich bin überzeugt, daß auch deine Tochter Marianne ...
MARIANNE
einfach, schlicht.
Ich denke wie Georg.
DUFROY
der sich jetzt endlich »wiedergefunden«.

Gut! ... Man soll nicht sagen, daß ich mich kleinlich geweigert hätte ... selbst das mir allerschwerste Opfer zu bringen, wo es den Frieden ...

GEORG
einfallend; »aufs höchste befriedigt«.

In deiner Familie galt! Gewiß nicht! Zu Marianne rüber; fester Tonfall. Wir werden also unsre Sitzung, und zwar wir alle vier, noch heute abend ...

ONKEL LUDWIG
hinterm Perlenvorhang links eben die Tür aufmachend.
Kommen Sie nur, Baronchen! ... »Knax«. Eh! ... Kommen Sie!
UEXKÜLL
noch draußen.
Respektvollsten Dank!
ONKEL LUDWIG
den man ebenfalls noch nicht sieht.
Werd's schon machen! Sollen zufrieden sein!
GEORG
der sofort, ganz erstaunt-ungehalten, aufgehorcht hatte; erst [428] nach der Tür, dann zu den beiden übrigen.
Sollte dieses ... enfant terrible ...?
ONKEL LUDWIG
durch den Perlenvorhang; einen Moment vor dem Anblick Dufroys ganz starr; erst dann nähertretend; ihn von oben bis unten zornfunkelnd messend; Halbsonne.
Wer ist ... das?!
DUFROY
durch die Anwesenheit jetzt auch zugleich Uexkülls, der hinter Onkel Ludwig »ehrerbietig« aufgetaucht ist, in der »freien Entfaltung« seines versöhnlichen, stiefbrüderlichen »Entgegenkommens« unwillkürlich etwas behindert.
Lieber Bruder ...
ONKEL LUDWIG
losplatzend; mit »schwellender Zornader«; erst zu Georg und Marianne rüber, dann zu Dufroy.
Ich dachte ... der Scheiterhaufen ...
GEORG
ihn unterbrechend; mißbilligend; von Uexküll zu Dufroy.
Möchtest du die Güte haben?
ONKEL LUDWIG
durch diesen »Supps« wieder zu sich gekommen.

Ah so! ... »A« kurz. Ja! ... Natürlich! ... Nachgrollend. Warum nich? ... Beide einander vorstellend. Mein alter Freund Baron Uexküll ... Gemisch aus Stolz, Sarkasmus, Selbstüberhebung und noch verschiednen andern schönen Dingen. Herr Professor Doktor Dufroy-Regnier, Wirklicher Geheimer Rat, Exzellenz, Rektor der Friedrich-Wilhelms-Universität, mein Stiefbruder!

UEXKÜLL
den Hut nicht mehr in der Hand, so daß er ihn also wahrscheinlich auf Veranlassung von Onkel Ludwig irgendwo draußen abgelegt haben muß; gewandt-korrekt.
Hohe Ehre!
DUFROY
ohne es zu wollen, unter dem Druck des Moments, etwas steif-frostig.
Angenehm.
ONKEL LUDWIG
ähnlich wie vorhin; seine alte Feindseligkeit wieder aufnehmend.
Also die Exekution ...
DUFROY
schnell; ihn unterbrechend; in der Hoffnung, ihn dadurch in ein andres Fahrwasser zu lenken.

Georg war so freundlich, mich zu eurer heutigen, Diese Worte lebhaft unterstrichen. letzten Sitzung zu laden!

ONKEL LUDWIG
fast wie »vor den Kopf geschlagen«; den betreffenden »Attentäter« anstarrend.
Georg?!!
GEORG
brüsk.
Ja!
DUFROY
zu seinem Stiefbruder.
Du scheinst ... zu meinem aufrichtigen Bedauern ...
[429]
ONKEL LUDWIG
noch ganz »gekränkte Leberwurst«; zu sämtlichen drei Beteiligten.
Ohne ... mich ...? Ohne vorher mich ...
GEORG
eisig.
Ja! Denke dir nur dies Majestätsverbrechen!
ONKEL LUDWIG
da er fühlt, daß sich in diesem Augenblick gegen seinen »neveu« nicht ankämpfen läßt; von neuem halb nach Dufroy rüber.
Und das gesalbte Oberhaupt der Gegenpartei ...
GEORG
fast heftig; in Gegenwart Uexkülls für den Angegriffnen energischst eintretend.
Ich muß doch bitten!
ONKEL LUDWIG
noch ergrimmter; in seinem unterbrochnen Satz weiter.
Lehnt natürlich ...
DUFROY
wie vorhin; eifrig; nochmal prallste Sonne.

Absolut nicht! Mit seiner »Eröffnung« das Gegenteil von unzufrieden; sich unwillkürlich etwas reckend. Ich habe mich, nach allerdings innerm Kampf, entschlossen ....

ONKEL LUDWIG
als hätte er nicht recht gehört.
»Ent ...?«
DUFROY
noch entschiedner; jetzt auch zu Georg und Marianne rüber.
Entschlossen, dem von euch behaupteten Tatsachenkomplex ...
GEORG
zu Onkel Ludwig.
Du hörst!
DUFROY
noch in seinem selben Satz weiter.
Trotz meiner vorläufig prinzipiellen Stellungnahme gegen ihn ...
GEORG
jetzt zu Dufroy direkt.
Die dir niemand verübelt!
DUFROY
seine Oratio schließend.
Doch, behufs ernstafter, eingehender Prüfung, vorurteilslos, näherzutreten!
ONKEL LUDWIG
sich mit der Linken flach vor die Stirn fassend; von einem zum andern blickend; noch immer wie verdattert; aber doch bereits ganz andrer Tonfall.
Bin ich ... bei Verstand? ... Hab ich ...
MARIANNE
die durch das plötzliche Wiederauftauchen Uexkülls wieder in eine merkliche Unruhe verfallen war, jetzt aber, wie es scheint, sich gar nicht mehr um ihn bekümmert; zu ihrem Vater, vermittelnd.
Du siehst, wie Onkel Ludwig ...
ONKEL LUDWIG
noch gesteigerter als vorhin; betreffende Haltung und entsprechender Blick.
Stürzt hier nächstens ... die Decke ein?
DUFROY
der jetzt merkt, daß er sein Spiel gewonnen; warm, herzlich; ihm »offen und ehrlich« die Hand bietend.
Es freut mich ... daß du als mein Bruder ...
ONKEL LUDWIG
ganz wie ausgewechselt; mit ausgebreiteten Armen zwei Schritte [430] vor ihm zurück; wie ein großer Bär.
Laß dich mal ... sehn! ... Wie kuckste denn ... überhaupt aus?!
DUFROY
etwas geniert-unbehaglich halb zu Uexküll rüber.
Herr Baron ... wird zwar etwas verwundert sein ...
GEORG
zornigst-mißbilligendes Räuspern; wie um dieser »Familienszene« vor einem so unberufnen Dritten ein möglichst schleuniges Ende zu machen.
Hhr ... mm!!
ONKEL LUDWIG
fast »empört«, zu ihm und Uexküll rüber.
Wenn man nach zwei Menschenaltern ...?
UEXKÜLL
»diskret«.
Aber ich bitte!
GEORG
knapp, kurz.

Die Sache ist also abgemacht! Herr Doktor Brodersen hat gegen die Assistenz von Herrn Professor Dufroy nichts einzuwenden, und da die Herren ...

ONKEL LUDWIG
aufgeräumt, ihn unterbrechend.

Famos! Die »Gelegenheit« am »Zipfel« packend. Herr Baron, der sich für solche Vorführungen lebhaft ebenfalls interessiert ...

UEXKÜLL
ihm assistierend; »bescheiden«; zu Georg und Dufroy gleichzeitig.
Falls meine Bitte ...
GEORG
auffahrend; bei Dufroy und Onkel Ludwig sofort Protest erhebend.
Ich möchte da doch ...
DUFROY
Geste; ihn beruhigend; aber dabei doch diplomatisch für Onkel Ludwig Partei ergreifend.

Auch mir, lieber Georg ... Halb zu Uexküll rüber. wäre die Zuziehung eines gänzlich Unbeteiligten ...

ONKEL LUDWIG
unwillkürlich.
Bravo!
DUFROY
wie vorhin; noch verstärkt.
Und also damit gewissermaßen Unparteiischen ...
UEXKÜLL
sich verbeugend.
Zu gütig!
DUFROY
wieder zu Georg; erst jetzt seine »Befürwortung« schließend.
Nur lieb!
GEORG
nach Marianne hin; scharf; wie von dieser Unterstützung und Hilfe erwartend.
Ich weiß aber nicht ...
ONKEL LUDWIG
zu Marianne rüber; ahnungslos; wieder »neugeborner Wickelknabe«.
Dir ist das doch nich unangenehm?
MARIANNE
aufgerichtet; Uexküll jetzt fest anblickend; ihre Worte seltsam betont.
Wenn Herr Baron ... sich von dieser Sitzung ... Auto. etwas verspricht?
[431]
GEORG
dem dieser Tonfall auffällt; schnell; von einem zum andern blickend.
»Verspricht«? ... Inwiefern?
UEXKÜLL
ihn ignorierend; verbindlich zu Marianne rüber.
Tausend Dank!
ONKEL LUDWIG
entzückt; unwillkürlich zweimal leicht in die Hände schlagend.
Bravissime!
GEORG
ungehalten-mißgestimmt.
Dann kann ich natürlich als Einzelner ...
UEXKÜLL
zu Georg; höflich.
Falls aber Herr Professor ...
ONKEL LUDWIG
zu Uexküll; ganz »Autorität«; ihm die majestätisch erhobne Rechte fest auf die Schulter legend.
Junger Mann ... ich habe Ihnen mein Wort gegeben, und mein Wort ...
DUFROY
jetzt endlich ebenfalls wieder eingreifend; zu Georg und Marianne.
Nur noch eine Bedingung ... Rücksichtsvoll zu Onkel Ludwig rüber. Das heißt ...
ONKEL LUDWIG
Geste, lebhaft mit beiden Händen.
Alles, alles, was du ...
DUFROY
zu Georg; sein »Amendement« sehr nachdrücklich betont.

Als Raum, würde ich mir dieses Mal erlauben, nicht dein Laboratorium in Vorschlag zu bringen, das ich nun schon seit Jahren nicht mehr betreten ...

GEORG
neugierig-ungeduldig.
Sondern?
DUFROY
jetzt auch noch zu den beiden übrigen.
Euren alten Musiksaal!
GEORG
der sofort zu Marianne rübergeblickt, die nur wie gleichmütig die Achseln zuckt; trotzdem unangenehm von dieser Forderung überrascht.
Das erschwert uns zwar die Sitzung in einer Weise ...
ONKEL LUDWIG
ihm, bedenklich, zustimmend.
Allerdings! Allerdings!
DUFROY
ans seinem Verlangen, das er sich »schuldig« zu sein glaubt, bestehn bleibend.

Mag sein! Ich maße mir da nach der Richtung kein Urteil an! Aber ich hätte dann die Garantie ... Abbrechend und sofort wieder weiter. Ihr habt ihn in der Zwischenzeit nicht benutzt, er hat nur die eine, große Tür, die aus dem Gartensaal führt ...

GEORG
jetzt innerlich bereits zu seinem Entschluß gekommen.

Schön! ... Dann ist es aber vernünftger ... sein Oberlicht kann jederzeit von uns abgestellt und, je nach Bedarf, durch künstliches ersetzt werden, wir warten nicht erst den Eintritt der Dunkelheit ab ...

ONKEL LUDWIG
jovial einfallend und ihm seinen Satz von sich aus schließend.
Sondern überführen unsre Herren Skeptiker sofort!
[432]
DUFROY
sich unwillkürlich wieder die Hände reibend.
Einverstanden!
GEORG
nicht lange »fackelnd«; wie einen Moment unbestimmt, ob er den Raum durch die Tür links oder rechts verlassen soll.

Dann werde ich gleich ... Sich unterbrechend und noch mal nach der für ihn jetzt »Hauptperson« rüber. Also Marianne?

MARIANNE
ruhig, fest; alle Anwesenden überblickend.
Ich bin bereit.
GEORG
schon an der Tür links; noch mal halb zu rück und betreffende, leichte Kopfbewegung.
Vielleicht halten sich die Herren ... so lange im Garten auf!
ONKEL LUDWIG
sofort nachdem Georg verschwunden, ebenfalls auf die Tür zu; zu seinem Stiefbruder.
Herr Frater?
DUFROY
der ihm den Vortritt lassen will.
Nach dir, lieber Ludwig! Nach dir!
ONKEL LUDWIG
der ihm bereits den Perlenvorhang gehoben.
Keine Widerrede!
DUFROY
den Perlenvorhang passierend.
Nun! Damit du nicht denkst ...
ONKEL LUDWIG
nochmal zu Uexküll zurück.
Herr Baron? ... Zu Marianne; ihr gelaunt-scherzhaft mit dem Finger drohend. Hn? ... Mariannl?
UEXKÜLL
kaum daß nun auch noch Onkel Ludwig verschwunden, sofort bis in die Mitte der Bühne und verhalten-erregt zu Marianne rüber, die ihn hochaufgerichtet, stolz-abweisend und fast verächtlich anblickt; dunkelste Lichtstimmung des ganzen Akts.

Gnädigstes Fräulein ... sehn mich noch ganz erschüttert! Hätte mir nicht eben Ihr Herr Onkel selbst ...

MARIANNE
die nur noch mit Mühe an sich hält.
Sie werden dieses Haus ... unter irgendeinem Vorwand ... sofort und auf der Stelle ...
UEXKÜLL
sich schnell und leidenschaftlich steigernd.

Vertreiben Sie mich nicht! Verjagen Sie mich nicht! Stoßen Sie mich nicht von sich! Das traurige Geschick Ihrer armen Frau Schwester ...

MARIANNE
deren Stimme fast zittert.
Ich verbiete Ihnen ...
UEXKÜLL
über ihre Unterbrechung hinweg.

Sie sind zu grausam zu mir! Sie sind zu hart! Mein ganzes Leben seit jenem glücklich-unglücklichen Abend ist ein einziges Suchen gewesen! Wo ich auch war, wo ich auch weilte, immer wieder hat es mich hierher zurückgezogen! Und nun, wo ich für die Verlorne ...

MARIANNE
außer sich.
Sie ... wagen es ...
UEXKÜLL
noch in seinem selben Satz weiter.
Den wunderbarsten, köstlichsten Ersatz gefunden ...
[433]
MARIANNE
noch gesteigert.
Sie besitzen die Stirn ...
UEXKÜLL
der sie mit seinen Augen »verschlingt«.
Sie sind ja noch tausendmal ...
MARIANNE
die sich kaum noch kennt.
Sie riskieren es, mir sogar noch obendrein ...
UEXKÜLL
plötzlich; einen Schritt zurück; veränderter Tonfall.
... Bitte?
MARIANNE
flammend.
Sie wollen nicht gehn??
UEXKÜLL
ruhig, »kühl«, selbstbeherrscht; als hätte sie ihm mit diesem Verlangen den pursten Irrsinn zugemutet.

Durch was ... ich wäre ja sonst ... vor mir der naivste Tor ... könnten Sie mich im Moment dazu zwingen?

MARIANNE
ausholend-drohend; jeden Akzent nachdrücklichst betont.
Ich ... warne Sie! Hüten Sie sich! Nehmen Sie sich in acht!!
UEXKÜLL
sich bereits wieder steigernd.

Es wäre das erste Mal in meinem Leben, daß ich vor dem ... entzückenden, anbetungswürdigen ... Haß ... oder Zorn einer Frau ...

MARIANNE
noch stärker.

Der Mann, den Sie beleidigt haben ... so tief und so tödlich, wie ein Mann einen Mann nur beleidigen kann ...

UEXKÜLL
ihre Energie noch überbietend.
Sie ... lieben diesen ... Mann!
MARIANNE
vor diesem »direkten Sturmangriff« nicht znrückschreckend.
Und ... wenn ichs ... täte?
UEXKÜLL
noch erregt-leidenschaftlicher.
Sie ... lieben ihn!
MARIANNE
mit letzter, fast höhnischer Selbstsicherheit und Kraft; sich unwillkürlich noch höher richtend.

Seit dem ersten Augenblick ... wo er mir vor acht Jahren ... im Garten dieses Hauses ... gegenübertrat!

UEXKÜLL
dessen »Besinnung« jetzt mit ihm »durchgeht«; wieder veränderter Tonfall; »kalte Wut«.

Dann ... weiß ich jetzt auch ... aus welchen Gründen ... Pferdegetrappel. Ihre arme, bedauernswerte Frau Schwester an jenem siebzehnten Märzabend ...

MARIANNE
ihn unterbrechend; unwillkürlich einen halben Schritt zurück.
Mein ... Herr!!
UEXKÜLL
seine Eifersucht nicht mehr zügelnd.

Sie ... lieben diesen Mann und ... Allerstärkst; wenn auch, wie überhaupt diese ganze Szene, durch den Moment und die Situation instinktiv etwas gedämpft. Sie betrügen ihn zugleich! ... Ihre ganze, sogenannte, angebliche Mediumschaft ...

[434]
MARIANNE
zusammengezuckt; heftig.
Sie ... erfrechen sich ...
UEXKÜLL
von seiner Anschuldigung nichts zurücknehmend; im Gegenteil sie noch unterstreichend; mit »eiserner Stirn«.
Ich »erfreche« mich zu bezweifeln, was für mich einem Zweifel überhaupt erst gar nicht unterliegt!
MARIANNE
von neuem ausholend; langsam; ihre Worte beginnen einen fast seltsamen, versteckt- warnenden Klangton anzunehmen.
Sie ... könnten sich ... täuschen! Ihre Schuld ...
UEXKÜLL
ungehalten-unmutig; dieses Wort weit von sich weisend.
»Schuld!« »Schuld!« Es gibt keine Schuld!!
MARIANNE
noch verstärkt.

Ihre Schuld ist eine so erschreckend große ... daß, wenn sie jetzt für uns alle Letzte, beinahe qualvolle Steigrung. frei an den Tag käme ...

UEXKÜLL
sie unterbrechend; überzeugteste, weder durch ihre Worte, noch durch ihr Verhalten auch nur im geringsten erschütterte Sicherheit und Bestimmtheit.

Sie werden als ... Tochter Ihres Vaters, als ... Schwester Ihrer ... Schwester ... unter keinen Umständen und unter keiner Bedingung den Mut finden ...

MARIANNE
ausbrechend; fast verzweifelt.

Als ob das ... dann noch in meiner Macht läge! Als ob das ... dann überhaupt noch Sich wieder und noch mal zusammenraffend. Ich warne Sie noch mal ... und zum letztenmal!

UEXKÜLL
energisch-äußerste, durch nichts mehr umzustürzende Entschlossenheit.

Er ... oder ich! ... Ich oder er! ... Sie werden mich aus diesem Hause ... heute durch nichts mehr verdrängen ... und ich werde meine Augen Drohend. offen halten!

MARIANNE
die sich jetzt wieder vollständig gefaßt hat; ihn von oben bis unten messend; ganz »Dame«.
... Sie sind ... kein Gentleman!
UEXKÜLL
unter diesem »Peitschenhieb« nicht einmal zurückgezuckt; ihre »Blicke« erwidernd.

Weil ich nicht ohne Kampf ... und zwar, falls es nottun sollte, nicht ohne Kampf bis aufs äußerste und letzte ... vor einem Ziel, das ich mir nun mal gesteckt habe ...

MARIANNE
höhnisch-verächtlich.
Ein ... nettes Ziel!
UEXKÜLL
von seiner Leidenschaft einen Moment wieder überwältigt.
Das ... herrlichste ... lockendste, das ich mir je ...
MARIANNE
an ihm vorüber, ohne ihn anzublicken, und auf die Tür links zu; bevor sie diese ganz erreicht hat, sich noch mal nach ihm [435] umdrehend und ihm elementar ins Gesicht.
Ich ... hasse und ... verabscheue Sie! Durch den Perlenlöwen ab.
UEXKÜLL
der ihr »ohnmächtig« nachgeblickt; einen Moment, die Hände unbewußt seitlich geballt, mit sich ringend; halblaut, finster vor sich hin.

Und wenn es mein ... Plötzlich, mit einem Ruck, sich zusammenraffend und ebenfalls auf die Tür links zu. Verderben ist! Ab durch das Perlenungetüm.


Vorhang.

3. Akt

[436] Dritter Akt

Der alte Musiksaal. Hoher kreisrunder Oberlichtraum, von dem man nur die etwas größere Hälfte erblickt. Die geschwungenen Wände, sowie die Kuppelwölbung, aus dunkelrotem Mahagoniholz. Unter der Kuppelwölbung, bevor diese beginnt, ein glatter, meterbreiter Fries aus schwarzpoliertem Birnbaum. Eine ebensolche, nur schmälere Leiste trennt die Wände vom dunkelbraunen Parkett, in das ein einziger, schwarzer Stern eingelassen ist. In etwa ein Drittel Höhe der Wände große, vertiefte, schwarzumränderte Ovale, in denen aus leicht gelblich angetöntem Marmor Apollo mit den neun Musen steht. Im vordersten Oval links Apollo selbst in weitem, flatterndem Gewande, lorbeerbekränzt die Zither schlagend, dann Polyhymnia und Euterpe, und rechts Terpsichore, Urania und Melpomene, die ihm genau gegenübersteht. In der Mitte des Hintergrunds, seiner Rundung sich einwärts anschmiegend, ein dreiteilig sich ausbauchender, silbrig schimmernder Orgelaufbau über einer breiten, nischenartigen Vertiefung, vor der ein schwerer, faltiger, dunkelroter Samtvorhang hängt, der sich der Form des Orgelaufbaus ebenfalls anschmiegt. Er ist in seinem mittleren
Rundteil teilbar und kann in halber Höhe zurückgeschlagen werden. Dieser Aufbau ruht auf einem schwarzen Podium in Form eines sanften Kreissegments mit nur einer Stufe, in der gleichen Höhe, wie die um den ganzen Saal laufende Leiste. Rechts und links von ihm, sowie zwischen den Ovalen, in beträchtlicher Höhe, ebenfalls ovale, in die Täfelung eingelassne Leuchtkörper aus irisierendem Milchglas. Unter jedem dieser Leuchtkörper, auf schwarzen geschweiften Beinen, ein bequemer, roter Samtsessel mit Armlehnen. Schräg links ein schwarzer, mächtiger, barock gehaltner, nicht aufgeklappter Flügel, über dem eine alte, goldrote Brokatdecke gebreitet liegt. Vor ihm, krummbeinig, ein kleiner, ebenfalls rot gepolsterter Hocker und rechts ein entsprechender runder Tisch mit roter Samtdecke. Das Oberlicht, das sonst durch eine sich rundende Glasüberdachung fällt, unter der kreisrund abermals ein schwarzer Rahmen läuft, ist[437] durch eine Außenvorrichtung abgestellt und sämtliche Leuchtkörper, in voller Lichtstärke, brennen.
Bereits bevor der Vorhang aufgeht, ertönt auf dem Klavier, vor dem Onkel Ludwig sitzt, simpel aber korrekt gespielt, die Melodie des »Integer vitae!«.
Gemessen feierlich, aber nicht zu langsam.


Da der wiedergegebene Tonsatz für Männerchor gedacht ist, muß die rechte Hand eine Oktave tiefer gespielt werden. Vom neunten Takt ab hebt sich der Vorhang.
Hinterm Flügel, den rechten Unterarm leicht auf ihn gestützt, die linke Hand um die rechte, scheint Uexküll dem Spielenden andächtig-aufmerksam zu lauschen, dabei aber, fast unausgesetzt,
verstohlen-scharf Marianne beobachtend, die mit geschlossnen Augen, den Kopf halb zurück, die Linke lässig über die Armlehne ihres Sessels, neben dem Vorhang unter dem Orgelaufbau rechts sitzt; Georg, der ab und zu grimmig nach [438] Uexküll rüberblickt, steht halb über den runden Tisch gebückt, auf den er, die Augenbrauen finster zusammengezogen, beide Fäuste stützt, mit einem Gesicht, als ob er sich gegen die Töne aber auch ganz und gar abschließen wolle, während Dufroy-Regnier, dem die Musik in diesem Moment augenscheinlich ebenfalls mehr Peinlichkeit als Behagen bereitet, ganz im Vordergrund im ersten Sessel rechts sitzt.

ONKEL LUDWIG
der schon während des Spiels es keineswegs unterlassen hat, sich bei allen Zuhörenden durch entsprechende Blicke zu vergewissern, was sein musikalisches Nochkönnen auf sie für einen Eindruck macht; nachdem er geendet; nicht ohne einen gewissen, wie er davon überzeugt ist, berechtigten Stolz, während Georg, mit unwillkürlichem Augenaufschlag, ordentlich wie erlöst, aufatmet.
»Integer vitae!«
GEORG
den von Onkel Ludwig mit so großem Selbstgefühl zitierten Textanfang, ganz merkwürdig verbissen, fortsetzend; sein zweites Wort betont-auffällig nach Uexküll rüber.
»Scelerisque purus!
MARIANNE
die Augen geschlossen, das Wort nur gehaucht.
Purus!
ONKEL LUDWIG
in seinem »berechtigten Stolz« nun womöglich noch gesteigert.

Einzge Lied,Knax: »Memento mori!«. das ich noch aus meiner Studentenzeit kann! ... Sich orientierender, fragender Blick über alle Anwesenden. Seelische Harmonie der gesamten, verehrten Zirkelteilnehmerschaft endlich und glücklich wiederhergestellt?

DUFROY
in seinen Sessel zurückgelehnt; ein Bein übers andre; achselzuckend; scheinbar gelassen; mit einem heimlich triumphierenden Unterton in der Stimme.
So weit es an mir liegt ...
UEXKÜLL
leichte, chevalereske Verbeugung zu Dufroy rüber; Onkel Ludwig mit seinem Blick dabei streifend; rechte Hand »verbindlich« auf dem Flügel.
Ich möchte mir höflichst zu bemerken erlauben, daß auch ich ...
GEORG
hinter seinem Tisch; losbrechend.

Natürlich! Selbstverständlich! Nachdem seit zwei Stunden von allen Seiten alles geschehn, um das Eintreten auch nur des kleinsten, bescheidensten Phänomens einfach unmöglich zu machen ...

[439]
ONKEL LUDWIG
empört; durch diesen Allgemeinvorwurf gekränkt; von seiner Unschuld überzeugt.
Na von mir aus und von meiner Seite ...
DUFROY
zu Georg; schnell, gereizt.
Du kannst nicht sagen ...
GEORG
der ihn nicht ausreden läßt; noch immer ganz aufgebracht und erbittert; so sehr er seinen Ingrimm auch in eine »Eloge« für ihn kleidet.

Ehrlicher Skepsis und vernünftigem Zweifel, grade auf diesem Gebiet, werde ich nie meine Hochachtung versagen!

ONKEL LUDWIG
ihm beipflichtend; von seiner »Maxime« durchdrungen.
Ganz meine Meinung!
DUFROY
ironisch-skeptisch.
Hm!
GEORG
immer deutlicher und rücksichtsloser, in seiner Anklage und Beschwerde weiter; sie jetzt direkt und nur noch ganz allein auf Uexküll münzend.

Wenn man mir aber mit böswilliger Voreingenommenheit kommt, als ein durch nichts legitimierter Laie, und wie ein bestellter Detektiv ...

UEXKÜLL
ihm ins Wort; entrüstet.
Herr Professor!
DUFROY
beschwörende, fast wie angstvoll erschreckte Geste.
Georg!
ONKEL LUDWIG
mit beiden Händen sich die Ohren zuhaltend.
Schon wieder!
GEORG
der unterdessen, die drei letzten Repliken fielen fast gleichzeitig, von seinem Gegner kein Auge gelassen.
Hat Herr Baron, die ganze Zeit über, nicht ein Benehmen beliebt ...
UEXKÜLL
schärfst; seine »Blicke« vermeidend; jeder Iktus ein Florettstoß.
Verzeihung! Pardon!
DUFROY
für den Angegriffenen eintretend; Georgs Vorgehen aufs allerentschiedenste mißbilligend.
Herr Baron ist jetzt im Augenblick zwar dein Gegner ...
GEORG
durch die beiden kaum unterbrochen, seinen Satz mit erhobner Stimme schließend.
Als ob er sich unter berufsmäßigen Betrügern befände?!
DUFROY
scharfer, nervös vorgestoßner »T«-Laut; die Linke dabei unwillkürlich einen Moment erregt von der Armlehne seines Sessels hebend und sie schwer wieder fallen lassend; etwa wie in dem Sinne.
»Es ist nicht zu sagen!«. Tttch!
UEXKÜLL
noch entschiedner.
Ich muß doch bitten!
ONKEL LUDWIG
ganz ehrlichst und redlichst verzweifelt, daß all seine »Liebesmüh« umsonst gewesen; »a« kurz.

Ja, wenn nu auch ... die Macht der Töne nichts mehr hilft ...! ... In diesem Augenblick ein [440] erstes, noch fernes Donnergrollen. Alle horchen einen Moment unwillkürlich auf, mit Ausnahme Mariannes. Diese hat kurz nach dem Aufhören der Musik, die Augen noch immer geschlossen, ihren Kopf seitlich in die rechte Hand gestützt und ist in dieser Stellung, unter der Erregung der wieder Streitenden, wie darunter leidend, ab und zu etwas zusammengezuckt. Niemand hat in der Zwischenzeit auf sie geachtet. Das Rollen des Donners scheint sie nicht mehr empfunden zu haben. Im Gegenteil ist grade in diesem Augenblick ihr Kopf sogar noch etwas tiefer gesunken.

DUFROY
nachdem der Donner verklungen.
Ein ganz gewöhnliches Donnergrollen. Das Wetter, das schon den ganzen Tag ...
GEORG
seine Selbstverständlichkeit unterbrechend.
Auch das Wetter ist leider nicht ohne Einfluß.
DUFROY
der sofort aufgemerkt hat; fast als hätte er seinen Gegner damit »auf etwas ertappt«.
Ah, so! Also ein Gewitter ...
GEORG
der ihn auch jetzt wieder nicht erst ausreden läßt.

Ein Gewitter ist für das Eintreten von Fakten, wie wir sie hier jeden Augenblick erwartet haben und noch erwarten, erfahrungsgemäß eins der allerschwerwiegendsten Hindernisse!

ONKEL LUDWIG
ihm assistierend.
Haben wir schon ixmal und dutzendfach erlebt! Gehört zum einfachsten A-b-c!
DUFROY
durch seinen Tonfall an diesem ihm so versicherten »Sachverhalt« eine sehr durchsichtig-deutliche »Kritik« übend.
Sehr bedauerlich!
GEORG
trocken; markiert-gleichgültig mit den Achseln zuckend.
Du wirst an Naturgesetzen nichts ändern können!
ONKEL LUDWIG
zu Dufroy rüber; Georg wieder beispringend.
Du darfst nicht verlangen ...
GEORG
seinen »Alliierten« gar nicht beachtend; so geladen er im Moment durch die versteckt-hochmütige Art Dufroys auch ist, in seiner »Feststellung« mit scheinbarer Ruhe weiter.

Photographische Platten lassen sich nicht bei hellem Tageslicht entwickeln, und Wasser, das bei Null Grad nicht siedet, wird dir bei achtzig Grad nicht den Gefallen tun und gefrieren!

DUFROY
der gegen solche »Unbezweifelbarkeiten« »nichts einzuwenden« hat.
Gewiß nicht!
ONKEL LUDWIG
wie vorhin.
Na ja also!
[441]
DUFROY
»überlegen«-ironisch.
Es ist nur merkwürdig, oder vielmehr gradezu typisch, daß verheißne Wunder ...
ONKEL LUDWIG
gegen dies letzte Wort sofort wieder empört Front machend.
»Wunder«??
GEORG
zu Dufroy; in dieselbe Kerbe hauend; jetzt bereits, merklich, wieder gereizt.

Ich habe dir »Wunder« und ähnliche kleine Kinderscherze, das heißt also Dinge, die gegen jede, als ganz selbstverständlich, auch von mir angenommne, notwendge Weltordnung gehn, nicht versprochen!

ONKEL LUDWIG
Geste; »grandios«, emphatisch.
Auch das Supranormalste geht bei uns natürlich zu!
UEXKÜLL
wieder in die Debatte greifend; kopfschüttelnd; an dem von Onkel Ludwig mit so üppiger Vehemenz in die allgemeine mehr als Mißstimmung geschleuderten Schlagwort förmlich wie »kauend«.
»Supranormalste«!
ONKEL LUDWIG
zu ihm rüber; fast grob.
Na etwa nich?
DUFROY
vermittelnd; seinem heimlich Verbündeten damit indirekt zur Hilfe kommend.
Nun, diese Bezeichnung ...
ONKEL LUDWIG
zu Dufroy; »Knurrhahn«.
Hast du was gegen sie einzuwenden?
GEORG
ungeduldig; ebenfalls zu Dufroy; den ihm von Onkel Ludwig nun schon so wiederholt gewährten, »freundwilligen Sukkurs« damit gewissermaßen wieder wettmachend.
Setz dafür was du Lust hast, und es ist dasselbe!
DUFROY
den Disput abschließend; Öl in die Gemüter gießend; dabei aber doch der »Gegenpartei« nach Kräften wieder eins auswischend.

Über Nomenklatur wollen wir uns hier nicht streiten! Ich hätte auch nicht gleich, und gewissermaßen wie auf einem Teebrett, eure sogenannte »Materialisation« verlangt! Daß aber bis jetzt auch noch nicht einmal das Minimalste und Mindeste passiert ist ...

ONKEL LUDWIG
ihn unterbrechend; als hätte er damit das denkbar aber auch allerunbilligste Verlangen gestellt.
Zu so ungewohnter Stunde und zum erstenmal in diesem Raum?
DUFROY
mit hochgezognen Schultern; »a« kurz; »lächelnd«.
Ja ...
ONKEL LUDWIG
sich in die Brust werfend; »machtvoll«; der Unantastbarkeit seines »Aperçüs« in diesem Moment sich bewußt.
Kommandieren lassen sich diese uns unbekannten Kräfte nu mal nich!
[442]
GEORG
ruhig, konstatierend.
Wenigstens vorläufig und jetzt noch nicht!
DUFROY
noch ironisch-mokanter als vorhin.
Dann muß man Leute ...
GEORG
ihn, wieder etwas ungehalten-ungeduldig, unterbrechend.

Außerdem hatte ich dir auch schon sofort und von vorneherein erklärt Mit einem entsprechenden, sehr unmißverständlichen Blick nach Uexküll rüber, der jeden Moment, in dem er sich von Georg unbeachtet geglaubt, solange benutzt hatte, um immer wieder nach Marianne rüberzuäugen, die nach wie vor, von der allgemeinen Erregtheit um sie fast unberührt und nur noch bei ganz besonders starken Stellen wie physisch darunter leidend, mit geschlossnen Augen in ihrem Sessel sitzt. Wenn der Kreis der Teilnehmer ...

UEXKÜLL
seinen Angreifer nicht aussprechen lassend; ostentativ zu Dufroy.
Mit andern Worten, wenn ein berufner Sachverständiger, wie Exzellenz ...
DUFROY
für diese faustdicke Schmeichelei nicht ganz unempfänglich; ihm lebhaft beipflichtend.
Sehr richtig!
ONKEL LUDWIG
auffahrend; zu Uexküll rüber.
Wie beliebt?
GEORG
noch schärfer; Uexküll von oben bis unten messend.

Erlauben Sie! Halten Sie mich hier etwa für den ersten, besten, hergelaufnen Zinngießer oder Seifensieder?

DUFROY
Uexküll wieder beispringend; zu Georg und Onkel Ludwig gleichzeitig; unwillig.
Ihr dürft nicht immer gleich bei jedem Wort ...
UEXKÜLL
ebenso zu diesen beiden; in dem Gefühl, sich mit seinem letzten Ausfall allzuweit vorgewagt zu haben, wieder »klug« einen Schritt zurück; sich auf das ihm von »Exzellenz« »anvertraute Amt« berufend.

Die Kapazität beider Herren, auf diesem Gebiet, ganz unangetastet und in Ehren! Ich wollte mir nur als Unparteiischer ...

GEORG
ähnlich wie vorhin; ingrimmigst »durch die Zähne«.
»Unparteiischer«?
DUFROY
sich den Kopf haltend.
Herrgott, Herrgott!
ONKEL LUDWIG
an dem die ihm eben von Uexküll plötzlich so gezwungen »großmütig zugestandne »Kapazität« denn doch nicht so ganz spurlos vorübergegangen ist; nicht viel anders und fast gleichzeitig.
Wie soll bei dieser ewgen Katzbalgerei ...?!
[443]
GEORG
zu Onkel Ludwig; mit einem wütenden Blick nach Uexküll rüber.
Die du uns ... Den Rest in sich verschluckend.
UEXKÜLL
sich verteidigend; gereizt; zu allen dreien.
War es von mir bereits »parteiisch«, daß ich diesen Raum, in den ich als völlig Fremder trat ...
GEORG
brüsk; ihn unterbrechend.
Ich hatte Sie nicht darum gebeten!
DUFROY
am »Ende seiner Geduld«; zu Georg.
Wenn du nicht jetzt bald ...
ONKEL LUDWIG
ebenso; seinem Stiefbruder diesmal zur Hilfe kommend.
Man muß doch Vernunft annehmen!
GEORG
ausholend, scharf.

Ich würde nichts gesagt haben, wenn der Raum, zu dem wir uns, Kurz zu Dufroy rüber. auf deinen Vorschlag hin, für diese Sitzung bestimmten ... wie bisher, mein Laboratorium gewesen wäre! Wieder zu Uexküll. Sie hätten dort meinetwegen das Unterste zu oberst kehren können! Ich garantiere Ihnen, ich hätte dazu nicht einmal eine Miene verzogen!

UEXKÜLL
kühl-ablehnend.
Möglich. Aber dieser Saal ...
GEORG
ihn unterbrechend und in der Darlegung und Trassierung seines »Standpunkts« weiter.

Herr Professor Dufroy hatte Sie ausdrücklich und zur Genüge informiert, daß dieser Saal seit Jahr und Tag bereits von niemand mehr betreten worden war, sein Schlüssel hatte sogar umständlich erst gesucht werden müssen, und so schien mir die verletzende Übergenauigkeit, mit der Sie hier alles inspizierten ...

DUFROY
»diplomatisch«; seinem »Antagonisten« nun doch etwas »zukommen« lassend; leis verweisender Tonfall gegen Uexküll.
Ich glaube in diesem Fall allerdings auch ...
ONKEL LUDWIG
knurrig-brummig; von seinem ehemaligen »alten Freund« jetzt unverhohlen abrückend.
Wir sind doch hier schließlich ... keine Fälscherbande!
UEXKÜLL
mit einer leichten, sich entschuldigenden Kopfbewegung zuerst zu Onkel Ludwig, dann zu Dufroy rüber.

Herr Doktor verzeihn! ... Exzellenz gnädigstes Fräulein Tochter hatten sich, bevor wir diesen Raum, der erst gereinigt und gelüftet werden mußte, betraten, etwa gut eine dreiviertel Stunde lang auf ihr Zimmer zurückgezogen, was für die Dame des Hauses, in dem [444] ein diesem sonst Fernstehender zufällig die Ehre hatte als Gast zu weilen, doch immerhin ... Jetzt auch noch zu Georg und in seiner »Insinuation« »deutlich« werdend. ein ganz klein wenig auffällig war ...

GEORG
der in diesem Augenblick an sich halten muß, um sich nicht gradezu auf ihn zu stürzen.
Sie wagen eine direkte ... persönliche Beschuldigung?
ONKEL LUDWIG
mit seinem Krückstock, den er zuerst, noch bevor er sein »Integer vitae« begonnen, rechts hinter sich gegen seinen Sessel gelehnt hatte und den er inzwischen längst wieder an sich genommen, ergrimmt aufs Parkett stoßend.
Das ... wäre doch!
DUFROY
aufgeregt; mit erhobnen Händen; seine früheren, eignen Anschuldigungen und Verdächtigungen nach dieser Richtung hat er auf einmal ganz und gar vergessen.
Das geht nicht, das geht nicht! Der Charakter meiner Tochter ...
UEXKÜLL
vor dieser allgemeinen Empörung und Revolte gegen ihn notgedrungen den Rückzug antretend.

Exzellenz haben mich mißverstanden! Oder ich ... drückte mich etwas fahrlässig aus! Bitte um Entschuldgung! Dieser Raum wirkte auf mich so seltsam und wirkt es auch noch, daß ich unmöglich wissen konnte, ob sich nicht schon allein hinter diesem Orgelaufbau ...

GEORG
zorniger, wegwerfend-verächtlicher Nasallaut.
...
ONKEL LUDWIG
zu Uexküll; seinen Ausfluchtsversuch nicht gelten lassend; noch immer ganz aufgebracht.
Wir versichern Ihnen mit Bestimmtheit!
DUFROY
seinem Protest sich anschließend; ebenso; betreffende, wie dozierende Gesten.

Der Saal, in dem wir uns hier befinden, ist seit Bestehn dieses Hauses, genau in dessen Mitte, massiv eingebaut; das kleine Gelaß oder Gemach hinter diesem Vorhang steht, außer mit diesem Saal, mit irgendwelchen andern Räumlich- ...

ONKEL LUDWIG
einfallend.
Oder Baulichkeiten ...
DUFROY
in seinem Satz weiter.
In absolut keinerlei Verbindung ...
GEORG
die Fortsetzung ihm abnehmend und sie sofort »pfeffernd«.
Und eine romantisch geheime Falltür ...
ONKEL LUDWIG
wie vorhin.
Oder eine sonst ähnliche Vorrichtung ...
GEORG
noch ironisch-sarkastischer; erst jetzt ihren Dreimännersatz schließend.

[445] Wir würden Ihnen brennend gern damit dienen, aber zu unserm aufrichtgen Bedauern ist derartges, oder dem auch nur Annäherndes, nicht in ihm angebracht!

ONKEL LUDWIG
nachgrollend.
Darauf können Sie sich nu schon mal verlassen!
DUFROY
ähnlich.
Ich hätte diesen alten Festraum sonst schwerlich ...
GEORG
ihn unterbrechend; von neuem.
Falls Sie sich aber, zu Ihrer nochmaligen Beruhigung, noch mal davon überzeugen wollen ...
UEXKÜLL
kurz, kühl.
Danke.
ONKEL LUDWIG
der sich noch immer und zwar keineswegs beruhigt hat.

Wär ja auch ... ganz und gar! Kenne in diesem ollen Rumpelkasten doch von Anno dazumal jedes Loch und jeden Winkel!

DUFROY
der das Bedürfnis in sich verspürt, dem gemeinsamen Gast die so gemeinsam verabfolgte Pille jetzt wenigstens nachträglich etwas zu »versüßen«; wieder betreffende Geste, wie vorhin, nach dem Vorhang; »allgemein«.
Ich sagte »Gelaß, oder Gemach«.
GEORG
der die »sentimentale Seelenregnng« seines Schwiegervaters, die er natürlich sofort gemerkt hat, diesem »Sieur« gegenüber höchst deplaciert und überflüssig findet; barsch, schroff.
Gleichgültig!
DUFROY
zu Uexküll jetzt direkt; erläuternd.
Es handelt sich vielmehr eigentlich ... bloß um eine Art Nische!
ONKEL LUDWIG
ähnlich; mit sich beschwerendem, noch deutlich vernehmbarem Nachknurren.

Zwei Meter tief und nach rechts und links so quasi 'n paar Hühnersteigen als Treppen! Herr Baron muß sich doch überführt haben!

UEXKÜLL
reserviert.
Gewiß!
DUFROY
in seinem freiwillig übernommenen Amt und Posten als ehrlicher Makler und Vermittler mit unwillkürlich etwas erhobner Stimme weiter.

Grade die natürliche Abgeschlossenst dieses profanen, lauschigen Adytons, dessen ich mich im Moment vorhin erinnerte, hatte mich veranlaßt ...

UEXKÜLL
erkenntlich-verbindlich.
Hätte ich gewußt, daß Exzellenz ...
DUFROY
wie vorhin; nur noch geölter.

Diese primitive Einrichtung, um Sie auch noch darüber aufzuklären, hatte im Rokoko als kleine Bühne gedient; Nun, einen Moment, halb zu Onkel Ludwig rüber. und erst der Vater von Herrn Doktor Brodersen, Herr [446] Kirchen- und Kommerzienrat Brodersen, eine etwas nach dem Religiösen veranlagte Natur ...

ONKEL LUDWIG
Geste; wie den ganzen »Kirchen- und Kommerzienrat« damit endgültig erledigend; brummend vor sich hin.
Gott hab ihn selig!
DUFROY
von dieser kurzen Expektoration und Seelenerleichtrung kaum unterbrochen, noch schwungvoller in seiner Rede weiter.

Erst dieser letzte Vorbesitzer hatte an Stelle jener leichten, mit ihren galanten Schäfern und geschürzten Schäferinnen entschwundnen Weltlichkeit diese kostbare Musikvorkehrung errichten lassen, um zu ihren feierlichen Klängen, mit Personal und Familie, streng abseits von jeder Öffentlichkeit, die ihm in solchen Dingen verhaßt war, seine stimmungsvollen Hausandachten abzuhalten.

ONKEL LUDWIG
ähnlich wie vorhin.
Allwöchentlich dreimal! N Vergnügen war s nich!
DUFROY
der sich jetzt »ganz auf der Höhe« fühlt.

Wo jetzt dieses sozusagen christliche Flötenwerk ragt, hatte also bis zum Jahre Achtzehnhundertundzweiunddreißig, wie auf einer alten Abbildung noch feststellbar, in schön geschwungnen Antiquainitialen »APOLLINI ET MUSIS« gestanden!

UEXKÜLL
leichte, elegante Verbeugung.
Exzellenz sind zu gütig.
ONKEL LUDWIG
der sich das »sozusagen christliche Flötenwerk«, noch immer sitzend und auf seinen Stock gestützt, höchst mißbilligend betrachtet.
Wahrer Jammer drum!
DUFROY
von dem Ergebnis seiner eloquenten Intervention, trotzdem und obgleich ein solches eigentlich gar nicht vorhanden ist, auf das Lebhafteste befriedigt; zu allen dreien; schließend.

Jedenfalls hat all unsre Geduld bisher keinen Erfolg gehabt, unser guter Wille, so ehrlich und redlich wir uns auch bemüht haben, ist unbelohnt geblieben, Bedauernd-vorwurfsvoll unterstrichen. schönste, kostbarste Zeit, die jeder von uns ebenso und vielleicht noch besser hätte anders verwerten können, ist nutzlos vertrödelt worden, Zu Georg rüber, der, noch immer aufrecht hinter seinem Tisch, während der letzten Repliken eine mehr als verächtlich-abwehrende Haltung und Stellung angenommen und jetzt fast nur noch auf Marianne achtet, die sich in ihrem Sessel kaum noch regt. und deshalb schlage ich nun vor ...

[447]
ONKEL LUDWIG
trocken; alles weitre ihm damit abschneidend.
Daß wir noch n bißchen weiter Geduld haben!
DUFROY
sofort, fast im gleichen Moment, gegen ihn aufgefahren; spitz.
Zu welchem Zweck? Wozu?
UEXKÜLL
allerschärfst; sich a tempo, und zwar diesmal enragiert, auf Dufroys Seite stellend.

Um uns etwa noch einmal um diesen ... Entsprechende, wie in diesem Augenblick fast persönlich beleidigte Geste. Injurien, Indiskretionen und unbeweisbare Behauptungen klopfenden Tisch zu setzen?

DUFROY
dem diese Verwahrung, so energisch sie auch ist, noch nicht genügt; noch hochfahrend- ausfälliger; in Tonart und Positur ihn noch übertrumpfend.
Lächerlich! Alberne, einfältge Beschäftgung für insipide, zeittotschlagende Spiritistenkränzchen!
ONKEL LUDWIG
höhnisch zu seinem »Stiefbruder« rüber; zitierend.

»Narr! Noch nicht mal dieses Leben konntest meistern nach deinem bißchen Stückwerkwissen!« Triumphierend-boshafte Kopfbewegung nach dem von den beiden Vereinigten so rabiat und mit so viel Zungenaufwand diskreditierten, harmlosen Möbel hin. Hat dir wohl nicht ganz gefallen diese typtologische Offenbarung?

DUFROY
den ihm so angetanen »Affront« – »haust du meinen Juden, hau ich deinen Juden« – mit gleicher Münze zurückzahlend; ebenfalls zitierend.

»Ludwig Onkel krank! Onkel Ludwig: »Knax«. Höchste Zeit! Großmutter!« Wenn du dich in der Illusion wiegst, daß du mit diesem ...Ähnliche Kopfbewegung nach dem Tisch, wie vorhin Onkel Ludwig. Pronunziamento vorteilhafter abgeschnitten hast ...

ONKEL LUDWIG
rechte Seite; neuer Knax; erbittert.
»Ludwig Onkel krank!« quatsch! »Höchste Zeit! Großmutter!« Als ob ich überhaupt ...
DUFROY
dem sein »armer Bruder«, dessen innern Jammer er mitfühlt, nun denn doch wieder aufrichtig leid tut; in dem ehrlich-redlichen Bestreben, seine einen Moment herzlose Grausamkeit wieder zuzudecken.
Ich bin ja auch davon durchdrungen, daß wirklich Ernsthaftes ...
ONKEL LUDWIG
mit Eifer darauf eingehend; sich und seinen Tröster nach Kräften »betrügend«.

Nu ja! Vielleicht n kleiner, vorübergehender Ansatz zu so n bißchen Gallengrieß! Aber sonst ... Knax Nummro drei.

[448]
DUFROY
auch jetzt noch in dem gleichen Bestreben.
Immerhin! Ich biete dir für alle Fälle noch mal ... eine Untersuchung an!
ONKEL LUDWIG
der seine »Pappenheimer« kennt; aufgebracht-ablehnend.
Um dann vielleicht schon übermorgen auf deinem Seziertisch zu liegen? Wieder »Knax«. Gratias!
DUFROY
durch diese »unvernünftige Verstocktheit« fast gegen seinen Willen wieder etwas pikiert.

Nun! Um so besser, wenn du diesmal an die Allwissenheit deines vierbeinigen Orakels ... Kleine, verschnupfte, halbsekundenlange Pause. plötzlich nicht mehr glaubst!

ONKEL LUDWIG
»geharnischt«; wie auf einmal ganz »aus dem Häuschen«.

»Glaubst«, »glaubst«, »glaubst«! Nach dem betreffenden Möbel hin. Wenn so n verrücktes Biest ... Abbrechend und sofort wieder weiter. Einmal, kommt s einem vor, als spricht die höchste Vernunft, und gleich drauf ...

UEXKÜLL
mokant-ironisch; seinen früheren »Reisekameraden« aber auch vollständig im Stich lassend.
Das ist es ja eben!
DUFROY
wieder »grausam-mitleidslos«; ähnlich; seinem Partner beipflichtend.

Jaja! Wie soll man sich da rausfinden! Onkel Ludwig: neuer Knax; Marianne hat bei diesem letzten Disput wieder mehrmals, wie schmerzlichst, leise aufgestöhnt.

GEORG
scharf, hochmütig; sich an der Diskussion wieder beteiligend.
Ich warnte vor solcher Kindlichkeit gleich, da sich durch Produktionen in diesem kommunen Genre ...
ONKEL LUDWIG
der sich auf diese Weise plötzlich, von allen überhaupt möglichen drei Ecken zugleich, barbarischst in die Enge getrieben sieht; gegen das harte Verdikt Georgs mit hochgezognen Schultern, wenn auch allerdings bereits etwas gedeppt, Einspruch erhebend; »a« kurz und betont.
Ja nu ...
DUFROY
ihm den »Rest« gebend; »unbarmherzig«; mit einmal ganz auf Georgs Seite.
Stimmt!
UEXKÜLL
die »seltne Gelegenheit«, und zwar »mit Genuß« sofort ebenfalls ergreifend.
Ausgezeichnet!
GEORG
zu Onkel Ludwig rüber; die beiden »Zuzügler« gar nicht beachtend; seinen Satz mit erhobner Stimme schließend und dann sofort, mit gleicher Schärfe zuerst gegen Uexküll gewandt, weiter.

Nichts beweisen läßt! Zu Dufroy rüber. Nachdem aber [449] Ihr gesamtes Trio ... Zu Onkel Ludwig. auf dein wiederholtes, eigensinniges Drängen Achselzuckend. mich überstimmt hatte?

ONKEL LUDWIG
jetzt auch mit ihm, als seinem eigentlichen Kompagnon, im Hader.
Wenn man anderthalb Stunden gesessen, und sich nichts ereignet?
UEXKÜLL
sich plötzlich wieder mit ihm verbündend; in seinem Satz, noch gesteigert, weiter.

Und man zum Überfluß, völlig ergebnislos, fast bis zur allgemeinen Erschöpftheit auch noch sogenannte »Kette« gebildet hat?

ONKEL LUDWIG
von neuem und noch mal gegen Georg in dasselbe Horn tutend.
Wir konnten doch nicht bloß die ganze Zeit ...
GEORG
höhnisch-verbissen; keinen von seinen jetzt drei Gegnern mehr anblickend.
Jaja! Neinnein!
DUFROY
die gemeinsame Attacke, wie dies seiner »präponderierenden« Bedeutung zukommt, beschließend und von allem Bisherigen das »Fazit« ziehend.

Wir hatten alles getan, was nach deinen Wünschen und Anordnungen in unsern Kräften stand! Dein von dir so betiteltes »Medium« hatte seinen verheißnen »Trance« innerhalb wie außerhalb des Kabinetts erwartet ... Einen Augenblick »konnivent« zu Uexküll rüber, der über diese »Bevorzugung« sofort entsprechend »quittiert«. leider, wie Herr Baron eben sehr richtig bemerkte, »völlig ergebnislos« ... wir hatten hinter den Vorhang auf dem Stuhl, wie du dies für angebracht und nötig hieltst, einen Gong, ein Tamburin und meinen Notizblock placiert, wo diese drei Dinge ihr beschauliches Dasein jetzt noch fristen, Einen Moment nach der Decke hoch. und wir hatten diesen Raum, fast noch mitten am Tag, da du darauf vor allem und in erster Linie bestandst, künstlich verdunkelt! Resümierend-»entgegenkommende« Geste; auch zu den beiden übrigen wie nach Billigung und Beifall blickend. Alles, ohne auch nur das geringste Resultat zu erhalten! Jetzt nur noch zu Georg gewandt; letzte, seines kompletten »Sieges« aber auch bereits ganz und gar sichre und gewisse Steigrung; »a« kurz. Ja ... worauf wartest du jetzt eigentlich noch?

GEORG
hartnäckig-verbissen; mit einem grimmigen, bitterbösesten »Blick« nach Uexküll rüber.
Auf die Aufklärung, die uns der Tisch ...
[450]
DUFROY
ihn sofort unterbrechend; »nervös«.
Der »Tisch«!
GEORG
herausforderndst-unterstrichen; mit seinem Blick wieder über alle drei.
Jawohl!
ONKEL LUDWIG
ganz erstaunt-ungehalten; von einem zum andern.
Ich denke ...
UEXKÜLL
den ihm hingeworfnen »Handschuh« jetzt »aufhebend«; scheinbar ebenfalls ganz überrascht.

Herr Professor hatten doch eben erst geäußert, daß sich durch »Produktionen in diesem kommunen Genre« ...

GEORG
der ihn nicht ausreden läßt.

Ganz recht!Ihn nicht mehr anblickend; wie allgemein. So wenig ich sonst geneigt bin, auf diese heute noch populärste und beliebteste Art, transzendentale Probleme und Dinge anzuecken, irgendwelchen Wert zu legen ...

DUFROY
einen Moment ganz naiv-ratlos.
Ja aber dann ...
ONKEL LUDWIG
noch »konsternierter«.
Dann begreif ich nicht ...
GEORG
über ihre Unterbrechung hinweg.

Was mich in diesem Fall an ihr lockt, ist ... Jetzt wieder zu Uexküll direkt; allergeschliffenst; sein Ton ist ein scheinbar »weltmännisch«-leichtrer geworden, schillert aber dabei, plötzlich, in ganz seltsam »bedenklichen«, wie irgend etwas versteckt »andeutenden« Nüancen. verzeihn Sie, eine kleine Neugierde. Wenn Sie gestatten, eine gewisse, kleine persönliche Neugierde!

UEXKÜLL
als »begriffe« er von alledem »nichts«; von Dufroy zu Onkel Ludwig rüber; beide Worte betont.
Ahnen Sie ...?
ONKEL LUDWIG
vollständig wieder »Wickelknabe«.
Und wenn Sie mich mitten entzweischneiden!
DUFROY
zu Georg; wie mit einmal von einem ihm äußerst unbehaglichen, unbestimmten »Vorempfinden« ergriffen; unruhig.
Du machst uns ... gespannt!
GEORG
aufgereckt-drohend, jeden Akzent schärfst betont.
Ich lasse jetzt jede Maske vor Ihnen fallen, Herr Baron!
UEXKÜLL
beeilt-verbindlich«.
Aber ich bitte darum!
GEORG
seinem Gegner »gegenüber«; auch die beiden übrigen lassen, wie Uexküll, keinen Blick von ihm.

So auffällig und heftig, ja gradezu so bösartig auch der Tisch vorhin, sofort nachdem wir uns um ihn gesetzt, gegen Sie protestiert hatte ... und so wiederholt er dies dann immer wieder tat ... ich würde meine schließliche Frage nach dem mysteriösen Warum dieser ostentativen [451] Feindseligkeit nicht gestellt haben, wenn ich nicht, als für mich ganz selbstverständlich, die Antwort erwartet hätte, Herr Baron ... »Höflich«-parenthetisch. Sie werden mir dies im Moment nicht verübeln ... Noch langsamer und schärfer. sind hier in diesem Kreise ...

UEXKÜLL
der ihn bereits »zur Genüge verstanden«; ihn unterbrechend; wie vorhin.
Herr Professor meinen, »zuviel«.
GEORG
noch immer, wie dies sonst nicht grade in seiner Gewohnheit liegt, etwas beklemmend-langsam.
Ich möchte es nicht mehr recht ... leugnen!
ONKEL LUDWIG
der das »Gefühl« hat, er müsse jetzt seinem »alten Freund« irgendwie zur Hilfe kommen; wieder »von einem zum andern«.
Ja, aber ...
UEXKÜLL
zu Georg; wie scheinbar lediglich für dessen »retrospektive Feststellung« interessiert; auf die »entgegenkommende Möglichkeit«, die dieser ihm gelassen, respektive ihm eben freigestellt, sich nämlich jetzt noch zu »empfehlen«, nicht reagierend.
Und statt dessen?
GEORG
scharf.
Erfolgte als Antwort ...
UEXKÜLL
wie das Allerharmloseste von der Welt, die betreffende »Antwort« »reproduzierend«.
»Siebzehn Drei Neunzehn Null Neun!«
DUFROY
dem diese ganze »lächerliche, erneute Komplikation«, zumal er ja doch die »Sitzung«, als absolut »resultatlos« verlaufen, eigentlich schon längst hatte »aufheben« und »schließen« wollen, so peinlich überflüssig als nur irgend möglich gekommen; wie um überhaupt nur etwas zu sagen; von Georg über Uexküll zu Onkel Ludwig rüber.
Wie es schien ... ein Datum?!
ONKEL LUDWIG
letzte, felsenfesteste Überzeugung.
Nu, aber ganz zweifellos!
GEORG
Uexküll noch immer, durchdringend, anblickend.
Glaube ich auch!
ONKEL LUDWIG
die vom Tisch geklopften Zahlen jetzt »explizierend und ausdeutend«.
Siebzehnter März Neunzehnhundertundneun!
UEXKÜLL
mit aller Gewalt seine »Haltung« bewahrend; keinen mehr anblickend; Dufroy bei der Übersetzung Onkel Ludwigs, so sehr sich diese, nachdem der Datum-Anhalt einmal gegeben, eigentlich doch nur absolut folgerichtig von selbst verstanden hatte, plötzlich zusammengezuckt und nach einem schnellen, scheuen Blick [452] auch nach Georg rüber, der dies nicht bemerkt, Uexküll einen Moment lang, wie ganz entsetzt, anstarrend.
Seltsamer Unsinn!
GEORG
der von ihm so lange »kein Auge« gelassen; allerschärfst.
Wieso?! Weshalb?!
UEXKÜLL
der genau weiß: verlierst du jetzt, auch nur eine Sekunde lang, die Balance, so hat dein Spürhund dich beim Kragen; gemacht hochmütig- »gleichgültig«.

Weil ich mich nicht entsinnen kann ... daß dieses »Datum« ... in meinem Leben auch nur die geringste Rolle gespielt hätte! Dufroy bei dieser Ableugnung, der er sofort, gern und bereitwillig, Glauben schenkt, unwillkürlich, wie erleichtert, aufatmend.

GEORG
durch Uexkülls anscheinende »Sicherheit« unverblüfft; fast bereits triumphierend-höhnisch.
Der Tisch schien ein bessres Gedächtnis zu haben!
ONKEL LUDWIG
zu Georg; für seinen »alten Freund« wieder eintretend.
Ja aber Herr Baron ...
DUFROY
der seinen »Verdacht« wieder fallen gelassen; ähnlich wie Onkel Ludwig; nur mit vielleicht ausgerechnet grade für diesen Anlaß zu viel Zorn und Temperament und sich so einen Augenblick fast »selbst verratend«.
Du hast doch eben gehört!
UEXKÜLL
jetzt wieder vollkommen »Herr seiner selbst«; legeres, halb gradezu wie »belustigtes« Achselzucken.
Wenn Herr Professor sich diese drollige Hartnäckigkeit nicht ausreden lassen will?
GEORG
knapp, klar, kalt; im übrigen wie vorhin.

Auf meine wörtlich gestellte, weitere Frage: »Werden wir heute noch erfahren, was es mit dieser Zahl oder diesem Datum für eine Bewandtnis hat?« ... erfolgte mit drei Schlägen, die so stark waren, daß das Möbel in seinen Fugen krachte, die deutliche Schlußantwort: »Ja!«

ONKEL LUDWIG
der über seinen Stock vorgebeugt, jedes Wort »in« sich gesogen; unwillkürlich zu Dufroy rüber.
Das können wir doch beschwören?
DUFROY
»konzedierend«-widerwillig.
Die Tatsache als solche ... läßt sich nicht in Abrede stellen!
UEXKÜLL
mit einem Unterton leiser Ungeduld, wie von der ganzen »Angelegenheit« durch seinen Gegner »belästigt«.
Was ich auch nie behaupten werde!
[453]
GEORG
in der Weiterverfolgung seiner »Fährte«, die ihm der »Zufall« so seltsam geheimnisvoll aufgedeckt, als hätten die drei auch nicht eine Silbe gesagt, beharrlichst weiter.

Auch dies überraschend heftige, prononciert-temperamentvolle »Ja«, auf das wir in solcher Form nicht gefaßt waren, hätte mich höchstwahrscheinlich kaum aus dem Text gebracht, wenn Sie nicht daraufhin sofort, ohne daß von irgendeiner andern Seite bereits etwas passiert oder gefallen war, aufgesprungen wären und ebenso eigenmächtig, wie rücksichtslos, den Tisch verlassen hätten!

DUFROY
zögernd; von neuem mit einem etwas unsichern Blick nach Uexküll rüber, der durch möglichst zur Schau getragne »Gelassenheit« versucht, die Hiebe seines Gegners an sich abprallen zu lassen, während er zwischendurch ab und zu wieder Marianne beobachtet, die, die Augen noch immer geschlossen, vollkommen regungslos dasitzt.
Auch ... das ist allerdings wahr!
ONKEL LUDWIG
von seinem »alten Freund« abgewandt; trotz seiner im Moment Wiederparteinahme für ihn, brummig-verdrossen.
Wenn einem mal ne Antwort nicht paßt, stört man doch nich deshalb gleich die ganze Gemütlichkeit!
GEORG
nach einem Blick wieder über alle drei; auch jetzt noch, wie vorhin.

Es bleibt nur die eine Erklärung: Diese Zahl, oder dies Datum steht zu irgendeinem von uns in irgendeinem Zusammenhang, oder einer Beziehung ...

DUFROY
ihn unterbrechend; als hätte er eben gradezu in einer Art Volapük oder Esperanto gesprochen; sich auch bei den beiden übrigen wie nach einer Hilfe umblickend.
Ja, in ... was für einer »Beziehung«?
ONKEL LUDWIG
zu Georg.
Herr Baron hat dir doch eben erst ...
UEXKÜLL
nun schon fast »ungehalten«.
Ich versichre und wiederhole!
GEORG
noch schärfer als vorhin; wieder nur zu ihm ganz allein.

Bitte, lassen Sie mich ausreden! Dieser betreffende Zusammenhang, oder diese Beziehung, die unmöglich eine uns angenehmer Natur sein kann, ist Ihnen bekannt ...

ONKEL LUDWIG
der ihn wieder nicht ausreden läßt.
Ja, wer sagt denn ...
UEXKÜLL
»mitleidig«-ablehnend; fast als zweifle er an seinem Verstand.
Diese Annahme ist so phantastisch ...
DUFROY
ohne daß er sich dagegen wehren kann, plötzlich wieder von [454] seiner »inneren Unruhe« erfaßt; von Uexküll zu Georg, als begriffe er von alledem auch noch nicht das Geringste.
Wie ... kommst du nur in diesem Augenblick darauf?
GEORG
von seinem »Opfer« nicht ablassend; aus seinen »Prämissen« jetzt das »Resümee« ziehend.

Ich wiederhole und bleibe dabei: Wenn meine Annahme, meine Vermutung, mein Argwohn, oder mein Verdacht, ganz gleich, wie Sie dies nun nennen wollen, nicht stimmt, weshalb scheuen Sie dann so seine Aufhellung?

ONKEL LUDWIG
ablehnend-unwirsch.
»Aufhellung«!
DUFROY
aufgebracht-lebhaft; den abscheulichen »Verdacht«, der jetzt noch mal und wieder in ihm aufgestiegen, nun noch mal und wieder von sich weisend; Onkel Ludwigs »Resistenz« allernachdrücklichst unterstützend.
Und wo es sich um ein »Datum« vielleicht überhaupt noch nicht einmal handelt!
GEORG
kleine, bei Onkel Ludwig, namentlich und vor allem aber bei Dufroy, erwartungsvolle Pause.
Herr Baron ... schweigen?
UEXKÜLL
nach einer abermals kleinen Pause; mit »erhobnem Haupt«; zu einem »innern Entschluß« gekommen; den Kampf mit seinem Gegner und, wie er dies sofort fühlt, zugleich auch noch mit den beiden andern und übrigen, nun endlich aufnehmend; genau so prononciert-höflich, als bestimmt und entschieden.

Ich zog dies bis jetzt vor, nehme aber nun kein Blatt mehr vor den Mund und erkläre Der Wirkung dieser Erklärung, die er, fast jedes Wort schärfst unterstrichen, unter die drei jetzt wie eine Bombe wirft, schon im voraus sich bewußt. Ich stand vom Tisch auf, weil mir seine »Schlußantwort«, wie übrigens auch bereits alles Vorausgegangne, nicht aus ihm allein zu stammen schien!

DUFROY
sofort; stärkst.
Wie??
ONKEL LUDWIG
noch empörter.
Was??
GEORG
Unwillkürlich einen Schritt auf ihn zu; den Kopf etwas vor, seine Stimme vibriert.
Sie wollen damit sagen??
UEXKÜLL
fest; nicht einen Millimeter zurück.

Ich will damit sagen, ich glaube deutlich bemerkt zu haben, Kurzer Blick nach Marianne, die in noch immer unveränderter Haltung von allem um sie schon längst nichts mehr zu hören scheint. daß von meiner Nachbarin rechts ... auf den Tisch ein zwar leiser ... aber ab und zu doch recht spürbarer Druck ausgeübt worden war!

[455]
ONKEL LUDWIG
ähnlich wie vorhin.
Das ist doch ...
DUFROY
rausplatzend.
Unerhört!
GEORG
dessen Fäuste sich geballt haben; jeder Nerv an ihm ist gespannt; man hat das Gefühl: jetzt noch einen »Ton«, und er springt auf seinen Gegner zu.
Sie ... wagen es, und wie ich fast annehmen muß, wider Ihr bessres Wissen ...
UEXKÜLL
ihn von oben herab messend; jeder Zoll »Aristokrat«.
Erlauben! Gestatten!
ONKEL LUDWIG
noch gesteigert.
Marianne und eine Betrügerin?!
DUFROY
ebenso.
Es hat doch, bitte, alles seine Grenzen!
UEXKÜLL
mit noch »bebenden Nüstern«; seine Augen in denen Georgs.
Sie gehn zu weit! ... Habe ich an dieser Sitzung teilgenommen, um kritiklos ...
GEORG
fast noch maßloser, als vorhin; die Erregung aller, mit Ausnahme Mariannes, hat den bis jetzt höchsten Gipfelpunkt erreicht.
Schützte Sie nicht im Augenblick eine Art Vorrecht, das Sie hier als Gast genießen ...
ONKEL LUDWIG
der in diesem Augenblick als erster bemerkt, daß Marianne sich plötzlich, wie schlafwandelnd, erhoben; Georg stürzt sofort auf den drehbaren Schalter am Mittelaufbau rechts und reduziert das Licht in den Ovalen um zwei Drittel; auch Onkel Ludwig und Dufroy stehn jetzt.
Ssst! Marianne, wie eine Statue, bis in die Mitte des Raums.
DUFROY
vor seiner Tochter, im ersten Moment, fast zurückgeprallt; ganz entsetzt-erschüttert.
Um Gottes willen! ... Kind! ... Marianne!
GEORG
schnell, kurz, wie vollständig verändert; nur noch »Sitzungsleiter«; bereits bei Marianne.

Sie hört und sieht dich nicht mehr! ... Zu Dufroy, der inzwischen, besorgt, ganz nahe an sie herangetreten, jetzt Miene macht, auf ihren linken Arm seine rechte Hand zu legen. Berühre sie nicht! ...Zu den übrigen. Der eingetretne Trance, auf den wir seit einer Ewigkeit gewartet haben!

[456]
ONKEL LUDWIG
der an seinem Platz, mit der Rechten auf seinen Stock gestützt, so lange, gespannt-erwartungsvoll, dagestanden und von seinem »Liebling« kein Auge gelassen; zu allen dreien; aus innerstem Stolz, vermengt mit gerührtester Genugtuung.

Durch meine Musik! Wäre ich nicht vorhin plötzlich ... ich weiß nicht, wie ... auf diese Idee verfallen ...

UEXKÜLL
der vorhin ebenfalls vor dem Anblick Mariannes einen Moment ganz perplex gestanden; jetzt bereits wieder »gesammelt«; kühl-skeptisch, zu den beiden übrigen.
Und die Garantie ... der unwiderlegliche Beweis, daß dieser Zustand kein fingierter ist?
ONKEL LUDWIG
unwillkürlich.
Na, da hört doch ...
GEORG
schnell, scharf, schadenfroh; mit deutlich durchklingendem Triumph in der Stimme; sich sofort wieder steigernd.

Den sollen Sie bald haben! Den werden Ihnen die kommenden Phänomene, und zwar wahrscheinlich sehr schnell, schon rein durch sich selbst beibringen! ... Zu Dufroy rüber; allerstärkst unterstrichen. Jetzt werden wir erfahren ...

DUFROY
zu Uexküll, der unter dem Eindruck dieser Worte in Verbindung mit der ganzen, ihm immer unheimlicher und drohender auf den Leib rückenden Situation nun doch, wenn auch nur einen kurzen Moment lang, seine Haltung verändert hat; mit jetzt nochmal, nun schon zum drittenmal in ihm aufsteigenden Verdacht.
Was ist Ihnen, Herr Baron?
UEXKÜLL
der sich bereits wieder in der »Raison« hat, »kalt«; vor Marianne.
Gibt es dafür ... keine Prüfungsmethoden?
ONKEL LUDWIG
noch immer von seinem Platz aus; als hätte ihm der Herr Baron plötzlich per Distanz auf sein bestes, seelisches Hühnerauge getreten.
»Prüfungsmethoden«??
DUFROY
noch halb wie vorhin.
Sie verlangen ...?
GEORG
ironisch-sarkastisch zu seinem Schwiegervater.
Falls du hier als der »berufne Sachverständge« ...
DUFROY
der sich zu einem »fachmännischen« Gutachten, oder doch wenigstens einer solchen Aussage, so jetzt wohl oder übel gezwungen sieht; zu Uexküll.

Der Zustand ist echt. Wenn Sie die Haut der jetzt fast Kataleptischen mit Nadeln durchstächen ... sie fühlte es nicht! Das suchende Zucken der Hände ist ein konvulsivisches, und die Augäpfel hinter den geschlossnen Lidern sind, Zu seinem Schwiegersohn rüber. wie Herr Professor Dorninger mir dies wohl ohne weitres bestätigen wird ...

GEORG
diese versteckte captatio unterbrechend und ihm seinen Satz schnell schließend.

Jetzt nach oben gedreht! Mit hohnlächelnd-zuvorkommendster [457] Bereitwilligkeit wieder zu Uexküll. Wenn Sie aber trotzdem noch wünschen ...

