Hugo von Hofmannsthal
Der Schwierige
Lustspiel in drei Akten

[332]

Personen

Personen.

    • Hans Karl Bühl.

    • Crescence, seine Schwester.

    • Stani, ihr Sohn.

    • Helene Altenwyl.

    • Altenwyl.

    • Antoinette Hechingen.

    • Hechingen.

    • Neuhoff.

    • Edine,
    • Nanni,
    • Huberta, Antoinettes Freundinnen.

    • Agathe, Kammerjungfer.

    • Neugebauer, Sekretär.

    • Lukas, erster Diener bei Hans Karl.

    • Vinzenz, ein neuer Diener.

    • Ein berühmter Mann.

    • Bühlsche und Altenwylsche Diener.
    • [332]

1. Akt

1. Szene
Erste Szene
Lukas herein mit Vinzenz.

LUKAS.

Hier ist das sogenannte Arbeitszimmer. Verwandtschaft und sehr gute Freunde werden hier hereingeführt, oder nur wenn speziell gesagt wird, in den grünen Salon.

VINZENZ
tritt ein.
Was arbeitet er? Majoratsverwaltung? Oder was? Politische Sachen?
LUKAS.
Durch diese Spalettür kommt der Sekretär herein.
VINZENZ.

Privatsekretär hat er auch? Das sind doch Hungerleider! Verfehlte Existenzen! Hat er bei ihm was zu sagen?

LUKAS.

Hier gehts durch ins Toilettezimmer. Dort werden wir jetzt hineingehen und Smoking und Frack herrichten zur Auswahl je nachdem, weil nichts Spezielles angeordnet ist.

VINZENZ
schnüffelt an allen Möbeln herum.

Also was? Sie wollen mir jetzt den Dienst zeigen? Es hätte Zeit gehabt bis morgen früh, und wir hätten uns jetzt kollegial unterhalten können. Was eine Herrenbedienung ist, das ist mir seit vielen Jahren zum Bewußtsein gekommen, also beschränken Sie sich auf das Nötigste; damit meine ich die Besonderheiten. Also was? Fangen Sie schon an!

LUKAS
richtet ein Bild, das nicht ganz gerade hängt.

Er kann kein Bild und keinen Spiegel schief hängen sehen. Wenn er anfängt, alle Laden aufzusperren oder einen verlegten Schlüssel zu suchen, dann ist er sehr schlechter Laune.

VINZENZ.

Lassen Sie jetzt solche Lappalien. Sie haben mir doch gesagt, daß die Schwester und der Neffe, die hier im [333] Hause wohnen, auch jedesmal angemeldet werden müssen.

LUKAS
putzt mit dem Taschentuch an einem Spiegel.
Genau wie jeder Besuch. Darauf hält er sehr streng.
VINZENZ.

Was steckt da dahinter? Da will er sie sich vom Leibe halten. Warum läßt er sie dann hier wohnen? Er wird doch mehrere Häuser haben? Das sind doch seine Erben. Die wünschen doch seinen Tod.

LUKAS.

Die Frau Gräfin Crescence und der Graf Stani? Ja, da sei Gott vor! Ich weiß nicht, wie Sie mir vorkommen!

VINZENZ.

Lassen Sie Ihre Ansichten. Was bezweckt er also, wenn er die im Haus hat? Das interessiert mich. Nämlich: es wirft ein Licht auf gewisse Absichten. Die muß ich kennen, bevor ich mich mit ihm einlasse.

LUKAS.
Auf was für gewisse Absichten?
VINZENZ.

Wiederholen Sie nicht meine Worte! Für mich ist das eine ernste Sache. Konvenierendenfalls ist das hier eine Unterbringung für mein Leben. Wenn Sie sich zurückgezogen haben als Verwalter, werde ich hier alles in die Hand nehmen. Das Haus paßt mir eventuell soweit nach allem, was ich höre. Aber ich will wissen, woran ich bin. Wenn er sich die Verwandten da ins Haus setzt, heißt das soviel als: er will ein neues Leben anfangen. Bei seinem Alter und nach der Kriegszeit ist das ganz erklärlich. Wenn man einmal die geschlagene Vierzig auf dem Rücken hat. –

LUKAS.
Der Erlaucht vierzigste Geburtstag ist kommendes Jahr.
VINZENZ.
Kurz und gut, er will ein Ende machen mit den Weibergeschichten. Er hat genug von den Spanponaden.
LUKAS.
Ich verstehe Ihr Gewäsch nicht.
VINZENZ.

Aber natürlich verstehen Sie mich ganz gut, Sie Herr Schätz. – Es stimmt das insofern mit dem überein, was mir die Portierin erzählt hat. Jetzt kommt alles darauf an: geht er mit der Absicht um, zu heiraten? In diesem Fall kommt eine legitime Weiberwirtschaft ins Haus, was hab ich da zu suchen? – Oder er will sein Leben als Junggeselle mit mir beschließen! Äußern Sie mir also darüber Ihre[334] Vermutungen. Das ist der Punkt, der für mich der Hauptpunkt ist, nämlich.

LUKAS
räuspert sich.
VINZENZ.
Was erschrecken Sie mich?
LUKAS.
Er steht manchmal im Zimmer, ohne daß man ihn gehen hört.
VINZENZ.
Was bezweckt er damit? Will er einen hineinlegen? Ist er überhaupt so heimtückisch?
LUKAS.
In diesem Fall haben Sie lautlos zu verschwinden.
VINZENZ.
Das sind mir ekelhafte Gewohnheiten. Die werde ich ihm zeitig abgewöhnen.
2. Szene
Zweite Szene
HANS KARL
ist leise eingetreten.
Bleiben Sie nur, Lukas. Sind Sies, Neugebauer?

Vinzenz steht seitwärts im Dunkeln.
LUKAS.

Erlaucht melde untertänigst, das ist der neue Diener, der vier Jahre beim Durchlaucht Fürst Palm war.

HANS KARL.

Machen Sie nur weiter mit ihm. Der Herr Neugebauer soll herüberkommen mit den Akten, betreffend Hohenbühl. Im übrigen bin ich für niemand zu Hause.


Man hört eine Glocke.
LUKAS.
Das ist die Glocke vom kleinen Vorzimmer.

Geht.
Vinzenz bleibt.
Hans Karl ist an den Schreibtisch getreten.
3. Szene
Dritte Szene
LUKAS
tritt ein und meldet.
Frau Gräfin Freudenberg.

Crescence ist gleich nach ihm eingetreten.
Lukas tritt ab, Vinzenz ebenfalls.
CRESCENCE.
Stört man dich, Kari? Pardon –
HANS KARL.
Aber, meine gute Crescence.
CRESCENCE.
Ich geh hinauf, mich anziehen – für die Soiree.
[335]
HANS KARL.
Bei Altenwyls?
CRESCENCE.
Du erscheinst doch auch? Oder nicht? Ich möchte nur wissen, mein Lieber.
HANS KARL.

Wenns dir gleich gewesen wäre, hätte ich mich eventuell später entschlossen und vom Kasino aus eventuell abtelephoniert. Du weißt, ich binde mich so ungern.

CRESCENCE.
Ah ja.
HANS KARL.
Aber wenn du auf mich gezählt hättest –
CRESCENCE.

Mein lieber Kari, ich bin alt genug, um allein nach Hause zu fahren – überdies kommt der Stani hin und holt mich ab. Also du kommst nicht?

HANS KARL.
Ich hätt mirs gern noch überlegt.
CRESCENCE.

Eine Soiree wird nicht attraktiver, wenn man über sie nachdenkt, mein Lieber. Und dann hab ich geglaubt, du hast dir draußen das viele Nachdenken ein bißl abgewöhnt. Setzt sich zu ihm, der beim Schreibtisch steht. Sei Er gut, Kari, hab Er das nicht mehr, dieses Unleidliche, Sprunghafte, Entschlußlose, daß man sich hat aufs Messer streiten müssen mit Seinen Freunden, weil der eine Ihn einen Hypochonder nennt, der andere einen Spielverderber, der dritte einen Menschen, auf den man sich nicht verlassen kann. – Du bist in einer so ausgezeichneten Verfassung zurückgekommen, jetzt bist du wieder so, wie du mit zweiundzwanzig Jahren warst, wo ich beinah verliebt war in meinen Bruder.

HANS KARL.
Meine gute Crescence, machst du mir Komplimente?
CRESCENCE.

Aber nein, ich sags, wie's ist: da ist der Stani ein unbestechlicher Richter; er findet dich einfach den ersten Herrn in der großen Welt, bei ihm heißts jetzt Onkel Kari hin, Onkel Kari her, man kann ihm kein größeres Kompliment machen, als daß er dir ähnlich sieht, und das tut er ja auch – in den Bewegungen ist er ja dein zweites Selbst –, er kennt nichts Eleganteres als die Art, wie du die Menschen behandelst, das große air, die distance, die du allen Leuten gibst – dabei die komplette Gleichmäßigkeit und Bonhomie auch gegen den Niedrigsten – aber er hat natürlich, [336] wie ich auch, deine Schwächen heraus; er adoriert den Entschluß, die Kraft, das Definitive, er haßt den Wiegel- Wagel, darin ist er wie ich!

HANS KARL.

Ich gratulier dir zu deinem Sohn, Crescence. Ich bin sicher, daß du immer viel Freud an ihm erleben wirst.

CRESCENCE.

Aber – pour revenir à nos moutons, Herr Gott, wenn man durchgemacht hat, was du durchgemacht hast, und sich dabei benommen hat, als wenn es nichts wäre –

HANS KARL
geniert.
Das hat doch jeder getan!
CRESCENCE.

Ah, pardon, jeder nicht. Aber da hätte ich doch geglaubt, daß man seine Hypochondrien überwunden haben könnte!

HANS KARL.

Die vor den Leuten in einem Salon hab ich halt noch immer. Eine Soiree ist mir ein Graus, ich kann mir halt nicht helfen. Ich begreife noch allenfalls, daß sich Leute finden, die ein Haus machen, aber nicht, daß es welche gibt, die hingehen.

CRESCENCE.
Also wovor fürchtest du dich? Das muß sich doch diskutieren lassen. Langweilen dich die alten Leut?
HANS KARL.
Ah, die sind ja charmant, die sind so artig.
CRESCENCE.
Oder gehen dir die Jungen auf die Nerven?
HANS KARL.

Gegen die hab ich gar nichts. Aber die Sache selbst ist mir halt so eine horreur, weißt du, das Ganze – das Ganze ist so ein unentwirrbarer Knäuel von Mißverständnissen. Ah, diese chronischen Mißverständnisse!

CRESCENCE.

Nach allem, was du draußen durchgemacht hast, ist mir das eben unbegreiflich, daß man da nicht abgehärtet ist.

HANS KARL.

Crescence, das macht einen ja nicht weniger empfindlich, sondern mehr. Wieso verstehst du das nicht? Mir können über eine Dummheit die Tränen in die Augen kommen – oder es wird mir heiß vor gêne über eine ganze Kleinigkeit, über eine Nuance, die kein Mensch merkt, oder es passiert mir, daß ich ganz laut sag, was ich mir denk – das sind doch unmögliche Zuständ, um unter Leut zu gehen. Ich kann dir gar nicht definieren, aber es ist stärker als ich. Aufrichtig gestanden: ich habe vor zwei Stunden Auftrag gegeben, bei Altenwyls abzusagen. Vielleicht eine andere Soiree, nächstens, aber die nicht.

[337]
CRESCENCE.
Die nicht. Also warum grad die nicht?
HANS KARL.
Es ist stärker als ich, so ganz im allgemeinen.
CRESCENCE.
Wenn du sagst, im allgemeinen, so meinst du was Spezielles.
HANS KARL.
Nicht die Spur, Crescence.
CRESCENCE.
Natürlich. Aha. Also, in diesem Punkt kann ich dich beruhigen.
HANS KARL.
In welchem Punkt?
CRESCENCE.
Was die Helen betrifft.
HANS KARL.
Wie kommst du auf die Helen?
CRESCENCE.

Mein Lieber, ich bin weder taub noch blind, und daß die Helen von ihrem fünfzehnten Lebensjahr an bis vor kurzem, na, sagen wir, bis ins zweite Kriegsjahr, in dich verliebt war bis über die Ohren, dafür hab ich meine Indizien, erstens, zweitens und drittens.

HANS KARL.
Aber Crescence, da redest du dir etwas ein –
CRESCENCE.

Weißt du, daß ich mir früher, so vor drei, vier Jahren, wie sie eine ganz junge Debütantin war, eingebildet hab, das wär die eine Person auf der Welt, die dich fixieren könnt, die deine Frau werden könnt. Aber ich bin zu Tode froh, daß es nicht so gekommen ist. Zwei so komplizierte Menschen, das tut kein gut.

HANS KARL.

Du tust mir zuviel Ehre an. Ich bin der unkomplizierteste Mensch von der Welt. Er hat eine Lade am Schreibtisch herausgezogen. Aber ich weiß gar nicht, wie du auf die Idee – ich bin der Helen attachiert, sie ist doch eine Art von Kusine, ich hab sie so klein gekannt – sie könnte meine Tochter sein. Sucht in der Lade nach etwas.

CRESCENCE.

Meine schon eher. Aber ich möcht sie nicht als Tochter. Und ich möcht erst recht nicht diesen Baron Neuhoff als Schwiegersohn.

HANS KARL.
Den Neuhoff? Ist das eine so ernste Geschichte?
CRESCENCE.
Sie wird ihn heiraten.
HANS KARL
stößt die Lade zu.
CRESCENCE.

Ich betrachte es als vollzogene Tatsache, dem zu Trotz, daß er ein wildfremder Mensch ist, dahergeschneit aus irgendeiner Ostseeprovinz, wo sich die Wölf gute Nacht sagen –

[338]
HANS KARL.
Geographie war nie deine Stärke. Crescence, die Neuhoffs sind eine holsteinische Familie.
CRESCENCE.
Aber das ist doch ganz gleich. Kurz, wildfremde Leut.
HANS KARL.
Übrigens eine ganz erste Familie. So gut alliiert, als man überhaupt sein kann.
CRESCENCE.
Aber, ich bitt dich, das steht im Gotha. Wer kann denn das von hier aus kontrollieren?
HANS KARL.
Du bist aber sehr acharniert gegen den Menschen.
CRESCENCE.

Es ist aber auch danach! Wenn eins der ersten Mädeln, wie die Helen, sich auf einem wildfremden Menschen entêtiert, dem zu Trotz, daß er hier in seinem Leben keine Position haben wird –

HANS KARL.
Glaubst du?
CRESCENCE.

In seinem Leben! dem zu Trotz, daß sie sich aus seiner Suada nichts macht, kurz, sich und der Welt zu Trotz –


Eine kleine Pause.
HANS KARL
zieht mit einiger Heftigkeit eine andere Lade heraus.
CRESCENCE.
Kann ich dir suchen helfen? Du enervierst dich.
HANS KARL.

Ich dank dir tausendmal, ich such eigentlich gar nichts, ich hab den falschen Schlüssel hineingesteckt.

SEKRETÄR
erscheint an der kleinen Tür.
Oh, ich bitte untertänigst um Verzeihung.
HANS KARL.
Ein bissel später bin ich frei, lieber Neugebauer.
SEKRETÄR
zieht sich zurück.
CRESCENCE
tritt an den Tisch.
Kari, wenn dir nur ein ganz kleiner Gefallen damit geschieht, so hintertreib ich diese Geschichte.
HANS KARL.
Was für eine Geschichte?
CRESCENCE.
Die, von der wir sprechen: Helen- Neuhoff. Ich hintertreib sie von heut auf morgen.
HANS KARL.
Was?
CRESCENCE.

Ich nehm Gift darauf, daß sie heute noch genau so verliebt in dich ist wie vor sechs Jahren, und daß es nur ein Wort, nur den Schatten einer Andeutung braucht –

HANS KARL.
Die ich dich um Gottes willen nicht zu machen bitte –
[339]
CRESCENCE.
Ah so, bitte sehr. Auch gut.
HANS KARL.

Meine Liebe, allen Respekt vor deiner energischen Art, aber so einfach sind doch gottlob die Menschen nicht.

CRESCENCE.

Mein Lieber, die Menschen sind gottlob sehr einfach, wenn man sie einfach nimmt. Ich seh also, daß diese Nachricht kein großer Schlag für dich ist. Um so besser – du hast dich von der Helen desinteressiert, ich nehm das zur Kenntnis.

HANS KARL
aufstehend.

Aber ich weiß nicht, wie du nur auf den Gedanken kommst, daß ich es nötig gehabt hätt, mich zu desinteressieren. Haben denn andere Personen auch diese bizarren Gedanken?

CRESCENCE.
Sehr wahrscheinlich.
HANS KARL.
Weißt du, daß mir das direkt Lust macht, hinzugehen?
CRESCENCE.

Und dem Theophil deinen Segen zu geben? Er wird entzückt sein. Er wird die größten Bassessen machen, um deine Intimität zu erwerben.

HANS KARL.

Findest du nicht, daß es sehr richtig gewesen wäre, wenn ich mich unter diesen Umständen schon längst bei Altenwyls gezeigt hätte? Es tut mir außerordentlich leid, daß ich abgesagt habe.

CRESCENCE.
Also laß wieder anrufen: es war ein Mißverständnis durch einen neuen Diener und du wirst kommen.
LUKAS
tritt ein.
HANS KARL
zu Crescence.
Weißt du, ich möchte es doch noch überlegen.
LUKAS.
Ich hätte für später untertänigst jemanden anzumelden.
CRESCENCE
zu Lukas.

Ich geh. Telephonieren Sie schnell zum Grafen Altenwyl, Seine Erlaucht würden heut abend dort erscheinen. Es war ein Mißverständnis.

LUKAS
sieht Hans Karl an.
HANS KARL
ohne Lukas anzusehen.

Da müßt er allerdings auch noch vorher ins Kasino telephonieren, ich laß den Grafen Hechingen bitten, zum Diner und auch nachher nicht auf mich zu warten.

[340]
CRESCENCE.

Natürlich, das macht er gleich. Aber zuerst zum Grafen Altenwyl, damit die Leut wissen, woran sie sind.

LUKAS
ab.
CRESCENCE
steht auf.

So, und jetzt laß ich dich deinen Geschäften. Im Gehen. Mit welchem Hechingen warst du besprochen? Mit dem Nandi?

HANS KARL.
Nein, mit dem Adolf.
CRESCENCE
kommt zurück.
Der Antoinette ihrem Mann? Ist er nicht ein kompletter Dummkopf?
HANS KARL.

Weißt du, Crescence, darüber hab ich gar kein Urteil. Mir kommt bei Konversationen auf die Länge alles sogenannte Gescheite dumm und noch eher das Dumme gescheit vor –

CRESCENCE.
Und ich bin von vornherein überzeugt, daß an ihm mehr ist als an ihr.
HANS KARL.

Weißt du, ich hab ihn ja früher gar nicht gekannt, oder – Er hat sich gegen die Wand gewendet und richtet an einem Bild, das nicht gerade hängt. nur als Mann seiner Frau – und dann draußen, da haben wir uns miteinander angefreundet. Weißt du, er ist ein so völlig anständiger Mensch. Wir waren miteinander, im Winter Fünfzehn, zwanzig Wochen in der Stellung in den Waldkarpathen, ich mit meinen Schützen und er mit seinen Pionieren, und wir haben das letzte Stückl Brot miteinander geteilt. Ich hab sehr viel Respekt vor ihm bekommen. Brave Menschen hats draußen viele gegeben, aber ich habe nie einen gesehen, der vis-à-vis dem Tod sich eine solche Ruhe bewahrt hätte, beinahe eine Art Behaglichkeit.

CRESCENCE.

Wenn dich seine Verwandten reden hören könnten, die würden dich umarmen. So geh hin zu dieser Närrin und versöhn sie mit dem Menschen, du machst zwei Familien glücklich. Diese ewig in der Luft hängende Idee einer Scheidung oder Trennung, ghupft wie gsprungen, geht ja allen auf die Nerven. Und außerdem wär es für dich selbst gut, wenn die Geschichte in eine Form käme.

[341]
KARL HANS.
Inwiefern das?
CRESCENCE.

Also, damit ich dirs sage: es gibt Leut, die den ungereimten Gedanken aussprechen, wenn die Ehe annulliert werden könnt, du würdest sie heiraten.

HANS KARL
schweigt.
CRESCENCE.

Ich sag ja nicht, daß es seriöse Leut sind, die diesen bei den Haaren herbeigezogenen Unsinn zusammenreden.

HANS KARL
schweigt.
CRESCENCE.
Hast du sie schon besucht, seit du aus dem Feld zurück bist?
HANS KARL.
Nein, ich sollte natürlich.
CRESCENCE
nach der Seite sehend.
So besuch sie doch morgen und red ihr ins Gewissen.
HANS KARL
bückt sich, wie um etwas aufzuheben.
Ich weiß wirklich nicht, ob ich gerade der richtige Mensch dafür wäre.
CRESCENCE.

Du tust sogar direkt ein gutes Werk. Dadurch gibst du ihr deutlich zu verstehen, daß sie auf dem Holzweg war, wie sie mit aller Gewalt sich hat vor zwei Jahren mit dir affichieren wollen.

HANS KARL
ohne sie anzusehen.
Das ist eine Idee von dir.
CRESCENCE.
Ganz genau so, wie sie es heut auf den Stani abgesehen hat.
HANS KARL
erstaunt.
Deinen Stani?
CRESCENCE.

Seit dem Frühjahr. Sie war bis zur Tür gegangen, kehrt wieder um, kommt bis zum Schreibtisch. Er könnte mir da einen großen Gefallen tun, Kari –

HANS KARL.
Aber ich bitte doch um Gottes willen, so sag Sie doch!

Er bietet ihr Platz an, sie bleibt stehen.
CRESCENCE.

Ich schick Ihm den Stani auf einen Moment herunter. Mach Er ihm den Standpunkt klar. Sag Er ihm, daß die Antoinette – eine Frau ist, die einen unnötig kompromittiert. Kurz und gut, verleid Er sie ihm.

HANS KARL.
Ja, wie stellst du dir denn das vor? Wenn er verliebt in sie ist?
[342]
CRESCENCE.

Aber Männer sind doch nie so verliebt, und du bist doch das Orakel für den Stani. Wenn du die Konversation benützen wolltest – versprichst du mirs?

HANS KARL.
Ja, weißt du – wenn sich ein zwangloser Übergang findet –
CRESCENCE
ist wieder bis zur Tür gegangen, spricht von dort aus.

Du wirst schon das Richtige finden. Du machst dir keine Idee, was du für eine Autorität für ihn bist. Im Begriff hinauszugehen, macht sie wiederum kehrt, kommt bis an den Schreibtisch vor. Sag ihm, daß du sie unelegant findest – und daß du dich nie mit ihr eingelassen hättest. Dann läßt er sie von morgen an stehen. Sie geht wieder zur Tür, das gleiche Spiel. Weißt du, sags ihm nicht zu scharf, aber auch nicht gar zu leicht. Nicht gar zu sous-entendu. Und daß er ja keinen Verdacht hat, daß es von mir kommt – er hat die fixe Idee, ich will ihn verheiraten, natürlich will ich, aber – er darfs nicht merken: darin ist er ja so ähnlich mit dir: die bloße Idee, daß man ihn beeinflussen möcht –! Noch einmal das gleiche Spiel. Weißt du, mir liegt sehr viel daran, daß es heute noch gesagt wird, wozu einen Abend verlieren? Auf die Weise hast du auch dein Programm: du machst der Antoinette klar, wie du das Ganze mißbilligst – du bringst sie auf ihre Ehe – du singst dem Adolf sein Lob – so hast du eine Mission, und der ganze Abend hat einen Sinn für dich. Sie geht.

4. Szene
Vierte Szene
VINZENZ
ist von rechts hereingekommen, sieht sich zuerst um, ob Crescence fort ist, dann.

Ich weiß nicht, ob der erste Diener gemeldet hat, es ist draußen eine jüngere Person, eine Kammerfrau oder so etwas –

HANS KARL.
Um was handelt sichs?
[343]
VINZENZ.

Sie kommt von der Frau Gräfin Hechingen nämlich. Sie scheint so eine Vertrauensperson zu sein. Nochmals näher tretend. Eine verschämte Arme ist es nicht.

HANS KARL.
Ich werde das alles selbst sehen, führen Sie sie herein.

Vinzenz rechts ab.
5. Szene
Fünfte Szene
LUKAS
schnell herein durch die Mitte.

Ist untertänigst Euer Erlaucht gemeldet worden? Von Frau Gräfin Hechingen die Kammerfrau, die Agathe. Ich habe gesagt: Ich weiß durchaus nicht, ob Erlaucht zu Hause sind.

HANS KARL.
Gut. Ich habe sagen lassen, ich bin da. Haben Sie zum Gafen Altenwyl telephoniert?
LUKAS.

Ich bitte Erlaucht untertänigst um Vergebung. Ich habe bemerkt, Erlaucht wünschen nicht, daß telephoniert wird, wünschen aber auch nicht, der Frau Gräfin zu widersprechen – so habe ich vorläufig nichts telephoniert.

HANS KARL
lächelnd.
Gut, Lukas.
LUKAS
geht bis an die Tür.
HANS KARL.
Lukas, wie finden Sie den neuen Diener?
LUKAS
zögernd.
Man wird vielleicht sehen, wie er sich macht.
HANS KARL.
Unmöglicher Mann. Auszahlen. Wegexpedieren!
LUKAS.
Sehr wohl, Euer Erlaucht. So hab ich mir gedacht.
HANS KARL.
Heute abend nichts erwähnen.
6. Szene
Sechste Szene
Vinzenz führt Agathe herein. Beide Diener ab.

HANS KARL.
Guten Abend, Agathe.
AGATHE.
Daß ich Sie sehe, Euer Gnaden Erlaucht! Ich zittre ja.
HANS KARL.
Wollen Sie sich nicht setzen?
[344]
AGATHE
stehend.
Oh, Euer Gnaden, seien nur nicht ungehalten darüber, daß ich gekommen bin, statt dem Brandstätter.
HANS KARL.
Aber liebe Agathe, wir sind ja doch alte Bekannte. Was bringt Sie denn zu mir?
AGATHE.
Mein Gott, das wissen doch Erlaucht. Ich komm wegen der Briefe.
HANS KARL
ist betroffen.
AGATHE.

O Verzeihung, o Gott, es ist ja nicht zum Ausdenken, wie mir meine Frau Gräfin eingeschärft hat, durch mein Betragen nichts zu verderben.

HANS KARL
zögernd.

Die Frau Gräfin hat mir allerdings geschrieben, daß gewisse in meiner Hand befindliche, ihr gehörige Briefe, würden von einem Herrn Brandstätter am Fünfzehnten abgeholt werden. Heute ist der Zwölfte, aber ich kann natürlich die Briefe auch Ihnen übergeben. Sofort, wenn es der Wunsch der Frau Gräfin ist. Ich weiß ja, Sie sind der Frau Gräfin sehr ergeben.

AGATHE.
Gewisse Briefe – wie Sie das sagen, Erlaucht. Ich weiß ja doch, was das für Briefe sind.
HANS KARL
kühl.
Ich werde sofort den Auftrag geben.
AGATHE.

Wenn sie uns so beisammen sehen könnte, meine Frau Gräfin. Das wäre ihr eine Beruhigung, eine kleine Linderung.

HANS KARL
fängt an, in der Lade zu suchen.
AGATHE.

Nach diesen entsetzlichen sieben Wochen, seitdem wir wissen, daß unser Herr Graf aus dem Felde zurück ist und wir kein Lebenszeichen von ihm haben –

HANS KARL
sieht auf.
Sie haben vom Grafen Hechingen kein Lebenszeichen?
AGATHE.

Von dem! Wenn ich sage »unser Herr Graf«, das heißt in unserer Sprache Sie, Erlaucht! Vom Grafen Hechingen sagen wir nicht »unser Herr Graf«!

HAND KARL
sehr geniert.
Ah, pardon, das konnte ich nicht wissen.
AGATHE
schüchtern.

Bis heute nachmittag haben wir ja geglaubt, daß heute bei der gräflich Altenwylschen Soiree das [345] Wiedersehen sein wird. Da telephoniert mir die Jungfer von der Komtesse Altenwyl: Er hat abgesagt!

HANS KARL
steht auf.
AGATHE.

Er hat abgesagt, Agathe, ruft die Gräfin, abgesagt, weil er gehört hat, daß ich hinkomme! Dann ist doch alles vorbei, und dabei schaut sie mich an mit einem Blick, der einen Stein erweichen könnte.

HANS KARL
sehr höflich, aber mit dem Wunsche, ein Ende zu machen.

Ich fürchte, ich habe die gewünschten Briefe nicht hier in meinem Schreibtisch, ich werde gleich meinen Sekretär rufen.

AGATHE.
O Gott, in der Hand eines Sekretärs sind diese Briefe! Das dürfte meine Frau Gräfin nie erfahren!
HANS KARL.
Die Briefe sind natürlich eingesiegelt.
AGATHE.
Eingesiegelt! So weit ist es schon gekommen?
HANS KARL
spricht ins Telephon.

Lieber Neugebauer, wenn Sie für einen Augenblick herüberkommen würden! Ja, ich bin jetzt frei – Aber ohne die Akten – es handelt sich um etwas anderes. Augenblicklich? Nein, rechnen Sie nur zu Ende. In drei Minuten, das genügt.

AGATHE.
Er darf mich nicht sehen, er kennt mich von früher!
HANS KARL.
Sie können in die Bibliothek treten, ich mach Ihnen Licht.
AGATHE.
Wie hätten wir uns denn das denken können, daß alles auf einmal vorbei ist.
HANS KARL
im Begriff, sie hinüberzuführen, bleibt stehen, runzelt die Stirn.

Liebe Agathe, da Sie ja von allem informiert sind – ich verstehe nicht ganz, ich habe ja doch der Frau Gräfin aus dem Feldspital einen langen Brief geschrieben, dieses Frühjahr.

AGATHE.
Ja, den abscheulichen Brief.
HANS KARL.
Ich verstehe Sie nicht. Es war ein sehr freundschaftlicher Brief.
AGATHE.

Das war ein perfider Brief. So gezittert haben wir, als wir ihn gelesen haben, diesen Brief. Erbittert waren wir und gedemütigt!

HANS KARL.
Ja, worüber denn, ich bitt Sie um alles!
AGATHE
sieht ihn an.

Darüber, daß Sie darin den Grafen Hechingen [346] so herausgestrichen haben – und gesagt haben, auf die Letzt ist ein Mann wie der andere, und ein jeder kann zum Ersatz für einen jeden genommen werden.

HANS KARL.
Aber so habe ich mich doch gar nicht ausgedrückt. Das waren doch niemals meine Gedanken!
AGATHE.

Aber das war der Sinn davon. Ah, wir haben den Brief oft und oft gelesen! Das, hat meine Frau Gräfin ausgerufen, das ist also das Resultat der Sternennächte und des einsamen Nachdenkens, dieser Brief, wo er mir mit dürren Worten sagt: ein Mann ist wie der andere, unsere Liebe war nur eine Einbildung, vergiß mich, nimm wieder den Hechingen –

HANS KARL.
Aber nichts von all diesen Worten ist in dem Brief gestanden.
AGATHE.

Auf die Worte kommts nicht an. Aber den Sinn haben wir gut herausbekommen. Diesen demütigenden Sinn, diese erniedrigenden Folgerungen. Oh, das wissen wir genau. Dieses Sichselbsterniedrigen ist eine perfide Kunst. Wo der Mann sich anklagt in einer Liebschaft, da klagt er die Liebschaft an. Und im Handumdrehen sind wir die Angeklagten.

HANS KARL
schweigt.
AGATHE
einen Schritt näher tretend.

Ich habe gekämpft für unsern Herrn Grafen, wie meine Frau Gräfin gesagt hat: Agathe, du wirst es sehen, er will die Komtesse Altenwyl heiraten, und nur darum will er meine Ehe wieder zusammenleimen.

HANS KARL.
Das hat die Gräfin mir zugemutet?
AGATHE.

Das waren ihre bösesten Stunden, wenn sie über dem gegrübelt hat. Dann ist wieder ein Hoffnungsstrahl gekommen. Nein, vor der Helen, hat sie dann gerufen, nein, vor der fürcht ich mich nicht – denn die lauft ihm nach; und wenn dem Kari eine nachlauft, die ist bei ihm schon verloren, und sie verdient ihn auch nicht, denn sie hat kein Herz.

HANS KARL
richtet etwas.
Wenn ich Sie überzeugen könnte –
AGATHE.
Aber dann plötzlich wieder die Angst –
HANS KARL.
Wie fern mir das alles liegt –
[347]
AGATHE.
O Gott, ruft sie aus, er war noch nirgends! Wenn das bedeutungsvoll sein sollte –
HANS KARL.
Wie fern mir das liegt!
AGATHE.
Wenn er vor meinen Augen sich mit ihr verlobt –
HANS KARL.
Wie kann nur die Frau Gräfin –
AGATHE.
Oh, so etwas tun Männer, aber Sie tuns nicht, nicht wahr, Erlaucht?
HANS KARL.
Es liegt mir nichts in der Welt ferner, meine liebe Agathe.
AGATHE.
Oh, küß die Hände, Erlaucht!

Küßt ihm schnell die Hand.
HANS KARL
entzieht ihr die Hand.
Ich höre meinen Sekretär kommen.
AGATHE.

Denn wir wissen ja, wir Frauen, daß so etwas Schönes nicht für die Ewigkeit ist. Aber, daß es deswegen auf einmal plötzlich aufhören soll, in das können wir uns nicht hineinfinden!

HANS KARL.
Sie sehen mich dann. Ich gebe Ihnen selbst die Briefe und – Herein! Kommen Sie nur, Neugebauer.

Agathe rechts ab.
7. Szene
Siebente Szene
NEUGEBAUER
tritt ein.
Euer Erlaucht haben befohlen.
HANS KARL.

Wenn Sie die Freundlichkeit hätten, meinem Gedächtnis etwas zu Hilfe zu kommen. Ich suche ein Paket Briefe – es sind private Briefe, versiegelt – ungefähr zwei Finger dick.

NEUGEBAUER.
Mit einem von Euer Erlaucht darauf geschriebenen Datum? Juni 15 bis 22. Oktober 16?
HANS KARL.
Ganz richtig. Sie wissen –
NEUGEBAUER.

Ich habe dieses Konvolut unter den Händen gehabt, aber ich kann mich im Moment nicht besinnen. Im Drang der Geschäfte unter so verschiedenartigen Agenden, die täglich zunehmen –

HANS KARL
ganz ohne Vorwurf.
Es ist mir unbegreiflich, wie diese ganz privaten Briefe unter die Akten geraten sein können –
[348]
NEUGEBAUER.
Wenn ich befürchten müßte, daß Euer Erlaucht den leisesten Zweifel in meine Diskretion setzen –
HANS KARL.
Aber das ist mir ja gar nicht eingefallen.
NEUGEBAUER.

Ich bitte, mich sofort nachsuchen zu lassen; ich werde alle meine Kräfte daransetzen, dieses höchst bedauerliche Vorkommnis aufzuklären.

HANS KARL.
Mein lieber Neugebauer, Sie legen dem ganzen Vorfall viel zu viel Gewicht bei.
NEUGEBAUER.

Ich habe schon seit einiger Zeit die Bemerkung gemacht, daß etwas an mir neuerdings Euer Erlaucht zur Ungeduld reizt. Allerdings war mein Bildungsgang ganz auf das Innere gerichtet, und wenn ich dabei vielleicht keine tadellosen Salonmanieren erworben habe, so wird dieser Mangel vielleicht in den Augen eines wohlwollenden Beurteilers aufgewogen werden können durch Qualitäten, die persönlich hervorheben zu müssen meinem Charakter allerdings nicht leicht fallen würde.

HANS KARL.

Ich zweifle keinen Augenblick, lieber Neugebauer. Sie machen mir den Eindruck, überanstrengt zu sein. Ich möchte Sie bitten, sich abends etwas früher freizumachen. Machen Sie doch jeden Abend einen Spaziergang mit Ihrer Braut.

NEUGEBAUER
schweigt.
HANS KARL.

Falls es private Sorgen sind, die Sie irritieren, vielleicht könnte ich in irgendeiner Beziehung erleichternd eingreifen.

NEUGEBAUER.
Euer Erlaucht nehmen an, daß es sich bei unsereinem ausschließlich um das Materielle handeln könnte.
HANS KARL.
Ich habe gar nicht solches sagen wollen. Ich weiß, Sie sind Bräutigam, also gewiß glücklich –
NEUGEBAUER.
Ich weiß nicht, ob Euer Erlaucht auf die Beschließerin von Schloß Hohenbühl anspielen?
HANS KARL.
Ja, mit der Sie doch seit fünf Jahren verlobt sind.
NEUGEBAUER.

Meine gegenwärtige Verlobte ist die Tochter eines höheren Beamten. Sie war die Braut meines besten Freundes, der vor einem halben Jahr gefallen ist. Schon bei Lebzeiten ihres Verlobten bin ich ihrem Herzen nahegestanden – und ich habe es als ein heiliges Vermächtnis des[349] Gefallenen betrachtet, diesem jungen Mädchen eine Stütze fürs Leben zu bieten.

HANS KARL
zögernd.
Und die frühere langjährige Beziehung?
NEUGEBAUER.
Die habe ich natürlich gelöst. Selbstverständlich in der vornehmsten und gewissenhaftesten Weise.
HANS KARL.
Ah!
NEUGEBAUER.

Ich werde natürlich allen nach dieser Seite hin eingegangenen Verpflichtungen nachkommen und diese Last schon in die junge Ehe mitbringen. Allerdings keine Kleinigkeit.

HANS KARL
schweigt.
NEUGEBAUER.

Vielleicht ermessen Euer Erlaucht doch nicht zur Genüge, mit welchem bitteren, sittlichen Ernst das Leben in unsern glanzlosen Sphären behaftet ist, und wie es sich hier nur darum handeln kann, für schwere Aufgaben noch schwerere einzutauschen.

HANS KARL.
Ich habe gemeint, wenn man heiratet, so freut man sich darauf.
NEUGEBAUER.
Der persönliche Standpunkt kann in unserer bescheidenen Welt nicht maßgebend sein.
HANS KARL.
Gewiß, gewiß. Also Sie werden mir die Briefe möglichst finden.
NEUGEBAUER.
Ich werde nachforschen, und wenn es sein müßte, bis Mitternacht.

Ab.
HANS KARL
vor sich.

Was ich nur an mir habe, daß alle Menschen so tentiert sind, mir eine Lektion zu erteilen, und daß ich nie ganz bestimmt weiß, ob sie nicht das Recht dazu haben.

8. Szene
Achte Szene
STANI
steht in der Mitteltür, im Frack.
Pardon, nur um dir guten Abend zu sagen, Onkel Kari, wenn man dich nicht stört.
HANS KARL
war nach rechts gegangen, bleibt jedoch stehen.
Aber gar nicht.

Bietet ihm Platz an und eine Zigarette.
[350]
STANI
nimmt die Zigarette.

Aber natürlich chipotierts dich, wenn man unangemeldet hereinkommt. Darin bist du ganz wie ich. Ich haß es auch, wenn man mir die Tür einrennt. Ich will immer zuerst meine Ideen ein bißl ordnen.

HANS KARL.
Ich bitte, genier dich nicht, du bist doch zu Hause.
STANI.
O pardon, ich bin bei dir –
HANS KARL.
Setz dich doch.
STANI.
Nein wirklich, ich hätte nie gewagt, wenn ich nicht so deutlich die krähende Stimm vom Neugebauer –
HANS KARL.
Er ist im Moment gegangen.
STANI.

Sonst wäre ich ja nie – Nämlich der neue Diener lauft mir vor fünf Minuten im Korridor nach und meldet mir, notabene ungefragt, du hättest die Jungfer von der Antoinette Hechingen bei dir und wärest schwerlich zu sprechen.

HANS KARL
halblaut.
Ah, das hat er dir – ein reizender Mann!
STANI.
Da wäre ich ja natürlich unter keinen Umständen –
HANS KARL.
Sie hat ein paar Bücher zurückgebracht.
STANI.
Die Toinette Hechingen liest Bücher?
HANS KARL.
Es scheint. Ein paar alte französische Sachen.
STANI.
Aus dem Dixhuitième. Das paßt zu ihren Möbeln.
HANS KARL
schweigt.
STANI.
Das Boudoir ist charmant. Die kleine Chaiselongue! Sie ist signiert.
HANS KARL.
Ja, die kleine Chaiselongue. Riesener.
STANI.
Ja, Riesener. Was du für ein Namengedächtnis hast! Unten ist die Signatur.
HANS KARL.
Ja, unten am Fußende.
STANI.

Sie verliert immer ihre kleinen Kämme aus den Haaren, und wenn man sich dann bückt, um die zusammenzusuchen, dann sieht man die Inschrift.

HANS KARL
geht nach rechts hinüber und schließt die Tür nach der Bibliothek.
STANI.
Ziehts dir, bist du empfindlich?
HANS KARL.
Ja, meine Schützen und ich, wir sind da draußen rheumatisch geworden wie die alten Jagdhunde.
STANI.
Weißt du, sie spricht charmant von dir, die Antoinette.
HANS KARL
raucht.
Ah! –
[351]
STANI.

Nein, ohne Vergleich. Ich verdanke den Anfang meiner Chance bei ihr ganz gewiß dem Umstand, daß sie mich so fabelhaft ähnlich mit dir findet. Zum Beispiel unsere Hände. Sie ist in Ekstase vor deinen Händen. Er sieht seine eigene Hand an. Aber bitte, erwähn nichts von allem gegen die Mamu. Es ist halt ein weitgehender Flirt, aber deswegen doch keine Bandelei. Aber die Mamu übertreibt sich alles.

HANS KARL.
Aber mein guter Stani, wie käme ich denn auf das Thema?
STANI.
Allmählich ist sie natürlich auch auf die Unterschiede zwischen uns gekommen. Ça va sans dire.
HANS KARL.
Die Antoinette?
STANI.
Sie hat mir geschildert, wie der Anfang eurer Freundschaft war.
HANS KARL.
Ich kenne sie ja ewig lang.
STANI.

Nein, aber das vor zwei Jahren. Im zweiten Kriegsjahr. Wie du nach der ersten Verwundung auf Urlaub warst, die paar Tage in der Grünleiten.

HANS KARL.
Datiert sie von daher unsere Freundschaft?
STANI.

Natürlich. Seit damals bist du ihr großer Freund. Als Ratgeber, als Vertrauter, als was du willst, einfach hors ligne. Du hättest dich benommen wie ein Engel.

HANS KARL.
Sie übertreibt sehr leicht, die gute Antoinette.
STANI.

Aber sie hat mir ja haarklein erzählt, wie sie aus Angst vor dem Alleinsein in der Grünleiten mit ihrem Mann, der gerade auch auf Urlaub war, sich den Feri Uhlfeldt, der damals wie der Teufel hinter ihr her war, auf den nächsten Tag hinausbestellt, wie sie dann dich am Abend vorher im Theater sieht und es wie eine Inspiration über sie kommt, sie dich bittet, du solltest noch abends mit ihr hinausfahren und den Abend mit ihr und dem Adolf zu dritt verbringen.

HANS KARL.
Damals hab ich ihn noch kaum gekannt.
STANI.

Ja, das entre parenthèse, das begreift sie gar nicht! Daß du dich später mit ihm hast so einlassen können. Mit diesem öden Dummkopf, diesem Pedanten.

HANS KARL.
Da tut sie ihrem Mann unrecht, sehr!
STANI.
Na, da will ich mich nicht einmischen. Aber sie erzählt das reizend.
[352]
HANS KARL.
Das ist ja ihre Stärke, diese kleinen Konfidenzen.
STANI.

Ja, damit fangt sie an. Diesen ganzen Abend, ich sehe ihn vor mir, wie sie dann nach dem Souper dir den Garten zeigt, die reizenden Terrassen am Fluß, wie der Mond aufgeht-

HANS KARL.
Ah, so genau hat sie dir das erzählt.
STANI.

Und wie du in der einen nächtlichen Konversation die Kraft gehabt hast, ihr den Feri Uhlfeldt vollkommen auszureden.

HANS KARL
raucht und schweigt.
STANI.

Das bewundere ich ja so an dir: du redest wenig, bist so zerstreut und wirkst so stark. Deswegen find ich auch ganz natürlich, worüber sich so viele Leut den Mund zerreißen: daß du im Herrenhaus seit anderthalb Jahren deinen Sitz eingenommen hast, aber nie das Wort ergreifst. Vollkommen in der Ordnung ist das für einen Herrn wie du bist! Ein solcher Herr spricht eben durch seine Person! Oh, ich studier dich. In ein paar Jahren hab ich das. Jetzt hab ich noch zuviel Passion in mir. Du gehst nie auf die Sache aus und hast so gar keine Suada, das ist gerade das Elegante an dir. Jeder andere wäre in dieser Situation ihr Liebhaber geworden.

HANS KARL
mit einem nur in den Augen merklichen Lächeln.
Glaubst du?
STANI.

Unbedingt. Aber ich versteh natürlich sehr gut: in deinen Jahren bist du zu serios dafür. Es tentiert dich nicht mehr: so leg ich mirs zurecht. Weißt du, das liegt so in mir: ich denk über alles nach. Wenn ich Zeit gehabt hätt, auf der Universität zu bleiben – für mich: Wissenschaft, das wäre mein Fach gewesen. Ich wäre auf Sachen, auf Probleme gekommen, auf Fragestellungen, an die andere Menschen gar nicht streifen. Für mich ist das Leben ohne Nachdenken kein Leben. Zum Beispiel: Weiß man das auf einmal, so auf einen Ruck: Jetzt bin ich kein junger Herr mehr? – Das muß ein sehr unangenehmer Moment sein.

HANS KARL.

Weißt du, ich glaub, es kommt ganz allmählich. Wenn einem auf einmal der andere bei der Tür vorausgehen läßt und du merkst dann: ja, natürlich, er ist viel jünger, obwohl er auch schon ein erwachsener Mensch ist.

[353]
STANI.

Sehr interessant. Wie du alles gut beobachtest. Darin bist du ganz wie ich. Und dann wirds einem so zur Gewohnheit, das Ältersein?

HANS KARL.

Ja, es gibt immer noch gewisse Momente, die einen frappieren. Zum Beispiel, wenn man sich plötzlich klarwird, daß man nicht mehr glaubt, daß es Leute gibt, die einem alles erklären könnten.

STANI.

Eines versteh ich aber doch nicht, Onkel Kari, daß du mit dieser Reife und konserviert wie du bist nicht heiratest.

HANS KARL.
Jetzt.
STANI.

Ja, eben jetzt. Denn der Mann, der kleine Abenteuer sucht, bist du doch nicht mehr. Weißt du, ich würde natürlich sofort begreifen, daß sich jede Frau heut noch für dich interessiert. Aber die Toinette hat mir erklärt, warum ein Interesse für dich nie serios wird.

HANS KARL.
Ah!
STANI.
Ja, sie hat viel darüber nachgedacht. Sie sagt: du fixierst nicht, weil du nicht genug Herz hast.
HANS KARL.
Ah!
STANI.

Ja, dir fehlt das Eigentliche. Das, sagt sie, ist der enorme Unterschied zwischen dir und mir. Sie sagt: du hast das Handgelenk immer geschmeidig, um loszulassen, das spürt eine Frau, und wenn sie selbst im Begriff wäre, sich in dich zu verlieben, so verhindert das die Kristallisation.

HANS KARL.
Ah, so drückt sie sich aus?
STANI.

Das ist ja ihr großer Charme, daß sie eine Konversation hat. Weißt du, das brauch ich absolut: eine Frau die mich fixieren soll, die muß außer ihrer absoluten Hingebung auch eine Konversation haben.

HANS KARL.
Darin ist sie delizios.
STANI.

Absolut. Das hat sie: Charme, Geist und Temperament, so wie sie etwas anderes nicht hat: nämlich Rasse.

HANS KARL.
Du findest?
STANI.

Weißt du, Onkel Kari, ich bin ja so gerecht; eine Frau kann hundertmal das Äußerste an gutem Willen für mich gehabt haben – ich geb ihr, was sie hat, und ich sehe unerbittlich, was sie nicht hat. Du verstehst mich: Ich denk über [354] alles nach, und mach mir immer zwei Kategorien. Also die Frauen teile ich in zwei große Kategorien: die Geliebte, und die Frau, die man heiratet. Die Antoinette gehört in die erste Kategorie, sie kann hundertmal die Frau vom Adolf Hechingen sein, für mich ist sie keine Frau, sondern – das andere.

HANS KARL.
Das ist ihr Genre, natürlich. Wenn man die Menschen so einteilen will.
STANI.
Absolut. Darum ist es, in Parenthese, die größte Dummheit, sie mit ihrem Mann versöhnen zu wollen.
HANS KARL.

Wenn er aber doch einmal ihr Mann ist? Verzeih, das ist vielleicht ein sehr spießbürgerlicher Gedanke.

STANI.

Weißt du, verzeih mir, ich mache mir meine Kategorien, und da bin ich dann absolut darin, ebenso über die Galanterie, ebenso über die Ehe. Die Ehe ist kein Experiment. Sie ist das Resultat eines richtigen Entschlusses.

HANS KARL.
Von dem du natürlich weit entfernt bist.
STANI.
Aber gar nicht. Augenblicklich bereit, ihn zu fassen.
HANS KARL.
Im jetzigen Moment?
STANI.

Ich finde mich außerordentlich geeignet, eine Frau glücklich zu machen, aber bitte, sag das der Mamu nicht, ich will mir in allen Dingen meine volle Freiheit bewahren. Darin bin ich ja haarklein wie du. Ich vertrage nicht, daß man mich beengt.

HANS KARL
raucht.
STANI.
Der Entschluß muß aus dem Moment hervorgehen. Gleich oder gar nicht, das ist meine Devise!
HANS KARL.

Mich interessiert nichts auf der Welt so sehr, als wie man von einer Sache zur andern kommt. Du würdest also nie einen Entschluß vor dich hinschieben?

STANI.
Nie, das ist die absolute Schwäche.
HANS KARL.
Aber es gibt doch Komplikationen?
STANI.
Die negiere ich.
HANS KARL.
Beispielsweise sich kreuzende widersprechende Verpflichtungen.
STANI.
Von denen hat man die Wahl, welche man lösen will.
HANS KARL.
Aber man ist doch in dieser Wahl bisweilen sehr behindert.
[355]
STANI.
Wieso?
HANS KARL.
Sagen wir durch Selbstvorwürfe.
STANI.
Das sind Hypochondrien. Ich bin vollkommen gesund. Ich war im Feld nicht einen Tag krank.
HANS KARL.
Ah, du bist mit deinem Benehmen immer absolut zufrieden?
STANI.
Ja, wenn ich das nicht wäre, so hätte ich mich doch anders benommen.
HANS KARL.

Pardon, ich spreche nicht von Unkorrektheiten – aber du läßt mit einem Wort den Zufall, oder nennen wirs das Schicksal, unbedenklich walten?

STANI.
Wieso? Ich behalte immer alles in der Hand.
HANS KARL.

Zeitweise ist man aber halt doch versucht, bei solchen Entscheidungen einen bizarren Begriff einzuschieben: den der höheren Notwendigkeit.

STANI.
Was ich tue, ist eben notwendig, sonst würde ich es nicht tun.
HANS KARL
interessiert.

Verzeih, wenn ich aus der aktuellen Wirklichkeit heraus exemplifiziere – das schickt sich ja eigentlich nicht –

STANI.
Aber bitte –
HANS KARL.
Eine Situation würde dir, sagen wir, den Entschluß zur Heirat nahelegen.
STANI.
Heute oder morgen.
HANS KARL.
Nun bist du mit der Antoinette in dieser Weise immerhin befreundet.
STANI.
Ich brouillier mich mit ihr, von heut auf morgen!
HANS KARL.
Ah! Ohne jeden Anlaß?
STANI.

Aber der Anlaß liegt doch immer in der Luft. Bitte. Unsere Beziehung dauert seit dem Frühjahr. Seit sechs, sieben Wochen ist irgend etwas an der Antoinette, ich kann nicht sagen, was – ein Verdacht wäre schon zuviel – aber die bloße Idee, daß sie sich außer mit mir noch mit jemandem andern beschäftigen könnte, weißt du, darin bin ich absolut.

HANS KARL.
Ah, ja.
STANI.

Weißt du, das ist stärker als ich. Ich möchte es gar nicht Eifersucht nennen, es ist ein derartiges Nichtbegreifenkönnen, [356] daß eine Frau, der ich mich attachiert habe, zugleich mit einem andern – begreifst du?

HANS KARL.

Aber die Antoinette ist doch so unschuldig, wenn sie etwas anstellt. Sie hat dann fast noch mehr Charme.

STANI.
Da verstehe ich dich nicht.
9. Szene
Neunte Szene
NEUGEBAUER
ist leise eingetreten.
Hier sind die Briefe, Euer Erlaucht. Ich habe sie auf den ersten Griff –
HANS KARL.
Danke. Bitte, geben Sie mir sie.
NEUGEBAUER
gibt ihm die Briefe.
HANS KARL.
Danke.

Neugebauer ab.
10. Szene
Zehnte Szene
HANS KARL
nach einer kleinen Pause.
Weißt du, wen ich für den gebornen Ehemann halte?
STANI.
Nun?
HANS KARL.
Den Adolf Hechingen.
STANI.
Der Antoinette ihren Mann? Hahaha! –
HANS KARL.
Ich red ganz im Ernst.
STANI.
Aber Onkel Kari.
HANS KARL.
In seinem Attachement an diese Frau ist eine höhere Notwendigkeit.
STANI.
Der prädestinierte – ich will nicht sagen was!
HANS KARL.
Sein Schicksal geht mir nah.
STANI.

Für mich gehört er in eine Kategorie: der instinktlose Mensch. Weißt du, an wen er sich anhängt, wenn du nicht im Klub bist? An mich. Ausgerechnet an mich! Er hat einen Flair!

HANS KARL.
Ich habe ihn gern.
STANI.
Aber er ist doch unelegant bis über die Ohren.
HANS KARL.
Aber ein innerlich vornehmer Mensch.
STANI.
Ein uneleganter, schwerfälliger Kerl.
[357]
HANS KARL.
Er braucht eine Flasche Champagner ins Blut.
STANI.

Sag das nie vor ihm, er nimmts wörtlich. Ein uneleganter Mensch ist mir ein Greuel, wenn er getrunken hat.

HANS KARL.
Ich hab ihn gern.
STANI.
Er nimmt alles wörtlich, auch deine Freundschaft für ihn.
HANS KARL.
Aber er darf sie wörtlich nehmen.
STANI.

Pardon, Onkel Kari, bei dir darf man nichts wörtlich nehmen, wenn man das tut, gehört man in die Kategorie: Instinktlos.

HANS KARL.
Aber er ist ein so guter, vortrefflicher Mensch.
STANI.

Meinetwegen, wenn du das von ihm sagst, aber das ist noch gar kein Grund, daß er immer von deiner Güte spricht. Das geht mir auf die Nerven. Ein eleganter Mensch hat Bonhomie, aber er ist kein guter Mensch. Pardon, sag ich, der Onkel Kari ist ein großer Herr und darum auch ein großer Egoist, selbstverständlich. Du verzeihst.

HANS KARL.
Es nützt nichts, ich hab ihn gern.
STANI.

Das ist eine Bizarrerie von dir! Du hast es doch nicht notwendig, bizarr zu sein! Du hast doch das Wunderbare, daß du mühelos das vorstellst, was du bist: ein großer Herr! Mühelos! Das ist der große Punkt. Der Mensch zweiter Kategorie bemüht sich unablässig. Bitte, da ist dieser Theophil Neuhoff, den man seit einem Jahr überall sieht. Was ist eine solche Existenz anderes als eine fortgesetzte jämmerliche Bemühung, ein Genre zu kopieren, das eben nicht sein Genre ist.

11. Szene
Elfte Szene
LUKAS
kommt eilig.
Darf ich fragen – haben Euer Erlaucht Befehl gegeben, daß fremder Besuch vorgelassen wird?
HANS KARL.
Aber absolut nicht. Was ist denn das?
LUKAS.

Da muß der neue Diener eine Konfusion gemacht haben. Eben wird vom Portier herauftelephoniert, daß Herr Baron Neuhoff auf der Treppe ist. Bitte zu befehlen, was mit ihm geschehen soll.

[358]
STANI.

Also, im Moment, wo wir von ihm sprechen. Das ist kein Zufall. Onkel Kari, dieser Mensch ist mein guignon, und ich beschwöre sein Kommen herauf. Vor einer Woche bei der Helen, ich will ihr eben meine Ansicht über den Herrn von Neuhoff sagen, im Moment steht der Neuhoff auf der Schwelle. Vor drei Tagen, ich geh von der Antoinette weg – im Vorzimmer steht der Herr von Neuhoff. Gestern früh bei meiner Mutter, ich wollte dringend etwas mit ihr besprechen, im Vorzimmer find ich den Herrn von Neuhoff.

VINZENZ
tritt ein, meldet.
Herr Baron Neuhoff sind im Vorzimmer.
HANS KARL.
Jetzt muß ich ihn natürlich empfangen.

Lukas winkt: Eintreten lassen.
Vinzenz öffnet die Flügeltür, läßt eintreten.
12. Szene
Zwölfte Szene
NEUHOFF
tritt ein.
Guten Abend, Graf Bühl. Ich war so unbescheiden, nachzusehen, ob Sie zu Hause wären.
HANS KARL.
Sie kennen meinen Neffen Freudenberg?
STANI.
Wir haben uns getroffen.

Sie setzen sich.
NEUHOFF.

Ich sollte die Freude haben. Ihnen diesen Abend im Altenwylschen Hause zu begegnen. Gräfin Helene hatte sich ein wenig darauf gefreut, uns zusammenzuführen. Um so schmerzlicher war mein Bedauern, als ich durch Gräfin Helene diesen Nachmittag erfahren mußte, Sie hätten abgesagt.

HANS KARL.
Sie kennen meine Kusine seit dem letzten Winter?
NEUHOFF.

Kennen – wenn man das Wort von einem solchen Wesen brauchen darf. In gewissen Augenblicken gewahrt man erst, wie doppelsinnig das Wort ist: es bezeichnet das Oberflächlichste von der Welt und zugleich das tiefste Geheimnis des Daseins zwischen Mensch und Mensch.

HANS KARL UND STANI
wechseln einen Blick.
[359]
NEUHOFF.
Ich habe das Glück, Gräfin Helene nicht selten zu sehen und ihr in Verehrung anzugehören.

Eine kleine, etwas genierte Pause.
NEUHOFF.

Heute nachmittag – wir waren zusammen im Atelier von Bohuslawsky – Bohuslawsky macht mein Porträt, das heißt, er quält sich unverhältnismäßig, den Ausdruck meiner Augen festzuhalten: er spricht von einem gewissen Etwas darin, das nur in seltenen Momenten sichtbar wird – und es war seine Bitte, daß die Gräfin Helene einmal dieses Bild ansehen und ihm über diese Augen ihre Kritik geben möchte – da sagt sie mir: Graf Bühl kommt nicht, gehen Sie zu ihm. Besuchen Sie ihn, ganz einfach. Es ist ein Mann, bei dem die Natur, die Wahrheit alles erreicht und die Absicht nichts. Ein wunderbarer Mann in unserer absichtsvollen Welt, war meine Antwort – aber so hab ich mir ihn gedacht, so hab ich ihn erraten, bei der ersten Begegnung.

STANI.
Sie sind meinem Onkel im Felde begegnet?
NEUHOFF.
Bei einem Stab.
HANS KARL.
Nicht in der sympathischsten Gesellschaft.
NEUHOFF.
Das merkte man Ihnen an, Sie sprachen unendlich wenig.
HANS KARL
lächelnd.
Ich bin kein großer Causeur, nicht wahr, Stani?
STANI.
In der Intimität schon!
NEUHOFF.

Sie sprechen es aus, Graf Freudenberg, Ihr Onkel liebt es, in Gold zu zahlen; er hat sich an das Papiergeld des täglichen Verkehrs nicht gewöhnen wollen. Er kann mit seiner Rede nur seine Intimität vergeben, und die ist unschätzbar.

HANS KARL.
Sie sind äußerst freundlich, Baron Neuhoff.
NEUHOFF.

Sie müßten sich von Bohuslawsky malen lassen, Graf Bühl. Sie würde er in drei Sitzungen treffen. Sie wissen, daß seine Stärke das Kinderporträt ist. Ihr Lächeln ist genau die Andeutung eines Kinderlachens. Mißverstehen Sie mich nicht. Warum ist denn Würde so ganz unnachahmlich? Weil ein Etwas von Kindlichkeit in ihr steckt. Auf dem Umweg über die Kindlichkeit würde Bohuslawsky vermögen, einem Bilde von Ihnen das zu geben, was in unserer [360] Welt das Seltenste ist und was Ihre Erscheinung in hohem Maße auszeichnet: Würde. Denn wir leben in einer würdelosen Welt.

HANS KARL.
Ich weiß nicht, von welcher Welt Sie sprechen: uns allen ist draußen soviel Würde entgegengetreten –
NEUHOFF.

Deswegen war ein Mann wie Sie draußen so in seinem Element. Was haben Sie geleistet, Graf Bühl! Ich erinnere mich des Unteroffiziers im Spital, der mit Ihnen und den dreißig Schützen verschüttet war.

HANS KARL.
Mein braver Zugführer, der Hütter Franz! Meine Kusine hat Ihnen davon erzählt?
NEUHOFF.

Sie hat mir erlaubt, sie bei diesem Besuch ins Spital zu begleiten. Ich werde nie das Gesicht und die Rede dieses Sterbenden vergessen.

HANS KARL
sagt nichts.
NEUHOFF.

Er sprach ausschließlich von Ihnen. Und in welchem Ton! Er wußte, daß sie eine Verwandte seines Hauptmanns war, mit der er sprach.

HANS KARL.
Der arme Hütter Franz!
NEUHOFF.

Vielleicht wollte mir die Gräfin Helene eine Idee von Ihrem Wesen geben, wie tausend Begegnungen im Salon sie nicht vermitteln können.

STANI
etwas scharf.
Vielleicht hat sie vor allem den Mann selbst sehen und vom Onkel Kari hören wollen.
NEUHOFF.

In einer solchen Situation wird ein Wesen wie Helene Altenwyl erst ganz sie selbst. Unter dieser vollkommenen Einfachheit, diesem Stolz der guten Rasse verbirgt sich ein Strömen der Liebe, eine alle Poren durchdringende Sympathie: es gibt von ihr zu einem Wesen, das sie sehr liebt und achtet, namenlose Verbindungen, die nichts lösen könnte, und an die nichts rühren darf. Wehe dem Gatten, der nicht verstünde, diese namenlose Verbundenheit bei ihr zu achten, der engherzig genug wäre, alle diese verteilten Sympathien auf sich vereinigen zu wollen.


Eine kleine Pause.
HANS KARL
raucht.
NEUHOFF.
Sie ist wie Sie: eines der Wesen, um die man nicht werben kann: die sich einem schenken müssen.

Abermals eine kleine Pause.
[361]
NEUHOFF
mit einer großen, vielleicht nicht ganz echten Sicherheit.

Ich bin ein Wanderer, meine Neugierde hat mich um die halbe Welt getrieben. Das, was schwierig zu kennen ist, fasziniert mich; was sich verbirgt, zieht mich an. Ich möchte ein stolzes, kostbares Wesen, wie Gräfin Helene, in Ihrer Gesellschaft sehen, Graf Bühl. Sie würde eine andere werden, sie würde aufblühen: denn ich kenne niemanden, der so sensibel ist für menschliche Qualität.

HANS KARL.
Das sind wir hier ja alle ein bißchen. Vielleicht ist das gar nichts so Besonderes an meiner Kusine.
NEUHOFF.

Ich denke mir die Gesellschaft, die ein Wesen wie Helene Altenwyl umgeben müßte, aus Männern Ihrer Art bestehend. Jede Kultur hat ihre Blüten: Gehalt ohne Prätention, Vornehmheit gemildert durch eine unendliche Grazie, so ist die Blüte dieser alten Gesellschaft beschaffen, der es gelungen ist, was die Ruinen von Luxor und die Wälder des Kaukasus nicht vermochten, einen Unstäten, wie mich, in ihrem Bannkreis festzuhalten. Aber, erklären Sie mir eins, Graf Bühl. Gerade die Männer Ihres Schlages, von denen die Gesellschaft ihr eigentliches Gepräge empfängt, begegnet man allzu selten in ihr. Sie scheinen ihr auszuweichen.

STANI.

Aber gar nicht, Sie werden den Onkel Kari gleich heute abend bei Altenwyls sehen, und ich fürchte sogar, so gemütlich dieser kleine Plausch hier ist, so müssen wir ihm bald Gelegenheit geben, sich umzuziehen.


Er ist aufgestanden.
NEUHOFF.

Müssen wir das, so sage ich Ihnen für jetzt adieu, Graf Bühl. Wenn Sie jemals, sei es in welcher Lage immer, eines fahrenden Ritters bedürfen sollten, Schon im Gehen. der dort, wo er das Edle, das Hohe ahnt, ihm unbedingt und ehrfürchtig zu dienen gewillt ist, so rufen Sie mich.


Hans Karl, dahinter Stani, begleiten ihn. Wie sie an der Tür sind, klingelt das Telephon.
NEUHOFF.
Bitte, bleiben Sie, der Apparat begehrt nach Ihnen.
STANI.
Darf ich Sie bis an die Stiege begleiten?
[362]
HANS KARL
an der Tür.
Ich danke Ihnen sehr für Ihren guten Besuch, Baron Neuhoff.
NEUHOFF UND STANI
ab.
HANS KARL
allein mit dem heftig klingelnden Apparat, geht an die Wand und drückt an den Zimmertelegraph, rufend.
Lukas, abstellen! Ich mag diese indiskrete Maschine nicht! Lukas!

Das Klingeln hört auf.
13. Szene
Dreizehnte Szene
STANI
kommt zurück.

Nur für eine Sekunde, Onkel Kari, wenn du mir verzeihst. Ich hab müssen dein Urteil über diesen Herrn hören!

HANS KARL.
Das deinige scheint ja fix und fertig zu sein.
STANI.

Ah, ich find ihn einfach unmöglich. Ich verstehe einfach eine solche Figur nicht. Und dabei ist der Mensch ganz gut geboren!

HANS KARL.
Und du findest ihn so unannehmbar?
STANI.
Aber ich bitte: so viel Taktlosigkeiten als Worte.
HANS KARL.
Er will sehr freundlich sein, er will für sich gewinnen.
STANI.
Aber man hat doch eine assurance, man kriecht wildfremden Leuten noch nicht in die Westentasche.
HANS KARL.

Und er glaubt allerdings, daß man etwas aus sich machen kann – das würde ich als eine Naivität ansehen oder als Erziehungsfehler.

STANI
geht aufgeregt auf und ab.
Diese Tiraden über die Helen!
HANS KARL.
Daß ein Mädel wie die Helen mit ihm Konversation über unsereinen führt, macht mir auch keinen Spaß.
STANI.
Daran ist gewiß kein wahres Wort. Ein Kerl, der kalt und warm aus einem Munde blast.
HANS KARL.

Es wird alles sehr ähnlich gewesen sein, wie er sagt. Aber es gibt Leute, in deren Mund sich alle Nuancen verändern, unwillkürlich.

STANI.
Du bist von einer Toleranz!
HANS KARL.
Ich bin halt sehr alt, Stani.
STANI.

Ich ärgere mich jedenfalls rasend, das ganze Genre [363] bringt mich auf, diese falsche Sicherheit, diese ölige Suada, dieses Kokettieren mit seinem odiosen Spitzbart.

HANS KARL.
Er hat Geist, aber es wird einem nicht wohl dabei.
STANI.
Diese namenlosen Indiskretionen. Ich frage: was geht ihn dein Gesicht an?
HANS KARL.
Au fond ist man vielleicht ein bedauernswerter Mensch, wenn man so ist.
STANI.

Ich nenne ihn einen odiosen Kerl. Jetzt muß ich aber zur Mamu hinauf. Ich seh dich jedenfalls in der Nacht im Klub, Onkel Kari.

AGATHE
sieht leise bei der Tür rechts herein, sie glaubt Hans Karl allein.
STANI
kommt noch einmal nach vorne.
HANS KARL
winkt Agathe, zu verschwinden.
STANI.

Weißt du, ich kann mich nicht beruhigen. Erstens die Bassesse, einem Herrn wie dir ins Gesicht zu schmeicheln.

HANS KARL.
Das war nicht sehr elegant.
STANI.

Zweitens das Affichieren einer weiß Gott wie dicken Freundschaft mit der Helen. Drittens die Spionage, ob du dich für sie interessierst.

HANS KARL
lächelnd.
Meinst du, er hat ein bißl das Terrain sondieren wollen?
STANI.

Viertens diese maßlos indiskrete Anspielung auf seine künftige Situation. Er hat sich uns ja geradezu als ihren Zukünftigen vorgestellt. Fünftens dieses odiose Perorieren, das es einem unmöglich macht, auch nur einmal die Replik zu geben. Sechstens dieser unmögliche Abgang. Das war ja ein Geburtstagswunsch, ein Leitartikel. Aber ich halt dich auf, Onkel Kari.

AGATHE
ist wieder in der Tür erschienen, gleiches Spiel wie früher.
STANI
war schon im Verschwinden, kommt wieder nach vorne.

Darf ich noch einmal? Das eine kann ich nicht begreifen, daß dir die Sache wegen der Helen nicht nähergeht!

HANS KARL.
Inwiefern mir?
STANI.

Pardon, mir steht die Helen zu nahe, als daß ich diese unmögliche Phrase von »Verehrung« und »Angehören« goutieren könnt. Wenn man die Helen von klein auf kennt, wie eine Schwester!

[364]
HANS KARL.
Es kommt ein Moment, wo die Schwestern sich von den Brüdern trennen.
STANI.
Aber nicht für einen Neuhoff. Ah, ah!
HANS KARL.
Eine kleine Dosis von Unwahrheit ist den Frauen sehr sympathisch.
STANI.
So ein Kerl dürfte nicht in die Nähe von der Helen.
HANS KARL.
Wir werden es nicht hindern können.
STANI.
Ah, das möcht ich sehen. Nicht in die Nähe!
HANS KARL.
Er hat uns die kommende Verwandtschaft angekündigt.
STANI.
In welchem Zustand muß die Helen sein, wenn sie sich mit diesem Menschen einläßt.
HANS KARL.

Weißt du, ich habe mir abgewöhnt, aus irgendeiner Handlung von Frauen Folgerungen auf ihren Zustand zu ziehen.

STANI.

Nicht, daß ich eifersüchtig wäre, aber mir eine Person wie die Helen – als Frau dieses Neuhoff zu denken, das ist für mich eine derartige Unbegreiflichkeit – die Idee ist mir einfach unfaßlich – ich muß sofort mit der Mamu davon sprechen.

HANS KARL
lächelnd.
Ja, tu das, Stani. –

Stani ab.
14. Szene
Vierzehnte Szene
LUKAS
tritt ein.
Ich fürchte, das Telephon war hereingestellt.
HANS KARL.
Ich will das nicht.
LUKAS.

Sehr wohl, Euer Erlaucht. Der neue Diener muß es umgestellt haben, ohne daß ichs bemerkt habe. Er hat überall die Hände und die Ohren, wo er sie nicht haben soll.

HANS KARL.
Morgen um sieben Uhr früh expedieren.
LUKAS.

Sehr wohl. Der Diener vom Herrn Grafen Hechingen war am Telephon. Der Herr Graf möchten selbst gern sprechen wegen heute abend: ob Erlaucht in die Soiree zu Graf Altenwyl gehen oder nicht. Nämlich, weil die Frau Gräfin auch dort sein wird.

HANS KARL.

Rufen Sie jetzt bei Graf Altenwyl an und sagen [365] Sie, ich habe mich freigemacht, lasse um Erlaubnis bitten, trotz meiner Absage doch zu erscheinen. Und dann verbinden Sie mich mit dem Grafen Hechingen, ich werde selbst sprechen. Und bitten Sie indes die Kammerfrau, hereinzukommen.

LUKAS.
Sehr wohl.

Geht ab. Agathe herein.
15. Szene
Fünfzehnte Szene
HANS KARL
nimmt das Paket mit den Briefen.

Hier sind die Briefe. Sagen Sie der Frau Gräfin, daß ich mich von diesen Briefen darum trennen kann, weil die Erinnerung an das Schöne für mich unzerstörbar ist; ich werde sie nicht in einem Brief finden, sondern überall.

AGATHE.

Oh, ich küß die Hand! Ich bin ja so glücklich. Jetzt weiß ich, daß meine Frau Gräfin unsern Herrn Grafen bald wiedersehen wird.

HANS KARL.
Sie wird mich heut abend sehen. Ich werde auf die Soiree kommen.
AGATHE.

Und dürften wir hoffen, daß sie – daß derjenige, der ihr entgegentritt, der gleiche sein wird, wie immer?

HANS KARL.
Sie hat keinen besseren Freund.
AGATHE.
Oh, ich küß die Hand.
HANS KARL.
Sie hat nur zwei wahre Freunde auf der Welt: mich und ihren Mann.
AGATHE.

Oh, mein Gott, das will ich nicht hören. O Gott, o Gott, das Unglück, daß sich unser Herr Graf mit dem Grafen Hechingen befreundet hat. Meiner Frau Gräfin bleibt wirklich nichts erspart.

HANS KARL
geht nervös ein paar Schritte von ihr weg.
Ja, ahnen denn die Frauen so wenig, was ein Mann ist?! Und wer sie wirklich liebhat!
AGATHE.

Oh, nur das nicht. Wir lassen uns ja von Euer Erlaucht alles einreden, aber das nicht, das ist zu viel!

HANS KARL
auf und ab.
Also nicht. Nicht helfen können! Nicht so viel!

Pause.
[366]
AGATHE
schüchtern und an ihn herantretend.

Oder versuchen Sies doch. Aber nicht durch mich: für eine solche Botschaft bin ich zu ungebildet. Da hätte ich nicht die richtigen Ausdrücke. Und auch nicht brieflich. Das gibt nur Mißverständnisse. Aber Aug in Aug: ja, gewiß! Da werden Sie schon was ausrichten! Was sollen Sie bei meiner Frau Gräfin nicht ausrichten! Nicht vielleicht beim erstenmal. Aber wiederholt – wenn Sie ihr recht eindringlich ins Gewissen reden – wie sollte Sie Ihnen denn da widerstehen können?


Das Telephon läutet wieder.
HANS KARL
geht ans Telephon und spricht hinein.
Ja, ich bin es selbst. Hier. Ja, ich bin am Apparat. Ich bleibe. Graf Bühl. Ja, selbst.
AGATHE.
Ich küß die Hand.

Geht schnell ab, durch die Mitteltür.
HANS KARL
am Telephon.

Hechingen, guten Abend! Ja, ich habs mir überlegt. Ich habe zugesagt. Ich werde Gelegenheit nehmen. Gewiß. Ja, das hat mich bewogen, hinzugehen. Gerade auf einer Soiree, da ich nicht Bridge spiele und deine Frau, wie ich glaube, auch nicht. Kein Anlaß. Auch dazu ist kein Anlaß. Zu deinem Pessimismus. Zu deinem Pessimismus! Du verstehst nicht? Zu deiner Traurigkeit ist kein Anlaß. Absolut bekämpfen! Allein? Also die berühmte Flasche Champagner. Ich bringe bestimmt das Resultat vor Mitternacht. Übertriebene Hoffnungen natürlich auch nicht. Du weißt, daß ich das Mögliche versuchen werde. Es entspricht doch auch meiner Empfindung. Es entspricht meiner Empfindung! Wie? Gestört? Ich habe gesagt: Es entspricht meiner Empfindung. Empfindung! Eine ganz gleichgültige Phrase! Keine Frage, eine Phrase! Ich habe eine gleichgültige Phrase gesagt! Welche? Es entspricht meiner Empfindung. Nein, ich nenne es nur eine gleichgültige Phrase, weil du es so lange nicht verstanden hast. Ja. Ja. Ja! Adieu. Schluß! Läutet. Es gibt Menschen, mit denen sich alles kompliziert, und dabei ist das so ein exzellenter Kerl!

[367]
16. Szene
Sechzehnte Szene
STANI
aufs neue in der Mitteltür.
Ist es sehr unbescheiden, Onkel Kari?
HANS KARL.
Aber bitte, ich bin zur Verfügung.
STANI
vorne bei ihm.

Ich muß dir melden, Onkel Kari, daß ich inzwischen eine Konversation mit der Mamu gehabt habe und zu einem Resultat gekommen bin.

HANS KARL
sieht ihn an.
STANI.
Ich werde mich mit der Helen Altenwyl verloben.
HANS KARL.
Du wirst dich –
STANI.

Ja, ich bin entschlossen, die Helen zu heiraten. Nicht heute und nicht morgen, aber in der allernächsten Zeit. Ich habe alles durchgedacht. Auf der Stiege von hier bis in den zweiten Stock hinauf. Wie ich zur Mamu in den zweiten Stock gekommen bin, war alles fix und fertig. Weißt du, die Idee ist mir plötzlich gekommen, wie ich bemerkt hab, du interessierst dich nicht für die Helen.

HANS KARL.
Aha.
STANI.

Begreifst du? Es war so eine Idee von der Mamu. Sie behauptet, man weiß nie, woran man mit dir ist – am Ende hättest du doch daran gedacht, die Helen zu nehmen – und du bist doch für die Mamu immer der Familienchef, ihr Herz ist halt ganz Bühlisch.

HANS KARL
halb abgewandt.
Die gute Crescence!
STANI.

Aber ich hab immer widersprochen. Ich verstehe ja jede Nuance von dir. Ich hab von jeher gefühlt, daß von einem Interesse für die Helen bei dir nicht die Idee sein kann.

HANS KARL
dreht sich plötzlich zu ihm um.
Und deine Mutter?
STANI.
Die Mamu?
HANS KARL.
Ja, wie hat sie es aufgefaßt?
STANI.

Feuer und Flamme natürlich. Sie hat ein ganz rotes Gesicht bekommen vor Freude. Wundert dich das, Onkel Kari?

HANS KARL.

Nur ein bißl, nur eine Idee – ich hab immer den Eindruck gehabt, daß deine Mutter einen bestimmten Gedanken hat in bezug auf die Helen.

STANI.
Eine Aversion?
[368]
HANS KARL.
Gar nicht. Nur eine Ansicht. Eine Vermutung.
STANI.
Früher, die früheren Jahre?
HANS KARL.
Nein, vor einer halben Stunde.
STANI.

In welcher Richtung? Aber die Mamu ist ja so eine Windfahn! Das vergißt sie ja im Moment. Vor einem Entschluß von mir, da ist sie sofort auf den Knien. Da spürt sie den Mann. Sie adoriert das fait accompli.

HANS KARL.
Also, du hast dich entschlossen? –
STANI.
Ja, ich bin entschlossen.
HANS KARL.
So auf eins, zwei!
STANI.

Das ist doch genau das, worauf es ankommt. Das imponiert ja den Frauen so enorm an mir. Dadurch eben behalte ich immer die Führung in der Hand.

HANS KARL
raucht.
STANI.
Siehst du, du hast vielleicht früher auch einmal daran gedacht, die Helen zu heiraten –
HANS KARL.
Gott, vor Jahren vielleicht. In irgendeinem Moment, wie man an tausend Sachen denkt.
STANI.

Begreifst du? Ich hab nie daran gedacht! Aber im Augenblick, wo ich es denke, bring ich es auch zu Ende. – Du bist verstimmt?

HANS KARL.
Ich habe ganz unwillkürlich einen Moment an die Antoinette denken müssen.
STANI.
Aber jede Sache auf der Welt muß doch ihr Ende haben.
HANS KARL.

Natürlich. Und das beschäftigt dich gar nicht, ob die Helen frei ist? Sie scheint doch zum Beispiel diesem Neuhoff Hoffnungen gegeben zu haben.

STANI.

Das ist ja genau mein Kalkul. Über Hoffnungen, die sich der Herr von Neuhoff macht, gehe ich einfach hinweg. Und daß für die Helen ein Theophil Neuhoff überhaupt in Frage kommen kann, das beweist doch gerade, daß eine ernste Okkupation bei ihr nicht vorhanden ist. Solche Komplikationen statuier ich nicht. Das sind Launen, oder sagen wir das Wort: Verirrungen.

HANS KARL.
Sie ist schwer zu kennen.
STANI.

Aber ich kenn doch ihr Genre. In letzter Linie kann die sich für keinen Typ von Männern interessieren als für den [369] unsrigen; alles andere ist eine Verirrung. Du bist so still, hast du dein Kopfweh?

HANS KARL.
Aber gar nicht. Ich bewundere deinen Mut.
STANI.
Du und Mut und bewundern?
HANS KARL.
Das ist eine andere Art von Mut als der im Graben.
STANI.

Ja, ich versteh dich ja so gut, Onkel Kari. Du denkst an die Chancen, die ich sonst noch im Leben gehabt hätte. Du hast das Gefühl, daß ich mich vielleicht zu billig weggeb. Aber siehst du, da bin ich wieder ganz anders; ich liebe das Vernünftige und Definitive. Du, Onkel Kari, bist au fond, verzeih, daß ich es heraussage, ein Idealist: deine Gedanken gehen auf das Absolute, auf das Vollkommene. Das ist ja sehr elegant gedacht, aber unrealisierbar. Au fond bist du da wie die Mamu; der ist nichts gut genug für mich. Ich habe die Sache durchgedacht, wie sie ist. Die Helen ist ein Jahr jünger wie ich.

HANS KARL.
Ein Jahr?
STANI.
Sie ist ausgezeichnet geboren.
HANS KARL.
Man kann nicht besser sein.
STANI.
Sie ist elegant.
HANS KARL.
Sehr elegant.
STANI.
Sie ist reich.
HANS KARL.
Und vor allem so hübsch.
STANI.
Sie hat Rasse.
HANS KARL.
Ohne Vergleich.
STANI.

Bitte, vor allem in den zwei Punkten, auf die in der Ehe alles ankommt. Primo: sie kann nicht lügen, secundo: sie hat die besten Manieren von der Welt.

HANS KARL.
Sie ist so delizios artig, wie sonst nur alte Frauen sind.
STANI.
Sie ist gescheit wie der Tag.
HANS KARL.
Wem sagst du das? Ich hab ihre Konversation so gern.
STANI.
Und sie wird mich mit der Zeit adorieren.
HANS KARL
vor sich, unwillkürlich.
Auch das ist möglich.
STANI.

Aber nicht möglich. Ganz bestimmt. Bei diesem Genre von Frauen bringt das die Ehe mit sich. In der Liaison [370] hängt alles von Umständen ab, da sind Bizarrerien möglich, Täuschungen, Gott weiß was. In der Ehe bersuht alles auf der Dauer; auf die Dauer nimmt jeder die Qualität des andern derart in sich auf, daß von einer wirklichen Differenz nicht mehr die Rede sein kann: unter der einen Voraussetzung, daß die Ehe aus dem richtigen Entschluß hervorgeht. Das ist der Sinn der Ehe.

17. Szene
Siebzehnte Szene
LUKAS
eintretend.
Frau Gräfin Freudenberg.
CRESCENCE
an Lukas vorbei, tritt schnell ein.
Also, was sagt Er mir zu dem Buben, Kari? Ich bin ja überglücklich. Gratulier Er mir doch!
HANS KARL
ein wenig abwesend.
Meine gute Crescence. Ich wünsch den allergrößten Erfolg.
STANI
empfiehlt sich stumm.
CRESCENCE.
Schick Er mir das Auto retour.
STANI.
Bitte zu verfügen. Ich gehe zu Fuß. Geht.
18. Szene
Achtzehnte Szene
CRESCENCE.
Der Erfolg wird sehr stark von dir abhängen.
HANS KARL.
Von mir? Ihm stehts doch auf der Stirne geschrieben, daß er erreicht, was er sich vornimmt.
CRESCENCE.
Für die Helen ist dein Urteil alles.
HANS KARL.
Wieso, Crescence, inwiefern?
CRESCENCE.

Für den Vater Altenwyl natürlich noch mehr. Der Stani ist eine sehr nette Partie, aber nicht epatant. Darüber mach ich mir keine Illusionen. Aber wenn Er ihn appuyiert, Kari, ein Wort von Ihm hat gerade für die alten Leut so viel Gewicht. Ich weiß gar nicht, woran das liegt.

HANS KARL.
Ich gehör halt selbst schon bald zu ihnen.
CRESCENCE.

Kokettier Er nicht mit seinem Alter. Wir zwei sind nicht alt und nicht jung. Aber ich hasse schiefe Positionen. [371] Ich möcht schon lieber mit grauem Haar und einer Hornbrille dasitzen.

HANS KARL.
Darum legt Sie sich zeitig aufs Heiratstiften.
CRESCENCE.

Ich habe immer für Ihn tun wollen, Kari, schon vor zwölf Jahren. Aber Er hat immer diesen stillen obstinaten Widerspruch in sich gehabt.

HANS KARL.
Meine gute Crescence!
CRESCENCE.
Hundertmal hab ich Ihm gesagt: sag Er mir, was Er erreichen will, und ich nehms in die Hand.
HANS KARL.
Ja, das hat Sie mir oft gesagt, weiß Gott, Crescence.
CRESCENCE.
Aber man hat ja bei Ihm nicht gewußt, woran man ist!
HANS KARL
nickt.
CRESCENCE.

Und jetzt macht halt der Stani, was Er nicht hat machen wollen. Ich kann gar nicht erwarten, daß wieder kleine Kinder in Hohenbühl und in Göllersdorf herumlaufen.

HANS KARL.

Und in den Schloßteich fallen! Weiß Sie noch, wie sie mich halbtot herausgezogen haben? Weiß Sie – ich hab manchmal die Idee, daß gar nichts Neues auf der Welt passiert.

CRESCENCE.
Wie meint Er das?
HANS KARL.

Daß alles schon längst irgendwo fertig dasteht und nur auf einmal erst sichtbar wird. Weißt du, wie im Hohenbühler Teich, wenn man im Herbst das Wasser abgelassen hat, auf einmal die Karpfen und die Schweife von den steinernen Tritonen da waren, die man früher kaum gesehen hat? Eine burleske Idee, was!

CRESCENCE.
Ist Er denn auf einmal schlecht aufgelegt, Kari?
HANS KARL
gibt sich einen Ruck.

Im Gegenteil, Crescence. Ich danke euch so sehr als ich nur kann, Ihr und dem Stani, für das gute Tempo, das ihr mir gebt mit eurer Frische und eurer Entschiedenheit.Er küßt ihr die Hand.

CRESCENCE.
Findet Er, daß Ihm das gut tut, uns in der Nähe zu haben?
HANS KARL.
Ich hab jetzt einen sehr guten Abend vor mir. Zuerst eine ernste Konversation mit der Toinette –
[372]
CRESCENCE.
Aber das brauchen wir ja jetzt gar nicht!
HANS KARL.

Ah, ich red doch mit ihr, jetzt hab ich es mir einmal vorgenommen, und dann soll ich also als Onkel vom Stani die gewissen seriosen Unterhaltungen anknüpfen.

CRESCENCE.
Das Wichtigste ist, daß du ihn bei der Helen ins richtige Licht stellst.
HANS KARL.

Da hab ich also ein richtiges Programm. Sieht Sie, wie Sie mich reformiert? Aber weiß Sie, vorher – ich hab eine Idee – vorher geh ich für eine Stunde in den Zirkus, da haben sie jetzt einen Clown – eine Art von dummen August –

CRESCENCE.
Der Furlani, über den ist die Nanni ganz verrückt. Ich hab gar keinen Sinn für diese Späße.
HANS KARL.

Ich find ihn delizios. Mich unterhält er viel mehr als die gescheiteste Konversation von Gott weiß wem. Ich freu mich rasend. Ich gehe in den Zirkus, dann esse ich einen Bissen in einem Restaurant, und dann komm ich sehr munter in die Soiree und absolvier mein Programm.

CRESCENCE.

Ja, Er kommt und richtet dem Stani die Helen in die Hand, so was kann Er ja so gut. Er wäre doch ein so wunderbarer Botschafter geworden, wenn Er hätt wollen in der Karriere bleiben.

HANS KARL.
Dazu is es halt auch zu spät.
CRESCENCE.
Also, amüsier Er sich gut und komm Er bald nach.

Hans Karl begleitet sie bis an die Tür, Crescence geht.
19. Szene
Neunzehnte Szene
HANS KARL
kommt nach vorn.
LUKAS
ist mit ihm hereingetreten.
HANS KARL.
Ich ziehe den Frack an. Ich werde gleich läuten.
LUKAS.
Sehr wohl, Eure Erlaucht.

Hans Karl links ab.

[373]
20. Szene
Zwanzigste Szene
VINZENZ
tritt von rechts ein.
Was machen Sie da?
LUKAS.
Ich warte auf das Glockenzeichen vom Toilettezimmer, dann geh ich hinein helfen.
VINZENZ.
Ich werde mit hineingehen. Es ist ganz gut, wenn ich mich an ihn gewöhne.
LUKAS.
Es ist nicht befohlen, also bleiben Sie draußen.
VINZENZ
nimmt sich eine Zigarre.

Sie, das ist doch ganz ein einfacher, umgänglicher Mensch, die Verwandten machen ja mit ihm, was sie wollen. In einem Monat wickel ich ihn um den Finger.

LUKAS
schließt die Zigarren ein.

Man hört eine Klingel. Lukas beeilt sich.
VINZENZ.
Bleiben Sie nur noch. Er soll zweimal läuten. Setzt sich in einen Fauteuil.
LUKAS
ab in seinem Rücken.
VINZENZ
vor sich.

Liebesbriefe stellt er zurück, den Neffen verheiratet er, und er selbst hat sich entschlossen, als ältlicher Junggeselle so dahinzuleben mit mir. Das ist genau, wie ich mirs vorgestellt habe. Über die Schulter nach rückwärts, ohne sich umzudrehen. Sie, Herr Schätz, ich bin ganz zufrieden, da bleib ich!


Der Vorhang fällt.

2. Akt

1. Szene
Erste Szene
ALTENWYL.

Mein lieber Kari, ich rechne dir dein Kommen doppelt hoch an, weil du nicht Bridge spielst und also mit den bescheidenen Fragmenten von Unterhaltung vorliebnehmen willst, die einem heutzutage in einem Salon noch geboten werden. Du findest bekanntlich bei mir immer nur die paar alten Gesichter, keine Künstler und sonstige Zelebritäten – die Edine Merenberg ist ja außerordentlich unzufrieden mit dieser altmodischen Hausführung, aber weder meine Helen noch ich goutieren das Genre von Geselligkeit, was der Edine ihr Höchstes ist: wo sie beim ersten Löffel Suppe ihren Tischnachbar interpelliert, ob er an die Seelenwanderung glaubt, oder ob er schon einmal mit einem Fakir Bruderschaft getrunken hat.

CRESCENCE.

Ich muß Sie dementieren, Graf Altenwyl, ich hab drüben an meinem Bridgetisch ein ganz neues Gesicht, und wie die Mariette Stradonitz mir zugewispelt hat, ist es ein weltberühmter Gelehrter, von dem wir noch nie was gehört haben, weil wir halt alle Analphabeten sind.

ALTENWYL.

Der Professor Brücke ist in seinem Fach eine große Zelebrität und mir ein lieber politischer Kollege. Er genießt es außerordentlich, in einem Salon zu sein, wo er keinen Kollegen aus der gelehrten Welt findet, sozusagen als der einzige Vertreter des Geistes in einem rein sozialen Milieu, und da ihm mein Haus diese bescheidene Annehmlichkeit bieten kann –

[375]
CRESCENCE.
Ist er verheiratet?
ALTENWYL.
Ich habe jedenfalls nie die Ehre gehabt, Madame Brücke zu Gesicht zu bekommen.
CRESCENCE.

Ich find die berühmten Männer odios, aber ihre Fraun noch ärger. Darin bin ich mit dem Kari einer Meinung. Wir schwärmen für triviale Menschen und triviale Unterhaltungen, nicht, Kari?

ALTENWYL.
Ich hab darüber meine altmodische Auffassung, die Helen kennt sie.
CRESCENCE.

Der Kari soll sagen, daß er mir recht gibt. Ich find, neun Zehntel von dem, was unter der Marke von Geist geht, ist nichts als Geschwätz.

NEUHOFF
zu Helene.
Sind Sie auch so streng, Gräfin Helene?
HELENE.

Wir haben alle Ursache, wir jüngeren Menschen, wenn uns vor etwas auf der Welt grausen muß, so davor: daß es etwas gibt wie Konversation: Worte, die alles Wirkliche verflachen und im Geschwätz beruhigen.

CRESCENCE.
Sag, daß du mir recht gibst, Kari!
HANS KARL.
Ich bitte um Nachsicht. Der Furlani ist keine Vorbereitung darauf, etwas Gescheites zu sagen.
ALTENWYL.

In meinen Augen ist Konversation das, was jetzt kein Mensch mehr kennt: nicht selbst perorieren, wie ein Wasserfall, sondern dem andern das Stichwort bringen. Zu meiner Zeit hat man gesagt: wer zu mir kommt, mit dem muß ich die Konversation so führen, daß er, wenn er die Türschnallen in der Hand hat, sich gescheit vorkommt, dann wird er auf der Stiegen mich gescheit finden. – Heutzutag hat aber keiner, pardon für die Grobheit, den Verstand zum Konversationmachen und keiner den Verstand, seinen Mund zu halten – ah, erlaub, daß ich dich mit Baron Neuhoff bekannt mache, mein Vetter Graf Bühl.

NEUHOFF.
Ich habe die Ehre, von Graf Bühl gekannt zu sein.
CRESCENCE
zu Altenwyl.

Alle diese gescheiten Sachen müßten Sie der Edine sagen – bei der geht der Kultus für die bedeutenden Menschen und die gedruckten Bücher ins Uferlose. Mir ist schon das Wort odios: bedeutende Menschen – es liegt so eine Präpotenz darin!

ALTENWYL.

Die Edine ist eine sehr gescheite Frau, aber sie [376] will immer zwei Fliegen auf einen Schlag erwischen: ihre Bildung vermehren und etwas für ihre Wohltätigkeitsgeschichten herausschlagen.

HELENE.

Pardon, Papa, sie ist keine gescheite Frau, sie ist eine dumme Frau, die sich fürs Leben gern mit gescheiten Leuten umgeben möchte, aber dabei immer die falschen erwischt.

CRESCENCE.
Ich wundere mich, daß sie bei ihrer rasenden Zerstreutheit nicht mehr Konfusionen anstellt.
ALTENWYL.
Solche Wesen haben einen Schutzengel.
EDINE
tritt dazu durch die Mitteltür.
Ich seh, ihr sprechts von mir, sprechts nur weiter, genierts euch nicht.
CRESCENCE.
Na, Edine, hast du den berühmten Mann schon kennengelernt?
EDINE.

Ich bin wütend, Graf Altenwyl, daß Sie ihn ihr als Partner gegeben haben und nicht mir. Setzt sich zu Crescence. Ihr habts keine Idee, wie ich mich für ihn interessier. Ich les doch die Bücher von die Leut. Von diesem Brückner hab ich erst vor ein paar Wochen ein dickes Buch gelesen.

NEUHOFF.
Er heißt Brücke. Er ist der zweite Präsident der Akademie der Wissenschaften.
EDINE.
In Paris?
NEUHOFF.
Nein, hier in Wien.
EDINE.
Auf dem Buch ist gestanden: Brückner.
CRESCENCE.
Vielleicht war das ein Druckfehler.
EDINE.

Es hat geheißen: Über den Ursprung aller Religionen. Da ist eine Bildung drin, und eine Tiefe! Und so ein schöner Stil!

HELENE.
Ich werd ihn dir bringen, Tant Edine.
NEUHOFF.
Wenn Sie erlauben, werde ich ihn suchen und ihn herbringen, sobald er pausiert.
EDINE.
Ja, tun Sie das, Baron Neuhoff. Sagen Sie ihm, daß ich seit Jahren nach ihm fahnde.

Neuhoff geht links ab.
CRESCENCE.
Er wird sich nichts Besseres verlangen, mir scheint, er ist ein ziemlicher –
[377]
EDINE.

Sagts nicht immer gleich »snob«, der Goethe ist auch vor jeder Fürstin und Gräfin – ich hätt bald was gsagt.

CRESCENCE.
Jetzt ist sie schon wieder beim Goethe, die Edine!

Sieht sich nach Hans Karl um, der mit Helene nach rechts getreten ist.
HELENE
zu Hans Karl.
Sie haben ihn so gern, den Furlani?
HANS KARL.
Für mich ist ein solcher Mensch eine wahre Rekreation.
HELENE.
Macht er so geschickte Tricks? Sie setzt sich rechts, Hans Karl neben ihr.

Crescence geht durch die Mitte weg, Altenwyl und Edine haben sich links gesetzt.
HANS KARL.
Er macht gar keine Tricks. Er ist doch der dumme August!
HELENE.
Also ein Wurstel?
HANS KARL.

Nein, das wäre ja outriert! Er outriert nie, er karikiert auch nie. Er spielt seine Rolle: er ist der, der alle begreifen, der allen helfen möchte und dabei alles in die größte Konfusion bringt. Er macht die dümmsten Lazzi, die Galerie kugelt sich vor Lachen, und dabei behält er eine élégance, eine Diskretion, man merkt, daß er sich selbst und alles, was auf der Welt ist, respektiert. Er bringt alles durcheinander, wie Kraut und Rüben; wo er hingeht, geht alles drunter und drüber, und dabei möchte man rufen: »Er hat ja recht!«

EDINE
zu Altenwyl.

Das Geistige gibt uns Frauen doch viel mehr Halt! Das geht der Antoinette zum Beispiel ganz ab. Ich sag ihr immer: sie soll ihren Geist kultivieren, das bringt einen auf andere Gedanken.

ALTENWYL.

Zu meiner Zeit hat man einen ganz an deren Maßstab an die Konversation angelegt. Man hat doch etwas auf eine schöne Replik gegeben, man hat sich ins Zeug gelegt, um brillant zu sein.

EDINE.

Ich sag: wenn ich Konversation mach, will ich doch woanders hingeführt werden. Ich will doch heraus aus der Banalität. Ich will doch wohintransportiert werden!

HANS KARL
zu Helene, in seiner Konversation fortfahrend.

Sehen Sie, Helen, alle diese Sachen sind ja schwer: die Tricks von [378] den Equilibristen und Jongleurs und alles – zu allem gehört ja ein fabelhaft angespannter Wille und direkt Geist. Ich glaub, mehr Geist, als zu den meisten Konversationen. –

HELENE.
Ah, das schon sicher.
HANS KARL.

Absolut. Aber das, was der Furlani macht, ist noch um eine ganze Stufe höher, als was alle andern tun. Alle andern lassen sich von einer Absicht leiten und schauen nicht rechts und nicht links, ja, sie atmen kaum, bis sie ihre Absicht erreicht haben: darin besteht eben ihr Trick. Er aber tut scheinbar nichts mit Absicht – er geht immer auf die Absicht der andern ein. Er möchte alles mittun, was die andern tun, soviel guten Willen hat er, so fasziniert ist er von jedem einzelnen Stückl, was irgendeiner vormacht: wenn er einen Blumentopf auf der Nase balanciert, so balanciert er ihn auch, sozusagen aus Höflichkeit.

HELENE.
Aber er wirft ihn hinunter?
HANS KARL.

Aber wie er ihn hinunterwirft, darin liegts! Er wirft ihn hinunter aus purer Begeisterung und Seligkeit darüber, daß er ihn so schön balancieren kann! Er glaubt, wenn mans ganz schön machen tat, müßts von selber gehen.

HELENE
vor sich.
Und das hält der Blumentopf gewöhnlich nicht aus und fällt hinunter.
ALTENWYL
zu Edine.

Dieser Geschäftston heutzutage! Und ich bitte dich, auch zwischen Männern und Frauen: dieses gewisse Zielbewußte in der Unterhaltung!

EDINE.
Ja, das ist mir auch eine horreur! Man will doch ein bißl eine schöne Art, ein Versteckenspielen –
ALTENWYL.

Die jungen Leut wissen ja gar nicht mehr, daß die Sauce mehr wert ist als der Braten – da herrscht ja eine Direktheit!

EDINE.
Weil die Leut zu wenig gelesen haben! Weil sie ihren Geist zu wenig kultivieren!

Sie sind im Reden aufgestanden und entfernen sich nach links.
HANS KARL
zu Helene.

Wenn man dem Furlani zuschaut, kommen einem die geschicktesten Clowns vulgär vor. Er ist förmlich schön vor lauter Nonchalance – aber natürlich gehört zu dieser Nonchalance genau das Doppelte wie zu den andern ihrer Anspannung.

[379]
HELENE.

Ich begreif, daß Ihnen der Mensch sympathisch ist. Ich find auch alles, wo man eine Absicht merkt, die dahintersteckt, ein bißl vulgär.

HANS KARL.

Oho, heute bin ich selber mit Absichten geladen, und diese Absichten beziehen sich auf Sie, Gräfin Helene.

HELENE
mit einem Zusammenziehen der Augenbrauen.
Oh, Gräfin Helene! Sie sagen »Gräfin Helene« zu mir?

Huberta erscheint in der Mitteltür und streift Hans Karl und Helene mit einem kurzen, aber indiskreten Blick.
HANS KARL
ohne Huberta zu bemerken.

Nein, im Ernst, ich muß Sie um fünf Minuten Konversation bitten – dann später, irgendwann – wir spielen ja beide nicht.

HELENE
etwas unruhig, aber sehr beherrscht.
Sie machen mir angst. Was können Sie mit mir zu reden haben? Das kann nichts Gutes sein.
HANS KARL.
Wenn Sies präokkupiert, dann um Gottes willen nicht!

Huberta ist verschwunden.
HELENE
nach einer kleinen Pause.

Wann Sie wollen, aber später. Ich seh die Huberta, die sich langweilt. Ich muß zu ihr gehen. Steht auf.

HANS KARL.
Sie sind so delizios artig.

Ist auch aufgestanden.
HELENE.

Sie müssen jetzt der Antoinette und den paar andern Frauen guten Abend sagen. Sie geht von ihm fort, bleibt in der Mitteltür noch stehen. Ich bin nicht artig: ich spür nur, was in den Leuten vorgeht, und das belästigt mich – und da reagier ich dagegen mit égards, die ich für die Leut hab. Meine Manieren sind nur eine Art von Nervosität, mir die Leut vom Hals zu halten. Sie geht.


Hans Karl geht langsam ihr nach.

[380]
2. Szene
Zweite Szene
Neuhoff und der berühmte Mann sind gleichzeitig in der Tür links erschienen.

DER BERÜHMTE MANN
in der Mitte des Zimmers angelangt, durch die Tür rechts blickend.
Dort in der Gruppe am Kamin befindet sich jetzt die Dame, um deren Namen ich Sie fragen wollte.
NEUHOFF.
Dort in Grau? Das ist die Fürstin Pergen.
DER BERÜHMTE MANN.
Nein, die kenne ich seit langem. Die Dame in Schwarz.
NEUHOFF.
Die spanische Botschafterin. Sind Sie ihr vorgestellt? Oder darf ich –
DER BERÜHMTE MANN.

Ich wünsche sehr, ihr vorgestellt zu werden. Aber wir wollen es vielleicht in folgender Weise einrichten –

NEUHOFF
mit kaum merklicher Ironie.
Ganz wie Sie befehlen.
DER BERÜHMTE MANN.

Wenn Sie vielleicht die Güte haben, der Dame zuerst von mir zu sprechen, ihr, da sie eine Fremde ist, meine Bedeutung, meinen Rang in der wissenschaftlichen Welt und in der Gesellschaft klarzulegen – so würde ich mich dann sofort nachher durch den Grafen Altenwyl ihr vorstellen lassen.

NEUHOFF.
Aber mit dem größten Vergnügen.
DER BERÜHMTE MANN.

Es handelt sich für einen Gelehrten meines Ranges nicht darum, seine Bekanntschaften zu vermehren, sondern in der richtigen Weise gekannt und aufgenommen zu werden.

NEUHOFF.

Ohne jeden Zweifel. Hier kommt die Gräfin Merenberg, die sich besonders darauf gefreut hat, Sie kennenzulernen. Darf ich –

EDINE
kommt.

Ich freue mich enorm. Einen Mann dieses Ranges bitte ich nicht mir vorzustellen, Baron Neuhoff, sondern mich ihm zu präsentieren.

DER BERÜHMTE MANN
verneigt sich.
Ich bin sehr glücklich, Frau Gräfin.
EDINE.

Es hieße Eulen nach Athen tragen, wenn ich Ihnen sagen [381] wollte, daß ich zu den eifrigsten Leserinnen Ihrer berühmten Werke gehöre. Ich bin jedesmal hingerissen von dieser philosophischen Tiefe, dieser immensen Bildung und diesem schönen Prosastil.

DER BERÜHMTE MANN.

Ich staune, Frau Gräfin. Meine Arbeiten sind keine leichte Lektüre. Sie wenden sich wohl nicht ausschließlich an ein Publikum von Fachgelehrten, aber sie setzen Leser von nicht gewöhnlicher Verinnerlichung voraus.

EDINE.

Aber gar nicht! Jede Frau sollte so schöne tiefsinnige Bücher lesen, damit sie sich selbst in eine höhere Sphäre bringt: das sag ich früh und spät der Toinette Hechingen.

DER BERÜHMTE MANN.
Dürfte ich fragen, welche meiner Arbeiten den Vorzug gehabt hat, Ihre Aufmerksamkeit zu erwecken?
EDINE.

Aber natürlich das wunderbare Werk »Über den Ursprung aller Religionen«. Das hat ja eine Tiefe, und eine erhebende Belehrung schöpft man da heraus –

DER BERÜHMTE MANN
eisig.
Hm. Das ist allerdings ein Werk, von dem viel geredet wird.
EDINE.

Aber noch lange nicht genug. Ich sag gerade zur Toinette, das müßte jede von uns auf ihrem Nachtkastl liegen haben.

DER BERÜHMTE MANN.
Besonders die Presse hat ja für dieses Opus eine zügellose Reklame zu inszenieren gewußt.
EDINE.
Wie können Sie das sagen! Ein solches Werk ist ja doch das Grandioseste –
DER BERÜHMTE MANN.

Es hat mich sehr interessiert, Frau Gräfin, Sie gleichfalls unter den Lobrednern dieses Produktes zu sehen. Mir selbst ist das Buch allerdings unbekannt, und ich dürfte mich auch schwerlich entschließen, den Leserkreis dieses Elaborates zu vermehren.

EDINE.
Wie? Sie sind nicht der Verfasser?
DER BERÜHMTE MANN.

Der Verfasser dieser journalistischen Kompilation ist mein Fakultätsgenosse Brückner. Es besteht allerdings eine fatale Namensähnlichkeit, aber diese ist auch die einzige.

EDINE.
Das sollte auch nicht sein, daß zwei berühmte Philosophen so ähnliche Namen haben.
[382]
DER BERÜHMTE MANN.

Das ist allerdings bedauerlich, besonders für mich. Herr Brückner ist übrigens nichts weniger als Philosoph. Er ist Philologe, ich würde sagen, Salonphilologe, oder noch besser: philologischer Feuilletonist.

EDINE.

Es tut mir enorm leid, daß ich da eine Konfusion gemacht habe. Aber ich hab sicher auch von Ihren berühmten Werken was zu Haus, Herr Professor. Ich les ja alles, was einen ein bißl vorwärtsbringt. Jetzt hab ich gerad ein sehr interessantes Buch über den »Semipelagianismus« und eines über die »Seele des Radiums« zu Hause liegen. Wenn Sie mich einmal in der Heugasse besuchen –

DER BERÜHMTE MANN
kühl.
Es wird mir eine Ehre sein, Frau Gräfin. Allerdings bin ich sehr in Anspruch genommen.
EDINE
wollte gehen, bleibt nochmals stehen.

Aber das tut mir ewig leid, daß Sie nicht der Verfasser sind! Jetzt kann ich Ihnen auch meine Frage nicht vorlegen! Und ich wäre jede Wette eingegangen, daß Sie der Einzige sind, der sie so beantworten könnte, daß ich meine Beruhigung fände.

NEUHOFF.
Wollen Sie dem Professor nicht doch Ihre Frage vorlegen?
EDINE.

Sie sind ja gewiß ein Mann von noch profunderer Bildung als der andere Herr. Zu Neuhoff. Soll ich wirklich? Es liegt mir ungeheuer viel an der Auskunft. Ich würde fürs Leben gern eine Beruhigung finden.

DER BERÜHMTE MANN.
Wollen sich Frau Gräfin nicht setzen?
EDINE
sich ängstlich umsehend, ob niemand hereintritt, dann schnell.
Wie stellen Sie sich das Nirwana vor?
DER BERÜHMTE MANN.

Hm. Diese Frage aus dem Stegreif zu beantworten, dürfte allerdings Herr Brückner der richtige Mann sein.


Eine kleine Pause.
EDINE.
Und jetzt muß ich auch zu meinem Bridge zurück. Auf Wiedersehen, Herr Professor.

Ab.
DER BERÜHMTE MANN
sichtlich verstimmt.
Hm. –
NEUHOFF.
Die arme gute Gräfin Edine! Sie dürfen ihr nichts übelnehmen.
[383]
DER BERÜHMTE MANN
kalt.

Es ist nicht das erste Mal, daß ich im Laienpublikum ähnlichen Verwechslungen begegne. Ich bin nicht weit davon, zu glauben, daß dieser Scharlatan Brückner mit Absicht auf dergleichen hinarbeitet. Sie können kaum ermessen, welche peinliche Erinnerungen eine groteske und schiefe Situation, wie die in der wir uns soeben befunden haben, in meinem Innern hinterläßt. Das erbärmliche Scheinwissen, von den Trompetenstößen einer bübischen Presse begleitet, auf den breiten Wellen der Popularität hinsegeln zu sehen – sich mit dem konfundiert zu sehen, wogegen man sich mit dem eisigen Schweigen der Nichtachtung unverbrüchlich gewappnet glaubte –

NEUHOFF.

Aber wem sagen Sie das alles, mein verehrter Professor! Bis in die kleine Nuance fühle ich Ihnen nach. Sich verkannt zu sehen in seinem Besten, früh und spät – das ist das Schicksal –

DER BERÜHMTE MANN.
In seinem Besten.
NEUHOFF.
Genau die Seite verkannt zu sehen, auf die alles ankommt –
DER BERÜHMTE MANN.
Sein Lebenswerk mit einem journalistischen –
NEUHOFF.
Das ist das Schicksal –
DER BERÜHMTE MANN.
Die in einer bübischen Presse –
NEUHOFF.

– des ungewöhnlichen Menschen, sobald er sich der banalen Menschheit ausliefert, den Frauen, die im Grunde zwischen einer leeren Larve und einem Mann von Bedeutung nicht zu unterscheiden wissen!

DER BERÜHMTE MANN.
Den verhaßten Spuren der Pöbelherrschaft bis in den Salon zu begegnen –
NEUHOFF.

Erregen Sie sich nicht. Wie kann ein Mann Ihres Ranges – Nichts, was eine Edine Merenberg und tutti quanti vorbringen, reicht nur entfernt an Sie heran.

DER BERÜHMTE MANN.

Das ist die Presse, dieser Hexenbrei aus allem und allem! Aber hier hätte ich mich davor sicher gehalten. Ich sehe, ich habe die Exklusivität dieser Kreise überschätzt, wenigstens was das geistige Leben anlangt.

NEUHOFF.

Geist und diese Menschen! Das Leben – und diese Menschen! Alle diese Menschen, die Ihnen hier begegnen, [384] existieren ja in Wirklichkeit gar nicht mehr. Das sind ja alles nur mehr Schatten. Niemand, der sich in diesen Salons bewegt, gehört zu der wirklichen Welt, in der die geistigen Krisen des Jahrhunderts sich entscheiden. Sehen Sie doch um sich: eine Erscheinung wie die Figur dort im nächsten Zimmer, vom Scheitel bis zur Sohle sich balancierend in der Selbstsicherheit der unbegrenzten Trivialität – von Frauen und Mädchen umlagert – Kari Bühl.

DER BERÜHMTE MANN.
Ist das Graf Bühl?
NEUHOFF.
Er selbst, der berühmte Kari.
DER BERÜHMTE MANN.
Ich habe bis jetzt keine Gelegenheit gehabt, ihn kennenzulernen. Sind Sie befreundet mit ihm?
NEUHOFF.

Nicht allzusehr, aber hinlänglich, um ihn Ihnen in zwei Worten erschöpfend zu charakterisieren: absolutes, anmaßendes Nichts.

DER BERÜHMTE MANN.

Er hat einen außerordentlichen Rang innerhalb der ersten Gesellschaft. Er gilt für eine Persönlichkeit.

NEUHOFF.

Es ist nichts an ihm, das der Prüfung standhielte. Rein gesellschaftlich goutiere ich ihn halb aus Gewohnheit; aber Sie haben weniger als nichts verloren, wenn Sie ihn nicht kennenlernen.

DER BERÜHMTE MANN
sieht unverwandt hin.

Ich würde mich sehr interessieren, seine Bekanntschaft zu machen. Glauben Sie, daß ich mir etwas vergebe, wenn ich mich ihm nähere?

NEUHOFF.
Sie werden Ihre Zeit mit ihm verlieren, wie mit allen diesen Menschen hier.
DER BERÜHMTE MANN.

Ich würde großes Gewicht darauf legen, mit Graf Bühl in einer wirkungsvollen Weise bekannt gemacht zu werden, etwa durch einen seiner vertrauten Freunde.

NEUHOFF.
Zu diesen wünsche ich nicht gezählt zu werden, aber ich werde Ihnen das besorgen.
DER BERÜHMTE MANN.

Sie sind sehr liebenswürdig. Oder meinen Sie, daß ich mir nichts vergeben würde, wenn ich mich ihm spontan nähern würde?

NEUHOFF.
Sie erweisen dem guten Kari in jedem Fall zuviel Ehre, wenn Sie ihn so ernst nehmen.
[385]
DER BERÜHMTE MANN.

Ich verhehle nicht, daß ich großes Gewicht darauf lege, das feine und unbestechliche Votum der großen Welt den Huldigungen beizufügen, die meinem Wissen im breiten internationalen Laienpublikum zuteil geworden sind, und in denen ich die Abendröte einer nicht alltäglichen Gelehrtenlaufbahn erblicken darf.


Sie gehen ab.
3. Szene
Dritte Szene
Antoinette mit Edine, Nanni und Huberta sind indessen in der Mitteltür erschienen und kommen nach vorne.

ANTOINETTE.

So sagts mir doch was, so gebts mir doch einen Rat, wenn ihr sehts, daß ich so aufgeregt bin. Da mach ich doch die irreparablen Dummheiten, wenn man mir nicht beisteht.

EDINE.

Ich bin dafür, daß wir sie lassen. Sie muß wie zufällig ihm begegnen. Wenn wir sie alle convoyieren, so verscheuchen wir ihn ja geradezu.

HUBERTA.
Er geniert sich nicht. Wenn er mit ihr allein reden wollt, da wären wir Luft für ihn.
ANTOINETTE.
So setzen wir uns daher. Bleibts alle bei mir, aber nicht auffällig.

Sie haben sich gesetzt.
NANNI.

Wir plauschen hier ganz unbefangen: vor allem darfs nicht ausschauen, als ob du ihm nachlaufen tätest.

ANTOINETTE.

Wenn man nur das Raffinement von der Helen hätt, die lauft ihm nach auf Schritt und Tritt, und dabei schauts aus, als ob sie ihm aus dem Weg ging'.

EDINE.
Ich war dafür, daß wir sie lassen, und daß sie ganz wie wenn nichts wär auf ihn zuging'.
HUBERTA.
In dem Zustand wie sie ist, kann sie doch nicht auf ihn zugehen wie wenn nichts wär.
ANTOINETTE
dem Weinen nah.

Sagts mir doch nicht, daß ich in einem Zustand bin! Lenkts mich doch ab von mir! Sonst verlier ich ja meine ganze Contenance. Wenn ich nur wen zum Flirten da hätt!

[386]
NANNI
will aufstehen.
Ich hol ihr den Stani her.
ANTOINETTE.

Der Stani tät mir nicht so viel nützen. Sobald ich weiß, daß der Kari wo in einer Wohnung ist, existieren die andern nicht mehr für mich.

HUBERTA.
Der Feri Uhlfeldt tät vielleicht doch noch existieren.
ANTOINETTE.

Wenn die Helen in meiner Situation wär, die wüßt sich zu helfen. Sie macht sich mit der größten Unverfrorenheit einen Paravent aus dem Theophil, und dahinter operiert sie.

HUBERTA.
Aber sie schaut ja den Theophil gar nicht an, sie is ja die ganze Zeit hinterm Kari her.
ANTOINETTE.
Sag mir das noch, damit mir die Farb ganz aus'm Gsicht geht. Steht auf. Redt er denn mir ihr?
HUBERTA.
Natürlich redt er mit ihr.
ANTOINETTE.
Immerfort?
HUBERTA.
Sooft ich hingschaut hab.
ANTOINETTE.
O mein Gott, wenn du mir lauter unangenehme Sachen sagst, so werd ich ja so häßlich werden!

Sie setzt sich wieder.
NANNI
will aufstehen.
Wenn dir deine drei Freundinnen zuviel sind, so laß uns fort, ich spiel ja auch sehr gern.
ANTOINETTE.
So bleibts doch hier, so gebts mir doch einen Rat, so sagts mir doch, was ich tun soll.
HUBERTA.

Wenn sie ihm vor einer Stunde die Jungfer ins Haus geschickt hat, so kann sie jetzt nicht die Hochmütige spielen.

NANNI.

Umgekehrt sag ich. Sie muß tun, als ob er ihr egal wär. Das weiß ich vom Kartenspielen: wenn man die Karten leichtsinnig in die Hand nimmt, dann kommt's Glück. Man muß sich immer die innere Überlegenheit menagieren.

ANTOINETTE.
Mir is grad zumut, wie wenn ich die Überlegene wär!
HUBERTA.
Du behandelst ihn aber ganz falsch, wenn du dich so aus der Hand gibst.
[387]
EDINE.
Wenn sie sich nur eine Direktive geben ließ'! Ich kenn doch den Männern ihren Charakter.
HUBERTA.
Weißt, Edine, die Männer haben recht verschiedene Charaktere.
ANTOINETTE.
Das Gescheitste wär, ich fahr nach Haus.
NANNI.
Wer wird denn die Karten wegschmeißen, solang er noch eine Chance in der Hand hat.
EDINE.

Wenn sie sich nur ein vernünftiges Wort sagen ließe. Ich hab ja einen solchen Instinkt für solche psychologische Sachen. Es wär ja absolut zu machen, daß die Ehe annulliert wird, sie ist eben unter einem moralischen Zwang gestanden die ganzen Jahre, und dann, wenn sie annulliert ist, so heirat' sie ja der Kari, wenn die Sache halbwegs richtig eingefädelt wird.

HUBERTA
die nach rechts gesehen hat.
Pst!
ANTOINETTE
fährt auf.
Kommt er? Mein Gott, wie mir die Knie zittern.
HUBERTA.
Die Crescence kommt. Nimm dich zusammen.
ANTOINETTE
vor sich.

Lieber Gott, ich kann sie nicht ausstehen, sie mich auch nicht, aber ich will jede Bassesse machen, weil sie ja seine Schwester is.

4. Szene
Vierte Szene
CRESCENCE
kommt von rechts.

Grüß euch Gott, was machts ihr denn? Die Toinette schaut ja ganz zerbeutelt aus. Sprechts ihr denn nicht? So viele junge Frauen! Da hätt der Stani halt nicht in den Klub gehen dürfen, wie?

ANTOINETTE
mühsam.
Wir unterhalten uns vorläufig ohne Herren sehr gut.
CRESCENCE
ohne sich zu setzen.

Was sagts ihr, wie famos die Helen heut ausschaut? Die wird doch als junge Frau eine allure haben, daß überhaupt niemand gegen sie aufkommt!

HUBERTA.
Is die Helen auf einmal so in der Gnad bei dir?
CRESCENCE.

Ihr seids auch herzig. Die Antoinette soll sich ein bißl schonen. Sie schaut ja aus, als ob sie drei Nächt nicht geschlafen hätt. [388] Im Gehen. Ich muß dem Poldo Altenwyl sagen, wie brillant ich die Helen heut find. Ab.

5. Szene
Fünfte Szene
ANTOINETTE.
Herr Gott, jetzt hab ichs ja schriftlich, daß der Kari die Helen heiraten will.
EDINE.
Wieso denn?
ANTOINETTE.
Spürts ihrs denn nicht, wie sie für die zukünftige Schwägerin ins Zeug geht?
NANNI.

Aber geh, bring dich nicht um nichts und wieder nichts hinein in die Verzweiflung. Er wird gleich bei der Tür hereinkommen.

ANTOINETTE.

Wenn er in so einem Moment hereinkommt, bin ich ja ganz – Bringt ihr kleines Tuch vor die Augen. – verloren. –

HUBERTA.
So gehen wir. Inzwischen beruhigt sie sich.
ANTOINETTE.

Nein, gehts ihr zwei und schauts, ob er wieder mit der Helen redt, und störts ihn dabei. Ihr habts mich ja oft genug gestört, wenn ich so gern mit ihm allein gewesen wär. Und die Edine bleibt bei mir.


Alle sind aufgestanden, Huberta und Nanni gehen ab.
6. Szene
Sechste Szene
Antoinette und Edine setzen sich links rückwärts.

EDINE.
Mein liebes Kind, du hast diese ganze Geschichte mit dem Kari vom ersten Moment falsch angepackt.
ANTOINETTE.
Woher weißt denn du das?
EDINE.

Das weiß ich von der Mademoiselle Feydeau, die hat mir haarklein alles erzählt, wie du die ganze Situation in der Grünleiten schon verfahren hast.

[389]
ANTOINETTE.
Diese mißgünstige Tratschen, was weiß denn die!
EDINE.

Aber sie kann doch nichts dafür, wenn sie dich hat mit die nackten Füß über die Stiegen runterlaufen gehört, und gesehen mit offene Haar im Mondschein mit ihm spazierengehen. – Du hast eben die ganze Gschicht von Anfang an viel zu terre à terre angepackt. Die Männer sind ja natürlich sehr terre à terre, aber deswegen muß eben von unserer Seiten etwas Höheres hineingebracht werden. Ein Mann wie der Kari Bühl aber ist sein Leben lang keiner Person begegnet, die ein bißl einen Idealismus in ihn hineingebracht hätte. Und darum ist er selbst nicht imstand, in eine Liebschaft was Höheres hineinzubringen, und so geht das vice versa. Wenn du mich in der ersten Zeit ein bißl um Rat gefragt hättest, wenn du dir hättest ein paar Direktiven geben lassen, ein paar Bücher empfehlen lassen – so wärst du heut seine Frau!

ANTOINETTE.
Geh, ich bitt dich, Edine, agacier mich nicht.
7. Szene
Siebente Szene
HUBERTA
erscheint in der Tür.
Also: der Kari kommt. Er sucht dich.
ANTOINETTE.
Jesus Maria!

Sie sind aufgestanden.
NANNI
die rechts hinausgeschaut hat.
Da kommt die Helen aus dem andern Salon.
ANTOINETTE.

Mein Gott, gerade in dem Moment, auf den alles ankommt, muß sie daherkommen und mir alles verderben. So tuts doch was dagegen. So gehts ihr doch entgegen. So halts sie doch weg, vom Zimmer da!

HUBERTA.
Bewahr doch ein bißl deine Contenance.
NANNI.
Wir gehen einfach unauffällig dort hinüber.
[390]
8. Szene
Achte Szene
HELENE
tritt ein von rechts.

Ihr schauts ja aus, als ob ihr gerade von mir gesprochen hättets. Stille. Unterhalts ihr euch? Soll ich euch Herren hereinschicken?

ANTOINETTE
auf sie zu, fast ohne Selbstkontrolle.

Wir unterhalten uns famos, und du bist ein Engel, mein Schatz, daß du dich um uns umschaust. Ich hab dir noch gar nicht guten Abend gesagt. Du schaust schöner aus als je. Küßt sie. Aber laß uns nur und geh wieder.

HELENE.
Stör ich euch? So geh ich halt wieder.Geht.
9. Szene
Neunte Szene
ANTOINETTE
streicht sich über die Wange, als wollte sie den Kuß abstreifen.
Was mach ich denn? Was laß ich mich denn von ihr küssen? Von dieser Viper, dieser falschen!
HUBERTA.
So nimm dich ein bißl zusammen.
10. Szene
Zehnte Szene
HANS KARL
ist von rechts eingetreten.
ANTOINETTE
nach einem kurzen Stummsein, Sichducken, rasch auf ihn zu, ganz dicht an ihn.

Ich hab die Briefe genommen und verbrannt. Ich bin keine sentimentale Gans, als die mich meine Agathe hinstellt, daß ich mich über alte Briefe totweinen könnt. Ich hab einmal nur das, was ich im Moment hab, und was ich nicht hab, will ich vergessen. Ich leb nicht in der Vergangenheit, dazu bin ich nicht alt genug.

HANS KARL.
Wollen wir uns nicht setzen?

Führt sie zu den Fauteuils.
ANTOINETTE.

Ich bin halt nicht schlau. Wenn man nicht [391] raffiniert ist, dann hat man nicht die Kraft, einen Menschen zu halten, wie Sie einer sind. Denn Sie sind ein Genre mit Ihrem Vetter Stani. Das möchte ich Ihnen sagen, damit Sie es wissen. Ich kenn euch. Monstros selbstsüchtig und grenzenlos unzart. Nach einer kleinen Pause. So sagen Sie doch was!

HANS KARL.
Wenn Sie erlauben würden, so möchte ich versuchen, Sie an damals zu erinnern –
ANTOINETTE.

Ah, ich laß mich nicht malträtieren. – Auch nicht von jemandem, der mir früher einmal nicht gleichgültig war.

HANS KARL.

Sie waren damals, ich meine vor zwei Jahren, Ihrem Mann momentan entfremdet. Sie waren in der großen Gefahr, in die Hände von einem Unwürdigen zu fallen. Da ist jemand gekommen – der war – zufällig ich. Ich wollte Sie – beruhigen – das war mein einziger Gedanke – Sie der Gefahr entziehen – von der ich Sie bedroht gewußt – oder gespürt hab. Das war eine Verkettung von Zufällen – eine Ungeschicklichkeit – ich weiß nicht, wie ich es nennen soll –

ANTOINETTE.

Diese paar Tage damals in der Grünleiten sind das einzige wirklich Schöne in meinem ganzen Leben. Die laß ich nicht – Die Erinnerung daran laß ich mir nicht heruntersetzen.


Steht auf.
HANS KARL
leise.
Aber ich hab ja alles so lieb. Es war ja so schön.
ANTOINETTE
setzt sich, mit einem ängstlichen Blick auf ihn.
HANS KARL.
Es war ja so schön!
ANTOINETTE.

»Das war zufällig ich.« Damit wollen Sie mich insultieren. Sie sind draußen zynisch geworden. Ein zynischer Mensch, das ist das richtige Wort. Sie haben die Nuance verloren für das Mögliche und das Unmögliche. Wie haben Sie gesagt? Es war eine »Ungeschicklichkeit« von Ihnen? Sie insultieren mich ja in einem fort.

HANS KARL.

Es ist draußen viel für mich anders geworden. Aber zynisch bin ich nicht geworden. Das Gegenteil, Antoinette. [392] Wenn ich an unsern Anfang denke, so ist mir das etwas so Zartes, so Mysterioses, ich getraue mich kaum, es vor mir selbst zu denken. Ich möchte mich fragen: Wie komm ich denn dazu? Hab ich denn dürfen? Aber Sehr leise. ich bereu nichts.

ANTOINETTE
senkt die Augen.
Aller Anfang ist schön.
HANS KARL.
In jedem Anfang liegt die Ewigkeit.
ANTOINETTE
ohne ihn anzusehen.

Sie halten au fond alles für möglich und alles für erlaubt. Sie wollen nicht sehen, wie hilflos ein Wesen ist, über das Sie hinweggehen – wie preisgegeben, denn das würde vielleicht Ihr Gewissen aufwecken.

HANS KARL.
Ich habe keins.
ANTOINETTE
sieht ihn an.
HANS KARL.
Nicht in bezug auf uns.
ANTOINETTE.

Jetzt war ich das und das von Ihnen – und weiß in diesem Augenblick so wenig, woran ich mit Ihnen bin, als wenn nie was zwischen uns gewesen wär. Sie sind ja fürchterlich.

HANS KARL.

Nichts ist bös. Der Augenblick ist nicht bös, nur das Festhalten-Wollen ist unerlaubt. Nur das Sich-Festkrampeln an das, was sich nicht halten läßt –

ANTOINETTE.

Ja, wir leben halt nicht nur wie die gewissen Fliegen vom Morgen bis zur Nacht. Wir sind halt am nächsten Tag auch noch da. Das paßt euch halt schlecht, solchen wie du einer bist.

HANS KARL.

Alles was geschieht, das macht der Zufall. Es ist nicht zum Ausdenken, wie zufällig wir alle sind, und wie uns der Zufall zueinanderjagt und auseinanderjagt, und wie jeder mit jedem hausen könnte, wenn der Zufall es wollte.

ANTOINETTE.
Ich will nicht –
HANS KARL
spricht weiter, ohne ihren Widerstand zu respektieren.

Darin ist aber so ein Grausen, daß der Mensch etwas hat finden müssen, um sich aus diesem Sumpf herauszuziehen, bei seinem eigenen Schopf. Und so hat er das Institut gefunden, das aus dem Zufälligen und Unreinen das Notwendige, das Bleibende und das Gültige macht: die Ehe.

[393]
ANTOINETTE.

Ich spür, du willst mich verkuppeln mit meinem Mann. Es war nicht ein Augenblick, seitdem du hiersitzt, wo ich mich hätte foppen lassen und es nicht gespürt hätte. Du nimmst dir wirklich alles heraus, du meinst schon, daß du alles darfst, zuerst verführen, dann noch beleidigen.

HANS KARL.
Ich bin kein Verführer, Toinette, ich bin kein Frauenjäger.
ANTOINETTE.

Ja, das ist dein Kunststückl, damit hast du mich herumgekriegt, daß du kein Verführer bist, kein Mann für Frauen, daß du nur ein Freund bist, aber ein wirklicher Freund. Damit kokettierst du, so wie du mit allem kokettierst, was du hast, und mit allem, was dir fehlt. Man müßte, wenns nach dir ging', nicht nur verliebt in dich sein, sondern dich noch liebhaben über die Vernunft hinaus, und um deiner selbst willen, und nicht einmal nur als Mann – sondern – ich weiß ja gar nicht, wie ich sagen soll, o mein Gott, warum muß ein und derselbe Mensch so charmant sein und zugleich so monstros eitel und selbstsüchtig und herzlos!

HANS KARL.

Weiß Sie, Toinette, was Herz ist, weiß Sie das? Daß ein Mann Herz für eine Frau hat, das kann er nur durch eins zeigen, nur durch ein einziges auf der Welt: durch die Dauer, durch die Beständigkeit. Nur dadurch: das ist die Probe, die einzige.

ANTOINETTE.
Laß mich mit dem Ado – ich kann mit dem Ado nicht leben –
HANS KARL.

Der hat dich lieb. Einmal und für alle Male. Der hat dich gewählt unter allen Frauen auf der Welt, und er hat dich liebbehalten und wird dich liebhaben für immer, weißt du, was das heißt? Für immer, gescheh dir, was da will. Einen Freund haben, der dein ganzes Wesen liebhat, für den du immer ganz schön bist, nicht nur heut und morgen, auch später, viel später, für den seine Augen den Schleier, den die Jahre, oder was kommen kann, über dein Gesicht werfen – für seine Augen ist das nicht da, du bist immer die du bist, die Schönste, die Liebste, die Eine, die Einzige.

ANTOINETTE.
So hat er mich nicht gewählt. Geheiratet hat er mich halt. Von dem andern weiß ich nichts.
[394]
HANS KARL.
Aber er weiß davon.
ANTOINETTE.

Das, was Sie da reden, das gibts alles nicht. Das redet er sich ein – das redet er Ihnen ein – Ihr seids einer wie der andere, ihr Männer, Sie und der Ado und der Stani, ihr seids alle aus einem Holz geschnitzt, und darum verstehts ihr euch so gut und könnts euch so gut in die Hände spielen.

HANS KARL.

Das redt er mir nicht ein, das weiß ich, Toinette. Das ist eine heilige Wahrheit, die weiß ich – ich muß sie immer schon gewußt haben, aber draußen ist sie erst ganz deutlich für mich geworden: es gibt einen Zufall, der macht scheinbar alles mit uns, wie er will – aber mitten in dem Hierhin- und Dorthingeworfenwerden und der Stumpfheit und Todesangst, da spüren wir und wissen es auch, es gibt halt auch eine Notwendigkeit, die wählt uns von Augenblick zu Augenblick, die geht ganz leise, ganz dicht am Herzen vorbei und doch so schneidend scharf wie ein Schwert. Ohne die wäre da draußen kein Leben mehr gewesen, sondern nur ein tierisches Dahintaumeln. Und die gleiche Notwendigkeit gibts halt auch zwischen Männern und Frauen – wo die ist, da ist ein Zueinandermüssen und Verzeihung und Versöhnung und Beieinanderbleiben. Und da dürfen Kinder sein, und da ist eine Ehe und ein Heiligtum, trotz allem und allem –

ANTOINETTE
steht auf.

Alles was du redst, das heißt ja gar nichts anderes, als daß du heiraten willst, daß du demnächst die Helen heiraten wirst.

HANS KARL
bleibt sitzen, hält sie.
Aber ich denk doch nicht an die Helen! Ich red doch von dir. Ich schwör dir, daß ich von dir red.
ANTOINETTE.
Aber dein ganzes Denken dreht sich um die Helen.
HANS KARL.

Ich schwöre dir: ich hab einen Auftrag an die Helen. Ganz einen andern als du dir denkst. Ich sag ihr noch heute –

ANTOINETTE.
Was sagst du ihr noch heute – ein Geheimnis?
HANS KARL.
Keines, das mich betrifft.
ANTOINETTE.
Aber etwas, das dich mit ihr verbindet?
HANS KARL.
Aber das Gegenteil!
[395]
ANTOINETTE.
Das Gegenteil? Ein Adieu – du sagst ihr, was ein Adieu ist zwischen dir und ihr?
HANS KARL.

Zu einem Adieu ist kein Anlaß, denn es war ja nie etwas zwischen mir und ihr. Aber wenns Ihr Freud macht, Toinette, so kommts beinah auf ein Adieu hinaus.

ANTOINETTE.
Ein Adieu fürs Leben?
HANS KARL.
Ja, fürs Leben, Toinette.
ANTOINETTE
sieht ihn ganz an.

Fürs Leben?Nachdenklich. Ja, sie ist so eine Heimliche und tut nichts zweimal und redt nichts zweimal. Sie nimmt nichts zurück – sie hat sich in der Hand: ein Wort muß für sie entscheidend sein. Wenn du ihr sagst: Adieu – dann wirds für sie sein Adieu und auf immer. Für sie wohl. Nach einer kleinen Pause. Ich laß mir von dir den Ado nicht einreden. Ich mag seine Händ nicht. Sein Gesicht nicht. Seine Ohren nicht. Sehr leise. Deine Hände hab ich lieb. – Was bist denn du? Ja, wer bist denn du? Du bist ein Zyniker, ein Egoist, ein Teufel bist du! Mich sitzenlassen ist dir zu gewöhnlich. Mich behalten, dazu bist du zu herzlos. Mich hergeben, dazu bist du zu raffiniert. So willst du mich zugleich loswerden und doch in deiner Macht haben, und dazu ist dir der Ado der Richtige. – Geh hin und heirat die Helen. Heirat, wenn du willst! Ich hab mit deiner Verliebtheit vielleicht was anzufangen, mit deinen guten Ratschlägen aber gar nix.Will gehen.

HANS KARL
tut einen Schritt auf sie zu.
ANTOINETTE.

Laß Er mich gehen. Sie geht ein paar Schritte, dann halb zu ihm gewendet. Was soll denn jetzt aus mir werden? Red Er mir nur den Feri Uhlfeldt aus, der hat so viel Kraft, wenn er was will. Ich hab gesagt, ich mag ihn nicht, er hat gesagt, ich kann nicht wissen, wie er als Freund ist, weil ich ihn noch nicht als Freund gehabt hab. Solche Reden verwirren einen so. Halb unter Tränen, zart. Jetzt wird Er an allem schuld sein, was mir passiert.

[396]
HANS KARL.

Sie braucht eins in der Welt: einen Freund. Einen guten Freund. Er küßt ihr die Hände. Sei Sie gut mit dem Ado.

ANTOINETTE.
Mit dem kann ich nicht gut sein.
HANS KARL.
Sie kann mit jedem.
ANTOINETTE
sanft.
Kari, insultier Er mich doch nicht.
HANS KARL.
Versteh Sie doch, wie ich meine.
ANTOINETTE.
Ich versteh Ihn ja sonst immer gut.
HANS KARL.
Könnt Sies nicht versuchen?
ANTOINETTE.
Ihm zulieb könnt ichs versuchen. Aber Er müßt dabei sein und mir helfen.
HANS KARL.
Jetzt hat Sie mir ein halbes Versprechen gegeben.
11. Szene
Elfte Szene
Der berühmte Mann ist von rechts eingetreten, sucht sich Hans Karl zu nähern, die beiden bemerken ihn nicht.

ANTOINETTE.
Er hat mir was versprochen.
HANS KARL.
Für die erste Zeit.
ANTOINETTE
dicht bei ihm.
Mich liebhaben!
DER BERÜHMTE MANN.
Pardon, ich störe wohl.

Schnell ab.
HANS KARL
dicht bei ihr.
Das tu ich ja.
ANTOINETTE.

Sag Er mir sehr was Liebes: nur für den Moment. Der Moment ist ja alles. Ich kann nur im Moment leben. Ich hab so ein schlechtes Gedächtnis.

HANS KARL.
Ich bin nicht verliebt in Sie, aber ich hab Sie lieb.
ANTOINETTE.
Und das, was Er der Helen sagen wird, ist ein Adieu?
HANS KARL.
Ein Adieu.
ANTOINETTE.
So verhandelt Er mich, so verkauft Er mich!
HANS KARL.
Aber Sie war mir doch noch nie so nahe.
ANTOINETTE.
Er wird oft zu mir kommen, mir zu reden? Er kann mir ja alles einreden.
HANS KARL
küßt sie auf die Stirn, fast ohne es zu wissen.
[397]
ANTOINETTE.
Dank schön.

Läuft weg durch die Mitte.
HANS KARL
steht verwirrt, sammelt sich.
Arme, kleine Antoinette.
12. Szene
Zwölfte Szene
CRESCENCE
kommt durch die Mitte, sehr rasch.
Also brillant hast du das gemacht. Das ist ja erste Klasse, wie du so was deichselst.
HANS KARL.
Wie? Aber du weißt doch gar nicht.
CRESCENCE.

Was brauch ich noch zu wissen. Ich weiß alles. Die Antoinette hat die Augen voller Tränen, sie stürzt an mir vorbei, sowie sie merkt, daß ichs bin, fällt sie mir um den Hals und ist wieder dahin wie der Wind, das sagt mir doch alles. Du hast ihr ins Gewissen geredet, du hast ihr besseres Selbst aufgeweckt, du hast ihr klargemacht, daß sie sich auf den Stani keine Hoffnungen mehr machen darf, und du hast ihr den einzigen Ausweg aus der verfahrenen Situation gezeigt, daß sie zu ihrem Mann zurück soll und trachten soll, ein anständiges, ruhiges Leben zu führen.

HANS KARL.

Ja, so ungefähr. Aber es hat sich im Detail nicht so abgespielt. Ich hab nicht deine zielbewußte Art. Ich komm leicht von meiner Linie ab, das muß ich schon gestehen.

CRESCENCE.

Aber das ist doch ganz egal. Wenn du in so einem Tempo ein so brillantes Resultat erzielst, jetzt, wo du in dem Tempo drin bist, kann ich gar nicht erwarten, daß du die zwei Konversationen mit der Helen und mit dem Poldo Altenwyl absolvierst. Ich bitt dich, geh sie nur an, ich halt dir die Daumen, denk doch nur, daß dem Stani sein Lebensglück von deiner Suada abhängt.

HANS KARL.

Sei außer Sorg, Crescence, ich hab jetzt grad während dem Reden mit der Antoinette Hechingen so die Hauptlinien gesehen für meine Konversation mit der Helen. Ich bin ganz in der Stimmung. Weißt du, das ist ja meine Schwäche, daß ich so selten das Definitive vor mir sehe: aber diesmal seh ichs.

[398]
CRESCENCE.

Siehst du, das ist das Gute, wenn man ein Programm hat. Da kommt ein Zusammenhang in die ganze Geschichte. Also komm nur: wir suchen zusammen die Helen, sie muß ja in einem von den Salons sein, und sowie wir sie finden, laß ich dich allein mit ihr. Und sobald wir ein Resultat haben, stürz ich ans Telephon und depeschier den Stani hierher.

13. Szene
Dreizehnte Szene
Crescence und Hans Karl gehen links hinaus.
Helene mit Neuhoff treten von rechts herein. Man hört eine gedämpfte Musik aus einem entfernten Salon.

NEUHOFF
hinter ihr.

Bleiben Sie stehen. Diese nichtsnutzige, leere, süße Musik und dieses Halbdunkel modellieren Sie wunderbar.

HELENE
ist stehengeblieben, geht aber jetzt weiter auf die Fauteuils links zu.
Ich stehe nicht gern Modell, Baron Neuhoff.
NEUHOFF.
Auch nicht, wenn ich die Augen schließe?
HELENE
sagt nichts, sie steht links.
NEUHOFF.

Ihr Wesen, Helene! Wie niemand je war, sind Sie. Ihre Einfachheit ist das Resultat einer ungeheuren Anspannung. Regungslos wie eine Statue vibrieren Sie in sich, niemand ahnt es, der es aber ahnt, der vibriert mit Ihnen.

HELENE
sieht ihn an, setzt sich.
NEUHOFF
nicht ganz nahe.
Wundervoll ist alles an Ihnen. Und dabei, wie alles Hohe, fast erschreckend selbstverständlich.
HELENE.
Ist Ihnen das Hohe selbstverständlich? Das war ein nobler Gedanke.
NEUHOFF.
Vielleicht könnte man seine Frau werden – das war es, was Ihre Lippen sagen wollten, Helene!
HELENE.
Lesen Sie von den Lippen wie die Taubstummen?
NEUHOFF
einen Schritt näher.
Sie werden mich heiraten, weil Sie meinen Willen spüren in einer willenlosen Welt.
HELENE
vor sich.
Muß man? Ist es ein Gebot, dem eine Frau sich fügen muß: wenn sie gewählt und gewollt wird?
[399]
NEUHOFF.

Es gibt Wünsche, die nicht weither sind. Die darf man unter seine schönen rassigen Füße treten. Der meine ist weither. Er ist gewandert um die halbe Welt. Hier fand er sein Ziel. Sie wurden gefunden, Helene Altenwyl, vom stärksten Willen, auf dem weitesten Umweg, in der kraftlosesten aller Welten.

HELENE.
Ich bin aus ihr und bin nicht kraftlos.
NEUHOFF.

Ihr habt dem schönen Schein alles geopfert, auch die Kraft. Wir, dort in unserm nordischen Winkel, wo uns die Jahrhunderte vergessen, wir haben die Kraft behalten. So stehen wir gleich zu gleich und doch ungleich zu ungleich, und aus dieser Ungleichheit ist mir mein Recht über Sie erwachsen.

HELENE.
Ihr Recht?
NEUHOFF.
Das Recht des geistig Stärksten über die Frau, die er zu vergeistigen vermag.
HELENE.
Ich mag nicht diese mystischen Redensarten.
NEUHOFF.

Es waltet etwas Mystik zwischen zwei Menschen, die sich auf den ersten Blick erkannt haben. Ihr Stolz soll es nicht verneinen.

HELENE
Sie ist aufgestanden.
Er verneint es immer wieder.
NEUHOFF.
Helene, bei Ihnen wäre meine Rettung – meine Zusammenfassung, meine Ermöglichung!
HELENE.
Ich will von niemand wissen, der sein Leben unter solche Bedingungen stellt!

Sie tut ein paar Schritte an ihm vorbei; ihr Blick haftet an der offenen Tür rechts, wo sie eingetreten ist.
NEUHOFF.
Wie Ihr Gesicht sich verändert! Was ist das, Helene?
HELENE
schweigt, sieht nach rechts.
NEUHOFF
ist hinter sie getreten, folgt ihrem Blick.

Oh! Graf Bühl erscheint auf der Bildfläche! Er tritt zurück von der Tür. Sie fühlen magnetisch seine Nähe – ja spüren Sie denn nicht, unbegreifliches Geschöpf, daß Sie für ihn nicht da sind?

HELENE.
Ich bin schon da für ihn, irgendwie bin ich schon da!
NEUHOFF.
Verschwenderin! Sie leihen ihm alles, auch noch die Kraft, mit der er Sie hält.
[400]
HELENE.
Die Kraft, mit der ein Mensch einen hält – die hat ihm wohl Gott gegeben.
NEUHOFF.

Ich staune. Womit übt ein Kari Bühl diese Faszination über Sie? Ohne Verdienst, sogar ohne Bemühung, ohne Willen, ohne Würde –

HELENE.
Ohne Würde!
NEUHOFF.
Der schlaffe zweideutige Mensch hat keine Würde.
HELENE.
Was für Worte gebrauchen Sie da?
NEUHOFF.

Mein nördlicher Jargon klingt etwas scharf in Ihre schöngeformten Ohren. Aber ich vertrete seine Schärfe. Zweideutig nenne ich den Mann, der sich halb verschenkt und sich halb zurückbehält – der Reserven in allem und jedem hält – in allem und jedem Berechnungen –

HELENE.

Berechnung und Kari Bühl! Ja, sehen Sie ihn denn wirklich so wenig! Freilich ist es unmöglich, sein letztes Wort zu finden, das bei andern so leicht zu finden ist. Die Ungeschicklichkeit, die ihn so liebenswürdig macht, der timide Hochmut, seine Herablassung, freilich ist alles ein Versteckenspiel, freilich läßt er sich mit plumpen Händen nicht fassen. – Die Eitelkeit erstarrt ihn ja nicht, durch die alle andern steif und hölzern werden – die Vernunft erniedrigt ihn ja nicht, die aus den meisten so etwas Gewöhnliches macht – er gehört nur sich selber – niemand kennt ihn, da ist es kein Wunder, daß Sie ihn nicht kennen!

NEUHOFF.

So habe ich Sie nie zuvor gesehen, Helene. Ich genieße diesen unvergleichlichen Augenblick! Einmal sehe ich Sie, wie Gott Sie geschaffen hat, Leib und Seele. Ein Schauspiel für Götter. Pfui über die Weichheit bei Männern wie bei Frauen! Aber Strenge, die weich wird, ist herrlich über alles!

HELENE
schweigt.
NEUHOFF.

Gestehen Sie mir zu, es zeugt von etwas Superiorität, wenn ein Mann es an einer Frau genießen kann, wie sie einen andern bewundert. Aber ich vermag es: denn ich bagatellisiere Ihre Bewunderung für Kari Bühl.

HELENE.
Sie verwechseln die Nuancen. Sie sind aigriert, wo es nicht am Platz ist.
NEUHOFF.
Über was ich hinweggehe, das aigriert mich nicht.
[401]
HELENE.
Sie kennen ihn nicht! Sie haben ihn kaum gesprochen.
NEUHOFF.
Ich habe ihn besucht –
HELENE
sieht ihn an.
NEUHOFF.

Es ist nicht zu sagen, wie dieser Mensch Sie preisgibt – Sie bedeuten ihm nichts. Sie sind es, über die er hinweggeht.

HELENE
ruhig.
Nein.
NEUHOFF.
Es war ein Zweikampf zwischen mir und ihm, ein Zweikampf um Sie – und ich bin nicht unterlegen.
HELENE.

Nein, es war kein Zweikampf. Es verdient keinen so heroischen Namen. Sie sind hingegangen, um dasselbe zu tun, was ich in diesem Augenblick tu! Lacht. Ich gebe mir alle Mühe, den Grafen Bühl zu sehen, ohne daß er mich sieht. Aber ich tue es ohne Hintergedanken.

NEUHOFF.
Helene!
HELENE.
Ich denke nicht, dabei etwas wegzutragen, das mir nützen könnte!
NEUHOFF.
Sie treten mich ja in den Staub, Helene – und ich lasse mich treten!
HELENE
schweigt.
NEUHOFF.
Und nichts bringt mich näher?
HELENE.
Nichts.

Sie geht einen Schritt auf die Tür rechts zu.
NEUHOFF.

Alles an Ihnen ist schön, Helene. Wenn Sie sich niedersetzen, ist es, als ob Sie ausruhen müßten von einem großen Schmerz – und wenn Sie quer durchs Zimmer gehen, ist es, als ob Sie einer ewigen Entscheidung entgegengingen.


Hans Karl ist in der Tür rechts erschienen.
Helene gibt Neuhoff keine Antwort. Sie geht lautlos
langsam auf die Tür rechts zu.
Neuhoff geht schnell links hinaus.

[402]
14. Szene
Vierzehnte Szene
HANS KARL.
Ja, ich habe mit Ihnen zu reden.
HELENE.
Ist es etwas sehr Ernstes?
HANS KARL.

Es kommt vor, daß es einem zugemutet wird. Durchs Reden kommt ja alles auf der Welt zustande. Allerdings, es ist ein bißl lächerlich, wenn man sich einbildet, durch wohlgesetzte Wörter eine weiß Gott wie große Wirkung auszuüben, in einem Leben, wo doch schließlich alles auf das Letzte, Unaussprechliche ankommt. Das Reden basiert auf einer indezenten Selbstüberschätzung.

HELENE.
Wenn alle Menschen wüßten, wie unwichtig sie sind, würde keiner den Mund aufmachen.
HANS KARL.

Sie haben einen so klaren Verstand, Helene. Sie wissen immer in jedem Moment so sehr, worauf es ankommt.

HELENE.
Weiß ich das?
HANS KARL.
Man versteht sich mit Ihnen ausgezeichnet. Da muß man sehr achtgeben.
HELENE
sieht ihn an.
Da muß man achtgeben?
HANS KARL.

Freilich. Sympathie ist ganz gut, aber auf ihr herumzureiten, wäre doch namenlos indiskret. Darum muß man doch gerade auf der Hut sein, wenn man das Gefühl hat, sich sehr gut zu verstehen.

HELENE.

Das müssen Sie tun, natürlich. So ist Ihre Natur. Wer sich einfallen ließe, Sie fixieren zu wollen, wäre schon verloren. Aber wer glaubt, daß Sie ihm für immer adieu gesagt haben, dem könnte passieren, daß Sie ihm wieder guten Tag sagen. – Heut hat die Antoinette wieder Charme für Sie gehabt.

HANS KARL.
Sie bemerken alles!
HELENE.

Sie verbrauchen auf Ihre Art die armen Frauen, aber Sie haben sie gar nicht sehr lieb. Es gehört viel Contenance dazu oder ein bißl Gewöhnlichkeit, um Ihre Freundin zu bleiben.

HANS KARL.
Wenn Sie mich so sehen, dann bin ich Ihnen ja direkt unsympathisch!
HELENE.
Gar nicht. Sie sind charmant. Sie sind bei all dem wie ein Kind.
[403]
HANS KARL.

Wie ein Kind? Und dabei bin ich nahezu ein alter Mensch. Das ist doch ein horreur. Mit neununddreißig Jahren nicht wissen, woran man mit sich selber ist, das ist doch eine Schand.

HELENE.

Ich brauchte nie nachzudenken, woran ich mit mir selber bin. Bei mir ist wirklich gar nichts los, es ist nichts da als ein anständiges, ruhiges Benehmen.

HANS KARL.
Sie haben so eine reizende Art!
HELENE.

Ich möchte nicht sentimental sein, das langweilt mich. Ich möchte lieber terre à terre sein, wie Gott weiß wer, als sentimental. Ich möchte auch nicht spleenig sein, und ich möchte nicht kokett sein. So bleibt mir nichts übrig, als möglichst artig zu sein.

HANS KARL
schweigt.
HELENE.

Au fond können wir Frauen tun, was wir wollen, meinetwegen Solfèges singen oder politisieren, wir meinen immer noch was andres damit. – Solfèges singen ist indiskreter, Artigsein ist diskreter, es drückt die bestimmte Absicht aus, keine Indiskretionen zu begehen. Weder gegen sich, noch gegen einen andern.

HANS KARL.

Alles an Ihnen ist besonders und schön. Ihnen kann ja gar nichts geschehen. Heiraten Sie wen immer, heiraten Sie den Neuhoff, nein, den Neuhoff, wenn sichs vermeiden läßt, lieber nicht, aber den ersten besten frischen Menschen, einen Menschen wie meinen Neffen Stani, ja wirklich, Helene, heiraten Sie den Stani, er möchte so gern, und Ihnen kann ja gar nichts passieren. Sie sind ja unzerstörbar, das steht ja deutlich in Ihrem Gesicht geschrieben. Ich bin immer fasziniert von einem wirklich schönen Gesicht – aber das Ihre –

HELENE.
Ich möchte nicht, daß Sie so mit mir reden, Graf Bühl.
HANS KARL.

Aber nein, an Ihnen ist ja nicht die Schönheit das Entscheidende, sondern etwas ganz anderes: in Ihnen liegt das Notwendige. Sie können mich natürlich nicht verstehen, ich versteh mich selbst viel schlechter, wenn ich red, als wenn ich still bin. Ich kann gar nicht versuchen, Ihnen das zu explizieren, es ist halt etwas, was ich draußen begreifen [404] gelernt habe: daß in den Gesichtern der Menschen etwas geschrieben steht. Sehen Sie, auch in einem Gesicht wie dem von der Antoinette kann ich lesen –

HELENE
mit einem flüchtigen Lächeln.
Aber davon bin ich überzeugt.
HANS KARL
ernst.

Ja, es ist ein charmantes, liebes Gesicht, aber es steht immer ein und derselbe stumme Vorwurf in ihm eingegraben: Warum habts ihr mich alle dem fürchterlichen Zufall überlassen? Und das gibt ihrer kleinen Maske etwas so Hilfloses, Verzweifeltes, daß man Angst um sie haben könnte.

HELENE.

Aber die Antoinette ist doch da. Sie existiert doch so ganz für den Moment. So müssen doch Frauen sein, der Moment ist ja alles. Was soll denn die Welt mit einer Person anfangen, wie ich bin? Für mich ist ja der Moment gar nicht da, ich stehe da und sehe die Lampen dort brennen, und in mir sehe ich sie schon ausgelöscht. Und ich spreche mit Ihnen, wir sind ganz allein in einem Zimmer, aber in mir ist das jetzt schon vorbei: wie wenn irgendein gleichgültiger Mensch hereingekommen wäre und uns gestört hätte, die Huberta oder der Theophil Neuhoff oder wer immer, und das schon vorüber wäre, daß ich mit Ihnen allein dagesessen bin, bei dieser Musik, die zu allem auf der Welt besser paßt, als zu uns beiden – und Sie schon wieder irgendwo dort zwischen den Leuten. Und ich auch irgendwo zwischen den Leuten.

HANS KARL
leise.

Jeder muß glücklich sein, der mit Ihnen leben darf, und muß Gott danken bis an sein Lebensende, Helen, bis an sein Lebensende, seis wers sei. Nehmen Sie nicht den Neuhoff, Helen, – eher einen Menschen wie den Stani, oder auch nicht den Stani, einen ganz andern, der ein braver, nobler Mensch ist – und ein Mann: das ist alles, was ich nicht bin.


Er steht auf.
HELENE
steht auch auf, sie spürt, daß er gehen will.
Sie sagen mir ja adieu!
HANS KARL
gibt keine Antwort.
HELENE.

Auch das hab ich voraus gewußt. Daß einmal ein [405] Moment kommen wird, wo Sie mir so plötzlich adieu sagen werden und ein Ende machen – wo gar nichts war. Aber denen, wo wirklich was war, denen können Sie nie adieu sagen.

HANS KARL.
Helen, es sind gewisse Gründe.
HELENE.

Ich glaube, ich habe alles in der Welt, was sich auf uns zwei bezieht, schon einmal gedacht. So sind wir schon einmal gestanden, so hat eine fade Musik gespielt, und so haben Sie mir adieu gesagt, einmal für allemal.

HANS KARL.

Es ist nicht nur so aus diesem Augenblick heraus, Helen, daß ich Ihnen adieu sage. O nein, das dürfen Sie nicht glauben. Denn daß man jemandem adieu sagen muß, dahinter versteckt sich ja was.

HELENE.
Was denn?
HANS KARL.
Da muß man ja sehr zu jemandem gehören und doch nicht ganz zu ihm gehören dürfen.
HELENE
zuckt.
Was wollen Sie damit sagen?
HANS KARL.
Da draußen, da war manchmal was – mein Gott, ja, wer könnte denn das erzählen!
HELENE.
Ja, mir. Jetzt.
HANS KARL.

Da waren solche Stunden, gegen Abend oder in der Nacht, der frühe Morgen mit dem Morgenstern – Helen, Sie waren da sehr nahe von mir. Dann war dieses Verschüttetwerden, Sie haben davon gehört –

HELENE.
Ja, ich hab davon gehört –
HANS KARL.

Das war nur ein Moment, dreißig Sekunden sollen es gewesen sein, aber nach innen hat das ein anderes Maß. Für mich wars eine ganze Lebenszeit, die ich gelebt hab, und in diesem Stück Leben, da waren Sie meine Frau. Ist das nicht spaßig?

HELENE.
Da war ich Ihre Frau?
HANS KARL.

Nicht meine zukünftige Frau. Das ist das Sonderbare. Meine Frau ganz einfach. Als ein fait accompli. Das Ganze hat eher etwas Vergangenes gehabt als etwas Zukünftiges.

HELENE
schweigt.
HANS KARL.

Mein Gott, ich bin eben nicht möglich, das sag ich ja der Crescence! Jetzt sitz ich da neben Ihnen in einer [406] Soiree und verlier mich in Geschichten, wie der alte Millesimo, Gott hab ihn selig, den schließlich die Leut allein sitzen haben lassen, mit seinen Anekdoten ohne Pointe, und der das gar nicht bemerkt hat und mutterseelenallein weitererzählt hat.

HELENE.

Aber ich laß Sie gar nicht sitzen, ich hör zu, Graf Kari. Sie haben mir etwas sagen wollen, war es das?

HANS KARL.

Nämlich: das war eine sehr subtile Lektion, die mir da eine höhere Macht erteilt hat. Ich werd Ihnen sagen, Helen, was die Lektion bedeutet hat.

HELENE
hat sich gesetzt, er setzt sich auch, die Musik hat aufgehört.
HANS KARL.

Es hat mir in einem ausgewählten Augenblick ganz eingeprägt werden sollen, wie das Glück ausschaut, das ich mir verscherzt habe. Wo durch ich mirs verscherzt habe, das wissen Sie ja so gut wie ich.

HELENE.
Das weiß ich so gut wie Sie?
HANS KARL.

Indem ich halt, solange noch Zeit war, nicht erkannt habe, worin das Einzige liegen könnte, worauf es ankäm. Und daß ich das nicht erkannt habe, das war eben die Schwäche meiner Natur. Und so habe ich diese Prüfung nicht bestanden. Später im Feldspital, in den vielen ruhigen Tagen und Nächten hab ich das alles mit einer unbeschreiblichen Klarheit und Reinheit erkennen können.

HELENE.
War es das, war Sie mir haben sagen wollen, genau das?
HANS KARL.

Die Genesung ist so ein merkwürdiger Zustand. Darin ist mir die ganze Welt wiedergekommen, wie etwas Reines, Neues und dabei so Selbstverständliches. Ich hab da auf einmal ausdenken können, was das ist: ein Mensch. Und wie das sein muß: zwei Menschen, die ihr Leben aufeinanderlegen und werden wie ein Mensch. Ich habe – in der Ahnung wenigstens – mir vorstellen können – was da dazu gehört, wie heilig das ist und wie wunderbar. Und sonderbarerweise, es war nicht meine Ehe, die ganz ungerufen die Mitte von diesem Denken war – obwohl es ja leicht möglich ist, daß ich noch einmal heirat –, sondern es war Ihre Ehe.

[407]
HELENE.
Meine Ehe! Meine Ehe – mit wem denn?
HANS KARL.

Das weiß ich nicht. Aber ich hab mir das in einer ganz genauen Weise vorstellen können, wie das alles sein wird, und wie es sich abspielen wird, mit ganz wenigen Leuten und ganz heilig und feierlich, und wie alles so sein wird, wie sichs gehört zu Ihren Augen und zu Ihrer Stirn und zu Ihren Lippen, die nichts Überflüssiges reden können, und zu Ihren Händen, die nichts Unwürdiges besiegeln können – und sogar das Ja-Wort hab ich gehört, ganz klar und rein, von Ihrer klaren, reinen Stimme – ganz von weitem, denn ich war doch natürlich nicht dabei, ich war doch nicht dabei! – Wie käm ich als ein Außenstehender zu der Zeremonie – Aber es hat mich gefreut, Ihnen einmal zu sagen, wie ichs Ihnen mein. – Und das kann man natürlich nur in einem besonderen Moment; wie der jetzige, sozusagen in einem definitiven Moment –

HELENE
ist dem Umsinken nah, beherrscht sich aber.
HANS KARL
Tränen in den Augen.

Mein Gott, jetzt hab ich Sie ganz bouleversiert, das liegt an meiner unmöglichen Art, ich attendrier mich sofort, wenn ich von was sprech oder hör, was nicht aufs Allerbanalste hinausgeht – es sind die Nerven seit der Geschichte, aber das steckt sensible Menschen wie Sie natürlich an – ich gehör eben nicht unter Menschen – das sag ich ja der Crescence – ich bitt Sie tausendmal um Verzeihung, vergessen Sie alles, was ich da Konfuses zusammengeredt hab – es kommen ja in so einem. Abschiedsmoment tausend Erinnerungen durcheinander – Hastig, weil er fühlt, daß sie nicht mehr allein sind. – aber wer sich beisammen hat, der vermeidet natürlich, sie auszukramen – Adieu, Helen, Adieu.


Der berühmte Mann ist von rechts eingetreten.
HELENE
kaum ihrer selbst mächtig.
Adieu!

Sie wollen sich die Hände geben, keine Hand findet die andere. Hans Karl will fort nach rechts. Der berühmte Mann tritt auf ihn zu. Hans Karl sieht sich nach links um.
Crescence tritt von links ein.
DER BERÜHMTE MANN.
Es war seit langem mein lebhafter Wunsch, Euer Erlaucht –
[408]
HANS KARL
eilt fort nach rechts.
Pardon, mein Herr! An ihm vorbei.

Crescence tritt zu Helene, die totenblaß dasteht.
Der berühmte Mann ist verlegen abgegangen.
Hans Karl erscheint nochmals in der Tür rechts, sieht herein, wie unschlüssig, und verschwindet gleich wieder, wie er Crescence bei Helene sieht.
HELENE
zu Crescence, fast ohne Besinnung.

Du bists, Crescence? Er ist ja noch einmal hereingekommen. Hat er noch etwas gesagt? Sie taumelt, Crescence hält sie.

CRESCENCE.
Aber ich bin ja so glücklich. Deine Ergriffenheit macht mich ja so glücklich!
HELENE.
Pardon, Crescence, sei mir nicht bös!

Macht sich los und läuft weg nach links.
CRESCENCE.
Ihr habts euch eben beide viel lieber, als ihr wißts, der Stani und du! Sie wischt sich die Augen.

Der Vorhang fällt.

3. Akt

1. Szene
Erste Szene
KAMMERDIENER
steht beim Ausgang rechts.

Andere Diener stehen außerhalb, sind durch die Glasscheiben des Windfangs sichtbar. Kammerdiener ruft den andern Dienern zu. Herr Hofrat Professor Brücke!


Der berühmte Mann kommt die Treppe herunter. Diener kommt von rechts mit dem Pelz, in dem innen zwei Cachenez hängen, mit Überschuhen.
KAMMERDIENER
während dem berühmten Mann in die Überkleider geholfen wird.
Befehlen Herr Hofrat ein Auto?
DER BERÜHMTE MANN.
Ich danke. Ist Seine Erlaucht, der Graf Bühl nicht soeben vor mir gewesen?
KAMMERDIENER.
Soeben im Augenblick.
DER BERÜHMTE MANN.
Ist er fortgefahren?
KAMMERDIENER.

Nein, Erlaucht hat sein Auto weggeschickt, er hat zwei Herren vorfahren sehen und ist hinter die Portiersloge getreten und hat sie vorbeigelassen. Jetzt muß er gerade aus dem Haus sein.

DER BERÜHMTE MANN
beeilt sich.
Ich werde ihn einholen. Er geht, man sieht zugleich draußen Stani und Hechingen eintreten.

[410] Stani und Hechingen treten ein, hinter jedem ein Diener, der ihm Überrock und Hut abnimmt.
STANI
grüßt im Vorbeigehen den berühmten Mann.
Guten Abend Wenzel, meine Mutter ist da?
KAMMERDIENER.
Sehr wohl, Frau Gräfin sind beim Spiel. Tritt ab, ebenso wie die andern Diener.

Stani will hinaufgehen, Hechingen steht seitlich an einem Spiegel, sichtlich nervös.
Ein anderer Altenwylscher Diener kommt die Treppe herab.
STANI
hält den Diener auf.
Sie kennen mich?
DIENER.
Sehr wohl, Herr Graf.
STANI.

Gehen Sie durch die Salons und suchen Sie den Grafen Bühl, bis Sie ihn finden. Dann nähern Sie sich ihm unauffällig und melden ihm, ich lasse ihn bitten auf ein Wort, entweder im Eckzimmer der Bildergalerie oder im chinesischen Rauchzimmer. Verstanden? Also was werden Sie sagen?

DIENER.

Ich werde melden, Herr Graf Freudenberg wünschen mit Seiner Erlaucht privat ein Wort zu sprechen, entweder im Ecksalon –

STANI.
Gut.

Diener geht.
HECHINGEN.
Pst, Diener!

Diener hört ihn nicht, geht oben hinein.
Stani hat sich gesetzt.
Hechingen sieht ihn an.
STANI.

Wenn du vielleicht ohne mich eintreten würdest? Ich habe eine Post hinaufgeschickt, ich warte hier einen Moment, bis er mir die Antwort bringt.

HECHINGEN.
Ich leiste dir Gesellschaft.
STANI.

Nein, ich bitte sehr, daß du dich durch mich nicht aufhalten laßt. Du warst ja sehr pressiert, herzukommen –

HECHINGEN.

Mein lieber Stani, du siehst mich in einer ganz besonderen Situation vor dir. Wenn ich jetzt die Schwelle dieses Salons überschreite, so entscheidet sich mein Schicksal.

[411]
STANI
enerviert über Hechingens nervöses Aufundabgehen.
Möchtest du nicht vielleicht Platz nehmen? Ich wart nur auf den Diener, wie gesagt.
HECHINGEN.
Ich kann mich nicht setzen, ich bin zu agitiert.
STANI.
Du hast vielleicht ein bissel schnell den Schampus hinuntergetrunken.
HECHINGEN.

Auf die Gefahr hin, dich zu langweilen, mein lieber Stani, muß ich dir gestehen, daß für mich in dieser Stunde außerordentlich Großes auf dem Spiel steht.

STANI
während Hechingen sich wieder nervös zerstreut von ihm entfernt.

Aber es steht ja öfter irgend etwas Serioses auf dem Spiel. Es kommt nur darauf an, sich nichts merken zu lassen.

HECHINGEN
wieder näher.

Dein Onkel Kari hat es in seiner freundschaftlichen Güte auf sich genommen, mit der Antoinette, mit meiner Frau, ein Gespräch zu führen, dessen Ausgang wie gesagt –

STANI.
Der Onkel Kari?
HECHINGEN.

Ich mußte mir sagen, daß ich mein Schicksal in die Hand keines nobleren, keines selbstloseren Freundes –

STANI.
Aber natürlich. – Wenn er nur die Zeit gefunden hat?
HECHINGEN.
Wie?
STANI.

Er übernimmt manchmal ein bissl viel, der Onkel Kari. Wenn irgend jemand etwas von ihm will – er kann nicht nein sagen.

HECHINGEN.

Es war abgemacht, daß ich im Club ein telephonisches Signal erwarte, ob ich hierherkommen soll, oder ob mein Erscheinen noch nicht opportun ist.

STANI.
Ah. Da hätte ich aber an deiner Stelle auch wirklich gewartet.
HECHINGEN.
Ich war nicht mehr imstande, länger zu warten. Bedenke, was für mich auf dem Spiel steht!
STANI.

Über solche Entscheidungen muß man halt ein bissl erhaben sein. Aha! Sieht den Diener, der oben heraustritt.

DIENER
kommt die Treppe herunter.
STANI
ihm entgegen, läßt Hechingen stehen.
DIENER.
Nein, ich glaube, Seine Erlaucht müssen fort sein.
[412]
STANI.
Sie glauben? Ich habe Ihnen gesagt, Sie sollen herumgehen, bis Sie ihn finden.
DIENER.

Verschiedene Herrschaften haben auch schon gefragt, Seine Erlaucht müssen rein unauffällig verschwunden sein.

STANI.

Sapristi! Dann gehen Sie zu meiner Mutter und melden Sie ihr, ich lasse vielmals bitten, sie möchte auf einen Moment zu mir in den vordersten Salon herauskommen. Ich muß meinen Onkel oder sie sprechen, bevor ich eintrete.

DIENER.
Sehr wohl.

Geht wieder hinauf.
HECHINGEN.

Mein Instinkt sagt mir, daß der Kari in der Minute heraustreten wird, um mir das Resultat zu verkündigen, und daß es ein glückliches sein wird.

STANI.
So einen sicheren Instinkt hast du? Ich gratuliere.
HECHINGEN.

Etwas hat ihn abgehalten zu telephonieren, aber er hat mich herbeigewünscht. Ich fühle mich ununterbrochen im Kontakt mit ihm.

STANI.
Fabelhaft!
HECHINGEN.

Das ist bei uns gegenseitig. Sehr oft spricht er etwas aus, was ich im gleichen Augenblick mir gedacht habe.

STANI.
Du bist offenbar ein großartiges Medium.
HECHINGEN.

Mein lieber Freund, wie ich ein junger Hund war wie du, hätte ich auch viel nicht für möglich gehalten, aber wenn man seine Fünfunddreißig auf dem Buckel hat, da gehen einem die Augen für so manches auf. Es ist ja, wie wenn man früher taub und blind gewesen wäre.

STANI.
Was du nicht sagst!
HECHINGEN.

Ich verdank ja dem Kari geradezu meine zweite Erziehung. Ich lege Gewicht darauf, klarzustellen, daß ich ohne ihn einfach aus meiner verworrenen Lebenssituation nicht herausgefunden hätte.

STANI.
Das ist enorm.
HECHINGEN.

Ein Wesen wie die Antoinette, mag man auch ihr Mann gewesen sein, das sagt noch gar nichts, man hat eben keine Ahnung von dieser inneren Feinheit. Ich bitte nicht [413] zu übersehen, daß ein solches Wesen ein Schmetterling ist, dessen Blütenstaub man schonen muß. Wenn du sie kennen würdest, ich meine näher kennen –

STANI
verbindliche Gebärde.
HECHINGEN.

Ich faß mein Verhältnis zu ihr jetzt so auf, daß es einfach meine Schuldigkeit ist, ihr die Freiheit zu gewähren, deren ihre bizarre, phantasievolle Natur bedarf. Sie hat die Natur der grande dame des achtzehnten Jahrhunderts. Nur dadurch, daß man ihr die volle Freiheit gewährt, kann man sie an sich fesseln.

STANI.
Ah.
HECHINGEN.

Man muß large sein, das ist es, was ich dem Kari verdanke. Ich würde keineswegs etwas Irreparables darin erblicken, einen Menschen, der sie verehrt, in larger Weise heranzuziehen.

STANI.
Ich begreife.
HECHINGEN.

Ich würde mich bemühen, meinen Freund aus ihm zu machen, nicht aus Politik, sondern ganz unbefangen. Ich würde ihm herzlich entgegenkommen: das ist die Art, wie der Kari mir gezeigt hat, daß man die Menschen nehmen muß: mit einem leichten Handgelenk.

STANI.
Aber es ist nicht alles au pied de la lettre zu nehmen, was der Onkel Kari sagt.
HECHINGEN.

Au pied de la lettre natürlich nicht. Ich würde dich bitten, nicht zu übersehen, daß ich genau fühle, worauf es ankommt. Es kommt alles auf ein gewisses Etwas an, auf eine Grazie – ich möchte sagen, es muß alles ein beständiges Impromptu sein.


Er geht nervös auf und ab.
STANI.

Man muß vor allem seine tenue zu wahren wissen. Beispielsweise, wenn der Onkel Kari eine Entscheidung über was immer zu erwarten hätte, so würde kein Mensch ihm etwas anmerken.

HECHINGEN.

Aber natürlich. Dort hinter dieser Statue oder hinter der großen Azalee würde er mit der größten Nonchalance stehen und plaudern – ich mal mir das aus! Auf die Gefahr bin, dich zu langweilen, ich schwör dir, daß ich jede kleine Nuance, die in ihm vorgehen würde, nachempfinden kann.

[414]
STANI.

Da wir uns aber nicht beide hinter die Azalee stellen können und dieser Idiot von Diener absolut nicht wiederkommt, so werden wir vielleicht hinaufgehen.

HECHINGEN.

Ja, gehen wir beide. Es tut mir wohl, diesen Augenblick nicht allein zu verbringen. Mein lieber Stani, ich hab eine so aufrichtige Sympathie für dich!


Hängt sich in ihn ein.
STANI
indem er seinen Arm von dem Hechingens entfernt.

Aber vielleicht nicht bras dessus bras dessous wie die Komtessen, wenn sie das erste Jahr ausgehen, sondern jeder extra.

HECHINGEN.
Bitte, bitte, wie dirs genehm ist. –
STANI.
Ich würde dir vorschlagen, als erster zu starten. Ich komm dann sofort nach.

Hechingen geht voraus, verschwindet oben.
Stani geht ihm nach.
3. Szene
Dritte Szene
HELENE
tritt aus einer kleinen versteckten Tür in der linken Seitenwand.

Sie wartet, bis Stani oben unsichtbar geworden ist. Dann ruft sie den Kammerdiener leise an. Wenzel, Wenzel, ich will Sie etwas fragen.

KAMMERDIENER
geht schnell zu ihr hinüber.
Befehlen Komtesse?
HELENE
mit sehr leichtem Ton.
Haben Sie gesehen, ob der Graf Bühl fortgegangen ist?
KAMMERDIENER.
Jawohl, sind fortgegangen, vor fünf Minuten.
HELENE.
Er hat nichts hinterlassen?
KAMMERDIENER.
Wie meinen die Komtesse?
HELENE.
Einen Brief oder eine mündliche Post.
KAMMERDIENER.
Mir nicht, ich werde gleich die andern Diener fragen. Geht hinüber.
HELENE
steht und wartet.

Stani wird oben sichtbar. Er sucht zu sehen, mit wem Helene spricht, und verschwindet dann wieder.
KAMMERDIENER
kommt zurück zu Helene.
Nein, gar nicht. Er [415] hat sein Auto weggeschickt, sich eine Zigarre angezündet und ist gegangen.
HELENE
sagt nichts.
KAMMERDIENER
nach einer kleinen Pause.
Befehlen Komtesse noch etwas?
HELENE.
Ja, Wenzel, ich werd in ein paar Minuten wiederkommen, und dann werd ich aus dem Hause gehen.
KAMMERDIENER.
Wegfahren, noch jetzt am Abend?
HELENE.
Nein, gehen, zu Fuß.
KAMMERDIENER.
Ist jemand krank worden?
HELENE.
Nein, es ist niemand krank, ich muß mit jemandem sprechen.
KAMMERDIENER.
Befehlen Komtesse, daß wer begleitet außer der Miss?
HELENE.

Nein, ich werde ganz allein gehen, auch die Miss Jekyll wird mich nicht begleiten. Ich werde hier herausgehen in einem Augenblick, wenn niemand von den Gästen hier fortgeht. Und ich werde Ihnen einen Brief für den Papa geben.

KAMMERDIENER.
Befehlen, daß ich den dann gleich hineintrage?
HELENE.
Nein, geben Sie ihn dem Papa, wenn er die letzten Gäste begleitet hat.
KAMMERDIENER.
Wenn sich alle Herrschaften verabschiedet haben?
HELENE.

Ja, im Moment, wo er befiehlt, das Licht auszulöschen. Aber dann bleiben Sie bei ihm. Ich möchte, daß Sie –


Sie stockt.
KAMMERDIENER.
Befehlen?
HELENE.
Wie alt war ich, Wenzel, wie Sie hier ins Haus gekommen sind?
KAMMERDIENER.
Fünf Jahre altes Mäderl waren Komtesse.
HELENE.

Es ist gut, Wenzel, ich danke Ihnen. Ich werde hier herauskommen, und Sie werden mir ein Zeichen geben, ob der Weg frei ist.


Reicht ihm ihre Hand zum Küssen.
KAMMERDIENER.
Befehlen. Küßt die Hand.

Helene geht wieder ab durch die kleine Tür.

[416]
4. Szene
Vierte Szene
Antoinette und Neuhoff kommen rechts seitwärts der Treppe aus dem Wintergarten.

ANTOINETTE.
Das war die Helen. War sie allein? Hat sie mich gesehen?
NEUHOFF.
Ich glaube nicht. Aber was liegt daran? Jedenfalls haben Sie diesen Blick nicht zu fürchten.
ANTOINETTE.

Ich fürcht mich vor ihr. Sooft ich an sie denk, glaub ich, daß mich wer angelogen hat. Gehen wir woanders hin, wir können nicht hier im Vestibül sitzen.

NEUHOFF.
Beruhigen Sie sich. Kari Bühl ist fort. Ich habe soeben gesehen, wie er fortgegangen ist.
ANTOINETTE.
Gerade jetzt im Augenblick?
NEUHOFF
versteht, woran sie denkt.
Er ist unbemerkt und unbegleitet fortgegangen.
ANTOINETTE.
Wie?
NEUHOFF.

Eine gewisse Person hat ihn nicht bis hierher begleitet und hat überhaupt in der letzten halben Stunde seines Hierseins nicht mit ihm gesprochen. Ich habe es festgestellt. Seien Sie ruhig.

ANTOINETTE.

Er hat mir geschworen, er wird ihr adieu sagen für immer. Ich möcht ihr Gesicht sehen, dann wüßt ich –

NEUHOFF.
Dieses Gesicht ist hart wie Stein. Bleiben Sie bei mir hier.
ANTOINETTE.
Ich –
NEUHOFF.

Ihr Gesicht ist entzückend. Andere Gesichter verstecken alles. Das Ihrige ist ein unaufhörliches Geständnis. Man könnte diesem Gesicht alles entreißen, was je in Ihnen vorgegangen ist.

ANTOINETTE.
Man könnte? Vielleicht – wenn man einen Schatten von Recht dazu hätte.
NEUHOFF.

Man nimmt das Recht dazu aus dem Moment. Sie sind eine Frau, eine wirkliche, entzückende Frau. Sie gehören keinem und jedem! Nein: Sie haben noch keinem gehört, Sie warten noch immer.

ANTOINETTE
mit einem kleinen nervösen Lachen.
Nicht auf Sie!
[417]
NEUHOFF.

Ja, genau auf mich, das heißt auf den Mann, den Sie noch nicht kennen, auf den wirklichen Mann, auf Ritterlichkeit, auf Güte, die in der Kraft wurzelt. Denn die Karis haben Sie nur malträtiert, betrogen vom ersten bis zum letzten Augenblick, diese Sorte von Menschen ohne Güte, ohne Kern, ohne Nerv, ohne Loyalität! Diese Schmarotzer, denen ein Wesen wie Sie immer wieder und wieder in die Schlinge fällt, ungelohnt, unbedankt, unbeglückt, erniedrigt in ihrer zartesten Weiblichkeit!


Will ihre Hand ergreifen.
ANTOINETTE.

Wie Sie sich echauffieren! Aber vor Ihnen bin ich sicher, Ihr kalter, wollender Verstand hebt ja den Kopf aus jedem Wort, das Sie reden. Ich hab nicht einmal Angst vor Ihnen. Ich – will Sie nicht!

NEUHOFF.

Mein Verstand, ich haß ihn ja! Ich will ja erlöst sein von ihm, mich verlangt ja nichts anderes, als ihn bei Ihnen zu verlieren, süße kleine Antoinette! Er will ihre Hand nehmen.


Hechingen wird oben sichtbar, tritt aber gleich wieder zurück. Neuhoff hat ihn gesehen, nimmt ihre Hand nicht, ändert die Stellung und den Gesichtsausdruck.
ANTOINETTE.

Ah, jetzt hab ich Sie durch und durch gesehen! Wie sich das jäh verändern kann in Ihrem Gesicht! Ich will Ihnen sagen, was jetzt passiert ist: jetzt ist oben die Helen vorbeigegangen, und in diesem Augenblick hab ich in Ihnen lesen können wie in einem offenen Buch. Dépit und Ohnmacht, Zorn, Scham und die Lust, mich zu kriegen – faute de mieux –, das alles war zugleich darin. Die Edine schimpft mit mir, daß ich komplizierte Bücher nicht lesen kann. Aber das war recht kompliziert, und ich habs doch lesen können in einem Nu. Geben Sie sich keine Müh mit mir. Ich mag nicht!

NEUHOFF
beugt sich zu ihr.
Du sollst wollen!
ANTOINETTE
steht auf.

Oho! Ich mag nicht! Ich mag nicht! Denn das, was da aus Ihren Augen hervorwill und mich in seine Gewalt kriegen will, aber nur will! – kann sein, daß das sehr männlich ist – aber ich mags nicht. Und wenn das Euer Bestes ist, so hat jede einzelne von uns, und wäre sie [418] die Gewöhnlichste, etwas in sich, das besser ist als Euer Bestes, und das gefeit ist gegen Euer Bestes durch ein bisserl eine Angst. Aber keine solche Angst, die einen schwindlig macht, sondern eine ganz nüchterne, ganz prosaische. Sie geht gegen die Treppe, bleibt noch einmal stehen. Verstehen Sie mich? Bin ich ganz deutlich? Ich fürcht mich vor Ihnen, aber nicht genug, das ist Ihr Pech. Adieu, Baron Neuhoff.


Neuhoff ist schnell nach dem Wintergarten abgegangen.
5. Szene
Fünfte Szene
Hechingen tritt oben herein, er kommt sehr schnell die Treppe herunter. Antoinette ist betroffen und tritt zurück.

HECHINGEN.
Toinette!
ANTOINETTE
unwillkürlich.
Auch das noch!
HECHINGEN.
Wie sagst du?
ANTOINETTE.
Ich bin überrascht – das mußt du doch begreifen.
HECHINGEN.
Und ich bin glücklich. Ich danke meinem Gott, ich danke meiner Chance, ich danke diesem Augenblick!
ANTOINETTE.

Du siehst ein bissl verändert aus. Dein Ausdruck ist anders, ich weiß nicht, woran es liegt. Bist du nicht ganz wohl?

HECHINGEN.
Liegt es nicht daran, daß diese schwarzen Augen mich lange nicht angeschaut haben?
ANTOINETTE.
Aber es ist ja nicht so lang her, daß man sich gesehen hat.
HECHINGEN.
Sehen und Anschaun ist zweierlei, Toinette. Er ist ihr näher gekommen.

Antoinette tritt zurück.
HECHINGEN.

Vielleicht aber ist es etwas anderes, das mich verändert hat, wenn ich die Unbescheidenheit haben darf, von mir zu sprechen.

ANTOINETTE.
Was denn? Ist etwas passiert? Interessierst du dich für wen?
[419]
HECHINGEN.

Deinen Charme, deinen Stolz im Spiel zu sehen, die ganze Frau, die man liebt, plötzlich vor sich zu sehen, sie leben zu sehen!

ANTOINETTE.
Ah, von mir ist die Rede!
HECHINGEN.

Ja, von dir. Ich war so glücklich, dich einmal so zu sehen wie du bist, denn da hab ich dich einmal nicht intimidiert. O meine Gedanken, wie ich da oben gestanden bin! Diese Frau begehrt von allen und allen sich versagend! Mein Schicksal, dein Schicksal, denn es ist unser beider Schicksal. Setz dich zu mir!


Er hat sich gesetzt, streckt die Hand nach ihr aus.
ANTOINETTE.
Man kann so gut im Stehen miteinander reden, wenn man so alte Bekannte ist.
HECHINGEN
ist wieder aufgestanden.

Ich hab dich nicht gekannt. Ich hab erst andere Augen bekommen müssen. Der zu dir kommt, ist ein andrer, ein Verwandelter.

ANTOINETTE.
Du hast so einen neuen Ton in deinen Reden. Wo hast du dir das angewöhnt?
HECHINGEN.

Der zu dir redet, das ist der, den du nicht kennst. Toinette, so wie er dich nicht gekannt hat! Und der sich nichts anderes wünscht, nichts anderes träumt, als von dir gekannt zu sein und dich zu kennen.

ANTOINETTE.

Ado, ich bitt dich um alles, red nicht mit mir, als wenn ich eine Speisewagenbekanntschaft aus einem Schnellzug wäre.

HECHINGEN.
Mit der ich fahren möchte, fahren bis ans Ende der Welt!

Will ihre Hand küssen, sie entzieht sie ihm.
ANTOINETTE.

Ich bitt dich, merk doch, daß mich das crispiert. Ein altes Ehepaar hat doch einen Ton miteinander. Den wechselt man doch nicht, das ist ja zum Schwindligwerden.

HECHINGEN.
Ich weiß nichts von einem alten Ehepaar, ich weiß nichts von unserer Situation.
ANTOINETTE.
Aber das ist doch die gegebene Situation.
HECHINGEN.
Gegeben? Das alles gibts ja gar nicht. Hier bist du und ich, und alles fängt wieder vom Frischen an.
ANTOINETTE.
Aber nein, gar nichts fängt vom Frischen an.
[420]
HECHINGEN.
Das ganze Leben ist ein ewiges Wiederanfangen.
ANTOINETTE.

Nein, nein, ich bitt dich um alles, bleib doch in deinem alten Genre. Ich kanns sonst nicht aushalten. Sei mir nicht bös, ich hab ein bissl Migräne, ich hab schon früher nach Haus fahren wollen, bevor ich gewußt hab, daß ich dich – ich hab doch nicht wissen können!

HECHINGEN.

Du hast nicht wissen können, wer der sein wird, der vor dich hintreten wird, und daß es nicht dein Mann ist, sondern ein neuer enflammierter Verehrer, enflammiert wie ein Bub von zwanzig Jahren! Das verwirrt dich, das macht dich taumeln.


Will ihre Hand nehmen.
ANTOINETTE.

Nein, es macht mich gar nicht taumeln, es macht mich ganz nüchtern. So terre à terre machts mich, alles kommt mir so armselig vor und ich mir selbst. Ich hab heut einen unglücklichen Abend, bitte, tu mir einen einzigen Gefallen, laß mich nach Haus fahren.

HECHINGEN.
Oh, Antoinette!
ANTOINETTE.

Das heißt, wenn du mir etwas Bestimmtes hast sagen wollen, so sags mir, ich werds sehr gern anhören, aber ich bitt dich um eins! Sags ganz in deinem gewöhnlichen Ton, so wie immer.

HECHINGEN
betrübt und ernüchtert, schweigt.
ANTOINETTE.
So sag doch, was du mir hast sagen wollen.
HECHINGEN.

Ich bin betroffen zu sehen, daß meine Gegenwart dich einerseits zu überraschen, anderseits zu belasten scheint. Ich durfte mich der Hoffnung hingeben, daß ein lieber Freund Gelegenheit genommen haben würde, dir von mir, von meinen unwandelbaren Gefühlen für dich zu sprechen. Ich habe mir zurechtgelegt, daß auf dieser Basis eine improvisierte Aussprache zwischen uns möglicherweise eine veränderte Situation schon vorfindet oder wenigstens schaffen würde können. – Ich würde dich bitten, nicht zu übersehen, daß du mir die Gelegenheit, dir von meinem eigenen Innern zu sprechen, bisher nicht gewährt hast – ich fasse mein Verhältnis zu dir so auf, Antoinette – langweil ich dich sehr?

ANTOINETTE.

Aber ich bitt dich, sprich doch weiter. Du hast [421] mir doch was sagen wollen. Anders kann ich mir dein Herkommen nicht erklären.

HECHINGEN.

Ich faß unser Verhältnis als ein solches auf, das nur mich, nur mich, Antoinette, bindet, das mir, nur mir eine Prüfungszeit auferlegt, deren Dauer du zu bestimmen hast.

ANTOINETTE.
Aber wozu soll denn das sein, wohin soll denn das führen?
HECHINGEN.
Wende ich mich freilich zu meinem eigenen Innern, Toinette –
ANTOINETTE.
Bitte, was ist, wenn du dich da wendest?

Sie greift sich an die Schläfe.
HECHINGEN.

– so bedarf es allerdings keiner langen Prüfung. Immer und immer werde ich der Welt gegenüber versuchen, mich auf deinen Standpunkt zu stellen, werde immer wieder der Verteidiger deines Charme und deiner Freiheit sein. Und wenn man mir bewußt Entstellungen entgegenwirft, so werde ich triumphierend auf das vor wenigen Minuten hier Erlebte verweisen, auf den sprechenden Beweis, wie sehr es dir gegeben ist, die Männer, die dich begehren und bedrängen, in ihren Schranken zu halten.

ANTOINETTE
nervös.
Was denn?
HECHINGEN.

Du wirst viel begehrt. Dein Typus ist die grande dame des achtzehnten Jahrhunderts. Ich vermag in keiner Weise etwas Beklagenswertes daran zu erblicken. Nicht die Tatsache muß gewertet werden, sondern die Nuance. Ich lege Gewicht darauf, klarzustellen, daß, wie immer du handelst, deine Absichten für mich über jeden Zweifel erhaben sind.

ANTOINETTE
dem Weinen nah.

Mein lieber Ado, du meinst es sehr gut, aber meine Migräne wird stärker mit jedem Wort, was du sagst.

HECHINGEN.
Oh, das tut mir sehr leid. Um so mehr, als diese Augenblicke für mich unendlich kostbar sind.
ANTOINETTE.
Bitte, hab die Güte –

Sie taumelt.
HECHINGEN.
Ich versteh. Ein Auto?
ANTOINETTE.
Ja. Die Edine hat mir erlaubt, ihres zu nehmen.
[422]
HECHINGEN.

Sofort. Geht und gibt den Befehl. Kommt zurück mit ihrem Mantel. Indem er ihr hilft. Ist das alles, was ich für dich tun kann?

ANTOINETTE.
Ja, alles.
KAMMERDIENER
an der Glastür, meldet.
Das Auto für die Frau Gräfin.

Antoinette geht sehr schnell ab.
Hechingen will ihr nach, hält sich.
6. Szene
Sechste Szene
STANI
von rückwärts aus dem Wintergarten.
Er scheint jemand zu suchen. Ah, du bists, hast du meine Mutter nicht gesehen?
HECHINGEN.

Nein, ich war nicht in den Salons. Ich hab soeben meine Frau an ihr Auto begleitet. Es war eine Situation ohne Beispiel.

STANI
mit seiner eigenen Sache beschäftigt.

Ich begreif nicht. Die Mamu bestellt mich zuerst in den Wintergarten, dann läßt sie mir sagen, hier an der Stiege auf sie zu warten –

HECHINGEN.
Ich muß mich jetzt unbedingt mit dem Kari aussprechen.
STANI.
Da mußt du halt fortgehen und ihn suchen.
HECHINGEN.
Mein Instinkt sagt mir, er ist nur fortgegangen, um mich im Club aufzusuchen, und wird wiederkommen.

Geht nach oben.
STANI.
Ja, wenn man so einen Instinkt hat, der einem alles sagt! Ah, da ist ja die Mamu!
7. Szene
Siebente Szene
CRESCENCE
kommt unten von links seitwärts der Treppe heraus.

Ich komm über die Dienerstiegen, diese Diener machen nichts als Mißverständnisse. Zuerst sagt er mir, du bittest mich, in den Wintergarten zu kommen, dann sagt er in die Galerie –

[423]
STANI.

Mamu, das ist ein Abend, wo man aus den Konfusionen überhaupt nicht herauskommt. Ich bin wirklich auf dem Punkt gestanden, wenn es nicht wegen Ihr gewesen wäre, stante pede nach Haus zu fahren, eine Dusche zu nehmen und mich ins Bett zu legen. Ich vertrag viel, aber eine schiefe Situation, das ist mir etwas so Odioses, das zerrt direkt an meinen Nerven. Ich muß vielmals bitten, mich doch jetzt au courant zu setzen.

CRESCENCE.

Ja, ich begreif doch gar nicht, daß der Onkel Kari hat weggehen können, ohne mir auch nur einen Wink zu geben. Das ist eine von seinen Zerstreutheiten, ich bin ja desperat, mein guter Bub.

STANI.

Bitte mir doch die Situation etwas zu erklären. Bitte mir nur in großen Linien zu sagen, was vorgefallen ist.

CRESCENCE.

Aber alles ist ja genau nach dem Programm gegangen. Zuerst hat der Onkel Kari mit der Antoinette ein sehr agitiertes Gespräch geführt –

STANI.

Das war schon der erste Fehler. Das hab ich ja gewußt, das war eben zu kompliziert. Ich bitte mir also weiter zu sagen!

CRESCENCE.

Was soll ich Ihm denn weiter sagen? Die Antoinette stürzt an mir vorbei, ganz bouleversiert, unmittelbar darauf setzt sich der Onkel Kari mit der Helen –

STANI.

Es ist eben zu kompliziert, zwei solche Konversationen an einem Abend durchzuführen. Und der Onkel Kari –

CRESCENCE.

Das Gespräch mit der Helen geht ins Endlose, ich komm an die Tür – die Helen fällt mir in die Arme, ich bin selig, sie lauft weg, ganz verschämt, wie sichs gehört, ich stürz ans Telephon und zitier dich her!

STANI.
Ja, ich bitte, das weiß ich ja, aber ich bitte, mir aufzuklären, was denn hier vorgegangen ist!
CRESCENCE.

Ich stürz im Flug durch die Zimmer, such den Kari, find ihn nicht. Ich muß zurück zu der Partie, du kannst dir denken, wie ich gespielt hab. Die Mariette Stradonitz invitiert auf Herz, ich spiel Karo, dazwischen bet ich die ganze Zeit zu die vierzehn Nothelfer. Gleich darauf mach ich Renonce in Pik. Endlich kann ich aufstehen, ich such den Kari wieder, ich find ihn nicht! Ich geh durch die [424] finstern Zimmer bis an der Helen ihre Tür, ich hör sie drin weinen. Ich klopf an, sag meinen Namen, sie gibt mir keine Antwort. Ich schleich mich wieder zurück zur Partie, die Mariette fragt mich dreimal, ob mir schlecht ist, der Louis Castaldo schaut mich an, als ob ich ein Gespenst wär. –

STANI.
Ich versteh alles.
CRESCENCE.
Ja, was, ich versteh ja gar nichts.
STANI.
Alles, alles. Die ganze Sache ist mir klar.
CRESCENCE.
Ja, wie sieht Er denn das?
STANI.

Klar wie's Einmaleins. Die Antoinette in ihrer Verzweiflung hat einen Tratsch gemacht, sie hat aus dem Gespräch mit dem Onkel Kari entnommen, daß ich für sie verloren bin. Eine Frau, wenn sie in Verzweiflung ist, verliert ja total ihre tenue; sie hat sich dann an die Helen heranfaufiliert und hat einen solchen Mordstratsch gemacht, daß die Helen mit ihrem fumo und ihrer pyramidalen Empfindlichkeit beschlossen hat, auf mich zu verzichten, und wenn ihr das Herz brechen sollte.

CRESCENCE.
Und deswegen hat sie mir die Tür nicht aufgemacht!
STANI.

Und der Onkel Kari, wie er gespürt hat, was er angerichtet hat, hat sich sofort aus dem Staub gemacht.

CRESCENCE.
Ja, dann steht die Sache doch sehr fatal! Ja, mein guter Bub, was sagst du denn da?
STANI.

Meine gute Mamu, da sag ich nur eins, und das ist das einzige, was ein Mann von Niveau sich in jeder schiefen Situation zu sagen hat: man bleibt, was man ist, daran kann eine gute oder eine schlechte Chance nichts ändern.

CRESCENCE.

Er ist ein lieber Bub, und ich adorier Ihn für seine Haltung, aber deswegen darf man die Flinten noch nicht ins Korn werfen!

STANI.
Ich bitte um alles, mir eine schiefe Situation zu ersparen.
CRESCENCE.

Für einen Menschen mit Seiner tenue gibts keine schiefe Situation. Ich such jetzt die Helen und werd sie fragen, was zwischen jetzt und dreiviertel zehn passiert ist.

STANI.
Ich bitt inständig –
CRESCENCE.

Aber mein Bub, Er ist mir tausendmal zu gut, als [425] daß ich Ihn wollt einer Familie oktroyieren und wenns die vom Kaiser von China wär. Aber anderseits ist mir doch auch die Helen zu lieb, als daß ich ihr Glück einem Tratsch von einer eifersüchtigen Gans, wie die Antoinette ist, aufopfern wollte. Also tu Er mir den Gefallen und bleib Er da und begleit Er mich dann nach Haus, Er sieht doch, wie ich agitiert bin. Sie geht die Treppe hinauf, Stani folgt ihr.

8. Szene
Achte Szene
Helene ist durch die unsichtbare Tür links herausgetreten, im Mantel wie zum Fortgehen. Sie wartet, bis Crescence und Stani sie nicht mehr sehen können. Gleichzeitig ist Karl durch die Glastür rechts sichtbar geworden; er legt Hut, Stock und Mantel ab und erscheint. Helene hat Karl gesehen, bevor er sie erblickt hat. Ihr Gesicht verändert sich in einem Augenblick vollständig. Sie läßt ihren Abendmantel von den Schultern fallen, und dieser bleibt hinter der Treppe liegen, dann tritt sie Karl entgegen.

HANS KARL
betroffen.
Helen, Sie sind noch hier?
HELENE
hier und weiter in einer ganz festen, entschiedenen Haltung und in einem leichten, fast überlegenen Ton.
Ich bin hier zu Haus.
HANS KARL.
Sie sehen anders aus als sonst. Es ist etwas geschehen!
HELENE.
Ja, es ist etwas geschehen.
HANS KARL.
Wann, so plötzlich?
HELENE.
Vor einer Stunde, glaub ich.
HANS KARL
unsicher.
Etwas Unangenehmes?
HELENE.
Wie?
HANS KARL.
Etwas Aufregendes?
HELENE.
Ah ja, das schon.
HANS KARL.
Etwas Irreparables?
HELENE.
Das wird sich zeigen. Schauen Sie, was dort liegt.
HANS KARL.
Dort? Ein Pelz. Ein Damenmantel scheint mir.
HELENE.
Ja, mein Mantel liegt da. Ich hab ausgehen wollen.
[426]
HANS KARL.
Ausgehen?
HELENE.

Ja, den Grund davon werd ich Ihnen auch dann sagen. Aber zuerst werden Sie mir sagen, warum Sie zurückgekommen sind. Das ist keine ganz gewöhnliche Manier.

HANS KARL
zögernd.
Es macht mich immer ein bisserl verlegen, wenn man mich so direkt was fragt.
HELENE.
Ja, ich frag Sie direkt.
HANS KARL.
Ich kanns gar nicht leicht explizieren.
HELENE.
Wir können uns setzen.

Sie setzen sich.
HANS KARL.
Ich hab früher in unserer Konversation – da oben, in dem kleinen Salon –
HELENE.
Ah, da oben in dem kleinen Salon.
HANS KARL
unsicher durch ihren Ton.
Ja, freilich, in dem kleinen Salon. Ich hab da einen großen Fehler gemacht, einen sehr großen.
HELENE.
Ah?
HANS KARL.
Ich hab etwas Vergangenes zitiert.
HELENE.
Etwas Vergangenes?
HANS KARL.

Gewisse ungereimte, rein persönliche Sachen, die in mir vorgegangen sind, wie ich im Feld draußen war, und später im Spital. Rein persönliche Einbildungen, Halluzinationen, sozusagen. Lauter Dinge, die absolut nicht dazu gehört haben.

HELENE.
Ja, ich versteh Sie. Und?
HANS KARL.
Da hab ich unrecht getan.
HELENE.
Inwiefern?
HANS KARL.

Man kann das Vergangene nicht herzitieren, wie die Polizei einen vor das Kommissariat zitiert. Das Vergangene ist vergangen. Niemand hat das Recht, es in eine Konversation, die sich auf die Gegenwart bezieht, einzuflechten. Ich drück mich elend aus, aber meine Gedanken darüber sind mir ganz klar.

HELENE.
Das hoff ich.
HANS KARL.

Es hat mich höchst unangenehm berührt in der Erinnerung, sobald ich allein mit mir selbst war, daß ich in meinem Alter mich so wenig in der Hand hab – und ich bin wiedergekommen, um Ihnen Ihre volle Freiheit, pardon, [427] das Wort ist mir ganz ungeschickt über die Lippen gekommen – um Ihnen Ihre volle Unbefangenheit zurückzugeben.

HELENE.
Meine Unbefangenheit – mir wiedergeben?
HANS KARL
unsicher, will aufstehen.
HELENE
bleibt sitzen.
Also das haben Sie mir sagen wollen – über Ihr Fortgehen früher?
HANS KARL.
Ja, über mein Fortgehen und natürlich auch über mein Wiederkommen. Eines motiviert ja das andere.
HELENE.
Aha. Ich dank Ihnen sehr. Und jetzt werd ich Ihnen sagen, warum Sie wiedergekommen sind.
HANS KARL.
Sie mir?
HELENE
mit einem vollen Blick auf ihn.

Sie sind wiedergekommen, weil – ja! es gibt das! gelobt sei Gott im Himmel! Sie lacht. Aber es ist vielleicht schade, daß Sie wiedergekommen sind. Denn hier ist vielleicht nicht der rechte Ort, das zu sagen, was gesagt werden muß – vielleicht hätte das – aber jetzt muß es halt hier gesagt werden.

HANS KARL.
O mein Gott, Sie finden mich unbegreiflich. Sagen Sie es heraus!
HELENE.

Ich verstehe alles sehr gut. Ich versteh, was Sie fortgetrieben hat, und was Sie wieder zurückgebracht hat.

HANS KARL.
Sie verstehen alles? Ich versteh ja selbst nicht.
HELENE.

Wir können noch leiser reden, wenns Ihnen recht ist. Was Sie hier hinausgetrieben hat, das war Ihr Mißtrauen, Ihre Furcht vor Ihrem eigenen Selbst – sind Sie bös?

HANS KARL.
Vor meinem Selbst?
HELENE.

Vor Ihrem eigentlichen tieferen Willen. Ja, der ist unbequem, der führt einen nicht den angenehmsten Weg. Er hat Sie eben hierher zurückgeführt.

HANS KARL.
Ich versteh Sie nicht, Helen!
HELENE
ohne ihn anzusehen.

Hart sind nicht solche Abschiede für Sie, aber hart ist manchmal, was dann in Ihnen vorgeht, wenn Sie mit sich allein sind.

HANS KARL.
Sie wissen das alles?
HELENE.
Weil ich das alles weiß, darum hätt ich ja die Kraft gehabt und hätte für Sie das Unmögliche getan.
[428]
HANS KARL.
Was hätten Sie Unmögliches für mich getan?
HELENE.
Ich wär Ihnen nachgegangen.
HANS KARL.
Wie denn »nachgegangen«? Wie meinen Sie das?
HELENE.

Hier bei der Tür auf die Gasse hinaus. Ich hab Ihnen doch meinen Mantel gezeigt, der dort hinten liegt.

HANS KARL.
Sie wären mir –? Ja, wohin?
HELENE.
Ins Kasino oder anderswo – was weiß ich, bis ich Sie halt gefunden hätte.
HANS KARL.
Sie wären mir, Helen –? Sie hätten mich gesucht? Ohne zu denken, ob –?
HELENE.
Ja, ohne an irgend etwas sonst zu denken. Ich geh dir nach – Ich will, daß du mich –
HANS KARL
mit unsicherer Stimme.

Sie, du, du willst? Für sich. Da sind wieder diese unmöglichen Tränen! Zu ihr. Ich hör Sie schlecht. Sie sprechen so leise.

HELENE.
Sie hören mich ganz gut. Und da sind auch Tränen – aber die helfen mir sogar eher, um das zu sagen –
HANS KARL.
Du – Sie haben etwas gesagt?
HELENE.

Dein Wille, dein Selbst; versteh mich. Er hat dich umgedreht, wie du allein warst, und dich zu mir zurückgeführt. Und jetzt –

HANS KARL.
Jetzt?
HELENE.

Jetzt weiß ich zwar nicht, ob du jemand wahrhaft liebhaben kannst – aber ich bin in dich verliebt, und ich will – aber das ist doch eine Enormität, daß Sie mich das sagen lassen!

HANS KARL
zitternd.
Sie wollen von mir –
HELENE
mit keinem festeren Ton als er.
Von deinem Leben, von deiner Seele, von allem – meinen Teil!

Eine kleine Pause.
HANS KARL.

Helen, alles, was Sie da sagen, perturbiert mich in der maßlosesten Weise um Ihretwillen, Helen, natürlich um Ihretwillen! Sie irren sich in bezug auf mich, ich hab einen unmöglichen Charakter.

HELENE.
Sie sind, wie Sie sind, und ich will kennen, wie Sie sind.
[429]
HANS KARL.
Es ist so eine namenlose Gefahr für Sie.
HELENE
schüttelt den Kopf.
HANS KARL.
Ich bin ein Mensch, der nichts als Mißverständnisse auf dem Gewissen hat.
HELENE
lächelnd.
Ja, das scheint.
HANS KARL.
Ich hab so vielen Frauen weh getan.
HELENE.
Die Liebe ist nicht süßlich.
HANS KARL.
Ich bin ein maßloser Egoist.
HELENE.
Ja? Ich glaub nicht.
HANS KARL.
Ich bin so unstet, nichts kann mich fesseln.
HELENE.

Ja, Sie können – wie sagt man das? – verführt werden und verführen. Alle haben Sie sie wahrhaft geliebt und alle wieder im Stich gelassen. Die armen Frauen! Sie haben halt nicht die Kraft gehabt für euch beide.

HANS KARL.
Wie?
HELENE.

Begehren ist Ihre Natur. Aber nicht: das – oder das – sondern von einem Wesen: – alles – für immer! Es hätte eine die Kraft haben müssen, Sie zu zwingen, daß Sie von ihr immer mehr und mehr begehrt hätten. Bei der wären Sie dann geblieben.

HANS KARL.
Wie du mich kennst!
HELENE.

Nach einer ganz kurzen Zeit waren sie dir alle gleichgültig, und du hast ein rasendes Mitleid gehabt, aber keine große Freundschaft für keine: das war mein Trost.

HANS KARL.
Wie du alles weißt!
HELENE.
Nur darin hab ich existiert. Das allein hab ich verstanden.
HANS KARL.
Da muß ich mich ja vor dir schämen.
HELENE.
Schäm ich mich denn vor dir? Ah nein. Die Liebe schneidet ins lebendige Fleisch.
HANS KARL.
Alles hast du gewußt und ertragen –
HELENE.

Ich hätt nicht den kleinen Finger gerührt, um eine solche Frau von dir wegzubringen. Es wär mir nicht dafür gestanden.

HANS KARL.

Was ist das für ein Zauber, der in dir ist. Gar nicht wie die andern Frauen. Du machst einen so ruhig in einem selber.

HELENE.

Du kannst freilich die Freundschaft nicht fassen, die [430] ich für dich hab. Dazu wird eine lange Zeit nötig sein – wenn du mir die geben kannst.

HANS KARL.
Wie du das sagst!
HELENE.

Jetzt geh, damit dich niemand sieht. Und komm bald wieder. Komm morgen, am frühen Nachmittag. Die Leut gehts nichts an, aber der Papa solls schnell wissen. – Der Papa solls wissen, – der schon! Oder nicht, wie?

HANS KARL
verlegen.

Es ist das – mein guter Freund Poldo Altenwyl hat seit Tagen eine Angelegenheit, einen Wunsch – den er mir oktroyieren will: er wünscht, daß ich, sehr überflüssigerweise, im Herrenhaus das Wort ergreife –

HELENE.
Aha –
HANS KARL.

Und da geh ich ihm seit Wochen mit der größten Vorsicht aus dem Weg – vermeide, mit ihm allein zu sein – im Kasino, auf der Gasse, wo immer –

HELENE.

Sei ruhig – es wird nur von der Hauptsache die Rede sein – dafür garantier ich. – Es kommt schon jemand: ich muß fort.

HANS KARL.
Helen!
HELENE
schon im Gehen, bleibt nochmals stehen.
Du! Leb wohl!

Nimmt den Mantel auf und verschwindet durch die kleine Tür links.
9. Szene
Neunte Szene
CRESCENCE
oben auf der Treppe.
Kari! Kommt schnell die Stiege herunter.
HANS KARL
steht mit dem Rücken gegen die Stiege.
CRESCENCE.

Kari! Find ich Ihn endlich! Das ist ja eine Konfusion ohne Ende! Sie sieht sein Gesicht. Kari! es ist was passiert! Sag mir, was?

HANS KARL.
Es ist mir was passiert, aber wir wollen es gar nicht zergliedern.
CRESCENCE.
Bitte! aber du wirst mir doch erklären –
[431]
10. Szene
Zehnte Szene
HECHINGEN
kommt von oben herab, bleibt stehen, ruft Hans Karl halblaut zu.
Kari, wenn ich dich auf eine Sekunde bitten dürfte!
HANS KARL.
Ich steh zur Verfügung. Zu Crescence. Entschuldig Sie mich wirklich.
STANI
kommt gleichfalls von oben.
CRESCENCE
zu Hans Karl.
Aber der Bub! Was soll ich denn dem Bub sagen? Der Bub ist doch in einer schiefen Situation!
STANI
kommt herunter, zu Hechingen.
Pardon, jetzt einen Moment muß unbedingt ich den Onkel Kari sprechen! Grüßt Hans Karl.
HANS KARL.

Verzeih mir einen Moment, lieber Ado! Läßt Hechingen stehen, tritt zu Crescence. Komm Sie daher, aber allein: ich will Ihr was sagen. Aber wir wollen es in keiner Weise bereden.

CRESCENCE.
Aber ich bin doch keine indiskrete Person!
HANS KARL.
Du bist eine engelsgute Frau. