[123]

Melodie

An Lyda


Lyda, siehe! zauberisch umwunden
Hält das All der Liebe Schöpferhand,
Erd und Himmel wandeln treu verbunden,
Laut und Seele knüpft der Liebe Band.
Lüftchen säuseln, Donner rollen nieder –
Staune, Liebe! staun und freue dich!
Seelen finden sich im Donner wieder,
Seelen kennen in dem Lüftchen sich.
Am Gesträuche lullt in Liebesträume
Süße Trunkenheit das Mädchen ein,
Haucht der Frühling durch die Blütenbäume,
Summen Abendsang die Käferlein;
Helden springen von der Schlummerstätte,
Grüßt sie brüderlich der Nachtorkan;
Hinzuschmettern die Tyrannenkette,
Wallen sie die traute Schreckenbahn.
Wo der Totenkranz am Grabe flüstert,
Wo der Wurm in schwarzen Wunden nagt,
Wo, vom grauen Felsenstrauch umdüstert,
Durch die Heide hin der Rabe klagt,
Wo die Lerch im Tale froher Lieder,
Plätschernd die Forell im Bache tanzt,
Tönt die Seele Sympathieen wieder,
Von der Liebe Zauber eingepflanzt.
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Wo des Geiers Schrei des Raubs sich freuet,
Wo der Aar dem Felsennest entbraust,
Wo Gemäuer ächzend niederdräuet,
Wo der Wintersturm in Trümmern saust,
Wo die Woge, vom Orkan bezwungen,
Wieder auf zum schwarzen Himmel tost,
Trinkt das Riesenherz Begeisterungen,
Von den Schmeicheltönen liebgekost.
Felsen zwingt zu trauten Mitgefühlen
Tausendstimmiger Naturgesang,
Aber süßer tönt von Saitenspielen
Allgewaltiger ihr Zauberklang;
Rascher pocht im angestammten Triebe,
Bang und süße, wie der jungen Braut,
Jeder Aderschlag, in trunkner Liebe
Findt das Herz den brüderlichen Laut.
Aus des Jammerers erstarrtem Blicke
Locket Labetränen Flötenton,
Im Gedränge schwarzer Mißgeschicke
Schafft die Schlachttrommete Siegeslohn,
Wie der Stürme Macht im Rosenstrauche,
Reißt dahin der Saiten Ungestüm,
Kosend huldiget dem Liebeshauche
Sanfter Melodie der Rache Grimm.
Reizender erglüht der Wangen Rose,
Flammenatem haucht der Purpurmund,
Hingebannt bei lispelndem Gekose
Schwört die Liebe den Vermählungsbund;
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Niegesungne königliche Lieder
Sprossen in des Sängers Brust empor,
Stolzer schwebt des Hochgesangs Gefieder,
Rührt der Töne Reigentanz das Ohr,
Wie sie langsam erst am Hügel wallen,
Majestätisch dann wie Siegersgang,
Hochgehoben zu der Freude Hallen,
Liebe singen und Triumphgesang,
Dann durch Labyrinthe hingetragen
Fürder schleichen in dem Todestal,
Bis die Nachtgefilde schöner tagen,
Bis Entzückung jauchzt am Göttermahl.
Ha! und wann mir in des Sanges Tönen
Näher meiner Liebe Seele schwebt,
Hingegossen in Entzückungstränen
Näher ihr des Sängers Seele bebt,
Wähn ich nicht vom Körper losgebunden
Hinzujauchzen in der Geister Land? –
Lyda! Lyda! zauberisch umwunden
Hält das All der Liebe Schöpferhand.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Hölderlin, Friedrich. Gedichte. Gedichte 1784-1800. Melodie. Melodie. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-7B35-B