UEXKÜLL
der in diesem Augenblick, mit allen Zeichen fast entsetzten Überraschtseins, zum erstenmal halb aus der Fassung, nach dem großen Mittelbau starrt.
Was ist da? ... Was war da? ... Bewegte sich nicht eben der Vorhang?
ONKEL LUDWIG
mit starker Stimme; der Vorhang, in diesem Augenblick, wieder gebläht, wie durch einen Luftzug.
Er bewegt sich ja noch!
DUFROY
vor dieser ihm Unbegreiflichkeit gradezu wie gelähmt.
Ganz deutlich!
UEXKÜLL
im Raum sich umblickend.
Es steht doch nicht ... auf einmal irgendwo eine Tür auf?
GEORG
wie »eine mit heimlicher Ungeduld bis zum Platzen vollgefüllte Dynamitbombe«; mit aller Energie an sich haltend; einen kurzen Moment nach dem Zuschauerraum.

Da die Herren die einzige Tür, die in diesen Raum führt, auf besondern Antrag von Herrn Baron, vorhin selbst, nicht bloß doppelt verschlossen, sondern auch noch obendrein umständlich versiegelt haben?

DUFROY
sich jetzt ebenes umblickend.
Und diese ... plötzliche ... Kälte!
UEXKÜLL
noch gesteigert.
Woher ... kommt die?
DUFROY
beinahe zusammenschaudernd.
Ein fast eisiger Luftzug! Zu Onkel Ludwig rüber. Spürst du ihn auch?
ONKEL LUDWIG
jetzt »ganz in seinem Element«.
Wie aus einer geöffneten Grabkammer!
DUFROY
sich wieder umblickend; jetzt nach der Decke hoch.
Doch ... gar nicht denkbar! ... Sollte vielleicht ... da oben im Glasdach ...
GEORG
höhnisch-verbissen; einen Moment, wie auch alle übrigen, ebenfalls nach der Decke blickend.
Selbstverständlich! Eine kaputte Scheibe, obgleich sie alle ganz sind!
ONKEL LUDWIG
mit den Augen nach oben.
Und nachdem wir den eisernen Wetterschirm ...
GEORG
»trocken« seinen Satz schließend und jedem »rationalistischen Erklärungsversuch« damit die vielleicht allenfalls sonst noch »letzte Möglichkeit« nehmend.
Noch extra über die Kuppel gelassen!
[458]
DUFROY
nach einer kurzen Pause; die auf einmal ganz seltsame »Stimmung«, die ihn überkommen, mit Gewalt von sich schüttelnd.
Unsinn!
UEXKÜLL
ähnlich.
Selbsttäuschung!
DUFROY
noch verstärkt; an sein Wort sich wie an einen Halt klammernd.
Autosuggestion!
UEXKÜLL
da in diesem Augenblick, vom hintern Vorhang her, plötzlich ein metallisch tiefer, machtvoll schwingender, wie»kirchlicher« Klang erklungen; Dufroy und Uexküll wie gebannt.
Der Gong!
GEORG
der jetzt, etwas nach dem Vorhang hin, von Marianne rechts steht; zu Uexküll, der, von ihr links, auf den Vorhang zu, wie unwillkürlich, einen Schritt macht; scharf.
Bleiben Sie an Ihrem Platz!
MARIANNE
die sich inzwischen, die Angen noch immer geschlossen, langsam nach dem Vorhang umgedreht; vorgebeugt; die Rechte, wie lauschend, emporgehoben.
Du?
DUFROY
von dem ganz seltsamen Ton dieser Frage, wider seinen Willen, bis ins letzte Innerste berührt und getroffen; nach einer kleinen »Sammlungs«pause.
»Du«?
UEXKÜLL
fast heftig.
Wer »du«?
GEORG
die Augen auf Uexküll; mit jetzt wieder deutlich durchklingendem, noch gesteigertem Triumph.
Das wird sich jetzt bald ...
ONKEL LUDWIG
da der Klang noch nicht völlig verklungen; noch immer »ganz Ohr«.
Wie das noch ... summt! Wie das ... zittert!
DUFROY
der sich mit aller Gewalt wieder zu »fassen« versucht; von Georg zu Uexküll.
Wir hatten den Schlägel ... über die Stuhllehne gehängt!
UEXKÜLL
ihm sofort beipflichtend; von ihm zu Georg.
Es wäre also ... sehr wohl möglich ...
DUFROY
in seinem Satz weiter; noch verstärkter als vorhin.

Ja, es ist gradezu einfach gar nicht anders denkbar ... als daß durch eine zufällige, kleine Erschüttrung ...

UEXKÜLL
da in diesem Augenblick Marianne, noch immer vorgebeugt, die erhobne Rechte einen kurzen Moment lang, seltsam flackernd, hin- und herbewegt; Dufroy unterbrechend, schnell.
Warum schüttelt das Medium so mit der Hand? Erneutes »Geflacker«; wie auf etwas »wartend«. Warum ...
[459]
GEORG
der jetzt fast nur noch auf Marianne achtet; kurze, Uexküll unterbrechende und ihn zugleich halb wie zurechtweisende Geste.

Bitte?Marianne hat ihre Hand jetzt noch mal und zum drittenmal bewegt, und sofort setzt hinterm Vorhang ein kurzes, leises, ganz befremdlich-sonderbar klingendes Schellengeräusch ein.

DUFROY
sobald es aufgehört; zu allen dreien; noch erregter.
Das Tamburin!
UEXKÜLL
zu Dufroy; jetzt schon fast wie »zornig«.
Das kann doch nicht von selbst ... Erneutes Geklirr; diesmal bereits lauter und länger.
MARIANNE
noch immer in derselben Haltung; wie auf das »Etwas« hinterm Vorhang antwortend.
Ja ...? Das Schellengeklirr zum drittenmal; fast »herrisch«.
UEXKÜLL
den es jetzt kaum noch hält, sich hinter den Vorhang zu stürzen.
Wenn wir uns jetzt nicht auf der Stelle überführen dürfen ...
DUFROY
zu Georg rüber, der in gespanntester Energie, wie sprungbereit, dasteht und auf alles und jeden, wie mit Luchsaugen, wacht; Uexküll beipflichtend.
Nur dann ...
MARIANNE
durch das unbekannte »Ix« wie magnetisch gezogen, mit beinahe »hieratisch« erhobnen Händen, langsam auf das Podium und den Vorhang zu; Dufroy, für dessen Worte, ebenso wie für die der andern, ihre Ohren vollkommen taub gewesen zu sein schienen, unterbrechend; draußen, auf das Wetterdach, die ersten, schweren, fallenden Tropfen.
Ich ... komme! Durch den Vorhang, den sie, ohne sich dabei umzuwenden, stumm hinter sich schließt.
GEORG
während Dufroy und Uexküll, durch ihr Verschwinden überrascht, noch ganz verdutzt dastehn; zur Decke hoch.
Dieser dumme ... Regen ...
ONKEL LUDWIG
zu den beiden Verblüfften; triumphierend.
Nun?
GEORG
zu Onkel Ludwig; die beiden andern anscheinend gar nicht beachtend; noch mal zur Decke hoch.
Hoffentlich läßt das bald nach!
UEXKÜLL
der sich inzwischen wieder gefaßt hat; ebenfalls zur Decke hoch, auf die das Rauschen jetzt noch stärker wird; fast wie mit heimlich durchklingender Genugtuung; markiert-»sachlich«.
Scheint nicht so!
[460]
DUFROY
noch wie vorhin; die rechte Hand vor der Stirn.
Mir ist das alles ...
UEXKÜLL
sich aufraffend und gegen das eben Gehörte und Gesehne, dessen »Zumutung« »vernünftigen« Menschen gegenüber er »einfach gradezu »haarsträubend« findet, jetzt energischst Protest einlegend.
Wie kann das Schütteln mit einer Hand ...
DUFROY
sich ihm anschließend; in seinem Satz – einen Moment dabei, parenthetisch, zu Georg rüber – unwillkürlich weiter.

Selbst eine gewisse ... wie du das nennst ... psychokinetische Fernwirkung, als ja schließlich noch immerhin denkbar, zugegeben ...

UEXKÜLL
seinen Satz, unmittelbar weiter, noch verstärkt schließend.
Auf gut drei Meter Abstand, das fast gleichzeitige Ertönen eines Musikinstruments zustande bringen!
DUFROY
der sich endlich wieder »gefunden«; lebhaft.

Sehr wahr! Nur zu richtig! Und namentlich noch obendrein beide voneinander getrennt Entsprechende, »tadelnde«, sich dabei gradezu halb wie belustigende Geste nach dem großen Mittelvorbau. durch einen solchen schweren Vorhang!

ONKEL LUDWIG
einen Moment fast perplex.
Na du kannst doch nicht leugnen ...
DUFROY
heftig; in seiner, wie er jetzt fest davon überzeugt ist, gerechten Entrüstung sich schnell steigernd.

Ich leugne jede Tatsache, die gegen meine Vernunft und gegen meinen Verstand geht! Und wenn meine Ohren sie auch zehnmal hören, und meine Augen sie auch zehnmal sehn! Was hier eben vorgegangen, ist so absurd ...

GEORG
kalt-sarkastisch.
Daß es eben einfach gar nicht vorgegangen sein kann!
ONKEL LUDWIG
ähnlich; Georg jetzt wieder assistierend.
Auch n Standpunkt!
UEXKÜLL
über seine »Assistenz« hinweg; Georgs Worte anders drehend.
Oder doch wenigstens vorgegangen in einer Weise ...
DUFROY
diese Andersdrehung billigend und nun erst so seinen Satz schließend; das »beleidigend Inkriminierende« dabei empört unterstreichend.
Daß ich mir jede verdeutlichende Andeutung vorläufig erspare!
ONKEL LUDWIG
zu Georg rüber; höhnisch.
Also jetzt ...
GEORG
der keine Miene verzogen, abwinkend, kurz.
Das war vorauszusehn!
[461]
UEXKÜLL
Onkel Ludwig ignorierend; aufgebracht; halb zu Dufroy und Georg, halb nach dem Vorhang hin.
So lange Herr Professor uns verwehrt, daß wir uns mit eignen Augen nochmals vergewissern ...
DUFROY
dem »die Galle« jetzt fast »überläuft«.
Wir sind doch hier schließlich keine Hanswürste!
ONKEL LUDWIG
nach diesem für den sonst so Höflichen beinahe »unparlamentarischen« Ausbruch etwas zurückstoppend.
Nu jaja! Zu seinem »alten Freund« rüber. Aber Sie haben doch ...
GEORG
Onkel Ludwig unterbrechend; schärfst; seine instinktiv-prinzipielle Gegnerschaft gegen den von ihm »Gehaßten« wieder aufnehmend.

Herr Baron hat das Kabinett bereits abgesucht bis auf jeden Millimeter, und ich muß mir daher im Augenblick, wo die Phänomene sich jetzt entwickeln, die ungehörige Zumutung ...

UEXKÜLL
prompt; »wie du mir, so ich dir«; fast im gleichen »Tonfall«.
Dann werden Sie uns auch nicht überzeugen!
GEORG
keinen mehr anblickend; noch gesteigert.
Woran mir auch nichts mehr liegt!
ONKEL LUDWIG
an Georg, den er in diesem Augenblick nicht mehr »begreift«, einen Moment ganz wie »irre«; von Uexküll zu Dufroy rüber; erstes »a« kurz und betont.
Ja nu, aber ...
DUFROY
allerschärfst; zu Georg rüber; gegen dessen »Art« sich auflehnend.
Erlaube! Dann hat es doch absolut keinen Sinn mehr ...
GEORG
der ihn nicht ausreden läßt; wie vorhin.

Ich habe meine Absicht, die einzige, die ich jetzt noch verfolge, klar und deutlich vorhin angegeben, und du wirst sehn, daß ich diese Absicht erreiche!

DUFROY
nach einem schnellen, keinem von den drei andern in diesem Moment auffallenden Blick wieder nach Uexküll rüber; Georgs »Ton« womöglich noch überbietend.

Dann nenne ich dies nicht mehr eine Sitzung, eine rechtschaffne Zusammenarbeit zu irgendwelchem wissenschaftlichen Zweck, um nach irgendeiner Richtung irgendein objektives Resultat zu erreichen ...

UEXKÜLL
ihm seinen Satz, »entrüstet« gegen Georg gewandt, fast »verächtlich« schließend.
Sondern nur noch eine Veranstaltung, um an mir Ihre persönliche Animosität auszulassen!
[462]
ONKEL LUDWIG
der in diesem Fall der »Gegenpartei«, bei sonst »bestem Willen«, nicht so ganz unrecht geben kann; erheblich im »Dilemma«.
Ich kann da ...
DUFROY
von Georg jetzt ganz und gar abgewandt; ihn nun ebenfalls nicht mehr anblickend; die Linke auf eine Armlehne seines Sessels gestützt, die Rechte ergrimmt in der Hüfte.
Ich schließe mich Herrn Baron vollkommen an!
GEORG
auf seinen vorgefaßten »Plan« dadurch nur um so erpichter; jetzt, ähnlich wie ganz am Anfang, wieder hinter seinem Tisch.

Nennen Sie es, beide Herren, wie Sie es wollen, betitulieren Sie diese »Veranstaltung«, wie Sie Lust haben, Zu Uexküll, der hinterm Klavier ihm wieder vis-à-vis steht, jetzt direkt. wenn Sie die Aufhellung jenes Datums nicht zu fürchten brauchen??

UEXKÜLL
mit zusammengezognen Brauen; in seiner »Seele« ein »Leopard«, der, durch seinen Widersacher zu gereizt, sich zum Sprung duckt.
Herr Professor halten mich für feig??
DUFROY
der sich jetzt plötzlich nach beiden wieder umgedreht.

Ich bitte jedes Persönliche ... Abbrechend und zu Georg nur allein; dabei schneller, hastiger, wieder argwöhnischer Blick nach Uexküll rüber. Du gibst auf diesem angeblichen »Datum« Konzerte ...!? Was kann dir überhaupt ...

GEORG
nachdrücklich-hartnäckigst.
Das wird sich herausstellen!
ONKEL LUDWIG
mit dem brav und bieder gemeinten Versuch, der nun schon wieder so mehr als »bedenklich« gewordnen »Situation« dadurch »aufzuhelfen«; Taper wie immer.
Vielleicht ... entsinnt sich jetzt Herr Baron?
UEXKÜLL
abweisend-hochmütig; einen Moment – es komme nun, was da komme – »va banque« spielend.

Ich »entsinne« mich jetzt, und zwar sehr genau! Ein Tag, wie jeder andre, und zum Schluß ... ein Abenteuer, wie jedes andre!

DUFROY
durch den es bei den letzten Worten, von den andern wieder unbemerkt, wie ein Ruck gegangen war, Uexküll wieder einen Augenblick, fast wie entgeistert, anstarrend.
Ein ... »Abenteuer«?
ONKEL LUDWIG
mit dem unverhofften »Resultat« seiner »diplomatischen Intervention« nicht ganz unzufrieden; »verständnisvoll-bedeutsam« den rechten, gerunzelten Zeigefinger hebend; zweites »a« kurz und betont.
Aha! »Cherchez la femme!«
[463]
GEORG
der bei der so gewagt-herausfordernden, plötzlichen »Enthüllung« Uexkülls nicht einmal mit der Wimper gezuckt; kurz, knapp, bestimmt; zu ihm rüber.
Dies Abenteuer hatten Sie hier in Berlin gehabt!
UEXKÜLL
seinen Blick erwidernd; ähnlich.
Darüber verweigre ich die Auskunft!
GEORG
ihn noch immer, wie »durchbohrend«, anblickend.
Seltsam!
DUFROY
dem es vor dem, was nun, zu seinem eignen Entsetzen und Schrecken, vielleicht »kommen« könnte, fast bereits angst und bange wird.
Du kannst schließlich nicht Herrn Baron ...
GEORG
der jetzt einen Moment nach dem Vorhang gehorcht; wieder, im Nu, wie umgewandelt; ihn unterbrechend.

Einen Augenblick! ... Der Trance ... scheint ein so schwerer ... die Klagelaute sind so auffällig ...

DUFROY
der genau so, wie auch die andern, jetzt ebenfalls aufhorcht; von plötzlich in ihm aufsteigender, schwerster Besorgnis gepackt.
Es wird ihr doch ... um Gottes willen nichts geschehn?
ONKEL LUDWIG
mit feierlichst erhobner Linken; eine neue Art »Moses«, der seinem »Volk« mit prophetisch ausdeutender Stimme ein »Gesetz« verkündigt.
Medien in Trance ... schützen die Spirits!
DUFROY
wie mit einmal mitten unter der Nase von einer großen Brennessel gekitzelt.
»Spirits«!
UEXKÜLL
zu Onkel Ludwig; nicht unähnlich.
Herr Doktor könnten ebensogut sagen ...
MARIANNE
mit angstvoll-entsetzter, wie von einem namenlosen Grauen durchzitterter Stimme hinterm Vorhang; alle wie starr.
Nicht! ... Laß! ... Weg!
STIMME
tief, bös, langsam; ein dunkler, klangvoller Frauenalt.
Wehr dich nicht!
ONKEL LUDWIG
dessen Augen sich unwillkürlich etwas erweitert haben; er weiß nicht, soll er jetzt ebenfalls entsetzt sein, oder triumphieren; von Uexküll über Georg zu Dufroy rüber.
Habt ihr gehört?
UEXKÜLL
sich bei allen umblickend; das linke Ohr noch, wie lauschend, nach dem Vorhang; mit der Nüance: »Das wollten wir uns aber recht sehr verbitten!«.
Das war doch ... noch eine zweite Stimme?
DUFROY
noch aufgebracht-entschiedner.
Wo eine zweite Stimme, ist auch eine zweite Person!
[464]
UEXKÜLL
zu Georg; ähnlich.
Wenn Herr Professor noch immer ...
GEORG
durch Blick und Ton ihn fest an seinen Platz bannend.
Ich ersuche Sie nochmals!
MARIANNE
wie vorhin; nur jetzt noch gequält- schmerzvoller.
Du ziehst zu fest! ... Warum bindest du mich? ... Das hast du noch nie getan!
STIMME
heftig, rauh.
Schweig!
DUFROY
der es, allein auch schon aus Besorgnis für seine Tochter, für die er, in seltsamem Gegensatz zu seiner prinzipiellen und apriorischen Leugnung alles sogenannt »Übernatürlichen«, in diesem Moment fast etwas wie Unheil wittert, als bloßer Zuhörer und Zuschauer kaum noch aushält, bereits mit einem ersten Schritt auf den Vorhang zu.
Ich kann das unmöglich ...
GEORG
finster; kurze, ihn zurückwehrende Geste; ohne jeden aggressiven Unterton.
Es ist das Medium und sein Phantom! Stör sie nicht!
MARIANNE
noch klagend-gesteigerter.
Du tust mir weh! ... Ich habe Furcht! ... Ich mag dich nicht!
STIMME
befehlend-hart; fast drohend.
Seht nicht so her! ... Blickt alle weg! ... Ihr stört uns bloß!
UEXKÜLL
hämisch; mit einem befriedigten Blick zu Dufroy rüber; zweites »a« kurz und betont.
Aha!
DUFROY
mit einem ähnlichen Blick, kopfnickend, ihm zustimmend.
»Ihr stört uns bloß!«
UEXKÜLL
ähnlich wie vorhin.
Der alte Trick ...
DUFROY
schnell, mit noch stärkerem Kopfnicken seinen Satz ihm schließend.
Um im entscheidenden Moment die Aufmerksamkeit abzulenken!
ONKEL LUDWIG
verblüfft-entrüstet; noch immer von seinem Platz aus; die ganze, ehrenrührige Tiefe ihres nichtswürdig-»pyrrhonischen« Skeptizismus im Moment noch nicht ermessend.
Ihr glaubt ... daß ein Phantom ...
GEORG
ihn unterbrechend; ähnlich wie vorhin; mit einem Blick wieder über alle drei.

Bitte der ergangnen Auffordrung nachzukommen und keine überflüssgen Exkurse! Die Zeit ist zu kostbar, um sie jetzt mit unfruchtbaren Erörtrungen zu vergeuden! Nochmals an den Schalter. Ich stelle noch weiter das Licht ab! [465] Von den sechs Ovalen verlöschen vier und nur noch die beiden rechts und links von dem großen Mittelvorbau glimmen, wie bisher, matt weiter. Wir haben zwar sonst stets ...

ONKEL LUDWIG
ganz empört-entsetzt zu Uexküll rüber, der, wie es schien, den kurzen Augenblick, in dem Georg ihm den Rücken gedreht, dazu hatte benutzen wollen, um hinter die Geheimnisse des Vorhangs zu kucken.
Herr Baron!!
UEXKÜLL
bereits wieder an seinem Platz; eilfertigst, zu allen dreien.

Pardon! ... Zu Georg rüber, der jetzt mitten zwischen Tisch und Schalter, voll nach Uexküll zu, einen Moment »wie festgewurzelt« steht; man hat das Gefühl, bereits in der nächsten Sekunde, unweigerlich, erfolgt nun die Katastrophe und der Herr Baron fliegt ans dem Tempel; geschmeidig-liebenswürdig. Es war nicht meine Absicht ...

DUFROY
dem es fast »eiskalt über den Rücken gelaufen«; ebenfalls nach Georg zu; dem »Gast« schleunigst zur Hilfe kommend.
Herr Baron wird sich doch nicht einfallen lassen ...
GEORG
der sich, eingedenk seines »Plans«, und daß ein solcher »Rausschmiß« jetzt denn doch etwas zu früh käme, mit aller Energie wieder bezwungen hat; »sardonisch« zu seinem Schwiegervater rüber; jeder Iktus betont.

Du meinst, den kindischen Versuch einer sogenannten »Entlarvung« inszenieren zu wollen?! Mit »vernichtender« Ironie nach Uexküll zu. Nachdem seine damit korrespondierenden, bisherigen Versuche ...

UEXKÜLL
über das »bedauerliche Mißverständnis« anscheinend »ganz trostlos«.
Dies Knacken des Parketts war ein unglücklicher Zufall!
DUFROY
ähnlich wie vorhin.
Man kann doch nicht immer bloß auf einem Fleck ...
GEORG
zu Uexküll; noch betonter.

Es bleibt mir nichts übrig, als Ihnen zu glauben! Denn täte ich dies nicht, und zwar, wie ich dies jetzt bereits ... fast annehmen möchte, vielleicht sogar in meinem allereigensten Interesse ...

ONKEL LUDWIG
ihn unterbrechend; ganz aufgebracht-»unglücklich«; beide Hände erhoben.
Herr-Gott! All wieder!
DUFROY
ähnlich; von einem zum andern.
Dieses ... entsetzliche ... »Datum«?!
[466]
UEXKÜLL
als »irrte« sich Georg »wirklich und wahrhaftig«; von seinem »unseligen Mißgeschick« nun schon fast gradezu selbst überzeugt.
Ich versichre Ihnen noch mal! Ich wollte nur ...
GEORG
grimmig-sarkastisch.

Sie wollten »nur« ... und zwar in einem sehr unpassend gewählten Moment ... ein wenig Ihren bisherigen Standort verändern! Verächtlich von ihm wegblickend. Erledigt!

UEXKÜLL
jetzt beinahe bereits »gekränkt«.
Ich wiederhole meine Erklärung!
GEORG
kurz, kalt.
Die Sache ist für mich abgetan!
DUFROY
nach einer kleinen Pause; mitten in den Regen, der in der Zwischenzeit schon so gut wie aufgehört hatte, plötzlich auf das Dach ein noch weit stärkeres Getrommel; aufblickend.
Das prasselt nicht schlecht!
ONKEL LUDWIG
ebenso.
Nu auch noch Hagel!
GEORG
von der Decke nach dem Vorhang hin.
Ich fürchte, bei diesem Unwetter ...
UEXKÜLL
ebenfalls nach der Decke hoch; der Hagelschauer, so plötzlich er eingesetzt, läßt bereits wieder nach.
Es geht schon vorüber!
STIMME
während man wieder nur noch den Regen hört; nach einer abermals kleinen Pause; jede Silbe sich steigernd.
Kommt! ... Seht! ... Licht!
GEORG
der sofort wieder den Schalter gedreht; auch die vier Ovale, die bereits vollständig erloschen gewesen, glimmen wieder; eine runde, rot verhängte Ampel, die matt das »Adyton« erleuchtet, ist ebenfalls aufgeknipst; zu Uexküll, der die ser Auffordrung sogleich nachkommt.
Haken Sie die Draperie hoch!
DUFROY
vor dem Anblick, der sich ihm jetzt bietet – beide Schals, rechts und links, sind in ein Drittel ihrer Höhe aufgehakt und rahmen so das Ganze wie ein »Bild« ein – unwillkürlich zurückgetaumelt.
Mein ... Gott!
UEXKÜLL
ähnlich.
Was ist ... das?
ONKEL LUDWIG
an seinem Stock, schon auf die erste Auffordrung der Stimme hin, schleunigst näher gehumpelt; ganz erschüttert.
Erbarmen!
GEORG
den Tatbestand untersuchend.

Die Arme des Mediums sind mit großer Gewalt ... und in, wie es scheint, schmerzhafter Lage, [467] nach hinten und um die Stuhllehne gezwängt ... und die gekreuzten Handgelenke fest verschnürt!

ONKEL LUDWIG
ihm dabei behilflich; zu Dufroy, der sich nun ebenso bemüht.

Mit einem Knoten, wie du ihn wahrscheinlich ... oder vielmehr ganz und gar sicher und gewiß ... noch nie gesehn hast!

GEORG
wie vorhin.

Drei andre Schnüre fesseln Schultern und Fußknöchel, und das Ganze ist wieder, mit eben solchen Knoten, fest untereinander verschnürt!

ONKEL LUDWIG
der sich jetzt aufrichtet; zu Dufroy und Uexküll rüber, der, nun ebenfalls im »Adyton«, von seinem überraschten Erstaunen sich noch kaum erholt hat.
Ein uns aber auch absolut völliges Novum!
GEORG
mit seiner Untersuchung fertig; Onkel Ludwigs Erklärung sich anschließend.
Wie ich annehmen muß, den Herren jetzt deshalb vordemonstriert ...
UEXKÜLL
ihn unterbrechend; schnell; erst jetzt wieder ganz »zu« sich gekommen.
Wo kommen die Schnüre her?
DUFROY
in seiner »Skepsis« einen Moment fast schwankend.
Wenn hier wirklich ein Betrug nicht mit im Spiel ist ...
ONKEL LUDWIG
empört.
Immer noch!
GEORG
der sich kurz umgeblickt.

Von den beiden Doppelvorhängen, die dort rechts und links die kleinen Treppen abschließen! Einladende, halb wie höhnische, das Betreffende ihm freistellende Handbewegung. Wenn Sie die Örtlichkeit jetzt noch mal revidieren wollen?

UEXKÜLL
von dieser Erlaubnis sofort Gebrauch machend; eiligst die rechte Treppe hoch.
Da muß unbedingt ...
GEORG
seiner Sache sicher, ihm nachspottend.
Sie werden nicht viel entdecken!
UEXKÜLL
bereits oben.

Niemand! ... Der Platz hinter der Orgel leer! ... Auch auf den Treppen! ... Von links her schon wieder zum Vorschein gekommen; ganz verwirrt-aufgeregt. Hätte ich mich nicht selbst überzeugt ... Sich unterbrechend und ringsum auf die Wände starrend. Wenn das alles feste Mauern sind ...

ONKEL LUDWIG
achselzuckend.
Es steht Ihnen frei ...
GEORG
zu Uexküll; mit einer entsprechenden, erneuten Handbewegung ihm seinen Satz schließend.
Sie noch mal abzuklopfen!
DUFROY
der so lange dagestanden, »wie vor den Kopf geschlagen«; [468] sich wieder auf- und zusammenraffend.

Das kann nicht sein! Eine solche Unerklärlichkeit ... Plötzlich, als wäre das ersehnte »Licht« ihm damit aufgegangen und das »Rätsel« so »gelöst«. Selbstfesslung!

ONKEL LUDWIG
grob.
Das Bequemste!
GEORG
nach Marianne hin; nicht allzuviel anders.
In dieser kunstvollen Verschnürung?
ONKEL LUDWIG
als ob er seinen Stiefbruder »auffressen« wolle.
Und noch dazu im Stockdunkeln?
UEXKÜLL
vollständig ratlos.
Aber wie soll man denn sonst ...
DUFROY
noch stärker als vorhin.
Einzge Erklärung!
GEORG
zu Dufroy; während Uexküll, durch diesen neuen Beweis offenbar ungleich betroffner, noch fast wie betäubt steht; mit aller Gewalt sich zur Ruhe zwingend.
Du mutest deiner Tochter damit allerdings zu ...
DUFROY
erbittert-heftig; jede etwa noch mögliche, weitere Verständigung über diesen Punkt damit ablehnend.
Eh ich die Naturgesetze ...
MARIANNE
schmerzvoll; die Augen geschlossen.
Geht!
GEORG
zu allen; mit der kurzen, auffordernden Geste, den Raum zu verlassen.
Bitte!
DUFROY
der kaum fähig ist, sich von seinem Platz zu bewegen; die rechte Hand wieder vor der Stirn.
Mir ist von alledem ...
UEXKÜLL
ähnlich.
Ich kann es noch gar nicht ...
MARIANNE
noch wehklagend-dringlicher.
Geht!! ...
GEORG
nachdem jetzt endlich alle wieder draußen; die Vorhänge wieder herablassend und noch mal an den Schalter.
Ich stelle wieder das Licht ab!
DUFROY
die vier vorderen Ovale wieder erloschen; sich nach ihnen umdrehend.
Aber so ganz ...
UEXKÜLL
seinem Protest sich anschließend.
In halb ägyptischer Finsternis ...
ONKEL LUDWIG
ebenso.
Und nu grad heut ...
GEORG
bereits wieder an seinem alten Platz, von dem aus er die übrigen alle scharf beobachtet.

Ich bitte, die Leitung der Sitzung mir vollständig zu überlassen! Die Herren geben mir ihr Wort, die materialisierte Erscheinung, die sich nun zweifellos sehr [469] bald zeigen wird, weder zu berühren, noch am allerwenigsten, aus irgendwelchen Gründen oder Motiven, deren jeder von uns, und rückten sie ihm unter Umständen vielleicht auch noch so nah, unbedingt Herr zu bleiben hat, unversehns anzupacken! Um eine sogenannte »Entlarvung«, ich wiederhole, kann es sich bei diesem Medium und in diesem Kreise nicht handeln, und ein gewaltsamer Chok, darauf mache ich ganz ausdrücklich und besonders aufmerksam, würde für die körperliche wie geistige Gesundheit des Mediums die denkbar schwerste Schädigung nach sich ziehn! Unter Umständen sogar Wahnsinn, oder den sofortigen Tod! ... Herr Baron?

UEXKÜLL
jetzt ebenfalls wieder an seinem alten Platz; etwas beeilt-auffällig.
Aber selbstverständlich!
GEORG
zu Dufroy rüber, der in der Nähe seines Sessels rechts steht.
Und du?
DUFROY
halb zu Georg, halb zu seinem Stiefbruder rüber, der, auf seinen Stock gestützt, sich mit dem linken Ellenbogen aufs Klavier links lehnt; noch etwas zögernd-ungläubig.
Könnten die Folgen ... wirklich derart ...
ONKEL LUDWIG
ganz aufgebracht-entrüstet.
Du gibst ihm nicht ... dein Wort?
DUFROY
unmutig-widerwillig; zu Georg.
Ich ... gebe es dir!
GEORG
nach einem kleinen Moment Pause; wieder, unwillkürlich, nach der Decke blickend.
Gott sei Dank! Der Regen hat aufgehört!
ONKEL LUDWIG
erneutes, diesmal sogar bereits ziemlich nahes Donnergeroll; ebenso.
Aber leider noch nicht das Gewitter!
DUFROY
nachdem die letzten Schüttrungen verklungen; innerlich noch immer mit dem beschäftigt, was vorhin Georg gesagt; vergeblich bemüht, sich mit der »contradictio in se«, die sich dahinter für ihn verbirgt, abzufinden.

Eine »materialisierte Erscheinung«! Ein »Transzendentalwesen«, das für uns in eine körperliche Existenz tritt! Wie kann man ...

GEORG
ihn unterbrechend; mit dem Versuch, soweit ihm dies selber möglich, ihm zur Hilfe zu kommen.

Oder, falls dir diese animistische Deutung, respektive Erklärung, bereits etwas annehmbarer, oder doch wenigstens plausibler klingt: ein reales Phantasiegebilde des Mediums, von diesem unbewußt projiziert durch Teleplastik!

[470]
UEXKÜLL
mokant-ironisch.
Auch eine Definition!
GEORG
schnell.
Nicht meine!
ONKEL LUDWIG
der das alles so »ausgesprochen abenteuerlich« gar nicht »finden« kann.
Warum nicht?
DUFROY
sich fast die »Haare raufend«.

Vom Medium »unbewußt projiziert! Teleplastik! Ein reales Phantasiegebilde!« Wie soll da mein Hirn ...

ONKEL LUDWIG
»a« lang, »o« kurz und betont.
Ja, no!
DUFROY
wieder zu Georg; noch gesteigert; entsprechende Geste.
Durch diesen Vorhang?
GEORG
nickend.

Durch diesen Vorhang! Ruhig, »dozierend«. Es sei denn ... was theoretisch ebenfalls möglich wäre ... daß es sich hier im Raum und vor unsern Augen selbst aus einer rotierenden, leuchtenden Art Nebelmasse bildet, wahrscheinlich exteriorisiertes Od, was ich aber bei den momentanen Wittrungsumständen ...

DUFROY
noch immer wie vorhin.

Aus einer »rotierenden, leuchtenden Art Nebelmasse, vor unsern Augen, hier im Raum selbst«!! Das ist ja alles ...Plötzlich, über ihre Häupter hin, ertönt der nachstehende Akkord.

UEXKÜLL
noch ganz starr.
Was war das?
ONKEL LUDWIG
nach dem großen Mittelbau hin.
Die ... Orgel?
DUFROY
fast heftig.
Marianne kann doch nicht spielen!
GEORG
der ebenfalls, wie die andern, sofort aufgehorcht hatte.

Und selbst ... wenn sie's könnte ... In diesem Augenblick – daß er sofort, wie gebannt, verstummt – setzt die Orgel ein.


Langsam. Etwas getragner als das Original

[471]
ONKEL LUDWIG
nach dem sechsten Takt.
Integer vitae?
UEXKÜLL
nach dem zehnten; die »Weise« wiedererkennend.
Ja!!
GEORG
nach dem vierzehnten; »selt« auf dem ersten Viertel des fünfzehnten Takts, »Har« auf dem letzten Viertel desselben Takts und die Silben »ni- en« auf dem ersten Viertel des sechzehnten Takts.
In welchen seltsamen ... Harmonien!?
DUFROY
nach dem Schlußtakt.

Unmöglich! Eine gemeinsame Halluzination! Kaum daß er seine Worte ausgesprochen, setzen, gewissermaßen [472] wie als Antwort darauf, die nachstehenden, noch weit »ätherischeren« Klänge ein.


Im Zeitmaß der Orgel.

ONKEL LUDWIG
nach dem ersten halben Takt.
Still!
UEXKÜLL
in den letzten, langen Akkord.
Eine Harfe!
DUFROY
ebenso; nur noch gesteigert; fast außer sich.
Wo kommt hier eine Harfe her?!
ONKEL LUDWIG
auf eine während des letzten Verklingens plötzlich zwischen den Vorhängen aufgetauchte Gestalt zu, die in weißer Gewandung, das Gesicht halb, das Haar vollständig von einem lang herabfallenden, ebenfalls weißen Schleier verdeckt, der leise zu schimmern scheint, die Augen wie in weiter Ferne, unbeweglich da steht.
Afra!
GEORG
sofort; auch zu Dufroy, der instinktiv näherdrängt.
Zurück!
DUFROY
das zweite Wort betont.
Das ist hier ...Sich wieder, unwillkürlich, nach den erloschnen Ovalen umblickend. so dunkel ...
UEXKÜLL
der von seinem Platz ans die Züge der Erscheinung vergeblich zu erkennen versucht.
Man kann ja kaum ...
DIE ERSCHEINUNG
etwas vortretend; langsam, getragen; mit einer Stimme ähnlich der tieferen, die vorhin hinterm Vorhang erklungen.
Ich bin nicht Afra! Es gibt nicht Afra! ... Es hat nie Afra gegeben!
[473]
UEXKÜLL
nach einem kurzen, perplexen Stutzen; befriedigt-»schadenfroh« zu Dufroy rüber.
Ah, so!
DUFROY
ähnlich zu Georg.
Mit einmal und plötzlich?
UEXKÜLL
noch gesteigert.
Sehr intressant!
DUFROY
schon fast »amüsiert«.
Das klingt ja schon beinah ...
ONKEL LUDWIG
mit seinem Stock ergrimmt aufs Parkett stoßend.
Herr Bruder!!
GEORG
zu Dufroy und Uexküll gleichzeitig; schärfst.
Ich muß doch bitten!!
ONKEL LUDWIG
zu der Erscheinung.
Wenn du nicht Afra bist ...
GEORG
ihn unterbrechend; hastig.
Frag nicht!!
ONKEL LUDWIG
sich gegen ihn auflehnend.
Es wär doch aber von Wert ...
GEORG
zu der Erscheinung; über seinen Einspruch hinweg; gesammelt-fest.

Wer du auch bist! Es ist das letztemal, daß du bei uns weilst! Wir haben sonst stets bei hellstem Licht experimentiert! Dürfen wir auch heut ...

DIE ERSCHEINUNG
die ihn nicht anblickt; wie vorhin.
Du hättest mich nicht rufen sollen! Ich war weit ... weit ... weg!
GEORG
leis ungeduldig, eindringlich.

Das ist auf meine Frage keine Antwort! Weshalb verweigerst du sie mir? Irritiert dich heut unser Kreis? Ist dein Medium zu erschöpft? Fühlst du in dir noch nicht die nötige Kraft?

DIE ERSCHEINUNG
in der gleichen Haltung, mit der gleichen, wie aus einer »andern Welt« klingenden Stimme.
Ich verhieß ... ein Zeichen!
GEORG
nach einem Moment kurzen Betroffenseins.
Hast du's uns nicht ...
ONKEL LUDWIG
ähnlich; in Georgs Satz sofort weiter.
In dieser vergangnen Nacht ...
DIE ERSCHEINUNG
die ihn nicht ausreden läßt; wie vorhin.
Der Traum, den ich Marianne schickte, war ein Warnungstraum!
ONKEL LUDWIG
zu Georg rüber; vorwurfsvoll.
Siehst du?
UEXKÜLL
zu Dufroy; ganz verständnislos-überrascht.
Ein ... »Traum«?
DUFROY
der von der Gestalt kein Auge läßt; nervös-unwillig.
Was kann uns jetzt der ...
DIE ERSCHEINUNG
die noch immer keinen angeblickt; sich langsam umdrehend und den Vorhang bereits halb wieder hebend.
Laß mich ... wieder gehn!
GEORG
schnell; sie wie zurückhaltende Geste; einen Schritt, unwillkürlich, [474] dabei auf sie zu.
Bleib!! ... Während sie jetzt beide dastehn und sich anblicken. Du hast mit versprochen ...
DIE ERSCHEINUNG
mit sich plötzlich veränderndem Tonfall; hinterhältig-drohend.
Jaaa ...?
UEXKÜLL
dessen Aufmerksamkeit sich mit einmal ganz auf den Schleier richtet, der in ihm plötzlich eine allerlebhafteste Erinnrung geweckt; fast bereits mit dem Versuch, dies merkwürdige Kostümstück zu betasten.
Was für ein seltsam ... schillerndes Schleiergewebe?!
DIE ERSCHEINUNG
jetzt von Georg gegen ihn gewandt; tückisch-boshaft.
Erkennst du s?
GEORG
nach einem kurzen, befremdeten Stutzen zu Uexküll rüber, der hochmütig-abweisend dasteht, während gleichzeitig, durch die mehr als sonderbaren Worte der Erscheinung wie betroffen, auch Dufroy diesen einen Moment lang wieder angestarrt hat; zur Erscheinung, die jetzt keine Notiz mehr von ihm nimmt.
Du trugst das noch nie!
DUFROY
nach dem Gewebe hin, das sein Interesse und seine Aufmerksamkeit schon längst, und zwar bereits von allem Anfang an gefesselt hatte; dessen für ihn aber auch ganz und gar zweifellos »irdische« Herkunft und Beschaffenheit mit der größten Sicherheit und Bestimmtheit konstatierend.
Echter, indischer Seidenmusselin!
ONKEL LUDWIG
empört-abfällig; beide »o«s kurz und betont.
No, no!
UEXKÜLL
wie nur noch für das »Gewebe« interessiert.
Von einer Struktur ...
DIE ERSCHEINUNG
wie vorhin; nur noch gesteigert.
Erkennst du es ... wieder?
GEORG
von Uexküll zur Erscheinung rüber und wieder zurück; fragend-ungläubig.
Wie kann Herr Baron ...
ONKEL LUDWIG
einfallend; sich bei allen umblickend.
Das ist doch gar nicht möglich!
DIE ERSCHEINUNG
auch jetzt wieder nur zu Uexküll und noch immer sich steigernd.
Du hast es schon einmal gesehn!
UEXKÜLL
achselzuckend, fest.
Nicht, daß ich wüßte!
DIE ERSCHEINUNG
mit letzter Gewalt; ihr zweites Wort nach ihm schleudernd, wie einen Dolchstoß.
Du ... lügst! Kurze Pause.
UEXKÜLL
der sich sofort wieder gefaßt hat; zu den übrigen.
Sehr höflich!
[475]
DUFROY
ähnlich; nur jetzt aufgebracht-heftig; die ersten Worte zu Uexküll, die letzten zu Georg rüber.
Ich möchte wissen ... was hier diese Invektive ...
GEORG
schroff; zu Dufroy; seine Einmischung sich verbittend; die letzten Worte zu Uexküll.

Wenn hinter dieser »Invektive«, wie du sie nennst, nicht irgendein realer oder konkreter Tatbestand steckt ...

UEXKÜLL
kalt; ironisch-abwehrend; ihn unterbrechend.
Herr Professor übertreffen sich nachgrade selbst!
ONKEL LUDWIG
der nicht mehr »aus und ein« weiß; sich wieder nach allen umblickend.
Mir ... dreht sich alles!
GEORG
zur Erscheinung.
Willst du uns sagen ...
DIE ERSCHEINUNG
scharf, boshaft.
Was?
GEORG
die Augen wieder auf Uexküll.
Wann und wo Herr Baron ...
DIE ERSCHEINUNG
wie in befriedigter Schadenfreude.
Das wirst du ...
DUFROY
der so lange an sich gehalten; sie unterbrechend; zu Georg; zornig.
Laß dich doch nicht ... düpieren!
UEXKÜLL
zu Dufroy.
Hätte ich nicht vorhin ... mein Wort gegeben ...
DUFROY
noch gesteigert.
Ein so hanebüchner Betrug ...
GEORG
von der Erscheinung zu Dufroy blickend; durch dessen so plötzlich wieder auftauchende »Betrugs«hypothese ganz überrascht-verblüfft.
Du ... glaubst ...?
ONKEL LUDWIG
ihm schnell zur Hilfe kommend; ähnlich.
Wo dies Wesen aus einer andern Welt ... hier leibhaft ...
UEXKÜLL
zu Georg; nach der Erscheinung hin.
Wenn Sie mich meines Versprechens, Herr Professor, jetzt entbinden?
DUFROY
losbrechend.
Wir sind das Opfer einer ganz unerhörten Mystifikation!
GEORG
zu allen; entsprechende, verdeutlichende Geste nach dem »Adyton«; wie ihn noch immer nicht begreifend.
Nachdem wir die Gefesselte dort eben erst ... Abgeschmackt!
ONKEL LUDWIG
allerzornigst; einen Schritt vor Dufroy zurück; mit seinem Stock wieder aufstoßend.
Magnifice!
DUFROY
schnell, heftigst, seines ganzen Grolls und Grimms sich jetzt entledigend.

Ich weiß nicht, »wie«, ich traue ihr eine so bewußt direkte und dann ja natürlich schon seit Jahr und Tag und bereits von allem Anfang an datierende Täuschung und Fälschung [476] nicht recht zu, aber in ihrem leider, wie ich jetzt notgedrungen annehmen muß, schwer psychopathischen und nun überdies auch noch halb hypnotischen Zustand ... Eiligst abbrechend und schließend. Es ist Marianne!

UEXKÜLL
»vorsichtig«.
Ich wage nicht ...
ONKEL LUDWIG
von einem zum andern blickend; als hätte er nicht recht gehört.
Marianne?
GEORG
ähnlich.
Wie sollte das ... möglich sein?!
ONKEL LUDWIG
noch gesteigert.
Wir haben sie doch alle ...
DUFROY
von der absoluten Richtigkeit seiner Behauptung durchdrungen.
Ich lasse meinen Kopf drauf!
UEXKÜLL
nach Georg rüber.
Wenn aber natürlich Herr Professor ...
DIE ERSCHEINUNG
die so lange dagestanden und den Hader der Streitenden in sich geschlürft, als ob er die wohllautendste Musik wäre.

Man öffne den Vorhang! ... Während sowohl Uexküll als Dufroy dieser Auffordrung sofort nachkommen wollen. Nur einer! ... Zu Dufroy. Du!

ONKEL LUDWIG
während Dufroy, der allein das Podium bestiegen, jetzt den Vorhang hebt; »a« kurz.
Da!
UEXKÜLL
fast zurückgeprallt.
Nicht möglich!
DUFROY
der kaum seinen Angen traut.
Marianne!
GEORG
der von seinem Platz aus die Gestalt im Kabinett nicht genau erkennen kann.
Gefesselt, wie vorhin?
DUFROY
mit seinen Blicken sich nochmals vergewissernd.
Gefesselt, wie vorhin!
UEXKÜLL
ganz betroffen-perplex nach der Erscheinung hin.
Ja, aber wer ist dann ...
DUFROY
der den Vorhang wieder fallen gelassen; die Erscheinung, wie auch bereits vorhin, als er an ihr vorüberpassierte, zornig-mißtrauisch messend.
Das wird sich jetzt sehr bald ...
DIE ERSCHEINUNG
hart.
Geh!
DUFROY
mit der Hand nach ihrem Schleier.
Nicht eher ...
GEORG
sofort; empört-energisch.
So hältst du dein Wort?
ONKEL LUDWIG
noch gesteigert; abmahnend- angstvoll, fast zitternd; die Rechte nach ihm, wie ihn beschwörend, erhoben.
Denk an die Gefahr, in der Marianne schwebt!
DIE ERSCHEINUNG
halb nach dem Vorhang zurück; langsam, höhnisch; wie aus [477] einem tiefsten, unversöhnlichen, lange zurückgehalten Rachegroll.
»Marianne!!«
DUFROY
der sich wieder bezwungen; die Erscheinung noch immer »messend«.
Gut! ... Aber nur ... Ich werde meine Augen ...
DIE ERSCHEINUNG
verächtlich, fast gehässig.
Sie sind blind gewesen ... dein ganzes Leben durch!
DUFROY
wie vorhin.
So werden sie mir vielleicht jetzt noch ... Das Podium ergrimmt wieder verlassend. geöffnet werden!
DIE ERSCHEINUNG
veränderter Tonfall; die Blicke wieder weit vor sich, wie ins Leere.
Vielleicht!
GEORG
der sich, durch alle diese Zwischenfälle irritiert, nur mit Mühe wieder gesammelt; nach einer kleinen Pause.

Deine Stimme klingt fremd! Du bist heute nicht wie sonst! Ich kann dein Gesicht nicht erkennen! Weshalb verhüllst du s uns so? Laß mich sehn, ob unter deinem Haar ...

DIE ERSCHEINUNG
als hätte sie von Anfang an auf diesen Moment nur gewartet; ihre Augen in seinen.

Ich durchschaue dich bis in deine innerste Gewissensqual! Du wirst jetzt bald erfahren, was Mariette so in Schuld verstrickte, daß sie sich selbst ...

DUFROY
schnell einfallend; mit einem entsetzten Blick nach Georg, der sich mit aller Kraft aufrecht hält.
Um Gottes willen!
ONKEL LUDWIG
vor diesem »selbst«, das ihn jäh wie ein Beilschlag getroffen, zwei Schritte zurückgetaumelt.
»Selbst?!!«
UEXKÜLL
einen Moment, unbedacht, seine Fassung verlierend; in der unbestimmten Angst, daß seine ganze Schuld, durch diese unheimliche Erscheinung, deren Rätselhaftigkeit, so sehr er sich dagegen sträubt, ihn plötzlich mit einem Schauer erfüllt, jetzt in deutlichste Worte gefaßt, rauskommen könnte; noch besorgt-entsetzter als Dufroy.
Kein Wort mehr!
GEORG
der diesen »Ton«, ebenso wie Dufroy, der einen kurzen Augenblick wieder wie starr steht, sofort »erfaßt« und »verstanden« hat; ihm gegenüber.
Herr ... Baron!!
UEXKÜLL
erregt; sich mit Dufroy, um seine Übereiltheit, soweit das noch geht, wiedergutzumachen, identifizierend.
Wir dürfen nicht dulden ...
GEORG
stark.
Was?! Was »dürfen Sie nicht dulden«?!
DUFROY
sich, schnell gefaßt, zwischen ihm und Uexküll ins Mittel [478] legend; so zu neun Zehntel ihm dieser, und zwar durch dessen eigne Worte, nach der von ihm in seinem tiefsten Innern seit zirka einer Viertelstunde befürchteten Richtung nun auch bereits »überführt« erscheint.
Ich bitte dich in unser aller Interesse!
ONKEL LUDWIG
der auf einmal instinktiv spürt, daß hier auf seiten seines alten, ehemaligen Reisekameraden »irgend etwas nicht in Ordnung« ist; wie völlig umgewandelt; seinen Stiefbruder fast zurückreißend.
Laß!!
UEXKÜLL
der jetzt aller Augen, wie fragend-anklagend, auf sich gerichtet fühlt; sich »Luft« machend.
Dieser ganze ... gräßliche Humbug ...?!
DIE ERSCHEINUNG
die ebenfalls so lange keinen Blick von ihm gewandt; langsam, fast getragen- feierlich, die Augen plötzlich wieder wie in weiter Ferne.

Ich sehe dich mit zerschossner Stirn ...Georg, unwillkürlich, mit einem aufstöhnenden Laut zusammengezuckt.

ONKEL LUDWIG
noch stärker; fast gleichzeitig.
Aaah!!
UEXKÜLL
der sich vollständig wieder im Zaum hat; kalt-»gleichmütig«.
Monaco. Möglich! Sogar sehr wahrscheinlich!
DIE ERSCHEINUNG
wie vorhin.

Oh, nein! Über deiner verkrampften Hand, in den frühen, dunstigen Morgen, schaukelt sich ein Kiefernast, und zehn Schritt dir gegenüber raucht noch die Waffe des andern, der dich in den Tod gestreckt!

GEORG
fast atemlos.
Und dieser ... andre?
DIE ERSCHEINUNG
ohne sich zu regen; die Augen erst auf Uexküll, dann, plötzlich, auf Georg.
Steht jetzt ... wo du stehst! Georg, mit einem noch heftigeren Laut, wieder zusammengezuckt.
ONKEL LUDWIG
eifrigst zu Dufroy.
Hörst du?
DUFROY
aus seiner halben Erstarrung wieder zu sich kommend.
Ich kann das unmöglich hier noch länger ...
UEXKÜLL
zu ihm und Onkel Ludwig; sarkastisch, fast als ob ihn die ganze Sache nichts anginge.
Dann gratuliere, meine verehrten Herrschaften!
GEORG
einen Schritt auf ihn zu; vor Zorn fast zitternd.

Ich muß Sie, mein Herr, dringend bitten, sich jeder ungehörigen Äußerung hier durchaus und strikt zu enthalten!

[479]
DIE ERSCHEINUNG
schnell; die Augen auf dem Gehaßten, das erste Wort wieder wie ein Dolchstoß.
Triff ihn!
UEXKÜLL
wieder zu Onkel Ludwig und Dufroy; ohne Georg anzublicken; korrekt-kühl.
Pardon.
DIE ERSCHEINUNG
noch immer nach Uexküll rüber; wie aus letzter, nun schon halb wie befriedigter Rache.
Er ist nicht wert, daß ihn auch nur noch einen Tag die Sonne bescheint!
DUFROY
empörte Geste, zu allen dreien.
Jetzt weigre ich mich aber ganz entschieden ...
UEXKÜLL
kalt-höhnisch; die Achseln zuckend; während Georg, um nicht auf ihn loszustürzen, sich nur auf die Lippen beißt.
Die Dame hat vielleicht recht!
ONKEL LUDWIG
drohend.
Die ... »Dame«?
GEORG
scharf, mit energisch-finster zusammengezognen Brauen.
Sie werden nachher die Güte haben, mir unter vier Augen ...
DUFROY
der ihn nicht ausreden läßt; seine ganze »Autorität« aufbietend.
Du bist ... von Sinnen!
ONKEL LUDWIG
»hetzend«.
»Dir unter vier Augen ...«
GEORG
der von seinem Gegner solange kein Auge gelassen; erst jetzt seinen Satz schließend.
Eine kleine Aussprache zu schenken! Von dieser wird es dann abhängen ...
DUFROY
ihn wieder unterbrechend; entrüstet; die Stirn zornigst gekraust, die Hände ohnmächtig geballt.
Es ist ...
ONKEL LUDWIG
grimmigst; jetzt ganz auf Georgs Seite.
Bravo!
UEXKÜLL
leichte Verbeugung; »korrekt«.
Ich stehe zur Verfügung!
ONKEL LUDWIG
dem das alles noch nicht genügt; erregtes, heftigstes Herumfuchteln mit der erhobnen Linken.
Hier muß Klarheit geschaffen werden! Klarheit!
GEORG
nochmal, drohend-empört, zu Uexküll rüber.
Klarheit! Uexküll nur achselzuckend.
ONKEL LUDWIG
zu Dufroy; wie diesem damit ganz besonders eins versetzend.
In jedem Hause ... wo so ne ... alte Ahnfrau is ...
DUFROY
sich jetzt wieder, und zwar als ob er sich in einem Tollhause befände, bei allen umblickend.
Ist denn hier alles ...
DIE ERSCHEINUNG
herb, hart; seinem letzten Wort einen andern Sinn gebend.
Alles! ... Längst ... noch eh dies Jahr ...
[480]
GEORG
nachdem er, unwillkürlich, wie auch sämtliche übrige, einen kurzen Augenblick, zurückgestutzt war.
Soll das heißen ...?
DUFROY
heftig; ihn seine Frage, deren Inhalt er ahnt, nicht erst stellen lassend.
Sei kein Tor!
DIE ERSCHEINUNG
noch mal zu Dufroy, daß es durch ihn wie ein Ruck geht.
Nur du nicht!
ONKEL LUDWIG
dem die übrigen Worte vor Entsetzen in der Kehle stecken bleiben.
»Nur ...?«
DUFROY
sich zusammenraffend; zornig.
Lächerlich!
DIE ERSCHEINUNG
von neuem zu ihm; noch drohender und bösartiger.
Nur du nicht!!
GEORG
zu Dufroy; noch halb starr.
Das ... kann ... doch bloß bedeuten ...
DUFROY
noch stärker.
Lächerlich!!
GEORG
wie vorhin.
Daß du ... von uns allen ... allein ...
DIE ERSCHEINUNG
mit letzter Vehemenz; so daß alle wieder einen Augenblick zurückstutzen.
Geschlagner, als Hiob!
ONKEL LUDWIG
fast schlotternd.
»Ge ...?
DIE ERSCHEINUNG
noch bestimmt prophetisch- machtvoller.
Geschlagner, als Hiob!!
DUFROY
wider Willen durch irgend etwas hinter diesen Worten gepackt; allerheftigst.
Lächerlich!!!
GEORG
zu der Erscheinung; wieder energisch.
Willst du uns ... vielleicht erklären ...
DIE ERSCHEINUNG
jetzt zu ihm.
Dein Los ...
ONKEL LUDWIG
brennend vor innrem Aufruhr und Ungeduld.
Sprich! Sprich!!
DIE ERSCHEINUNG
wie vorhin.
Ist das dunkelste! Du wirst ...
GEORG
jäh, schroff, unvermittelt.
Ich wünsche keine Prophezeiung!
DIE ERSCHEINUNG
durch seine Unterbrechung unberührt.

Du wirst ... nachdem alles um dich zertreten sein wird ... nachdem alle dich verlassen haben ... nachdem du den Glauben auch noch an dein Letztes verloren haben wirst ...

GEORG
verbissen.
Das ... könnte ...
DUFROY
sich wieder aufraffend.
Nun bitte ich aber wirklich ...
DIE ERSCHEINUNG
in ihrer Prophezeiung weiter.
In die gleiche Finsternis, denselben Weg ... wie ...
GEORG
da sie einen Moment stockt.
»Wie ...?«
DIE ERSCHEINUNG
mit noch größerer Kraft.
Wie Mariette gehn! Durch deine eigne ...
GEORG
durch seine Empfindung einen Augenblick fast überwältigt.
Schweig!
[481]
DIE ERSCHEINUNG
sich noch immer steigernd; erst jetzt ihren Satz schließend.
Durch deine eigne, schuldbeladne, rächende Hand!
GEORG
sich zusammenreißend.
Wer ... gibt dir das Recht ...
DIE ERSCHEINUNG
stark.
Dein ... Verbrechen!!
GEORG
fast zurückgetaumelt.
»Mein ...?«
DUFROY
zu Georg; ganz empört, fast verächtlich.
Erniedrige dich nicht! Glaube doch nicht auch nur einen Moment ...
DIE ERSCHEINUNG
noch stärker; über seine Worte weg.
Dein ... Verbrechen und ... mein ... Haß!!
GEORG
wie vorhin.
»Und ...?«
ONKEL LUDWIG
der die Erscheinung so lange mit steigender Entrüstung und wachsendem Abscheu angestarrt; erst jetzt wieder halb zu sich kommend.
Du bist ...
DIE ERSCHEINUNG
nochmal; mit letzter, machtvollster Steigrung.
Und ... mein ... Haß!!
ONKEL LUDWIG
den alten, prächtig geschnittnen Kopf vorgebeugt, fast stammelnd.
Du ... bist nicht mehr die ...
GEORG
der ihre Worte noch immer nicht fassen kann.
»Und ... dein ...??«
DIE ERSCHEINUNG
wie vorhin.
Und ... mein ... Haß!!!
DUFROY
verächtlich-erbittert.
Eine liebliche Kreatur!
ONKEL LUDWIG
noch gesteigert; ausholend.
Und ... dich ...
UEXKÜLL
zu Onkel Ludwig; intervenierend.
Regen Sie sich doch nicht ...
ONKEL LUDWIG
nochmal; mit letzter Kraft.
Und ... dich ... Furie ...
DIE ERSCHEINUNG
ihm elementar ins Gesicht.
Karzinom!!
ONKEL LUDWIG
vor ihrer grausamen Offenbarung, die ihn wie ein Blitz getroffen, zurückgetaumelt; sein Stock ist ihm aufs Parkett gepoltert, das furchtbare Wort, das er wiederholen will, bleibt ihm in der Kehle stecken.
»Kk ...«?!
DUFROY
erregt-aufgebracht; ohne bereits die Kraft zu irgendeiner »Maßnahme« oder »Handlung« zu finden.
Ich darf hier als Mensch und Arzt ...
ONKEL LUDWIG
sich bei allen, der Reihe nach, umblickend.
Krebs?!! ... Ich?!! ... Krebs?!!
UEXKÜLL
der sich vergeblich nach dem Stock gebückt, den Georg bereits aufgehoben.
Eine höchst ... angenehme Sitzung!
GEORG
den Stock dem jetzt wie vollkommen Zerknickten und Geistesabwesenden überreichend.
Da! Bitte!
[482]
DUFROY
wie vorhin; nur noch erbitterter.
Ein solches plumpes Betrugsmanöver, das ich seit fünf Minuten durchschaue ...
GEORG
schnell, scharf.
Was schwatzt du da?
ONKEL LUDWIG
zu Dufroy; an sein letztes Wort sich klammernd, wie an einen Strohhalm; in seiner Seele ein leiser Hoffnungsschimmer.
»Durch- schaue«?!
DUFROY
der sich jetzt, endlich, mehr und mehr wiederfindet; zu Georg.
Soll ich dir beweisen und willst du dich überführen, daß alles nur Blendwerk ist?
UEXKÜLL
ähnlich; nur allgemein.
Aber ganz unbedingt!
ONKEL LUDWIG
dem dies denn doch, nach allem, was voraufgegangen, zu unwahrscheinlich vorkommt; der »Hoffnnngsschimmer« wieder im Verlöschen.
»Blendwerk?«
GEORG
zu Dufroy; wie ihn nicht begreifend; halb nach der Erscheinung, halb nach dem Vorhang hin.

Wo du jetzt beide ... Abbrechend und sofort von neuem. Ich fange nachgrade an zu zweifeln, ob du überhaupt ...

DUFROY
ihn unterbrechend; mit letzter, felsenfester Überzeugung; nach der Erscheinung.

Wenn dies vermummte, melodramatisch auf- und zurechtgeputzte Wesen hier wirklich deine angebliche »Materialisation« wäre, wie könnte eine »Verkörprung« aus einer »andern Welt«, von dem üblichen »Jenseits«, das du ja schließlich auch noch nicht für erwiesen hältst, sehe ich dabei ganz ab ...

DIE ERSCHEINUNG
gehässiger als ein Giftspritzer.
Narr!
DUFROY
von ihrem Wutwort kaum unterbrochen, in seiner zornig-verächtlichen Abfälligkeit nur noch bestärkt, weiter.

Narr, Gimpel oder Trottel, jedenfalls wie könnte ein inkarniertes Etwas sogenannt transzendentalen Ursprungs mit einem Schleier in einer Gespinstart drapiert sein, wie man ihn noch heute jeden Tag in Bombay, Madras oder Benares sieht?!

ONKEL LUDWIG
ganz verdattert.
Wer sagt dir ...
DUFROY
mit größter Bestimmtheit.
Ich habe dieses Stück, das ich sofort wiedererkannte ...
GEORG
jetzt, bereits einen Moment, fast selbst im Zweifel; von Dufroy nach der Erscheinung.
Das du ...?
DUFROY
energischst nickend und in seinem Satz sofort wieder weiter.

[483] Ja! ... Selbst vor fünfunddreißig Jahren der Mutter Mariannes als Hochzeitsgeschenk mitgebracht, und da Marianne, Einen kurzen Moment nach Uexküll rüber. wie Herr Baron bereits darauf aufmerksam gemacht hat, sich vorhin fast eine dreiviertel Stunde lang auf ihr Zimmer zurückgezogen hatte, ist es also klar, Nach der Erscheinung. daß sie mit dieser Person, die ihre Helfershelferin ist ...

DIE ERSCHEINUNG
die bereits vor seinen letzten Worten, während alle ihn noch anblicken, begonnen hatte, sich leise nach dem Vorhang hin wieder zurückzuziehen, von dessen Falten, die sich in diesem Augenblick blähen, bereits halb verhüllt; hartes höhnisches Lachen; der Regen hat, hörbar, wieder eingesetzt.
Hahahaha!
GEORG
Dufroy noch immer anblickend; hartnäckig-heftigst.
Das ist nicht wahr!
ONKEL LUDWIG
zu Georg; empört-drohend; von Dufroys Darstellung, zugleich damit unbewußt gegen das »Karzinom« rebellierend, überzeugt.
»Nicht wahr«?!
DUFROY
mit letzter Aufstachlung.
Wenn du jetzt den entscheidenden Mut nicht hast ...
ONKEL LUDWIG
die Sache endlich zum »Klappen« bringen wollend; ihm erbittert assistierend.
Ich bin gewiß fürs Astrale! Aber was zu viel ist ... ist zu viel!
GEORG
dessen Aufmerksamkeit sich jetzt plötzlich wieder auf die Erscheinung gerichtet hat; ganz erbittert-perplex.
Warum verschwindest du?! Du entschwindest ja!
DIE ERSCHEINUNG
die inzwischen vom Vorhang schon fast verhüllt gewesen, einen Schritt wieder vortretend; den linken Arm hoch erhoben.
Kennst du um meinen linken Arm ... dieses Kettchen?!
UEXKÜLL
der auf diese jähen Worte hin plötzlich bei allen übrigen die größte, bestürzteste Überraschung wahrnimmt.
Was für ein ... »Kettchen?!«
DUFROY
um deutlicher zu sehn, vorgebeugt.
Das ... Kettchen ...
GEORG
die Augen wie starr, das Wort fast aus sich rausschreiend.
Mariettes!!
ONKEL LUDWIG
dem die Laute in der Kehle wieder stecken bleiben.
»Ma ...«?
DUFROY
nach Georg rüber; ganz fassungslos.
Das ... Kettchen ist doch Mariette ...
[484]
GEORG
noch fast wie vorhin; nicht fähig, sich vom Platz zu rühren.
Mitgegeben!!
DIE ERSCHEINUNG
den Arm noch erhoben, mit letztem, boshaftestem, sich sättigendem Triumph.
Noch drei Jahre!!
GEORG
seiner selbst nicht mehr mächtig; jetzt bereits einen Schritt auf sie zu.
Wer ...?
DIE ERSCHEINUNG
drohend-boshaft.
Und ... heute ...
GEORG
noch fassungsloser.
Du ... bist ...
ONKEL LUDWIG
einfallend; mit dem Stock Friedrichs des Großen, diesem höchsten Symbol ehemaliger »Aufklärung«, ergrimmt durch die Luft fuchtelnd und auf den vermeintlichen »Lügengeist« fast damit eindringend.
Das ist kein wahrer Geist! Das ist n Lügengeist! N Lügengeist!
DUFROY
zu Georg, der schon auf dem Podium steht.
Sei nicht feig und reiß zu!!
ONKEL LUDWIG
noch erbitterter.
Du wirst betrogen!!
DIE ERSCHEINUNG
den noch mit sich Ringenden messend.
Wag s!
UEXKÜLL
während sich von neuem, und diesmal noch mächtiger, der Vorhang bläht; ganz verstört-entsetzt.
Das Medium ist nicht mehr da!!
DUFROY
der sofort nach dem Schalter stürzt.
Licht!!
GEORG
die rechte Hand bereits erhoben.
Und wenn wir dran beide ...
MARIANNE
während die Ovale, sämtliche, in vollster Lichtstärke wieder aufflammen und gleichzeitig, fast, wie es scheint, unmittelbar über der Kuppel, der dritte Donner erkracht, mit herabgerissnem Schleier, wankend und schon halb ohnmächtig, in Georgs Armen; mit rührend-herzzerreißender, klagender Stimme.
Georg!!
GEORG
sie, knieend, in seinen Armen haltend; zornigste, erbittertste Überraschung und fast Abscheu in der Stimme.
Marianne!!!
ONKEL LUDWIG
wie halb betäubt und den ganzen Vorgang noch nicht begreifend.
Marianne?
DUFROY
vor dem Podium rechts, während Uexküll links steht; nach einer kleinen, nur sekundenlangen Pause; vom Vorhang auf Marianne blickend und nieder zurück; ganz bestürzt-erschüttert.
Ein ... Rätsel!

Vorhang.

4. Akt

[485] Vierter Akt

Die alte, ehemalige, unverändert erhalten gebliebene Rokokobibliothek. Die Raumverhältnisse sind dieselben wie die des sogenannten »chinesischen Zimmers« im zweiten Akt, mit denselben, abgeschrägten Ecken und derselben, entsprechend abgeschrägten Decke; nur daß sich hier die große, zweiflüglige Tür rechts, und die kleinere, einflüglige links befindet. An den Wänden, die mit einer braunen, goldgepreßten Ledertapete bekleidet sind, überall, wo es der Raum zuläßt, mittelhohe Bücherschränke, auf denen aus Messing allerhand alte, seltsam geformte, astronomische und sonstige Instrumente stehn. Sämtliche Bücher hinter den spiegelnden Glasscheiben, mit Ausnahme einiger mächtiger Schweinslederfolianten, zeigen dieselben, sparsam goldverzierten Maroquinrücken, deren Braun dem Braun der Ledertapete entspricht. In der Mitte des Raums, auf einem großen, pfirsichfarbnen, fast den ganzen sonst grün ausgeschlagenen Boden bedeckenden Perserteppich, unter einer schweren Messingkrone, mit geschweiften Beinen, ein im Verhältnis zu seiner Länge ziemlich schmaler Tisch, hinter dem, auf ebensolchen Beinen, ein großer, pompös thronartig ausladender Sessel steht. Zwei weitere, ähnliche,
etwas bescheidnere Sessel flankieren den Tisch rechts und links. Auf diesem Tisch, außer allerlei Schreibutensilien, rechts ein altes Mikroskop, links ein ebensolcher Konkavspiegel, und über dem Bücherschrank zwischen den beiden Fenstern eine nicht minder alte, ehrwürdige »Kunst-Uhr« mit »Sonne, Mond und Sternen«. Sämtliche Möbel, sowie auch die Bücherschränke und die Türen, alle ans dunklem Polisander, sind in frühem, herbem, fast noch männlich strengem Barock-Rokoko gehalten. Die Seidenbezüge der Sessel, die Vorhänge und die breit zurückgeschlagne Portiere vor der großen Flügeltür rechts von demselben, etwas in Oliv spielendem Grün, wie der Bodenbelag. Die Fenster nach dem Garten zu weit auf. Die Vögel lärmen und, während durch den zerreißenden Wolkenhimmel grade wieder die Sonne bricht, fallen in den gelben Spätnachmittag von den [486] sich kaum noch bewegenden Bäumen die letzten, blinkenden Tropfen. Im Verlauf des Akts färbt sich der Himmel allmählich immer röter und röter, bis zum Schluß, während die Bäume draußen schon schwarz stehn, das ganze Zimmer wie in Blut schwimmt. Gedämpfte Straßenlaute, bald näher, bald ferner, wie im ersten Akt. – Während der Vorhang sich hebt, von nebenan links, angstvoll-klagend verzweifelt, sich stärkst steigernd, die Stimme Mariannes: »Mariette! ...
Mariette!! ... Mariette!!!«.

UEXKÜLL
allein auf der Bühne; gespannt aufhorchend; beide Hände hinter sich gegen den großen Mitteltisch gekrampft; zerquält aufseufzend.

Aaah ...!! Wieder von nebenan die Stimme Dufroys; erregt-zusprechend begütigend: »Ruhe! Ruhe!« Uexküll, da in diesem Moment die Uhr tiefdumpf halb Sieben schlägt, nach ihr zurückgedreht. Seit dreiviertel Stunden! Stimme Mariannes; flehend: »Georg!! ... Georg!!« Stimme Georgs; hart, kalt; »Ja? ... Stimme Mariannes; noch gesteigerter: »Wo bist du denn? Ich seh dich nicht mehr! Warum gibst du mir nicht deine Hand?!« Uexküll, die Augen geschlossen, wie gefoltert. Immer ... wieder!! Stimme Onkel Ludwigs; sich vorwurfsvoll einmischend: »Du mußt doch endlich ...« Stimme Dufroys; empört, fast heftig: »So gib sie ihr doch!« ... Stimme Georgs; unberührt wie vorhin: »Wir sind hier alle bei dir!« ... Stimme Mariannes; ausbrechend: »Nein! Nein!! Ihr ... helft mir ja nicht! Ihr habt mich alle nicht mehr lieb! Ihr ... habt mich ...« – in diesem Moment geht die Tür auf und die Stimme Mariannes klingt noch herzzerreißend-deutlicher – »an sie verraten!!«..

ONKEL LUDWIG
durch die Tür, die er hinter sich schließt, in den Raum fast taumelnd; die Linke noch auf der Klinke, die Rechte gegen seine Seitenbeschwerde gepreßt; Uexkülls Anwesenheit gar nicht bemerkend; halb wie irr und völlig gebrochen.
Das ... ist ... Auto.
UEXKÜLL
zögernd-verlegnes Hüsteln und Räuspern, um Onkel Ludwigs Aufmerksamkeit auf sich zu lenken; unter seinen nichts weniger als freundlichen Blicken beinahe betreten.
Äh ... Hm! ... Verzeihung!
[487]
ONKEL LUDWIG
ganz erstaunt; offen-feindselig; mit beiden Händen auf seinen Stock gestützt.
Da ... sind Sie ja noch!
UEXKÜLL
seinen Ton ignorierend; leicht zu ihm vorgebeugt; schnelles, erregtes, halbes Flüstern.
Hat Herr Professor ... der armen Delirierenden jetzt endlich ...
ONKEL LUDWIG
durch diese offenbare Anteilnahme denn doch etwas berührt; losbrechend; verzweifelte Geste nach der Tür zurück.
Ich ... kann das nich ... mehr aushalten!
UEXKÜLL
der, ohne daß Onkel Ludwig ihm direkt geantwortet, nunmehr vollständig Bescheid weiß, noch gesteigert- heftiger.

Selbst angenommen, einen kurzen, flüchtigen Augenblick angenommen, es hätte sich wirklich um einen Betrug gehandelt ...

