[202] Verwandlung

Nach S.T. Coleridge

Dichter

Auf einmal war ein liebliches Gebild,
Auf einmal wars an meines Bettes Rand,
Saß neben mir und stützte seine Hand
Auf meine Kissen und sah still mich an,
Daß süßer Schauer mir das Mark durchrann,
Und ich begriff: dies ist mein wahres Ich,
Das lautlos sich zu mir herüberschlich
Und nun mit tiefen Blicken mich ernährt.
Doch ach! ich hatte mich ja nicht geregt,
Und schon! so schnell! wie es sich von mir kehrt,
Wie es auf einmal fremde Züge trägt,
Versteinernd unter meinem müden Blick!
Und nun – sein Antlitz kam ihm nicht zurück –
Und dennoch: Fremde auf ein Fremdes starrend,
Fühlt ich im Innern einen Wahn beharrend,
Ein Wissen, das vom tiefsten Platz nicht wich,
Dies ist nicht Fremdes, sondern dies bin ich!
Freund

Soll von der Wirklichkeit dies Rätsel handeln?
Solls etwas geben oder nur betören?
In welchem Zeitraum, laß uns mindest hören,
Sich zutrug dies entsetzliche Verwandeln?
Dichter

Bann es in eines Augenblickes Räume,
So ists ein bröckelnd Nichts vom Land der Träume.
Nimm, Jahre haben dunkel dir gewirkt,
Du siehst, was jedes Leben in sich birgt.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Hofmannsthal, Hugo von. Gedichte. Die Gedichte 1891-1898. Verwandlung. Verwandlung. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-7930-9