[165] Fremdes Fühlen

Ich ging spät abends neben dem Damm,
Nicht träumerisch, nicht wirklich froh,
Halb künftiger Schmerzen süßdumpf bewußt,
Halb sehnend um eine Zeit, die floh,
Wie einer, der eine Laute trägt,
Die ihm beim Gehn um die Schulter schlägt
Und drin so sehnsüchtig der Wind sich fängt,
Daß es ihm wie Erinnrung das Herz bedrängt.
Wir gingen den Weg spät abends zuzweit,
Der andere ging ihn schon vielemal,
Er kannt ihn so gut, fast bei jedem Baum
Befiel ihn Erinnern mit süßer Qual.
Zwischen Hecken tauchten Paare auf,
Verliebte, müde, dann und wann,
Mit welkem Flieder geschmückt, und schauten
Uns durch die Dämmerung seltsam an,
Wie Menschen schauen, die ihre Welt
So trunken und traumhaft umfangen hält,
Sie schauen auf einen, als träten sie ein
Aus Dämmerung in einen grellen Schein.
Der neben mir kannte das alles so gut,
Sehnsüchtge Erinnerung erregte sein Blut,
Er bebte, wie eine Laute bebt,
Wenn durch ihre Leere der Nachtwind schwebt.
Drum hab ich gesagt: ich war nicht froh,
Nicht traurig, nur ahnend ergriffen, so
Wie einer, der eine Laute trägt,
Die leise stöhnend das Herz ihm bewegt.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Hofmannsthal, Hugo von. Gedichte. Die Gedichte 1891-1898. Fremdes Fühlen. Fremdes Fühlen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-79E3-A