ONKEL LUDWIG
vergrämt-kummervoll; wie sich gegen dieses schwere, häßliche Wort eigentlich nur noch als solches auflehnend.
»Betrug«!
UEXKÜLL
in seinem Satz, in dem er unwillkürlich einen Moment lang innegehalten, mit ehrlichster, wirklich empfundner Empörung weiter; Georg an »Herz« jetzt entschieden überlegen.
Wie darf man einer besinnungslosen Kranken ...
ONKEL LUDWIG
ihn unterbrechend; fast schluchzend.
Noch nich mal ... die kleinste Fingerspitze hat er ihr bis jetzt gereicht!
UEXKÜLL
aus aufrichtigster Reue; sich selbst bloßstellend; unvermittelt.
Hätte ich geahnt, daß ich durch meine unglückliche Anteilnahme an dieser improvisierten Sitzung ...
ONKEL LUDWIG
einen Moment, wie plötzlich hellseherisch, in ihm den allein an allem Schuldigen erblickend; zornige, kraftvolle Geste mit der geballten Rechten.

Wären Sie doch nie ... Da Uexküll auf diese Anklage, die ihn bis ins Innerste trifft, nichts erwidern kann; nach einer kleinen Pause; wieder kläglichst; Seitenbeschwerde. Dieser entsetzliche, schreckliche Tag! ... Auf den Sessel links zu, an dessen Lehne er sich während der nächsten Repliken klammert. Wie ist das alles ... überhaupt bloß über uns hereingebrochen?! Auto.

UEXKÜLL
der seine Fassung inzwischen wiedergewonnen; unterdrückt-eifrig; auch jetzt noch, fortwährend, mit einem bedauernden Unterton wahrhafter Reue.

Die ganze Sachlage bei dieser plötzlichen Katastrophe war eine so rätselhaft verworrne, daß ich jetzt offengestanden ... und, wie ich glaube, selbst sogar ... [488] wenn auch nur bis zu einem gewissen Grade, Herr Professor Dufroy ...

ONKEL LUDWIG
auf dieses nachträgliche, noch dazu immer noch halb verklausulierte Zugeständnis gar keinen Wert legend; wieder feindselig.

Was Sie jetzt denken und glauben, oder nich, das ist ja alles ... Abbrechend und entsprechende Geste; dann, hoffnungslos, von neuem. Nachdem das Unglück ... nu mal geschehn ist ...

UEXKÜLL
durch den es bei diesen Worten, während draußen, schrillst, eine Radfahrerklingel ertönt ist, gradezu wie ein Ruck gegangen; halb zu Onkel Ludwig, halb nach der Tür links rüber; gespannt.
Hat Exzellenz ...
ONKEL LUDWIG
aus seinem larmoyanten Jeremiaston mit einmal fast grob-verächtlich.
Exzellenz!
UEXKÜLL
einen Moment ganz perplex; dann noch fragend-dringlicher.
Exzellenz muß sich doch irgendwie bereits geäußert haben!
ONKEL LUDWIG
noch gesteigert; die betreffende Sachlage leider sehr klar überblickend.
In einem solchen ... Fall! Der sich jeder ... Kompetenz ...
UEXKÜLL
nach einem erneut tiefsten Schreck; der jähen Besorgnis, die ihn plötzlich erfüllt, fast wider Willen Ausdruck verleihend.
Es wäre allerdings ... furchtbar ... und für Sie alle einfach gar nicht auszudenken ...
ONKEL LUDWIG
um den sich bei dieser Perspektive das ganze Zimmer zu drehn beginnt; Hand wieder, faßt unbewußt, gegen seine Seitenbeschwerde.
Alles! Alles! Nur ... das nicht! ... Nur ... das nicht!
UEXKÜLL
eiligst auf ihn zu.

Herr Doktor sind ganz ... Mit der Linken den jetzt Wankenden stützend, mit der Rechten ihm schnell den Sessel rückend. Gestatten!

ONKEL LUDWIG
in seinem Sessel zusammengebrochen; nur noch ein hilfloses, trauriges Klümpchen Elend; jammernd-verzweiflungsvollst, halb nach der Tür zurück, Hand noch immer an der Hüfte.
Das liebe, treue Geschöpf! ... Am Rand der Grube! ... Am Rand der Grube!
UEXKÜLL
auf einen kurzen Moment dadurch ebenfalls wieder aus seiner Fassung gebracht; halb nach der Tür links rüber, halb zu Onkel Ludwig; fast mit erhobnen Händen.

[489] Um ... Himmels willen! Um ... alles in der Welt! Ich ... flehe Sie an! Haben Sie Erbarmen! Ich bitte Sie!

ONKEL LUDWIG
der ihn, wie es scheint, überhaupt nicht einmal gehört; mit der geballten Rechten sich reuigst vor die vermeintliche Sünderbrust schlagend; das zweite und dritte Wort stärkst betont.
Durch meine Schuld! ... Durch meine Schuld!
UEXKÜLL
ihn gar nicht verstehend; ganz starr.
Wie können Herr Doktor ...
ONKEL LUDWIG
wie vorhin, nur noch verstärkt.
Durch meine Schuld!
UEXKÜLL
dem angesichts dieser elementaren Zerknirschtheit, so wenig er deren letzten Untergrund auch bereits ahnt, wieder lebhaft das Gewissen schlägt.
Wenn Sie schon ...
ONKEL LUDWIG
in seiner Selbstanklage, durch seine eignen Worte immer erschütterter, weiter.

Der Natur in ihrem Allerheiligsten hinter die purpurnen Falten sehn zu wollen! Während draußen ein plötzlicher Windzug die Äste bewegt und wieder stärker blinkende Tropfen fallen; der Vogellärm schwächer und nur noch vereinzelt. Schon seit ich denken kann! Dieser alberne Vorwitz! Kein Mensch unter diesem Dach wäre ohne mich darauf verfallen, mit solchen Dingen sein freventliches Spiel zu treiben!

UEXKÜLL
erst jetzt ihn begreifend; mit dem lahmen Versuch, ihm sein »freventliches Spiel« auszureden.
Wie ... durften Sie voraussehn ...
ONKEL LUDWIG
über seine Trostworte weg; von neuem sich steigernd.

Trotzdem ich mir sagte ... trotzdem ich ganz genau wußte ... das muß sich ja rächen ... das kann gar nicht gut ablaufen ... Mit seinen Fingerknöcheln den Tisch bearbeitend. Nein! ... Nein!! ... Nochmals; heftigst. Wie gefühllose, grausame Henkersknechte, die ein unschuldges, zum Tode verurteiltes, bejammernswertes Menschenkind torturieren ... haben wir das arme Wesen ...

UEXKÜLL
ihn scheu-unruhig unterbrechend; wieder flackernder Blick nach der Tür links rüber.
Sie martern jetzt nicht ... bloß sich, Sie ...
ONKEL LUDWIG
instinktiv sein Resümee ziehend; bis ins Innerste ergriffen; letzte, verzweifeltste Steigrung.
Wer weiß ... was uns nun ... vielleicht schon die nächsten Stunden ...
UEXKÜLL
wie vorhin; nur noch unruhiger und erregter.

Machen Sie uns doch nicht ... bange! Eine bei all ihrer ... nervösen Zartheit ... [490] so glückliche, jugend-kräftige Konstitution, wie die von Ihrem allergnädigsten, verehrtesten Fräulein Nichte ...

ONKEL LUDWIG
nickend, schwer, noch immer in seinem weinerlichen, selbstquälerischen Ton.

Hab ich in meiner grenzenlos leichtfertigen, oberflächlichen Vertrauensseligkeit immer wieder auch gedacht! Seitenstich. Aber seit heute morgen ...

UEXKÜLL
nervös-ungeduldigst ihn unterbrechend.
Seit heute morgen! Was ist denn seit heute morgen ...?
ONKEL LUDWIG
in seinem Gedankengang, sich wieder steigernd, weiter.

Erst jetzt ... wird mir klar! ... Pferdegetrappel. Schon vor Tau und Tag ... dieser medusische Traum!

UEXKÜLL
hinter diesem für ihn orphisch dunklen Rätselwort vergeblich nach einer Erklärung suchend.
»Me ... dusische ...?«
ONKEL LUDWIG
ohne ihm diese zu geben; von neuem.

Sie ... glauben ja nicht, Sie ... ahnen gar nicht ... wie eine solche seelische ... Duplarexistenz, die mit ihren letzten, feinsten Gefühlsausläufern vermutlich ... oder vielmehr sogar höchstwahrscheinlich, schon ganz fern ... Mit seinen Fingerspitzen, den Blick visionär nach oben gerichtet, sich wie in irgendeine ixte Dimension tastend. irgendwo da im Drüben weilt ...

UEXKÜLL
diesen, wie ihm vorkommt, lediglich »metaphysischen« Beweisgrund denn doch nicht allzu tragisch nehmend.
Diese ... hoffentlich doch wohl nur rein ... theoretische Besorgnis ...
ONKEL LUDWIG
ganz empört-entrüstet.

»Theoretisch??« ... »Theoretisch??« ... Sie haben doch vorhin ... in der Sitzung schon von meinem Neffen ... und mit noch viel schlimmern Worten ... Abbrechend und Georgs vorsichtige Warnung, die er ihm jetzt rekapituliert, in ein kurzes, wirksamstes Entweder-Oder pressend. »Tod oder Wahnsinn! ... Wahnsinn oder ...Tod!« Nochmals, und zwar noch weit reuig-zerknirschter als vorhin, seine Brust bearbeitend. Mea culpa! ... Mea culpa! ... Mea maxima culpa!!

UEXKÜLL
wieder zerquält-flackernder Blick nach links rüber, während verhältnismäßig ganz nah, hell, hoch und mißtönig, ein Auto tutet.
Sie stecken mich mit Ihrer Verzweiflung ...
ONKEL LUDWIG
nach einer kleinen Pause, in der er sich von seinem Paroxysmus etwas erholt hat; elegisch auf ein andres Thema gleitend.

Alles ... was sie mir an den Augen hat absehn können ... hat [491] sie mir von jenem ersten, schönen Tag an ... Vage Geste schräg nach dem Zuschauerraum; wieder Luftzug und blinkende Tropfen; der Vogellärm einen Moment ganz verstummt. wo sie mich unter der alten Ulme draußen ... in ihrer freundlich sanften, anmutigen Art ... verschmitzt in dies Haus lockte ... Mariannes Art von damals imitierend. »Guten Tag, Onkel!« ... »Onkel?« Wieder in ihrer Art. »Onkelchen!« ... Immer gerührter; die damalige Situation unwillkürlich wie malende Geste. Ein großes, schmuckes, prachtvollstes Mädchen, das mir altem Mann ... Abbrechend und wieder entsprechende Geste. Ich bin erst gar nicht wieder nach meinem Asyl zurückgekehrt! Uexküll groß- kläglich anstarrend. Und nu? ... Wieder nach der Tür zurück; sich beschwerend- hilflosester Jammer. Wie hätte man sich bloß einfallen lassen können, daß aus solchem Munde ...

UEXKÜLL
sich zusammenraffend, energisch; Vogellärm wieder stärker.

Sie dürfen das Medium nicht mit seiner ... Einen Moment stockend, dann aber doch den ihm bis dahin fremd gewesnen, wahrscheinlich in der Zwischenzeit irgendwie von ihm aufgeschnappten terminus technicus anstandslos über die Lippen bringend. Exteriorisation verwechseln!

ONKEL LUDWIG
plötzlich, unter einer erneut-heftigen Seitenbeschwerde, unvermittelt ausbrechend.
Achtzig Jahre Vorbereitung hatt ich mir gedacht! Achtzig Jahre Vorbereitung! »Mein System!«
UEXKÜLL
ihn ganz erschreckt-verständnislos anstarrend.
Pardon! Herr Doktor belieben?
ONKEL LUDWIG
in seiner Threnodie, noch verstärkt, weiter.

Zehn ... noch von mir selbst auserwählte und zu meiner Lehre heraufgeläuterte Adepten sollten hier die junge, heranwachsende Ephebenwelt, männliche sowohl, wie weibliche ... Abbrechend; wieder fast schluchzend.

UEXKÜLL
dem damit endlich ein Licht aufgegangen.

Ach ja, so! Eifrigst und, um ihn nach Möglichkeit wieder zu beruhigen, einen Augenblick sogar fast devot. Ihr projektiertes, großes, okkultwissenschaftliches Prytanäum! Durch die letzten Geschehnisse, soweit ich dies überblicken kann, steht doch dessen hoffentlich baldiger Errichtung ...

[492]
ONKEL LUDWIG
den Kopf in die Rechte gestützt; klagendst-schmerzerstickt; wie sich noch nachträglich gegen dieses Entsetzenswort, das in seine Seele wie ein Blitz geschlagen und ihm mit eins alle Hoffnungen geraubt, wehrend.
Karzinom hat sie gesagt! ... Karzinom!!
UEXKÜLL
mitleidig-verweisender, fast wieder energischer Tonfall.
Sie sollten solchen unkontrollierbaren Phantasmen ...
ONKEL LUDWIG
mit beiden Händen wie nach dem betreffenden Unheilszentrum an sich herumsuchend; Vogellärm schwächer.
Lungen-, Magen- oder Leberkrebs!
UEXKÜLL
in diesem Augenblick, wie durch irgend etwas beunruhigt oder erschreckt, nach der Tür links lauschend.
Es ist da ... Stockend. schon seit einer ganzen, geraumen Weile ...
ONKEL LUDWIG
ihn gar nicht beachtend; noch immer wie vorhin; plötzlich, infolge einer neuen Attacke, mit der Rechten den Sitz des Übels findend, während die Linke in heftigstem Schmerz sich leise vom Körper wegkrampft.
Irgend-wo hier! Irgend-wo!
UEXKÜLL
der überhaupt nicht nach ihm hingeblickt; noch ganz Ohr nach links, seinen Satz beendend.
So auffällig still ...?
ONKEL LUDWIG
trübtümplich vor sich hin.

Das ist also jetzt nu ... von meinem bißchen ahasverischen Winkeldasein ... das schwere ... schwarze ...

UEXKÜLL
fast ungeduldig wieder nach ihm zurück.
Gott, Sie ... müssen natürlich nicht gleich ...
ONKEL LUDWIG
greinender Tonfall; nun schon gradezu kindisch.

Über-all bin ich gewesen! ... Über-all! ... Auch auf der Insel Majorka! ... Sechs Wochen lang war ich dort! Sechs Wochen! Aber so etwas ... so etwas habe ich doch noch nie ... noch nie habe ich so etwas erlebt!

UEXKÜLL
durch sein Elend gepackt; jetzt wieder ganz mit ihm empfindend; ehrlichste, aufrichtigste, teilnahmsvollste Entrüstung.
Jener brutale, jähe, durch nichts motivierte Ausbruch gegen Sie war ein so exzessiv häßlicher ...
ONKEL LUDWIG
naiv-kläglich.
Ich bin doch noch nich ... so alt? ... Methusalem war dreidausend!Dunkler, langgezogner Autoton.
UEXKÜLL
der nun auch schon kaum noch weiß, was er zu ihm spricht; wieder Ohr links.
Als Alter höchst achtbar, aber ... ich bin überzeugt ...
[493]
ONKEL LUDWIG
zusammenschaudernd; fast wie in bereits wirklicher Todesangst.
Schon jetzt in so n ... Kasten ...?!
UEXKÜLL
sich wieder zusammennehmend; tröstender, scheinbar überzeugtester Tonfall.
Ich sehe Sie in blühendster Gesundheit!
ONKEL LUDWIG
wieder etwas zu sich gekommen; skeptisch-wehmütiges Kopfwackeln; aber sich dabei doch mit gewissen Innenbezirken an diese Behauptung, wie an einen letzten Strohhalm klammernd; höchste Sprechlage.
Blühend? ... Blühend?! ... Nu, grade so ... blühend ...
UEXKÜLL
ähnlich wie vorhin; nur jetzt schon fast zurechtweisend-vorwurfsvoll.

Wenn Sie aber solchen nichtigen ... irrelevanten Verbalien auch nur die geringste Bedeutung beimessen ...

ONKEL LUDWIG
gegen diese angeblich »nichtigen, irrelevanten« sich denn doch kräftigst zur Wehr setzend; wieder dabei halb nach der Tür links zurück; mahnend-bedenklichst.

Haben Sie vorhin gehört? ... Mariannes Angst- und Schmerzensrufe, soweit ihm das möglich ist, »reproduzierend«. »Mariette?« ... »Mariette?!« ... »Mariette?!!«

UEXKÜLL
wieder gequält flackernder Blick nach der Tür links rüber; mit stärkstem, ehrlichstem Empfinden; verhalten-erregt; zuletzt die Hände unwillkürlich geballt und die Augen eine Sekunde lang krampfhaft geschlossen.

Die beklemmende, fortwährende Immerwiederkehr dieser unheimlich schreckhaften Fieberphantasie hier so tatlos mit anhören zu müssen, war für mich von einer Qual ...

ONKEL LUDWIG
naiv und dabei doch, wie aus einem innersten Grauen; sich diese Frage in diesem Moment, wenigstens in dieser bewußten Klarheit und Deutlichkeit, zum erstenmal selbst vorlegend.

Sollte jene ... ich möchte jetzt beinah fast sagen, mir zum Glück und gottlob unbekannt gebliebne Verstorbne wirklich ...

UEXKÜLL
ihn, ganz erschreckt, unterbrechend; seine so über alles ungeheuerliche Annahme noch gar nicht fassend.

Sie werden doch hoffentlich ... nicht sich und mir ... einreden wollen, daß dies infernalische Phantom ... mit jener armen, beklagenswerten Toten ...

ONKEL LUDWIG
ausholend; in sein »Problem« sich »vertiefend«; wieder der schwarze Pluto von heute morgen.

Eine Seele, eine verirrte, [494] schuldbeladne, menschliche Seele, die sich unter so traurigen Entsetzensumständen ...

UEXKÜLL
scheu-unbehaglich-betreten; ihn nochmals unterbrechend.
Wollen wir nicht lieber ...
ONKEL LUDWIG
in seinem Satz und seiner Beweisführung unbeirrt weiter.

Wie das ja nu leider wahrhaftig und tatsächlich der Fall gewesen zu sein scheint ... selbst abberufen hat ...

UEXKÜLL
wieder mit dem Versuch, ihn von der Erörterung dieses ihm entsetzlichen Themas abzubringen; gegen sein eignes, bessres Wissen und Gewissen.
Es steht doch noch keineswegs fest ...
ONKEL LUDWIG
an seinem Gedanken und seinem Satz hartnäckigst festhaltend; in Ton und Geste mit wachsender Bestimmtheit; Vogellärm lebhafter.

Eine solche anima poenitens muß ja normaliter zwischen Himmel und Erde als so n dunkler, trostloser, unheilbringender Truggeist ...

UEXKÜLL
der sich jetzt anders gar nicht mehr zu helfen weiß; mit bittend kreuzweis ineinander gefalteten Händen.
Aber liebster, bester, teuerster Herr Doktor!
ONKEL LUDWIG
von seinem Einspruch unberührt; mit neuem, steigendem Ingrimm.
Und an dieses ... Gespenst ... an diese spukende Medea ...
UEXKÜLL
ihn ganz verständnislos anstarrend; stärkst fragender Tonfall.
»Me-dea?«
ONKEL LUDWIG
ihn gar nicht hörend; in seinem »Entsetzens-Monolog«, noch gesteigert, weiter.

Die es immer wieder an die Stätte ihrer Untat zurückzieht ... an diese abscheuliche, lamienhafte Empuse ...

UEXKÜLL
sich den Kopf haltend.
Mein Gott!
ONKEL LUDWIG
durch diesen schon halb verzweifelten Zwischenruf kaum unterbrochen, in seinem Satz weiter; sich wieder, wenn auch nicht mehr so heftig, vor die Brust schlagend; herzrührender Altermannskummer.

Hatte ich, in der ungestillten Sehnsucht meiner alten, bescheiden gewordnen Tage, das letzte Stückchen Jugendherz, das mir noch verblieben war ...

UEXKÜLL
jetzt endlich zu Wort kommend; hastig, gedämpft-erregt; sich fast überstürzend.

Eine Tote! Ich bitte Sie! Wie kann eine Tote ... Selbst die Grenzen alles Möglichen noch so weit gesteckt! [495] Eine Tote, die durch die Kraft von Lebenden, unter bestimmten Voraussetzungen, also fast beinah nach Belieben, in ihre frühere Existenzform jederzeit wieder zurückbeschworen werden kann ... schon eine solche Annahme ...

ONKEL LUDWIG
naivst-phantastisch; von der Wahrheit seiner Behauptungen und der Unumstößlichkeit seiner Logik »dhawalagirihaft überzeugt«.

Sieben Leben hat der Mensch! Nach Theophrast sogar siebenundsiebzig! Es ist also gradezu absolut evident und wahrscheinlich, um nicht zu sagen unwiderlegbar, daß Abgeschiedne in den installierenden Vor-, Nach- und Zwischenzeiten ...

UEXKÜLL
ihn nun denn doch wieder unterbrechend; wenn auch aus Vorsicht seiner Zurückweisung die für ihn denkbar schmeichelhafteste Form gebend.

Diese ... Beweisführung ... trotz all ihrer nicht abzuweisenden, unbezweifelbaren Kühnheit ... scheint mir eine so vage ...

ONKEL LUDWIG
durch diese immerhin Anerkennung wenigstens nicht gradezu verletzt; erst jetzt, wie er deutlich fühlt, seinen eigentlichen Trumpf ausspielend; Uexküll dabei fragendst-herausfordernd anblickend.
Und das ... Kettchen? Das ... Kettchen??
UEXKÜLL
der nun das Thema damit endgültig zu erledigen glaubt; schnellster, nervös-abfertigender Redefluß.

Ich ahne nicht, ich ... bin nicht darüber orientiert, was es mit ihm noch für eine besondre, speziellere Bewandtnis hat, aber es war sofort, als wir im Saal nach ihm suchten, spurlos verschwunden, es kann also nur, um mich hier einen Moment der konzis wissenschaftlichen Ausdrucksweise von Herrn Professor Dufroy zu bedienen, eine Art »assoziativer Augentäuschung« gewesen sein!

ONKEL LUDWIG
empört-aufgebrachte, rebellierende Geste.
»Augentäuschung!« »Augentäuschung!«
UEXKÜLL
Augen und Ohren wieder nach links, als erwarte er, ähnlich wie bereits wiederholt, daß von dorther etwas geschähe.
Nichts ... rührt sich!
ONKEL LUDWIG
jetzt auf einmal wieder höchst »vernünftig«; mit den entsprechenden, symbolisierenden Gesten; Vogellärm verstummt, ans den Bäumen von neuem blinkende Tropfen.

Wenn mein kluger Herr Bruder mit seinem normalen, leiblich irdischen Trommelfell [496] transterrestrische, sphärische Klänge vernimmt ... »Gehörshalluzination!« ... Vernehmen wir sie gleichzeitig auch ... »Massenhypnose!« ... Kann ich ebensogut sagen, wenn er sich zufällig ... aus Versehn in den Finger schneidet ... Seitenstich. »Gefühlsautosuggestion!«

UEXKÜLL
noch wie vorhin.
Auch nicht der leiseste ... Ton mehr!
ONKEL LUDWIG
auf Uexkülls Anspannung nach links hin, auch jetzt wieder, gar nicht reagierend; in seinem, wie er davon durchdrungen ist, berechtigten Beschwerdeausbruch weiter.

Die einfachen, schlichten Wahrnehmungen und Apperzeptionen unsrer menschlichen fünf Sinne sind und müssen uns doch schließlich in dieser Welt des sensuellen Scheins die wenn auch nicht einzigen und unbedingt verläßlichen, so doch immerhin vorwiegenden und präponderierenden Kriterien bleiben!

UEXKÜLL
der überhaupt gar nicht auf ihn gehört hat; noch immer nach der Tür links rüber.
Gott sei Dank ... scheint jetzt wenigstens die erste Krisis ...
ONKEL LUDWIG
angesichts seiner Teilnahmlosigkeit für »diese, wie man sich doch sagen muß, mit höchsten Dinge«, auf ein andres Thema.

Da hatten wir uns so kummervoll bemüht ... fast drei ganze, volle, ausgeschlagne Jahre lang ... und nun ... hat mit einem einzgen, tückischen Schlag ...Auto. eine böse Macht ...

UEXKÜLL
wieder jetzt zusprechend-eifrigst; ja, durch sein gänzlich gewandeltes Empfinden hingerissen, einen Augenblick bereits fast etwas zu voreilig-unvorsichtig.

Es wird sich ja alles entwirren! Sie dürfen versichert sein, daß bei dem ganz außerordentlichen, ungemein starken, innerlichen Anteil ... den ich jetzt an dem Geschick Ihres ... aller-gnädigsten Fräulein Nichte nehme ...

ONKEL LUDWIG
aufhorchend-verwundert.
Wie meinen?
UEXKÜLL
sich schnell geschickt korrigierend; dabei aber doch, unwillkürlich, ein wenig stockend.
Mein Respekt ... ist ein so aufrichtiger und warmer ... meine Hochachtung ...
ONKEL LUDWIG
ihn mißtrauisch messend; ganz erstaunt-feindselig.

Auf ein mal? ... Kopfbewegung nach der großen Flügeltür rechts. Nachdem Sie doch vorher drüben ... Jetzt schon fast grob. die ganze Zeit über ...

UEXKÜLL
seinen Ton überhörend; zuerst sich noch sammelnd, dann aber [497] mit steigender Wärme und Sicherheit, so daß man fühlt, daß sein Bekenntnis ihm »Herzensbedürfnis« ist.

Ich glaube, ich fürchte, ich bin gradezu fest davon überzeugt, ich habe Ihrem Fräulein Nichte, aus einem schwersten, bösen, verhängnisvollen Irrtum heraus, das denkbar bitterste Unrecht getan! Die Phänomene, die wir gesehn haben, mögen den strengen Anfordrungen, wie sie von Herrn Professor gewiß mit Recht gestellt werden, diesmal nicht ganz entsprochen haben; ihre Gesamtheit, wenigstens für mein Empfinden, war eine sich schließlich so überwältigend steigernde ...

ONKEL LUDWIG
der kaum seinen Ohren traut.
Sie sind jetzt ... überzeugt?
UEXKÜLL
wie vorhin; in seiner freiwilligen Rückzugserklärung weiter.

So weit ich als Laie ... Hätten Sie diese letzte Sitzung nicht leider unter so erschwerend verwirrenden, ja Ihnen zum Teil sogar einfach von uns gradezu aufgezwungnen Umständen abgehalten, ich bin jetzt rückhaltlos davon durchdrungen ...

ONKEL LUDWIG
sich in Positur setzend; einen Moment jetzt wieder ganz der Ursprüngliche und Alte.

So vernünftig und den Realien Rechnung tragend denken und urteilen Sie! Ergrimmt-heftige Nickbewegungen nach der Tür links zurück. Und er ... er ... der doch schon von unserm allerersten, primärsten, frühsten Versuch ab, wie aus einer ganz besonders hohen, ihm expreß vorbestimmten, prädestinierten Gnade heraus, sofort und a tempo die wunderbarsten, zwingendsten Jenseitszeugnisse, Offenbarungstipps und Testbeweise erhielt ...Noch gesteigert. er ...

UEXKÜLL
in sein empörtes Abbrechen; warm; Georgs Handlungsweise unverhohlen mißbilligend.

Es ist mir, ehrlich gesagt, absolut unverständlich, wie Herr Professor jetzt wegen eines einzigen solchen Faktums ...

ONKEL LUDWIG
in dem alles, was er nach dieser Richtung in den letzten dreiviertel Stunden miterlebt hat, wieder hochsteigt; erneute Seitenbeschwerde.
Der ist ja heute ganz ...
UEXKÜLL
von neuem, unwillkürlich, lauschend-besorgt, nach links rüber.
Wenn nur nicht wieder ...
ONKEL LUDWIG
immer polternd-ergrimmter; die Vögel lärmen.

Erst weigert er sich, die doch vor allem eigentlich mit durch sein Hauptverschulden in Ohnmacht Gefallne hierher rüberzutragen, und[498] läuft dann noch obendrein, kaum daß Sie sich seines fast schon halb hingemordeten, bejammernswerten Opfers erbarmt hatten, man weiß gar nicht mal, wohin, weg ... und jetzt ...

UEXKÜLL
ihm, jetzt ebenfalls aufs höchste erregt, ins Wort fallend.

Das ginge ja noch! Das täte nichts! Das wäre vielleicht alles nicht so schlimm gewesen! Aber die Worte ... diese häßlichen Worte, als ich die Hilflose ... Abbrechend; wie schon von seiner bloßen Erinnrung an diese Worte wieder aufs Lebhafteste degoutiert. Ich verspürte ordentlich, wie Exzellenz ...

ONKEL LUDWIG
empört-aufgebracht-fragende Geste; absolut verständnislos.
»Weib bleibt Weib! Eine, wie die andre!« Was das nu heißen soll?
UEXKÜLL
der die von Onkel Ludwig zitierten Zornworte Georgs sofort und sehr wohl begriffen hatte; unwillkürlich etwas geniert auf und ab; Auto.

Herr Professor mag, nach gewissen Richtungen, meinethalb noch so Trübes erlebt haben, das berechtigt ihn doch noch nicht ...

ONKEL LUDWIG
von neuem nach der Tür links zurück.
Das s ja kein Mensch, das ist n Stein!
UEXKÜLL
stehngeblieben, ähnlich; wie überhaupt bei allen beiden, auch an Stellen, wo dies nicht immer besonders angemerkt steht, die Tür links während dieser ganzen Szene, deren gesamter Ton ein nach Möglichkeit verhalten-gedämpfter ist, gewissermaßen die Rolle einer dritten, stummen Person spielt; mit steigender, innrer Angst und Besorgnis.

Selbst den nun wohl zu erwartenden, hoffentlichen Fall gesetzt, daß die, wie es zum Glück scheint, jetzt in einen ruhigen, wohltätigen Schlaf Verfallne, allen Ihren vorhin geäußerten Befürchtungen zum Trotz, zu klarem, ungetrübtem Bewußtsein wieder aufwacht, man ... zittert beinah, einen ... überläuft s, wenn man daran denkt, was daraus werden soll, wenn erst Herr Professor ...

ONKEL LUDWIG
der ihm solange aufmerksam, wenn auch zuletzt keineswegs mehr allzu besonders beifällig, zugehört hat; großväterlich-biderber, »sich in die Brust werfender« Tonfall; entsprechende, unterstützende Gesten.

Ja nu sei'n wir doch aber auch mal gerecht! Kann man dem armen Jungen seine tüchtge Portion Aufgebrachtheit schließlich so ganz und gar verdenken? Diese [499] gräuliche, gräßliche Geschichte mit diesem eigentlich ja nu schon gar nicht mehr zweifelhaften Schleier ...?!

UEXKÜLL
der sich inzwischen, schon nach den ersten Worten Onkel Ludwigs, wieder in Bewegung gesetzt hatte; nervös-hastig; ohne ihn dabei anzublicken.
Diese eine Täuschung ... besagt doch noch keineswegs ...
ONKEL LUDWIG
ganz »desolat«-ratlos; wieder mit einem entsprechenden Blick nach der Tür links.

Das gute Kind hatte uns bis dahin noch nie auch nur den leisesten Anlaß zu irgend einem Verdacht gegeben!

UEXKÜLL
vergeblich ebenfalls nach einer »Erklärung« suchend; ähnlich wie vorhin; nur noch mit verstärkt »bösem Gewissen«.

Ich kann mir nur denken, daß die einen Moment wie halb Bewußtlose in einem Anfall ... ich will ja natürlich nicht gleich grade sagen Wahnsinn, aber ... Abbrechend und sofort wieder weiter. Jedenfalls von einem ... mit Absicht überlegten, vorbedachten Handeln ...

ONKEL LUDWIG
in seiner Rolle als »advocatus diaboli« wider Willen instinktsicher, mit sehr berechtigter Logik und ihn fast direkt inquirierend, fortfahrend; Vogellaute nur noch vereinzelt.

Das arme Ding ... ich frage mich nur ... muß doch bei seinem törichten, unbesonnenen Handstreich, und mag sie in jenem Augenblick meinetwegen auch noch so somnambul gewesen sein, irgend einen Grund oder Zweck gehabt haben! »Erkennst du ihn? Erkennst du ihn wieder? Du hast ihn schon einmal gesehn!« Das kann doch nicht bloß so ...Heftiger Seitenstich. Da muß doch was dahinter stecken!

UEXKÜLL
der seine Sicherheit jetzt voll wiedergewonnen; sich geschickt verteidigend.

Genau so viel, oder wenn Sie wollen, so wenig, wie, von allen übrigen Lieblichkeiten im Moment abgesehn, hinter dem, zwischen Herrn Professor und mir ... mit einer so sonderbaren Bestimmtheit prophezeiten Duell! ... Plötzlich wieder nach ihm zurückgedreht. Oder glauben Herr Doktor noch immer ernsthaft, daß ich bereits morgen früh, Auto. und zwar bevor die Sonne voll aufgegangen sein wird ... Auto; noch näher und heftiger; drei Laute.

ONKEL LUDWIG
hartnäckig; noch immer keineswegs beruhigt.
Aber doch wenigstens [500] mein Neffe ... ich weiß nich ... wenigstens mein Neffe muß doch irgendwie ...
UEXKÜLL
auch diesen erneuten Angriff, jetzt womöglich noch selbstsichrer, abschlagend.

Da Herr Professor, Kopfbewegung nach der Tür links rüber, aus der hervorgeht, daß »Exzellenz« das nicht hier in diesem Raum getan. als Exzellenz mich vorhin bat, Korrespondierend nach der Tür rechts rüber. nach ihm auszuschauen, Achselzucken. auf seine gewünschte »kleine Unterredung« mit mir bereits verzichtet hat ...

ONKEL LUDWIG
dem das ganz neu ist; perplex zu ihm hoch.
Hä?
UEXKÜLL
die betreffende, kleine Szene noch präzisierender, in seinem Satz weiter.

Unter einem allerdings zwar kurzen, aber höflichen Ausdruck des Bedauerns, wüßte ich jetzt beim besten Willen wirklich nicht ...

ONKEL LUDWIG
unwillig polternd und überflüssig laut, so daß man die Empfindung hat, das Gesprochne, wenigstens fetzenweis, muß jetzt deut lich nebenan gehört werden.

Aus dem Menschen ist nich klug zu werden! Kaum daß er Sie vor circiter drei Stunden zum erstenmal in seinem Leben sieht, tut er, als ob Sie aus, weiß der liebe Himmel, welchen mysteriösen Gründen, Radfahrer. sein erklärter Todfeind wären, als ob Sie ihm in diesem, oder meinethalb in irgend einem Vorleben ...

UEXKÜLL
um so vorsichtig-gedämpfter.

Durch diese unvermutete ... man kann ja natürlich gewiß nicht sagen »Entlarvung«, aber doch immerhin ...Erneut stärkerer Luftzug und fallende Tropfen. hat Herr Professor sich eben überführt ...

ONKEL LUDWIG
ihm halb verwundert, halb mißtrauisch ins Gesicht blickend; nervös-ungeduldiges Trommeltremulando auf der Tischplatte; letztes »ja« stärkst betont.
Nu ja, ja, ja, ja, aber ... e ...
UEXKÜLL
der die neugierig-indiskrete Frage, die nun kommen soll, bereits errät; wieder nach der Tür links rüber, in der Hoffnung, ihn dadurch abzulenken.
Diese beängstigende, drückende Stille da nebenan ...!
ONKEL LUDWIG
mitleidslos »deutlicher« werdend; zuletzt sogar entsprechende, nicht mißzuverstehende Kopfbewegung nach der Tür rechts rüber.
Und nu? ... Und nu? ... Wir dachten doch ... daß Sie inzwischen ...
[501]
UEXKÜLL
wie vorhin; mit dem nochmaligen Versuch, seine so überaus zarte, kleine Frage zu überhören.
Hier so zu ... warten und warten ...!
ONKEL LUDWIG
grausamst-direkt, seinen Ausweichversuchen ein Ende machend.
Da Sie Ihre »kleine Unterredung« mit Herrn Professor hier bereits absolviert hatten?
UEXKÜLL
»Reineke im Tellereisen«, unbehaglichst.

Herr Doktor setzen mich durch Ihre direkte, wiederholte ... ich möchte wirklich beinah sagen, etwas unbarmherzige Anfrage ...

ONKEL LUDWIG
dessen Neugierde den Siedepunkt erreicht hat; wieder ziemlich ungeniert- laut.
Larifari! Alte Kriegskameraden, wie wir?!
UEXKÜLL
von neuem um so diskret-gedämpfter; verlegen-unruhigst dabei nochmals nach der Tür links rüber; ausholend.

Ich weiß und gebe Ihnen selbstverständlich zu, daß ich eigentlich von rechtswegen schon längst, aber ...

ONKEL LUDWIG
drängend-gespannt.
Aber?
UEXKÜLL
nachdem er jetzt innerlich seinen Entschluß gefaßt, in seinem Satz, mit verhaltner Leidenschaftlichkeit, weiter.

Aber der große ... mich bezwingende, seelische Eindruck, den das Wesen ... und überhaupt ... die ganze Erscheinung Ihres allergnädigsten Fräulein Nichte ...

ONKEL LUDWIG
dessen Augen bei dieser ihm völlig unerwartet gekommnen Eröffnung immer größer geworden; in seinem Sessel halb aufgerichtet; Uexküll wie entgeistert anstarrend, stärkst.
Wie?!?
UEXKÜLL
in seiner »Erklärung«, so wenig ihm diese auch im Moment leicht fällt, fortfahrend.

So sehr ... meine Freiheit ... wie Sie wissen ... mir bisher als das Höchste schien! Auch der Verstockteste ...

ONKEL LUDWIG
wie vorhin; kaum fähig, sein Erstaunen in Worte zu fassen.
Sie? Ausgerechnet, absolut ausgerechnet grade Sie?
UEXKÜLL
der die starke Berechtigung dieser Frage sehr wohl selbst spürt; nicht ganz sicher.
Das mag auf den ersten Anschein ...
ONKEL LUDWIG
erst jetzt seinen Satz, fast entrüstet-verblüfft, schließend.
Sie und unser gelehrter, graduierter, weiblicher Exdozent der Chemie an der Universität Genf?
UEXKÜLL
von neuem ausholend; mit dem Versuch, der Situation wieder Herr zu werden.

So sonderbar, ja, fast so unsinnig diese vielleicht [502] noch durch nichts gerechtfertigte Hoffnung, der ich mich im Moment hingebe, Sie auch, wie ich sehe, berührt ...

ONKEL LUDWIG
ihm nichts weniger als wohlgeneigt; unzufrieden-abweisend.
Was Sie mir schließlich ...
UEXKÜLL
in seinem Satz, über Onkel Ludwigs Widerborstigkeit hinweg, mit sich steigerndem Selbstbewußtsein weiter.

Die schon von allem Anfang an ganz zweifellos etwas eigenartig, um nicht gradezu zu sagen eigentümlich gewesne Position und Stellung der jungen Dame in diesem Hause kommt mir durch die letzten Ereignisse, die ich unter diesem Gesichtspunkt eigentlich fast eher erfreuliche, als beklagenswerte nennen möchte, so befreiend erschüttert vor ... Plötzlich abbrechend, da von nebenan Stimmengeräusch hörbar wird; Georg: gereizt-heftigst: »Wenn du willst, sofort!« Dufroy; sehr kühl: »Es genügt mir ...« Georg; der ihn nicht ausreden läßt; wie vorhin: »Also jedenfalls noch heute abend.« Dufroy; noch gelassner: »Einverstanden!« Georg; das offenbar ziemlich scharf gewesne Geplänkel nicht grade als Sieger schließend: »Abgemacht!«..

ONKEL LUDWIG
der sich sofort, schon bei den ersten Worten, in seinem Sessel nach der Tür links gedreht hatte; lebhaft interessiert-beunruhigt.
Die ... scheinen sich ja da ... mit einmal gründlich ...
GEORG
schon von der Tür aus, noch während er diese hinter sich schließt, zu Uexküll rüber; üblicher, kurz trocken-sachlicher Tonfall.
Gut, daß Sie noch da sind!
UEXKÜLL
der noch nicht ahnt, wie er sich diese ihn eigentlich ziemlich überraschenden Worte deuten soll; nahezu in der Mitte der Bühne, etwas nach rechts; beeilt-höflich.
Es war von mir etwas aufdringlich, und ich bitte vielmals ...
GEORG
der seinen gewohnten, nervös unruhigen Pendelgang, diesmal längs der Seitenwand links, bereits aufgenommen; noch ähnlich wie vorhin; nur, durch die gesellschaftlich tadellose Art Uexkülls wider Willen gereizt, schon mit einem beginnenden, leisen Unterton ins Ironisch-Persönliche.

Sehr höflich und liebenswürdig! Aber ich hätte jetzt sogar gradezu bedauert ... An der Tür, gegen die er fast sein Ohr hält, ins Nebenzimmer zurücklauschend; kleine Pause; Auto. Nein! ... Nichts! ... Seinen Gang, jetzt bis nach den beiden offnen Fenstern hin, wieder [503] aufnehmend. Um so erfreulicher! ... Tonfall plötzlich unverhüllt spitz- ironisch. Ich fand übrigens, Sie konversierten mit Herrn Doktor Brodersen zum Teil recht lebhaft!

ONKEL LUDWIG
pikiert sich zur Wehr setzend; nach einem schnellen Blick zu Uexküll rüber, der, neben den Tisch rechts getreten, stumm, eine fast wie hilflos achselzuckende Geste macht.
Was wir gesprochen haben ...
GEORG
ihn bissig unterbrechend und seinen Satz schließend.

Konnte jeder und so weiter! Gewiß! Selbstverständlich! In seinem Sarkasmus mit jedem seiner kurzen Sätze sich noch steigernd; Uexküll, der sich diesen seinen neuen Wiederumschlag vergeblich zu erklären versucht, verschiedentlich dabei fixierend. Nahm und nehme ich auch gar nicht anders an! Sie dürfen ganz unbesorgt sein! Außerdem standen ja auch wohl in den entscheidenden Momenten hier schließlich regelmäßig die Fenster auf! Vogellärm von neuem lebhafter.

ONKEL LUDWIG
von einem zum andern rüber; durch Georgs Ton zu dieser Fragestellung gradezu herausgefordert.
Hast du gegen Herrn Baron ...?
UEXKÜLL
peinlichst berührt; ähnlich wie Onkel Ludwig; nun auch seinerseits notgedrungen ein Fühlhorn ausstreckend.
Sollte noch vielleicht irgendein Punkt ...
GEORG
der von der Betroffenheit beider mit innerlich triumphierendem Hohn Notiz genommen.

Grade darum handelt es sich! Nach einem schnellen Blick auf die Uhr zwischen den beiden Fenstern; wieder sich verändernder Tonfall; kalte, an sich haltende Wut; zuletzt nur noch mühsam und schließlich abbrechend. Ich verlasse Berlin in fünf Stunden neun Minuten auf immer, und da wäre es mir vorher doch lieb ...

ONKEL LUDWIG
ganz betroffen-perplex; trotz aller prinzipiellen Temperamentsgegnerschaft, die zwischen ihm und Georg schon von jeher bestanden, durch diese plötzliche Botschaft, die ihn völlig unvorbereitet überrumpelt hat, mit aufrichtigstem und ehrlichstem Bedauern erfüllt.
Du ... verläßt ...?
GEORG
auf diesen heimlichen »Herzenston«, so durchaus er ihn auch gehört, aus seiner momentanen Stimmung heraus nichts weniger als reagierend; ja, sogar eher fast gradezu grausam-brutal.
[504] Lieber Onkel ... ich achte und ehre deinen Schmerz, aber ... bitte, weine nicht!
ONKEL LUDWIG
in berechtigtster Empörung zunächst zu Uexküll rüber.
Haben Sie ... gehört?
UEXKÜLL
auf den diese Nachricht ganz anders gewirkt; über Onkel Ludwigs Beschwerde hinweg; allervorsichtigst sondierend.
Dürften ... Verzeihung, gegen Ihren überraschenden Entschluß ... nicht allein schon Exzellenz ...
ONKEL LUDWIG
wie vorhin; nur noch gesteigert und jetzt ebenfalls zu Georg.
Wenigstens vor meinen weißen Haaren »Knax«. solltest du doch noch ...
GEORG
der ihn einer Antwort überhaupt gar nicht würdigt; schneidendst-wegwerfend-eisig.

Ich habe mich mit dem Herrn Wirklichen Geheimen Oberregierungsrat eben verständigt, und diese endliche und, wie ich Gott sei Dank das tröstende Gefühl habe, für sämtliche dabei direkt oder indirekt Beteiligten gleich angenehme Dislozierung, die übrigens, nebenbei bemerkt, meine Absicht schon seit längerem war, erfolgt, oder vielmehr wird jetzt sogar auf seinen eignen, ausdrücklichen, allerhöchst-persönlichsten Wunsch erfolgen!

ONKEL LUDWIG
nicht ohne eine gewisse, innre Genugtuung jetzt an ihm »sein Mütchen« kühlend.

Kann ich ... und zwar vollkommen verstehn und begreifen! Kopfbewegung nach der großen Flügeltür rechts, die in den Gartensaal führt, aus dem man dann ins Musikzimmer gelangt. Nachdem du ihn erst vorhin drüben, als Mensch und als Vater ...

GEORG
brüsk-harter Stimmklang; alles übrige ihm damit abschneidend; dann wieder zu Uexküll rüber, der jetzt hinter dem Sessel rechts steht, an dessen geschnitzter Rücklehne er sich leicht hält, und, ohne seinen Gang zu unterbrechen, von neuem auf sein Ziel los.

Weiß ich! Meine Sache! ... Da ich also aus dem angeführten Grunde nun vermutlich nicht so bald wieder die große Ehre, den Vorzug und das Vergnügen haben dürfte, Ihnen auf diesem runden Erdball etcetra, etcetra, möchte ich jetzt, wie gesagt ...

UEXKÜLL
der seinen Blicken standgehalten; behutsam lavierend.

Ich hielt zwar unser »kleines Konto«, wie Sie es hier vorhin nannten, eigentlich schon für etwas reichlich beglichen ...

[505]
GEORG
plötzlich stehngeblieben und ihn von unten auf allerschärfst-mißtrauisch musternd; sämtliche drei Hauptakzente stärkst betont.
Davon sind Sie so ... überzeugt?
UEXKÜLL
ausweichend; markiert leicht verletzter Tonfall.
Sie haben mir bereits erklärt ...
GEORG
scharf; ohne seinen Gang schon wieder aufzunehmen; in den hochfahrend-feindseligen, gradezu mißachtenden Ton, den er fast während des ganzen dritten Akts gegen ihn angeschlagen, wieder zurückfallend.

Ich habe Ihnen bereits erklärt und erkläre Ihnen, falls Sie dies wünschen, hiermit noch mal, daß ich auf jede mir jetzt mehr als überflüssig erscheinende, nachträgliche Wiederdurchkäuung der in dieser jämmerlichen Sitzung gegen Sie vorgebrachten, groben, dunklen Andeutungen, Provokationen und Unkontrollierbarkeiten glatt und mit Genuß verzichte! Aber als ich Kurze, energische Kopfbewegung nach der Tür links. eben da nebenan Sie so angenehm eifrig miteinander causieren hörte, fiel mir doch ein, und so heftig ich mich auch dagegen sträubte und wehrte, ich rief mir zurück und erinnerte mich, daß da noch so verschiednes ...

ONKEL LUDWIG
dem schon bei dem Gedanken an die bloße Möglichkeit einer solchen neuen Wiederaufrollungsdebatte ganz wehmütig angst und schwach wird; grotesk-jämmerlichst protestierende Geste; in den höchsten, fast überkieksenden Kopftönen.
Tittitittitittiti!
GEORG
nach einem einen Moment lang erstaunt- mißbilligenden Blick zu ihm rüber; als hätte er aus seiner entsetzten Abwehr, die er haarscharf verstanden, einen ganz andern Sinn rausgehört.
Ich merk s! Der Abschied von mir fällt dir schwer!
ONKEL LUDWIG
sich in seinem Sessel, in dem er schon halb zusammengesunken war, wieder aufrappelnd; nach dem eben erst mit ihm Erlebten ehrlichst.
Nu! ... Grade das?!
GEORG
seine Offenherzigkeit ignorierend; von neuem zu Uexküll; ihn schärfst ins Auge fassend.
So schmerzlich unlieb meine fortgesetzte Hartnäckigkeit ...
UEXKÜLL
schnell; sehr gegen sein wirkliches Empfinden.
Oh! Keineswegs! Es ist mir sogar im Gegenteil ...
GEORG
ihm ins Wort; gemessen-nachdrücklich; Pferdegetrappel.

Wie [506] zum Beispiel kam es, daß Sie heute nachmittag, als ich Sie mit Fräulein Doktor Dufroy ... Aus einem hastig-unruhigen, einen kurzen Moment fast wie um Hilfe bettelnden Blick Uexkülls zu Onkel Ludwig rüber, der, ganz harmlos-naiv, jetzt am liebsten alle beide zu sämtlichen Teufeln wünschte, den wahren Sachverhalt bereits nahezu erratend; abbrechend und noch langsam- inquirierender. Herr Doktor Brodersen, hoffe ich doch, stört nicht?

ONKEL LUDWIG
bereit, den beiden Kampfhähnen mit Freuden das Feld zu räumen; entsprechende, illustrierende Handbewegung nach dem Zimmer links.
Sonst ... falls ...?
UEXKÜLL
der sich mit aller Gewalt zusammengerissen hat; diplomatisch-geschickt von diesem für ihn so gefährlich-brenzlichen Thema abbiegend.

Aber ganz und gar nicht! Absolut nicht! Ich stehe Herrn Professor selbstverständlich auch jetzt noch nach wie vor völlig zur Verfügung, Halb zu Onkel Ludwig, halb nach der Tür ihm gegenüber. nur möchte ich noch bitten ...

GEORG
ganz überrascht-erstaunt; im Augenblick wirklich noch nicht ahnend, worauf das hinaus soll.

»Noch bitten?«

Uexküll In seiner Taktik weiter, Vogellärm schwächer. Der mich aufs schmerzlichste beunruhigende Zustand unsrer Kranken ...

GEORG
der sofort die Ohren gespitzt; womöglich noch erstaunter; aber bereits wieder nicht ohne Sarkasmus.
»Der Sie aufs schmerzlichste ...?«
UEXKÜLL
der jetzt fühlt, daß er seine ganze Sicherheit voll wiedergewonnen.
Wenn Herr Professor ... gestatten?
ONKEL LUDWIG
ihm sekundierend; die Zweige vor dem Fenster leicht bewegt, nur noch schwacher Tropfenfall.
Wir möchten doch endlich alle beide ...
GEORG
jetzt völlig abgelenkt; seinen Gang wieder aufnehmend; kühl-trocken.
Ich glaube, die Herren ... brauchen weiter nicht mehr besorgt zu sein!
UEXKÜLL
dem dieser zuversichtliche Optimismus nicht recht verständlich ist; mit einem schnellen Blick nach der Tür links.
Hat sich irgend ...?
ONKEL LUDWIG
besorgt-ähnlich.
Isse denn wenigstens schon wach?
GEORG
wie aus einer heimlichen Wut, deren er sich vergeblich bemüht Herr zu werden; die letzten Worte mit unterstrichen-deutlichem [507] Nebensinn.

Sie schläft und wird wahrscheinlich, über kurz oder lang, und zwar noch innerhalb dieser dreidimensionalen Wirklichkeit, zur vollen Klarheit wieder aufwachen!

UEXKÜLL
über seine scheinbare Gelassenheit, auch wenn er deren Untertöne kochen hört, ganz frappiert-verwundert.

Sie hatten doch ausdrücklich ... als Sie uns so eindringlich verwarnten, die materialisierte Erscheinung weder zu berühren, noch gar unversehns anzupacken ... die schwerwiegende Befürchtung geäußert ...

GEORG
ihm wieder ins Wort; mit erhobner Stimme; sein ganzer Grimm, den er so lange mit aller Kraft in sich niedergehalten, steigt sofort in ihm hoch; trotzdem bis zum Schluß, und zwar mit diesem namentlich, sich noch steigernd.

Jawohl! Und ich würde von der aufrichtigen, ehrlichen, reuig-zitternden Angst, daß die traurigen, durch nichts wieder gut zu machenden Folgen, die ich Ihnen und mir an die Wand gemalt hatte, nun doch noch eintreten könnten, jetzt selbst und am allerschwersten bedrückt sein, wenn es sich bei dem ganzen Schwindel um eine »materialisierte Erscheinung« überhaupt gehandelt hätte!

ONKEL LUDWIG
gegen diese Behauptung denn doch, energisch-überzeugt, Front machend.
Wir haben aber doch ganz deutlich ...
UEXKÜLL
ihm lebhaft beipflichtend.

Zum mindesten im Anfang, in einem bestimmten Augenblick hatten wir uns durch das Konstatement von Exzellenz einwandfrei überzeugt ...

GEORG
ihm seinen Satz und Gedankengang nervös-ungeduldigst abnehmend und ironisch-verbissen fortsetzend.

Daß nicht bloß das Medium allein, sondern die erfreuliche Vielzahl von zwei völlig voneinander getrennten und sogar ganz verschieden gekleideten, weiblichen Gestalten, Personen oder Individuen am löblichen Werk war! Allernachdrücklichst. Ganz recht und unbestreitbar! Maßlos von neuem. Die vermeintliche Materialisation aber, die ich ergriff ...

ONKEL LUDWIG
ihm lebhaft in die Parade.

Ein Phantom, das man ergreift, kann unter menschlichen Händen ... Abbrechend und mit elementarster Bestimmtheit. Irgendwie und irgendwann muß es doch mit seinem Medium stofflich wieder eins werden!

GEORG
wütendst, gegen diese Logik nicht anzukönnen.
Unbezweifelbar!
ONKEL LUDWIG
in seinem Ideengang weiter.

Und ob nun das Phantom wieder [508] in sein Medium zurückgeht, oder das Medium in sein Phantom ... das ist doch bei Licht besehn ...

GEORG
höhnisch; erste Silbe schärfst betont.
Namentlich »bei Licht besehn!«
ONKEL LUDWIG
unbeirrt zu Uexküll rüber und sich einen Moment auf dessen Zeugenschaft beziehend; dann sofort nieder zu Georg und mit den entsprechenden, lebhaftesten Gesten.

Wir haben uns doch beide mit unsern Augen überführt! Du griffst zu, in demselben Moment bauschte und blähte sich, wie geschwellt von einem Sturmwind, der Vorhang ... das Medium war nicht mehr da ...

UEXKÜLL
eifrigst zu Georg rüber; Onkel Ludwig wieder vollst beipflichtend.
Ich hätte es sonst unbedingt erblicken müssen!
ONKEL LUDWIG
der jetzt mit Aplomb seine Folgerung ziehen will; zu allen beiden.
Es kann sich also nur blitzschnell ...
GEORG
ihm seinen Satz, ebenso blitzschnell, wieder sarkastisch schließend, ohne sich dabei in seinem Gang auch nur eine Sekunde lang aufhalten zu lassen.

Veratomisiert und mit seinem Fluidkörper wieder verkonglomeriert haben! Ich finde, du gehst mit deiner Theorie ziemlich weit!

ONKEL LUDWIG
wieder von ihm zu Uexküll rüber; Georgs Erbittrung gar nicht begreifend.
Ja nu simpler kann man sich so n komplizierten Vorgang doch gar nicht vorstellen!
GEORG
grausamst, ohne ihn anzublicken.

»Mundus explicatus! Das gelöste Welträtsel, oder der durchhaune gordische Knoten!« Dann, noch ehe Onkel Ludwig zu Atem gekommen, mit einem kurzen, hochmütigen Kopfruck zu Uexküll und diesem damit gewissermaßen gestattend, nun auch seinerseits in die Debatte zu greifen. Verehrtester Herr Baron?

ONKEL LUDWIG
dem erst jetzt, ganz empört, die Worte kommen; wieder Hand an der Hüfte.
Wenn du hier ... meinst, und du glaubst ...
UEXKÜLL
ihn beeilt-hastig unterbrechend; auf einmal gänzlich veränderte Frontstellung; nicht ohne eine gewisse Schärfe.

Ich glaube, falls Herr Doktor Brodersen gestattet, vielmehr, ganz im Gegensatz zu ihm, absolut konstatiert zu haben, daß bereits bevor die Katastrophe eintrat, die materialisierte Erscheinung auf einen kurzen Augenblick hinter den Vorhang vollständig ...

GEORG
dieses Wort wie mit einer Lanzette aufpiekend.
»Vollständig?«
[509]
UEXKÜLL
bestätigend nickend und in seiner Überzeugung weiter.

Vollständig ins Kabinett zurückgetaucht war, nehme an, daß sie sich mit ihrem Medium schon hier wieder vereint hatte, und möchte nun daraus folgern, daß es sich zuletzt ...

GEORG
ihm seinen Satz, seiner Gewohnheit gemäß, ungeduldig abnehmend und beschleunigt schließend.
Nur noch um das transfigurierte Medium selbst gehandelt hat!
UEXKÜLL
wieder bestätigendes Nicken.
Ganz recht!
ONKEL LUDWIG
mit dieser Erklärung, kein »Spielverderber«, durchaus ebenfalls zufrieden.
Das kann allerdings auch sein!
GEORG
bissigst-sarkastisch.

Mit andern Worten, drei Menschen und sieben Meinungen! Hinter dem großen Mittelsessel, dessen Rücklehne er mit bei den Händen packt, und nun, sich permanent steigernd, seine eigne Überzeugung präzisierend. Von einem vollständigen Verschwinden der Erscheinung, und sei s auch nur auf einen Moment, habe ich mit meinen Augen nichts bemerkt, die von mir ergriffne Person oder Gestalt, ich bleibe dabei, entpuppte sich als das Medium, die flüchtig übergeworfne »duftig weiße Kostümage«, angeblich sogenannt transzendentaler Herkunft, lagert für jeden, der sich mit diesem angenehmen, wahrscheinlich deutsch-völkisch-vaterländischen Textilfabrikat etwa noch zu befassen und zu beschäftigen wünscht, zum kläglichen Klumpen geballt, Verächtlich-zornige Kopfbewegung schräg vorn nach rechts. hinter wohlverschlossner Tür, drüben ...

ONKEL LUDWIG
wieder vollständig bei der Sache; in seine Atempause; ähnlich wie bereits in der ersten Szene, da er alles übrige leider zugeben muß.
Und das ... Kettchen?
GEORG
überzeugt-nachdrücklichst, fast höhnisch.
Würde der Betreffende dann schon noch finden!
ONKEL LUDWIG
nach dieser Richtung durchaus nicht seiner Meinung; ihn groß anstarrend; allerstärkst.
Das hältst du für so sicher?
GEORG
den Sessel noch fester packend und ihn mit einem Ruck vor sich hinstoßend.

Jedenfalls und vor allem! Wieder auf und ab; von neuem sich schnell und heftigst steigernd. Diese famose, bräutliche, indische Schleierdraperie, mit der man uns nun aber auch total fraglos, wie ich mich inzwischen überzeugt habe ...

[510]
ONKEL LUDWIG
aufhorchend-ungläubig.
»Inzwischen überzeugt?«
GEORG
der sich jetzt vor Zorn kaum noch kennt; über seine Zwischenfrage hinweg; immer mit den entsprechenden Gesten.

Dieser gemeine, buntschillernde Fetzen, den du noch extra mit rübergeschleppt hast ... die ganze Zeit drin war er mir mein besondres Pläsier ... dieser lächerliche Lappen, daran gibt s nichts mehr zu drehn und nichts zu deuteln, war von der »Dame des Hauses«, Ziemlich naher, kurzer Autolaut. aus irgend einem Anlaß, oder Antrieb, über den ich mir ... Plötzlich unversehns zu Uexküll rüber, der mit aller Energie seine Fassung bewahrt. Sie müssen schon entschuldigen ... zu meinem Bedauern noch immer nicht recht klar bin, der aber, wie ich unbedingt glaube annehmen zu dürfen, erst ganz kurz, ja vielleicht sogar erst fast unmittelbar vorher, an sie von außen herangetreten sein mußte, in unsern bescheidnen Kreis der Harmlosen vorsorglich eingeschmuggelt worden, Wieder jetzt einen Moment hinter dem großen Mittelsessel, wie vorhin; letzte wuchtigste Steigrung. wo also, und das ist für mich die ausschlaggebende Hauptsache, wo also lag diesmal zwischen Phänomenen und Betrug, zwischen Betrug und Phänomenen die, oder vielmehr eigentlich überhaupt eine Grenze?!

ONKEL LUDWIG
völlig ratlos; Seitenbeschwerde; alle vier Worte schwer betont.
Ja, wer soll das ...
UEXKÜLL
mit dem vergeblichen Versuch, für die Abwesende, wenn auch keinen Entschuldigungsgrund, so doch wenigstens irgend etwas dem ähnliches zu konstruieren.
Die Psychologie ... aller solcher Medien scheint mir eine so diffizile ...
GEORG
losbrechend; einen Moment sich völlig vergessend.

Unsinn! ... Auf eine unwillkürlich stutzende Bewegung des so rücksichtslos von ihm Angefauchten die Gewalt über sich sofort wieder gewinnend und, seinen Gang abermals aufnehmend; fast in dessen Tonfall. Das heißt ... Pardon! Verzeihung! ... Von neuem sich steigernd. Das Vertrauen, das ich in meine Versuchsperson setzte, und das ich ... wie ich bis zum heutigen Tag der festen Überzeugung war, in sie setzen durfte, war ein so blindgläubiges, daß mir durch die Beweiswucht auch nur dieses einen einzigen, doch bloß durch puren Zufall offenbar gewordnen, [511] kindischen Schwindelmanövers meine ganze Untersuchungsreihe ... Sich den Rest seines Satzes erbittert schenkend.

ONKEL LUDWIG
dem dies »Ausschütten des Kindes mit dem Bade« absolut nicht in den Kopf will; knurrend-mißbilligend; erneuter Seitenstich.
Da könnt ich ja ebensogut mein ganzes »System« ...
GEORG
dem diese »Parallele« noch grade gefehlt hat; mitleidslos.
Wozu ich dir ehrlich und aufrichtig ... und zwar von ganzem Herzen ...
ONKEL LUDWIG
von neuem zu Uexküll; über Georgs empörende Häßlichkeit zu ihm ganz entsetzt.
Haben Sie wieder gehört?
UEXKÜLL
über seine Beschwerde hinweg; einen Moment mit Georg, trotz dessen im Augenblick gradezu fast abstoßender Härte, unwillkürlich und ehrlich mitempfindend.

Es wäre doch ... bedauerlich und aufs tiefste beklagenswert, wenn Herr Professor sein großes Werk, dessen ... grundlegende Bedeutung ich erst jetzt ...

GEORG
der seine Worte kaum hört; letzte verbissen-grimmigste Steigerung.

Aus! Ex! ... Futschikato! ... Hin zum übrigen! In diesem Augenblick, nebenan, die Stimme Dufroys; etwas unwillig. »Wenn du absolut darauf bestehst?« Stimme Mariannes: »Ich befinde mich vollständig wohl und munter!« Wieder, wie vorhin, die Stimme Dufroys: »Gut! Frag ihn! Frage Georg selbst! Er wird dir nur bestätigen ...« Georg, der sofort stehngeblieben war und, wie auch die übrigen, aufgelauscht hatte, sich wieder in Bewegung setzend; kurz; triumphierend, daß seine so bestimmte Voraussage, wie es den Anschein hat, bereits in Erfüllung gegangen; dabei zugleich fast wegwerfend-verächtlich. Wie ich Ihnen sagte! Ich halte diese ärztlich-väterliche Fürsorge und Prophylaxis zwar für völlig überflüssig, aber ... Wieder, während Georg von neuem unwillkürlich stehnbleibt, die Stimme Mariannes; seltsam rührend und weich: »Siehst du? Es geht schon! Es geht ganz gut!« Georg, zu den beiden übrigen, gedämpft und nun etwas hastig. Sollte die Patientin, Wieder in Bewegung. wie es fast den Anschein hat, jetzt hier eintreten, so bitte über den letzten, lieblichen Kuddelmuddel, in den ich mich unter keinen Umständen noch mal verstrickt sehn möchte, selbstverständlich ...

UEXKÜLL
schnell; ebenfalls etwas gedämpft; mit einem scheu-unruhigen [512] Blick nach der Tür links rüber.
Und das restierende ... Privatissimum ...?
GEORG
ohne wieder stehnzubleiben; lässig-knapp.
Schenken Sie mir dann noch!
UEXKÜLL
ähnlich; während sich die Türklinke bereits senkt.
Selbstverständlich!
DUFROY
Arm in Arm im Türrahmen mit Marianne; man merkt seinem Ton, der noch immer ein leis unmutiger ist, an, daß er ihr nur sehr widerwillig ihren Wunsch erfüllt hat; mit einem sich schnell informierenden Blick über die Anwesenden: Uexküll, gefaßt-aufrecht, etwas nach vorn rechts, Onkel Ludwig in seinem Sessel nach den Eintretenden halb zurückgedreht und Georg, Marianne und Uexküll schärfst beobachtend, ziemlich nach der Ecke zu, vor dem ersten, offnen Fenster links.
So! ... Da sind die Herren!
UEXKÜLL
sich verbeugend; prononciert-respektvollst.
Allergnädigstes?
ONKEL LUDWIG
zärtlichst-»schalkhaft«.
Kuck einer an!
MARIANNE
nachdem sie fragend-forschend von einem zum andern geblickt; mit heimlicher Angst zu Georg rüber, dessen seltsames Schweigen sie lebhaft beunruhigt.
Nun?
DUFROY
mit einem kurzen, entsprechenden Blick zu ihm, wie um ihn noch mal an sein gegebnes Wort zu erinnern.
Sie will durchaus von dir wissen ...
GEORG
ihn nicht erst ausreden lassend; mit äußerster Selbstbeherrschung; nach dem großen Mittelsessel.
Du wirst noch müde sein! Möchtest du dich nicht setzen?
MARIANNE
durch dieses offenbare Ausweichen von ihm noch besorgt-beunruhigter; erschreckt- irritiert-unsichrer Blick über alle Anwesenden; Auto.

Es ... scheint also ... doch, oder ...? Der Vogellärm von hier ab wieder stärker und zeitweise fast unangenehmst schrill.

DUFROY
da sie an seinem Arm jetzt fast wankt; mit sanfter Gewalt sie um den Sessel Onkel Ludwigs führend.
Stütz dich ganz fest auf mich! Ganz fest!
MARIANNE
die, wieder halb ohnmächtig, kaum noch imstande ist, auch nur ihre Füße zu setzen.
Ich ... weiß nicht ... daß mir grad heute ...
DUFROY
nachdem er sie an Georg vorbei, der sie stumm an sich vorüberläßt, [513] glücklich bis hinter den Tisch gebracht; ihr den Sessel rückend; so mild-behutsam als möglich.
Der alte, einstmalige Ehren-, Ruhe- und Würdesitz des Hauses!
ONKEL LUDWIG
nachdem sie sich, ganz erschöpft, niedergelassen; seinem »Herzblatt« und »Liebling«, froh, sie jetzt wenigstens wiederzuhaben, die kleine, kraftlos-blasse Patsche streichelnd.
Schatzel!
DUFROY
der inzwischen den Sessel rechts ergriffen und sich grade setzen will; sich noch rechtzeitig seiner Pflicht gegen den gemeinsamen »Gast« erinnernd; Uexküll dabei unwillkürlich mit einem fast scheu-eindringlich-prüfenden Blick messend.
Herr Baron?
UEXKÜLL
als hätte er diesen Blick gar nicht bemerkt; den Sitz Dufroy zuvorkommend überlassend.
Exzellenz?
DUFROY
nachdem er Uexküll nochmals mit seinem Blick gestreift.

Na ... Sich setzend; wie etwas noch nachträglich mit aller Energie in sich runterschluckend; nach Georg rüber, der jetzt vor dem offnen Fenster links in den mehr und mehr sich färbenden Spätnachmittag sieht. einem Schwergeprüften!

MARIANNE
die wieder sofort aufgehorcht hatte.
Du sagst das ... so seltsam und ... sonderbar ...
DUFROY
über seine eigne Unvorsichtigkeit ungehalten.
Du mußt mir nicht jedes Wort ...
MARIANNE
sich jetzt nicht mehr beruhigend; in seinen und Onkel Ludwigs Mienen nach dem, was sich während ihrer langen Ohnmacht und Bewußtlosigkeit zugetragen, vergeblich zu lesen versuchend; mit »klopfendem Herzen«.
Hat euch die Sitzung ...
DUFROY
nicht fähig, so sehr er dies im Moment am liebsten möchte, durch eine direkte und mutige Lüge ihr die heimliche Angst, die sie quält, schon seit sie wieder aufgewacht, mit einem Ruck zu benehmen.
Die Sitzung war sehr schön, und ... manches ... hat mich sogar überzeugt ...
MARIANNE
zu Georg; halb nach ihm zurückgedreht; ganz befremdet.
Du ... schweigst?
GEORG
sich notgedrungen ebenfalls halb umwendend; jetzt aber schon etwas weniger beherrscht und ohne sie anzublicken.
Es mag dir vorläufig genügen, daß auch dein anfänglicher Widersacher, Herr Baron ...
[514]
UEXKÜLL
beeilt-zuvorkommend.
Ich schließe mich Exzellenz durchaus mit größtem Vergnügen und allerehrerbietigst an!
ONKEL LUDWIG
zu Marianne, die unter Georgs Antwort unwillkürlich sofort schaudernd zusammengezuckt war; besorgt-erregt.
Du zitterst? ... Du frierst?
DUFROY
ähnlich; wenn auch maßvoller.
Falls du wünschst, daß wir die Fenster ...
MARIANNE
mit einer leisen Abwehr zu Uexküll rüber; ihn an seinem Platz zurückhaltend; wie eine nach schwerster Krankheit noch ganz müde und ermattete Rekonvaleszentin; stärkerer Windzug, nochmals Tropfen.
Die frische Regenluft ... ist so angenehm ...
GEORG
dem diese vermeintliche »Komödie« von ihr denn doch bereits zu weit geht; durch die Zähne; ihren Tonfall so verbissen als nur irgend möglich travestierend.
Und die Vögel singen so schön ...
DUFROY
mit einem empört-mißbilligenden Blick, der aber Georg nur in den Rücken trifft.
Es sind zwar nur unsre lieben Spatzen ...
GEORG
noch ergrimmter.
Auch diese loben Gott, den Herrn!
ONKEL LUDWIG
schon aufstehend und in seiner nun noch gesteigerte Angst und Besorgnis alles Geschehne vollständig vergessend.

Nein, nein, Kindchen! Du ... schutterst ja ordentlich! Bereits stakrig auf dem Weg nach der Tür links; Hüfte. Da muß ich doch gleich ... Auto.

GEORG
dem blitzschnell aufgeht, welche gradezu unglaubliche Dummheit der in seinem momentanen Zustand einfach Unzurechnungsfähige jetzt wahrscheinlich zu begehn vor hat; energisch zurückgedreht; »a« kurz und schärfst betont.
He, Holla! Wohin? Wohin?
DUFROY
durch Georgs Tonart plötzlich nach derselben Richtung ebenfalls stutzig.
Du wirst doch nicht etwa ...?
ONKEL LUDWIG
schon an der Tür; auf Dufroy gar nicht achtend; grob-aufgebrachte Geste nach Georg zurück; seine Seitenbeschwerde macht ihm wieder lebhaft zu schaffen.
Das geht grade dich an!
UEXKÜLL
nachdem er dem Verschwundnen, einen Augenblick, fast wie entsetzt, nachgestarrt; fragender Blick zu Dufroy und Georg rüber.
Soll ich nicht ... vielleicht doch ...
MARIANNE
ganz bestürzt von einem zum andern.
Was ... ist?!
[515]
GEORG
vor sich hin; halblaut-grimmigst.
Dieser ... Taper!
DUFROY
nach ihr rübergebeugt und ihr sanft den linken Unterarm streichelnd.

Nichts, Liebling! Nichts! ... Beruhigend und dabei gleichzeitig doch besorgt-unruhiger Blick nach der etwas offen gebliebnen Tür. Onkel Ludwig ...

MARIANNE
die seinem Blick gefolgt war; mit großen Augen ihn anstarrend.
Warum sollte eben ... Onkel Ludwig ...?
DUFROY
diesmal ganz gegen alle Wahrheit und sein Gewissen.
Wir haben ja nichts dagegen!
MARIANNE
schnell, aufgeregt; bald zu ihm, bald zu Georg rüber; sich sofort fast bis zur höchsten Verzweiflung steigernd.
Doch! ... Doch!! Ihr ... verbergt vor mir etwas! Ich soll das nicht wissen! Ihr habt ein Geheimnis!
DUFROY
gemacht-harmlos; so »unschuldig« als nur möglich.

Närrchen! In diesem Augenblick, das corpus delicti auf beiden Händen behutsamst vor sich hertragend und noch gänzlich ahnungslos, was er anzurichten im Begriff steht, Onkel Ludwig wieder im Türrahmen; Marianne, die in blitzschneller Rückerinnrung an das heute nacheinander von ihrem Vater, Georg und Uexküll Gehörte diesen »buntschillernden Fetzen« sofort mit Ma riette und jenem siebzehnten Märzabend in Zusammenhang bringt, schrickt merkbar zusammen und sucht mit einem seltsam unsicher gleitenden, entsetzt forschenden Blick erneut in aller drei Mienen zu lesen.

ONKEL LUDWIG
unbeholfen näher; Vogellärm schwächer.
Du darfst mir hier doch nicht ... totfrieren?!
MARIANNE
halb noch Schreck, halb schon gemacht-»berauschtes Entzücken«.
Aah ...!
ONKEL LUDWIG
dem, halb durch ihren Laut, der ihn ganz sonderbar berührt, halb durch die merkwürdig abweisend-strengen Mienen der drei übrigen, deren Augen er auf sich gerichtet sieht, plötzlich die Erkenntnis aufsteigt, was er vermutlich für eine Riesendummheit begangen; erst auf das »Unglücksbiest«, dann auf die Korona starrend; gedeppt-kläglich; zweites »a« kurz und betont.
Ja ... Ja ...
MARIANNE
nach ihm vorgebeugt; jetzt schon mit einem Gemisch von im Moment fast aufrichtiger Freude.
Ist das ein schönes ... Schleiertuch!
[516]
GEORG
der aus Zorn über ihre Verstellung, der er allerdings ganz andre Gründe zuschreibt, kaum noch an sich halten kann; seinen Gang wieder aufnehmend; erbittert-höhnisch zu Onkel Ludwig rüber.
Wenn du glaubst, daß das so ... besonders warm hält?
DUFROY
zu Onkel Ludwig, der noch immer wie verdattert dasteht.
Also nun gib s ihr doch schon!
ONKEL LUDWIG
ihr mit zitternden Händen ihren Wunsch erfüllend; »a« kurz, »u« länger und betont.
Ja nu ...
MARIANNE
die sich mit dem Schleier, halb unbewußt weiblich-kokett, schmückt; ihn nun aufrichtigst und ehrlichst bewundernd.
Weißbunter, glitzernder, silbriger Seiden-musselin!
DUFROY
auf ihre, wie er der ganzen Sachlage nach ja ebenfalls glauben muß, »Verstellungskomödie« als kluger Arzt ohne weiteres eingehend.
Gefällt er dir?
MARIANNE
noch gesteigerter, als vorhin; sich wirklich in ihm »wohl«fühlend.
Herrlich!
ONKEL LUDWIG
wieder rührend-tolpatschig; mit einem »vielsagenden« Blick zu Uexküll.
Wie eine Braut im Hochzeitsstaat!
DUFROY
selbst auch noch hier wieder mitmachend.
Wahrhaftig!
UEXKÜLL
als Dritter im Chorus, mit ganz besondrem Genuß.
Genau so!
GEORG
schneidendster, durch die Luft wie ein Peitschenhieb sausender Hohn; Auto.
Schade, daß man nicht gleich gratulieren kann!
MARIANNE
durch diesen Ton wieder stutzig; fra gend-erstaunt; während die übrigen, über Georg noch ganz starr, sich untereinander ansehn; erneut schriller Vogellärm.
Wo kommt dieser ... wundervolle Prachtshawl ... mit einmal her?
GEORG
mit noch gesteigertem Ingrimm; immer dabei auf und ab.
Jaja! Wo kommt der mit einmal her?
MARIANNE
nach ihm zurückgedreht, ebenfalls noch gesteigerter als vorhin.
Du bist so ... heftig ...?
DUFROY
ablenkend zu Onkel Ludwig, der sich, die Hand wieder an der Hüfte, kaum noch auf den Beinen halten kann; entsprechende Geste nach dessen Sessel.
Nun bleibt dir doch nichts mehr übrig ...
ONKEL LUDWIG
sich setzend; tiefst bedrückt.
Ich hab mir ... gedacht ...
GEORG
losbrechend; Radfahrer, schrillst.
Jedem Menschen, der »denkt« ... sollte man überhaupt den Hals umdrehn!
[517]
DUFROY
sein Verhalten, nervös, aufs schärfste mißbilligend und ihn zugleich damit, indirekt, energisch an sein gegebnes Wort erinnernd.
Bitte, wenigstens mäßige dich jetzt noch!
GEORG
dem dieser »Rüffel«, angesichts der für ihn »Unerhörtheit der Situation«, nichts reuiger als »berechtigt« vorkommt; womöglich noch stärker.
Ich bin die Ruhe und Mäßigung selbst!
MARIANNE
der, so verworren und unklar alle diese Reden, Anspielungen und Andeutungen auch für sie sind, doch immer deutlicher und klarer wird, daß in der relativ kurzen Zwischenzeit, über die sie sich keine Rechenschaft abzulegen vermag, irgend etwas Allerschwerstes und Schrecklichstes vorgefallen sein muß; wieder von einem zum andern; Uexküll dabei immer instinktiv vermeidend und ganz aufgeregt.
Was ihr sprecht ... klingt alles so merkwürdig ... Was habt ihr bloß?
ONKEL LUDWIG
üblich ungeschickt.
Gott, na ...
DUFROY
ihn für alle Fälle doch lieber unterbrechend; nun schon gradezu mit dem Mut der Verzweiflung.
Wirklich! Aufrichtig! Nicht das Geringste! Wir ... freuen uns nur ...
GEORG
der sich noch immer nicht wieder beherrschen kann; in einem Tonfall, daß es selbst Uexküll einen Moment eiskalt über den Rücken läuft.

Auch die berechtigtste Freude ... muß mit ihrem beredten Jubel ... doch schließlich Maß und Ziel halten können!

MARIANNE
der dieser Ausbruch einen Augenblick lang fast den Atem verschlagen; mit aller Energie sich zusammenraffend; fest entschlossen, von ihrer verlangten Aufklärung nun unter keinen Umständen mehr abzustehn.
Was ist ... seit ich in dieser Sitzung ...?
GEORG
schärfst-brüsk.
Nichts!!
MARIANNE
noch energischer als vorhin; mit einer Kraft, die ihr vielleicht niemand von den Anwesenden bis dahin zugetraut.
Ich will ... und muß das jetzt ... unbedingt wissen!
DUFROY
mit dem vergeblichen und noch dazu in seiner Konsterniertheit ganz und gar ungeschickten Versuch, ihr ihre Fordrung, und wenn auch nur für den Augenblick, auszureden.
Du wirst ja alles ... durch mich erfahren! Dir soll nichts verschwiegen werden! Nur ...
MARIANNE
die sofort, mißtrauisch, gestutzt hatte.
Durch ... dich?!
[518]
DUFROY
sich jetzt nur noch unglücklicher und noch mehr verhaspelnd.

Durch mich, oder durch jemand andern! Entsprechende, überflüssig lebhaft ausgeprägte Gesten. Durch Herrn Baron, oder durch Onkel Ludwig!

MARIANNE
mit einem erstaunt-fragenden Blick nach Georg rüber, der, ihr jetzt den Rücken drehend, vor seinem Fenster links wieder stehngeblieben.

Wes-halb nicht ... durch ...? Abbrechend; noch unruhiger; nach einer kleinen Pause, wie zu sich selbst. Ich ... muß mich doch ... darauf besinnen können?

GEORG
durch ihre letzte Wendung die Herrschaft über sich fast wieder verlierend.
Vielleicht? Wenn du gründlich nachdenkst ...?!
MARIANNE
sich mit aller Energie jetzt zu erinnern versuchend; zum erstenmal direkt zu Uexküll rüber, der ihr für diese endliche Notiznahme von seiner Persönlichkeit mit einer leichten, kaum merklichen Verbeugung quittiert; Georg sofort wieder nach beiden zurückgedreht.
Herr Baron ... hatte sich plötzlich ... eigenmächtig erhoben ...
DUFROY
gequält-erregt; in der mehr als verständigen Absicht, sie von diesem für sie so gefährlichen Thema wieder abzubringen.
Laß!
MARIANNE
in ihrer Erinnrung weiter.
In der allgemeinen Zänkerei ... die sofort darüber entstanden war ...
DUFROY
noch besorgter.
Laß!!
MARIANNE
wie vorhin.
Hatte ich mich abseits gesetzt ...
DUFROY
aus seinem selben Bemühen; noch gesteigert.
Es ist wirklich und wahrhaftig für dich besser ...
MARIANNE
den Moment wie noch einmal erlebend.
Dann erklang zu meinem Schrecken ...
DUFROY
verzweifelt in seinem Sessel hin und her; beide Hände auf dessen Lehnen; nervös-unruhigstes Fingerspiel.
Herr ... Gott!
MARIANNE
von einem erneuten Schauer gepackt; zuerst zu Onkel Ludwig, dann zu Georg, der sie wieder aufs mißtrauischste beobachtet.
Diese ernste ... eherne ... unerbittliche Melodie, die mich schon die vergangne Nacht ...
ONKEL LUDWIG
der ihr mit großoffnen Augen zugehört; sich mit der Rechten, wie in auf einmal heftigster Empörung auf sich selbst, vor die Stirn schlagend.
Ist ja wahr! Ist ja wahr! ... Und ich hatte ... in meinem Unverstand ...
[519]
GEORG
seinen Reueerguß unterbrechend; höhnisch-hochmütig, fast verächtlich.
Diese etwas verspätete Erkenntnis dämmert dir erst jetzt?
MARIANNE
etwas vor sich über den Tisch gebeugt, die Augen gleichsam ins Leere und wie bereits nach einem ganz bestimmten, letzten Erinnrungsmoment suchend.
Ich wehrte mich ... wie aus einem dunklen Grauen ... mit aller Macht ...
DUFROY
sich nochmals aufraffend und ihr wieder ins Wort.
Nun hör doch schon auf!
GEORG
der jetzt immer aufmerksamer geworden und sogar etwas mehr vorgetreten, um sie von der Seite besser beobachten zu können; schärfst, fast heftig.
Unterbrich sie nicht!
MARIANNE
dem gesuchten Erinnrungsetwas schon beinahe auf der Spur.

Und dann ... In ihren Sessel wieder zurückgelehnt, die Augen geschlossen, und die Linke wie schmerzlichst vor der Stirn. weiß ich nur noch ... Abbrechend und nach einigen Sekunden, die Augen wie erschreckt wieder weit auf, von neuem. War es nach Stunden ... oder Sekunden ... oder einer halben Ewigkeit? ... Letzte, ihren ganzen Körper wie durchwühlende Steigrung. Einen Moment, einen kurzen, schrecklichen Moment lang, lag ich wach ... Einen Augenblick, beide Hände am Herzen, wieder nach Georg rüber. Du beugtest dich über mich ... ich empfand einen Schmerz ... einen furchtbaren Schmerz, der jetzt ... wieder ist ...

DUFROY
angstvollst aus seinem Sessel und die fast wieder in Ohnmacht Gefallne mit beiden Armen stützend.
Kind!
ONKEL LUDWIG
zitternd ebenfalls aufgestanden und von seinem Platz nach ihr rüber.
Herzchen!
UEXKÜLL
verhalten-empört, gepeinigt zu Georg rüber, der mit steinerner Ruhe die Szene beobachtet.
Herr Professor sollten jetzt wenigstens ...
DUFROY
jetzt ebenfalls zu Georg rüber; ähnlich.
So hilf uns doch!
MARIANNE
wieder zu sich gekommen; von neuem zu Georg und sich abermals steigernd.

Du hast mich ... oder das Phantom ... das Phantom ... oder mich ... gegen alle Vernunft ... gegen jede Voraussetzung und Bedingung ... du hast nach ihm zugepackt ... und dabei mich ... ergriffen!

[520]
GEORG
von dem allen noch immer, wie völlig unberührt; finster-forschendst.
Wer sagt dir das?
MARIANNE
die Linke am Herzen, die Augen wieder geschlossen.
Der ... Schmerz ... den ich hier fühle!
ONKEL LUDWIG
in seinem Sessel, Hand an der Hüfte, wieder zurücksinkend.
Puttchen! Puttelchen!!
DUFROY
Georg beschwörend, unterdrückt-heftig.
Ich bitte dich, nun endlich ...
UEXKÜLL
ebenfalls zu Georg; Dufroy von sich aus konform.
Sie sehn, wie wir hier machtlos ...
MARIANNE
aus ihrem völligen Unschuldsgefühl heraus mit schwerstem, klagendstem Vorwurf.
Warum ... tatest du das? Warum hast du dein Wort ... das du dir hundertfach selbst gegeben ...
GEORG
ihr ins Gesicht; ausbrechend; beide Fäuste geballt von sich ruckend und, hinter Onkel Ludwig vorbei, erbittert-ergrimmt bis in den Vordergrund links.
Komödie!!
MARIANNE
der der Laut auf den Lippen stirbt.
»Ko ...?«
GEORG
vorn links, nach ihr zurückgedreht, stehngeblieben.
Aus welchem Grund ...
DUFROY
noch immer neben Mariannes Sessel; seine Tochter jetzt wie gewissermaßen vor ihm schützen wollend.
Ich ersuche dich dringend als Arzt ...
GEORG
mit noch erhobnerer Stimme; nochmals zu seiner Anklage ausholend.
Aus welchem Grund ...
UEXKÜLL
hastig-verwarnendst; nun auch seinerseits ihm ins Wort.
Herr Professor hatten vor wenigen Minuten selbst ...
GEORG
für alles taub; von Marianne, die ihn wie entgeistert anstarrt, kein Auge lassend; vor innerster Empörung fast zitternd.
Machtest du uns hier eben das törichte Spiel vor?
DUFROY
ähnlich wie vorhin; mit dem ganzen Aufgebot seiner Autorität; seine Stimme überschlägt sich fast.
Ich verbiete dir als Vater ...
MARIANNE
klagend-hilflos; bei allen sich umblickend; halb wie irr.
Welches »törichte Spiel«?
UEXKÜLL
wahrend Onkel Ludwig, von alldem ganz blöde, wie nach Luft ringt; Georg jetzt fast ansehend; allereindringlichst.
Herr Professor mußten doch sehn, daß hier von einem »Spiel«, daß von einer »Verstellung« ...
[521]
GEORG
zum drittenmal anhebend; mit letzter Energie.

Aus welchem Grund, ich frage dich jetzt direkt und ohne alle Umschweife, hattest du diesen Schleier, bevor du heute nachmittag zu unsrer Sitzung runterkamst, zu dir gesteckt?

MARIANNE
nachdem sie das Gespinst sich, schau dernd-blitzschnell, abgerissen; in fassungslosem Entsetzen.
Diesen ... Schleier??!
ONKEL LUDWIG
zu Georg rüber; erst jetzt wieder zu sich gekommen; aus tiefster, gerechtester Herzensempörung; drohende, flackernde Geste mit der Rechten.
Das ... wirst du ... bereuen! ... Das ... wirst du ...
UEXKÜLL
der nun auch kaum noch an sich halten kann; sich auf die Lippen beißend.
So eine ...
DUFROY
halb über Marianne gebeugt, die in ihrem Sessel wieder zusammengebrochen liegt, nach ihm rüber; jetzt ebenfalls mit ihm einen Moment vollständig »fertig«.
Na, weißt du!
MARIANNE
schwach, die Augen wieder geschlossen, die Hand von neuem am Herzen.
Es ... wird schon ... vorübergehn!
GEORG
nach einer kurzen Pause, in die erneut ein Auto tönt, quer über den Vordergrund, bis an Uexküll, wieder auf und ab; vollständig veränderte, beherrscht-ruhigere, fast wie dozierende Tonart; der Vogellärm hat inzwischen ganz aufgehört.

Ich gebe absolut zu, daß es von mir vollkommen verfehlt war, dich heute mit aller Gewalt zu dieser von vorneherein dumm und unsinnig extemporierten Sitzung zu drängen! Ich begreife durchaus, daß es nach allen Dingen, die hinter uns lagen, dein brennender Wunsch hatte sein müssen, mir grade mit diesem letzten Schlußspurt einen wenigstens nach außen hin kompletten Sieg zu verschaffen! Ja, ich verstünde es sogar, und könnte es, nach einem eventuell offnen Geständnis von dir, gradezu fast entschuldbar finden, wenn du bei dieser ganzen Vermummerei ... um mir über einen gewissen, mich sehr berührenden Punkt, Mit einem schnellen, unwillkürlich wieder mißtrauisch-forschenden Blick dabei Uexküll streifend. auf den ich noch deutlicher hier nicht anspielen und zurückkommen möchte, endlich hinwegzuhelfen ... unter irgendeinem plötzlich aus dir aufgetauchten, für dich übermächtigen, sagen wir »seelischen Zwang« gehandelt hättest! Seine Stimme wieder hebend. Aber einen schlechteren [522] Dienst, einen böseren, übleren Beweis deiner »kameradschaftlichen« Freundschaft und Zuneigung zu mir, eine vernichtendere Niederlage vor mir selbst, dessen darfst du nun schon mal versichert sein, hättest du mir nicht antun, verschaffen und zufügen können!

MARIANNE
noch ganz betäubt-hilflos, sich zu verteidigen suchend.
Ich ... habe diesen Schleier ... Ich kann mich nicht entsinnen ...
DUFROY
noch immer neben ihr; ihrer Behauptung nichts weniger als gläubig gegenüberstehend; fast wie ihr »gut zuredend«.
Es ist der Hochzeitsschleier deiner Mutter!
ONKEL LUDWIG
ähnlich; mit einem sie beschuldigenden, milden Vorwurf nicht zurückhaltend.
Du mußt doch wissen ...
GEORG
in der Mitte vorn, ihr direkt gegenüber, wieder stehngeblieben; mit aller Energie sie jetzt zu einem »Geständnis« zu drängen versuchend.

Wenn man eine Tat, für die es an und für sich, von Rechts wegen und genau genommen, eigentlich eine Entschuldigung überhaupt nicht gibt, aus irgendeinem plötzlichen Impuls oder Beweggrund, über den man, außer sich, keinen andern zum Richter setzen will, tut oder getan hat, so sollte man anständigerweise mindestens hinterdrein auch den Mut haben ...

MARIANNE
sich aufraffend, mit letzter, äußerster Bestimmtheit.
Ich habe diesen Schleier ... noch nie in meinem Leben ... gesehn!!
GEORG
mit einem höhnisch-wütenden, verächtlichen, halb Zisch-, halb Nasallaut seinen Gang wieder aufnehmend.
Thä ...!
DUFROY
verwarnend-»väterlich« auf sie einredend; dabei wieder auf seinen Platz zurück.

Es ist doch im höchsten Grade unwahrscheinlich ... Abbrechend und, während er sich in seinen Sessel niederläßt, sofort von neuem. Ich erinnre mich mit aller positiven Gewißheit, daß dieses alte Andenken, nebst einer ganzen Reihe noch andrer, und zwar in meiner Gegenwart, von Großmutter deiner Schwester geschenkt wurde, als diese mit ihrem ersten Kinde Kopfbewegung nach dem Garten rechts. zum erstenmal drüben bei uns war! Du mußt ihn also unter der von dir geordneten Hinterlassenschaft Mariettes unbedingt ...

MARIANNE
die sich inzwischen endlich etwas gefaßt hat; ruhig und mit gutem Gewissen sich verteidigend.

Die Erinnrungen an Mutter [523] lagen alle in ein und derselben Kommodenschublade, ich habe diese, einen Tag nach der Beerdigung Mariettes, flüchtig geöffnet, die einzelnen Stücke gar nicht einmal durchgesehn und seitdem nie wieder an den Sachen gerührt!

GEORG
der kaum »seinen Ohren getraut«; links vorn wieder stehngeblieben; noch ganz »starr«.
Das ... wagst du mir hier vor allen ... in diesem Augenblick ...
MARIANNE
die ihn von sich aus ebensowenig versteht; Geste mit beiden ausgestreckten Armen; ihre Aussage bekräftigend.
Da es doch der absoluten ... Wahrheit entspricht?
DUFROY
sich ins Mittel legend; stockend; Georg zu beruhigen versuchend, so wenig er auch, zu seinem Schmerz, seiner Tochter in diesem Moment glaubt.
Wenn Marianne dir das ... mit einer derartig präzisen Bestimmtheit ...
ONKEL LUDWIG
ebenfalls zu Georg; ähnlich.
Du kannst ihr doch nicht beweisen ...
GEORG
erregt fuchtelnde Geste mit der Rechten; seinen Gang jäh wieder aufnehmend; wieder Vogellärm, wenn auch nicht mehr so stark, wie oft vorhin.

Also! ... Bis zur Mitte der Bühne gelangt, wo er, mit derselben Geste, ebenso jäh wieder umkehrt. Und nun, bitte, knöpft die Ohren auf! ...Von neuem im Vordergrund links; immer mit den entsprechenden, lebhaftesten Gesten. Ich war eben vorhin oben, fand die betreffende »Kommodenschublade« weit auf, verschiednes noch aus ihr raushängend und rund vor ihr verstreut, und in ihr, wie aus einer jähen Eingebung, oder einem fliegenden Entschluß, mit eiligen Händen das Oberste zu unterst gewühlt! Sich, womöglich noch empörter, wieder in Bewegung setzend. Genügts?

MARIANNE
die ihm mit ganz entsetzt aufgerissenen Augen zugehört; flammend und dabei doch mit einem bereits leis irritiert-hilflos-unsichern Unterton.
Das ist nicht ... wahr! Das ist ...
GEORG
vorn rechts, wie angewurzelt, wieder stehngeblieben; heftigst ausgestreckte Rechte nach der großen Flügeltür.
Soll etwa jetzt Herr Baron und dein Vater ...
MARIANNE
gegen seine furchtbare Anklage, die sie fast zerschmettert, sich verzweifelt zur Wehr setzend.

Wenn das ... der Fall ist ... wenn du mein Zimmer wirklich in dieser mir ganz unerklärlichen[524] Unordnung gefunden hast ... so muß ich in einem Moment ... an den ich auch nicht die minimalste Erinnrung mehr in mir verspüre ...

GEORG
kalt-verächtlich wieder auf und ab; mit ihr jetzt kein Erbarmen mehr kennend.

Nicht recht glaubhaft und wahrscheinlich! Entsprechende Kopfbewegung nach rechts zurück. Als du vorhin drüben in den Saal tratst, wo wir bereits eine geraume Zeit auf dich gewartet hatten, warst du allem An- und Augenschein nach ... Mit betreffendem »Blick« nach ihr. ich beobachtete dich ziemlich aufmerksam ... vollkommen gelassen und gefaßt! Man merkte von einer innerlichen Unruhe und Aufregung, oder gar den Resten irgendeiner geistigen Minderverfassung bei dir auch nicht das Geringste! Du kannst also dieses dir angeblich bis zu dieser Stunde gänzlich unbekannt gebliebne, Instinktiv- sarkastisch halb nach Uexküll rüber. ehemalige Hochzeitsrequisit, auf dessen faszinierende Wirkung du bei uns traurigen Böotiern so fest und so sicher bautest, daß du die Eventualität einer möglichen Wiedererkennung deines schimmernden Talismans durch einen von uns nicht einmal in Rechnung stelltest, du kannst deine auf diese Weise sozusagen mißglückte Wundertarnkappe also nur bei vollem, klarem, ungestörtem Bewußtsein an dich gebracht haben und bist dann mit ihr, ebenso wie mit dem Kettchen ...

MARIANNE
die sofort, von einem unbestimmten Grauen gepackt, und fast schon erratend, um welches »Kettchen« es sich hier nur handeln kann, aufgehorcht; sich, ganz entsetzt, wieder bei allen umblickend.
Mit welchem ... Kettchen?!
GEORG
ihr ihre Frage, ohne sich in seinem Gang dabei aufhalten zu lassen, verächtlichst beantwortend und ihr sofort daraus einen neuen Strick drehend.

Mit dem kleinen, goldnen Kettchen aus deiner ersten jungen Mädchenzeit, das du gleichfalls zu dir gesteckt hattest, in der Absicht, uns hier unten als deine wiederauferstandne und auf einmal wiedergekehrte Schwester Mariette ...

MARIANNE
wie vorhin; mit wachsendem Grauen.
»Mariette«?!
GEORG
in seiner vernichtenden Aufrollung, ihre Frage ignorierend, weiter.

Eine mitleidig-rührselige und, wie ich jetzt eigentlich [525] fast zugeben muß, gar nicht einmal so unrationell gedachte Beruhigungs-, Begütigungs- und Vertuschungsszene vorzuspielen! Eine Absicht, die dir dann aber durch den natürlichen Trance, der plötzlich dazwischengetreten war und alles Geplante und in der Hast eiligst Vorbereitete in sein diametralstes Gegenteil verkehrte, und zwar gründlichst vorbeigelang! So daß grade dieses Kettchen, das du mit einmal zum Schluß um den linken Arm trugst ...

MARIANNE
wieder wie vorhin; nur noch gesteigerter; den Arm unwillkürlich dabei hochhebend und ihn entsetzt anstarrend.
Um den ... linken ...?
GEORG
ihre Anfrage ihr höhnisch bestätigend, mit noch gesteigertem Ingrimm.

Um den linken Arm trugst, der letzte, entscheidende Anlaß wurde, als wir der ganzen Maskerade müde ...

MARIANNE
in fast gelähmtem Entsetzen von neuem ihn unterbrechend.
»Der ... ganzen ... Maskerade ...«?!
GEORG
vorn links wieder stehngeblieben; ihr ins Gesicht.

Oder willst du etwa gar zum Überfluß noch leugnen, daß selbstverständlich ebenso auch das weiße Gewand, Mit den entsprechenden Armbewegungen. das drüben blieb, Blick nach Uexküll. als man dich hier herübertrug ...

MARIANNE
die ihn sofort begriffen, ebenfalls Blick zu Uexküll rüber; fast aufgestanden.
Wer?! ... Wer hat mich hier herübergetragen?
GEORG
einen Moment, unwillkürlich, noch stockend, dann brutalst und sich sofort darauf wieder in Bewegung setzend.
Ich nicht! Auto.
UEXKÜLL
der sich verpflichtet fühlt, jetzt einzugreifen; mit dem Versuch, Marianne, die ihn wie der und zwar diesmal gradezu wie geistesabwesend anstarrt, zu beruhigen.
Gnädigstes Fräulein ... sollten sich wenigstens im Moment noch ... über all diese Dinge ...
DUFROY
der sehr wohl bemerkt hatte, wie sie unter den letzten Worten Georgs zusammengezuckt war; nachdem er Uexküll einen wie etwas erstaunt-mißbilligenden Blick zugeworfen; fast nervös-unwillig.
Das kann dir doch schließlich ...
MARIANNE
hochaufgerichtet; ausbrechend; zu allen.

Ich will ... die Wahrheit wissen! Ich will endlich die Wahrheit wissen! Die volle, rückhaltlose Wahrheit, was mit mir in dieser Sitzung ...

[526]
GEORG
vorn links einen kurzen Moment wieder stehngeblieben und allerelementarst nach ihr zurück.
Die ... »Wahrheit« ... daß du uns diesmal ...
DUFROY
schnell aufgestanden und nun ebenfalls allerstärkst.
Ich verbiete dir mit meiner ganzen Autorität ...
ONKEL LUDWIG
den Kopf in beide Hände gestützt, ohnmächtigst-verzweifelt.
Ist das ein ... Tag! ... Ist das ein ... Tag!
MARIANNE
während Dufroy, zornigst, sich inzwischen wieder gesetzt und Georg, von seiner inneren Empörung, die er nicht vollst aus sich herausschleudern durfte, überwältigt, den rechten Ellenbogen gegen die Tür links gepreßt, den Kopf in die Hand, die Linke geballt, nun in ohnmächtiger Wut keuchend nach Luft ringt; sich, mit aller Gewalt aufgerafft, stolz-entrüstet verteidigend.

Den Schleier, den ich auf so niedrige, häßliche Art und Weise zu so nichtswürdigen Zwecken aus seinem Verwahrnis entwendet haben soll, kenne ich nicht, das kleine, goldne Kettchen, das ich schon seit acht Jahren nicht mehr aus seinem blauen Etui genommen, muß sich meines Wissens mit aller Bestimmtheit in Mariettes Schreibtisch, in irgendeinem Kästchen, oder sonstwo, jedenfalls aber oben in einem meiner beiden Zimmer befinden, und das ... Stockend. Gewand ... das weiße Gewand ...

GEORG
jähst wieder nach ihr zurückgedreht und, selbst jetzt sich noch steigernd, mit den entsprechenden, erregtesten Gesten.

Wünschest du und bestehst du darauf, daß ich dir beides, drüben aus dem Saal, den ich selbst hinter mir verschlossen habe, sofort hier vor allen zur Stelle schaffe?

MARIANNE
von seiner bebenden Entrüstung fast wie physisch in ihren Sessel wieder zurückgeschleudert; trotzdem mit letzter, verzweifeltster Bestimmtheit.
Das ... wird dir nicht möglich sein! Das ...
GEORG
schon auf dem Weg nach rechts.
Du sollst nach drei Minuten ...
DUFROY
aufhaltende, abwehrende Geste zu Georg rüber.
Wir waren alle Zeugen! Es ist jetzt wahrhaftig nicht noch nötig ...
MARIANNE
wieder aufgerichtet, noch bestimmter.
Trotzdem!
ONKEL LUDWIG
ihr tollpatschigst zuredend, doch lieber »klein beizugeben«; Seitenbeschwerde.
Auch der Redlichste kann mal ...
MARIANNE
nach wie vor zu Georg; mit letzter, bittrer Entschiedenheit.

Du siehst, daß jetzt sogar auch Onkel Ludwig ... Abbrechend und [527] sofort weiter. Da ich in diesem Sinne gern und mit Freuden darauf verzichten möchte, zu den »Redlichsten« gezählt zu werden, muß ich dich noch mal und zwar herzlichst bitten ...

GEORG
während alle ihm nachblicken, jetzt schon in der Tür.
Wie du willst!
MARIANNE
nachdem Georg, der in der Eile die Tür hinter sich nicht fest geschlossen, verschwunden; ganz erstaunt-irritiert zu Onkel Ludwig; am Himmel bereits die ersten, schwachroten Wolken; der Vogellärm völlig verstummt.
Ich denke ... das weiße Gewand ... hatte sich doch bisher noch immer ...
ONKEL LUDWIG
widerstrebend-bedenklich; Hand an der Hüfte.

Das ist ja wahr! Aber ... Abbrechend, da in diesem Augenblick deutlich zu hören ist, wie Georg die Tür des Musiksaals erst aufschließt und dann sofort heftig aufklinkt.

DUFROY
zu Marianne; ihr nun absolut keine Hoffnung mehr lassend.
Er wird es dir gleich bringen, und du wirst sehn ...
UEXKÜLL
ausholend und nach Worten suchend.

Es wäre vielleicht allerdings immerhin ... möglich, es ... könnte sein ... es käme mir jetzt eigentlich ... gar nicht mehr ... so außer aller Welt ... und Wahrscheinlichkeit vor ...

DUFROY
nervös-ungeduldig, fast scharf; ihn wie gar nicht verstehend.
Ja was denn?
UEXKÜLL
behutsam weiter.
Daß dies seltsame Gewand ...
DUFROY
abweisend-sarkastisch.
Aber mein Hochzuverehrendster!
ONKEL LUDWIG
empört-ähnlich.
Sie werden uns hier doch nicht ernsthaft ...
DUFROY
noch gesteigerter.
Eine solche Abstrusheit! Ich bitte Sie!
UEXKÜLL
unbeirrt; mit entsprechender Kopfbewegung.

Nach dem, was wir drüben ... vor knapp einer Stunde ... doch alle ... kaum eben erst erlebt haben ... sehe ich aufrichtig und ehrlich keinen Grund ...

ONKEL LUDWIG
unterstrichen-betont; dabei mit einem halben Blick Marianne streifend, die jetzt Uexküll, immer erstaunter, anstarrt.
»Aufrichtig«? ... Und »ehrlich«?
UEXKÜLL
der seinen »Hieb« sehr wohl verspürt hat; mit wachsender Sicherheit und Bestimmtheit.
Aufrichtig und ehrlich, warum dieses sonderbare, weiße Gewand nicht auch heute wieder ...
[528]
ONKEL LUDWIG
entrüstet; jetzt auf Marianne nicht die geringste Rücksicht mehr nehmend; entsprechende Geste nach der Decke hoch.
Bei dem ... brenzlichen Befund? ... Bei der offnen, geplünderten Kommodenschublade da oben?
DUFROY
in seinem Mißtrauen gegen Uexküll durch dies kleine Intermezzo noch verstärkt; jetzt nun schon beinah gradezu grob.

Von der und überhaupt jedem akzessorischen Indizium radikal abgesehn! Eine absolute, totale, pure Unmöglichst in sich diskutiert man nicht erst! Die ganze, plötzliche Stellungnahme von Herrn Baron ist mir komplett unverständlich!

UEXKÜLL
höflich-korrekt.
Bei allem Exzellenz gebührendem Respekt, aber ich habe ... fast bereits die innere Gewißheit ...
MARIANNE
der nur mühsam die Worte kommen.
Sie? ... Sie sind jetzt auf einmal ... der einzige, der hier ...
UEXKÜLL
sich verbeugend.
Mein ... Allergnädigstes?
MARIANNE
noch gesteigert.
Sie? ... Der Sie doch ...? Pferdegetrappel.
UEXKÜLL
beglückt, ihr jetzt endlich seine »Erklärung« machen zu dürfen.

Hätten mich nicht vorhin, nach meiner anfänglichen, unfairen, Sie persönlich verdächtigenden, häßlichen Bezweiflung, für die ich jetzt kaum noch um Entschuldigung zu bitten wage, schon die Phänomene selbst eines andern und Bessern überführt, jedes Wort, das Sie eben sprachen, jede Bewegung, jeder Blick hätten mich so umstimmen müssen, daß ich nun bereits längst ...

MARIANNE
ausbrechend, schmerzlichst; zu ihrem Vater und Onkel Ludwig; zuletzt wieder nach Uexküll.
So ... spricht ein Fremder ... ein Wildfremder, der noch dazu ...
DUFROY
allerpeinlichst dadurch berührt.
Beruhige dich!
MARIANNE
fast bereits tränenerstickt.
Und ihr ...
ONKEL LUDWIG
unbehaglich-unruhigst in seinem Sessel hin und her; sich verteidigende Geste; Seitenbeschwerde.
Es ist uns doch wirklich nicht ...
MARIANNE
außer sich; wie hysterisch.

Ihr, die ihr mich kennen solltet, ihr ... Von draußen rechts, heftigst, wieder die Tür. die ihr mir oft gesagt habt, daß ihr mich liebt, Beide Arme über den Tisch, den Kopf in sie vergrabend, konvulsivisch schluchzend und wie aufgelöst. ihr ... ihr ... ihr ...

[529]
GEORG
noch draußen; in höchster Erregung.
Die weiße Kleidung Eingetreten und mit seinem Blick alles überfliegend; stärkst. ist nicht mehr da!
ONKEL LUDWIG
zurückgeprallt.
Ist nicht mehr ...?
UEXKÜLL
fast gleichzeitig; mit unverhohlnem Triumph.
Wie ich ...
DUFROY
der sich sofort, unwillkürlich, erhoben; nach Georg zurück; fast ebenso gleichzeitig und beinahe noch konsternierter als Onkel Ludwig.
Un-faßbar!
GEORG
heftig über die Bühne quervorn bis nach links und bei seinen letzten Worten nach allen wieder zurückgedreht; schnellste, sich fast überstürzende Steigrung.
Ich habe den ganzen Raum gradezu beinah um und umgedreht! Nicht die geringste Spur!
ONKEL LUDWIG
beklommen-unsicher zu Marianne, die sich in ihrem Sessel wieder aufgerichtet hat.
Sollten wir dir doch ...?
GEORG
zu Dufroy; rapides Tempo; erregteste, lebhafteste Gesten.

Du hattest als erster die Türen geöffnet, Zu Uexküll. Sie transportierten die Bewußtlose hierher herüber, ich hatte die nur wenigen Sekunden, die der Vorgang anfangs gedauert hatte, vergeblich nach dem auf einmal wie plötzlich verschwundnen Kettchen gesucht, Zu Onkel Ludwig; mit noch erhobnerer Stimme. bleibt also nur der eine Schluß ...

ONKEL LUDWIG
in seinem Sessel, empört, quer zurückgelehnt; beide Hände wieder unwillkürlich gegen seine Seitenbeschwerde.
Was?! Ich?? Ich soll jetzt gar ...
GEORG
sich wieder in Bewegung setzend; noch gesteigert.

Jawohl! Nur du kannst dich an dem lachhaften Lumpen, um deine Schutzverbündete vor allen Weitrungen, die du sofort ahnend vorauswittertest ...

ONKEL LUDWIG
in Georgs Satz höhnisch weiter.
Zu bewahren ...
GEORG
heftigst.
Vergriffen haben!
ONKEL LUDWIG
erbittert; mit entsprechendem »Blick« nach Marianne rüber.
Natürlich! Hand wieder an der Hüfte. Ein Opferlamm ...
GEORG
höhnisch; ohne ihn anzublicken.

»Genügt« mir noch nicht! Selbstverständlich! Jetzt kommst du auch noch an die Reihe! In der Mitte der Bühne plötzlich jäh wieder nach ihm zurückgedreht. Wer hat den würgenden Plunder, als die halb Erstickte ohnmächtig nach Luft rang, ihr sofort, zugleich mit mir abund [530] runtergerissen und somit als einziger und allein in unsrer begreiflichen Verwirrung die bequeme Gelegenheit gehabt ...

ONKEL LUDWIG
ihn unterbrechend; zu allen übrigen; Ton ehrlichster, tiefster Entrüstung.
Das hab ich jetzt nu davon, daß ich mit meinen alten, müden, zermürbten Knochen ...
GEORG
nicht mehr ganz so sicher.
Wenn du das alberne, jammerhafte, stupide Spitzenlaken nicht an dich genommen hast, wer ...
ONKEL LUDWIG
wie vorhin; nur ihm bereits überlegen; betreffende Geste.
Ich möchte wirklich wissen, in welche große Westentasche ...
DUFROY
der sich inzwischen längst, nachdenklichst, wieder gesetzt; erst jetzt imstande, sich in die Debatte zu mischen; präzisierendste, sicherste Bestimmtheit.

Ich verließ den Saal, nachdem ich die Tür vor euch geöffnet hatte, Zu Georg. erst hinter dir, Zu Onkel Ludwig. du hieltst den Schleier, als du an mir vorbei die Schwelle passiertest, anscheinend ahnungslos, daß du ihn überhaupt trugst, krampfhaft, fast zitternd, gegen die rechte Brust gepreßt, und ich sah deutlich, dicht vor dem Podium,Wieder zu Georg. bevor du das Licht ausdrehtest,Betreffende, illustrierende Geste. wie der weiße Placken ...

ONKEL LUDWIG
befriedigt-erbittert.

Nu also! Zu Georg; seine ganze Malice jetzt in eine gepfefferte, knurrende »Ironie« tunkend. Wenn du ihn nicht vielleicht zum Schluß »aus Versehn« ...

GEORG
der sich solange nicht von seinem Platz gerührt; mit von neuem gesammelter Energie; alle Akzente schärfst betont.

Ich hatte den Schlüssel, den einzgen, der zu dieser Tür existiert, und den wir vorhin noch erst lange hatten suchen müssen, sofort, nachdem ich den Saal selbst verschlossen, abgezogen und zu mir gesteckt, keine Menschenseele hat den Raum nach mir noch betreten können, wo also, ich frage hier noch mal und alle, wo sollen diese mindestens fünf oder sechs Meter Mull, Tüll, Zwirngardine oder was es nun war, in der kurzen Zwischenzeit geblieben sein? Wollt ihr mir vielleicht darauf Rede und Antwort stehn?

DUFROY
sehr kühl und ruhig; gegen den vor Aufregung jetzt gradezu Fiebernden, der ihn und die übrigen mit seinen Blicken »fast verschlingt«, unbedingt im Vorteil.

Da du doch noch vor wenigen Stunden, als ich mir bescheiden erlaubte, dir auf deine [531] rund tausend Folioseiten, mit einigen kleinen, schüchternen Fragezeichen zu kommen, der ganz naiven Überzeugung warst, daß die einzelnen, winzigen Stoffteilchen damals, die du in jene »ovale Kapsel« getan, sich mit der Zeit, wie dein schöner Originalausdruck lautete, »zersubstanziiert« hatten, warum ... ich frage zurück ... sollte jetzt nicht im Prinzip und ... ebensogut ...

MARIANNE
die seiner geschickt-unangreifbaren, verblüffenden Kontroverse mit gespanntester Aufmerksamkeit gefolgt war; zu Georg; langsam.
Das ... meine ich doch ... auch!
ONKEL LUDWIG
ähnlich.

Quod rectum partibus, aequim toti! Was den Teilen früher recht war, müßte doch jetzt schließlich dem Ganzen ...

UEXKÜLL
in ihrem Bunde als Dritter.
Nach allen Regeln menschlicher Logik ...?
GEORG
seinen Gang, wuterstickt, beide Fäuste geballt, wieder aufnehmend; kaum fähig, aus dem Chaos, das jetzt in ihm tobt, auch nur die ersten, kümmerlichsten Worte zu formen.
So kann ein einziger, plumper Betrug genügen ...
MARIANNE
erregt, wie von seiner ungestümen Leidenschaft plötzlich psychisch angesteckt, in seinem Satz weiter.

Oder wenigstens schon ein einziges, unglückliches, Zusammentreffen scheinbarer, zufälliger Verdachtsmomente, die, wie von einer schadenfroh boshaften, teuflischen Macht, Kraft, oder Gewalt heimtückisch inszeniert und herbeigeführt ...

ONKEL LUDWIG
ganz erschreckt-betroffen.
Aber Kind!
DUFROY
fast entsetzt-unwillig.
Marianne!
MARIANNE
jetzt wieder direkt gegen Georg gewandt und mit sich abermals steigernder Heftigkeit noch immer in ihrem selben Satz.

Fast nach einem solchen Betrug aussehn ... Auto. um einen Menschen, der so hart und ungerecht denkt, wie du ... der so grausam und herzlos ist ... der mit sich und andern ... und wenn sie auch noch so an ihm hängen, oder ... gehangen haben, kein Mitleid kennt ...

DUFROY
der sich von seinem Sessel wieder erhoben; mit aller Energie; die letzten Worte halb nach Uexküll.
Komm wieder zu dir! Nimm dich zusammen! Du darfst hier nicht in Gegenwart ...
MARIANNE
verzweifelt; sich kaum mehr kennend; auch jetzt sich noch steigernd.

Wenn man mich, während ich ohnmächtig daliege und [532] nichts von mir weiß, einem vollkommen Fremden überläßt, so kann jetzt auch dieser vollkommen Fremde ...

DUFROY
nun bereits neben ihr und wieder halb über sie gebeugt; noch eindringlich-stärker.
Du darfst ...
GEORG
der sich inzwischen wieder gesammelt; von neuem vorn links und mit letzter Wucht, während Dufroy sich empört-drohend nach ihm aufrichtet, zu Marianne rüber.

Vollkommen Fremde, oder nicht! Durch diesen einen, dir nachgewiesen Betrug ... nachgewiesen, selbst wenn dir der halbe, lahme Gegenbeweis gelänge, daß du nicht bewußt gehandelt, was du aber bei dem ganzen Gesamttatbestand, der für dich der denkbar gravierendste ist, auch nur wahrscheinlich zu machen, noch nicht einmal in der Lage bist, durch diesen einen Betrug, der alles wettmacht, was du für mich getan, der alles in Nichts auflöst, was Gemeinsames hinter uns liegt, und der jetzt unsre Leben für immer ...

DUFROY
in seine jetzt einen Moment unwillkürliche Pause; allernachdrücklichst; dabei nochmaliger, ihn wie gewissermaßen »zur Ordnung« und zur Besinnung rufender Blick nach Uexküll.
So sehr und mit Freuden ich das ...
GEORG
der weder auf seine Worte noch auf seinen Blick auch nur im geringsten geachtet hat, in seiner Anklage gegen Marianne, der jetzt fast die Sinne schwinden, mit jedem Atemzug sich wieder steigernd, weiter.

Durch diese eine einzige Treulosigkeit, treulos gegen dich und mich, hast du es fertig und zuwege gebracht, daß ich jetzt nicht mehr bloß, wie früher, an allerlei uns Überkommnem und Überliefertem zweifle und noch hunderttausend verschieden andern schönen, angeblich ewigen, menschlichen Institutionen, Wahrheiten und Dingen, sondern vor allem und in erster Linie an mir selbst!

DUFROY
während Georg sich jetzt, nach Atem ringend, wieder in Bewegung gesetzt, längst, selbst erregt, im Hintergrund auf und ab.
Alles ganz gut und recht, aber ...
ONKEL LUDWIG
erbittert nach Georg rüber.
Mir kommt gradezu vor ...
DUFROY
einfallend; flüchtige, empört-aufgebrachte Geste nach der Stirn.
Als ob wir hier einer nach dem andern ...
ONKEL LUDWIG
in ihrem jetzt gemeinsamen Satz, beide Hände wieder in der rechten Seite, weiter.
Gradatim ...
[533]
GEORG
ohne sich in seinem Gang dadurch aufhalten zu lassen, von neuem und noch ingrimmig- verbissner.

Ein Kretin, der sich durch sein bißchen ... persönliches Pech und Malheur ... so übertölpeln ließ ... daß er alles, was ihm bis dahin den tiefsten, letzten, Bestinhalt seines Strebens bedeutet hatte, mit einem Ruck aufgab und achtlos undankbar von sich warf, um, vielleicht bloß verführt durch ein hinterhältig verschlagnes, raffiniertes Gaukelspiel, Onkel Ludwig entrüstet sich in Positur setzend. sich mehr und mehr in die älteste, abgeschmackteste und fixeste aller atavistischen Ideen zu verrennen, bis sich ihm die ganze Welt schließlich auf den Kopf stellte, ein solcher Idiot ... Vor Erregung fast sinnlos, nicht mehr fähig, weiterzusprechen.

ONKEL LUDWIG
dem sich erst jetzt die Zunge löst.

»Gaukelspiel«? ... Zitternder, weit ausgestreckter Zeigefinger nach der Tür rechts. Wo du dich doch noch eben erst selbst ...

DUFROY
stehngeblieben und sich nochmals zur Ruhe zwingend; ähnlich wie bereits eine ganze Weile vorher.

Nachdem das Gewand nun einmal, wie es scheint, tatsächlich verschwunden ist, jedenfalls aber, da wir dir selbstverständlich Glauben schenken müssen, drüben im Saal nicht mehr vorhanden war, und du auch das Kettchen zu deinem Leidwesen nicht wieder hast auffinden können, läge als vorläufiger Schluß, wenigstens für dich und deine bisherige Anschauungsweise einstweilen doch wohl näher ...

ONKEL LUDWIG
in seinem Satz, da Dufroy jetzt wie abwartend innehält, triumphierend weiter.
Daß auch dieses Kettchen wieder nicht das Kettchen Mariannes ...
GEORG
wieder ohne sich dadurch auch nur eine Sekunde lang aufhalten zu lassen; rausplatzend, allergröbst.
Blech!!
DUFROY
ebenso wieder, nur in seinem Hintergrund rechts auf und ab; »amüsiert-befriedigt«.
Allerdings! Allerdings!
ONKEL LUDWIG
ganz verdutzt-verdattert; von einem zum andern rüber; »a« kurz und betont.
Ja, aber nu ... warum denn nich?
GEORG
wie vorhin; allerheftigst.

Ich lehne ab, radikal ab, und erkläre es für den albernsten Nonsens, daß Gegenstände, Merkmale, oder Wahrzeichen, die man Toten mitgegeben ...

ONKEL LUDWIG
ihn unterbrechend; naiv; wie sich bei allen über diesen unerhörten [534] Unverstand Georgs beschwerend.
Wenn die Toten selbst wiederkehren können?
GEORG
elementar.
Blödsinn!!
DUFROY
»unbarmherzig«.
Zwei Kettchen dieser Art existieren nur!
ONKEL LUDWIG
in seiner Beweisführung, durch diese unverhoffte Hilfe nun noch sichrer und überzeugter, weiter.

Und sollte es sich also nu herausstellen, daß das eine Exemplar, das hier oberhalb dieser unsrer Erdkruste verblieben ...

GEORG
noch aggressiv-ausfälliger.
Hirnverbrannt!!
ONKEL LUDWIG
wie vorhin; sich dabei auf das Zeugnis Uexkülls und Dufroys berufend.
Da wir doch nu mal alle das Kettchen ...
GEORG
wieder bereits auf dem Weg nach der Tür rechts; neue, sich abermals übergipfelnde Steigrung.

Auch das Kettchen muß noch da sein! Auch das Kettchen kann sich nicht in leeren, lächerlichen, nebulosen Dunst verflüchtigt haben! Schon im Abgehen. Es wäre doch wahrhaftig mehr als aberwitzig, wenn ich euch nicht diesen Beweis ...

UEXKÜLL
der, ebenso wie die übrigen, dem Davongestürmten, der die Tür diesmal fast sperrangelweit aufgelassen, nachgeblickt – in diesem Moment klappt bereits die Tür zum Musiksaal – zu Marianne.
»Wen die Götter ...«
MARIANNE
nickend; schwer.
»Verderben wollen ...«
ONKEL LUDWIG
aus seinem Sessel sich jetzt aufrappelnd, trotzdem er sich dabei wieder die schmerzende Seite halten muß; zu Dufroy rüber, der die kleine Szene zwischen Marianne und Uexküll etwas verwundert-mißbilligend beobachtet hat.

Komm! ... Komm! ... Schon fast in der Mitte der Bühne; einen Augenblick lang schlotternde Geste schräg nach der Decke hoch. Er soll sich mit dir da oben überführen, daß er in seiner kurzsichtigen, sträflichen, unkurierbaren Verblendetheit ...

DUFROY
bedenklich; mit hochgezogenen Schultern.
Lieber Bruder, ich ... fürchte ...
ONKEL LUDWIG
nachdrücklichst-vorwurfsvoll; dabei halb nach Marianne rüber.
Du zweifelst ... noch immer ... an ihrem Wort?
DUFROY
wie vorhin.
So gern ...
UEXKÜLL
vorsichtigst; Onkel Ludwig zur Hilfe kommend.
Exzellenz ...
ONKEL LUDWIG
zu Dufroy.
Wo sich der Tatbestand ...
[535]
UEXKÜLL
noch mal wie vorhin.
Exzellenz sollten jetzt die kleine Mühe ...
MARIANNE
in ihren fast halb wie irren Anstand wieder zurückverfallen; schnellste, heftigste, gradezu sofort wieder erschreckendste Steigrung.

Hinter diesem ganzen Wirrwarr ... Nichts ... wird mehr helfen! Nichts ... wird uns retten! Nichts ... wird das Unheil ...

DUFROY
sie unterbrechend; fast unwillig.
Wenn du wieder ...
MARIANNE
von neuem; wie visionär.

Hinter diesem ganzen Wirrwarr ... so über alles Denken grauenhaft dieser für mich einzig mögliche Schluß ... mir im Augenblick auch noch erscheinen will und vorkommt ... Hinter diesem ganzen Wirrwarr ...

DUFROY
da sie jetzt, wie vor ihrem eignen Gedankengang zusammenschaudernd, unwillkürlich abbricht; nervös-abwehrende Geste mit der erhobnen Rechten.
Es ist entschieden besser ...
ONKEL LUDWIG
in Mariannes Satz, zu Dufroy und Uexküll, als handle es sich um das denkbar Allerselbstverständlichste von der Welt, fortfahrend.

Da kann auch für mich und meine mentale Auffassung ... Einen Moment zu Marianne rüber. und ich glaube ... daß ich dich da sehr recht verstehe ... eigentlich ... nu schon so gut, wie zweifellos ... doch bloß ein Wesen stecken ...

DUFROY
der Onkel Ludwig so lange angeblickt, als ob dieser allen Ernstes plötzlich übergeschnappt wäre; bereits wieder auf und ab.
Ein »Wesen«!
ONKEL LUDWIG
dadurch nur um so verstockt- hartnäckiger.
Das uns hier alle ...
MARIANNE
in ihrem jetzt gemeinsamen Satz, wie aus einem tiefsten, innerlichsten Zwang, weiter.
Einen, wie den andern ...
ONKEL LUDWIG
ebenso; nun auch vor der letzten, krassesten Deutlichkeit nicht mehr zurückschreckend.

Post suam mortem und bis über sein frühes, ich möchte fast gradezu sagen selbstgeschaufeltes Grab hinaus ...

DUFROY
einen Moment stehngeblieben und dann sofort wieder weiter; jetzt bis vor die offne Tür rechts; allerheftigst.

Entschuldigt, bitte, entschuldigt, aber eine derartige »Auffassung« ... nun obendrein auch noch »mental« zu nennen ... das geht ja fast über den primitivsten Schamanismus des zurückgebliebensten Samojeden!

ONKEL LUDWIG
auf den dieser zornige Ausbruch seines sonst so gesitteten »Herrn [536] Stiefbruders« aber auch nicht den geringsten Eindruck gemacht.
Du willst dich nich ... Kopfbewegung schräg vor sich nach der Decke hoch. überzeugen?
DUFROY
nervös-aufgebrachte Geste mit beiden Händen, ohne Onkel Ludwig dabei anzublicken.

»In irgendeinem Kästchen, oder sonstwo ...« Einen Moment, wieder mit der entsprechenden Geste, zu Marianne rüber. jedenfalls aber in einem deiner beiden Zimmer ... da können wir lange ... Pferdegetrappel.

ONKEL LUDWIG
fragend nach Marianne hin; jetzt einen Augenblick ebenfalls nicht ganz unbedenklich; »a« kurz, das übrige ein seltsam zaudernder, sich unbestimmt verflüchtigender Nasalton.
Cha ...? ... N ...
UEXKÜLL
Marianne wieder zur Hilfe kommend; ebenso zu Dufroy, wie zu Onkel Ludwig; die letzten Worte unwillkürlich etwas nach der Tür zurück.
Es würde sich doch aber ... schließlich lohnen, genau ... wie vorhin mit dieser Kleidung ...
ONKEL LUDWIG
jetzt wieder, ganz naiv-unschuldig, zu Dufroy rüber.
Da hast du ja auch gesagt ...
DUFROY
noch nichts weniger als dadurch überzeugt.
Du zwar ebenfalls, und ich enthalte mich immer noch jedes Urteils ...
MARIANNE
die, wie grübelnd, die ganze Zeit vor sich hingeblickt; lebhaft.

Ich weiß es jetzt! Ich weiß es jetzt ganz bestimmt! Ihr werdet das Kettchen finden! ... Es liegt bei alten Briefen Georgs! ... Auf einem von mir versiegelten Tagebuch ...

DUFROY
der, jetzt ziemlich vor der Tür rechts, erstaunt aufgehorcht; stehngeblieben.
Tagebuch?
MARIANNE
noch versichernd-bestimmter.

Tagebuch Mariettes, von dem ich dir sprach ... Jetzt wieder auch zu Onkel Ludwig rüber. und das ich euch dringend bitte nicht zu öffnen, in deren Schreibtisch! ... Von neuem zu Dufroy. Ein schmales Geheimfach links ... das ich zufällig entdeckte! ... Wieder zu Onkel Ludwig. Du drückst auf die kleine Intarsienrose ...

ONKEL LUDWIG
schon weiter auf seinem Weg nach der Tür rechts; nickend; beruhigt-überzeugte Geste.
Und es wird aufspringen! Hand auf der Schulter Dufroys. Es wird schon aufspringen!
DUFROY
seinen Widerstand aufgebend.
Gut! ...Letzter Blick nach Marianne zurück. Gegen alle meine Überzeugung!
[537]
ONKEL LUDWIG
jetzt schon fast an der Tür; die schlotternde Linke prophetisch erhoben; zugleich heftigste Seitenbeschwerde.

Glaub s mir! ... Glaub s mir! ... Auch dir ... wird deine Stunde noch kommen! Auch dir ... werden die Augen jetzt aufgehn! Auch dir ... Dufroy, der ihm gefolgt war, bereits draußen: »Darf ich dich stützen? ... Du scheinst mir doch etwas ...« Stimme Onkel Ludwigs, ähnlich wie bereits im Anfang des Akts: »Karzinom hat sie gesagt! ... Karzinom!« ... Aufgehn der Tür des Musiksaals; verwundert, die Stimme Georgs: »Nanu« ... Stimme Dufroys, bevor die Tür sich wieder schließt: »Wir wollten dich bitten ...«..

MARIANNE
die bei den Worten Onkel Ludwigs sofort gestutzt; mit schreckhaft weit aufgerissnen Augen.
»Karzinom«?
UEXKÜLL
neben den Stuhl rechts getreten, dessen Lehne er erfaßt; zuerst noch schnell wie sich versichernder Blick, daß die beiden auch ja jetzt weg sind; verhalten leidenschaftlich.
Es kommt mir wie ein größtes, unerwartetes Glück vor ...
MARIANNE
noch verstört-entsetzter.
»Karzinom«??
UEXKÜLL
auf ihre Frage wieder nicht antwortend; wie vorhin; nur noch gesteigert.

Jede Minute können die Herren ... Sie müssen mir vergeben und vergessen! ... Sie müssen mir verzeihn, was ich Ihnen heute nachmittag ...

MARIANNE
wie noch immer diese schrecklichen drei Laute nicht fassend.
»Karzinom«???
UEXKÜLL
seinen Versuch einer »Erklärung« jetzt aufgebend; zögernd einen Schritt wieder zurück.
Das böse ... herzlose Wort ... das die Erscheinung ...
MARIANNE
vor sich hin; durch die Zähne.
Infam!
UEXKÜLL
ihren Gedankengang erratend; sich innerlich gegen ihren vorhin geäußerten »einzig möglichen Schluß« mit aller Energie zur Wehr setzend.
Glauben Sie wirklich ... auch nur einen Augenblick ernsthaft ... daß dies furchtbare Phantom ...
MARIANNE
die gar nicht auf ihn gehört; von Grauen fast geschüttelt.

Nur ... weil der arme, alte, gutmütige Mann ... mich in sein Herz geschlossen hat! ... Diese ... Erinnye!

UEXKÜLL
in seiner Abwehr noch gesteigert.

Die Vorstellung ... daß ein bereits abgeschiednes, menschliches Wesen ... von einem noch [538] lebenden ... körperlich, wie seelisch, zeitweilig Besitz ergreifen kann ... und daß das hier diesmal ...

MARIANNE
die Linke vor der Stirn, als ob er auch jetzt wieder überhaupt nicht zu ihr gesprochen; immer erschütterter.

Mariette! ... Mariette! ... Nun wird mir alles klar! ... Seit Jahr und Tag schon!! ... Seit Jahr und Tag!

UEXKÜLL
noch stärker als vorhin.

Eine Tote, die ... wiederkehrt ... eine Begrabne, die ... aufersteht ... eine Verstorbne, die ... Abbrechend und in seinem selben Satz von neuem; Auto. eine solche Vorstellung ist für meinen Verstand ...

MARIANNE
für die er wieder gar nicht gesprochen; mit seltsamer, zum Schluß gradezu absoluter Bestimmtheit.

Diesen Schleier ... ich weiß das jetzt ... diesen Schleier, mir schwante das schon fast, als er mir hier vorhin so rührend harmlos, mit zittrigen Händen gereicht wurde ... diesen Schleier trug an jenem Abend meine Schwester, als Ihre ... brutale, rücksichtslose Selbstsucht ...

UEXKÜLL
noch einen weiteren Schritt zurück; irritiert-beteuernder Tonfall.
Sie klagen mich an, Sie ... bezichtigen mich einer Schuld ... ohne daß ich mir ... eigentlich ...
MARIANNE
zu ihm vorgebeugt.

Sie sind sich einer Schuld ... Wieder, unwillkürlich, etwas zurück, mit stärkst wachsendem, empörtem Erstaunen. Sie sind sich der ganzen, nichtswürdigen Verwerflichkeit Ihrer damaligen Handlungsweise ... nicht bewußt?

UEXKÜLL
noch gesteigert, reserviert-lebhaft.

Ich stünde nicht hier ... es ginge mir, allein schon rein gesellschaftlich, gegen jeden Takt und Geschmack ... es wäre für mich die elendeste, dreisteste, bodenloseste ... verzeihn Sie, gradezu Unverschämtheit und Aufdringlichkeit ...

MARIANNE
ihn anstarrend wie ein »fremdes Wundertier«.
Ihre Naivität ist mir ein Rätsel!
UEXKÜLL
wie vorhin; sich verteidigend; mit jedem Atemzug selbstsichrer und sie nicht einen Moment dabei aus den Augen lassend.

Was ich bis dahin ... an Männern, wie Frauen ... an Frauen, sowie Männern ... gesehn, beobachtet, oder erlebt hatte ... war für mich und mein urteilendes Empfinden ... vom Standpunkt ... oder unter dem Gesichtswinkel irgendeiner höheren, sittlich-moralischen Weltabwertung ... so grenzenlos unsinnig ... zugleich [539] lächerlich, und, wenn man will, grauenhaft gewesen ... daß ich mein ganzes ... um alle etwa weiteren Folgen unbekümmertes, taktisches Vorgehn an jenem Abend ... Auto. bis eigentlich fast zu dieser Sekunde ... für mein absolut selbstverständliches ... gutes Recht gehalten hatte!

MARIANNE
die ihm mit gespanntester Aufmerksamkeit zugehört; ausbrechend-bitter.
Ihr ... »gutes Recht!«
UEXKÜLL
noch immer wie vorhin; durch ihren empörten Ausruf nicht im geringsten aus seiner jetzt fast gradezu stolzen, abweisend-aufrechten Ruhe gebracht.

Das Schicksal Ihrer armen, aufs tiefste beklagenswerten Frau Schwester hätte sich auch ohne mich und zwar schon an jenem Abend erfüllt ...

MARIANNE
ihn unterbrechend; scharf; fast wie ihm mit etwas drohend, oder ihn davor warnend.
Das ... wissen Sie so genau?
UEXKÜLL
unerschüttert; Achselzucken.
Die Medikamente ...
MARIANNE
seinen Satz fortsetzend; ähnlich wie vorhin.
Die Sie der Unglücklichen damals ... wahrscheinlich heimlich ...
UEXKÜLL
mit einer leichten, diskret-skeptischen Bewegung dies mehr als in Frage stellend.
Heimlich?
MARIANNE
nachdrücklichst-bestimmt; in ihrem selben Satz und in ihrer sonderbaren, ihm ganz unverständlichen Tonart weiter.

Jedenfalls aber wider ihren Willen abgenommen hatten, waren, zum mindesten in dieser auffälligen Menge, ein gefährlichstes Gift gewesen!

UEXKÜLL
der auch jetzt noch nicht ahnt, worauf sie damit hinaus will; noch immer, indem sie sich beide dabei anblicken.
Ganz recht! Und ich folgre also daraus ... noch heute ...
MARIANNE
energisch nickend.

Gewiß! Unbestreitbar! Aber bei ihrem sprunghaften Temperament, bei ihren jähen, plötzlichen Entschlüssen, die sie immerfort wechselte, ist mit Sicherheit anzunehmen, daß sie sich dieses tödlichen Mittels, sobald sie auch nur einigermaßen wieder zur Besinnung und zu sich gekommen wäre ...

UEXKÜLL
ihr für ihre Frage von vorhin jetzt quittierend; einen Moment fast mokant.
Das ... wissen Sie ebenfalls so genau?
MARIANNE
mit letzter, äußerster Selbstsicherheit und Bestimmtheit.

Nach der von ihr ganz fraglos, wenigstens für mich und mein Empfinden, rein instinktiv erfolgten Mitnahme Entsprechende Geste. [540] dieses Schleiers zu schließen, ja! Nun womöglich noch gesteigert. Mit diesem Hochzeitsschleier ihrer Mutter kann es ursprünglich nur ihr Plan oder ihre Absicht gewesen sein, ihr junges Leben ...

UEXKÜLL
alles übrige bereits erratend; sie unterbrechend; bewegt.
Sie ... glauben? ... Sie ... meinen?
MARIANNE
langsam; schwerst; fast jedes Wort nachdrücklichst betont.

Noch keine fünfzig Schritt weit von hier, zwischen steinernen Quaimauern, mit widerwärtgem Wasser, schlammig und scheinbar bewegungslos, strömt der Kanal!

UEXKÜLL
noch unter dem stärksten Eindruck des eben Gehörten.
Jaja, aber ...
MARIANNE
in ihrer Beweisführung, sich fortwährend wieder steigernd, weiter.

Schon gleich und damals, so schrecklich und verzweifelt es auch in ihr ausgesehn haben muß, hatte ihr zur schließlichen Ausführung ihres traurigen Vorhabens im letzten, entscheidenden Augenblick ... die Kraft gefehlt! Sie war im Dunklen mit sich ringend in dieser einsamen Gegend wahrscheinlich trostlos auf und ab geirrt ... und erst ... nachdem sie gemerkt ... nachdem sie sicher schaudernd gefühlt ... daß ihr der Tod in dieser Form ...

UEXKÜLL
wie vorhin; nur noch gepackter.
Er ist für uns Menschen ... in aller und jeder Gestalt und Form ...
MARIANNE
von neuem; ihre Deduktion schließend.

Sie hatte also den Mut, der zu der schrecklichen Ausführung eines solchen Entschlusses ganz unstreitig gehört, schon einmal nicht gehabt, und es kommt mir daher ... eigentlich ... so gut wie ganz und gar ausgeschlossen vor ...

UEXKÜLL
sich noch mal und mit letzter Kraft wehrend.

Mag sein! Ich kann Ihre Beweisführung ...Abbrechend und sofort weiter. Nur begreife ich ... verzeihn Sie, leider noch immer nicht ... wieso grade ich es gewesen sein soll ... der dann an diesem späteren ... tragischen Ausgang ... Auto.

MARIANNE
mit sich ringend; jetzt zu ihm bereits fast wie aus einem gewissen Mitgefühl.

Sie sollen es wissen! ... Ich will Sie nicht länger ... Sie dürfen unmöglich im unklaren bleiben, was Sie mit Ihrer damaligen »Weltabwertung« ... allein schon in diesem einen Einzelfall ...

[541]
UEXKÜLL
von ihrem Ton immer beunruhigter; trotzdem, mit aller Gewalt, nochmal, sich zusammenraffend.

Ich bin kein Heiliger! Ich habe die Welt, in die eingesperrt wir nun einmal leben, nicht grade als Kloster angesehn! Vor mir und meinem Gewissen ... trotzdem, ich kann es Ihnen nur wiederholen ... war ich mir irgendeiner Schuld, oder auch bloß eines Unrechts ... es sei denn, daß man diesen Begriff nach unsern im Moment bestehenden Zivilgesetzen rein juristisch faßt ... wenigstens damals ... nicht bewußt gewesen!

MARIANNE
ausholend; wie vorhin; nur noch gesteigert.
Sie tun mir fast leid! ... Sie dauern mich! ... Aber so grausam es Ihnen auch klingen wird ...
UEXKÜLL
durch ihre Worte, und fast noch mehr wieder durch deren Ton, elementar berührt; nun, ohne daß er sich dagegen zu wehren vermag, wie bereits auf etwas gefaßt, vor dem ihm schauert.

Sprechen Sie! Durch nichts ... weiß ich, bin ich es wert ... daß Sie mich schonen! ... Ich habe heute ... im Verlauf dieser wenigen, letzten Stunden ... bereits so viel erfahren ... und innerlich durchgemacht ... ich bin als Mensch ... ein so gänzlich andrer geworden ...

MARIANNE
stark; ihn vollst anblickend; mit wieder sich bis ins letzte steigernder Eindringlichkeit.

Auch um Ihrer selbst willen! Ich muß es Ihnen sagen! Es steht jetzt gar nicht mehr in meiner Macht, es Ihnen zu verschweigen! ... Die »weiteren Folgen« ... um die Sie sich an jenem Abend so wenig gekümmert hatten ... waren derart gewesen ... daß meine Schwester ... die ihren Mann geliebt hatte ... Auf eine dies wie unwillkürlich in Zweifel ziehende Geste von ihm; abbrechend und, fast leidenschaftlichst, sofort wieder weiter. Ja! ... Sie hatte ihn geliebt! Sie hat ihn geliebt! Mit allen reichen, starken, überströmenden Kräften ihres ganzen Gemüts und ihrer ganzen Seele! Und nur allein aus diesem Gefühl, das sie mit der gleichen Inbrunst und Kraft nicht zurückerwidert geglaubt hatte, und der krankhaft aberwitzigen Vorstellung, sie müsse sich für das, was sie in ihrem eifernden, irrig mißleiteten, für alles andre und übrige blind kritiklosen Überschwang für ein gröbliches, tödlich beleidigendes, schimpflichst entehrendes Verschmähtsein hielt, rächen ... [542] einzig aus diesem Widerstreit kann ihr ganzes, unglückseliges Verhalten an jenem verhängnisvollen siebzehnten Märzabend, wenn natürlich auch nicht entschuldigt, so doch wenigstens immerhin ... und sei es auch nur bis zu einem gewissen Grade ... verstanden und erklärt werden!

UEXKÜLL
der ihren Worten mit steigender Erregung gefolgt war; aus jetzt nicht länger mehr zurückgedämmter Eifersucht.

»Nicht zurückerwidert« und »verstanden und erklärt werden«, weil auch Herr Professor ... schon damals ...

MARIANNE
stärkst-entschieden; ihn wieder voll anblickend.

Das ist nicht wahr! ... Betreffende Geste. Als er mir in diesem Garten ... zum erstenmal damals gegenübertrat ... hat er keine Sekunde lang gewußt ... daß nicht meine Schwester vor ihm stand ... ich weilte seitdem von beiden über hundert Meilen weit ... und mein Weg hätte sich mit seinem nie wieder in diesem Leben gekreuzt ...

UEXKÜLL
reuig-schmerzlichst; in diesem Augenblick fast bereits schuldbewußt.
Wenn nicht ... ich ...
MARIANNE
energisch.

Ja, Sie! ... Sie und Ihr »unbekümmertes« ... wie Sie sich vorhin so zart auszudrücken beliebten »... taktisches ...« Einen Moment fast wie angewidert; abbrechend.

UEXKÜLL
in ihrem Satz unwillkürlich weiter.

»Vorgehn an jenem Abend« ... zu dem ich mir bereits zu bemerken erlaubte ... Abbrechend und mit nochmals respektvollst betonter Bestimmtheit sofort weiter. Und ich bedaure auch jetzt ... nur wiederholen zu können ...

MARIANNE
die ihn nicht ausreden läßt; ihre unterbrochne Eröffnung mit von neuem gesammelter Kraft wieder aufnehmend; die letzten Worte unterstrichenst betont.

Die »weiteren Folgen« ... es scheint ... Sie ahnen das noch immer nicht ... waren derart gewesen ... daß meine arme Schwester ... nach einem zwei Monate später festgestellten ärztlichen Befund ...

UEXKÜLL
durch den es plötzlich wie ein Ruck gegangen; stockend-hastig.

Selbst ... die Richtigkeit ... die unbedingte Richtigkeit ... der betreffenden ... ärztlichen Feststellung ... zugegeben ... wer ... kann ... und darf behaupten ...

MARIANNE
wie vorhin; nur noch verstärkt; anklagend aufgerichtet.

Die [543] Wucht der ... Tatsachen! ... Keine Frau, und wäre sie selbst das unglücklichste, exaltierteste Geschöpf der Welt gewesen, hätte sich sonst zu einer so grausigen, gräßlichen, unmenschlichen Entsetzenstat aufreizen und hindrängen lassen!

UEXKÜLL
auch jetzt aus der Überzeugung, noch nicht überführt zu sein.
So sehr ... Ihre Annahme ...
MARIANNE
dadurch unberührt; zum letzten, entscheidenden Schlag ausholend.

Außerdem ... und dadurch ... wird mein mehr als Wahrscheinlichkeitsbeweis zu einem absoluten und gewissen ... erfuhr ich durch Zufall ... hatten beide Gatten ... seit jenem verhängnisvollen siebzehnten Märzabend ...Auf eine wie noch immer, auch selbst dies wieder in Zweifel ziehende Geste Uexkülls; parenthetisch. Das Datum steht unverrückbar sicher ... nicht ein Wort mehr miteinander gewechselt!

UEXKÜLL
zusammengezuckt; mit vollständig verändertem Stimmklang.
»Nicht ...?«
MARIANNE
noch gesteigert-bestimmter.

Nicht ein Wort mehr! ... Sie sahen sich nur noch bei den Mahlzeiten! ... Jeder hatte am andern vorübergelebt ... als ob der andre für ihn Luft wäre! ... Nach acht Wochen dann ... heute ... in dieser nun bald ... kommenden Nacht ... vor drei Jahren ...

UEXKÜLL
sie entsetzt anstarrend.
»In ... dieser ...?«
MARIANNE
mit erhobner Stimme.

In dieser nun bald ... kommenden Nacht ... vor drei Jahren ... plötzlich ... ereignete sich ... die Katastrophe!

UEXKÜLL
mit geschlossen Augen, die Hände gekrampft, den Kopf zurück, als ob er sein Todesurteil empfangen.
Und mich ... trifft die Schuld! Mich ...
MARIANNE
noch wuchtiger.
Drei ... Leben!
UEXKÜLL
mit der Linken sich über die Stirn streichend; noch mal einen Schritt zurück.
»Drei ...?«
MARIANNE
wie vorhin; bestätigend.
Drei herrlichste, prächtigste, blühendste Menschenleben! Von denen jedes ...
UEXKÜLL
sie unterbrechend und dabei noch immer, wie halb betäubt, sie anstarrend.
»Drei ...« Ich bitte um Verzeihung, wenn ich ganz ratlos frage, aber ... »drei ...?«
MARIANNE
letzte, erbarmungsloseste Eindringlichkeit.

Die junge Mutter ... [544] ein kleines, kaum erst zweijähriges Mädchen Marion, ihr getreues Ebenbild ... und ... an den Folgen ... noch nachträglich ... ein bereits über viereinhalb Jahr alt gewesner, entzückendster Knabe ... Georg ... das Abbild des Vaters ... Geste. die hier nun beide noch vergnügt ... Stimme Georgs, nachdem gleichzeitig die Tür des Musiksaals wieder aufgegangen; Uexküll und Marianne horchend. »Es ist zwar völlig überflüssig, aber ... Gut! Sehn wir nach! Denn ... wenn das wäre ...!!« Stimme Dufroys, offenbar zu Onkel Ludwig: »Ein paar Minuten! Ich werde dich nachher ...« Stimme Onkel Ludwigs, nachdem inzwischen auch noch eine zweite Tür geöffnet wurde: »Karzinom! ... Karzinom!« ... Marianne, nachdem, wie es scheint, die zweite Tür sich wieder geschlossen, den roten Widerschein in den Glasschränken bemerkend, sich halb umdrehend; leises Vogelgezirp, eine flötende Amsel. Das schöne ... Abendrot!

UEXKÜLL
der sich wieder zusammengeruckt hat; ebenfalls nach den Fenstern hin; mit seltsamstem Stimmklang.
Für mehr ... als einen heut ... vielleicht ... das letzte!
MARIANNE
betroffen; ihn groß anblickend.
Sie ... sagen das ...
ONKEL LUDWIG
die Rechte gegen seine Hüfte, schwer durch die Tür.
Nu werden wir ja bald ...
UEXKÜLL
unterstrichen-bestimmt, mit deutlichster Beziehung.
Ja! Jetzt wird sich alles bald ...
ONKEL LUDWIG
von seinem Ton angesteckt; trübst vor sich hin; dabei aber dem Augenschein nach nur an sich selbst und seine Seitenbeschwerde denkend.
Bewahrheiten und erfüllen!
MARIANNE
ihn mitleidig betrachtend; ans innerster Empörung.
Du wirst doch hoffentlich ... nicht glauben ... was dir das Scheusal ...
ONKEL LUDWIG
was er »weiß«, sich nicht »ausreden« lassend; womöglich noch kläglicher, als nun schon so oft.
Karzinom hat sie gesagt! Karzinom!
MARIANNE
zusprechend-nachdrücklich.
Mein Vater ... wird dich sofort nachher ... untersuchen, und du wirst sehn ...
ONKEL LUDWIG
ihr wieder ins Wort; lebhafte, prophetische Geste mit der erhobnen, schlotternden Linken.

Dies irae ... dies illa! Wir sind hier alle ... »Drei Jahre noch! ... Noch drei Jahre!« ... Wie konnte ich alter, hirnloser, dekrepider Schwachkopf ...

[545]
UEXKÜLL
jetzt innerlich zu einem Entschluß gekommen; zu ihm zurück; den zweiten Satz zu Marianne.
Herr Doktor ... hatten vorhin recht! Ich hätte dieses Haus ... nie betreten sollen!
MARIANNE
fest, hart.
Nein!
ONKEL LUDWIG
ganz verdutzt-irritiert; zu allen beiden.
Gewiß!! Gewiß!! Aber ...
UEXKÜLL
bereits eine Visitenkarte in der Hand; nach den Schreibutensilien auf dem Tisch; wieder zu Marianne.
Wollen Sie mir auf dieser Karte für Herrn Professor gütigst einige Zeilen gestatten?
MARIANNE
erstaunt, mit aufsteigender Besorgnis.
Wozu? ... Zu welchem Zweck?
UEXKÜLL
eine der Federn schon in der Hand.
Pardon!
ONKEL LUDWIG
sich nach seinem ursprünglichen Platz begebend; den Schreibenden dabei kopfschüttelnd halb umkreisend; zuletzt mißbilligend nach der Tür rechts.
Seltsam! ... Seltsam! ... Mein Neffe ... muß doch jetzt gleich ...
MARIANNE
die seinem Blick gefolgt war; sich vergewissernd.
Georg ... ist mit Vater ...?
ONKEL LUDWIG
der sich, jetzt wieder seine Seite haltend, in seinen Sessel setzt; ihre Frage bestätigend; unbestimmte Geste nach der Decke hoch.
Sie sind jetzt beide oben in deinem Zimmer, und ich bin überzeugt ...
MARIANNE
zu Uexküll, dessen schreibende Rechte noch über die Karte fliegt.
Ich begreife offen gestanden nicht ... was Sie mit Herrn Professor noch schriftlich ...
UEXKÜLL
die Karte, nachdem er sie abgelöscht, in ein vom Tisch genommnes Kuvert praktizierend, das er aber nicht schließt; alles, ohne sich dabei zu setzen.
Herr Professor hat nach dem ... was Sie mir eben eröffnet haben ...
ONKEL LUDWIG
ganz perplex.
Er ...?
UEXKÜLL
noch verhalten-bestimmter zu Marianne in seinem Satz weiter.

Eröffnet haben, das Anrecht, jede Aufklärung, oder Genugtuung von mir zu verlangen, die ihm etwa wünschenswert erscheinen sollte ...

MARIANNE
fragend einfallend und sofort stockend.
Und Sie ...
UEXKÜLL
mit einem leichten, bestätigenden Kopfnicken seine Erklärung korrekt schließend.

Und ich gedenke jetzt, ihm dieses Anrecht [546] nach keiner Richtung mehr streitig zu machen! ... Zu Onkel Ludwig; das Kuvert mit der Karte dabei auf den Tisch legend. Falls Sie, Herr Doktor ...

ONKEL LUDWIG
beide Hände am Kopf; vollständig verdattert und hilflos.
»Aufklärung?« ... »Genugtuung?« ... »Anrecht?« ... Auto.
UEXKÜLL
mit der Miene und in der Haltung eines sich Verabschiedenwollenden.
Ich habe die verehrten Herrschaften bereits allzulange ...
ONKEL LUDWIG
mit dem ungeschickten Versuch, ihn zurückzuhalten.
Sie werden doch nicht ... jetzt ...
UEXKÜLL
dies völlig ignorierend.
Bitte, mich Exzellenz ... gütigst zu empfehlen!
ONKEL LUDWIG
wie vorhin; nur noch gesteigert.
Ausgerechnet grade jetzt ...
UEXKÜLL
tiefe, respektvollste Verbeugung.
Mein allergnädigstes Fräulein? ... Formell. Herr Doktor?
ONKEL LUDWIG
kaum daß Uexküll die Tür hinter sich geschlossen und seine festen, schnellen Schritte verklungen.
Was ... hast du diesem Menschen ...?
MARIANNE
die Uexkülls Karte hastig aus dem Kuvert gerissen; mit steigender Angst die Schrift entziffernd.

»Für Sie ... oder jeden von Ihnen bevollmächtigten Dritten ... bis heute abend zwölf Uhr ... zu sprechen Hotel Bristol!« Entsetzt aufblickend. Das ... kann doch nur ...

ONKEL LUDWIG
dem gleichfalls der Atem stockt.
Das kann nur ...
MARIANNE
erst jetzt fähig, ihren Satz mühsam zu Ende zu bringen.
Das kann nur ... Auto. den einen ... einzigen Sinn haben!
ONKEL LUDWIG
pathetisch-feierlich, die Rechte dabei unwillkürlich erhoben, wie visionär vor sich hin.
»Ich ... sehe dich ... mit zerschossner Stirn ...«
MARIANNE
die Hände gekrampft auf dem Tisch, zu ihm vorgebeugt, als ob sie aufstehn wolle.

Wer ... hat das von ihm ...?! ... Plötzlich, mit einem jähen Ruck, als ob sie alles begriffe. Mariette??

ONKEL LUDWIG
in seinem lapidarischen Bericht weiter.
»Morgen früh ... noch bevor die Sonne ...
MARIANNE
mit fiebernden, jagenden Pulsen.
Das ... darf nicht ... sein! Das darf unter keinen Umständen ...
ONKEL LUDWIG
noch wuchtiger.

»Über deiner verkrampften Hand ... schaukelt [547] sich ein Kiefernast ... Mit den entsprechenden Gesten. und, zehn Schritt dir gegenüber ... raucht noch die Waffe des andern ... der dich ... in den Tod gestreckt!«

MARIANNE
letzte, entsetzt-angstvollste Steigrung.
Georg?? ... Georg???
ONKEL LUDWIG
allerschwerst; nickend; ganz erschöpft.

Ge-org!! In diesem Augenblick nebenan wieder eine Tür auf; während beide gespannt horchen, hastige Schritte.

GEORG
ungestüm eintretend; mit den Augen sofort Uexküll suchend; allerstärkst.
Das Kettchen ist da!!
DUFROY
die Tür hinter sich schließend; lebhaft, noch ganz erregt, zu Marianne rüber.
Wir fanden es oben, genau ...
GEORG
wie angewurzelt; elementar.
Wo ist Herr Baron??
ONKEL LUDWIG
schnell; Georgs Frage mit Absicht »überhörend«; eifrigst zu Marianne.
Wie du s uns gesagt hattest! Zu den beiden übrigen; triumphierend. Seid ihr nun endlich ...
DUFROY
sich über die Stirn streichend.
Mir absolut ...
GEORG
für den jetzt im Moment alles andre kein Interesse hat; seine Frage verstärkt, wenn auch in andrer Form, wiederholend.
Als wir eben die Treppe passierten, hörten wir, wie jemand ...
MARIANNE
da Georg in diesem Augenblick die Karte Uexkülls bemerkt; sie schleunigst mit beiden Händen bedeckend.
Nicht!!
GEORG
schon am Tisch und, seinen begonnenen Satz dabei vollendend, die Karte rücksichtslos an sich reißend.
Die Gartentür schloß! ... Schärfst. Was ist das für nicht Wisch?!
DUFROY
unwilligst-verweisend; bereits hinter seinem Sessel rechts.
Man nimmt nicht eine Karte, wenn sie nicht für einen ...
ONKEL LUDWIG
in seinem Sessel links, erbost, aufgestanden.
Du gibst sie ... mir her!
GEORG
der die Karte inzwischen gelesen; sie Dufroy reichend; höhnisch-erbittertstes Auflachen.
Tchähahah!!!
DUFROY
sie jetzt ebenfalls lesend; mit zusammengezognen Brauen.

»Für Sie ... Stutzend, während Onkel Ludwig, total geschlagen, sich nieder setzt. oder jeden von Ihnen bevollmächtigten Dritten ...Aufblickend. bis heute abend ...«

GEORG
ingrimmigst-sarkastisch; den Rest ihm abnehmend.
»Zwölf Uhr zu sprechen Hotel Bristol!« Jawoll! So steht s da! Genau so steht s da!
[548]
DUFROY
der sich wieder zusammengeruckt; ganz erstaunt-überrascht; Geste nach der vorderen Mitte des Raums.
Ich denke, ihr hattet euch doch ... bereits ...
MARIANNE
mit aller Kraft sich jetzt ebenfalls aufraffend; letzte, entschlossen-verzweifeltste Energie.
Du wirst ... weder selbst gehn ...
ONKEL LUDWIG
ähnlich; ihr assistierend.
Aber auch unter ganz und gar keiner Bedingung!
MARIANNE
in ihrem Satz, vor Erregung kaum fähig zu sprechen, weiter.
Noch ... wirst du ...
GEORG
losbrechend; allerelementarst; nach der Stelle im Vordergrund, auf die Dufroy eben hingedeutet, und beim letzten Wort, jäh wieder nach ihm zurückgedreht.
»Siebzehnter Drei Null Neun!!«
DUFROY
der die Karte erst jetzt wieder vor sich auf den Tisch legt; aufrecht und, so sehr er auch Georgs Überzeugung nun teilt, sich doch gegen dessen Entschluß, den er bereits ahnt, mit aller Macht auflehnend.
Es ist der hellste Wahnsinn ...
GEORG
ihm den Sinn seiner erregten Worte sofort verdrehend und mit denkbar stärkster Wucht, permanent sich steigernd, von neuem.

Es war der hellste Wahnsinn und ich begreife einfach gar nicht mehr, weshalb, warum, wieso, wie und wodurch ich mich überhaupt dazu habe verleiten, aufstacheln und hinreißen lassen können, in die Echtheit der Phänomene grade diesmal, in ihre absolute, exakte, zwingende Echtheit, ausgesucht grade diesmal, auch nur den geringsten, mindesten, leisesten Zweifel zu setzen!

DUFROY
unwillkürlich noch höher gereckt; protestierend.
Na, erlaube!!
GEORG
rapid weiter; auch jetzt noch sich steigernd; immer mit den entsprechenden, erregtesten Gesten.

Das Gewand, nach dem wir den ganzen Saal, bis in seinen letzten verstaubtesten Winkel, noch mal durchsucht haben, bleibt verschwunden, das Kettchen Mariannes, vorausgesetzt, daß es sich um das Kettchen Mariannes überhaupt gehandelt hatte, hat sich oben in seinem blauen Etui, und zwar völlig intakt, wieder- respektive vorgefunden, sein kurzes, von uns allen deutlich wahrgenommnes Aufblinkern um den linken Arm der Transfiguration oder Erscheinung, ganz gleich, wie wir uns im übrigen nachträglich zu diesem eigentlichen Haupt- und Zentralphänomen als solchem [549] stellen, könnte also nur durch mediumistischen Apport erklärt werden, Nach dem Tisch hin. und dieser Schleier ...

DUFROY
jetzt völligste Ohnmacht und absolute Ratlosigkeit ausdrückende Geste.
Mir ist das alles ...
GEORG
Dufroy nicht beachtend; als hätte dieser sein einen Augenblick indirektes Zugeständnis überhaupt gar nicht erst abgelegt.

Hat diese Sitzung, diese ganze Sitzung, die uns den endgültigen, letzten, überzeugenden Abschluß bringen sollte, und auf die wir gewartet hatten, qualvoll gewartet, vierzehn Tage lang, vierzehn Tage, hat diese Sitzung überhaupt irgendwelchen Sinn und Verstand gehabt, und sie muß ihn gehabt haben, sie hat ihn gehabt, so kann das nur der gewesen sein ...

ONKEL LUDWIG
ihm seinen Satz, jetzt wieder ganz auf Georgs Seite, mit überzeugtestem Nachdruck unwillkürlich vollendend.
Der dir ... verheißen war!
GEORG
noch überzeugter; jeden Iktus schärfst betont.
Und der sich mir jetzt auch prompt ...
DUFROY
erst jetzt wieder imstande einzugreifen; nervös-heftigst und vergeblich bemüht, in den Ideeengang der beiden andern, der ihm zum Teil völlig unverständlich ist, einzudringen.
»Verheißen« war! »Verheißen«! Was für eine Verheißung?
GEORG
wieder sich gar nicht um ihn kümmernd und von neuem nach dem Tisch hin.

Dieser Schleier ... »Erkennst du ihn? Erkennst du ihn wieder? Du hast ihn schon einmal gesehn?! ...« Abbrechend und sofort weiter; mit jetzt letzter, wie nun durch nichts mehr beirrbarer Sicherheit und Bestimmtheit. Diesen Schleier trug an jenem siebzehnten Märzabend ...

DUFROY
wieder gegen seine jetzt eigene Überzeugung; um so prononciert-ablehnender.
Das übersteigt ...
MARIANNE
die bei den von Georg zitierten Worten, die er unwillkürlich ähnlich wie im dritten Akt die Erscheinung gesprochen, sofort schärfst aufgehorcht hat; erst jetzt wieder zu Worten kommend; mit von neuem gesammelter Energie.
Du wirst auf keinen Fall ...
ONKEL LUDWIG
ihr auch jetzt wieder beipflichtend.
Wie auch die Sache zusammenhängt!
GEORG
in seiner Aufreihung der beweisenden Indizien, die für ihn [550] irgendeines Kommentars nicht mehr bedürfen, weiter.
»Jetzt wirst du bald erfahren, was Mariette so in Schuld verstrickte ...«
DUFROY
alle zehn Fingerspitzen vor der Stirn.
Man kommt sich bald wirklich ...
MARIANNE
die wieder ganz entsetzt aufgehorcht; Georg groß anstarrend.
Das ...? Das hat das Phantom ...?
GEORG
unterstrichen-heftigstes Kopfnicken.
Wörtlich!!
ONKEL LUDWIG
außer sich; dabei wieder gleichzeitig an sein »Karzinom« denkend.
So ein ... Weibstück!
DUFROY
von neuem Geste, als ob er sich in einem Tollhause befände.
Mir scheint, daß hier nachgrade alles und jeder ...
GEORG
seine Indizienreihe, womöglich noch ingrimmig-verbissner, fortsetzend und dabei auch jetzt wieder nur die betreffenden, von ihm zitierten Worte für sich selbst sprechen lassend; von neuem auf und ab.

»Ein Tag, wie jeder andre, und zum Schluß ...« »Dies Abenteuer hatten Sie hier in Berlin gehabt!« »Darüber verweigre ich die Auskunft!!«

DUFROY
nochmals, wenn auch bereits etwas schwächer, gegen seine eigne Überzeugung.
Wie kannst du daraus schließen ...
ONKEL LUDWIG
»racheschnaubende«, empört- aufgebrachte Geste nach der Tür rechts rüber, durch die vorhin Uexküll gegangen.
Dieser ... Halunke!!
GEORG
noch stärker; fast wie jetzt nichts mehr um sich hörend und sehend.
»Du ... lügst!!« Wie sich das alles ... Wie das alles jetzt klar wird! Wie das zusammenschießt!
DUFROY
mit aller Gewalt und Kraft sich nun endlich und bis ins letzte zusammenraffend; schnelle, fast atemlose Sprechweise.

Deine ganze Phantastik, um dich zu beruhigen, nur um dich zu beruhigen, einen Moment, einen kurzen Moment hypostasiert und als Realität, als volle, zurück- und hinter uns liegende, diskutierbare Realität interimistisch akzeptiert und angenommen! Schön! Gut! Also deine Frau war durch einen Zufall ... mein Gott, durch einen Zufall, durch irgendeinen Zufall ... mit diesem auch mir höchst unsympathischen Herrn an jenem Abend, sagen wir auf der Straße, in einer Gesellschaft oder im Vestibül eines Etablissements ...

GEORG
der ihm mit verbissenstem Hohn, ohne sich dabei auf seinem [551] Gang wieder zu unterbrechen, solange zugehört; »vulkanisch«; durch die Zähne.
Eines »Etablissements« ...
DUFROY
beeilt hastigst, um ihn nur ja nicht schon wieder zu Wort kommen zu lassen; in seinem Tonfall noch verstärkt, weiter.

Jedenfalls irgendwie, flüchtig zusammengetroffen! Das lag nicht außerhalb des Bereichs jeder Möglichkeit und mag also meinethalb vorgefallen sein! Nur, wie kannst du dich dann unterstehn, wie darfst du es wagen, daraus zu folgern ... allein schon dir selbst gegenüber ...

GEORG
ausholend, von neuem.
Die Aussage der Erscheinung ...
DUFROY
mit dem vergeblichen Versuch ihn zu unterbrechen.
»Die Au ...«
GEORG
wuchtigst, noch mal.
Die Aussage der Erscheinung, der Materialisation, oder des doppelgängerischen Phantoms ...
DUFROY
unwilligst; nicht ganz ehrlich-sarkastisch.
Laß dich doch nicht auslachen!
ONKEL LUDWIG
empört, Dufroy fast »auffressend«.
»Auslachen«?!
GEORG
zum drittenmal, noch gesteigert.

Die Aussage, ganz gleich, wie du dich zu diesem, im übrigen auch mir gänzlich unbekannten Ix stellst, lautete klar und bestimmt: Nicht um einen zufälligen, traurigen Unglücksfall hatte es sich damals gehandelt ... Marianne, die die ganze Zwischenzeit über, mit jeder neuen Aufklärung immer entsetzter, nach Georg gestarrt, unter diesen letzten Worten, wie von ihnen ganz besonders getroffen, wieder zusammengezuckt.

DUFROY
auch jetzt wieder ihn unterbrechend; seinem Gedankengang geschickt eine von Georg gar nicht beabsichtigte Spitze gegen sich selbst gebend, um ihn so endlich, wie er glaubt und hofft, von der Weiterverfolgung seiner »Indizienreihe« abzubringen.

Sondern meine amtliche autoritäre Bekundung, die ich, als erster, zur Stelle gerufner Arzt, der behördlichen Untersuchungskommission dann später zum Überfluß auch noch schriftlich abgab, war falsch, und Mariette hat sich mit ihren beiden Kindern ...

GEORG
stehngeblieben; ihm ins Gesicht; fast verächtlich-heftigst.
Daran hast du nie, auch nur eine Sekunde lang, gezweifelt!
MARIANNE
sich wieder zusammenraffend; energisch.
Du sprichst in einem Ton zu meinem Vater ...
[552]
ONKEL LUDWIG
ihr auch jetzt nieder eifrigst-lebhaft assistierend; Seitenbeschwerde.
Da müssen wir denn doch ...
DUFROY
während Georg sich wieder in Gang setzt; ablehnend-warm.

Ich danke euch! Aber es ist wirklich ... Von neuem; andrer Tonfall. Also deinem vollkommnen Irrsinn ... so sehr du damit nicht bloß dich, sondern auch uns andre beleidigst, nachgegeben sogar bis zu diesem Punkt! Wie willst du mir dann erklären, daß jene entsetzliche Katastrophe ... die uns alle ... so tiefunglücklich gemacht hat ... daß Mariette diese Tat ... die ja gar nicht auszudenken wäre ... Abbrechend und, noch verstärkt, sofort weiter. Ich bitte dich! Nach zwei Monaten erst! Nach zwei Monaten!!

ONKEL LUDWIG
der ganz erstaunt aufgehorcht; wieder total verdattert; mit beiden Händen sich über die Schläfen streichend.
Davon hab ich ja ... von all dem hab ich ja ... bis heute ...
MARIANNE
zu Georg; nun nur noch von diesem einen Bestreben, diesem einen Gedanken erfüllt.
Du gibst mir jetzt ... dein Wort ...
GEORG
der auf alle beide nicht mehr gehört; mit gekrampften Fäusten auf und ab; in ohnmächtigem Ingrimm vor sich hin.
Die ganze Schlußkette ist in meiner Hand! Die ganze Schlußkette! Bis auf dieses eine ...
DUFROY
bestätigend-nachdrücklichst, fast jede Silbe betont; seines jetzt endlichen »Sieges« über ihn bereits so gut wie sicher und innerlich aufatmend, damit, wie es scheint, alles noch drohend Weitre »glücklich verhütet« zu sehn.

Bis auf dieses eine unbeantwortete Fragezeichen! Für das du eine Antwort nie finden wirst, weil deine ganze »Schlußkette« auf einer falschen, irrigen, sich mit der Realität nicht deckenden Voraussetzung beruht!

GEORG
wie vorhin; nur noch gesteigert.
So nah am Ziel! So nah am Ziel! Und noch immer ... Auto.
ONKEL LUDWIG
als das enfant terrible das er sein Lebtag geblieben, naiv-treuherzigst in seinen Taschen kramend.
Da hatte ich doch ... als wir vorhin im Kabinett ...
GEORG
sofort in der dunklen Hoffnung, nun vielleicht doch noch die letzte Klarheit zu erlangen, auf ihn zu.

Da hatte, verdeckt von einer Vorhangfalte, Zu Dufroy rüber. dein Block gelegen! Zu Onkel Ludwig. Gib ihn her!

[553]
ONKEL LUDWIG
während Marianne und Dufroy unwillkürlich einen besorgt-erschreckten Blick wechseln, den Block bereits in den Händen und vergeblich bemüht, das darauf Gekritzelte zu enträtseln.
Die Schrift ... ist so undeutlich ...
GEORG
den Block an sich nehmend; ähnlich.
Vielleicht gelingt es mir jetzt ...
DUFROY
zu Onkel Ludwig; erbittert; fast versucht, einen ihn beleidigenden Ton anzuschlagen.
Es ist doch wieder eine Torheit sondergleichen und grenzt beinahe gradezu ...
MARIANNE
zu Georg; angstvoll-beschwörend.
Lies das nicht!! Nach all dem Abscheulichen ...
ONKEL LUDWIG
zu beiden; sich verteidigend.
Ihr wißt ja noch nich ...
GEORG
dem es anfangs nicht gelungen war, auch nur ein einziges Wort zu entziffern; plötzlich wie von einem Gedanken oder einer Erleuchtung durchzuckt.
»Grau ...«
ONKEL LUDWIG
verdutzt-neugierig.
»Grau ...?«
GEORG
bereits vor dem betreffenden alten Instrument; den Block halb rund biegend.
Es ist Spiegelschrift! ... Ganz deutlich! ... Die Schrift ... Fast zurücktaumelnd. Mariettes!!
ONKEL LUDWIG
dem der Laut in der Kehle stecken bleibt.
»Ma ...?«
DUFROY
tiefst unwillig-erschreckt.
Mariettes!! Ha stig-vorwurfsvoll zu Marianne rüber. Du hast sie sicher in deinem Trance ...
GEORG
mühsam, ein Wort nach dem andern, in wachsender Erregung, während alle atemlos horchen.

»Grausames ... qualvollstes ... unerbittliches ... Leben ... das ich ...« Jäh zusammenzuckend abbrechend, das oberste Blatt heftigst abreißend, es zerknüllend und den Block auf den Tisch schleudernd; dabei, wie aus letzter, tiefster Qual, aufstöhnend. Mmm!!!

ONKEL LUDWIG
ganz perplex; stärkst.
»Das ich ...?«
MARIANNE
die den Rest bereits erraten; verzweifelt.
Georg!!
DUFROY
aus dem gleichen Grunde, kaum mit äußerster Mühe seine Haltung bewahrend, zu Onkel Ludwig.
Wozu ...
GEORG
mit rauher Stimme; Onkel Ludwig den Papierknäul überreichend.
Willst du ... den Herrschaften ...
DUFROY
gefoltert; wie vorhin.
Wozu den ... elenden ... gemeinen ...
ONKEL LUDWIG
der sich den Spiegel jetzt näher gerückt; schwerfällig; sofort wieder stockend.
»Das ich ... unter ...«
[554]
GEORG
der diese Langsamkeit nicht ertragen kann; jetzt schon mehr »tot«, als »lebendig«, die letzten Worte, an denen er fast erstickt, aus sich rauswürgend.
»Meinem Herzen trug!!«
ONKEL LUDWIG
von dieser »Eröffnung« wie zerschmettert.
Das ...?! ... Das ...?!!
GEORG
zu Dufroy rüber; ruckweis, mit arbeitender Brust.

Glaubst du ... glaubst du ... auch jetzt noch ... glaubst du ... noch immer ... daß deine herrliche Tochter ...

MARIANNE
sich nochmals, verzweifelst, aufraffend.
Du ... wirst ...
ONKEL LUDWIG
entsetzt-beschwörende Geste zu Georg und Dufroy rüber; Hand an der Hüfte.
Kinder!! Kinder!!
GEORG
keuchend; fast rasend; zuletzt Blick nach der Tür rechts.
Ich werde ... und zwar auf der Stelle ...
DUFROY
einen Augenblick lang fast drauf und dran, umzusinken; die Linke vor der Stirn, die Augen geschlossen, in letzter, tiefstschmerzlichster Selbstanklage.
So ... vergilt es sich jetzt ...
GEORG
noch immer vorm Tisch links; Dufroys Worte aufgreifend und ihnen von sich aus einen ganz andern Sinn unterschiebend; ausbrechend; schonungs- und mitleidslos von neuem.

Ja!! ... So vergilt es sich jetzt ... daß du mir in deiner feigen, unmännlichen, nachgiebigen Schwäche ...

ONKEL LUDWIG
ihn unterbrechend; ähnlich wie vorhin.
Du darfst ...
GEORG
noch wuchtiger.
Daß du mir deine erste Tochter unterschlugst ...
DUFROY
ihn groß anstarrend; wie ihn noch nicht verstehend.
»Meine ...?«
GEORG
fast haßerfüllt.
Deine erste Tochter unterschlugst und dafür und statt dessen ... Sich wieder in Gang setzend.
DUFROY
durch den es plötzlich wie eine »Erleuchtung« zuckt; einen Schritt, unwillkürlich, zurück und, die Linke leicht vor der Stirn, ihm ganz überrascht nachblickend.
Georg!!
ONKEL LUDWIG
dem nun auf einmal auch noch das Geständnis Uexkülls einfällt; empört-aufgebrachte Geste nach der Tür rechts; Hand von jetzt ab fast andauernd an der Hüfte.
Und dieser ... Lump ... dieser Erz-Lotterbube und Mameluck ...
MARIANNE
schon ahnend, womit er wieder kommen will; ihm vergeblich ins Wort.
Du ...
ONKEL LUDWIG
noch »gerecht«-entrüsteter.
Dieser siebenfache Bruder Liederjahn ...
MARIANNE
wie vorhin.
Du sollst nicht ...
[555]
ONKEL LUDWIG
jetzt direkt zu ihr rüber, immer polternder.
Dieser bodenlose Frechling hatte dann noch die elende Courage ...
GEORG
der in seiner Erregung zuerst gar nicht auf ihn geachtet hatte; plötzlich, rechts vorn, nieder stehngeblieben.
Welche »Courage?!«
MARIANNE
zu ihm rüber; nach Onkel Ludwig hin; flehend-angstvollst-verzweifeltst.
Hör nicht auf ihn! Hör nicht! Er ...
ONKEL LUDWIG
zu Marianne, sich dabei wütend vor die Brust schlagend, in seiner Beschwerde fortfahrend.
Sich bei mir, als deinem zweiten Art Vater ...
DUFROY
dem erst jetzt das betreffende »Verständnis« aufgeht; ganz verblüfft-entsetzt.
Doch nicht etwa gar ...
ONKEL LUDWIG
wie vorhin; naivst-umständliche Gesten.
Als du dort lagst und wir hier in aller Vertraulichkeit ...
GEORG
der sich nicht von seinem Platz gerührt; in Onkel Ludwigs Satz weiter.
Sozusagen in regelrechter Form ...
ONKEL LUDWIG
stärkst nickend; zu Marianne.
Um deine Hand zu bemühn! Ja!
GEORG
mit einem jähen Ruck seinen Gang wieder aufnehmend.
Hund der! Zu Marianne zurück. Nachdem er sich wahrscheinlich bei dir schon vorher ...
MARIANNE
jetzt mit letzter Energie; unwillkürlich dabei aufstehend.
Du wirst jetzt auf keinen Fall morgen ...
ONKEL LUDWIG
vollständig umgeschlagen; seinen Stock schwingend.
Du wirst morgen ...
DUFROY
in Rückerinnrung an die Prophezeiung unwillkürlich zusammenschauernd.
Morgen!
GEORG
mit geballten Fäusten, rasend, auf und ab.
Morgen!! ... Morgen!!!
MARIANNE
von neuem; jede Fiber gespannt.
Nach dem ... was euch das Schreckgespenst ... prophezeit hat ...
GEORG
stehngeblieben; sie feindseligst, fast drohend, messend.
Willst du dich etwa schützend vor ihn stellen?
MARIANNE
ihn voll anblickend; stärkst.
Wäre das ... kein Kampf mehr ... kein gerechter Kampf ... sondern ein Mord!!
GEORG
kaum mehr fähig, auch nur noch diese drei Laute aus sich rauszubringen.
Hat der Hund ...
MARIANNE
un erschüttert; fast strafend streng.
Du wirst die Schuld ... die wir alle beide haben ...
[556]
GEORG
leidenschaftlichst.
Ich lehne jede Schuld ...
MARIANNE
letzte, verzweifelst gesteigerte Gegenwehr.
Du wirst sie nicht jetzt ... durch Blut ...
GEORG
von neuem; kein Auge von ihr lassend; selbst jetzt noch gesteigert; fast sinnlos auf sie zu.
Hat der Hund ... der mir alles genommen ... hat er mir jetzt ... auch dich ... auch dich noch ...
MARIANNE
wie von einem Blitzstrahl getroffen, in ihrem Sessel plötzlich zusammenbrechend; nach Atem ringend und beide Hände, wie sich noch an etwas halten wollend, erhoben vor sich hin.
Vater!!
DUFROY
nach einem wie tödlichsten Schreck auf sie zu und sie in seine Arme nehmend; dabei empört-zornigst nach Georg rüber.
Wie ich es dir gesagt habe! Wie ...
ONKEL LUDWIG
aufgesprungen; schon ebenfalls bei ihr; sich fast die Haare raufend.
Um alles in der Welt!! Um alles in der Welt!!
GEORG
fast in der Mitte der Bühne; beide Fäuste geballt, die Arme von sich streckend.
Und wenn sich ... mir alles ...
MARIANNE
mit verzerrten Zügen, wie etwas Unsichtbares, das auf sie eindringen will, verzweifelst abwehrend.
Noch vor ... Mitternacht! Noch vor ... Mitternacht! Noch vor ...
GEORG
noch finstrer-energischer; letzter, unbeugsamer Entschluß.
Auge um Auge und ...
MARIANNE
sich steigernde, gellende, plötzlich furchtbarste Angstschreie.
Mariette! ... Mariette!! ... Mariette!!!

Vorhang.

5. Akt

[557] Fünfter Akt

Zimmer Mariannes. Nicht zu hoher, sich breit erkerartig zurückbauender Raum mit einer alten, schon halb verblaßten Seidentapete: Rosen in allen möglichen und unmöglichen Farben auf schwarzem Grund. An den beiden vorspringenden Mittelwänden, über kleinen Konsoltischchen, auf denen bunte Porzellangruppen stehn, zwei Porträts: Mariannes Großeltern als junges Paar. Dahinter, rechts und links, schräg, unter verhängten Fenstern, zwei Sofas. In der letzten Hinterwand, ebenfalls verhängt, eine große Balkontür. In den beiden Seitenwänden ebenso Türen. Die rechts etwas mehr nach vorn, die links etwas mehr nach hinten. Rechts ein Glasschränkchen mit allerhand altmodischem Kunstgerümpel, ganz im Vordergrund links ein Kamin, in dem ein Feuer verglimmt. Auf ihm eine Uhr. Davor, wieder schräg gegen ihn gestellt, ein Lehnstuhl, neben dem ein runder Polsterhocker steht. In der Mitte ein Schreibtisch, auf dem eine elektrische Lampe brennt. Vor ihm ein Sessel. Von der Mitte der Decke ein Blumenkronleuchter aus Porzellan. Sämtliche Möbel Chippendale. – Marianne, aus ihrem starren Ohnmachtsschlaf noch nicht erwacht, mit dem Rücken halb gegen den Kamin, im Lehnstuhl.

GEORG
während der Vorhang aufgeht, vor ihr halb auf den Knieen; sie dabei umschlungen haltend und den Kopf in ihrem Schoß; fernes, leises Großstadtgeräusch, Auto; aufblickend und ganz verzweifelt nach der Kaminuhr.

Noch vor Mitternacht! Noch vor ... Aufstehend und noch verzweifelter. Aeh! ... An der Erde, aufgeklappt und offenbar von ihm selbst hingeworfen, ein geschriebnes Buch erblickend, das er mit der Fußspitze, ergrimmt, noch weiter von sich stößt. Mm! ... Es aufhebend und auf den Tisch schleudernd; erbittert. Luder! ... Aufhorchend; von draußen, ziemlich eilig, Schritte; Dufroy durch die Tür rechts. Nun?

DUFROY
sofort, besorgt, zu Marianne rüber.
Wie geht s?
GEORG
verbissen; achselzuckend.

Noch immer dasselbe! Vollkommen apathische Lethargie und nicht imstande, auch nur ein Glied zu rühren!

[558]
DUFROY
nach einer kleinen Pause; Uhr in der Hand; ganz »Arzt«.

Puls ... absolut normal und regelmäßig! ... Die Uhr wieder einsteckend. Mir unbegreiflich! ... Wäre ich nicht selbst mit Zeuge ihres Zusammenbruchs gewesen ...

GEORG
unterdrückt-erregt.

Ich weiß ... du kannst Bestimmtes nicht aussagen! Aber ... Nervös-unruhiger Blick nach der Kaminuhr, den Dufroy auffängt.

DUFROY
achselzuckend; ähnlich, wie vorhin Georg.
Akute, zentrale Lähmung des gesamten Cerebrospinalsystems! Kehrt der Willensimpuls wieder ...
GEORG
der ihn nicht ausreden läßt; ironisch-bitter.
Er kann aber auch ebensogut ... Wieder, von Dufroy abermals bemerkt, Blick nach der Kaminuhr.
DUFROY
unwirsch.

»Kann!« ... Bei dem für den Moment nicht bedenklichen, verhältnismäßig zufriedenstellenden und keineswegs lebensgefahrdrohenden Zustand der Kranken?

GEORG
verstimmt-finster.

M! ... Nach den Feuerresten im Kamin. Ob wir noch einige Scheite ...?Während Dufroy an den Thermometer tritt, der neben der Tür links hängt. Nachts Leicht nach der verhängten Balkontür und den Fenstern hin. und nach diesem plötzlichen Wettersturz ...

DUFROY
der die Skala inzwischen abgelesen; Geste.

Hinlänglich genügend! ... Außerdem ...Ähnlich, wie eben Georg. hat sich inzwischen auch wieder die Temperatur draußen ...

GEORG
wieder nach der Kaminuhr.
Bald Zehn!Sich seiner Gewohnheit gemäß in Gang setzend. Noch zwei Stunden und ...
DUFROY
von ihm nach der Uhr und wieder zurück.
Was siehst du denn immer ...?
GEORG
noch verbissner.
Vielleicht auch nur noch ...
DUFROY
wie vorhin.
Du tust ja, als ob von dieser Uhr ...
GEORG
kurz nach ihm zurückgedreht.
N? Bitte?
DUFROY
noch gesteigert.
Als ob Leben und Tod von ihr abhinge!
GEORG
abweisend-ungeduldig.
Wie soll von einer Uhr ...
DUFROY
noch immer von ihm nach der Uhr.
Du hast in dieser kurzen Zeit bereits dreimal ...
GEORG
ihn unterbrechend; ausholend.

Willst du mir als Mediziner ... nach bestem Wissen und Gewissen ... also mit andern Worten [559] möglichst objektiv ... eine dich vielleicht etwas sonderbar anmutende, mich aber im Moment ... theoretisch interessierende, kleine Frage beantworten?

DUFROY
ganz erstaunt-überrascht.
Seit wann ... wenn du etwas ... von mir, oder durch mich zu wissen wünschst ...
GEORG
ihn wieder nicht erst ausreden lassend; ähnlich wie vorhin.

Kann die Einbildung ... daß man mit Ablauf einer bestimmten Frist ... ich, oder ein andrer ... sagen wir zum Beispiel sterben muß ... könnte eine solche Einbildung ... für mich, oder den betreffenden andern ... deiner Meinung nach ...

DUFROY
der seine Frage längst begriffen; da Georg jetzt einen Augenblick stockt.

Den gewünschten, oder befürchteten ... je nachdem ... Erfolg, oder Effekt haben! Selbstverständlich! Wenn dies schwerwiegende Resultat durch eine entsprechend ausreichend starke Selbstsuggestion im voraus gewissermaßen schon antizipiert war!

GEORG
in seiner Sichvergewisserung weiter.

Auch, wenn der Betreffende über den Eintritt, oder Ablauf dieser Frist absichtlich getäuscht, irregeführt, oder im Unklaren gelassen wird?

DUFROY
mit größter Bestimmtheit.

Auch dann! Denn er wüßte ... durch sein Unterbewußtsein ... gewissermaßen posthypnotisch ... trotzdem ...

GEORG
wieder auf und ab; brüsk.
Unsinn! Torheit!
DUFROY
unwillig.
Wenn ich dir doch aber sage ...
GEORG
noch herber und härter.
Torheit!!
DUFROY
Achselzucken; fast verletzt.
Ein Fall, wie er in unsrer neueren Psychopathik ...
GEORG
heftigst.

Torheit!! ... Wie überhaupt alles und jedes, was über das Niveau und den Horizont des einfachsten, simpelsten Pfahlbürgers, Spießers und Trottels ...

DUFROY
ungehalten.
Erst interpellierst du und fragst du mich ...
GEORG
in seinem Satz, Dufroys Einrede gar nicht berücksichtigend, noch gesteigert weiter.
Auch nur um einen Millimeter ...
DUFROY
auffahrend, ihn unterbrechend.

Gestatte! Verzeih! ... Georg wieder stehngeblieben und einen Moment von neuem nach der Kaminuhr blickend; Dufroy, unwillkürlich, ebenso. So wenig ich mir in meiner momentanen Lage ... die ich als eine Deroute [560] und als ein Debacle in jeder Beziehung und unter jedem Gesichtspunkt empfinde ... und namentlich auch nach der ... Ganz besonders betont. mehr moralischen Seite ...

GEORG
mit dem Versuch, ihn zu unterbrechen.
Was ...
DUFROY
in seiner Selbstanklage, noch peinlichst- schmerzlicher, weiter.
Nach der mehr moralischen Seite hin tief menschlich vor mir empfinden muß ...
GEORG
erst jetzt mit seiner Unterbrechung zu Rande kommend.
Was kannst du dafür, wenn deine entartete Tochter ... Pferdegetrappel.
DUFROY
der eine solche Entlastung vor seinem Gewissen nicht verantworten kann.
Ich weiß nicht ... ob nicht ... vielleicht auch mich ...
GEORG
der auf diese »Verteidigung« nur »gewartet« zu haben schien; losbrechend.
Und »vielleicht« gar etwa auch noch mich und ...
DUFROY
schnell-vorsichtig.
Ich erhebe gegen keinen ... irgendeine Anklage, oder ... einen Vorwurf ... und will die Tote ...
GEORG
seltsam durch die Zähne.
Die »Tote«!
DUFROY
noch behutsamer.
Die dich ... und uns alle ...
GEORG
ingrimmig in seinem Satz weiter und mehr und mehr seine Selbstbeherrschung verlierend.

Die, ehebrecherisch, ehr- und pflichtvergessen, deinen und meinen Namen in den Kot getreten hat, die mit sich schamloser als eine Dirne verfuhr und die gegen ihre Kinder wie eine Wölfin wütete, nun auch noch gar ...

DUFROY
ihm ins Wort; um ihn zu beruhigen.
Es ... fällt mir ja doch ... wie gesagt, nicht im geringsten ...
GEORG
noch maßloser; seinen Gang wieder aufnehmend.

Ich lehne es prinzipiell ab und weise es meilenweit von mir, über diese exemplarischste und mustergültigste aller Frauen, Töchter und Mütter auch nur mit einem Wort oder einer Silbe ...

DUFROY
ihn unterbrechend.

Was dir niemand ... Was dir keiner ... Sich zusammenraffend und auf seine ursprüngliche Abwehr wieder zurück. Jedenfalls so wenig mir im Augenblick ... ich möchte fast sagen, auch sogar schon rein intellektuell verblieben ... ich für meine Person wünschte mir nicht, mit einem solchen »Niveau«, oder »Horizont«, wie du das nennst ...

GEORG
ungeduldig; ihm seinen Satz schließend.

Begabt, bedacht, oder [561] behaftet zu sein! Ich bewundre und beneide jeden, dem sein Bauch, sein Nabel, oder seine Epidermis ...

DUFROY
durch diese extravagante Ausdruckweise Georgs, hinter der er etwas wie einen verkappten Angriff auf sich wittert, verletzt; protestierend.

Ich muß gestehn, eine derartig geistige Ueberbescheidenheit in meiner eignen, persönlichen Selbsteinschätzung ...

GEORG
wieder stehngeblieben und ihn messend; dabei – ebenso, wie auch Dufroy bereits während der ganzen Zeit – ab und zu nach Marianne rüber und vergeblich bemüht, seinen Ton etwas zu dämpfen.

Glaubst du, schmeichelst du dir, bist du bis in dein Tiefstes und Innerstes davon durchdrungen, dich ziert ... im Eigentlichsten und Letzten, auf das es ankommt ... um derentwillen die Philosophien, Ideeenlehren und Gedankensysteme aller Völker und Zeiten sich schon von jeher, wie bösartige, wütende, bluthungrige Bestien, gegenseitig zerfleischten, negierten und auffraßen ... und dem allein zu Liebe die Menschheit seit Jahrtausenden, wie maniakalisch, ihre bunten, kaleidoskopisch blödsinnigen, himmelragenden Tempel, Bethäuser und Kirchen baut ... ein andrer Horizont oder Gesichtskreis, als ihn der alte, biedre Schäfer Hans, Jochen Humpelbein ...

DUFROY
empört.
Erlaube!
GEORG
in seinem Satz, als hätte Dufroy ihm diesen erst gar nicht unterbrochen, noch sprudelnder, weiter.

Da so oben, etwa bei Ritzebüttel rum, oder auf der Lüneburger Heide, hinter seinem blauen Flauschrock, oder der erste, beste Talglichtfabrikant in Tuttlingshausen, Treuenbrietzen, oder hierKurze, verächtlich-hastige Kopfbewegung irgendwo hinter sich. in euerm beliebten Stralau- Rummelsburg, nicht ohne eine gewisse Würde, jedenfalls aber mit Stolz und Genugtuung, unter seiner weißen, mit drei, eng zusammensitzenden, festlichen Perlmutterknöpfen bespannten Weste fühlt?

DUFROY
mit aller Kraft sich zur Ruhe zwingend.

Du schwelgst mal wieder in einer exaltierten, krampfhaft übertriebnen, grausamen Farbenfreudigkeit in Worten ... Abbrechend und markiert »überlegen«. Für mich immer ein Zeichen ... Wieder nach der Kaminuhr blickend, nach der dies ebenso wieder auch Georg getan.

[562]
GEORG
der sich wieder in Gang gesetzt.

Energisch tüchtiger, handfester, mannhafter, Königlich preußischer Artillerieleutnant hätte ich bleiben sollen! Stünde ich vielleicht längst schon an der Spitze meines Regiments, und wenn es dann an ein frisches, fröhliches Bataillieren ginge ... Wieder Blick – von Dufroy, wie immer, mit einem ebensolchen registriert – nach der Kaminuhr.

DUFROY
ihn unterbrechend; entrüstet.
Barbarei!
GEORG
in seinem Satz, noch gesteigert, weiter.

Was, wie die Dinge nun mal liegen, über kurz oder lang unter allen Umständen kommen wird und kommen muß ... Wieder nach der Kaminuhr.

DUFROY
gereizt; ebenso.

So laß doch dies permanente ... Sich unterbrechend und sofort weiter. Du hättest dich in deinem früheren Beruf nie ...

GEORG
immer heftiger; noch fortwährend sich steigernd; jetzt, einen Augenblick, rechts vom Schreibtisch, auf den er, gegen Dufroy gewandt, unwillkürlich die ersten Rhythmen klopft.

Ich beklage den Tag und fluche der Stunde, Wieder auf und ab. als ich vollständig verblüfft und ganz perplex über die sich mir plötzlich und wie mit einem Ruck entschleiernde Lösung eines mathematischen Problems von einer solchen Schwierigkeit, Kühnheit und Phantastik, daß ich eigentlich beinah nur wie im Scherz, zum Spiel und aus Übermut es unternommen und gewagt hatte, mir eine Aufgabe von einer derartig abenteuerlichen Unerhörtheit überhaupt auch nur zu stellen ...

DUFROY
schnell; durch Georgs Eröffnung, trotz der momentanen Situation, ganz interessiert- überrascht.
Ich höre das von dir heute ...
GEORG
in seiner wütenden Selbstzerfleischung, seinen Satz noch mal aufnehmend, immer fanatisch- exaltierter weiter.

Als ich, verführt, und wie geblendet und behext durch diese mir gleichsam wie von einer fremden Hand und Intelligenz Dufroy nervös-unmutige, unwillkürlich Einspruch erhebende Geste. aufs Papier geschleuderte Erleuchtung, Eingebung und Inspiration, auch schon fast im selben Augenblick, rein instinktmäßig und ohne es mir überhaupt noch erst weiter zu überlegen, mein Abschiedsgesuch an das Oberkommando aufsetzte!

DUFROY
seine Atempause benutzend.
Woran du recht getan! So sonderbar, eigenartig und seltsam mir auch ...
[563]
GEORG
in seinem Stiehm, ungebrochen, weiter.

Und so bin ich denn schon damals, ohne daß mir bis heute an die bloße Möglichkeit einer solchen Verstrickung auch nur der geringste Verdacht, die entfernteste, leiseste Idee, oder der kleinste, bescheidenste, minimalste Gedanke aufgetaucht wäre, von einer dunklen, dämonischen Macht, Dufroy wieder nervös-unmutige Geste, ähnlich wie vorhin. die uns widerstandslos zwingt, vor der Menschenwille nichts vermag, und gegen die es keine Wehr und keine Waffe gibt ...

DUFROY
unwillig.
»Dunkle dämonische ...«
GEORG
noch eigensinnig-unterstrichner.

Keine Waffe gibt, in diese Bahn gestoßen worden, die mich von Jahr zu Jahr ... Wieder Blick nach der Kaminuhr.

DUFROY
der diesen Blick wieder registriert.

Du kannst einen ja ganz ... Abbrechend und sofort weiter. Es hätte dich nie befriedigt! Du wärst auf die Dauer so wie so ...

GEORG
auf Dufroys Worte, die für ihn leerer und inhaltsloser als das ausgedroschenste Stroh sind, gar nicht achtend; letzte, verzweifeltste Steigerung; den ersten Iktus wieder auf den Schreibtisch klopfend.

»Wissenschaft!!« ... Mit einem Schmetterlingskäscher nach den Plejaden schlagen! Sandkörnchen um Sandkörnchen, von allen Seiten, mühsam, zu einem tausendtürmigen Bau von Babel zusammenkärrnern, der nach wenigen Generationen schon, kaum daß er noch im Rohsten über seine ersten, dürftigsten Stockwerke gediehen, immer wieder regelmäßig, von sämtlichen Ecken her, in sich zerbirst und zerbricht! Gott und den Teufel, als überwundne Überflüssigkeiten, für ein unmögliches Paradoxon, für einen dualistisch-antithetischen Widerspruch in sich selbst erklären und sich gleichzeitig ohnmächtig damit zufrieden geben, daß dann derselbe Nonsens, daß dann die konforme Unmoral, nur noch vermyriaden- und verunendlichfacht, sich durch alles Geschehn und durch alle Dinge zieht und nun glücklich bis in die letzte, winzigste Lebenszelle und bis in das fernste, flüchtigste Weltatom klafft!

DUFROY
nickend; grade in diesem Augenblick äußerst unvorsichtig auf sein altes Lieblingswort von heute früh zurückkommend.
»Ignorabimus!«
[564]
GEORG
rechts vorn wieder stehngeblieben; durch die Zähne vor sich hin; fast knirschend.

»Ignorabimus!!« ... Aufblickend und dabei wieder auch nach der Kaminuhr; Geste; beide Arme rechts und links weit von sich. Du siehst ... Auto.

DUFROY
von der Uhr nach Georg und wieder zurück.
Ich sehe, wie du fast unausgesetzt und in einem fort ...
GEORG
ihn unterbrechend; noch gesteigert; nun auch auf sein Wort von heute früh zurückkommend.
»Lieber krepieren und ein verfaulender Hund sein ...«
DUFROY
Geste; mißbilligend.
Man braucht doch nicht deshalb ...
GEORG
erbittert-verbissen; fast wie mit innerster Genugtuung.
So weit wären wir nun!
DUFROY
noch schärfer.
Man muß nicht aus einem Extrem ...
GEORG
stark, schwer; das Los, das ihm prophezeit worden.

»Du wirst ... nachdem alles um dich zertreten sein wird ... nachdem dich alle verlassen haben ... nachdem du den Glauben ...«

DUFROY
bewegt-erschüttert.
Mein ... Sohn!
GEORG
noch immer sich steigernd.
Das könnte nun bald ...
DUFROY
zwischen Georgs Verzweiflung und der seltsam auffälligen Unruhe, mit der er immer wieder die ganze Zeit über nach der Uhr geblickt, plötzlich irgendeinen dunklen Zusammenhang vermutend; letzte, besorgt-schmerzliche, fast angstvolle Eindringlichkeit.

Ich ... warne dich! Eine Einbildung ... Jetzt unwillkürlich, einen Augenblick selbst nach der Kaminuhr. eine Selbsthypnose ... Nochmal. eine Autosuggestion von einer derartig drückenden Schwere ... Da Georg in diesem Moment plötzlich, wie durch irgend etwas erschreckt, nach Marianne rüberblickt. Nichts! ... Es ist alles ...

GEORG
sich wieder in Gang setzend.

Wie man sich auch dreht, wohin man sich auch wendet, was man auch unternimmt, beginnt und anstellt, immer wieder dieselben, gleichen, schwindelnden, schwarzen, unübersteigbaren Porphyrwände!

DUFROY
mit dem Versuch, dem Verzweifelten, soweit ihm dies möglich ist, Trost einzusprechen.
Du kannst ... und solltest, trotz alledem, froh sein ... daß du deine Erkenntnis ...
GEORG
sarkastisch-bitter.
»Erkenntnis!«
DUFROY
noch in seinem selben Satz; in seinem »Trost« weiter.

Durch den [565] ungemeinen Fleiß, mit dem du in diesen letzten, trüben Jahren ... die, wie ich jetzt einsehe ... und dir gewiß Unterstrichen- betont. nicht leichten Herzens zugeben muß ...

GEORG
wieder, einen Moment, stehngeblieben und ihn unterbrechend.
Also auch dich ... auch dich ... habe ich mit meinen unsinnigen ...
DUFROY
wie vorhin.

Daß du dein Wissen, und überhaupt ... dein ganzes Weltbild ... in diesen Jahren immerhin ... und sei s auch nur um etwas ... vertieft, erweitert und bereichert hast ... während ich ... Abbrechend; stumme, schmerzliche Geste.

GEORG
wieder auf und ab; zum Teil jetzt auch hinterm Schreibtisch; von neuem sich steigernd.

Ich bedaure jede Sekunde, mir tut es leid um jede Minute, die ich an diesen hohlen, ins absolut leere Nichts mündenden, mörderischen Irrwahn in meiner idiotischen, sträflichen, jämmerlichen Sucht nach dem, was du so hochtrabend »Erkenntnis« nennst, verschwendet habe! Eine streng sich aufbauende, überzeugend sich entwickelnde, tadellosgefugte Klimax transzendentalphysiologischer Untersuchungen und metapsychischer Experimente, die mit zwingendster, unerbittlichster Logik und Folgerichtigkeit, wie ich dies jetzt eigentlich und von Rechts wegen vor mir selbst einzuräumen, zu behaupten und zuzugestehn, absolut genötigt, gehalten und verpflichtet wäre, plötzlich in der haarsträubenden Offenbarung gegipfelt hat, daß eine seit Jahr und Tag Tote, Dufroy sich auf die Lippen beißend, gequält abwehrende Kopf- und Handbewegung. zuerst noch unsichtbar, dann leibhaft, hinter einer trügerischen, phantastisch täuschenden, diabolisch irreführenden Maske, zuletzt gar, sämtlichen uns von ihr in die Hände gespielten Symptomen und Indizien nach zu schließen, als die infernale, höllische, Fleisch und Bein gewordne Verkörprung aller niedrigen, hämischen, giftgeschwollnen Heimtücke, Hinterhältigkeit und Bosheit ...

DUFROY
der sich vor den Kopf gefaßt, starr vor sich hin.
Und ... das ...
GEORG
daraufhin sofort, unwillkürlich und aus Mitleid mit ihm, die Angegriffne, wenn auch nur bis zu einem gewissen Grade und für einen kurzen Moment, entlastend, in seinem rasenden Satz in unvermindertem, ja sogar eher noch beschleunigtem Schnellzugstempo [566] weiter.

Wesenszüge und Charaktereigenschaften, die der Lebenden doch von uns niemand, und nun gar noch bis zu diesem Grade zugetraut hätte, in allerhöchsteigenster Person und Gestalt, in diesem Hause hier, fast ein Triennium lang, Dufroy immer entsprechende, nervös abwehrende Gesten. ihr Wesen getrieben haben muß, und zwar anscheinend schon gleich und von vorneherein in der mir gradezu unfaßlichen Absicht, für eine ihr in Wirklichkeit und de facto noch nicht einmal angetane Schmach oder Unbill eine aber auch jeglicher Berechtigung und Billigkeit bare, mit dem ausgesucht teuflischsten Raffinement eingefädelte, infamst durchgeführte Rache zu verüben, eine solche Untersuchungsreihe mit einem derartigen Resultat ... das widerstrebt meinem allerinnersten Empfinden! Das geht gegen das einfachste Einmaleins und A-b-c! Das stößt jede Annahme, Ansicht und Vorstellung um, die wir uns Menschen, unsrer menschlichen Natur entsprechend, notgedrungen von einer letzten, höheren, synthetischen Harmonie des Weltganzen machen! Das kann nicht stimmen! Da muß irgendwie ... methodologisch ... Die Kaminuhr in diesem Moment, schnell und silbern, Zehn; beide nach ihr blickend.

DUFROY
während die Uhr noch schlägt; achselzuckend.
Wenn dieser dürftige ... Anthropomorphismus ...
GEORG
der seinen unterbrochen Gang wieder aufgenommen; die Uhr hat ausgeschlagen; neu einsetzende Steigrung.

Unser bestes ... Sehnen schreit nach Gerechtigkeit! Aus diesem gemeinen, schmutzigen Tohuwabohu, in dem wir alle beschlammt bis an den Hals waten ... verlangt es ... selbst den Besudeltsten und Beschmiertesten ... nach einer läuternden, regenerierenden, seelischen Transmutation und Wiedergeburt, nach einem erlösenden, sühnenden Entsündigungsbad, nach einer fleckenlosen Reinheit! Wenn auch schon längst nicht mehr in dieser, so doch in irgendeiner fernen, tröstenden, oft nur wie durch einen dunklen Traum erhofften und erahnten, imaginären andern Welt!

DUFROY
fast mitleidig.
Ja, du lieber ...
GEORG
noch seelischer.

Jedem Schmerz, in unumgänglich nötiger Wechselwirkung, nach einem letzten, tiefsten, innersten Empfindungsgesetz [567] in uns, aus einem uns bereits seit Urbeginn immanenten, weit über unsern Verstand und unsre Sinne gehenden, ultraimperativen Muß heraus, entspricht eine Freude! Jedem Negativum ein Positivum, jedem Minus ein Plus, jedem Relativen ein Absolutes, jedem Diesseits ein kompensierendes, alles Irdische wieder wettmachendes, ausgleichendes Jenseits! Grade hierfür, grade für diese vielleicht fundamentalste aller menschlichen Fordrungen, die jeder fühlt, von der keiner absehn kann, ob er will oder nicht, und mit deren Erfüllung der ganze Zwiespalt, der durch all unser Sein und Denken geht, wie mit einem einzigen Zauberschlag für alle Ewigkeit überbrückt und gelöst sein würde, grade für diesen Komplex und seine triumphierende Gewißheit, auf die alles in diesen drei schweren, mühseligen, kummervollen Jahren uns hinwies, die, wie durch plötzlich zerflatternde Nebel, uns oft schon ganz nah und fast greifbar schien, und deren wir uns mit jedem Tag, mit jeder Tatsache und mit jedem neuen Experiment immer sichrer wurden, hätte ich durch diesen heutigen Schluß und Abschluß den unbedingt zuverlässigen, durch nichts mehr umstoßbaren, endlichen Nachweis erwarten dürfen! Und statt dessen ... Abbrechend; wieder nervös-hastiger, verzweifelter Blick nach der Kaminuhr; Auto.

DUFROY
der diesen Blick wieder registriert hat.

Du predigst Axiome und ... vorsintflutliche Grundsätze, die wir, wie ich glaube, zu unser aller Glück und Heil ...

GEORG
grimmig-kurzer Nasal-Gaumenlaut.
Käh!
DUFROY
in seinem Satz – von der Weisheit dessen, was er selbst predigt, durchdrungen – weiter.
Auch unsrer modernen, neuzeitlichen Welt- und Naturbetrachtung ...
GEORG
ungeduldig, ihn unterbrechend.

Die siebenundsiebzigtausend Kilometer vor der Grenze dessen, was ihr kouragiert eisenfresserisch und miles gloriosushaft »das Unerkennbare« nennt, mit Pauken und Trompeten, sowie sämtlichen Mitrailleusen, Dromedaren, Sichelwagen, Scheinwerfern und Elefanten blutdürstig haltmacht, schon seit mehr als drei Menschenaltern längst ... Verächtlich-wegwerfende Geste.

DUFROY
dem dieser Abschluß seines Satzes noch nicht genügt; von [568] Georgs bissiger Art angesteckt, mit dem Bemühen, ihn noch zu übertrumpfen, sofort weiter.

Mit Haut und Haaren, um in deinem anmutig liebenswürdigen, Funken und Farben prasselnden Jargon weiter- und fortzufahren, und einschließlich aller Backzähne, wie der Walfisch den Jonas, oder der Jonas den Walfisch ... In dem Gefühl, sich in seiner Periode jetzt verheddert zu haben, und um sich wieder ans ihr rauszuretten. kurz und gut und gut und kurz, ich schlage vor, daß wir unsre beiderseitigen Streit- und Redebeile ...

GEORG
der ihn wieder nicht erst ausreden läßt, kataraktartig.

Weil du fühlst, weißt, merkst, einsiehst und dich innerlich nicht dagegen wehren kannst, daß ich mit meiner Argumentation ... so unvermeidbar siriusweit drumherum und inkommensurabel ungefähr und fahrlässig ich mich auch ausgedrückt haben mag ... doch im Zentralinnersteigentlichsten Recht habe!! Recht, Recht, Recht!!

DUFROY
achselzuckend-skeptisch; dann auch seinerseits die große Wortkanone auffahrend, Georg an unbarmherzig-umständlicher Genauigkeit nicht nachstehend und ihm auch im übrigen in keinem Punkt etwas schenkend.

»Recht!« Ein Postulat, dessen letzte Wurzel lediglich in einem ... meinetwegen allgemeinen Gemütsbedürfnis steckt ... eine Fordrung, eine sittlich-moralische Fordrung, mit der in unsrer Welt so gut wie nichts zu kongruieren und übereinzustimmen scheint ... ein Wunsch, ein sehnsüchtig menschlicher, bloßer Wunsch, dessen dermaleinst hoffentliche oder vermutliche Erfüllung sich nicht im Entferntesten beweisen, bewahrheiten oder auch nur wahrscheinlich machen läßt ... und dem jetzt und nun auch dieses nachmittäglich heutige, frappierend befremdliche, seltsam roh und brutal abstoßende Schluß- und Endresultat aller deiner bisherigen, einschlägigen, betreffenden Experimente und Bemühungen, wie du dies in denkbar größter Klarheit und unbarmherzig schneidendster Schärfe ja eben erst selbst hervorgekehrt hast, wieder direkt diametral und konträr feindselig entgegensteht ... ein solches, wenn auch an und für sich vielleicht noch so begreiflich verzeihliches Gefühlsverlangen und Seelendesiderat als erste, unentbehrbar tiefstunterste Grund-conditio sine qua [569] non, als Anfangs- und als Ausgangspunkt einer sich angeblich exakt nennenden Forschungs- und Untersuchungsreihe zugleich und gleichzeitig gesetzt und aufgestellt ... eine Deduktion, die synchronistisch und koinzidierend eine Induktion sein möchte und umgekehrt ... ein derartiger Widerspruch in sich, eine solche contradictio in adjecto ... verzeih, entschuldige, nimms mir nicht übel, aber da komm ich als Logiker, als Mensch, der bloß mit seinem Hirn denkt, als erster, bester Durchschnittsdummrian und Einfaltspinsel, dem zwei nicht gleich drei und sieben nicht gleich fünf ist ... bei hervorragendstem Willen, so sehr und so gern ich dir den Gefallen auch tun möchte, und wenn du mich auf den Kopf stellst ... nicht mehr mit! ... Falls du mir also nicht für ... und anstatt ... deiner schön geschwungnen Gefühlsornamentik ... einige ... sagen wir Gründe ...

GEORG
der jetzt nicht noch länger an sich halten kann; ihn nicht mehr weiter- und ausreden lassend.

Gründe! Gründe! Für den Tatsachenverhalt, daß ein Kreis bloß rund und ein Quadrat bloß viereckig sein kann, für eine Wahrheit, Zuversicht und innerlichste Gewißheit, die irgendwelcher Gründe überhaupt gar nicht erst bedarf, für eine Selbstverständlichkeit, die sich von selbst versteht, Gründe!

DUFROY
einer solchen »Argumentation« gegenüber jeden »Kampf« als völlig aussichtslos aufsteckend.

Wenn du nicht mehr als analysierender Naturforscher, sondern nur noch ... als neodogmatisierender Kirchenvater ...

GEORG
der plötzlich wieder nach der Uhr geblickt, stehngeblieben; auf einmal, wie von einem innern Schreck gepackt, nach Marianne rüber.
Wenn sie uns nur nicht ... plötzlich vor der Zeit ...
DUFROY
ganz perplex.
Vor welcher ... »Zeit?«
GEORG
der sich bereits wieder in Bewegung gesetzt; wie mit aller Gewalt wieder innerlich etwas von sich weisend.
Quark! Blödsinn! Verrücktheit!
DUFROY
ihm nachblickend.
Du mußt doch für deine schließlich mehr als auffallende ... Unruhe und Nervosität ...
GEORG
ausweichend, gequält-heftig.

»Unruhe!« »Nervosität!« Nimmt dich die nach diesem entzückenden Jubel-, Wonnen- und Freudentag, [570] bis zu dem uns eine liebend besorgte, weise, allgütige Vorsehung, wie mit zarten, behutsamen, unsichtbaren Samtpfötchen, gestupst, gestoßen und gestreichelt hat, wunder?

DUFROY
der sich durch Redewendungen von solcher Allgemeinheit nicht beirren läßt; bald nach ihm, bald nach der Uhr.
Ich beobachte nun schon die ganze Zeit, wie du fast unausgesetzt nach dieser Uhr ...
GEORG
jetzt, ohne sich in seinem Gang dadurch aufzuhalten, wieder, zweimal, ebenfalls nach dieser.
Eine Uhr, wie jede andre! Über dem barocken Zifferblatt ...
DUFROY
da Georg, mitten in seinem Satz, plötzlich abgebrochen; ähnlich.
Gewiß! Gewiß! Nun ja! Hm? Und?
GEORG
wie vorhin; in seinem Satz, immer bissiger, weiter.

In abgeschabt blauem Sternenmantel, eine porzellanerne, blind thronende Schicksalsgöttin, rechts Eros, links Thanatos ...

DUFROY
kopfschüttelnd.
Du kommst mir bald wirklich ...
GEORG
noch immer auf und ab; fast als ob er sich bereits über ihn belustige.
Das Ganze unter Brüdern und noch heute gut und gern bei jedem Antiquar ...
DUFROY
ihn unterbrechend.
Du wirst mich durch diese ablenkende ...
GEORG
in seiner Taktik plötzlich ganz und gar umschwenkend; andrer Tonfall; beinahe drohend.
Es käme mir durchaus ... ratsamer und in deinem Interesse vor ...
DUFROY
als hätte er nicht recht gehört; ganz überrascht.
»In meinem ...?«
GEORG
in dem Gefühl, mit seiner versteckten Andeutung bereits zu weit gegangen zu sein; sich schnell verbessernd; noch in seinem selben Satz; prononciert-heftigst.
Oder auch in unser aller ... wenn du mich mit dieser ewigen, fortgesetzten Anfragerei ...
DUFROY
vor seinem Ton sich mit aller Gewalt nochmals bezwingend.
Du sollst dich über mich ... gewiß nicht ... Nur ...
GEORG
abbrechend; andres Thema; entsprechende Kopfbewegung nach der Tür rechts.
Und da oben? Dein andrer Patient? Bei dem du fast die ganze Zeit ...
DUFROY
darauf widerstandslos eingehend, um ihn, wie er das Gefühl hat, nicht unnütz noch mehr zu quälen; resümierend nach Marianne hin.

Ich zittre und fürchte, wie gesagt, nicht sowohl für ...Geste, allerbedenklichst. Aber Onkel Ludwig ...?!

[571]
GEORG
froh, das Gespräch, das für ihn bereits mehr als unerträglich geworden, in dieses, wie er glaubt, neutrale Fahrwasser gesteuert zu haben.
Ich hörte noch grade ... als ich Marianne durch das chinesische Zimmer trug ...
DUFROY
da Georg, der ihn nicht angeblickt, schon wieder stockt; ihm über Onkel Ludwig die erwarteten Details gebend.

Der plötzlich blitzgleich über ihn hereingebrochne, schmerz- und qualvolle Anfall, kaum daß ich die Tür hinter euch zugemacht und mit meiner ersten Untersuchung eben beginnen wollte, war ein so maßlos heftig abnormer, daß ich ehrlich froh war, als ich deinen Diener, der von irgendeiner Besorgung ... die du ihm ... wie es schien, Entsprechende, leichte Kopfbewegung nach links. unten nebenan ... kurz vorher aufgetragen hattest, grade durch den Garten kam ...

GEORG
kurz, zweite Silbe betont.
Hm, hm!
DUFROY
in seiner indirekten Frage weiter.
Offenbar nach dir suchend ...
GEORG
noch immer nicht reagierend.
Soso!
DUFROY
wie vorhin.
Und allem Anschein nach nicht ganz damit einverstanden, dich nicht mehr vorzufinden ...
GEORG
ihn noch immer nicht anblickend.
Ich hatte – den Mann ...
DUFROY
da Georg bereits wieder stockt.
Ich ... fragte mich erstaunt ...
GEORG
plötzlich einen Augenblick in Schuß kommend und sofort wieder aufhörend.
Ich hatte ihn nur einige Häuser hier weiter ...
DUFROY
argwöhnisch drängend-besorgt.
Doch nicht etwa ...?
GEORG
ähnlich wie vorhin.
Mit ein paar flüchtig hingeworfnen Zeilen ...
DUFROY
ebenso.
Zu deinem einzgen Freund und ehmalgen ...?
GEORG
den Satz ärgerlich schließend.
Regimentskameraden Usedom geschickt! Ja!
DUFROY
nach einem kurzen Moment entsetzten Schreckens; Auto.
Du hast somit ... dein Versprechen ...?
GEORG
scharf, jeden Vorwurf zurückweisend.
Ich habe mein Versprechen, daß die Knallerei morgen früh ...
DUFROY
nachdrücklichst, in seinem Satz schnell weiter.
Unter keinen Umständen ...
GEORG
wie Dufroy, nur namentlich die ersten vier Worte noch unterstrichner.

Von meiner Seite provoziert werden würde, wortwörtlich, wie ich es dir auf dein Andrängen und deinen wiederholt [572] eifrigst besorgten, schwiegerväterlichen Wunsch hin schließlich gegeben, auch ebenso, das heißt also wortwörtlich, gehalten, und nun bitte ...

DUFROY
sich vergewissernd.
Darauf kann ich mich ... felsenfest ...
GEORG
einen Moment stehngeblieben und fast wieder seine Selbstbeherrschung verlierend.
Du machst mich ...
DUFROY
wie von einer schwersten Sorge befreit; aufatmend; ihm nachblickend.

Gott sei Dank! Wenigstens ... Das Übrige verschluckend und in seinem unterbrochen Bericht weiter. Ich war jedenfalls aufrichtig froh ... daß ich auf diese Weise einen Menschen zur Verfügung hatte, den ich schleunigst nach meinem Morphiumbesteck schicken konnte! Erst nach der dritten Injektion ...

GEORG
ungeduldig.
Es dauerte ja beinah zwei Stunden ...
DUFROY
zustimmend nickend.

Bis wir ihn endlich und schließlich ... Wir hatten Mühe und Not, ihn bei seinem schweren Riesenkörper und in diesem Zustand ... Wieder entsprechende Kopfbewegung nach rechts. auch nur die beiden Treppen raufzuschaffen!

GEORG
noch immer auf und ab.
Und deine definitive, ungeschminkte, endgültige Diagnose?
DUFROY
achselzuckend.

Leider ... noch sehr viel und erheblich schlimmer ... als ich es selbst nach dieser grauenhaften Attacke ...

GEORG
nervös-unmutig.
Es war eine Fahrlässigkeit von ihm sondergleichen, dich nicht schon längst ...
DUFROY
über seine Unterbrechung hinweg.

Heilung ... oder auch bloß ein operativer Eingriff ... in diesem vorgerückten Stadium ... und bei seinem, ja doch nun schon beinah biblisch hohen Alter ... vollkommen ausgeschlossen! Weitrer Verlauf ein unaufhaltbar schauriges Martyrium mit täglich sich mehrenden, steigenden Kreuz- und Leidensstationen erster Güte! Lebensdauer ... na, sagen wir aber auch im alleräußersten Schlimmstfall ... höchstens ... nur noch zwei bis drei Monate!

GEORG
einen Augenblick wieder stehngeblieben und zu ihm rüber.
Du hast ihm doch ... selbstverständlich nicht ...
DUFROY
gekränkt-abwehrende Geste; einen Moment fast verletzt.

Aber ich bitte dich! Wo er an seinem bißchen, kümmerlichen Dasein [573] und Existieren ... wenigstens bislang und bisher ... Abbrechend und sofort wieder weiter. Erste unabweisbare Pflicht meines traurigen Metiers! ... Er ahnt jetzt natürlich trotzdem und dennoch, wie es um ihn steht, fragte und klagte in seiner Gebrochenheit und bei all seinem Jammer immer wieder durch nach Marianne und liegt nun, da er sich durchaus nicht ins Bett packen lassen wollte, durch seine dreifache Dosis, wie ich hoffe, für heute und bis auf weitres vorläufig beruhigt, Kopfbewegung rechts oben nach der Decke. in seiner alten, ehmaligen Jungensstube mit den kindlich bunten, grün schablonierten Laubenwänden auf dem dir ja bekannten, Gott sei Dank sattsam und genügend umfänglichen Kattunsofa!

GEORG
der von neuem stehngeblieben.
Hoffentlich ... Wieder, unruhig, nach der Kaminuhr. kommt er uns nicht ...
DUFROY
der erst jetzt das Buch bemerkt hat, das Georg vorhin auf den Schreibtisch geworfen; da der sehr schöne Lederband keinerlei Aufdruck zeigt, plötzlich lebhaft beunruhigt.
Was ist das?!
GEORG
ihm »mit Wonne« die betreffende Aufklärung versetzend.

Eine erquickende, herzerfreuliche Kostbarkeit ... die ich vorhin ... Sich bückend und aus dem Papierkorb vor der Schreibtischecke rechts einen zusammengesetzten, dunkelblauen Knaul Packpapier hebend, den er sofort wieder zurückschleudert. aus diesem Papier gewickelt!

DUFROY
der das Papier wiedererkannt; noch ganz starr.
Das kleine Päckchen ... war versiegelt ... und Marianne bat uns ausdrücklich ...
GEORG
hinterm Schreibtisch rechts; verbitterst.

Grade deshalb! ... Das aus groben, beschimpfendsten Insulten, spitzfindigst ausgeklügelten Verdächtigungen und krassen, grundlosen, abgeschmacktesten Beschuldigungen zartsinnig zusammengesetzte, unfreiwillige Selbstporträt Mariettes!

DUFROY
dem noch immer »die rechten Worte« fehlen.
Ja, ja, aber nachdem ...
GEORG
in seinem Ausbruch, noch gesteigert, weiter.

Angefangen und begonnen mit dem ersten Tag, an dem ihre lächerliche, maßlose, durch nichts gerechtfertigte Eifersucht auf Marianne unser ganzes, beiderseitiges Verhältnis zu unterminieren begann, und [574] plötzlich jäh abgebrochen an jenem lieblichen, siebzehnten Märzabend, dessen Rätsel ...

DUFROY
sich endlich zusammenraffend.
Nachdem Marianne dies aber doch gewünscht, hättest du unter keinen Umständen ...
GEORG
ihn wieder unterbrechend; von neuem.

Es war mehr als unklug von ihr, mir die Lektüre dieses herrlich aufschlußreichen, holdselig anmutigen Geheimdokuments, aus übertrieben nobler, hochherziger Rücksichtnahme auf ihre Schwester, nicht schon bereits längst und damals zu gönnen ...

DUFROY
heftig.
Sie hat es dir auch jetzt ...
GEORG
allernachdrücklichst, ohne sich durch Dufroys Einrede auch nur im geringsten stören zu lassen, in seinem Satz weiter und ihn zu Ende führend.

Als sie den süßen Saffianband in diesem unheimlich umfangreich diskreten, ehemals alt-brodersenschen Erb-, Hausrats- und Familienstück ... vor Jahr und Tag schon, wie ich vermute, und zu ihrem eignen, höchstwahrscheinlich nicht geringen Entsetzen und Schrecken plötzlich entdeckte und vorfand!

DUFROY
mit dem nochmals vergeblichen Versuch, ihn .

.. seiner empörten Entrüstung, wenn auch nicht zu widerlegen, so doch wenigstens aufzuhalten. Du ... konntest unmöglich ...

GEORG
unveränderte Stellung; Dufroy nach wie vor schärfst frierend; durchaus noch immer sich steigernd.

Hätte es jetzt eines solchen letzten, ausschlaggebenden Faktums und Residuums, mich von meiner überflüssig sentimentalen Erinnrung an diese ... Das Wort will ihm kaum über die Lippen; aber als es ihm gelingt, sich über die »zerschmetternde« Wirkung, die es auf Dufroy macht, »freuend«. Megäre ... endgültig zu heilen und zu befreien, überhaupt noch bedurft, dieser sprühende Haß auf eine ganz und gar vollkommen Unschuldige, der aus jeder Seite schlägt, diese permanente, monomane, gradezu pathologische Böswilligkeit, mit der jede meiner Handlungen prinzipiell und systematisch mißdeutet wurde, mit der jedes Wort, das ich gesprochen, in sein diametrales Gegenteil verdreht steht, so daß ich mich jetzt kaum selbst noch zurechtfinde, dieses ganze ... mixtum compositum aus empörender, häßlicher Ungerechtigkeit, sinnloser, einfältigster Voreingenommenheit und kindischem, [575] törichtstem Unverstand ... hätte mehr als vollauf genügt ...

DUFROY
stark; sich vor die Brust schlagend.

Die Schuld ... die letzte Schuld ... an allem, was dich betroffen ... die Schuld ... daß nun auch Marianne hier ...

GEORG
gereizt-ungeduldig.
Wer sagt ... oder wirft dir vor ...
DUFROY
letzte, überzeugteste, schmerzdurchschüttertste Steigrung.
Trage ich!! ... Nur ich!! ...Ich ganz allein!!
GEORG
der ihn beim besten Willen nicht gleich versteht.
Willst du so gut sein ... und mir erklären ...
DUFROY
in seiner freiwilligen, rückhaltlosen Selbstanklage, fast wie befriedigt sich vor Georg endlich so bekennen zu dürfen, weiter.

Du hättest dein Schicksal ... nie an dieses Unglückshaus gekettet ... nichts hätte sich ereignet ... alles wäre dir erspart geblieben ... wenn ich nicht vor fünfunddreißig Jahren ... allen vernünftigen, sachlichen Erwägungen und Gegengründen zum Trotz, aller Einsicht zum Hohn, trotzdem mein Innerstes mich davor warnte ... Mariettes und Mariannes Mutter ...

GEORG
dem es jetzt plötzlich über die letzte, innerste, nobelste Struktur seines Schwiegervaters wie Schuppen von den Augen fällt; trotzdem, oder vielmehr grade dadurch im Moment stärkst sarkastisch.

Oder wenn anno Eins unser aller Urvater Adam nicht aus purem Leichtsinn, Unverstand, oder aus Versehn ...

DUFROY
Georgs momentane Seelenstimmung begreifend, wenn auch durch seine Worte nicht grade angenehm berührt.
Ich kann deine großmütige Absolution ...
GEORG
ehrlich.
Du kannst sie ruhig ...
DUFROY
in seiner Selbstverurteilung noch entschiedner.
Ich kann ... und werde mich von diesem ... Verbrechen ...
GEORG
unwillig abwehrend.
»Ver ...«
DUFROY
sich noch steigernd.

Verbrechen, verübt und begangen aus krassester, unverzeihlichster Eigensucht, weichmütig rührseligster Willensohnmacht, Widerstandsunfähigkeit und Schwäche, von diesem charakterlosen Ideeenverrat, dieser apostatischen Abtrünnigkeit von mir selbst, vor meinem eignen, innerlichsten Gewissensforum nie freisprechen!

GEORG
wieder, da er sieht, daß er nach dieser Richtung nichts gegen [576] ihn ausrichten kann, diesmal hinterm Schreibtisch, auf und ab.

Für deinen struggle for life-Standpunkt ... für deine modern mitleidslose Doktrin ... vom forschen, freien, braven, frohgemuten, naturgewollten Kampf aller gegen alle ... dieser Weltausdeutung, die dich zu nichts verpflichtet ... eine zartnervige Skrupelhaftigkeit, für die ich dir mit dem Hut in der Hand ...

DUFROY
versöhnlich; in dem Bestreben, zu Georg endlich wieder die alte Brücke zu finden.

Wir haben harte Worte gewechselt! Und ich mag denn auch ... tatsächlich ... noch mal ... und zum zweitenmal in meinem Leben ... damals ... als ich dir meine erste Tochter ...

GEORG
peinlich-hastig.
Es hat wirklich ...
DUFROY
eifrig-hartnäckig.

Als ich dir meine erste Tochter ... ohne es zu wissen, jedenfalls aber, ohne es zu wollen ... und schließlich nur ... auf das damals wiederholt eindringliche Flehen Mariannes selbst ...wie du dies nanntest, »unterschlug« ...

GEORG
gequält.
Wozu jetzt ...
DUFROY
von neuem.
Ich mag damals ... Abbrechend, offen-herzlich. Liebster Junge! ...
GEORG
durch seinen Ton »getroffen«; wie in seelisch äußerster und letzter Abwehr vor sich selbst; zermartert ausbrechend.
Häng dein ... Herz an nichts!
DUFROY
sich trotzdem dadurch nicht in seiner so aufrichtig und ehrlich gemeinten Milde zu ihm beirren lassend; eindringlich stockend-weich.
Wäre es nun nicht doch ... zwischen uns angebracht und am Platz ...
GEORG
der ihn nicht anblickt; nicht fähig, dem sich so andauernd und redlich um ihn Mühenden einen Korb zu erteilen.

Gewiß! ... Und es war von mir ... Abbrechend und sofort wieder weiter. Wenn du aber glaubst ... daß dadurch das Geschehne ...

DUFROY
eindringlich, überzeugt.

Es handelt sich nicht mehr ... um das Geschehne ... Impulsiv nach Marianne rüber. sondern vielleicht ...

GEORG
schneidend, fast höhnisch.
Optimistisch, wie immer!
DUFROY
da die Uhr in diesem Moment Viertel schlägt und Georg, hinterm Schreibtisch rechts plötzlich stehngeblieben, wieder wie [577] verstört nach ihr rüberblickt; von ihm nach der Uhr.
Du scheinst dir wahrhaftig ... einzubilden ...
GEORG
scharf.
Bitte, was?
DUFROY
wie vorhin.
Daß das Leben Mariannes ...
GEORG
da Dufroy jetzt einen Augenblick zögert.
Ja? M?
DUFROY
noch tadelnd-vorwurfsvoller.
Nur noch nach Stunden ...
GEORG
der sich wieder in Bewegung setzt; seinen Satz ihm schließend.
Oder gar bloß noch nach Minuten zählt! Das kannst weder du ...
DUFROY
einfallend; es mit dem Satz Georgs ebenso machend.

Noch ich wissen! ... Nur daß ich als Arzt ... Nach Marianne hin. auch nicht den geringsten Grund sehe ...

GEORG
hinterm Schreibtisch rechts wieder stehngeblieben; ganz überrascht-erstaunt.

»Nicht den ...?« Draußen, beide haben unwillkürlich aufgehorcht, seltsam plumpe, stapfende Schritte. Nanu? Durch die Tür, an der es polternd getastet, schwankend-schwerfällig, in Haltung und Aussehen fast eines Betrunknen, Onkel Ludwig; von ihm zu Dufroy rüber. Ich denke ...

DUFROY
ganz erregt-entsetzt auf ihn zu und die Tür hinter ihm schließend.
Du sollst dich doch schonen!
ONKEL LUDWIG
der sich an seinem Stock nur mit Mühe aufrecht hält; brubbelnd vor sich hin.

»Schonen!« ... »Schonen!« ... Nach der Tür zurück. Wenn sich da oben ... Entsprechende, »drehende« Geste. alles um einen ...

DUFROY
besorgt-ungehalten.
Es wäre für dich wirklich angebrachter und besser ...
GEORG
der sich nicht von seinem Platz gerührt; noch verstärkt nach Marianne rüber.
Du kannst hier unmöglich ...
ONKEL LUDWIG
wie blöde ihn anstarrend.
»Un ...?«
DUFROY
fast aufgebracht.
Allein schon mit deinen drei Morphiumeinspritzungen im Leib!
ONKEL LUDWIG
der sich erst jetzt, ganz bestürzt, im Raum umblickt.
Das ...?
GEORG
noch immer an seinem Platz; anderer Tonfall; begütigend.
Also nun laß dir hübsch zureden und ...
ONKEL LUDWIG
wankend und fast in Gefahr zu Boden zu stürzen.
Das ... Rosenzimmer!!
DUFROY
ihn mit beiden Händen fest aufrecht haltend; erbittert durch die Zähne.
Herr des ... Himmels!
[578]
GEORG
schnell ebenfalls zugesprungen.
Auch das noch!
ONKEL LUDWIG
mit der zitternd ausgestreckten Rechten, plötzlich wie irrsinnig, nach dem kleinen Schrägsofa links; »a« kurz.
Da!
DUFROY
zornig.
»Da!« ... Was?! ... Wo?! ... »Da!«
ONKEL LUDWIG
noch gesteigert.
Da!!.. Da!!
GEORG
der sofort gestutzt hat; noch »ahnungslos«; von beiden nach dem betreffenden »Indizium«.
Ein Polstermöbel, wie ...
DUFROY
peinlichst; sich bereits vollkommen darüber klar, was jetzt in Onkel Ludwig vor sich geht.
Lieber ... Georg ...
ONKEL LUDWIG
vage, sich wie durch die Luft schlotternde Gesten nach der Ecke links.
Die Tür steht auf ... das Licht ... das ... Licht ...
DUFROY
der ihn mit Gewalt wieder zu sich bringen will.
Ruck dich zusammen!
ONKEL LUDWIG
wie vorhin.
Das Licht ... fällt quer ...
DUFROY
zu Onkel Ludwig; mit einem irritiert- scheuen, halb wie entschuldigenden Blick nach Georg rüber.
Du ... siehst ...
ONKEL LUDWIG
noch immer, als ob er das Gesprochne vor sich sähe.
Fällt ... quer ...
DUFROY
heftig.
Du siehst, was nicht da ist!
GEORG
der das offenbar stärkst persönlich gefärbte Interesse Dufroys, dessen ganze Art zu dem Delirierenden eine sonst ungleich mildere und nachsichtigere wäre, längst bemerkt und entsprechend bei sich registriert hat; trotzdem, mit Rücksicht auf den Moment, ihm zur Hilfe kommend.
Die Tür ist zu ... die Ecke liegt im Halbdunkeln ...
ONKEL LUDWIG
dem die heftigen Worte Dufroys erst jetzt ins Bewußtsein dringen.
Was nicht ...?
DUFROY
noch heftiger; wieder, unwillkürlich, ähnlich wie vorhin, Blick nach Georg rüber.
Was nicht da ist!
ONKEL LUDWIG
sich vor die Stirn fassend; halb nach der Tür rechts zurück.
Wie ... bin ich ... denn bloß ...?
GEORG
ungehalten, scharf.
Hat dich der Diener ...?
DUFROY
noch erregter.
Ich hatte ihm doch ausdrücklich anbefohlen ...
ONKEL LUDWIG
triumphierend.
Den hatt ich längst ... Sich aufruckend, Geste. Wenn der mir nicht ...
DUFROY
ihn beruhigend.
Du darfst dich nicht wieder ...
ONKEL LUDWIG
von neuem, wenn auch nicht mehr ganz so verstört und aus [579] allen Fugen wie vorhin, nach der Ecke links zurück; allerschwerst; nachgrollend.
Die eigne ... Mutter!! Die eigne ...
DUFROY
zu Georg, von dem er fühlt, daß jetzt die letzten Worte ihm den fraglichen Zusammenhang, wenn natürlich auch nur im bloßen Umriß und ungefähr, verraten haben müssen.
Laß ihn! ... Er weiß in seinem phantastischen ... Rausch-Stadium ...
GEORG
dem nichts daran liegt, Dufroy, dem er als Mann nachfühlt, die Situation noch peinlicher zu machen.
Aber ... selbstverständlich!
ONKEL LUDWIG
noch immer in seinem Dusel.
Seit meinem dreizehnten Jahr ...
DUFROY
gequält.
Schrecklich!
ONKEL LUDWIG
sich nieder umblickend; über Marianne dabei weg, als sähe er sie garnicht.
Habe ich diesen Raum ...
DUFROY
der die seelische Folter, unter der er leidet, kaum noch ertragen kann.
Hörst du nicht endlich ...
ONKEL LUDWIG
hartnäckig.
Nich mehr betreten!
GEORG
ungeduldigst ablehnend, um die Sache damit zu erledigen.
Familiengeschichten! Was uns die jetzt ...
ONKEL LUDWIG
nickend, allerschwerst, als ob sich Abgründigeres garnicht sagen ließe.
»Familien«-Geschichten!!
DUFROY
zu Georg rüber; Blick nach dem Sessel vor dem Schreibtisch.
Es bleibt uns nichts übrig ...
GEORG
zornigst-verbissen; nach dem Hintergrund zu sich wieder in Bewegung setzend.
Herrlich!
DUFROY
zu Onkel Ludwig; veränderter Tonfall; ihn mit beiden Händen leitend.
Du wirst müde sein! ... Komm! ... Setz dich!
ONKEL LUDWIG
jetzt im Sessel, den Dufroy ihm zurechtgerückt.

Da oben ... so allein ... so allein mit seinen ... grausigen, gräßlichen, gräulichen Gedanken ... Wer ...

GEORG
schärfst; sein Gestammel unterbrechend.

Glaubst du, daß wir hier, trotz deines sogenannten »Rosenzimmers«, Wieder, wie schon so dutzendfach vorhin, Blick nach der Kaminuhr. auf Rosen gebettet sind?

ONKEL LUDWIG
die Hand vor der Stirn; wie um dahinterzukommen, was Georg damit wohl meint.
»Rosen?« ... »Rosen?!« ... Weshalb und ... warum grade ...?
DUFROY
neben ihm links; jetzt, einen Moment, nieder etwas nervös-ungeduldig; [580] mit einem Blick nach Marianne rüber.
Du scheinst völlig vergessen zu haben, daß ...
ONKEL LUDWIG
noch immer nichts kapierend.

Daß ... Daß ...? ... Plötzlich im Lehnstuhl die regungslose Kranke erblickend; erstickt-gurgelnder, sich jäh überkippender Kehllaut. Hhäh?! ...Vorgebeugt, wie um sich besser überzeugen zu können, daß ihn nicht wieder eine Vision äfft. Marianne?!!

GEORG
noch immer hinterm Schreibtisch, jetzt etwas rechts, auf und ab.
Und zwar noch immer und genau so, Wieder Blick nach der Kaminuhr. wie vor zweieinhalb Stunden!
ONKEL LUDWIG
vergeblich bemüht, in seinem umnebelten Hirn das seinem Gedächtnis Entglittne sich wieder zu rekonstruieren.
»Wie vor ...?« War ich denn ... ganz ...?
DUFROY
ihm dabei behilflich.

Die paralysierende Wirkung des dir injizierten Narkotikums hatte dich für einige Zeit eingeschläfert, und du kommst nun aus deiner halben Betäubung allmählich ...

ONKEL LUDWIG
als ob seine Zunge noch wie gelähmt wäre.
All ... m ... mählich ...«
GEORG
dem diese ganze »Operation« schon wieder bedeutend zu lange dauert, Dufroys Satz schleunigst fortsetzend.

In diese herrliche Wirklichkeit wieder zurück, die wir Bevorzugteren ... Wieder nach der Uhr; Pferdegetrappel.

ONKEL LUDWIG
noch immer nicht imstande, sich aus sich rauszuheddern.
»Die wir ...«
DUFROY
gereizt; von Georg nach der Uhr.
Du brauchst wahrhaftig und wirklich nicht ...
GEORG
noch gesteigert.
Nein, nein! ... »Wahrhaftig und wirklich nicht!« ... Seinen Blick wiederholend. Ich weiß!
DUFROY
nervös-mißbilligendes Achselzucken.
Du ...
GEORG
das Wort »weißt!« ihm schnell abknappend.
Schon gut! Schon gut!!
ONKEL LUDWIG
der jetzt versucht, sich nach Marianne rüber von seinem Sessel zu erheben.
Mein alter ... elender ... niederträchtiger Korpus ...
DUFROY
Geste; abwehrend.
Du ... kannst ...
ONKEL LUDWIG
wie vorhin.
Ist mir so schwer ...
DUFROY
noch nachdrücklich-bestimmter.
Du kannst ihr nichts nützen!
[581]
ONKEL LUDWIG
ganz hilflos-»unglücklich«.
Ich muß doch ... dem armen Kind ...
DUFROY
jetzt hinterm Lehnstuhl bei Marianne.

Sie ist vollständig bewußtlos, ahnt von uns dreien hier nicht das Geringste und wird morgen um diese Zeit, wie ich zuversichtlich hoffe, vorausgesetzt, daß keine Komplikation eintritt ...

GEORG
sarkastisch-bissig.
»Vorausgesetzt!«
DUFROY
zu ihm rüber; erbittert.
Aber ganz selbstverständlich vorausgesetzt!
ONKEL LUDWIG
die Augen angstvoll auf Marianne.
Man ... merkt ja ... kaum ...
DUFROY
ihren Zustand noch weiter erläuternd.

Atmung schwach, Respirationsfrequenz etwas herabgesetzt, aber sonst und im Übrigen ... Hat ihre Linke, die wie leblos über die Armlehne hängt, etwas erhoben und läßt sie nun wieder fallen.

ONKEL LUDWIG
ganz erschüttert-entsetzt.
Die ... Hand! Die ...
DUFROY
überzeugt-sicher; jede, wie er glaubt, übertriebne Besorgnis ihm zu zerstreuen versuchend.
Für dich als Laien natürlich beängstigend, für mich als Arzt ...
ONKEL LUDWIG
der auf Dufroys Worte, die ihm seinen schrecklichen, visuellen Eindruck nicht ausreden, oder auch bloß verwischen können, kaum hört, noch gesteigerter als vorhin.
Wie ... tooot ...!
GEORG
schnell, hart, ohne nach ihm hinzublicken.
Sprich keinen Unsinn!
DUFROY
zu Georg; Onkel Ludwig entschuldigend.
Du lieber Gott, wenn ...
ONKEL LUDWIG
noch immer sich steigernd und zu Marianne rüber; mit heimlich in seiner Stimme aufsteigenden Tränen.
An mir altem ... morosen ... abgebrauchten Krüppel ... liegt ja nichts mehr! ... Aber du ... du ...
GEORG
der den alten Weimerian in diesem Augenblick zu allen Teufeln wünscht; einen Moment stehngeblieben und zu ihm rüber; auffahrend-heftig.
Es hat doch wahrhaftig jetzt keinen Zweck ...
DUFROY
fast empört.
Beruhige dich!
GEORG
der sich wieder in Gang gesetzt.

»Beruhige!!« ... Wieder Blick nach der Uhr. »Beruhige!!« ... Uhr. Jede Minute, die verstreicht, jede Sekunde, die verrinnt ... Uhr; es hat in diesem Augenblick, irgendwo unten, laut geschellt, und alle, Georg wieder stehngeblieben, horchen auf.

ONKEL LUDWIG
noch mit dem Ohr nach der Tür.
Die ... Hausglocke??
DUFROY
zu Georg rüber.
Jetzt? ... Nach der Uhr. Fast um ...?
[582]
ONKEL LUDWIG
von einem zum andern.
Wer ... kann das ...?
GEORG
der schnell wieder nach der Uhr blickt.

Einen Augenblick! ... Bereits auf dem Weg nach der Tür. Ich werde sofort ... Bevor er diese hinter sich schließt, zu den übrigen zurückgedreht. Ihr gebt auf Marianne acht!

DUFROY
immer noch ganz starr, zu Onkel Ludwig rüber.
Mitten ... in der Nacht ...? Wo euch doch sonst ...
ONKEL LUDWIG
dem, wie es scheint, der plötzliche Glockenlaut vorhin in sein Hirn etwas wie Klarheit gegossen.

Wenn das nicht mit diesem ... verdammten, diesem ... Schlingel und Strick, diesem ... malefikanten Lotterbuben ... den ich euch noch dazu selbst ...

DUFROY
dessen Gedanken unterdessen bereits nach der gleichen Richtung gearbeitet.
Du ... meinst?
ONKEL LUDWIG
halb zu Dufroy halb nach der Tür.
Ich kenne doch ... Georg? ... Das kann ... nur ...
DUFROY
beschwichtigende Geste mit der erhobnen Linken und unwillkürlich halb auf Spitzzehen nach der Tür zu.
Erlaube!
ONKEL LUDWIG
sich von seinem Sitz aufrappelnd.
Das ... kann nur ...
DUFROY
einen Moment nach ihm zurück.
Du solltest ruhig ...
ONKEL LUDWIG
jetzt bereits ebenfalls auf dem Weg nach der Tür.
Ich bin jetzt wieder ... ganz ...
DUFROY
bevor er die Tür leise aufklinkt.

Aber daß er uns ja nicht ...Von unten, ans dem Hausflur, deutlich: – »N Abend, lieber Usedom!« ... »N Abend!« ... »Erledigt?« ... »Wenn du vielleicht einige Minuten ...« »Bitte, tritt näher!« Die Tür wieder schließend; mit vor überraschter Entrüstung beinahe zitternder Stimme; von Onkel Ludwig nach Marianne rüber und wieder zurück. Major von Usedom!

ONKEL LUDWIG
zornig-triumphierend.
Hatt ich ... recht?!
DUFROY
erregt auf und ab.
Georg hat mir fest und heilig versprochen ... Auto.
ONKEL LUDWIG
ihm nachblickend; dabei schwer auf seinen Stock gestützt; sehr bestimmt.
Er hat dir ... nur versprochen ...
DUFROY
empört; seine ihm so im Prinzip bestrittne Behauptung noch verstärkt.
Schon allein mit Hinblick auf Marianne!
ONKEL LUDWIG
der sich dadurch nicht ins Bockshorn jagen läßt; hartnäckigst.
Ich stand dabei und habe ... deutlich ...
[583]
DUFROY
dessen Erregung noch fortwährend wächst; einen Augenblick jetzt nach ihm zurückgedreht.
Er hat mir in die Hand versprochen, seinen Gegner auf keinen Fall für morgen früh ...
ONKEL LUDWIG
ihm wieder ins Wort; seines erneuten Triumphs über ihn bereits sicher.
Und wenn der Austrag ... erst morgen ... abend steigt?
DUFROY
wieder von ihm abgekehrt; ärgerlich.
Das hab ich doch natürlich ...
ONKEL LUDWIG
achselzuckend.
Was du ... »gemeint« hast ...
DUFROY
ihn nicht mehr anblickend; in seiner ganzen Art jetzt, ohne daß er es ahnt, ähnlich wie vorhin Georg.
Ich halte es für barbarisch und mit meinem sittlichen Empfinden nicht vereinbar, einen Menschen ...
ONKEL LUDWIG
grimmig; noch immer auf seinen Stock gestützt.
So!
DUFROY
in seinem Satz, sich noch steigernd, weiter.
Und mag er mir in ... egoistischer Skrupellosigkeit selbst das Allerschlimmste angetan haben ...
ONKEL LUDWIG
der ihn nicht aus den Augen läßt; noch grimmiger.
So!!
DUFROY
auch jetzt wieder, kaum von ihm unterbrochen, noch immer sich steigernd.

Zumal, besonders und noch obendrein, wenn ich überzeugt bin, wenn alles in mir bis in die letzte Faser davon durchdrungen ist, wenn mein ganzes Innre es gradezu wie eine Art fatalistische Gewißheit verspürt, daß sein Leben in meiner Hand liegt, daß ich nur zuzuknallen brauche, um ihn vor mir niederbrechen zu sehn, und daß er, überzeugt und durchdrungen von der gleichen, ehernen, unabwendbaren Gewißheit, sich mir zu diesem Zweck freiwillig und von selber stellen wird ... in eigner Sache zugleich Richter und Nachrichter, kalten Bluts ...

ONKEL LUDWIG
nickend; höhnisch.
So ... brav und christlich ...
DUFROY
wie grade durch dieses Wort ganz besonders getroffen.
»Christlich!«
ONKEL LUDWIG
loslegend.

Na! ... Denn werd ich dir mal ... was sagen! ... Mit seinem Stock zweimal hart aufstoßend. Und wenn der Tod ... Auf eine betreffende, nervös-abwehrende Geste Dufroys; schwerst. Du magst abwinken ... soviel du willst! ... Was mir nach diesem ersten ... gemütvollen ... trostreichen Antrittsfandango ...

[584]
DUFROY
auch jetzt noch auf und ab; ihn noch immer nicht anblickend; erbittert mit beiden Armen hoch.
Aber mein Gott!
ONKEL LUDWIG
in seiner »Selbstdiagnose«, fast als ob ihm das den ausgesucht grimmigsten Spaß macht, noch gesteigert, weiter.

Diesem deliziösen ... einstweiligen Vorschmackhäppchen ... und vielversprechenden Fidulitätsanfang ...

DUFROY
der ihn vergeblich zu unterbrechen versucht.
Ich habe dir versichert ...
ONKEL LUDWIG
noch stärker.
Trotz deiner einlullenden Gifte und Opiate ... jetzt droht und bevorsteht ... weiß ich!
DUFROY
heftig; in seinem Tonfall jetzt ganz, wenn auch natürlich wieder völlig unbewußt, Georg.
Du weißt gar nichts!
ONKEL LUDWIG
von neuem; mit womöglich noch nachdrücklicherer Wucht, als vorhin.
Und wenn der Tod ... Sich nach beiden Seiten wie nach ihm umblickend. das Rabenaas ...
DUFROY
stehngeblieben; zu ihm rüber.
Du glaubst doch nicht etwa ...
ONKEL LUDWIG
wie eben; nur noch verstärkt.
Der feige Mordracker ... und ... Sensenhalunke ...
DUFROY
sarkastisch-ungehalten; mit dem Versuch, ihn dadurch wieder zu sich zu bringen.
Du stellst dir den Herrn ...
ONKEL LUDWIG
noch immer sich steigernd.
Vielleicht auch schon längst ... da irgendwo so ... grinsend hinter mir steht ...
DUFROY
der sich anders nicht mehr zu helfen weiß; durch die Situation, so sehr er sich auch dagegen wehrt und gegen das Grauen, das ihn in diesem Augenblick durchgrieselt, ankämpft, gepackt; stärkst.
Du phantasierst!
ONKEL LUDWIG
an Kraft unvermindert, ja sogar eher noch an ihr gewinnend, erst jetzt seinen Satz schließend.
Und auf mich ... lauert und wartet!
DUFROY
diese bewußte »Lüge« aber auch ohne das geringste Bedenken über die Lippen bringend.
Du kannst noch zwanzig ...
ONKEL LUDWIG
hohnvollst-erbittert.
»Zwanzig!«
DUFROY
mit »eherner Stirn«.
Jawohl! Zwanzig!
ONKEL LUDWIG
grimmigst-verbissen.

Danke! ... Merßi! ... Noch immer sich steigernd; zornbebend; fast gradezu feindselig. Warum nu ... nich noch gar ... und auch noch gleich ...

DUFROY
andrer Tonfall; gequält-schmerzlichst.
Liebster Ludwig!
[585]
ONKEL LUDWIG
sich unwillkürlich reckend; alles, was in ihm noch »Mann« ist, zusammenraffend.
Ich habe mein Saldo ... mit mir abgeschlossen ...
DUFROY
bittend, fast weich.
Es ist doch noch nicht gesagt ...
ONKEL LUDWIG
fest.
Wünsche, mich auf diesem glühenden Marterrost ...
DUFROY
als hätte der ärmste, zum allerqualvollsten Tode Verdammte sich mit diesem Wort die denkbar größte Übertretung erlaubt.
»Marterrost!«
ONKEL LUDWIG
in seinem Satz, vor dessen Gewalt Dufroy ohnmächtig ringend dasteht, nach wie vor weiter.

Dessen Wonnen ich mit meinem alten, ausgemürbten Kadaver ... kaum eben erst zu proben und zu kosten bekommen habe ...

DUFROY
vergeblich nach etwas »suchend«.
Du mußt nicht in deiner Ungeduld ...
ONKEL LUDWIG
wie vorhin.
Nicht noch soundso viel mal rumwälzen und rumwinden zu müssen ...
DUFROY
immer kopfloser.
Wenn du aber natürlich nichts auf mein Urteil ...
ONKEL LUDWIG
noch immer sich steigernd.
Und hoffe daher ... daß mich der gerechte, gnädge Allgütge ... oder sein Satan ...
DUFROY
ganz ratlos-verzweifelt.
Ich wiederhole dir noch mal ... und versichre dir ernstlich ...
ONKEL LUDWIG
abbrechend und in seinem Tonfall jetzt fast verächtlich.

Wiederhole und versichre, was dich bedünkt, mach mir und dir vor, was dir beliebt, und dem sei, wie ihm wolle! Betreffende Geste mit der Rechten. Wenn meine Hand nicht bereits so zitterte, daß ich das Schießzeug ...

DUFROY
dem der schon beinahe Schlotternde in diesem Augenblick fast gradezu burlesk erscheint.
Du bist ...
ONKEL LUDWIG
nochmal und mit Gewalt seine ganze, letzte Kraft zusammennehmend.

Und Georg nicht der Kerl wäre, der er zum Glück, und Gott sei dafür auf den Knieen bedankt, ist, ich würde mir dies Früchtchen ... dieses smarte, glatte, windige Bürschchen ... dies Brüderchen Amoroso ...

DUFROY
ihm wieder ärgerlich den Rücken drehend.

Das magst du vor deinem theosophischen Gewissen verantworten! Ich für meinen Teil ... Irgendwo aus der Ferne dumpfes Auto.

[586]
ONKEL LUDWIG
ihm wieder nachstierend; gereizt; sein Gehirn, das die ganzen letzten Minuten über bereits klarer gewesen, beginnt sich wieder zu umdunkeln.
»Theosophischen ... Gewissen?«
DUFROY
schärfst, jeden Iktus betont; wie er glaubt, damit seinen letzten, Onkel Ludwig »vernichtenden« Trumpf ausspielend.
Du hast bisher dein ganzes Leben ...
ONKEL LUDWIG
noch verstärkt.
»Theosophischen Gewissen?!« ... Wo uns eben erst der Leibhafte ...
DUFROY
wieder nach ihm zurückgedreht; ihn, fast entsetzt, anstarrend.
Aber liebster, bester Bruder!
ONKEL LUDWIG
immer zornig-erbitterter; fast schwankend.
Aus seinem dubiosen, unerschöpflichen Gnadenfüllhorn ...
DUFROY
noch ganz paff; mit dem krampfhaften Versuch, Onkel Ludwigs »schnurrigen Einfall« »humoristisch« zu nehmen.
So sehr und so gern ich ...
ONKEL LUDWIG
in seine plötzliche Vorstellung sich wie mit wütendster Wonne grabend.
Einem nach dem andern, jedem separatim, und in verführerischstem Habitus ...
DUFROY
dem jetzt bald der »Verstand« still steht.
Tu mir den einzigen Gefallen und ...
ONKEL LUDWIG
ergrimmt; wieder, diesmal bei der dritten Silbe, mit seinem Stock aufstoßend.
Est ut est! Im dicksten, dustersten Urschleim aller Dinge ...
DUFROY
um ihn durch irgendwelche Einrede nicht noch mehr zu reizen.
Nun ja, ja, ja!
ONKEL LUDWIG
sich permanent wieder steigernd.
Am letzten, untersten Wurzelanfang alles Seins und Geschehns ...
DUFROY
ihn vergeblich zu beruhigen versuchend.
Gewiß! Gewiß!
ONKEL LUDWIG
immer nachdrücklich-wütender.
Schon seit und vor dem Beginn aller Tage ...
DUFROY
schon fast ratlos; ihm vollständig beipflichtend.
Aber ganz ohne jeden Zweifel!
ONKEL LUDWIG
wuchtig; wie jeden etwa möglichen Widerspruch allein schon durch seinen Ton von vorneherein und im Keim erstickend.

Sitzt und thront nicht, wie wir uns das banghasig, memmenhaft und feigherzig vorlügen, vorschwindeln und vorflunkern ...

DUFROY
in seiner Atempause.
Allerdings! Allerdings!
[587]
ONKEL LUDWIG
fast keuchend.
Auf seinem dreibeinigen ...
DUFROY
der gar nicht mehr weiß, wie er sich zu einer derartig abstrusen Phantastik überhaupt äußern soll.
»Dreibeinigen!«
ONKEL LUDWIG
von neuem; immer eigensinniger-verbissner.

Wackligen Wolkenstühlchen, allbarmherzig, allweise und allgerecht, Paradiese und Höllen in seinem Sack ...

DUFROY
wie vorhin.
»Sack!«
ONKEL LUDWIG
noch gesteigert.
Weißbärtig und rotbäckig, der alte, liebe, gute Gott Weihnachtsmann ...
DUFROY
in der Hoffnung, ihm den Faden damit endlich abzuknipsen.
Nun hör aber ...
ONKEL LUDWIG
noch intensiver.
Sondern glupt und hockt ...
DUFROY
wieder ähnlich wie vorhin.
»Hockt!«
ONKEL LUDWIG
sich abermals steigernd.
Allboshaft, allhartherzig und allhundsföttisch ...
DUFROY
fast verzweifelt.
Du kannst einen wirklich ...
ONKEL LUDWIG
noch immer in seinem selben Satz unbarmherzig weiter.
Mit gekringeltem Bocksschwanz, grünen, glasigen Meerkateraugen ...
DUFROY
sich mit beiden Händen an den Kopf packend.
Mein Hirn! Mein armes ...
ONKEL LUDWIG
in seinem Detail immer ausschweifender.
Und gezückten, giftglimmrigen, krummschnäbligen Eisenklauen ...
DUFROY
beide Arme, wie flehend, erhoben.
Hab Erbarmen!
ONKEL LUDWIG
als ob er das betreffende Monstrum vor sich sähe.

Vipernzüngig, krötenumwabert und drachenflüglig ... Plötzlich, die Augen starr aufgerissen, ganz entsetzt, nach Marianne rüber, die in diesem Moment, wie unter seiner Phantasmagorie zusammengezuckt, den Kopf, der bisher nach links lag, nach rechts gedreht. Hast du ... gesehn?!

DUFROY
zusammengefahren.
Was?! ... Bereits neben ihr. Marianne??
ONKEL LUDWIG
sich nicht recht klar, ob er nicht wieder das Opfer einer Sinnestäuschung geworden.
Mir war doch ... als ob sie eben ...
DUFROY
ebenfalls in einem solchen Zweifel; nach der betreffenden Stelle hin.
Lag ihr Kopf ... nicht vorhin hier links?
ONKEL LUDWIG
Marianne, die wieder wie vollkommen leblos liegt, noch immer anstarrend.
Das ... kann ich dir ... nicht ...
[588]
DUFROY
unter seiner Hand jetzt die Wärme fühlend.
Aber ganz gewiß! ... Ich spüre noch deutlich ... Abbrechend, zu Onkel Ludwig rüber. Seltsam!
ONKEL LUDWIG
der dies sonderbare Intermezzo grade in diesem Augenblick plötzlich als einen »strafenden Fingerzeig Gottes« nimmt; ganz geknickt-erschüttert.
Hätt ich doch meine freche ... vorwitzige Zunge ...
DUFROY
durch den eben erlebten Zwischenfall, den er sich nicht recht erklären kann, innerlichst zwar etwas beunruhigt, aber doch mit aller Gewalt sich wieder darüber hinweghelfend.
Nun! Es ist ja wohl ... überhaupt ...
ONKEL LUDWIG
noch »geschlagner«.
Eine Kreatur ... die so lästert ...
DUFROY
wie vorhin.
Zu wirklicher ... ernsthafterer Besorgnis ...
ONKEL LUDWIG
noch immer bei seinem »Fingerzeig«; fast lallend.
Ein so nichtiger Erdenwurm ...
DUFROY
nervös nach der Tür rechts rüber.
Was nur Georg ...
ONKEL LUDWIG
wie blöde vor sich hinbrubbelnd.
Welche ... wollen sagen ...
DUFROY
noch in seinem selben Satz; einen Moment fast wie lauschend.
Da unten so lange ...
ONKEL LUDWIG
aus seinem Dusel wieder um sich blickend und von neuem nach der Ecke links rüber.
Das ... Rosenzimmer!!
DUFROY
der diesen Blick, höchst peinlich davon berührt, wieder bemerkt hat.
Lieber Bruder, ich ... weiß ... und wollte dir eigentlich ... fast schon vorhin ...
ONKEL LUDWIG
der ihn gar nicht gehört; mit dem linken Zeigefinger erst auf das Bild links deutend, dann die Hand auf dem Stock wechselnd und mit dem rechten Zeigefinger auf das Bild rechts.
Dort ... dein Vater ... und dort ...
DUFROY
schnell einfallend; das erste Wort ebenso stark wie das zweite.
Unsre Mutter!
ONKEL LUDWIG
höhnisch-bitter; nach dem Portrait starrend.
»Unsre ...«
DUFROY
noch bestimmter.
Unsre Mutter!
ONKEL LUDWIG
wieder jetzt zuerst nach dem Bild links, dann nach dem rechts.

Der ... »apollinischste ... aller Professoren« ... und sein ... Die Herrschaft über sich wieder völlig verlierend. mänadisches ... brunsttolles ...

DUFROY
mit dem vergeblichen Versuch, ihn zu unterbrechen.
Hör ...
[589]
ONKEL LUDWIG
als ob er das Bild, allein schon durch seinen Blick in tausend Fetzen reißen wollte.
Buhlerisches ...
DUFROY
fast wie nach Luft ringend; zerquält.
Hör auf!
ONKEL LUDWIG
erst jetzt mit seinem ganzen Haß niederkommend.

Teufelsweib, das mich aus diesem Haus ... durch die ganze Welt ... und auch erst eben ... Nach der Tür rechts. von dort oben wieder ...

DUFROY
auf ihn zu; erregt.
Nun bitte ich dich aber dringend ...
ONKEL LUDWIG
beide Arme, zwei Schritte vor ihm zurück, wie Windmühlenflügel; keuchend.
Bastard!! ... Wieder zwei Schritte auf ihn zu und ihm nochmal elementar ins Gesicht. Bastard!!!
DUFROY
straff-aufrecht; vor Zorn fast zitternd.
Komm zu dir!!
ONKEL LUDWIG
zwei Schritte noch mal zurück und die Hand wieder, wie blöde, vor der Stirn.

»Komm« ... Plötzlich, wie aus einem tiefsten Traum erwacht; mit weit ausgebreiteten Armen, fast schluchzend. Bruder!!!

DUFROY
ihn an beiden Schultern wieder fest aufrecht haltend.
Du kannst dich ja kaum noch ...
ONKEL LUDWIG
noch mal nach dem Bild rechts zurück.
Die ... hat mir schon was ...
DUFROY
ihn wieder nach dem Sessel führend.

Also nun sei schon vernünftig und ... Ihn setzend. So! ... Nachdem er sich kurz gesammelt; mild-vorwurfs voll; entsprechende Kopfbewegung nach der Tür rechts. Warum hattest du vorhin den Diener ...

ONKEL LUDWIG
verschmitzt-rauh, wie mit der Stimme eines Betrunkenen.

Den ... hatt ich noch grade ... rechtzeitig ... Abbrechend; entsprechende Geste. der war ... knapp raus, da ... Wieder abbrechend; Geste, als ob sich plötzlich alles um ihn wie in Schaukelbewegung befände.

DUFROY
den kleinen Hocker neben dem Lehnstuhl zu sich heranziehend und dabei gleichzeitig dem wieder wie halb Delirierenden gut zuredend.
Du kannst zu mir, als deinem Arzt ...
ONKEL LUDWIG
immer mit den entsprechenden Gesten.
Da ... ging der Tanz ... da brach die Hetz ... Wieder abbrechend.
DUFROY
der sich inzwischen, etwas vor ihm nach links, gesetzt hat.

In welcher ... Form und Gestalt? In was für ... Vorstellungsbildern? Willst du mir nicht ... wenigstens andeutungsweise ...

[590]
ONKEL LUDWIG
erst allmählich sich rausheddernd.

Da muß ich mich erst ... das ... kann ich dir wirklich ... Ja, ja! Oder ... ob mir das bloß so ...? I wo! Nein, nein! ... Aber auch ganz bestimmt! ... Über meinem Bett ... mit der gewürfelten Decke ... in Glas und Papprahmen ...

DUFROY
um seinen Bericht etwas zu beschleunigen; da er fürchtet, daß der auch jetzt noch wie halb Umnebelte sonst aus dem Hundertsten ins Tausendste kommen könne.
Den du dir selbst geklebt hast, hängt noch deine alte Schmetterlingssammlung! Nun ja! Und?
ONKEL LUDWIG
naiv weiter.

Das waren aber ... keine Kiefernspanner, Ligusterschwärmer, Goldeulen, Perlmutterfalter und Pfauenaugen mehr ...

DUFROY
drängend.
Sondern?
ONKEL LUDWIG
erst noch etwas zaudernd, dann immer lebhafter; mit fortwährend wechselndem Mienenspiel und ebensolchen Gesten.

Ich ... weiß nich, aber ... Aus allen Ecken, auf allen Ranken, im ganzen Gitterwerk, mitten durchs Zimmer und quer über die Decke weg! ... Das zwitscherte, kreischte, kletterte, schwirrte, huschte, hüpfte, schoß, schmetterte und glitzerte! Kolibris, Kakadus, Araras, Flamingos, Marabus, Smaragdfinken, Purpurschwalben, kleine, silbrig singende, persische Bülbüls und Nashornvögel!

DUFROY
der sich aus alledem noch »keinen« Vers machen kann.
Nun ja, ja! Aber ...
ONKEL LUDWIG
nachdrücklichst; befriedigt; auch diese Einzelheit ihm nicht schenkend.

Genau so, wie damals ... als ich an meinem braunen, zerschnitzten Schularbeitspult ... noch den Robinson Crusoe las!

DUFROY
ähnlich wie vorhin; nur jetzt bereits fast etwas ungeduldig.
Alles ganz recht und schön ... aber dann war das doch nur ...
ONKEL LUDWIG
eifrig; nickend; seinen Satz ihm, allerdings ganz anders gedreht, als dies natürlich sonst Dufroy selbst getan, fortsetzend und seine ganze, antiquiert-bunte Farbenskala, die ihm in diesem Zustand ganz besonders reichhaltig zur Verfügung steht, dabei funkeln und glitzern lassend.

Zu dem ganzen ... libidinös üppigen ... lasziv unflätigen ... jeder Scham baren, Höllen-, [591] Zauber- und Hexensabbat, der mich ... nachher und ... hernachwärts ... wie von rasenden, geierkralligen Erinnyen und Schlangenfurien verfolgt und gepeitscht ... bis hier heruntertrieb ... besagtermaßen, zuvörderst bloß und nur ... die zart präludierende ... eiapopeiande ... perfid betümpelnde Einwiegungsintroduktion und ... Burleske, wie empört abwehrende Geste nach der Kaminuhr, die in diesem Augenblick mit zwei Schlägen Halb anzeigt.

DUFROY
der ebenfalls nach ihr hingesehen; wieder zu Onkel Ludwig.
Es ist ... vielleicht doch ... wenigstens im Moment, für dich besser ...
ONKEL LUDWIG
mit neuer, jetzt noch erhöhter Verve, wieder einsetzend.

Plötzlich ... mit einem Ruck und mit einemmal ... unter einer schrill ohrzerreißend aufgellenden, markerschütternd losrasselnden, alle Sinne wie taumelnd übertäubenden Pfeifen-, Zymbeln-, Tamtam-, Triangel- und Kesseltrommelmusik, die mir mit ihrer dumpfen, dunklen, wollüstig stimulierenden, orphischen Urmelodie durch alle Nerven und Adern rann ...

DUFROY
dem dies Feuer fast beängstigend vorkommt.
Du solltest wirklich ...
ONKEL LUDWIG
als ob Dufroy ihn gar nicht unterbrochen.

Während das geflügelte Kroopzeug gleichzeitig sich, wie toll, auf- und übereinander warf und das ganze Blattwerk, Rankengewirr und Gittergeflecht ringsum sich, wie mit einem Schlag, in ein einziges, sich zuchtlos paarendes und kopulierendes, schleimiges Basilisken-, Ottern- und Molchgewürm verwandelt hatte ...

DUFROY
Geste.
Laß es nun ...
ONKEL LUDWIG
noch immer in seinem selben Satz; wie vorhin.

Auf einem skandalös schwelgerischen, scheusälig und lasterhaft mit einer schandbar infamen Unmenge unerlaubt unziemlicher, verderbt zweideutiger, ärgerniserregender Pflanzen-, Früchte- und Blumenembleme bunt-scheckig in allen sieben Regenbogenfarben durchsprenkelten, odaliskischen Haremsteppich ...

DUFROY
nervös; mit einem gewissen Respekt vor dem, wie er fühlt, jetzt sicher Kommenden.
Wozu ...
ONKEL LUDWIG
noch gesteigert; aus seinem barocken, altväterischen Wortvorrat, der fast unerschöpflich scheint, immer spendabler.

Faunisch- viehisch [592] umkollert, umlüstert, umgrunzt, umquiekt und umbalzt von einem frivol unzüchtigen, obszön ausgelassnen, wüsten, zügellosen, wie behaarbeutelten Chorus unehrbarer, anstandswidriger, zudringlicher Schweinsaffen, Paviane und Mandrills, die sich in allerhand möglichen fleischlichen und schlüpfrigen Posituren und Stellungen ...

DUFROY
von dieser ganzen Höllenbreugheliade, gegen die er nicht ankann, als Sohn, Stiefbruder und Arzt gleichmäßig bedrückt.
Du brauchst mir wahrhaftig ...
ONKEL LUDWIG
über seinen gequälten Einspruchsversuch, sturzbachartig, noch immer fast mit jeder Silbe sich steigernd, weiter.

Den unerhört unzartesten, respektwidrig bachantischsten, handgreiflichsten Allotriis hingaben, diesen oblagen und sich ihrer erfreuten, Perlen, Opale, Topase, Türkise, Saphire, Mondsteine und Rubine im kostbar rundtoupierten, blauvioletten, goldbepuderten Haar, in langen, seidenschwarzen, mit herausfordernd phallischen Symbolen ausschweifend liederlich durchbrochnen Strümpfen und kleinen, pittoresk bernsteingelb gestöckelten, prächtig meergrün schillernden Atlasschühchen, bajaderisch sich windend, succubisch glühäugig lächelnd, lupanarisch nackt ... Nach dem Portrait rechts zurück – Brustbild – das die Mutter, während den jugendlichen Stiefvater links der übliche festliche Bratenrock schmückt, etwas à la Lady Hamilton zeigt.

DUFROY
der den fast außer sich Geratnen jetzt an der rechten Hand hält; sie ihm mit der linken streichelnd; erschüttert-mitleidig.
Lieber Bruder! Lieber ...
ONKEL LUDWIG
auch jetzt noch in seinem selben Satz; in dessen anklagendem Haß ungebrochen.

Unersättlicher als Messalina, entfesselter als Phryne, ekstatisch aufgelöster als Leda, Danae und Jo, in brünstig zuckend ruchlosem Wollustkrampf,Nach dem kleinen Schrägsofa links. wie sie damals ...

DUFROY
noch gesteigerter als vorhin; statt der rechten Hand ihm jetzt die rechte Schulter streichelnd.
Lieber Ludwig! Lieber ...
ONKEL LUDWIG
dessen Stimme, die so lange durchgehalten, jetzt fast zu versagen droht.
Wie sie damals ... meine dreizehn Jahre ...
DUFROY
mit aller Kraft auf ihn einsprechend.

Ein bizarr verzerrtes, outriert groteskes, beklagenswert bedauerliches Erinnrungs- [593] und Einbildungsspiel deiner ja schon seit je und bereits rein an und für sich höchst regen, durch die vorausgegangen, übermenschlichen, kaum erst überstandnen Qualen und Schmerzen nun gar vollends noch anormal gesteigerten, überhitzten und bis ins letzte getriebnen, volublen Phantasie, das ich vollkommen verstehe und begreife, Mit einem wieder schmerzlichen, unwillkürlichen Blick nach der Ecke links zurück. nachdem es für mich vorhin ... zur tieftraurigsten Gewißheit geworden ...

ONKEL LUDWIG
auf Dufroy kaum achtend, erst jetzt seine lange Riesenperiode damit schließend, erschöpft-verzweifeltst vor sich hin.
Die ... eigne Mutter!! Die ... eigne ...
DUFROY
ausholend, warm, eindringlich.
Was du unter deinem mir kaum faßbaren Schicksal ...
ONKEL LUDWIG
kläglichst; von neuem.
Jeder Tagelöhner! Der ärmste Bettler!
DUFROY
ihn unterbrechend; wie vorhin.
Was du auch unter deinem Los gelitten!
ONKEL LUDWIG
in seiner traurigen Litanei, noch jammervoller, weiter.

Der Dieb im Zuchthaus, der verlausteste, verludertste, zerlumpteste Vagabund im Straßengraben! Ja, sogar selbst der zum schimpflichsten Tode verurteilte, seinem letzten, unabwendbaren, grausigen Gang aschfahl, zitternd und zähneklappernd entgegenschlotternde Mörder in seiner Zelle!

DUFROY
in seiner begonnenen Linie parallel ebenso.

Du wirst dich von deinem furchtbaren Alpdruck befreien und all das Entsetzliche in dir überwinden, wenn du dich jetzt endlich ...

ONKEL LUDWIG
wie vorhin; als ob er Dufroy gar nicht gehört hätte.

Nicht einer, der seine Schmach, nicht einer, der seine Not, seine Angst, sein Elend und seinen Jammer, nicht wenigstens einmal in seinem trüben, verachteten, erbärmlichen Leben ...

DUFROY
ganz überrascht-bewegt; kaum fähig, schon zu sprechen.
So tief ... so furchtbar ...
ONKEL LUDWIG
wieder noch immer sich steigernd; letzte, durch sein ganzes, langes Leben erlittne, immer wieder aufs grausamste getäuschte, unerfüllt gebliebene Sehnsucht.
Lippen, die locken, Augen, die strahlen, ein Leib, der atmet! Und ich ... ich ... ich ...
DUFROY
in seine brechende Stimme; erschüttert.

So unbarmherzig mitleidslos [594] hat dich dies eine ... abscheuliche ... Nochmal, wie bereits vorhin, nach der Ecke links zurück. zufällige ... Schreckenserlebnis ...

ONKEL LUDWIG
dem dieser Blick und seine Bedeutung mit einem Male klar werden; ganz entsetzt- überrascht.
Wo ...?
DUFROY
durch seinen fragenden Laut kaum unterbrochen; noch immer in seinem Satz.
Durchwühlt und durchschüttert, daß du in deinem ganzen ... Dasein ...
ONKEL LUDWIG: Wo-
Mit seinem Blick jetzt ebenfalls wieder nach der Ecke links zurück.
her ...?
DUFROY
mit sich ringend; schwer; in peinvoll- schmerzlichster Rückerinnrung.
Auch ich ... Auch hinter mir ... Auch auf meinem ... langen Weg ...
ONKEL LUDWIG
noch stärker.
Wo-her ...??
DUFROY
energisch; in seinem Bekenntnis weiter; mit beiden Fäusten den Rhythmus markierend.
Aber durch Arbeit, Arbeit, Arbeit ...
ONKEL LUDWIG
von seiner Frage nicht ablassend; letzte, wuchtigste Steigrung; zuletzt, mit der erhobnen Rechten, noch mal nach der Ecke links zurück.

Wo-her ... weißt du ... was sich hier in jener ... Vor innerer Erregung, sein Morphiumdusel scheint völlig verflogen, abbrechend.

DUFROY
dem der Schweiß fast auf der Stirn steht; sich unwillkürlich nach dieser greifend.
In jener ... schauerlichen ... grauenerregend schreckensvollen ...
ONKEL LUDWIG
einfallend; noch machtvoll-nachdrücklicher.
Gottverfluchten Sterbenacht ...
DUFROY
plötzlich, ganz erschreckt, wieder nach Marianne rüber, deren rechte Hand, die so lange lässig auf ihrem Schoß gelegen, bei den letzten Worten Onkel Ludwigs ein wenig sich erhoben hatte und dann lasch wieder zurückgefallen war.
Jetzt ... war mir doch selbst ...
ONKEL LUDWIG
fast atemlos; ebenso; die Hand hebt sich abermals und sinkt, vor den Augen beider, kraftlos über die Stuhllehne.
Da! ... Noch mal! ... Die rechte Hand!
DUFROY
näher getreten.

Dem Himmel sei ... Abbrechend; nach der Stelle, wo noch vor wenigen Minuten ihr Kopf gelegen. Jene vorhin immerhin ... nur oberflächliche Konstatierung hier ... konnte [595] vielleicht ... noch eine Selbsttäuschung gewesen sein! Aber diese wiederholten ... willkürlichen Bewegungen jetzt ...

ONKEL LUDWIG
ganz verdutzt zu ihm rauf.
Ja, hattest du denn ... befürchtet und geglaubt ... Auto.
DUFROY
ausweichend.
Nicht »befürchtet« und »geglaubt«, aber ...
ONKEL LUDWIG
mißtrauisch.
»Aber ...?«
DUFROY
erst jetzt damit Farbe bekennend.

Aber bei der beängstigend unheimlichen, zitternd fieberhaften, pessimistisch, schwarzseherisch ansteckenden Übererregtheit Georgs, der hier wie ein Panther ...

ONKEL LUDWIG
für den Abwesenden eintretend.
Du kannst ihm das schließlich ...
DUFROY
von neuem nach Marianne; sich immer zuversichtlicher stimmend.

Hoffen wir jedenfalls, daß dieser jetzt gesunde, feste und ruhige Schlaf nun möglichst noch recht lange ...

ONKEL LUDWIG
der jetzt wieder »ganz vernünftig« scheint.
So viel schwant mir ja auch! Hält sie s bis morgen urch ...
DUFROY
nervös-hastig, ganz aufgeregt, fast flackernd.

Dann ist alles ... Dann ... soll nichts ... Dann ... will ich diesen Tag ... Wie ich ja dann zuversichtlich erwarte und annehme, Noch mal nach Marianne. daß sich dann überhaupt ...

ONKEL LUDWIG
der die Perspektive, die Dufroy damit angedeutet, begriffen.

Jaja, aber ... Auf seine, ihm nun schon so oft unterbrochne Frage nieder zurückkommend. Willst du und ... möchtest du mir nu nich endlich ...

DUFROY
wieder, unruhig, nach der Tür rechts rüber.
Ich ... begreife ... und verstehe wirklich nicht ...
ONKEL LUDWIG
nachdrucksamst weiter.
Konfidentialiter mitteilen, verraten und Aufschluß geben, woher ...
DUFROY
wie vorhin, nur noch verstärkt.
Mir ist es gradezu ... ganz unerklärlich ... wieso und warum Georg ...
ONKEL LUDWIG
zäh.

Ich hatte doch mein Lebtag bis jetzt gedacht, Wieder mit einem entsprechenden Blick nach der Ecke links zurück. daß mich die beiden ...

DUFROY
der sich inzwischen wieder zu ihm gesetzt; endlich auf ihn eingehend.
Weder mein Vater, noch deine Mutter ... das ist wahr und darin hast du dich nicht getäuscht ...
[596]
ONKEL LUDWIG
ihn um so weniger begreifend.
Nu ja, also!
DUFROY
beruhigende, ihn zu schweigen mahnende Geste.

Hatten dich damals in ihrem vermessen tollkühnen, unbedacht selbstvergessen, rasenden Taumel und Paroxysmus, den ich in seiner grandiosen, grauenhaften, über alles hinwegtriumphierenden Welt- und Daseinsbejahung ...

ONKEL LUDWIG
entrüstet.
»Welt- und ...«
DUFROY
noch unterstrichen-bestimmter.
Welt- und Daseinsbejahung als ganz genau und ebenso ungeheuerlich empfinde, wie du ...
ONKEL LUDWIG
ihn, ganz empört, unterbrechend.
Du wirst und willst mir doch hier nich gar etwa ...
DUFROY
mit dem vergeblichen Versuch, wieder zu Wort zu kommen.
Aber es liegt mir ja völlig ...
ONKEL LUDWIG
immer zornig-erbitterter.
So gewissermaßen nachträglich und retrospektiv ...
DUFROY
noch abwehrend-nervöser.
Ich beabsichtige nicht im geringsten ...
ONKEL LUDWIG
dessen Grimm sich noch nicht ausgetobt hat.

Dies sich entmenscht, korrupt und gewissenlos in seinem Sündenschlamm wälzende, adulterische Pack ...

DUFROY
einen kurzen Moment, so sehr er sich auch müht, ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, jetzt fast gereizt-heftig.

So hör doch! Du irrst, wenn du glaubst, daß die beiden, die nach jahrelang innerm, stummem, siegreich mit sich selbst bestandnem Kampf und Ringen ...

ONKEL LUDWIG
sich schon wieder auflehnend.
Wie kannst du sagen ...
DUFROY
nachdrücklichst, in seinem selben Satz weiter.

Von ihrer, mit zähster, angespanntester Willenskraft und Energie bis dahin mühsam zurück- und aufgestauten, jugendstark heißblütigen, alle seelisch künstlich errichteten Wehre, Deiche und Dämmungen plötzlich jäh zerreißenden, sprengenden und durchbrechenden Leidenschaft ...

ONKEL LUDWIG
der das alles doch bloß für »hypothetisch« hält.
Wie darfst du behaupten ...
DUFROY
noch immer, fortwährend sich steigernd, in seinem selben Satz.

Im letzten, gräßlich schauerlichsten, unseligsten Moment elementar überwältigt, zum erstenmal sich zusammenfanden ...

[597]
ONKEL LUDWIG
noch mal.
Wie willst du mir beweisen ...
DUFROY
letzte, lauterste, überzeugteste Eindringlichkeit.

Eine Mutter, die ihrem Sohn ... von Reue und Gewissensqual gefoltert, gepeinigt und gequält, unter der Wucht und Last ihrer Selbstanklagen niedergebrochen, in Not und Verzweiflung ... mit weißen Haaren ... freiwillig und aus eigenstem, innerstem Antrieb die schwerste, größte, sie beinah zermalmende Schuld ihres Lebens beichtet, lügt nicht!

ONKEL LUDWIG
von dieser Eröffnung, auf die er nicht gefaßt gewesen war, ganz zerknickt-erschüttert.
Das ... das hat dir die ... alte Frau ...?
DUFROY
nickend; den betreffenden Sachverhalt ihm bestätigend.
Nach dem Tode Mariettes ...
ONKEL LUDWIG
dem die Stimme fast versagt.
»Nach dem ...?«
DUFROY
noch stärker.

Nach dem Tode Mariettes, an der ihr Herz ... ganz besonders gehangen hatte ... und den sie in ihrer damals ... fast geistigen Verwirrung ... ähnlich, wie nachträglich auch das unter so tragischen Umständen erfolgte Hinscheiden meines verhältnismäßig schon so früh, jedenfalls aber vorzeitig und noch in der vollsten Kraft seiner Jahre verblichnen Vaters ... als »Strafgericht Gottes« empfand!

ONKEL LUDWIG
noch immer bei seiner »Eröffnung«; die Worte wollen ihm kaum durch die Kehle.
Ihrem ... Sohn?? ... Ihrem eignen ... leiblichen ...
DUFROY
wieder nickend; von neuem sich steigernd.

Ihrem eignen ... leiblichen Sohn ... dessen ganzes Herz ... dessen erschrecktes Innre ... dessen letztes, menschliches Mitgefühl und Empfinden ...

ONKEL LUDWIG
Geste; kläglich.
Du ... darfst ...
DUFROY
noch verstärkt; weiter.

Sich weh und krampfhaft zusammenzog ... als er in jenem Augenblick so ... und auf diese Weise ... endlich ... den wahren, bittern, geheimen Grund erfuhr ...

ONKEL LUDWIG
abwehrend-stehend.
Du ... sollst nicht ...
DUFROY
wie vorhin; auch jetzt noch in seinem Satz; seines endlichen, großen, elementaren Seelensiegs über ihn sicher.
Der vor so vielen ... vielen, langen Jahren ... seinen armen ... längst verschollnen Bruder ...
ONKEL LUDWIG
zuerst, wenn auch bereits etwas schwächer, noch wie vorhin, [598] dann umschlagend und mit plötzlich stürzenden Tränen.
Du ... du ... du-du-du ...
DUFROY
ergriffen; ihm mit beiden Händen Kopf und Schultern streichelnd.
Lieber ... Ludwig! Lieber ... Bruder! Lieber ...
ONKEL LUDWIG
dessen ganzer Körper noch zuckt.

Und dich, dich hab ich damals ... als du mich in deiner so grenzenlos teilnahmsvollen, hochherzigen Benevolenz und Güte ...

DUFROY
mild-ernst; mit dem Bestreben, alles »Vergangene« nun »vergeben und vergessen« sein zu lassen.

So schmerzlich, so tief schmerzlich mich jene Abweisung von dir damals auch traf, ich habe sie dir nicht ... Aus den untern Räumen des Hauses plötzlich kurzes, schrilles Geklingel; Dufroy aufhorchend. Das Telephon!

ONKEL LUDWIG
wie vorhin; nur noch gesteigert.
Du so groß! Du so voll Liebe! Du so gerecht!
DUFROY
bitter, fast schmerzlich.
»Gerecht!«
ONKEL LUDWIG
wieder beinahe schluchzend.
Und ... ich ...
DUFROY
das Geklingel noch stärker; auch Onkel Ludwig horcht diesmal auf.
Schon wieder!
ONKEL LUDWIG
noch nach der Tür rechts.
Was die nur jetzt ... nachts ...?
DUFROY
sich, leis unmutig, zusammenraffend.
Nun! Wir werden ja ... jetzt bald von Georg ...
ONKEL LUDWIG
auf sein durch Dufroy auch jetzt noch nicht erledigtes Thema wieder zurück.
Du hast mir doch aber eben ...
DUFROY
mit seinen Gedanken noch bei dem merkwürdigen Geklingel.
Hm? ... Ja?
ONKEL LUDWIG
noch mal entsprechende Geste nach der Ecke links zurück.
Du hattest mir doch aber eben ... selbst gesagt ... daß mich die Beiden ...
DUFROY
in seinem Satz, da Onkel Ludwig jetzt einen Moment stockt, unwillkürlich weiter.
In ihrem trunknen ... achtlos unklug überstürzten ... zeit-, erd- und weltentrückten ...
ONKEL LUDWIG
allernachdrücklichst, Dufroys von ihm so lange bestrittner Auffassung nicht mehr entgegentretend.
Seelen- und Sinnenrausch ...
DUFROY
eifrig.

Gewiß! Freilich! Allerdings! Aber kaum ... Wieder entsprechender Blick nach der Ecke links zurück. kaum, daß die [599] aus ihrem mehr als ...Wahnsinn ... wieder in die Wirklichkeit und zu sich Gekommnen mit schauderndem Grauen und Entsetzen, während jedem das Herz bis an den Hals schlug, während keiner sich von seinem Platz und von seiner Stelle wagte, und durch die offne Tür ... Immer mit den entsprechenden Gesten. der matte, gräßliche ... gedämpfte Lichtschein fiel ... kaum, daß sie hier von dem einsam und verlassen nebenan Sterbenden den letzten, schwindenden Seufzer vernommen hatten, und alles ... auf einmal still geworden war ... als sie auch bereits beide ... ohne, daß einer dem andern das kleinste, geringste Wort gesagt, ohne, daß sie auch nur einen Blick gewechselt, ohne daß sie sich innerlich Rechenschaft ablegen konnten, weshalb, warum, wieso und woher ... als sie auch bereits beide ... mit lähmender Gewißheit ... mit absoluter, intuitiver Sicherheit und Bestimmtheit fühlten und wußten: sie waren die letzten ... fünf Minuten ... in diesem Raum ... nicht allein gewesen!

ONKEL LUDWIG
der aufmerksamst und mit steigender Genugtuung ihm zugehört.
Ich verstehe dann ... aber doch noch immer nicht ...
DUFROY
noch nachdrücklichst-überzeugender.

Daß grade du ... daß unglücklicherweise, beklagenswert ausgerechnet grade du ... daß grade dich der Zufall, ein rächendes Schicksal, oder, wenn du dies heute so willst, dein Verhängnis ... in jenem für mich jeder Benennung und Bezeichnung spottenden Entsetzensaugenblick in dies damals so gut wie dreiviertel dunkle Zimmer gelenkt und geleitet hatte ... diese Möglichkeit ... diese schaurige Ahnung, Annahme und Vermutung, war zwar allen beiden, blitzartig, schon sofort und gleich aufgetaucht, aber erst, als dann dein völlig verändertes Wesen ...

ONKEL LUDWIG
sich verteidigend, in seine Atempause.
Ich konnte doch nicht mehr die Beiden ...
DUFROY
noch immer in seinem selben Satz, jeden Iktus schärfst betont.
Und zwar bereits am nächsten Tag ...
ONKEL LUDWIG
noch bestimmt-stärker.

Ich konnte doch nicht mehr deinen Vater ... den ich vom ersten Moment ab, wo er in seiner jungen, unbekümmerten, alle Herzen für sich einnehmenden und bezaubernden, geistigen, körperlichen und seelischen Frische in [600] unser vorsintflutlich altbacknes, quietistisch quäkerhaft pietistisch angesauertes, griesgrämiges Hauswesen und Familienheim trat ... ich kann s ja jetzt sagen, aber auch justament und auf der Stelle geliebt hatte ...

DUFROY
eingreifend, Geste.
Auch mein Vater ...
ONKEL LUDWIG
über seine Unterbrechung hinweg; in seiner Erinnrung an den Verblichnen mehr und mehr aufgehend.

Unter dessen pädagogisch verständnisvoller Anleitung und Unterweisung ich, von Lektion zu Lektion fortschreitend, mit immer größrer Ehrfurcht, Lernfreude und Erkenntnisbegier, immer tiefer in die erhabne Welt des Wissens und der Diszipline drang ...

DUFROY
leis wiegende, etwas ungeduldige, die drei Hebungen unterstreichende Kopfbewegung.
Gewiß! Freilich! Ich weiß!
ONKEL LUDWIG
wie vorhin; nur noch gesteigert.

Im Winter die reichen, pietätvoll unten aufgespeicherten, unerschöpflichen Bücherschätze durchstöbernd und durchwühlend, die mein alter, bigotter, amusischer Vater am liebsten hätte einstampfen und verbrennen lassen, im Sommer ambulando hier am Schafgraben, im Schöneberger Busch und auf den Moabiter Judenwiesen die Wunder Gottes und der Natur bestaunend, und zu dem ich bis dahin und unterweilen empor- und aufgeschaut hatte, wie zu einem Gott ...

DUFROY
in seine kurze Ergriffenheits- und Atempause; von neuem.
Auch mein Vater, sei überzeugt ...
ONKEL LUDWIG
der ihn nicht ausreden läßt; ihm seinen Satz schließend.

Hatte meinen naiven, treuherzgen, rührenden Jungensenthusiasmus von seiner Seite zunächst und zuvörderst nicht ohne einge Erwidrung gelassen!

DUFROY
der aus diesem Zugeständnis im Moment nur die Bitterkeit und die Ironie hört.
Du kannst nicht nachträglich leugnen ...
ONKEL LUDWIG
abwinkend, lebhaft.

Gewiß! Stimmt! Was dann aber weder ihn, noch meine liebe Mutter auch nur im geringsten behinderte ...

DUFROY
beruhigende, ihn wie beschwörende Geste.
Du sollst sofort ...
ONKEL LUDWIG
wieder, wie vorhin, noch in seinem selben Satz hartnäckig weiter.

Mich schon, kaum, daß auf dem damals eben erst frisch angelegten Dreifaltigkeitskirchhof, dritte Reihe links, vor dem [601] knappemang grade fertig gewordnen, strahlend und goldprotzig mit dem dreieckig allwissenden Auge Gottes bemeißelten, großartig funkelnden Grabstein eines gewissen ...

DUFROY
unterdrückt-ungehalten.
Ja, wenn du nicht ...
ONKEL LUDWIG
noch gesteigert.

Hermann, Louis, Ferdinand Brodersen die ersten blauen Astern blühten, seinen bockbeingen, störrischen, widerspenstgen Sohn, mit dem hier zu Hause nichts mehr anzufangen und anzustellen war, kurzerhand, wie den ersten, besten, nichtsnutzgen, mißratnen, unverbesserlichen Tunichtgut und Taugenichts ...

DUFROY
mit bereits leicht gekrauster Stirn.
Aber so hör doch!
ONKEL LUDWIG
der sich seinen »Faden« nicht abreißen läßt; seinen Satz mit empört sich beschwerendem Nachdruck schließend.

Ins Internat des Grauen Klosters zu sperren! Und noch dazu, ohne dem so hyänen- und tigerherzig Ausgestoßnen zu gestatten, über die ihm nach allem menschlichen und göttlichem Recht doch eigentlich gar nicht zu verwehrende, angestammte, väterliche Schwelle auch nur noch ein einzges Mal seine verfemten Füße zu setzen! Drei Schläge der Kaminuhr.

DUFROY
der kurz nach ihr hingeblickt; die etwas stark subjektive Darstellung des wieder ganz erregt Gewordnen berichtigend.

Dein Exil, bitte, war ein unfreiwilliges ... doch wohl schließlich höchstens nur ... etwa bis zu deiner Primanerzeit!

ONKEL LUDWIG
ergrimmt auffahrend.
»Nur?!«
DUFROY
sehr bestimmt; in seiner »Berichtigung« weiter.

Dann weigertest du dich selbst, dieses Haus noch mal zu betreten, und nicht die ernsthaftesten Vorstellungen meines Vaters, nicht die wiederholt flehendlichsten Bittbriefe deiner Mutter ...

ONKEL LUDWIG
erbittert; wieder dabei, wie nun schon so oft, nach der Ecke links zurück.
Wo mich das edle Paar ...
DUFROY
der seinem Blick gefolgt war; ihn unterbrechend; stutzig.
Hast du dir nie ...
ONKEL LUDWIG
wie vorhin; nur noch entrüsteter.
Wo mich die beiden von mir in flagranti Ertappten ...
DUFROY
ganz erstaunt-überrascht.
Ich muß gestehn, es nimmt mich fast Wunder ...
ONKEL LUDWIG
seinem, wie er glaubt, gerechten, nachträglichen Groll immer [602] mehr die Zügel schießen lassend.
Erst, wie einen Auswürfling, oder räudigen Hund ...
DUFROY
stark, nachdrücklichst; erst jetzt fähig, seine Gegenfrage, die sich ihm schon vorhin sofort auf die Zunge gedrängt hatte, über die Lippen zu bringen.
Ist dir nicht wenigstens einmal in deinem Leben der Gedanke, Verdacht, oder Argwohn aufgestiegen ...
ONKEL LUDWIG
ganz perplexverdattert.
»Gedanke?« ... »Verdacht?« ... »Argwohn?«
DUFROY
noch verstärkt.

Daß weder mein Vater ... und nun gar schon noch viel weniger deine Mutter ... daß alle beide ... grade in ihrem Schuldbewußtsein ... sich damals wahrscheinlich unter keinen Umständen von dir getrennt haben würden, wenn nicht der Grund dazu ... aber auch der denkbar allerzwingendste gewesen wäre?

ONKEL LUDWIG
ihn noch immer anstarrend.
Schlag mich dot, aber ich verstehe von dem allen ...
DUFROY
aufgestanden.

Hm! ... Einige Schritte, nachdenklich, nach rechts, dann nieder nach ihm zurückgedreht. Dir ist es also wirklich ... nie aufgefallen ... du hast dir niemals darüber den Kopf zerbrochen ... du hast es immer für das Selbstverständlichste von der Welt gehalten und es als solches hingenommen ... daß ich nicht, wie du ... hier in Berlin ... sondern in einem ganz abenteuerlichen kulturfern versteckten ... seit zwei oder drei Dezennien eigentlich erst nur durch mich hie und da mal ephemer vorübergehend in das Bewußtsein einiger, vereinzelter, sich in ihrer Neugierde oder aus Güte persönlich für mich interessierender Zeitgenossen gerückten, obskuren, ich möchte fast sagen, gradezu unmöglichen Nest in den damals für das weitaus übrige Europa kaum bereits existierenden und auch heute noch so gut wie auf dem Mond gelegnen Pyrenäen meinen, wie ich das beruhigende, tröstliche Gefühl habe, jetzt glücklich auch von dir nicht mehr als gar zu besonders beneidenswert abgeschätzten Lebenslauf angetreten habe?

ONKEL LUDWIG
»naiv«.
Ja, wenn ihr doch aber alle drei damals grade zufällig ... Pferdegetrappel.
DUFROY
ihn unterbrechend; wieder ähnlich, wie bereits vorhin, auf und [603] ab.
Du hast mich ... zu meinem Leidwesen ... noch immer nicht ...
ONKEL LUDWIG
ihm nachblickend, treuherzig.
Ich kann mir, beim besten Willen, nicht vorwerfen, daß ich sonst ...
DUFROY
Geste, wie ihn »tröstend«.

Nun ... nimm s weiter nicht tragisch, und ... Abbrechend und sofort wieder weiter. Auch ich hatte mich über diese Tatsache und dieses Faktum ... irgendwelchen Reflexionen und meditativen Betrachtungen nie hingegeben ... bis mir dann ... erst vor so relativ ganz kurzem ...

ONKEL LUDWIG
der ihn beim besten Willen nicht kapiert; da Dufroy jetzt einen Moment stockt.
»Erst vor ...?«
DUFROY
sich zusammenraffend.

Also damit du endlich alles ... Wieder stehngeblieben, ganz rechts, und zu ihm rüber. Sofort, nachdem du damals in dein Internat getan warst ... Mit einem schnellen Blick nach den Porträts. hatten sich die beiden ...

ONKEL LUDWIG
unwillkürlich in seine Atempause; gespannt.
»Die ... beiden?«
DUFROY
nickend; in seiner Aufklärung weiter.
Nach Italien, Spanien und Südfrankreich, auf eine mehrjährige Reise begeben ...
ONKEL LUDWIG
dem das Wort der Verwundrung in der Kehle stecken bleibt.
»Auf ...?«
DUFROY
noch energisch-bestimmter; jede weitre Zwischenfrage damit abschneidend.

Auf eine mehrjährige Reise, und ich bin nicht, wie dies in allen Lexicis, meinen Personalakten, sowie sämtlichen, mich betreffenden Zivilstandspapieren steht, und, wie ich das, völlig ahnungslos, fast mein ganzes Leben lang, natürlich ebenso auch selbst angenommen und geglaubt habe, »im großen Revolutionsjahr achtzehnhundertundachtundvierzig geboren«, sondern ...

ONKEL LUDWIG
ganz verblüfft.

»Sondern?«

DUFROY: Sondern bereits ... Abbrechend und von neuem. Es kann dir ja jetzt keine Mühe mehr machen, dir das Exempel ...

ONKEL LUDWIG
von seinem Erstaunen wieder zu sich kommend.

Dann ... war das doch aber ... Marianne in diesem Augenblick, wie von etwas gequält und bedrückt, tiefst aufatmend.

DUFROY
ganz verstört nach ihr hin.
Hast du ... gehört?
ONKEL LUDWIG
ähnlich.
Das klang ja ...
DUFROY
noch immer, wie angewurzelt, auf seinem Platz.
Wie der schwerste Seufzer!
[604]
ONKEL LUDWIG
noch überrascht-verwunderter.
Als ob sie ... Von ihr zu Dufroy rüber. Deine inkriminierende ...
DUFROY
erst jetzt auf sie zu; die Rechte gegen die Rücklehne, die Linke auf die Armlehne gestützt; besorgt-forschend gedämpft.
Marianne!
ONKEL LUDWIG
der beide beobachtet.
Sie ... schläft!
DUFROY
sich aufrichtend; zu Onkel Ludwig rüber; von dem konstatierten Befund wieder wie vollständig beruhigt.
Sie schläft ganz fest! Auto.
ONKEL LUDWIG
das unterbrochene Thema wieder aufnehmend; bedenklich.
Dann ... war das doch aber damals ... gewissermaßen, wie gesagt ...
DUFROY
der sich wieder gesetzt hat; die Rechte, wie besänftigend, auf Onkel Ludwigs Knie.

Nachdem die erste, unmittelbare Folgeerscheinung aus jener unheilvollen Entsetzensnacht ... sich sehr bald darauf ... Einen kleinen Moment unwillkürlich zaudernd, dann um so rückhaltslos-deutlicher. unmißverständlich bemerkbar gemacht hatte, war ein derartiges Arrangement ...

ONKEL LUDWIG
dem jetzt endlich ein »Talglicht« aufgeht; mit dem rechten Mittelfinger sich vor die Stirn tippend.
Ach so, nu ...
DUFROY
bestätigende, zustimmende Kopfbewegung; unterstrichen.
Das Einzige, was meinen Eltern, auch schon allein mit in deinem Interesse, übrig geblieben war!
ONKEL LUDWIG
ähnlich wie vorhin.
Nu und allmählich ...
DUFROY
zurückdämmende, einschränkende Geste; von neuem.
Nur glaube nicht ...
ONKEL LUDWIG
noch immer bei seinem »Talglicht«.
Also darum ...
DUFROY
noch verstärkt, in seinem selben Satz weiter.
Daß dann diese Ehe ... dieser Bund nicht bloß zweier Menschen ... sondern auch zweier Herzen ...
ONKEL LUDWIG
dem jetzt allmählich wieder die Worte kommen.
Und von all diesen Kabalen ...
DUFROY
wie vorhin; immer nachdrücklicher.
Den letzte Liebe und Leidenschaft geschlossen ...
ONKEL LUDWIG
noch gekränkt-entrüsteter; in seiner Parallellinie.
Von all diesen Umtrieben ... hab ich bis zu diesem Momang ...
DUFROY
über seine Unterbrechungsversuche hinweg; den ganzen betreffenden [605] Vergangenheitsausschnitt, wie er sich tatsächlich damals geformt und gestaltet hatte, mehr und mehr aufrollend.

Es war, als ob zwischen die beiden ... die sich in aller Herrlichkeit, Schönheit und Wunderpracht des Südens, der sie umgab, wie zwei Geächtete und Verstoßne vorkamen ... durch den unglücklichen Doppelzufall Wieder mit einem entsprechenden Blick nach der Ecke links zurück. jener Nacht ... deren unaussprechbar namenlose Schauer, Schauder und Schrecken sich unverwischlich, immer tiefer, auch in ihre Seelen gegraben hatten ...

ONKEL LUDWIG
der ihm fast »mit offnem Mund« zuhört; ganz ungläubig-überrascht.
»Auch in ...?«
DUFROY
noch stärker.

Auch in ihre Seelen ... ein schwerer, dunkler, rächender, sie mehr und mehr voneinander trennender, unheimlich drohender Schatten gefallen war!

ONKEL LUDWIG
von all diesem ihm »Neuen« noch ganz überrumpelt.
Und ich ... hatte ... gedacht ...
DUFROY
in seiner Aufrollung weiter.

So wenig sich aus diese Weise die beiden dort unten wahrscheinlich auch nur die kleinste Sekunde lang heimisch und wohl gefühlt hatten ... ich glaube dennoch, sie würden sich zu dem Entschluß, hierher und in dieses Haus wieder zurückzukehren, trotzdem nie durchgerungen haben, wenn nicht damals meines Vaters mit grundlegende Arbeit für die neuere Geologie »Über den Aufbau der iberischen Alpen«, die ihm so schnell einen bedeutenden Ruf verschafft hatte ...

ONKEL LUDWIG
unwillkürlich anerkennend.
Das muß man ja ...
DUFROY
dem dieser Respekt vor seinem Vater, als für ihn nur ganz natürlich und selbstverständlich, nicht weiter auffällt; erst jetzt seinen Satz schließend.
Noch im selben Jahr ihres Erscheinens seine hiesige Nomination veranlaßt hätte!
ONKEL LUDWIG
alles, was er über diesen »Hohlkopf« zu Marianne bisher gepoltert, damit, wenn auch nur vor sich selbst, »redressierend und zurücknehmend«.
Ich habe ihn schon immer ... zum mindesten ...
DUFROY
ihn nicht erst ausreden lassend; in seiner Aufrollung mit jedem neuen Detail immer interessierter und lebhafter.

Es kam, wie sie es beide vorausgeahnt hatten! Der starrsinnige Trotz, die gradezu offen herausfordernde Art, mit der du meinem Vater ... [606] Mutter traute sich schon erst gar nicht mehr, dir gegenüberzutreten ...

ONKEL LUDWIG
empört.
»Traute?«
DUFROY
sich unterbrechend; auf den Protest des mit einmal wieder ganz Erbitterten nicht ohne eine gewisse, vorwurfsvolle Verwundrung, eingehend.

Oder kannst du dir ihren damaligen Seelenzustand, diesen aus Furcht, Scham, Scheu, Angst und letzter, zitterndster, mütterlichster Liebe zu dir ...

ONKEL LUDWIG
noch ergrimmter.
»Liebe?« Wo sie dann in ihrem falschen, verletzten, eitlen Hochmut und Stolz ...
DUFROY
noch verwundert-vorwurfsvoller.
Nachdem du alle ihre Annäherungsversuche bis dahin, ihre reichen Gaben und Geschenke, regelmäßig ...
ONKEL LUDWIG
hartnäckigst; von seinem auch jetzt noch unversöhnlichen Groll kein Jota zurücknehmend.

Sie hätte doch ... Sie hätte zu ihrem armen, gefährdeten, schon so frühzeitig durch sie und ihre eigne Schuld aus all seinen Kindheitshimmeln gerissnen, verbissnen und verbiesterten Jungen ... Sie hätte ...

DUFROY
Geste; ihn wieder beruhigend.

Ich kann und will ... über meine Mutter nachträglich nicht rechten! Ich klage dich absolut nicht an! Aber der erbitterte Abscheu, der einfach beleidigende, verächtliche Haß, mit dem du dich durch deine beharrliche Weigrung, deine »verfemten Füße«, wie du dies eben nanntest ...

ONKEL LUDWIG
erst jetzt, zum erstenmal, etwas benaut und mit einer kleinen, bedauernden Nüance ins Weiche.
Ich seh das ja heut ...
DUFROY
anklagend, fast schmerzlich.
Je wieder ...
ONKEL LUDWIG
da Dufroy, von seinem eignen Ton gepackt, sich jetzt einen kurzen Moment wieder unterbricht; reumütig.
Ich hab mir das schon oft ...
DUFROY
in seinem selben Satz, nur noch verstärkt, weiter.

Mit deinen siebzehn Jahren ... unverhohlen, unumwunden und unverstellt, auf immer von beiden lossagtest ... traf meinen Vater ... dessen vordem so sonniger Frohmut längst ... einem gewissen, tiefen, innern Ernst ... und einer ... bei seinem ja damals ... noch gradezu fast jugendlichen Alter, doppelt auffälligen, seltsam resignierten, melancholischen Herbheit und Strenge gewichen ... Kleine instinktive Effektpause; langsam. bis ins Herz ...

[607]
ONKEL LUDWIG
fast zurückgeprallt; ganz betroffen.
»Bis ins ...«
DUFROY
noch immer sich steigernd; die Wirkung, die seine Worte auf den, wie er jetzt sieht, allmählich empfänglich Gewordnen machen, fortwährend und mit Absicht vertiefend.

Bis ins Herz ... und mir scheint ... als hätte ausschließlich hierin ... als hätte lediglich in den Folgen dieser ... ihn bei seiner für alle Eindrücke, positive wie negative, gleich offnen und empfänglichen ... mimosenhaft zartsinnigen Feinfühligkeit und Empfindlichkeit ... notwendig auf das Schwerste und Nachhaltigste kränkenden Demütigung und Herabsetzung vor sich selbst ... als hätte allein ... oder doch wenigstens mit abschließend in diesem einen Erlebnis, dessen lähmend niederdrückende Nachwirkungen er nie mehr in sich verwand ... der eigentliche Grund und die letzte, ausschlaggebende Veranlassung und Ursache gelegen, daß allen Bemühungen deiner Mutter zum Trotz, ihn seiner ursprünglichen Lebenszuversicht und seinen früher so hochgespannten Zukunftshoffnungen wieder zurückzugeben, auch seine rein wissenschaftliche Laufbahn, die so glänzend verheißungsvoll begonnen hatte, plötzlich jäh stockte, und wesentlich Neues ...

ONKEL LUDWIG
wehmütig nickend; ihm seinen Satz, da Dufroy einen Moment wieder stockt, unwillkürlich beendend.
Nicht mehr seiner Feder entfloß!
DUFROY
in seiner Erinnrung an den Verblichenen von der plötzlichen Wehmut Onkel Ludwigs fast wider Willen etwas angesteckt.

Sein gelehrtes Ansehn war zwar das gleiche geblieben, die allgemeine Beliebtheit, deren er sich erfreute, namentlich auch in seinem engeren Wirkungs- und Kollegenkreise, womöglich noch gewachsen ... Geste, Achselzucken. und doch ... Auto.

ONKEL LUDWIG
immer zerknirscht-reuiger und weicher.

Grade dies Versagen, dies auf einmal fast völlige Versanden und Versiegen eines lebendig sprudelndsten Quells, aus dessen aganippisch hippokrenischem Gewässer ich schon von meinem neunten Lebensjahr ab ...

DUFROY
einfallend und in seinem Satz weiter.

Hatte dich dann später ... bedauerlicherweise, wie ich glaube ... bewogen, deine Habilitierung ... oder doch wenigstens den Versuch dazu ...

[608]
ONKEL LUDWIG
durch diese Vorhaltungen »ganz unglücklich«; noch kläglicher.

Ich räums ja ein, ich konzediere! Ich hätte mein dummes »Gelöstes Welträtsel, oder der durchhaune Gordische Knoten«, dies verunglückte, siebzehnbeinige Monstrum, an das ich schon damals nicht recht glaubte ... nicht expreh und expreß ... bloß, weil es mich tickte, mit meinem bunten Aberwitz vor deinem Vater zu paradieren ...

DUFROY
ihn unterbrechend; einen Moment wieder, ohne daß er sich dagegen wehren kann, fast hart.

Der Streich ... den du ihm damit, ohne es zu wissen, gespielt und ... versetzt hattest, ... war ... ich entsinne mich noch ganz genau ... ich ging damals in die Tertia des Französischen Gymnasiums und kam grade mit meinem Bücherränzel nach Hause, als mein Vater ... meiner Mutter ... kurz, knapp und sachlich ... deine vor kaum einer halben Stunde durch ihn persönlich, amtlich und selbst erfolgte Ablehnung und Zurückweisung mitteilte ... dein Streich ... war .... laß mich es dir glatt und direkt heraussagen ... dein Streich ... Wieder jetzt, unwillkürlich, bevor er seinen Satz beendet, kleine Effektpause. war ein tödlicher!

ONKEL LUDWIG
zurückgeprallt.
»Ein ...?!«
DUFROY
noch mal, allernachdrücklichst.
Ein tödlicher!
ONKEL LUDWIG
ganz entsetzt nach Marianne rüber, die in diesem Augenblick von neuem und noch tiefer aufgeseufzt.
Schon ... wieder!!
DUFROY
kaum flüchtig nach ihr rüberblickend; durch seinen eignen Bericht zu aufgewühlt und überwältigt.
Glaube nicht ... daß sie von dem ... was ich dir hier erzähle ...
ONKEL LUDWIG
sich allmählich wieder sammelnd.
Dein ... Vater ... starb doch aber erst ...
DUFROY
seinen Einwand ihm zugebend, in seinem selben Satz weiter.

Rund drei Quinquennien später, nachdem er immerhin noch die Freude erlebt hatte, mich unter seinem eignen Rektorat ...

ONKEL LUDWIG
auf seine betreffende, allergenauste Erinnrung sich hartnäckigst kaprizierend.

»One of the most celebrated German scholars fallen without a guide on a scientific expedition in the High Pyrenees!« Las ich damals selbst ...

DUFROY
die tatsächliche Richtigkeit jener alten Preßnotiz ihm bestätigend; dann aber sofort und mit noch erhöhtem Nachdruck von [609] neuem.

»Einer der gefeiertsten deutschen Gelehrten auf einer wissenschaftlichen Studienfahrt führerlos abgestürzt in den Hoch-Pyrenäen!« Und die fünfzehn Jahre, die dazwischen gelegen hatten ... ich kann das in meiner Rückerinnrung heute vollkommen verfolgen und aus meiner Seele verstehn ... ein einziges, sich steigerndes, heimliches Märtyrertum, das einen andern Abschluß, als diesen ...

ONKEL LUDWIG
ganz konsterniert ihn noch nicht begreifend.
»Als ...?«
DUFROY
noch versichernd-bestimmter; in seiner wieder permanenten Steigrung nicht einen Augenblick lang nachlassend.

Als diesen, wenn man alle Faktoren erwägt, wenn man davon überzeugt ist und zugibt, daß ein hochgemuter Mensch, der vor seinem entscheidend Innersten, und sei dies auch nur einmal, den kläglichsten, jämmerlichsten Schiffbruch erlitten, ohne die letzte Achtung vor sich selbst auf die Dauer das Leben nicht mehr ertragen kann, wenn man von der zwingend sich abrollenden, notwendigen Gesetzmäßigkeit nicht bloß alles physischen, sondern auch alles psychischen Seins und Geschehns absolut durchdrungen ist, das einen andern Abschluß, als diesen ... überhaupt gar nicht hatte finden können!

ONKEL LUDWIG
schwer; mühsam; in gespannt- angstvoller Erwartung.
Du ... sprichst ja ... als ob dein Vater ...
DUFROY
ihm seine Frage, in diesem Moment gradezu grausam, nicht erleichternd.
Als ob ... mein Vater ...?
ONKEL LUDWIG
die Kehle halb zugeschnürt.
Als ob ... jener ... Absturz damals ...
DUFROY
fast wie in nachträglicher Rache und in sich sättigendem Triumph.
Das freiwillig über sich selbst verhängte Ende einer Existenz war, deren bisdasiger Inhaber ...
ONKEL LUDWIG
unter der Wucht dieser Eröffnung wie zermalmt; entsetzt-jämmerlichst sich überkieksende »i«-Laute.
Und ... ich ...?! Ich soll ...?!! Ich ...?!!!
DUFROY
in seiner Aufrollung, unbarmherzig, weiter; ja, in gewissem Sinne, eigentlich überhaupt erst jetzt recht einsetzend.

Als mein Vater mit jener Ablehnung und Zurückweisung deiner Schrift ... über die du eben selbst das treffendste Urteil abgegeben ... doch weiß Gott nichts andres und nichts weitres, als seine einfachste, [610] simpelste Pflicht und Schuldigkeit getan und erfüllt hatte, war es deine Mutter, die ihm diese Handlungsweise, aus auf einmal plötzlich nachträglich höchst überbetonter und, wie es mir dunkel fast schon damals schwante und vorkam, grade bei dieser Gelegenheit und in diesem Augenblick recht deplaciert und überflüssig hervorgekehrter Über-Liebe zu dir ... Abbrechend und sofort wieder weiter. Mich überläufts, mir krampft sich noch heute alles zusammen, wenn ich an jenen Auftritt ... wenn ich an die unverantwortlich ungerechten, unbilligen, maß- und sinnlosen Anschuldigungen, Vorwürfe und Vernunftwidrigkeiten denke, mit denen sie damals meinen Vater ... und zwar noch dazu in meiner Gegenwart ... Wie vorhin. Er sprach kein Wort, ließ ihren Schwall über sich ergehn und blickte mich nur die ganze Zeit, während ich zitternd in eine Fensterecke gedrückt, vor Entsetzen und Scham fast verging ... während dicke Tränen mir die Backen runterrollten und Mutter in ihrer exaltierten, wachsenden Raserei und Unzurechnungsfähigkeit meine Anwesenheit ganz und gar vergessen zu haben schien ... Einen kurzen Moment jetzt, unwillkürlich, wieder nach dem Porträt links. mit seinen großen, graublauen Augen, deren du dich noch erinnern wirst ...

ONKEL LUDWIG
aus dessen wie gewürgter Kehle sich nur noch ein ersticktes Schluchzen ringt.
Hhh!!
DUFROY
sein »Schwert« ihm immer tiefer bohrend.
Und die einem, wenn er wollte ... bis ins letzte Herz drangen ...
ONKEL LUDWIG
noch qualvoller als vorhin.
»Bis ...«
DUFROY
fest, mit von neuem sich steigerndem Nachdruck.

Unverwandt an! ... Und dieser Blick ... der in mir unerloschen bleiben wird ... bis zu meinem letzten Tag und bis zu meinem letzten Atemzug ... heute weiß ichs: in ihm ... sammelte sich damals eine Kraft ... mit ihm ... formte sich damals ein Entschluß ... aus ihm ... sprach damals ein Gelöbnis!

ONKEL LUDWIG
der ihn voll verstanden; während die Uhr in diesem Augenblick elf zu schlagen beginnt; ergriffen-feierlich.

Seinem Jungen ... zu helfen ... für ihn ... auszuharren ... und nicht eher abzuscheiden ... als bis ...

DUFROY
in das Verklingen des letzten Schlags; noch fester.

Ja! ... Und [611] diese Kraft ... hat mein Vater dann besessen ... diesem Entschluß ... ist er treu geblieben ... und dieses Gelöbnis ...

ONKEL LUDWIG
nickend; ganz geknickt-erschüttert.
Hat er gehalten!
DUFROY
stolz; wie unter das Gedächtnis des freiwillig aus seinem Erdendasein Gegangnen den schönsten Ehrenkranz hängend.

Nobel, selbstlos und großgesinnt, trotzdem alles seit jenem ersten, trüben Bitterkeitstag, der der traurigste und kummervollste meiner dann nicht mehr allzu fröhlichen Kindheit war, dazu einladend, verführend und angetan gewesen wäre, ihn zu bestimmen, sich seinen Tod und damit seine Erlösung ...

ONKEL LUDWIG
nach dem Porträt rechts halb zurückgedreht; aus empört-tiefster Bitterkeit.
So ...
DUFROY
aufgestanden und sich wieder in Bewegung setzend; erst jetzt seinen Satz schließend.
Schon um zwei oder drei Lustren früher zu gönnen!
ONKEL LUDWIG
ähnlich wie vorhin; nur noch gesteigert.
So ... furchtbar ... so ... über alle Begriffe ... un-menschlich ... und entsetzenserregend ...
DUFROY
rechts, vorn, wieder stehngeblieben und zu ihm rüber.

Ahnst du ... bist du dir darüber klar ... hast du dir je auch nur die geringste, bescheidenste, kümmerlichste Vorstellung davon gemacht ... was und wie eine Wieder mit einem unwillkürlichen Blick nach dem Porträt rechts hoch. Frau ... die in ihrer Seele eine Schuld fühlt ... die vor sich selbst zugeben muß, daß sich diese durch nichts wieder gut und wett machen läßt ... und die nicht steinherzig und abgebrüht genug ist, gleichmütig und kaltblütig, innerlich über sie hinwegzutänzeln ... womit und wodurch ... eine solche Frau einen Mann ... der ihre Schuld teilt ... wenngleich ... nur sie ... sie ganz allein es gewesen war ... die ihn dazu angereizt, aufgestachelt und provoziert hatte ... so daß ihre Schuld ... noch zehntausendmal größer als seine war ... bis zu welchem Grade eine solche Frau einen solchen Mann ... der schon sofort ... Entsprechende, verdeutlichende Geste nach der Ecke links rüber. kaum, daß der erste Rausch verflogen und auch bereits gleichzeitig eine rächende, unerbittliche Nemesis schwer ihre schwarzen, ehern klirrenden Flügel hob ... Auto. all ihrer elementar ehrlich aufrichtigen [612] Leidenschaftlichkeit und Liebe zu ihm zum Trotz, während ihre Fibern noch brannten, ihre Adern noch jagten, und ihre Pulse noch flammten und flogen, in ihrer tumultuarisch erregten, vollständig in die Irre geleiteten, übererhitzten Einbildung und Phantasie, neben ihr, finster, wie ein gespenstisch drohender, unheimlich anklägerischer, lebendig atmender Vorwurf und Schatten stand ... der ihr dann später ... durch eine unglückliche Komplikation, in der er anders, als er gehandelt hatte, überhaupt gar nicht hatte handeln können ... eine für das oberflächlichste, flüchtigste Zusehn allerdings scheinbar gerechtfertigte Handhabe, in Wahrheit und Wirklichkeit aber nur einen höchst bequemen, ihr allem Vermuten nach wahrscheinlich sogar ganz außerordentlich gelegen und zu paß gekommnen Scheingrund und Vorwand geliefert hatte, ihm das, was sie von all den schweren, traurigen, beschämend niederdrückenden Folgen ihres damals von ihnen gemeinsam begangnen Verbrechens beide als die bitterste, tragischste und unentschuldbarste empfanden ... daß du dich, mit Recht empört, von ihnen abgewandt, daß es von dir zu ihnen keine Brücke mehr gab und daß dein schließlich spurloses Verschwinden und Fortgehn auf Nimmerwiederkehr jede Hoffnung auf eine sonst ja vielleicht immerhin noch möglich gewesne Versöhnung zwischen euch für dieses Leben und diese Welt endgültig grausam und für immer vernichtet hatte ... ihm jetzt nachträglich mehr und mehr ganz allein aufzubürden, zur Last zu legen und in die Schuhe zu schieben ... und den sie dann so ... bei seiner mit den fortschreitenden Jahren nicht bloß für ihn, sondern auch bereits für seine weitere Umgebung immer auffälliger und fühlbarer werdenden Gemütsumdüstrung, die ihn allmählich ganz auf sich selbst isolierte, in seiner männlich graden, nichts sich verbergenden, nichts sich sparenden und schenkenden, duldsam nachsichtigen Generosität, gegenüber ihrer weiblich rücksichtslosen, vor keinem Affront zurückschreckenden, ihren vordem und ehemals so über alle und alles Geliebtesten zum Teuflischsten aller Teufel stempelnden, von Tag zu Tag immer instinktsichrer, methodischer und zielbewußter vorrückenden, robusten Sichselbstverenglung, zuletzt vollkommen wehrlos und[613] widerstandsunfähig ... zuckend in ihren Krallen hielt ... Nicht mehr imstande seinen Satz, den er mit wachsender, flammender Energie und Leidenschaft bis zu diesem schwindelnden Gipfel geführt, zu vollenden.

ONKEL LUDWIG
der ihn mit groß aufgerissnen Augen solange anstarrt.
Du ... malst mir ... ein Bild ...
DUFROY
wieder fest, seinen Blick ihm zurückgebend.

Das ich, nichts beschönigend, nichts hinzufügend und nichts weglassend, Zug für Zug meinem, wie ich glaube, auch nach dieser Richtung ziemlich verläßlichen Gedächtnis entnehme!

ONKEL LUDWIG
noch immer an seinen Lippen hängend; beide haben die Kranke in der außerordentlichen Erregung, in der sie sich befinden, wie es scheint, vollständig vergessen.
Und dann ... dann ... dann ... hast du es ... über dich gebracht ...
DUFROY
ergrimmt nickend; mit in ihm noch nachzitterndem Zorn.
Über mich gebracht! Ja!!
ONKEL LUDWIG
wieder wie vorhin, nach dem Porträt rechts zurück.
Diesen ... Wehrwolf und ... Hexendrachen ...
DUFROY
noch stärker.
Ja!! ... Ja!!!
ONKEL LUDWIG
noch mal.
Diese ... Harpyie ...
DUFROY
einen Moment wieder, ganz erstaunt-verblüfft, nach Marianne rüber, die in diesem Augenblick von neuem, und zwar diesmal zweimal, aufgeseufzt hat.
M!
ONKEL LUDWIG
kopfschüttelnd-ähnlich.
Sonderbar!
DUFROY
mit sich ringend; in seiner unterbrochen Linie weiter.
Es ist ... für uns Menschen untereinander ... besser ...
ONKEL LUDWIG
ironisch-grimmig.
Daß wir, karpfenfromm, kalbsgeduldig und blümchenvergnügt, wie der heilge Franz von Assisi ...
DUFROY
seinen Satz ihm wieder abnehmend und dessen ursprünglichen Ideeengang mit denkbar allerstärkstem Nachdruck wiederherstellend.
Oder einer jener zehn- oder hunderttausend andern großen Außerordentlichen und Bekenner ... Gewiß!
ONKEL LUDWIG
protestierend-empört; zweite Silbe lang und betont.
Na da ...
DUFROY
der als Mensch und Charakter noch immer fortwährend wächst; Stellung, auch jetzt noch, wie vorhin.

Oder glaubst du, ich war damals ... Mutter ... mit der ich nur noch oberflächlich harmonierte ... Auf eine wieder unwillkürlich stutzende Geste [614] Onkel Ludwigs, noch verstärkt. nur noch oberflächlich, wenn auch die äußere Form unsres Verkehrs die scheinbar vertraulich herzlichste geblieben war ...

ONKEL LUDWIG
verbissen-höhnisch.
Sieh! So!
DUFROY
in seiner Neuaufrollung, die ihn und Onkel Ludwig genau so bewegt und packt, ja vielleicht noch stärker, als die kaum eben erst vorausgegangne, von diesen zwei Silben kaum unterbrochen, weiter.

Mutter saß mit mir grade unten im Gartensaal ... der alte, kleine, dir, wie ich weiß, immer so ganz besonders lieb gewesne Tritonen-, Putten- und Najadenspringbrunnen in dem brütenden Augustnachmittag draußen plätscherte ... wir sprachen ... ich erinnre mich noch fast an die einzelnen Worte ... über mein bevorstehendes, erstes Winterantrittssemester ... als unser damaliger Diener »Auguste« ... Mutter liebte es nicht, ihre Domestiken aus Parchim, Perleberg oder Pasewalk zu beziehn ...

ONKEL LUDWIG
noch immer ganz knurrig-stachlich.
Nöhnöh!
DUFROY
wieder noch verstärkt.

Als dieser Unvergleichliche aus Yvetot in Wadenstrümpfen mir auf seinem silbernen Tablett ... Den betreffenden Vorgang durch Miene und Haltung unwillkürlich markierend. Für mich ... eine Karte? ... »Le Baron d'Héricourt, Attaché à l'Ambassade de la République Française!« Ein fabelhaft signierter ... mich durch seinen ... solenn feierlich zurückhaltenden Ernst in Haltung und Miene ... fast schon auf der Türschwelle ... festwurzelnder Herr ... der mich bereits nach wenigen, bewegten Worten ... die die Trauer und das Beileid des französischen Volkes ausdrückten ... Den Rest ... hörte ich nur noch, wie im Traum! ... Letzte, sich wieder permanent höher schraubende Steigrung. Mein Vater ... an dem mein ganzes Herz gehangen ... der uns vor kaum erst fünf Tagen verlassen ... und mit dem ich noch mindestens gut ... zwanzig Jahre ... eines gemeinsamen ... Wirkens und Strebens erhofft hatte ... mein Vater ... mit zerschmetterten Gliedern aufgefunden in der Rolandsbresche ... unter einer tausend Fuß hohen Felswand ... des Mont Perdu!

ONKEL LUDWIG
der ihm fast atemlos gelauscht.
»Des Mont ...«
DUFROY
wieder, erregt, auf und ab.

Glaubst du ... ich war damals ... [615] und in jenem Augenblick ... nicht beinah und in einem Haar drauf und dran ... die vielleicht noch nicht fünfundzwanzig Schritt ... nach dem Gartensaal nicht erst wieder zurückzukehren ... sondern es sofort und auf der Stelle genau so und ebenso zu machen, wie du ...

ONKEL LUDWIG
der ihm mit steigendem Erstaunen und wachsender Ergriffenheit nachgeblickt.
»Wie ...?«
DUFROY
wieder stehngeblieben und nach ihm zurück.
Wie du ... dies damals schon fünfzehn Jahre vorher ... vorher ... und früher getan?
ONKEL LUDWIG
kaum fähig, die paar Laute über seine Lippen zu bringen.
Du ... hattest ...?
DUFROY
seine innere Erregtheit, die ihm noch aus jedem Nerv zuckt, mit aller Gewalt wieder in sich niederdämpfend.

Wenn je ... und überhaupt in meinem Leben mir etwas anzurechnen war ... und ich vielleicht ... nur deshalb nicht ganz mit unter den großen Klüngel gehöre ... so war es die Kraft ... mit der ich mich damals ... Sich unterbrechend und sofort wieder weiter. Ich riß mich zusammen ... und als ich dann aus der Treppenvorhalle durch den Empfangsraum wieder das Chinesische Zimmer passierte ... sah ich ...

ONKEL LUDWIG
ganz erwartungsvoll-gespannt.
Du ... sahst ...?
DUFROY
von neuem auf und ab.
Sah ich ... Kurz, stärkst. daß ich recht gehandelt!
ONKEL LUDWIG
ihm wieder nachblickend.
Daß du ...?
DUFROY
sich mehr und mehr wieder sammelnd; das Vergangne jetzt, fast ebenso wie für Onkel Ludwig, für sich selbst reproduzierend.

Mutter ... die, trotz ihrer damals bereits Neunundfünfzig, sich doch ... nach jeder Richtung und in jeder Beziehung ... immer noch vollkommen aufrecht erhalten hatte ... die ... wie es schien ... von einer dunklen Angst und Ahnung getrieben ... mir auf dem Fuße gefolgt war und also alles ... gehört haben mußte ... Mutter ... stand vor mir da ... durch diese kaum sieben Minuten ... um Jahre gealtert ... und aus ihren qualverzerrten Zügen ...

ONKEL LUDWIG
in seine Atempause; kurzer, nach innen gezogner, noch immer halb höhnisch-grimmig, fast wie befriedigter Laut.
Höh?
[616]
DUFROY
wie noch jetzt darunter leidend und davon gequält.

Sprach ein so abgrundtiefer Jammer, ein so hilflos ringendes Elend, eine so verzweiflungsvolle Not ...

ONKEL LUDWIG
ähnlich wie vorhin; nur um eine kleine Nüance bereits nachdenklich-gepackter; zweites »a« kurz und betont.
Chaja! Wenn einem so ...
DUFROY
auf sein Dazwischenschiebsel gar nicht achtend; konzentriert.

Daß meine ganze, empörte, gerechte Auflehnung und Entrüstung ... daß mein Grimm und mein Groll ... daß meine Rachsucht ... die sich bereits wie eine erbitterte Bestie ... Plötzlich von neuem nach Marianne rüber, die in diesem Augenblick in ein kurzes, unterdrückt-konvulsivisches Schluchzen ausbricht; beunruhigt-mißtrauisch. Diese ... merkwürdige, ... innre Anteilnahme ... mit der sie unser Gespräch ...

ONKEL LUDWIG
ebenfalls nach ihr hin; mit aller Energie, der er in diesem Moment noch fähig ist, gegen eine solche Ausdeutung sich zur Wehr setzend.
Es ist doch ... aber ganz ausgeschlossen, daß sie ...
DUFROY
schon wieder in Bewegung; fast unwillig.
Selbstverständlich! ... Seit jenem Moment ...
ONKEL LUDWIG
da Dufroy, noch nicht ganz wieder gesammelt, eine Sekunde lang wieder stockt.
»Seit ...?«
DUFROY
von neuem; verstärkt.

Seit jenem Moment ... in dem die falsche, verlogne, künstliche Gloriole, mit der sie so lange mühsam ihr magdalenisches Haupt umwunden und geschmückt hatte ... einer wahrscheinlich plötzlich tiefsten, menschlichen Selbsterkenntnis gewichen war ... in dem ihre Augen bettelten ... »laß mich nicht ganz allein ... geh nicht jetzt auch von mir ... verzeih« ... in dem wir uns, wortlos ... über alles, was uns bis dahin feindselig getrennt hatte ... verstanden und ... verständigten ...

ONKEL LUDWIG
wieder in seine Atempause und noch mal, unwillkürlich, nach dem Bild hin; widerstrebend-zögernd.
Dann ... war sie ja ... wohl schließlich doch ...
DUFROY
abermals wieder stehngeblieben und zu ihm rüber; noch immer in seinem selben Satz; letzter, wuchtigster Nachdruck.

Von jenem Tag ab ... bis zu dieser Sekunde und bis zu diesem Augenblick ... wo sie unter der schweren, grausam strafenden Bürde [617] ihrer hohen, auf sie lastenden Jahre gebeugt ... noch völlig ahnungslos, was uns die letzten Stunden an neuer Sorge, an neuem Kummer und an neuer Trübsal gebracht ... sicher, wie immer um diese Zeit ... unruhig, unstät und schlaflos ...

ONKEL LUDWIG
ergriffen vor sich hin.
»Schlaflos ...!«
DUFROY
der jetzt elastisch in den Erkerbau tritt, wo er die Draperie vor der Balkontür mit einem Ruck seiner Rechten weit zurückschlägt.
Willst du dort ... bitte, sehn?
ONKEL LUDWIG
der gar nicht erst wagt, sich auf seinem Stuhl, in dem er immer kläglicher zusammengesunken ist, überhaupt auch nur umzudrehn; abwehrend-jämmerlich.
Die hellen drei Fenster ... die mich schon manchmal ...
DUFROY
die Draperie wieder fallen lassend.
Und die auch heute wieder ... vor morgen früh ...
ONKEL LUDWIG
immer weicher und rührseliger.
Ich ... habe mir oft ...
DUFROY
wieder in den Vordergrund.
Kann Reue und Selbstverdammung ... kann Einkehr und Umkehr ... kann aufrichtige Buße ...
ONKEL LUDWIG
ganz gedeppt.
Das sag ich ja auch! Das ...
DUFROY
noch stärker; jetzt wieder, ähnlich wie vorhin, vor ihm rechts.

Ein halbes Leben in Schuld verbracht ... wieder sühnen und gut machen ... unsre alte Mutter drüben ...

ONKEL LUDWIG
melancholisch nickend.
Unsre alte Mutter drüben ...
DUFROY
letzte, ihm ins Gewissen redende Eindringlichkeit und Kraft.

Hat ihre Verfehlungen und Irrtümer, hat ihre Abirrungen und Vergehn, hat ihre Pflichtvergessenheit und ihr Unrecht, indem sie ihrer Herrschsucht entsagte, ihren Stolz demütigte und ihre Eigenliebe kasteite ... du magst sagen, was du willst ... seit Jahr und Tag längst und bis auf den letzten Rest, in jeder Form, die ihr überhaupt möglich war, getilgt, ausgelöscht und abgetragen!

ONKEL LUDWIG
zerknirscht-geknickt; nun schon längst nicht mehr sein Gegner.
Getilgt ... ausgelöscht und ...
DUFROY
von neuem sich steigernd, keine Faser in ihm unberührt lassend.

Schon daß sie damals, als ich mich, um einen schwersten, innern, seelischen Konflikt mit mir auszukämpfen, zu meiner großen, vierjährigen, indischen Reise entschloß, so bitter grausam [618] grade damals mein Abschiednehmen sie auch traf ... schon daß sie damals, mich voll verstehend, nicht bloß mir und sich jede ... und wenn vielleicht auch noch so nahe liegende, vorzeitige, neugierige Frage ersparte, sondern auch, daß sie in meiner Abwesenheit, ohne daß ich etwas davon ahnte, ihre Nichte, meine dann spätere Frau, derentwegen ich meine langwierige Fahrt ... du wirst ja den ungefähren Zusammenhang ...

ONKEL LUDWIG
zur Kranken rüber; nickend.
Hat mir Mariannchen ...
DUFROY
über diese Bestätigung hinweg; noch immer in seinem selben Satz weiter.

Unternommen und angetreten ... und der sie bis dahin immer nur die denkbar kühlste Ablehnung und Abweisung entgegengebracht hatte, aus eigenstem Antrieb und in liebreichster Weise zu sich ins Haus nahm und mich dann schließlich bei meiner Rückkehr auch noch mit diesem Kopfbewegung nach rechts. großen, modern vornehmen Pracht- und Prunkbau überraschte ...

ONKEL LUDWIG
dem trotz seiner seelisch bereits vollkommnen Zermatschtheit vor diesem großen, angeblich »modern vornehmen« »Pracht- und Prunkbau« der Laut auf den Lippen stirbt.
P ... p ...?
DUFROY
noch ahnungslos-überzeugter.

Pracht- und Prunkbau, den sie in der klugen, sichern, weiblich gescheuten Voraussicht, daß mein beherzter, kühner, mutiger Fluchtversuch ins Tropenblaue mir nichts mehr helfen und nützen würde ...

ONKEL LUDWIG
erst jetzt seinen Protest, wenn auch von Dufroy sofort wieder unterbrochen, über die Lippen bringend.
»P ... Pracht- und ...«
DUFROY
noch verstärkt.

In der Zwischenzeit hatte errichten und fertigstellen lassen, um ihn dann dem jungen Paar, dessen Hände sie selbst vereinte ...

ONKEL LUDWIG
schon ganz hilflos-verwirrt.
Nu ja, ja, aber ...
DUFROY
in seiner Letztaufrollung, da er auch sogar jetzt noch auf kein Detail glaubt verzichten zu dürfen, weiter.

Während sie in unsrer ganzen, neunjährigen Ehedauer durch nichts zu bewegen und zu bestimmen war, diese alte Behausung ...Auf eine unwillkürliche, halb wie protestierende Bewegung Onkel Ludwigs. wenn sie dir auch lieb und wert ist, aber an die sich doch begreiflich die traurigsten, quälendsten Vorstellungen und Erinnrungen für sie knüpften, mit einer entsprechenden Zimmerreihe [619] in unserm neuen Domizil zu vertauschen ... bereits diese ersten Symptome und Anzeichen waren mir untrügliche Beweise, daß ihr Herz sich bekehrt, ihre Seele sich geläutert und ihr Wesen sich gewandelt hatte!

ONKEL LUDWIG
mit dem Versuch, sich wieder aufzurappeln.
Und ich hatte ... in meiner weiten ... einsamen Ferne damals ...
DUFROY
noch immer nicht fertig; nun auch noch auf das Traurigste und Trübseligste kommend, das er überhaupt während seines ganzen Daseins erlitten.

Eine Läuterung und Wandlung, die sich dann noch vertiefte und sich bereits seltsam dunkel und düster zu färben begann, als durch den vielleicht doch schwersten Schlag, der mich bis heute getroffen ... als durch den frühen ... schmerz- und qualvollen Tod meiner jungen ... von mir über alles innigstgeliebten Frau ...

ONKEL LUDWIG
in seine versagende Stimme.
Liebster ... Bruder! Liebster ...
DUFROY
an diesen für ihn Qualworten fast würgend.

Den ich noch dazu selbst ... Abbrechend und in seiner ursprünglichen Linie wieder weiter. mein Leben plötzlich verarmt war ... und nicht einmal das blühende Heranwachsen ... der beiden Kinder ... Plötzlich auf die Uhr starrend, die in diesem Moment wieder Viertel schlägt.

ONKEL LUDWIG
dessen Herz mit ihm blutet.
Armer ... Bruder! Armer ...
DUFROY
mit Gewalt sich wieder zusammenraffend; Auto.

Der furchtbare ... Entsetzensschlag ... der uns dann schließlich alle ... kaum zwei Monate vor deiner endlichen Wiederzurückkehr ... durch Mariette traf ... Angstvoll nach Marianne rüber und wie aus einmal plötzlich ohne aber auch alle und jede Hoffnung. und dessen letze Folgen ... jetzt vielleicht noch ausstehn ...

ONKEL LUDWIG
fast schluchzend und ohne, daß er sich dagegen wehren kann, beinahe ähnlich.

Es ... wird ja schon ... In diesem Augenblick, daß beide zusammenschrecken, von unten her links wieder das schrille Telephongeklingel.

MARIANNE
die Augen noch immer geschlossen; Geste: wie schmerzlichst etwas abwehren oder verhindern sollend.
Nein! ... Nicht!!
ONKEL LUDWIG
in seinem Stuhl sich zusammenruckend; nach dem verklungnen Telephongeklingel.
Dieses ... verdammte ...
DUFROY
ihn und sich selbst damit beruhigend.

Du siehst, daß sie nun bald ... Abbrechend und von neuem in seiner alten Linie weiter. [620] Jene ... Wahnsinns- und Grausenstat ... jenes unmenschliche ...

ONKEL LUDWIG
stärkst; das Wort, vor dem Dufroy unwillkürlich, selbst in diesem Moment noch, zurückschreckt, unbedenklichst aussprechend.
Verbrechen ...
DUFROY
in ihrem jetzt gemeinsamen Satz weiter.
Brach sie dann vollends ... und als du dann gar ...
ONKEL LUDWIG
kläglichstes, nachträgliches Bedauern.
Hätt ich ... geahnt, hätt ich ...
DUFROY
wie vorhin; nur noch verstärkt.

Als du dann gar ... Halb nach der Kranken hin. durch den kleinen, kurzentschlossnen Genie- und Gewaltstreich Mariannes ... für den wir ihr gar nicht genug danken können, überrumpelt ...

ONKEL LUDWIG
zu ihr rübernickend; gerührt- zärtlichst.
Das gute ... Seelchen! Das ... brave ...
DUFROY
noch in seinem selben Satz; immer mit den entsprechenden Gesten.
Wieder in dies alte Haus zogst, und Mutter dich dann fast täglich, wenn du im Garten warst, sah ...
ONKEL LUDWIG
wie sich mit einmal darüber klar werdend und sich deutlichst erinnernd.
Es ... war mir doch ... oft ...
DUFROY
auch jetzt noch wie vorhin.
Und Marianne stets ... sobald sie bei uns drüben war ... immer wieder von dir erzählte ...
ONKEL LUDWIG
wieder, jetzt fast mit mildem Vorwurf, nach Marianne rüber.
Das ... hat sie mir ... nie ...
DUFROY
erst jetzt, jeden Iktus nachdrücklichst betont, seinen Satz schließend.
Wurde ihr qualschweres, peinvolles, bußreuiges Purgatorium ... zu einem hoffnungslosen Inferno!
ONKEL LUDWIG
durch dies allerletzte Schlußwort bis in sein Innerstes getroffen.
Zu einem ... hoffnungs ...
DUFROY
noch schwerer.
Zu einem hoffnungslosen Inferno!
ONKEL LUDWIG
nach einem kurzen, letzten Ringen.
Und wenn ich nun ... positus ... und gesetzt den Fall ...
DUFROY
mahnend-eindringlich, fast priesterlich.
Es ist deine Pflicht! Deine ernste, heilige, unabweisbare Pflicht!
ONKEL LUDWIG
in seinem Satz fortfahrend.
Dem Exempel ... das du mir so schön ... und lehrreich gegeben ...
DUFROY
ebenso.
Zu folgen und deiner Mutter den Frieden ...
[621]
ONKEL LUDWIG
in derselben Linie.
Nach dem sie verlangt ...
DUFROY
wie vorhin.
Und den du ihr nicht erst jetzt, sondern eigentlich schon längst ...
ONKEL LUDWIG
an seinem Stock sich mühsam aufrappelnd.

Dann ... wollen wir doch aber auch ... sofort ... Plötzlich, ganz erstaunt-überrascht, nach Marianne rüber. Kuck!

DUFROY
noch fassungslos-perplexer.
Mit ... gefalteten Händen!
ONKEL LUDWIG
der kaum seinen Blicken traut.
Die geschlossen ... Augen ... wie sehend ... erhoben!
DUFROY
noch gesteigert.
Diese ... seltsam verklärten Züge! ... Als ... ob ...
ONKEL LUDWIG
ganz andächtig-gerührt.
Als ob ... sie über uns arme Sünder ...
DUFROY
nach der Tür rechts zurück, auf die zu man von draußen Schritte hört; der Drücker wird in diesem Moment bereits aufgeklinkt.
Georg!
GEORG
hastig durch die Tür und diese schließend.
Marianne ... noch nicht wach?
DUFROY
über seine Frage hinweg; fast gleichzeitig; gespannt-erwartungsvollst.
Warum bliebst du ...
GEORG
die Augen auf Marianne, tiefst aufatmend, wie von einer Zentnerlast befreit.
Gott sei Dank!
ONKEL LUDWIG
wie Dufroy; Ton noch inquirierender.
Was war denn das ...
DUFROY
in Onkel Ludwigs Frage fast atemlos-erregt einfallend.
Für ein Telephongeklingel?
GEORG
auch ihre gemeinsame Frage wieder ignorierend; nach der Uhr.
Über viertel Zwölf!
ONKEL LUDWIG
entschlossen, sich das nicht »gefallen« zu lassen; Geste mit der erhobenen Linken nach der Tür rechts.
Soll ich dir ... sagen ...?
GEORG
kurz, kühl; seinen üblichen Gang aufnehmend.
Bitte?
DUFROY
ihm nachblickend, ebenso wie Onkel Ludwig; durch dessen begonnene Schwatzhaftigkeit zu seinen erläuternden Worten unwillkürlich gedrängt.
Wir hatten vorhin ...
ONKEL LUDWIG
da Dufroy, etwas geniert, bereits stockt; triumphierend-beeilt.
Als du die Treppe runter gingst ...
GEORG
einen Moment halb nach beiden zurückgedreht; noch immer ausweichend; fast als ob er sich über sie belustigen wolle.
Ah, so! ... Na! ... Dann seid ihr ja bereits informiert!
[622]
DUFROY
irritiert-achselzuckend.
Einstweilen ...
ONKEL LUDWIG
in derselben Linie, sich beschwerend-erbittert.
So lange du uns die Sache ...
GEORG
zu Dufroy; jetzt zu dem Entschluß gekommen, ihm klaren Wein einzuschenken; ohne ihn dabei anzublicken.

Also ich habe ... um s dir sofort und gleich zu sagen ... ich habe mein Wort ... das ich dir vorhin gegeben ... Da er spürt, daß es durch beide wie ein Ruck gegangen, abbrechend und mit einem schnellen Seitenblick zu Dufroy rüber von neuem. Ich habe mein Wort ...

DUFROY
da Georg wieder stockt; strengst verweisend; als ob er eine solche Möglichkeit überhaupt gar nicht annehmen könne.
Du hast es doch nicht etwa ...?
GEORG
in der Ecke hinterm Schreibtisch rechts einen kurzen Moment stehnbleibend und Dufroys Blick standhaltend; dann seinen Gang um so erregter wieder aufnehmend.
Ja! ... Ich hab s eben gebrochen! ... Zornigst-heftigst. Wortwörtlich gebrochen!
ONKEL LUDWIG
nach einem empörten Blick zu Dufroy, der wie starr steht; grollend zu Georg rüber, wie den Sinn noch nicht kapierend.
»Wortwörtlich ...?«
GEORG
noch gesteigert-ergrimmter.
Wortwörtlich gebrochen!! Ja!!
DUFROY
wieder mal mit ihm »fertig«; trotzdem alles in ihm tobt, gradezu »kalt«.
Willst du die Güte haben ... mir zu erklären ... wie du als Mann von Ehre ...
GEORG
ihn unterbrechend; fast wie mit dem Versuch, sich vor sich selbst zu verteidigen.
Usedom hatte von mir den striktesten Auftrag erhalten, Herrn Baron ...
DUFROY
bereits erratend, was er sagen will; in aufloderndem Jähzorn ihm schärfst ins Wort.
Eine elende Spitzfindigkeit und Sophisterei, die ich dir nie ...
GEORG
ihn ebenfalls nicht ausreden lassend; seine Heftigkeit noch überbietend.
Diese Pestkanaille erst für übermorgen früh zu bitten!
ONKEL LUDWIG
zu Dufroy; triumphierend.
Hab ich s nicht ...
DUFROY
vor Entrüstung kaum fähig zu sprechen.
Mir fehlt hier ...
GEORG
seinem Haß elementar die Zügel schießen lassend.

Der Edle, dem es in seiner offenbar zum erstenmal abgeblitzten Liebesbedürftigkeit ungeheuer daran zu liegen schien, seine körperliche Umhüllung so schleunig, als nur irgend möglich ...

[623]
DUFROY
wie vorhin; sich kaum mehr kennend.
Du solltest nicht jetzt noch obendrein ...
GEORG
nun auch seinerseits noch maßloser; in seinem Satzgefüge verharrend.
Prophezeiungs- und programmgemäß ...
DUFROY
sich zusammenreißend; ihm noch mal ins Wort; drohende, fast wie verwarnende Geste.
Auch dir, lieber Sohn ...
ONKEL LUDWIG
während Georg, im Hintergrund stehngeblieben, jetzt zu beiden rüberblickt, Dufroy sich anschließend und ebenso seine erhobne Rechte schüttelnd.
Noch in der gleichen Sekunde ...
DUFROY
wie vorhin; in derselben Linie, noch gesteigert, weiter.
Unter den gleichen Umständen und aus dem gleichen ...
GEORG
in ihrem Satz, sarkastisch-verächtlich, noch einen Atemzug weiter und dann sofort, erbittertst, abbrechend.

Süßen Munde ... Auf den Schreibtisch gestützt, gegen beide höhnisch vorgebeugt. Glaubt doch nicht ...

DUFROY
seinen Blick erwidernd; noch empört verbissner; fast außer sich.
Daß du dich dadurch ...
GEORG
mit gekrampften Fäusten einen Schritt zurück.
Oder daß ich nicht sogar ganz im Gegenteil bereits längst fest entschlossen wäre ...
DUFROY
umschlagend; vollständig veränderter Tonfall.
Bester Georg ...
ONKEL LUDWIG
zu Dufroy; plötzlich fast wie ängstlich-mahnend; dabei gleichzeitig besorgt- scheuer Blick nach Georg rüber.
Du siehst ... daß wir ihn ... auf diese Weise ...
GEORG
von neuem auf und ab; seine die beiden instruierende Erklärung wieder aufnehmend.

Kurz und gut, der Mensch ... was ich nicht einen Augenblick hatte vorausahnen können, weigerte sich ... bestand schon auf morgen, und auch ein nochmaliger, letzter Versuch, zu dem sich Usedom erst nach langem Hin und Her und nur sehr schwer bestimmen ließ, den Sieur zu bewegen, seinen kostbaren, wertvollen Lebensfaden wenigstens noch um vierundzwanzig Stunden zu verlängern, mißglückte, nachdem es uns endlich und schließlich gelungen war, den seiner Existenz so heftig sentimental Müden, der sich inzwischen durch die prompt hilfsbereite Vermittlung seines, wie wir respektvollst zu hören bekamen, mit ihm vervetterten, heimatlichen Herrn Botschafters bereits seinen Sekundanten gesichert hatte, in seinem Hotel wieder zu erreichen!

[624]
DUFROY
der so lange an sich gehalten.
Wortbruch ...
ONKEL LUDWIG
da Dufroy, nachdem er dieses eine Wort herausgebracht, seine innre Erregung erst gewaltsam runterschlucken muß; in die so entstandne Pause; ihm beipflichtend.
Ich muß offen ...
DUFROY
beide Akzente durch energisches Kopfnicken hartnäckigst unterstreichend.
Bleibt Wortbruch!
GEORG
von neuem ausbrechend; vorn rechts wieder stehngeblieben.
Du verlangst ... ich soll die Bestie ...
DUFROY
unwilligst.
»Bestie!«
GEORG
noch heftiger.
Nur weil es ihr beliebt ...
ONKEL LUDWIG
auch jetzt wieder ganz aus Dufroys Seite.
»Beliebt!«
DUFROY
vor innerster Empörung fast zitternd.

Nicht, »weil es ihr beliebt«, sondern weil du dir, und zwar vor dir selbst, zu schade sein solltest, einen Menschen, der sich dir stellt, überzeugt, daß deine Kugel ihn morgen früh ...

GEORG
von dem, was er sagt, tiefinnerlichst überzeugt; seinen Gang wieder aufnehmend.

Sie würde ihn treffen, auch übermorgen früh! Ich habe den ersten Schuß, und ein zweiter, verlaß dich drauf, auch übermorgen früh, würde nie fallen!

ONKEL LUDWIG
ihm nach; die erhobne Rechte schüttelnd.
Trotzdem!! Trotzdem!!
DUFROY
dem diese Drohung in diesem Moment letzter, heiligster Ernst ist; so eindrucksvoll-energisch, als nur möglich.
Ich ... ziehe meine Hand von dir, ich ... kenne dich nicht mehr, wenn du ...
GEORG
wieder ausbrechend; mit letzter Vehemenz; ohne nach den beiden auch nur hinzublicken.
Tut, was ihr wollt, nennt mich den wortbrüchigsten aller Halunken, stellt euch auf den Kopf ...
DUFROY
fast wie mit Ekel und Abscheu bereits vor ihm zurückschaudernd.
Du wirst ... deine Bluttat ...
GEORG
noch gesteigert.
Ich werde, was ich mir vorgenommen habe ...
MARIANNE
die Augen noch immer geschlossen, plötzlich wie wehklagend.
Morgen ... früh ... bevor ... die Sonne ...
GEORG
ganz entsetzt stehngeblieben; nach ihr rüber.
Um ... Himmels ... Willen! Lautes, doppeltes, sich steigerndes Autosignal.
ONKEL LUDWIG
erschüttert zu Georg; Seitenblick nach Dufroy und Marianne.
Du ... siehst ... daß man nich ungestraft ...
[625]
DUFROY
der Georgs tiefsten Schreck gesehn; nach Marianne; wieder vollständig veränderter Tonfall.
Die Anzeichen ...
GEORG
noch wie vorhin.
Welche ... »Anzeichen?!«
DUFROY
der ihn dadurch zu beruhigen vermeint.
Die Anzeichen, daß sie nun bald ... erwachen wird ...
GEORG
dem fast der Atem stockt; ihn unterbrechend; dabei wieder schneller, angstvoller Blick nach der Uhr.
Sie ... darf nicht erwachen!
DUFROY
der in seiner innern Erregtheit auf Georgs Ausruf gar nicht achtet; seinen Satz, noch nachdrücklicher, beendend.
Werden immer lebhafter!
ONKEL LUDWIG
ganz verständnislos-erstaunt zu Georg rüber.
Du solltest dich doch ... freuen ...
GEORG
wie vorhin; nur noch stärker.
Sie darf nicht erwachen!!
DUFROY
nun ebenfalls stutzend.
»Sie ...?«
GEORG
allerenergischst; zuletzt voller, fester Blick auf die Uhr.
Sie darf nicht erwachen!! Wenigstens nicht vor Zwölf!!
ONKEL LUDWIG
ihn noch immer nicht verstehend; ganz paff.
»Nicht vor ...?«
GEORG
zu beiden; erklärende Handbewegung mit der ausgestreckten Linken nach Marianne rüber.
Sie lebt in der festen Autosuggestion ...
ONKEL LUDWIG
der ihn jetzt endlich begriffen; fast wie mechanisch einfallend.

Daß sie diesen Tag ... In seinen Sessel zurückfallend; ganz entsetzt; mit der ausgespreizten Rechten sich dabei über die Stirn streichend. Richtig!

GEORG
während Dufroy, angstvollst, von einem zum andern blickt, noch verstärkt, weiter.

Daß sie diesen Tag, der ihr vor drei Jahren ... kurz vor Mitternacht, durch die Erscheinung Mariettes ...

ONKEL LUDWIG
zu Dufroy, nun ebenfalls erläuternd, in Georgs Atempause.
Die in der gleichen Zeit hier ...
GEORG
von neuem; auch jetzt noch gesteigert.
Daß sie diesen Tag ... der ihr als ihr Sterbetag prophezeit wurde ...
DUFROY
schon auf dem Weg nach dem Kamin hin.
Dann ist es doch aber die höchste, die allerhöchste Zeit, daß wir die Uhr ...
ONKEL LUDWIG
ihm nach; verzweifelt; so daß Dufroy unwillkürlich einen Moment zögernd wieder stehnbleibt.
Als ob das ...
[626]
GEORG
noch immer an seinem Platz; nicht minder skeptisch; Dufroy an dessen eigne, ihm vorhin gegebne Auskunft erinnernd.
Wenn du auf einmal, plötzlich, glaubst ... daß das auch nur das geringste ...
DUFROY
mit Gewalt sich wieder nach der Uhr znrückdrehend; die Hand bereits nach ihrem Zeiger.
Immerhin!
MARIANNE
in demselben Moment, so daß Dufroy, wie gelähmt, von seinem Vorhaben abläßt, mit einem tiefsten Seufzer erwachend.
Aah ...!
GEORG
auf sie zu; in maßlosem Entsetzen.
Marianne!
MARIANNE
sich mit großen Augen umblickend, als ob sie sich in einem ihr gänzlich fremden Raum befände.
Wo ...?
ONKEL LUDWIG
der sich sofort, schwerfälligst, aufgerappelt; nun auch bei ihr; besorgt-angstvollst.
Wie ... ist dir?
DUFROY
ähnlich; halb über sie gebeugt.
Wie ... fühlst du dich?
MARIANNE
als ob sie weder ihn, noch Onkel Ludwig überhaupt schon sähe.

Georg! ... Wie vorhin. Wie ... bin ich nur hier ...? Jetzt auch zu den beiden übrigen. Warum ... blickt ihr mich ...?

GEORG
nachdem er sich inzwischen wieder etwas gefaßt hat; forschend-mißtrauisch.
Du bist jetzt wieder ... ganz munter und wach?
MARIANNE
sich wieder umblickend; zuletzt ganz erstaunt-überrascht.
Wach? ... Wach? Ich ... habe doch nicht ...
GEORG
energischst-eindringlicher Tonfall.
Du hast vier Stunden fest geschlafen!
MARIANNE
unsicher-verwundert.
In ... diesem ...?
GEORG
fest wie vorhin.
In diesem Sessel!
ONKEL LUDWIG
stockend.
Bloß ...
MARIANNE
die sofort aufgehorcht; in seltsamer Spannung.
Ja?
DUFROY
leichthin; um Onkel Ludwig nicht Gelegenheit zu geben, unter Umständen neues Unheil anzustiften; betreffende Geste.
Daß du zuletzt ... ab und zu ...
ONKEL LUDWIG
um so schwer gewichtiger; naivst-phantastisch.
Wie von einem andern Stern ...
MARIANNE
die diese Worte wie süßes Gift schlürft; den Kopf ganz zurück, die Augen einen Moment wieder geschlossen.
»Wie von einem andern ...«
ONKEL LUDWIG
durch diesen »Erfolg« ermutigt, über den stummen Unwillen [627] der beiden andern hinweg, noch mehr aus sich herausgehend.
Oder wie aus einer andern ... Sphäre, oder Astralebne ...
DUFROY
trotz der Situation wieder wie von einer heimlichen Stecknadel gestochen.
»As ...!«
GEORG
ihn nicht ausreden lassend; nervös, Geste.
Ist ja im Moment ganz ...
MARIANNE
den Blick ekstatisch nach oben gerichtet; verklärteste Züge, kongruierende Sprechweise.
Befreit ... von allem! ... Ja! ... In einem Raum ... und in einer Welt ... die nur ... Licht war!
ONKEL LUDWIG
der ihren Worten wie einer Offenbarung gelauscht; von Georg zu Dufroy, bewegt.
Hört ihr? ... Ihr hört!
MARIANNE
noch gesteigert-verzückter.

Die nur ... Licht war! ... Licht ... und Klang! ... Himmlische Wonne ... reinstes, wunschloses Glück ... letzte, unaussprechliche Seligkeit!

ONKEL LUDWIG
wie vorhin; vor innrer Genugtuung fast zitternd.
Ihr ... hört!!
MARIANNE
klagend-gebrochen; zuletzt qualvollst; immer mit leisen, entsprechenden Gesten, als ob sie das Geschilderte noch einmal durchlebte.

Aber dann ... dann ... dann ... Die Lichtflut um mich ... erlosch ... die Klangfülle ... schwieg ... und ich sank ... immer tiefer! ... Irdische Not ... Schmach und Schmutz ... menschliches Wehklagen und Jammern!

DUFROY
seine Ergriffenheit, deren er sich nicht erwehren kann, mit Gewalt niederkämpfend.
Eine durchsichtig ... halluzinatorische Traumvision ...
ONKEL LUDWIG
empört.
»Traumvision?«
DUFROY
wie etwas von sich abwehrend und in seinem Satz weiter.
Wie sie sich nur allzu natürlich ...
GEORG
an Dufroys »Erklärung«, wenn auch in anderm Ton als Onkel Ludwig, skeptisch Kritik übend.
»Traumvision!«
MARIANNE
von neuem; immer noch wachsend.

Nach einer langen ... bösen ... furchtbaren Qualfahrt ... Abbrechend und, wie sich vergewissernd, zu Dufroy und Onkel Ludwig. Habe ich es ... gesehn und ... gehört?

DUFROY
ganz betroffen-perplex; mit einem Blick zu Onkel Ludwig rüber.
Du hast ... »gesehn und ...?«
MARIANNE
wieder, einen Moment, die Augen geschlossen.

Wie durch eine ferne Wolke! ... Jetzt halb nach links gedreht. Ihr saßt da ... [628] am Schreibtisch ... Zu ihm auf; mit verhüllt-dunklem Vorwurf. Georg ... war fort, und Onkel Ludwig ... Von Dufroy jetzt zu diesem. Ist es wahr?

ONKEL LUDWIG
gerührt-zärtlichst; mit einem Blick zu Dufroy rüber.
Ja, was, Herzchen?
GEORG
nachdem er alle drei der Reihe nach ganz erstaunt-fragend angesehn.
Was?!
MARIANNE
zu Georg; sich zwischendurch bei den beiden andern wie vergewissernd, daß sie sich nicht getäuscht.

Onkel Ludwig und Vater ... wollten grade, als du kamst ... Abbrechend und jetzt ganz bestimmt zu Dufroy und Onkel Ludwig. Ihr wolltet alle beide ...

DUFROY
noch immer ganz überrascht; sie unterbrechend; entsprechendes Mienenspiel zwischen ihm und Onkel Ludwig.
Wie ... konntest du ... in deinem seltsamen Zustand ...?
MARIANNE
ihren Satz, unbeirrt, mit größtem Nachdruck schließend.
Ihr wolltet alle beide ... sofort und auf der Stelle ... zu Großmutter gehn!
GEORG
der kaum seinen Ohren traut; fast zurückgeprallt; zu allen beiden.
»Zu ...?«
ONKEL LUDWIG
bestätigend-erschüttert.
Ja, Herzl, ja! Bloß ... Unsichrer Blick nach der Uhr.
GEORG
wie vorhin; noch gesteigert.
Zu ... Großmutter??
DUFROY
hastig-erregt.
Das ist jetzt natürlich unter den obwaltenden Umständen ... Nun auch seinerseits Blick nach der Uhr.
ONKEL LUDWIG
in Dufroys Satz weiter; ebenso.
Aber auch vollständig und ganz und gar ... Wieder Blick nach der Uhr.
MARIANNE
die ganz unmöglich einen dieser drei Blicke hatte bemerken können; fast wie aus einem leisen Unmut; überlegen-beherrscht.
Glaubt doch nicht, daß mich die dumme Uhr ...
GEORG
nachdem er Dufroy und Onkel Ludwig, die beide ganz verdutzt stehn, bestürzt angeblickt.
Wer hat etwas zu dir von der Uhr ...
DUFROY
ähnlich.
Dir hat doch niemand ...
ONKEL LUDWIG
sich anschließend.
Wo-her ...?
MARIANNE
in Sprache und Gesichtsausdruck einen Moment fast wie die Erscheinung im dritten Akt.

Ich lese, was hinter euren Stirnen [629] steht! Ich kenne alle eure Gedanken! Strafend-drohend zu Georg. Und ich ... weiß auch ...

DUFROY
nachdem es durch alle drei wieder wie ein Ruck gegangen.
Du ... weißt?
GEORG
stärkst fragend; fast zornig.
Was weißt du?
MARIANNE
Georg voll anblickend; noch gesteigerter als vorhin.
Daß du dein ... verpfändetes Wort ...
GEORG
aufgeregt, hastig, Geste.
Dann geht! Geht!! Es ist besser ...
ONKEL LUDWIG
ihm beipflichtend; in seinem Satz weiter; zu Dufroy.
Wir lassen ... die zwei beiden jetzt allein ...
GEORG
noch nervös-ungeduldiger; Blick nach der Uhr.
Als daß ihr ... vielleicht nur ...
DUFROY
der seinem Blick gefolgt war.
Warten wir wenigstens ab, bis die paar Minuten ...
MARIANNE
völlig gelassen-ruhig.
Ihr könnt ganz ... unbesorgt sein! ... Fast wie versteckt-ironisch. Mir wird diese Uhr ...
ONKEL LUDWIG
dadurch völlig beruhigt und getäuscht; zu Dufroy; bereits auf dem Weg nach der Tür.
Komm! ... Komm!! ... Stehngeblieben und halb zurück. Wir dürfen ... die alte Frau ...
GEORG
Dufroy, der immer noch zögert, gut zuredend.
Erfüll ihm schon den Wunsch ... und sei überzeugt ...
DUFROY
sich endlich entschließend, so schwer ihm das auch fällt; erste Silbe betont.
Nun, denn ...
MARIANNE
dringlichst bestimmt; fast bereits schmerzlich.
Geht!!
DUFROY
ihr die Hand reichend; mahnend-warm.
Auf Wiedersehn, Kind!
MARIANNE
wieder völlig beherrscht; trotzdem mit einem seltsamen Unterton.
Auf ... Wiedersehn!
DUFROY
Onkel Ludwig seinen linken Arm bietend.
Lieber Bruder?
ONKEL LUDWIG
sich mit ihm türwärts in Bewegung setzend; freudigst-zuversichtlichst, in rührendstem Optimismus.
Nun wird sich ... alles ... alles ...
DUFROY
der die Tür bereits geöffnet; noch mal nach Georg zurück; letzte Sichvergewisserung.
Also?
GEORG
beruhigende, ihn »abschiebende« Geste.
Du kannst völlig ...
ONKEL LUDWIG
schon auf der Schwelle; nach keinem mehr zurückgedreht.
Post ... nubila ... Phoebus!
[630]
MARIANNE
kaum daß ihre Schritte verklungen, sich halb aufrichtend; völlig wie gewandelt.
Ich werde ... Onkel Ludwig ...
GEORG
sie, entsetzt, groß anstarrend.
Marianne!
MARIANNE
mit letzter Gewißheit.
Nicht mehr wiedersehn! ... Etwas weicher; nach der Uhr. Und du ... versprichst mir ...
GEORG
noch wie vorhin; sie unterbrechend; unterdrückt-angstvollst.
Ich verspreche dir alles, wenn du dich von dieser entsetzlichen Selbstsuggestion ...
MARIANNE
wieder nach der Uhr; mit einem fast wie leise mitleidigen Lächeln nur die Worte der Prophezeiung wiederholend.
»Noch ... drei Jahre!«
GEORG
durch den es erneut wie ein Ruck gegangen; sich energischst zusammenraffend; mit aller Kraft.
Wer an solche Wahnwitzigkeiten glaubt ...
MARIANNE
ausholend; seltsam ruhig und gefaßt.
Was mir in jener Nacht ...
GEORG
sie vergeblich zu unterbrechen versuchend; durch ihre Art wie gebannt.
»Was dir ...«
MARIANNE
in ihrem Satz, langsam sich steigernd, weiter.
Nachdem ich schon Monate lang damals, ohne zu wissen, warum, nichts mehr von dir gehört ...
GEORG
wie vorhin.
Gewiß! Gewiß! Nur ...
MARIANNE
immer schmerzlicher.
Nachdem ich bereits die ganzen, letzten Wochen in bangster Sorge und Unruhe um euch verbracht ...
GEORG
seinen Versuch, verzweifelt, wiederholend.
Was hat das jetzt ...
MARIANNE
klagend, über seine Einrede hinweg, als hätte er überhaupt nicht gesprochen.

Und nachdem ich den Abend, Stunde um Stunde, verlassen, wie ich mich noch nie gefühlt, einsamer denn je, mit meinen Gedanken in quälendst wachsender, unbestimmter Vorahnung ...

GEORG
gefoltert auf und ab; sich die Ohren zuhaltend.
Hör auf! Hör auf!
MARIANNE
von neuem; noch verstärkt.

Was mir in jener Nacht ... Abbrechend und in ihrem Satz, als ob sie das Furchtbare noch einmal durchlitte, parenthetisch weiter. Ein schauderndes Grauen, ein mir unerklärbares, zitterndes Angstgefühl, ein gespenstisches, herzlähmendes Etwas hatte mich plötzlich jäh aus dem Schlaf geschreckt ...

[631]
GEORG
wie vorhin; nicht mehr fähig, ihre detailliert-lebhafte Schildrung noch länger zu ertragen.
Hör ... auf!
MARIANNE
malend-lebendig; betreffende, alles verdeutlichende Gesten.

Die große Wanduhr im Nebenzimmer, dessen Tür, wie stets, weit offen stand, hatte zum Schlagen grade ausgeholt, ich lag mitten im Dunklen ... der kleine Ruck ... klang mir noch im Ohr ...

GEORG
einen Moment stehngeblieben; die Augen geschlossen, die geballte Linke vor der Stirn.
Wenn du nicht ...
MARIANNE
mit verzerrtem Gesichtsausdruck, ganz entsetzt, vorgebeugt.
Da hörte ... und sah ich sie!
GEORG
wieder auf und ab; noch ohnmächtig verzweifelter.
Ja! Ja! Ja! Ich ...
MARIANNE
von ihrer eignen Erinnrung fast geschüttelt.

Grausenhafter und schrecklicher, als ich dir dies je ... Abbrechend und als ob sie alles wieder vor sich sähe; letzte, packendste Steigrung. Aufrecht, wie schwebend, in einem fahlen Schein ... Wangen und Lippen bläulich, Nase und Kinn schon hippokratisch spitz, die starren, glanzlosen Augen hinter den halb geöffneten Lidern bereits gebrochen ... und ... eine ... Stimme ... eine ... »Noch ... drei ... Jahre! Noch ...«

GEORG
nachdem er ihr, zuletzt einen Augenblick wie gelähmt, zugehört; mit erhobnen Armen auf sie zu.
Reiß dich los von dieser furchtbaren Vorstellung! Reiß dich los!
MARIANNE
ihn voll anblickend; zum drittenmal.
Was mir in jener Nacht ... durch Mariette ...
GEORG
wieder von ihr weg; sich gegen diese ihre Behauptung, da er eine weitere und schlimmere bereits kommen fühlt, sofort erbittert-heftigst auflehnend.
»Mariette!!«
MARIANNE
noch überzeugt-bestimmter.
Durch Mariette vorausgesagt und prophezeit wurde ...
GEORG
radikal ablehnend; sie unterbrechend.
Ich leugne, daß es Prophezeiungen ...
MARIANNE
in ihrer Linie, nur um so hartnäckiger, weiter.
Wird bis auf die Sekunde ...
GEORG
sie nun mit aller Gewalt nicht mehr weitersprechen lassen wollend; noch gereizt-verbissner.
Daß es Prophezeiungen überhaupt ...
[632]
MARIANNE
mit einem Blick wieder auf die Uhr, als hätte er sie auch diesmal wieder gar nicht unterbrochen.
In nicht allzu viel Minuten mehr ...
GEORG
der ihren Blick bemerkt hat; auf einen Moment wieder stehngeblieben; allerrabiatst und erbittertst.
Es gibt keine Prophezeiungen!
MARIANNE
unerschüttert; erst jetzt, ganz erschöpft, schließend.
In Erfüllung gehn!
GEORG
seinen Gang, empört-zornigst, wieder aufnehmend.
Wie alles und jedes auf dieser Welt in Erfüllung geht, wenn man es mit aller Gewalt ...
MARIANNE
sich zur Wehr setzend.
Ich habe alles ... getan ...
GEORG
der jetzt gar nicht mehr auf sie hört; in seinem Satz, noch betont ingrimmigst-vorwurfsvoller, weiter.
Darauf anlegt und absieht, daß Ereignisse und Dinge ...
MARIANNE
noch stärker.
Ich habe nichts ... versäumt ...
GEORG
wie vorhin; seinen Satz mit dem denkbar wuchtigsten Nachdruck schließend.

Die einem vorher- und vorausgesagt wurden, durchaus und um jeden Preis, und sei dieser Preis selbst der allerfurchtbarste, in Erfüllung gehn sollen!

MARIANNE
klagendst-schmerzlichst.
Ich habe diesen ganzen Tag ... dessen drohendes Unheil ... ich kommen fühlte ...
GEORG
sich von ihr, fast brüsk, abwendend; unmutigst-verzweifelt.
Immer und ewig ...
MARIANNE
über seine Unterbrechung hinweg; noch gesteigert.

Vor dem ich gebangt ... und gezittert habe ... und der mir mit seinen Ängsten und Qualen ... allein schon durch die voraufgegangne Wiederkehr jenes entsetzlichen Traums ...

GEORG
die Stirn in die Linke gepreßt, wieder ähnlich wie vorhin.
Laß den ... Traum!
MARIANNE
wieder an ihm vorbei und in ihrer Linie, mit jedem Atemzug noch verstärkt, weiter.

Und zwar von einer Macht, die ich nicht kenne ... der ich früher widerstrebte und vor der ich mich jetzt ... beuge ...

GEORG
fast wie rasend nach ihr zurückgedreht.
Du solltest dich lieber ...
MARIANNE
auf ihn gar nicht achtend, ergriffen, vor sich hin.
Warnend, drohend und unmißverständlich deutlich verkündigt wurde ...
[633]
GEORG
von neuem von ihr abgewandt.
Schon wieder diese ...
MARIANNE
immer inbrünstiger, immer seelischer, fast wie in religiöser Ekstase; zum Schluß unterdrückt schluchzend.

Mit all meiner Kraft, mit meiner ganzen Seele, mit jeder Faser, seit heute früh, habe ich danach gerungen, das Verhängnis abzuwenden, das Verderben aufzuhalten und den Leidens-Kelch ... an uns beiden ...

GEORG
von diesem Ton durchschüttert und beinahe wie von ihm angesteckt.
Er wird ... an uns vorübergehn! Er wird ...
MARIANNE
von neuem jetzt aufgerafft und noch immer sich steigernd.

Nachdem aber nun alles ... mißglückt ist ... nachdem mein ganzes ... Kämpfen und Ringen ... nichts genützt und gefruchtet hat ... nachdem durch diese letzte schaurige Sitzung ...

GEORG
in ihrem Satz, fast erbittert-froh, sich auf dieses Stichwort nun selbst vor ihr anklagen zu dürfen, leidenschaftlichst weiter.

Zu der ich dich gezwungen ... für deren ganzen, abscheulichen Verlauf und Charakter die alberne, dumme, widersinnige Suggestivfrage, die ich vor vierzehn Tagen damals in einem nahezu halb idiotischen Moment gestellt, von vorneherein grundlegend, ausschlaggebend und entscheidend bestimmend war ... Vor ihr stehngeblieben; sich gegen die Brust schlagend. und an der also nur ich, ich ganz allein die Verantwortung und die Schuld trage ...

MARIANNE
zu ihm aus; achselzuckend.

»Schuld!« Schuld, oder ... Abbrechend und in ihrem Gedankengang, sich schnell wieder steigernd, weiter. Nachdem jedenfalls nichts uns so erspart geblieben ist, nachdem alles sich bis jetzt erfüllt hat und mein kleiner, schwacher, irdischer Menschenwille ...

GEORG
beschwörend-energisch; wieder dabei unwillkürlicher Blick nach der Uhr.
Mit dem du noch alles retten kannst, wenn du ...
MARIANNE
über seine Worte hinweg.
Ohnmächtig zerschellt ist ...
GEORG
wie vorhin; stärkst.
Halt noch aus!! Halt noch aus!!
MARIANNE
von allem, was er zu ihr spricht, völlig unberührt.
Gebe ich es auf ...
GEORG
von ihr nach der Uhr; flehentlichst.
Nur noch wenige ...
MARIANNE
in ihr Los ergeben, immer demütig- verklärter.
Gegen ein ehern notwendiges, übermächtiges Schicksal anzukämpfen, das uns beiden ...
GEORG
der dunkel fühlt, wie er alle Macht über sie verloren; in sich [634] nochmals zusammenraffender, ohnmächtiger Verzweiflung.
Halt noch aus!!
MARIANNE
die Augen geschlossen, in seltsamster Mystik, die ihn fast schauernd streift.

Das uns beiden vorbestimmt war, vielleicht schon und noch ehe ... Durch den jetzt doppelten Uhrschlag plötzlich jäh aufgeschreckt. Halb!

GEORG
der einen Moment, entsetzt, ebenfalls nach der Uhr gestarrt; wieder auf und ab; völlig veränderter, mit aller Gewalt sich zusammenruckender Tonfall.

Es war der hellste, lichterlohste, hirnverbrannteste Irrsinn, daß wir dich, die bis dahin die einfache, gesunde, schlichte Natürlichkeit und Vernunft selbst war, deren intakt gebliebnes Empfinden sich mit naiv instinktiver Sicherheit ...

MARIANNE
gequält-abwehrend.
Laß!
GEORG
in seinen erneuten, zornigen Selbstvorwürfen, als hätte sie ihn gar nicht unterbrochen, erbittert weiter.

Schon von vornherein und bis zuletzt gegen den paradoxen Überschwang dieser ganzen modern thaumaturgischen Kabbalistik und Nekromantie, so willig du dich uns mit deinen Kräften ...

MARIANNE
wie vorhin; nur noch gesteigert.
Laß!
GEORG
ebenso.

Auch stets zum Opfer gabst, doch, innerlich, skeptisch ablehnend verhielt, und die grade heute, aus ihrem bestimmt dunklen Vorgefühl ... Abbrechend.

MARIANNE
jetzt fast ähnlich; wie er vorhin selbst.
Wozu ...
GEORG
der sich am liebsten »zerreißen« möchte; mit gekrampften Fäusten.
Daß wir dich mit diesen verrückten Experimenten ...
MARIANNE
nach der Uhr; beinahe grausam.
Ich ... weiß jetzt nur ...
GEORG
wieder stehngeblieben und zu ihr zurück.

Kommen wir doch wieder zu unsern fünf Sinnen! Nehmen wir Verstand an! Wenn wir uns in dieser Weise ...

MARIANNE
ausbrechend-angstvoll; dabei, zwischendurch, wieder Blick nach der Uhr.
Jeder ... Bruchteil einer Sekunde ... jedes kleinste ... Augenblickchen, das verrinnt ...
GEORG
die Zähne zusammenbeißend; mit suggestivster Energie; obwohl er bereits fühlt, daß seine Lüge nichts nützen wird.

Du irrst! Es ist bereits Eins! Ich habe die Uhr ... Abbrechend und unter ihrem Blick nicht fähig, weiterzusprechen.

[635]
MARIANNE
wehmütigstes Lächeln; schmerzlichst- innigst.
Lieber ... Georg! ... Laß uns die ... kurze Zeit ...
GEORG
die Gewalt über sich verlierend; rechte Hand über Augen und Stirn, von ihr abgewandt, unterdrückter Schluchzlaut.
...!!!
MARIANNE
weich, langsam.
Ich hatte nicht ... geglaubt ... daß dir mein bißchen Weggehn ...
GEORG
wieder auf sie zu; seine ganze, letzte Kraft nochmals und mit aller Energie znsammenraffend.
Marianne!! ... Was der Mensch will ...
MARIANNE
mit hochgezogenen Schultern abgewandt.
Wer sagt ...
GEORG
noch inständig flehender und seelischer.

Nimm alles ... in dir zusammen! Spann deine ganze ... Energie drauf! Denk an nichts ... als daß du für mich ...

MARIANNE
ihn wieder anblickend; schwermütig- sehnsuchtsvollst.
Könnt ich s! Könnt ich s noch!
GEORG
selbst jetzt noch sich steigernd, in seinem Satz weiter.
Als daß du für mich ... jetzt zu leben hast ... und du wirst ...
MARIANNE
noch immer zu ihm auf; warm.
Wie ... gern!
GEORG
nachdem er einen kurzen Moment mit sich gerungen; schwer.

Muß ich dir ... das überhaupt ... Fast schluchzend abbrechend und mit ausgebreiteten Armen; sie voll anblickend; elementar. Vom ersten Augenblick!

MARIANNE
mit geschlossen Lidern seine Worte wie in sich schlürfend.
Vom ... ersten ...
GEORG
nachdem er sich nun einmal überwunden, in seinem Geständnis noch rückhaltsloser weiter.

Augenblick, wo du damals in dieses Haus tratst! ... Hätte seitdem ... nicht so grausam zwischen uns gestanden ... was mir in meiner kindischen Verblendetheit ... als unsre Schuld erschien ...

MARIANNE
ganz erstaunt-verwundert; an seiner jetzigen Auffassung heimlich Kritik übend.
Sie erscheint es dir ... nicht mehr?
GEORG
nach dem Schreibtisch, auf dem sie jetzt das Tagebuch Mariettes erblickt; stärkst.
Nach diesen ... Bekenntnissen?!
MARIANNE
die lebhaft gestutzt.
Du ... hast ...?
GEORG
noch gesteigert.
Und nach der erniedrigenden ... schimpflichen Offenbarung, die uns die Sitzung ...?!
MARIANNE
energisch verweisendes Kopfschütteln.
Du hättest ... auf keinen Fall ...
[636]
GEORG
über ihren Vorwurf hinweg; alle Akzente aufs schärfste betont.

Schuld und Sühne ... wenn Schuld ... auf die Dauer als Schuld überhaupt empfunden werden soll ... müssen unter sich ... in einem wenigstens annähernd vernunftgemäßen Verhältnis stehn!

MARIANNE
so wenig sie sich gegen seine Argumentation als solche auch auflehnen kann, doch nicht überzeugt; leichte, ihre Unsicherheit malende Geste.
Gewiß! Ja! Aber ...
GEORG
zum erstenmal über diesen Komplex zu einem Menschen sprechend; an seinen Worten wie schluckend; halb nach der Tür links rüber.
Die Nacht ... als ich da nebenan ... Mariette mit ihren Kindern ...
MARIANNE
von tiefstem Mitleid mit ihm gequält.
Du ... solltest ...
GEORG
einen Moment von seiner Erinnerung so überwältigt, wie sie es vorhin von ihrer gewesen war; als ob er das furchtbare Entsetzensbild, das sich ihm damals geboten, wieder vor sich sähe.
Die Kleinste ... lag schon kalt, der Junge ... Als ich da ...
MARIANNE
noch gefolterter.
Du solltest ... diese Erinnrung ...
GEORG
ausbrechend; das letzte Wort, von ihm unwillkürlich mit geschlossen Augen gesprochen, will ihm kaum über die Lippen.
Und hätten wir an Mariette ... selbst das Zehnfache verbrochen ... eine solche ... Bestrafung ...
MARIANNE
vor sich hin; fast wie nur zu sich selbst; die letzten drei Worte verzweifelt-schmerzlichst-zerknirscht.

So ... glaubte ich ja auch! So glaubte ich ... an allem Anfang! Aber ... jetzt ... jetzt ... jetzt ...!!

GEORG
stärkst fragend vor ihr aufgereckt; sie gar nicht verstehend.
Ist unsre Schuld ... etwa gewachsen? Hat sie in der Zwischenzeit ...
MARIANNE
noch in sich gekehrter; tiefst überzeugt; immer seelischer.

Oh, nein! ... Durch das ... was du und ich ... was wir beide ... ohne, daß es in diesen drei Jahren zwischen uns eine Brücke gab ... ohne daß je auch nur das geringste Wort, oder der kleinste Blick es dem andern verraten hätte ... ohne ... durch all das ... was wir, jeder für sich ... im stillen und allein ... in dieser furchtbaren Zeit ... steigend durchgemacht und gelitten haben ... ist sie sogar eher ...

[637]
GEORG
unwillkürlich noch höher gereckt.
Nun ja, also!
MARIANNE
schwankend-unsicher.
Vielleicht!
GEORG
mit aller Energie auf sie einredend.
Nicht »vielleicht«, sondern absolut ganz und gar sicher! Denn das beweist ...
MARIANNE
Blick nach der Uhr; noch klagend- zweifelnder.
Vielleicht!
GEORG
der jetzt einen Moment lang die Herrschaft über sich fast wieder verloren hat; halb rasend.

Blicke nicht nach der Uhr! Geste, als ob er im nächsten Augenblick die Uhr an sich reißen und zertrümmern wolle. Wenn du nicht willst ...

MARIANNE
gelassen-ruhig; seine letzten Worte von vorhin wieder aufnehmend.
»Das ... beweist ...?«
GEORG
nachdem er sich bezwungen; von neuem auf und ab.

Das beweist ... daß das einzige ... was wir uns Mariette gegenüber ... allenfalls vorzuwerfen gehabt ...

MARIANNE
in seine Verlegenheitspause; da er bereits nach diesen wenigen Worten stockt; gedehnt fragender Nasaldoppellaut.
Hm-n?
GEORG
in seinem Satz, zwischendurch immer wieder stockend und ohne sie dabei anzusehn, weiter.

Daß sogar selbst unser ganzer geistiger Verkehr ... das heißt also unser Briefwechsel ... so nah wir uns auch bereits mit der Zeit und allmählich durch ihn gekommen waren ...

MARIANNE
ihm scheinbar zu Hilfe kommend.
Eine Schuld gegenüber Mariette ...
GEORG
seinen Satz, fast erbittert, schließend.
Eine Schuld gegenüber Mariette ... nicht gewesen!!
MARIANNE
ihm nachblickend; überlegen.
Es beweist aber auch genau ... und ebensogut ...
GEORG
einen Moment nach ihr zurückgedreht; in ihren Satz fast wider Willen.
»Genau und ... ebensogut?«
MARIANNE
fest, beinahe hart; ihn voll dabei anblickend.
Das absolut haarscharf diametrale Gegenteil!
GEORG
sich jäh wieder von ihr abwendend; Linke im Schläfenhaar.
Du machst mich ... verzweifelt!!
MARIANNE
betont-ruhig.
Weil ich die Augen vor dem ... was hinter uns liegt ... nicht verschließe?
GEORG
wie ohnmächtig nach Worten ringend.
Es kann ...
MARIANNE
wie vorhin; nur noch eindringlich-gesteigerter.

Und weil ich [638] das ... was uns jetzt beide ... Wieder halber, von ihm diesmal nicht bemerkter Blick nach der Uhr. unabwendbar erwartet ...

GEORG
der jede Fassung verloren.
Es kann noch alles wieder gut werden! Es kann ...
MARIANNE
unerbittlich.

Für uns beide ... Auf einen von ihm jetzt unwillkürlich stutzenden Blick nach ihr. oder doch wenigstens für mich ...

GEORG
stehngeblieben; unsicher fragend-erstaunt.
»Für ...«
MARIANNE
noch unterstrichner.
Für mich als gerechte, ausgleichende Strafe, Sühne ... und Erlösung empfinde?
GEORG
ausbrechend; wieder auf und ab.

»Erlösung!« »Sühne!« »Gerechte, ausgleichende Strafe!« Leere, lächerliche Buchstabenzusammenklittrungen, für die es in der Realität ...

MARIANNE
die ihm wieder nachblickt; verweisend-erstaunt.
Du ... leugnest ...
GEORG
sich kaum mehr kennend; noch immer auf und ab, ohne sie anzublicken.

Ich leugne jede Transzendenz! Ich leugne, daß unser Diesseits ... wie ich das allerdings, aus Gründen, die ich ... dir gegenüber jetzt nachträglich wohl nicht erst zu streifen brauche, schwachköpfig genug war, eine Zeitlang anzunehmen ... durch irgendein Jenseits wieder paralysiert und ausgeglichen wird, und erkläre jeden ...

MARIANNE
sich halb aufrichtend; fast strafend.

Nachdem ... wir uns eben erst ... überführt und überzeugt haben, nachdem auch wir jetzt ... erlebt haben ... daß der Tod ...

GEORG
stehngeblieben; vor Erregung zitternd; mit zornigst gekrampften Fäusten.
Marianne!!
MARIANNE
noch stärker.
Daß der Tod ...
GEORG
fast rasend.
Sprich s nicht erst aus! Ich ...
MARIANNE
noch gehoben-gesteigerter.
Daß der Tod keine Grenze setzt?
GEORG
nachdem er wieder Atem geschöpft; erbittertst.
Das Ideeenwirrsal Onkel Ludwigs ...
MARIANNE
kopfschüttelnd Einspruch erhebende Geste.
Nicht ... Onkel Ludwig!
GEORG
in seiner empörten Wut noch einen Schuß weiter.
Hat dich, wie es scheint, nach und nach vollständig ...
MARIANNE
achselzuckend.
Wenn du ... nicht hörst ...!
[639]
GEORG
mit aller Kraft sich wieder sammelnd, von neuem auf und ab.

Ich kann die Erscheinung ... dies Doppelwesen, oder das Phantom ... und überhaupt ... den ganzen, gesamten, einschlägigen Rätselkomplex ... der mit dieser letzten ... scheußlichen Sitzung heute ... seinen letzten ... scheußlichen Abschluß gefunden hat ... weder dir ... noch mir ... erklären! ... Er entzieht sich für mich ... jeder Deutung! ... Aber gegen den Wahnsinn ... jawohl, Wahnsinn ... daß die Erscheinung, und sei s auch nur aus irgend einer Ecke her ...

MARIANNE
unbeirrt.
Wenn ... die Erscheinung aber doch selbst ...
GEORG
erbittert-heftigst.
Ich ... bitte dich! Um alles in der Welt! Solch ein ... Aberwitz!
MARIANNE
überzeugt-hartnäckig; ausholend.

Schon nach jener vierten ... oder fünften Sitzung ... als ihr mir zu meinem schaudernden Schrecken erzähltet ...

GEORG
sie unterbrechend; gefaßter; mit permanent steigender Eindringlichkeit.

Die Gestalt ... die sich aus dir in jedem tiefen Trance ... zuerst noch unbestimmt und nebelhaft ... dann immer plastischer und deutlicher, mit konstanter Regelmäßigkeit formte, bildete und entwickelte, und dessen reale Wirklichkeit auch heute wieder, und zwar von vier Personen gleichzeitig, mit unantastbarer Zuverlässigkeit, einwandfrei konstatiert wurde, ist von uns beiden hundertfach beobachtet und von mir zu Dutzenden von Malen stereoskopiert, auf das denkbar Genauste und Gewissenhafteste untersucht und mit allen Hilfsmitteln moderner Anthropometrik wiederholt bestimmt und gemessen worden! Daß sie also genau ebenso viel Male existiert haben muß und ganz unmöglich bloß ein subjektives, irreales Phantasiegebilde von uns gewesen sein kann, darüber ist jeder Zweifel für mich und jede Meinungsdifferenz ausgeschlossen! Jetzt aber zu sagen und ... behaupten zu wollen ...

MARIANNE
nachdem sie ihm so lange aufmerksam zugehört, ihn unterbrechend und ihren Gedankengang von vorhin wieder aufnehmend; mit schnell wachsender Erregung und lebhaftestem, alle Nüancen spiegelndem Mienenspiel.

Schon damals ... du magst dich dazu stellen wie du willst ... laß es für dich »Wahnsinn« sein und »Aberwitz«, aber ... ich kann nicht mehr schweigen! [640] Ich ... muß dir die Wahrheit gestehn! Schon damals ... Lebendigste, malendste Gesten; Georg wieder stehngeblieben und zu ihr rüber. hatte ich das dunkle, grauenhafte Gefühl, das ... lähmende Entsetzen! Dies Wesen, das aus deinem Fleisch und Blut steigt, dies Etwas, das sich aus dir nährt ... wie ein Vampyr ...

GEORG
von neuem verzweifelt auf und ab.
Hätten wir doch nun und nimmer ...
MARIANNE
noch immer sich steigernd.

Und das, wie ein Spukbild ... sich wieder verflüchtigt hat und zerronnen ist, sobald du wieder ... aufwachst und ... zu dir kommst ... Abbrechend; von Grauen geschüttelt.

GEORG
reuig-gequält; fast nachträglich vorwurfsvoll.
Du hattest ... mir davon bis heute ...
MARIANNE
nachdem sie Atem geschöpft; noch überzeugt-bestimmter.

Ich fühlte! Und dieses Gefühl ... wuchs ... und wurde immer beängstigender! Dies Wesen ist dein Feind! Es verfolgt und haßt dich! Es zehrt an deinen Kräften und wird nicht eher ruhn ... als bis ... Abbrechend, die Augen geschlossen, mit ausgebreiteten Armen. Und jetzt ... weiß ich s! Und wenn sich auch alles in dir dagegen sträubt! Und wenn dein Verstand ...

GEORG
wieder stehngeblieben; letzte, qualvollste Angst und Erbittrung.
Marianne!! ... Wenn du dich von diesem Gedanken nicht losmachst, wenn es dir nicht gelingt ...
MARIANNE
durch seine Heftigkeit wieder zu sich gekommen; unerschüttert; markiert gelassen- ruhig.
Du hattest ... früher geglaubt ...
GEORG
nachdem er sich noch mal mit aller Gewalt zusammengeruckt; von neuem auf und ab.

Ich hatte früher geglaubt ... oder war doch wenigstens neuerdings zu der innern Überzeugung gelangt, daß der Tod ... wie ihn die heute noch immer herrschende mechanistische Weltauffassung lehrt ... unmöglich das Ende und den Abschluß unsrer seelischen Existenz bedeuten kann! Und ich bin sogar im Moment auch jetzt noch ... so herzlich töricht und überflüssig ich mich eben einen Augenblick von meinem Unwillen und Mißmut auch überwältigen und hinreißen ließ ... eher geneigt, mir diese Frage mit nein, als mit ja zu beantworten! Aber so primitiv in den äußern Vorgängen und in der Form ... wie du dir das vorstellst ...

[641]
MARIANNE
ihm ins Wort; visionär.
Es wird ... nicht mehr lange dauern ... daß ich auch darüber ...
GEORG
wieder auf sie zu; letzte, fast wie bettelnde Verzweiflung.
Ma-rianne ... du ... hörst und ... siehst, wie ich unter deinem Wahn ...
MARIANNE
langsam nickend; so anklagend ihre Worte ihn auch treffen, ohne jeden Vorwurf.
Denkst du noch immer ... glaubst du ... auch jetzt noch ... daß ich den Schleier ...
GEORG
der sich jetzt nur noch mit Mühe vor ihr aufrecht hält.

Es war roh und bar jeder Vernunft, dich mit einem solchen ... niedrigen ... tölpelhaften Verdacht ...

MARIANNE
kopfschüttelnd, Geste.

Dann verstehe ich dich nicht mehr! Auf der einen Seite gibst du zu, daß die Phänomene auch diesmal ...

GEORG
sich wieder in Bewegung setzend; kurzer, ungeduldiger Kopfruck.

Ja! Aber der Schluß, das Resultat, die Endfolgrung, die du daraus ziehst, daß die Erscheinung oder das Phantom ... es kostet mir ordentlich Mühe und Überwindung, das auch nur auszusprechen ... nach irgendeiner Richtung, oder in irgendeiner Beziehung, eine zeitweilige Reinkarnation, oder temporäre Wiederverkörperung Mariettes gewesen sein soll ... schon der bloße Gedanke ist für mich von einer ... Absurdität ...

MARIANNE
jetzt ihm ebenfalls ins Wort; fast mit einem ironischen Lächeln.
Daß du dich dagegen auflehnst ... wie sich heute nachmittag ...
GEORG
sie wieder nicht ausreden lassend; schärfst präzisierend.

Die Stellungnahme deines Vaters, die gewiß, nach keiner Richtung und in keiner Weise, gerechtfertigt war, und von der er ja auch ... inzwischen selbst ... wenn auch allerdings, wie ich glaube, nicht zu seinem besonders ... persönlichen Glück und Vorteil ... und zwar radikal zurückgekommen ist ... richtete sich gegen Tatsachen!

MARIANNE
fast wie ihn nicht begreifend-verwundert.
Und der Einspruch ... den du jetzt erhebst?
GEORG
noch energisch-bestimmter.

Es ist ein himmelweiter Unterschied, ob ich mich gegen bewiesne und von mir jederzeit nachkontrollierbare Gewißheiten wende, oder ob ich mich gegen eine Hypothese [642] sträube! Und die Hypothese, um die es sich hier handelt ...

MARIANNE
in seine Atempause; seinem Satz geschickt die Spitze abbrechend.
Ist eine Hypothese ... wie jede andre!
GEORG
um so leidenschaftlicher ihr widersprechend.

Nein! Sie ist von allen Annahmen, die die Menschheit in ihrer absoluten Ohnmacht und Ratlosigkeit gegenüber dem Unbekannten sich bisher geleistet hat, die abenteuerlichste, ausschweifendste und phantastischste! Sie würde, wenn sie sich bewahrheitete ...

MARIANNE
wieder wie vorhin.
Den Sinn unsres ganzen Lebens umgestalten! Ja! Und warst du nicht grade derjenige ...
GEORG
ausbrechend; seinem Temperament wieder die Zügel schießen lassend.
Unser ganzes Leben ist eine einzige, widerwärtige, infernale Riesensinnlosigkeit!
MARIANNE
durch dieses Wort fast wie physisch getroffen; mit wieder schmerzlichst geschlossen Augen.
»Infern ...«
GEORG
im Hintergrund auf und ab; kaum mehr auf sie achtend; noch unvorsichtig-heftiger.

Infernale Riesensinnlosigkeit! Ja, ja, dreimal ja! So dachte ich, habe ich gedacht und denke ich auch noch!

MARIANNE
wie vorhin; nur noch gepeinigt-gequälter.
Und ... da ...
GEORG
der in seiner Erregtheit die Wirkung seiner Worte auf sie nicht mehr registriert; sich noch immer steigernd.

Aber durch Ungeheuerlichkeiten, wie du sie jetzt annimmst, durch die gehirnlichen Sankt Veitstänze, die Onkel Ludwig sich vormacht, durch Deutungsversuche in diesem Genre wird der Kuddelmuddel, den wir Welt nennen, und an dessen Entknäulung wir uns abrackern, seit wir unsre amüsanten, grotesk schichtweis unterschiedlichen, sämtlichen Schleimpilz-, Infusorien-, Mollusken-, Haifisch- und Schnabeltierstadien glücklich hinter uns gelassen haben, und auf diesem pompös-fulminanten, angenehm rundgedrehten Ball hier als so genannte »Ebenbilder Gottes« kulturfreudig aufrecht auf zwei Beinen rumwandeln, nur noch zehntausendmal verkuddelmuddelter!

MARIANNE
ihm nachblickend; klagend-vorwurfsvoll.

Und an dieses ... Leben ... an diese ... »Riesensinnlosigkeit« ... die dir schon rein intellektuell ... jetzt kaum noch ertragbar scheint ... suchst du mich nun ... mit aller Kraft und Gewalt ...

[643]
GEORG
den Kopf in beiden Händen; verzweifelt.
Könnte ich s ... allein ...
MARIANNE
ausholend; schwer.

Auch ich ... seit Jahr und Tag schon ... trug s ... nicht ... leicht! ... Aber ... seit ... heute ... seit heute früh ...

GEORG
ganz überrascht-verdutzt stehngeblieben.
»Seit ...?«
MARIANNE
seine unausgesprochne Frage ihm beantwortend.
Seit ... plötzlich ... dieser ... Fremde ...
GEORG
dem es dadurch aus einmal wie Schuppen von den Augen fällt; Tonfall noch perplexer.
Ma- rianne!!
MARIANNE
durch seine wie »entsetzte« Verwundrung unwillkürlich zu noch weiteren Details gedrängt.
Der mich ... unterwegs ... für Mariette hielt ... und der dann später ... in dieses Haus drang ...
GEORG
sie groß anstarrend; stärkst.
Du hast ... alles gewußt?!
MARIANNE
in wieder wachsender Erregung; mit ausgebreiteten Armen.
Ich habe alles ... gewußt und ... was ich dann auch ... tat ...
GEORG
wie vorhin; nur noch gesteigert.
Du hast ... alles gewußt?!!
MARIANNE
nickend; mit letzter Kraft.
Alles!!
GEORG
mit einem jähen Ruck seinen Gang wieder aufnehmend; schnellste, sich fast überstürzende Sprechweise.

Dann war dieser ganze Spuk ... dieser ganze, sich so hypertranszendental gebärdende Schwindel ... alles, was uns in dieser lächerlichen, kläglichen Sitzung so raffiniert diabolisch spitzfindig foppte, narrte und prellte, nichts als das bizarr irreführende, phantastisch aufgestutzte, zwitterhafte Produkt deiner unterbewußt automatisch aus sich selbst reagierenden Psyche! Wieder nach ihr zurückgedreht. Und du mußt einsehn ...

MARIANNE
schmerzlichst, fast mitleidig lächelnd.
Wenn dir das ...
GEORG
in seinem Satz, um so eindringlicher, weiter.
Daß deine hartnäckig widerspenstige Autosuggestion ...
MARIANNE
achselzuckend; ähnlich wie vorhin.
Wenn du glaubst ... wenn du dir einbildest, daß unser menschliches Unterbewußtsein ...
GEORG
noch prononziert-akzentuierter; voll überzeugt und wie befreit aufatmend, nun doch, was ihm im Moment wie eine Lösung des Rätsels vorkommt, gefunden zu haben.

Grade das, ausgerechnet unter diesen Umständen und speziell in diesem Fall, erklärt mir jetzt mit einem Ruck, als ob durch Nacht, Nebel [644] und Dunkel auf einmal jäh ein Scheinwerfer gefallen wäre ... alles!!

MARIANNE
ausholend; im Gegensatz zu ihm langsame, jedes Detail besonders heraushebende und unterstreichende Sprechweise.

Auch ... daß in jener Todesnacht vor drei Jahren mir Mariette erschien? ... Auch ... daß sie den heutigen Tag mir prophezeite und daß sich diese Prophezeiung ...

GEORG
nachdem er nach der Uhr gestarrt, die in diesem Moment Dreiviertel geschlagen; wieder, erbittert, auf und ab.
Du kannst nicht sagen, daß sie sich schon erfüllt hat!
MARIANNE
wie vorhin.
Auch ... daß dein kleiner Sohn ...
GEORG
unruhig-betroffen; mit einem jähen Seitenblick.
Was ... soll ...
MARIANNE
auf seine Frage nicht reagierend; in ihrem Satz weiter.

Den wir bereits vollkommen wieder frisch und gesund gepflegt hatten ... nach sieben Wochen plötzlich ... ohne, daß die auf deinen eignen Wunsch vorgenommene Obduktion auch nur die geringste, erkennbare Todesursache ergeben hätte ...

GEORG
ablehnend-heftigst.

Üblich handwerkliche Unfähigkeit und Unwissenheit der Ärzte! Du wirst doch nicht behaupten ...? Mit der flachen Linken sich vor die Stirn schlagend. Es wäre doch einfach gar nicht auszudenken ...

MARIANNE
von seinem Einspruch völlig unberührt geblieben.

Auch ... daß dieser ... Fremde ... durch dessen unheilvolle Dazwischenkunft der Knoten sich überhaupt erst schürzte ... ohne dessen seltsames Auftauchen ich über das, was Mariette in den Tod getrieben, die letzte Sicherheit und Klarheit niemals bekommen, erlangt und erhalten hätte ... und ohne dessen schließliche Teilnahme an unsrer Sitzung wahrscheinlich nichts an den Tag gekommen wäre ... auch daß dieser Fremde ... nachdem wir schon voneinander Abschied genommen ... gradezu fast bis auf die Minute pünktlich ...

GEORG
kurz, scharf, abweisend-kühl.
Zufall!
MARIANNE
mit unwillkürlich etwas erhobnerer Stimme; immer eindringlicher.

Auch ... daß diese Sitzung ... vor der mein »Unterbewußtsein«, wie du es nennst, uns doch alle beide gleichzeitig, und zwar noch dazu auf das allernachdrücklichste gewarnt und abgemahnt hatte, dann grade dadurch, daß du diese Warnung [645] in ihr Gegenteil deutetest, obgleich ich mich mit aller Macht, Kraft und Gewalt dagegen sträubte und wehrte, und obgleich du deinen Willen infolgedessen schon so gut wie aufgegeben hattest, schließlich trotzdem und dennoch ...

GEORG
durch die Gewalt ihrer Gegengründe wankend geworden; veränderter Tonfall; fast bereits wieder verzweifelt.
Wie soll ich dir das alles ...
MARIANNE
noch stärker als vorhin; die Maschen ihres Netzes immer enger ziehend.

Und auch ... daß dann in und während dieser Sitzung mein angebliches Dublum, Doppelwesen oder zweites Ich so über alle Maßen und überhaupt jeden Begriff einfältig, kindisch und töricht gehandelt haben soll, daß es mit Hilfe dieses tückisch abscheulichen Schleiers, den es, ohne daß ich etwas davon wußte und ahnte ...

GEORG
zerquält; unter der logischen Unerbittlichkeit ihrer Argumentation sich fast »windend«.
Laß den ...
MARIANNE
von seinem Zwischenruf kaum unterbrochen, noch immer sich steigernd.

Daß es grade das ... was ich in unserm allereigensten Interesse, wachend, um keinen Preis dir verraten haben würde, euch allen durchsichtig, verschlagen arglistig offenbarte, bis es sich dann endlich und schließlich so haßerfüllt giftig perfid und bösartig gab, daß es dich zwang ...

GEORG
stehngeblieben; zu ihr rüber; flehendlichst.
Hab Mitleid! Hab ...
MARIANNE
in ihrer grausamen Aufrollung weiter.

Daß es dich zwang ... obwohl alles in dir wußte, obwohl du dir keinen Moment lang verhehlen konntest, was für dich und mich dabei auf dem Spiel stand ... obwohl du dir vollkommen darüber klar warst ...

GEORG
wie vorhin; fast von Sinnen.
Hab Erbarmen!!
MARIANNE
in ihrer Erregung wieder kein Mitleid kennend; noch nachdrücklicher; ihre Stimme nimmt einen beinahe ehernen Klang an.

Daß es dich zwang ... sinnlos auf mich zuzustürzen ... um ohnmächtig blind ... nach deinem dir auch zugleich und im selben Moment spurlos entgleitenden Todfeind zu packen ... der niemand anders gewesen war, als ...

GEORG
unter ihrem wie rächend auf ihn gerichteten Blick fast erstarrt.
»Als?«
[646]
MARIANNE
letzte ehernste Wucht; einen Moment fast wieder wie die Erscheinung im dritten Akt.
Als ... Mariette?!
GEORG
der unter diesem Wort heftigst zusammengezuckt war; ausbrechend; wieder auf und ab.

»Mariette!!« ... »Mariette!« Mariette, oder nicht ... mein Verstand steht hier still ... mein Gehirn versagt ... mein Intellekt kann nicht mehr mit, und ich erkläre mich vollkommen unfähig, an diesen Komplex ...

MARIANNE
nach ihrer furchtbaren Erregung wie zusammengebrochen; schmerzlichst.
Es hat also ... nichts ...
GEORG
in der Mitte der Bühne stehngeblieben; mit letzter Bestimmtheit; fast feierlich-ernst.

Nein! Das Opfer, das du mir gebracht ... ist unter jedem Gesichtspunkt, nach jeder Hinsicht und in jedem Betracht absolut ganz und gar nutzlos und vergeblich gewesen!

MARIANNE
wie vorhin; nur noch klagend-erschütterter.
»Absolut ganz und gar ...«
GEORG
immer machtvoller sich steigernd.

Nutzlos und vergeblich gewesen! Ja! Unser ganzem Suchen und Wissen ... je leidenschaftlicher und tiefer wir uns in die Dinge wühlen ... ist ein einziger, spiegelnder Irrgarten! Und mit jedem neuen Schritt, mit jeder neuen Biegung ... je trostloser wir uns in ihm verrennen ... immer wieder ... stiert uns grinsend an ... nichts ... als unsre verzerrte ... Fratze!!

MARIANNE
entsetzt-kläglichster Jammer.
Und mit ... diesem Bekenntnis ...
GEORG
noch immer in der Mitte der Bühne; mit gekrampften Fäusten etwas von ihr abgewandt; voll nach dem Zuschauerraum; herbste, ehernste Wucht.

Mit diesem Bekenntnis negiere ich alles, wonach ich bisher gestrebt, gebe ich jede Hoffnung, mich aus dem Uferlosen, in dem ich schwimme, auf die kleine, dürre Sandinsel, auf der mein Leben mir noch einen Sinn und mein Dasein mir noch etwas wie einen Zweck gehabt zu haben schien, je wieder zurückzuretten, endgültig und definitiv auf und weiß ... Noch immer sich steigernd; jetzt die Augen unwillkürlich, schmerzlichst, geschlossen. daß die große Verzweiflung, die noch alle gepackt, die sich auch nur den tausendsten Teil eines Millimeters über das regulär Übliche hinausgewagt haben, in vielleicht ... Die Augen wieder groß auf, die Fäuste noch immer [647] gekrampft, wie visionär vor sich hin. bereits ganz kurzer Zeit ... in allernahster Zukunst ... auch über mir zusammenschlagen wird!

MARIANNE
nach einer kleinen Pause; sich aufrichtend; Blick nach der Uhr; seltsam langsam und rhythmisch-feierlich.
Öffne ... die Tür dort ... und lösch ... die Lampe aus!
GEORG
nach einem Moment sprachlosen Entsetzens; durch ihren Stimmklang wie aus sich selbst aufgeschreckt; mit stockendem Atem.
Wo-zu? ... Wes-halb?
MARIANNE
ähnlich wie vorhin; fast rauh-befehlend.
Die schwüle Zimmerluft ... bedrückt mich ... und das Licht ...
GEORG
sie noch immer groß anstarrend; einen Augenblick fast wie hilflose Kopfbewegung nach der Tür rechts.
Soll ich nicht doch ... nach deinem Vater ...
MARIANNE
klagend-schmerzlichst; die Augen, halb abgewandt, jetzt einen Moment lang ebenfalls geschlossen.
Tut mir weh!
GEORG
nach einem raschen, verzweifelten Blick nach der Uhr.

Sofort! ... Mit bereits instinktiv halb ausgestreckter Rechten schnell um den Schreibtisch und dort .... Gleich! ... Das Licht ausschaltend; nachdem er die mittelsten Gardinen hastig zurückgezogen, auch Mariannes zweiten Wunsch erfüllend; aus dem Hintergrund wieder nach ihr zurückgedreht; weichster, hellster Mondschein; durch die nächtliche Stille zwei sich in diesem Moment kreuzende Autos; Nachtigallen. ... Deine Stimme ...

MARIANNE
wieder fast wie befehlend; tiefster Stimmklang; Geste etwas vor ihr nach links.
Komm!
GEORG
nachdem er wieder nm den Schreibtisch gegangen; beschwörend.
Nimm ... alle ...
MARIANNE
ihn voll anblickend, fest.
Du ... versprichst mir ...
GEORG
über ihre Worte hinweg; noch gesteigert- eindringlicher.
Nimm alle ... Kraft zusammen!
MARIANNE
mit noch erhobnerer Stimme nochmals.
Du gibst mir dein Wort ...
GEORG
wieder wie vorhin; als hätte er ihre befehlend-auffordernde Bitte gar nicht gehört; allerstärkst.
Alle ... Kraft!
MARIANNE
noch gesteigertst-eindringlicher.
Du ... schwörst mir zu ...
GEORG
verhalten-verzweifeltst.
Ich ... könnte dies Leben ...
[648]
MARIANNE
noch immer als hätte er gar nicht gesprochen, in ihrer Linie unerbittlich weiter.
Daß du morgen früh ... wenn ich ... dann nicht mehr bin ...
GEORG
noch näher auf sie zu; ausbrechend-flehendst.
Geh nicht ... von mir!! ... Geh nicht ... von mir!! Ohne dich ...
MARIANNE
nach einem neuen, angstvollen Blick auf die Uhr; schluchzend-klagend, fast rührend- kindlich.
Nur ... Nur noch ... wenige Minuten! Nur ...
GEORG
vor ihr zusammengebrochen; auf den Knieen.
Ma- ... rianne!!
MARIANNE
mit aller Kraft noch beherrscht; stockend-langsam; trotz ihres schmerzlichsten Stimmklangs fast wie aus einem leisen, heimlichen Glück.
Ich ... hätte doch nicht gedacht ... daß mir der Abschied von dir ...
GEORG
noch erstickt-herzzerreißender.
Marianne!!
MARIANNE
noch weicher.
Daß mir ... der Abschied von dir ...
GEORG
der ihre beiden Hände ergriffen und sie fest in seinen hält; zu ihr auf.
Ich flehe dich an! Ich bitte dich! Ich bitte dich auf den Knieen! Sprich nicht so!
MARIANNE
jetzt fast in Tränen.
So ... schwer fallen würde!
GEORG
sich von neuem zusammenraffend; immer eindringlich-flehender.

Reiß die dumme, törichte Einbildung, mit der du dich und mich jetzt zermarterst und von Sinnen bringst ...

MARIANNE
wieder erschreckt-angstvoll.
Die ... »dumme ...«
GEORG
noch stärker, wenn auch schon fast wieder am Rand seiner Kraft.
Reiß dich von ihr los, und ...
MARIANNE
noch unterdrückt-angstvoller; mit einem neuen hastigen Blick nach der Uhr.
Die »dumme, törichte Einbildung« wird dir und ... mir ...
GEORG
noch immer vor ihr auf den Knieen; wie gefoltert, fassungslost.
Marianne!!
MARIANNE
mit wieder veränderter Stimme; zutraulich-weichst; von neuem ausholend.
Lieber Georg!! Wenn ich morgen früh ... Mit stürzenden Tränen. Wenn du dann ganz allein bist ...
GEORG
energischst wieder aufgestanden und vor ihr mit ingrimmigst geballten Fäusten.
Dann werde ich den Hund ...
MARIANNE
ihn groß anstarrend; beschwörendst- flehend.
Du sollst deine Schuld ...
[649]
GEORG
in fast unveränderter Haltung; maßlos.
Und wenn ich sie zu einer tausendfachen machte, und wenn ihr euch alle ...
MARIANNE
wie nach Luft ringend.
Du ... sollst deine Hand ...
GEORG
haßerfülltst; fast knirschend durch die Zähne.
»Wie du mir ... so ...«
MARIANNE
ihre Worte nur noch mühsam, mit letzter Energie aus sich herausstoßend.
Du ... sollst sie nicht ... mit Blut beflecken!
GEORG
hoch aufgerichtet; jeder Nerv gespannt.

Marianne! ... Ich schwöre dir zu ... ich gebe dir mein Wort ... ich verspreche dir ... ich würde das rächende Gericht ... morgen früh ...

MARIANNE
wieder verzweifelst-klagend, die Augen geschlossen, fast wie in der Szene vorher.
Noch eh ... die Sonne ...
GEORG
in seinem Satz weiter; letzte, eisernste Entschlossenheit.
Über ihn abhalten ... und die gleiche Hand ... mit der gleichen Waffe ... noch am gleichen Tag ...
MARIANNE
in seine Atempause; mit halb brechender Stimme.
Sprichs nicht ...
GEORG
noch immer sich steigernd; wie vorhin.

Würde das gleiche ... rächende Gericht ... mit der gleichen ... kalten Ruhe und unbarmherzigen Sicherheit ...

MARIANNE
beide Hände am Herzen; unter seinen Worten sich fast windend.
Sprichs nicht ... aus! Ich ...
GEORG
versichernd-wuchtigst; noch immer in seinem selben Satz.
Sei überzeugt ...
MARIANNE
die Hände, wie ohnmächtig, schlaff über beide Lehnen; zerquält-verzweifeltst; die Augen wieder geschlossen.
Ge-org!!
GEORG
mit ausgebreiteten Armen, den Kopf zurück, seinen Satz machtvollst schließend.
Auch ... über mich ... abhalten!
MARIANNE
in letzter, sichtbarster Seelenqual; fast wimmernd.

Das ... darf nicht ... sein! Das ... das darf nicht geschehn! Das ... Das ... So ... grausam kann Mariette ...

GEORG
ihre letzten Worte unbarmherzig aufnehmend und jeden Akzent unterstrichendst betont.
So ... grausam hat Mariette ... mein Los ...
MARIANNE
von seiner Eröffnung fast zermalmt; die Augen wieder qualvollst geschlossen.
Georg!!
GEORG
in seinem Satz, jedes Wort wie aus Erz, weiter.

Mein Los mir [650] vorausgesagt, und unser beider Schicksal, verlaß dich drauf, geht in Erfüllung, wenn du nicht jetzt endlich ...

MARIANNE
nach einem Moment peinvollsten, letztinnerlichsten Ringens mit sich selbst; sich mit aller Macht und Gewalt aufraffend.

Ich werde ... alle ... meine Kraft zusammennehmen! Alle ... meine Kraft! Ich werde die dumme ... törichte Einbildung ...

GEORG
zu ihren Füßen, überwältigt, fast schuchzend.
Liebe! ... Süße!
MARIANNE
nach ihrer beider furchtbarer Erschüttrung fast wie durch Tränen bereits lächelnd.
Und wir wollen beide ... hoffen ...
GEORG
noch ähnlich wie vorhin; aus tiefster, seelischster Ergriffenheit.
Hab Dank! Hab Dank! Nun ...
MARIANNE
weichst; wärmst; seligst.
Du hast ... mich immer ... geliebt!
GEORG
der jetzt alles um sich vergessen; leidenschaftlichst; beide Arme wieder weit ausgebreitet.
Vom ... ersten ... Augenblick! Vom ... ersten ... Augenblick!
MARIANNE
noch gesteigerter als vorhin; tastend, stockend.
Du hast ... mit dir gekämpft ... und hast ... gelitten!
GEORG
einen Moment wieder wie schmerzlichst; jedes Wort von stärkstem Gefühl durchtränkt und schwerst betont.
Mehr ... als du glaubst! ... Mehr als du ... ahnst und glaubst! Oft ...
MARIANNE
die ihn voll verstanden; von sich aus ebenso.
Ich habe ... alles gewußt! Ich habe alles gewußt! Und oft ...
GEORG
der ihre beiden Hände wieder ergriffen; aus letztem Empfinden; noch inniger als vorhin.
Liebe!! ... Süße!!
MARIANNE
nach einer kleinen Pause; ruhiger.
Weißt du noch ... was du mir damals ... im Garten ...
GEORG
wie vorhin; nach ihrem vor Glück fast bebend ausgesprochenen Namen auf ihren Händen seine Lippen.
Marianne ...!!
MARIANNE
zu ihm herabblickend; jetzt wirklich mit einem leisen Lächeln.
»Mariette« ... sagtest du zu mir! ... »Mariette!«
GEORG
seligst-schmerzlichst; wie durch dieses Wort aus einen Augenblick in die Erdenwelt wieder zurückversetzt.
»Mariette!!«
MARIANNE
in ihrer Erinnerung immer seelischer.
Und als ich ... das Kettchen ...
GEORG
schmerzlichst-leidenschaftlichst.
Hättest du ... mir doch damals ...
[651]
MARIANNE
in einem Moment völligster Selbstvergessenheit; mit geschlossnen Augen.
Hätt ich s doch! ... Hätt ich s!
GEORG
durch ihr Bekenntnis erschüttert; voll zu ihr aufblickend; fast jubelnd.
Marianne!!
MARIANNE
ihm melancholisch-zärtlichst lächelnd durchs Schläfenhaar fahrend.
Grau! ... Grau!! ... Vor Schmerz und Kummer grau!! Und damals ...
GEORG
schmerzlichst; schwer.
Damals!! ... Damals!!
MARIANNE
letzte, seelischste Innigkeit.
Vom ersten ... Augenblick! ... Auch ... ich! ... Auch ... ich!
GEORG
ihr Geständnis in sich trinkend.
»Vom ersten ...«
MARIANNE
womöglich noch gesteigert.

Augenblick! ... Und als ... du dann gegangen ... der dunkle ... Abendgarten um mich schwieg ... deine letzten Worte ... klangen mir noch im Ohr ... Immer schmerzlicher, immer schwerer. ich stand ... und rang mit mir! ... Soll ich ... vor Mariette treten? ... Soll ich ... ihr alles ... bekennen? ... Soll ich ... Ich ... mußte dich ... ihr lassen!

GEORG
der vor erstickten Tränen kaum noch fähig ist, auch nur diese drei Worte zu stammeln.
Du ... mußtest mich ...
MARIANNE
letzte Trauer, letzter Schmerz.

Ihr lassen! ... Sich aufraffend; von neuem; jedes Wort wie ein schwerster, fallender Tropfen. Aber ... schon damals ... damals schon ... fühlte ... und ... wußte ich ... nie ... nie ... nie ... würde ... dein Bild ...

GEORG
unterdrückt seligster Jubel.
Liebe!! ... Süße!! ... Liebe!! ... Liebe!!
MARIANNE
vor Glück trunken; beide haben Zeit und Welt um sich vergessen, und es scheint einen Moment fast in der Tat, als ob »der Kelch« wirklich an ihnen »vorübergehen« sollte.
Immer ... dies Wort! Immer ... dies Wort!
GEORG
den Kopf selig in ihren Schoß vergrabend.
Und nie ... genug!! Nie ... genug!!
DUFROY
durch die Tür rechts; die beiden aus ihrem »Traum« schreckend; ganz verblüfft-überrascht, das Zimmer in diesem halbhellen Monddämmer zu finden.
Was ...?
GEORG
der sich sofort erhoben; fragend-unwillig nach ihm rüber.
Wie-so ...?
[652]
MARIANNE
unterdrückt-entsetzt, als ob sie den eben Eingetretenen, der in diesem Moment noch an der Tür steht, nicht sofort erkannt hätte.
Vater!!
DUFROY
zögernd-angstvoll näher.
Du tust ... so erschreckt ...?!
MARIANNE
die Linke wieder am Herzen, die Augen starr auf die Tür.
Mir ... war ...
GEORG
dem der jähe Schreck, der durch sie gegangen, noch in allen Gliedern liegt; sich mit Gewalt in seine alte Art und Haltung ruckend.
Wünschst du ... daß ich das Licht ...?
MARIANNE
die ihn gar nicht gehört; noch gesteigerter als vorhin.

Als ob durch die Tür ... Plötzlich zu Georg, der in diesem Augenblick die Lampe wieder aufgedreht hat, mit entsetzt schützend vorgestreckten Händen, qualvollst. Nicht!! ... Noch verstört- entsetzter, obgleich Georg die Lampe bereits, sofort, wieder ausgedreht hat. Nein!!!

DUFROY
um sie bemüht; fast fassungslos.
Kind!! ... Kind!!!
GEORG
ähnlich; wenn auch etwas bezwungner.
Marianne!!
MARIANNE
schwach, lasch; wie nach einem schwersten Anfall.
Es ... ist schon ... Mit dem Versuch, sich wieder aufzuraffen. Euch ... so ...
GEORG
besorgt-vorwurfsvoll.
Du hast mir ... versprochen ... dich zusammenzunehmen!
DUFROY
ihm, milder, assistierend.
Du mußt also ... auch dein Versprechen ...
GEORG
noch immer vergeblich Gefaßtheit und Ruhe markierend.
Du darfst jetzt nicht ... bei jedem Luftzug ...
MARIANNE
weich, rührend; fast wieder klagend- schmerzlich.
Habt ... ein bißchen ... Geduld mit mir! ... Geduld ... und ein bißchen ... Nachsicht!
DUFROY
mit aller Kraft den innern Aufruhr, der in ihm tobt, vor ihr zu verbergen trachtend; ihr zärtlichst übers Haar streichelnd.
Herzl!!
GEORG
sich wieder in Gang setzend; selbst auch jetzt noch fast wieder mit einem Gemisch leiser Eifersucht.
Liebster ... Schwiegervater ... du hättest ruhig ...
DUFROY
halb verwundert zu ihm rüber.
Ich konnte doch unmöglich ... drüben bleiben, während hier Marianne ...
[653]
GEORG
der jetzt keinen mehr anblickt; mit aller Gewalt sich wieder sammelnd.
Marianne ... hat auf mein vernünftiges Zureden ...
MARIANNE
in ihren halb somnambulen Zustand schon fast wieder zurückverfallen; skeptisch- schmerzlichst-ironisch.
»Auf dein ... vernünftiges ...«
GEORG
wie vorhin; noch gesteigert.

Auf mein vernünftiges Zureden ... ihre fixe Unglücksidee aufgesteckt ... und wir dürfen jetzt alle ... zuversichtlich ...

DUFROY
trotz des erst eben noch halb versteckten Protests von Marianne, über den er mit Absicht hinweggehört, unwillkürlich ans tiefstem Herzen aufatmend.
Gott sei ... gelobt und ... gedankt!
GEORG
mit einem wieder halb angstvollen und doch dabei jetzt wie bereits halb zuversichtlichen Blick nach der Uhr.
Noch ... wenge ...
DUFROY
um so eindringlich-hartnäckiger; nach Marianne wieder zurückgedreht.
Noch eine kurze ... Zeit ... und du wirst sehn ...
MARIANNE
wieder schmerzlichst; Blick vor sich hoch wie ins Leere; somnambul.
»Sehn ...!!«
GEORG
von neuem, nervös, auf und ab; fast wieder gereizt-heftig.
Daß deine ganze, törichte Eigensuggestion, mit der du dich unnütz gequält hast ...
DUFROY
vermittelnd; von einem zum andern.
Sie ... sieht s ja ... ein! Sie ...
GEORG
wieder stehngeblieben und nach ihr zurück; mit jedem Wort sich überstürzend-eifriger.

Solche Fälle kommen nicht vor! Solch ein Fall liegt außer aller Erfahrung! Solch ein Fall ... Hier steht dein Vater! Dein Vater wird dir sagen ... Dein Vater ...

DUFROY
als ob er aufs felsenfesteste davon überzeugt wäre.
Aber ganz gewiß nicht! Ganz und gar gewiß nicht! Marianne ... denkt nicht mehr daran!
MARIANNE
durch die es wieder wie ein Hoffnungsstrahl zuckt; sich mühend, aus ihrem Sessel aufzustehn.
Ob ich s ... versuche? ... Vielleicht ...
GEORG
während Dufroy ihr dabei behilflich ist; allereifrigst; jede Bewegung der beiden gespanntst verfolgend.
Versuchs! Versuchs! ... Vielleicht ... Vielleicht ...
DUFROY
das Vergebliche, jedenfalls aber zum mindesten Verfrühte ihrer vereinten Bemühungen bereits einsehend.
Du bist ... doch noch ...
[654]
GEORG
noch gesteigerter-eindringlicher; als ob der suggestiv-aufstachelnd-zuredende Ton seiner Worte ihr plötzliche Kräfte verleihen könne.
Versuch s! Versuch s!
MARIANNE
in ihren Sessel wieder zurücksinkend; matt.
Ich bin ... doch noch ... zu ... müde!
GEORG
noch immer an seinem Platz; auch jetzt noch sich steigernd; mit aller Kraft und Gewalt ihr und sich Zuversicht einredend.
Was tut s? Was tut s? In einer kleinen Viertelstunde ...
DUFROY
einfallend; noch stärker.
Ist alles wieder gut! Aber ohne jeden Zweifel! Ohne jeden Zweifel!
MARIANNE
der jetzt vor Dank und »Glück« fast wieder die Tränen kommen.
Ihr seid ... Beide ... Ihr seid ... zu mir ... alle Beide ...
DUFROY
mit beiden Händen ergriffen ihre Linke drückend.
Liebling!
GEORG
der jetzt ebenfalls bei ihr, ähnlich wie Dufroy, mit beiden Händen ihre Rechte hält.
Marianne!
MARIANNE
von einem zum andern hoch; »glücklich«.

Vater! ... Georg! ... Nach einer kleinen Pause, während der man fühlt, daß Georg und Dufroy, die einen stummen, vollsten Blick gewechselt, jetzt völlig miteinander ausgesöhnt; fernes Auto, Nachtigallenschlag; leise Kopfbewegung nach dem Garten hin. Nun ist ... Onkel Ludwig ... Abbrechend. Nicht wahr? ... Langsam-innigst. Wir haben ihn alle ... lieb gehabt!

DUFROY
warm.
Ja! ... Und es war ... seine schönste Tat ...
MARIANNE
in seinem Satz weiter.
Sich zu bezwingen ...
DUFROY
wie sie.
Und der alten Frau ...
MARIANNE
die ersten Worte zu Dufroy, die letzten zu Georg hoch.
Jetzt ... werden wenigstens ... seine letzten Tage ...
GEORG
ablenkend-einfallend; von neuem Auto.
Hoffen wir s!
MARIANNE
wieder nach der offnen Balkontür; die mild-frische Nachtluft wie in sich schlürfend.
Der ... herrliche ... Mondschein!
DUFROY
der die halbe Drehung, die Marianne dabei machen muß, für sie nicht ganz bequem hält.
Sitzst du nicht ...
GEORG
beide Hände bereits auf der Lehne.
Soll ich dir ... den Stuhl ...
MARIANNE
Geste; leicht ablehnend.

Danke! ... Nein! ... Ich kann ... wenn ich ... den Kopf ... Dufroy, von beiden unbemerkt, wieder Blick nach der Uhr; nochmals Auto.

[655]
GEORG
in das »Mondbild« einen Augenblick fast »versunken«; langsam.
Nachtigallen ... und Automobile!
MARIANNE
ähnlich.
Nachtigallen ... und ... Plötzlich jäh zusammengeschreckt und, wie irr, um sich blickend.
DUFROY
ebenso; ganz entsetzt.
Was hast du? Was ist dir?
GEORG
dem fast der Atem stockt; ähnlich.
Was war?!
MARIANNE
mit groß angstvoll aufgerissnen Augen, noch gesteigerter als vorhin.
Habt ihr ... nicht gesehn?
GEORG
allerstärkst; sich vergeblich im Raum umblickend.
Was?!
DUFROY
ebenso; matteres Echo.
Was?
MARIANNE
vorgebeugt; lauschend.
Habt ihr ... nicht gehört?
DUFROY
ganz ratlos; zu Georg rüber.
Ge-hört?
GEORG
zu Dufroy; ähnlich; nur noch stärker.
Ge- hört?!
MARIANNE
immer verstörter, immer angstvoller.
Es ist hier ... außer euch ...
DUFROY
schon fast kopflos.
»Außer ...?«
GEORG
noch mal allerstärkst.
Wer?!
MARIANNE
nach den betreffenden »Stellen«; sich permanent steigernd.
In der Tür! ... Am Kamin! ... Aus der Ecke!
DUFROY
sich entsetzt überall umblickend.
Wo?
GEORG
noch verstärkt.
Wo?!
MARIANNE
mitten vor sich in den Zuschauerraum; mit schlotternd vorgestrecktem Zeigefinger.
Dort! ... Dort!
GEORG
schärfst ebendorthin blickend.
Dort?!
MARIANNE
von Grauen in ihren Sessel wieder halb zurückgeworfen; als ob sie das Geschilderte leibhaft vor sich sähe.
Aufrecht! ... Schwebend! ... In einem fahlen ...
DUFROY
sich unwilligst zusammenruckend.
Du fieberst!
GEORG
noch stärker.
Du delirierst!
MARIANNE
von Angst geschüttelt; immer entsetzter.
In einem fahlen ... Schein! Die Augen ... gebrochen! Die Lippen ... bläulich! Das Kinn ...
GEORG
von innerstem Grausen gepackt, mit dem vergeblichen Versuch, sie in die »Realität« wieder zurückzurufen.
Marianne!!
MARIANNE
mit geschlossen Augen, beide Hände zitternd gekrampft, in ihrem Sessel ganz zurück; wie sich vor ihrer grauenhaften Halluzination in sich selbst verkriechend.
Wie ... damals!! Wie ...
[656]
DUFROY
mit gesammeltster Energie; nochmals unwillkürlich in den Zuschauerraum.
Ein leeres, wesenloses Trugbild!!
GEORG
ebenso; nur wieder noch stärker.
Ein Nichts!!
MARIANNE
die Augen wieder groß auf und den Blick von neuem vor sich auf den gleichen Fleck.
Wie ... damals!! Sich wie automatisch nach dem Kaminsims drehend. Nun wird gleich ... die Uhr ...
DUFROY
zitternd um sie bemüht; gurgelnder Angstlaut zu Georg.
Licht!!
GEORG
nach der Tür rechts stürzend und dort den elektrischen Schalter suchend, den er in seiner flatternden Hast und Angst nicht gleich im Moment findet; mit letzter, verweifeltster Energie, halb dabei nach ihr zurückgedreht, auf sie einredend.

Denk, daß du leben sollst!! ... Denk, daß du leben sollst!! ... In diesem Augenblick flammt über dem Schreibtisch die große Blumenkrone auf und das ganze Zimmer erscheint von ihrer blendenden Lichtflut wie durchtränkt. Denk ...

MARIANNE
noch nach der Uhr gedreht; die Linke wie abwehrend-schützend gegen das Licht gehoben, die Augen angstvollst auf dem blanken Zifferblatt.
Nun wird gleich ...
DUFROY
die Augen unwillkürlich ebenfalls wieder nach der Uhr; verzweifeltst-fassungslos.
Kind!!
GEORG
nach einem schnellen, ebenfalls wie verstörtesten Blick auf die Uhr; schon wieder bei ihr; noch gepeinigst-erschütterter.
Marianne!!
MARIANNE
jammerndst-flehendst; mit erhobnen Händen.

Du ... gibst mir ... dein Wort!! Du ... gibst mir ... dein Wort!! Ich ... kann nicht sterben, wenn du mir nicht ...

GEORG
vor ihr niederbrechend; beide Hände von ihr packend und sie sich verzweifelt auf seinen Kopf pressend, den er in ihren Schoß gräbt.
Marianne!!!
DUFROY
ihr entsetzt angstvollst-betunlichst Schultern und Arme streichelnd; suggestivst auf sie einsprechend.
Du darfst nicht sterben!! Du darfst uns nicht sterben! Du ...
GEORG
ihre beiden Hände wieder in seinen; zu ihr auf.
Denk, daß du leben sollst!! Denk ...
MARIANNE
immer schmerzlicher; immer angstzerquält-bettelnder.
Gib mir dein Wort!! Gib mir dein Wort!!
GEORG
beide Hände um ihre Handgelenke, die er jetzt weit auseinanderhält; [657] wie vorhin; gepeinigt- eindringlichst.
Ich gebe dir mein Wort, wenn du ...
MARIANNE
in ihrer furchtbaren, qualvollen Seelennot sich fast physisch windend.

Ich kann nicht mehr leben!! Ich will nicht mehr leben!! Ich ... Wie soll ich jetzt sterben, wenn du mir nicht ...

DUFROY
mit einem wie mahnend-flehenden Blick zu ihm; tiefst erschüttert.
Georg!
MARIANNE
die ihre beiden Hände inzwischen wie der von ihm befreit hat; klagendst-herzzerreißend.
Gib mir dein .... Wort!!!
DUFROY
der diesen Kampf zwischen den beiden länger nicht mehr ertragen kann; wieder suggestivst auf sie einredend.
Er ... hat es dir ja ...
GEORG
wieder vor ihr aufgestanden; ringend wie sie; mit verzweifeltst geballten Fäusten.
Nein!! Nein!!
MARIANNE
immer herzzerreißender; mit flehend- krampfhaft gefalteten Händen.
Hab ... Erbarmen!!
GEORG
wie vorhin; noch ohnmächtig-verzweifelter; stärkst.
Nein!!!
MARIANNE
zu Dufroy; letztes jammerndstes, hilfebettelndstes Flehen.
Vater!!
DUFROY
zu Georg; qualvoll-resigniert-schmerzlichster Blick von Marianne nach der Uhr rüber.
Du siehst ... daß jetzt alles ...
GEORG
nochmals, mit allerstimulierendst-verzweifeltster Glut und Kraft zu ihr.
Du sollst nicht sterben!!! Du darfst nicht sterben!!! Du ...
MARIANNE
über sein suggestivst-eindringliches Flehen hinweg; noch immer sich steigernd.
Gib mir dein Wort!!!
GEORG
den seine »Besinnung« fast bereits verläßt; halb schon beinah wie irr und verstört.
Du sollst leben!!! Du sollst leben!!! Du sollst ...
MARIANNE
nochmals; mit äußerster Kraft.
Gib mir dein Wort!!!
DUFROY
seine letzte, in diesem Augenblick gradezu fast übermenschliche Selbstlosigkeit zusammenraffend; sein ganzes männlich-entsagendes, wuchtiges, moralisches Übergewicht in die Wagschale werfend; fest.
Er ... hat dir ... er hat dir sein Wort ...
MARIANNE
halb noch wie fragend, halb schon fast selig.
Er ... hat mir ... sein Wort ...
GEORG
der sich nochmals gegen sie wehren will; kaum mehr fähig, auch nur noch diesen einen Laut aus sich herauszuschleudern.
Ich ...
[658]
DUFROY
noch stärker als vorhin; halb zu ihr, halb zu Georg; allersuggestivst.
Er hat es dir ja ... gegeben!!
MARIANNE
die wie aus dem Tiefsten aufgeatmet; visionär-verzückt.

Er ... hat es mir ... er ... hat es mir ... Plötzlich, mitten in ihrem Satz, stockend und sich halb aus ihrem Sessel erhebend; fast herrisch-abwehrende Geste gegen Georg und Dufroy mit der erhobnen Linken; mit angstvollst groß aufgerissnen Augen nach der Uhr hin. Still! ... Still!! ... Still!!! In diesem Moment, von draußen her alles still, deutlichst vernehmbar, das schnurrend-häßliche Anrucken des Uhrwerks. Habt ihr ... gehört? ... Habt ihr ... Plötzlich mit qualentstellten Zügen, die Augen starr nach oben vor sich hin, mit beiden Händen, daß man wieder deutlich deren doppeltes Aufklappen vernimmt .... Mariette!!! ... Nach ihrem Herzen greifend und in den Sessel, die Arme zwischen beiden Lehnen schlaff herabhängend, mit letztem Streckruck, zurück- und zusammensinkend.

GEORG
zurücktaumelnd, wie irr, als ob er über sich in der Luft noch etwas zu erblicken glaubte, nach oben stierend.
»Ma ...?«
DUFROY
der mit aller Kraft und Gewalt bis zum letzten Moment durchgehalten; einen kurzen Augenblick sein Ohr an ihrem Herzen; sich, erschütterst, wieder aufrichtend.
Ihr ... Herz ...
GEORG
ganz atemlos-starr; wie das vor seinen Augen eben Geschehne noch nicht fassend und begreifend.
Ihr ... Herz ...
DUFROY
ihr die noch immer, glanzlos, nach oben gerichteten Augen zudrückend.
Sie ... ist ... Nicht fähig, weiterzusprechen.
GEORG
unwillkürlich etwas vorgebeugt; den Blick stier auf der Toten; verhalten-stärkst.
Un-möglich!!
DUFROY
halb abgewandt.
Sie ... Die Linke, wie schützend, über die Augen; etwas leiser; gebrochen. ist ...
GEORG
völlig zermalmt und zerschmettert vor der Toten niederbrechend; letzter, herzzerreißendster Verzweiflungsschrei.
Marianne!!! Den Kopf wieder in ihrem Schoß.
DUFROY
der seine Linke inzwischen wieder schlaff hatte sinken lassen; die Rechte vor der Stirn, die Augen geschlossen, den Kopf zurück; in jetzt plötzlich schmerzlich-klagendster Zurückerinnerung an die ihm gewordene Prophezeiung.
»Geschlagner, als ...«
[659]
GEORG
jetzt wieder aufgestanden; mit gekrampften Händen vor der Toten zurück bis in die Mitte der Bühne; Blick fest auf die Uhr; mit letzter, von neuem wieder gesammeltster Energie.

»Morgen früh ... In diesem Moment beginnt, fein, silbern und schnell, der Uhrschlag; Georg, wie grade durch dieses »Memento« nur noch gesteigert; mit jedem Wort eiserner und entschlossner. noch bevor die Sonne ... voll ... aufgegangen ... sein wird!« Während die letzten fünf Schläge verklingen, sinkt langsam der Vorhang.

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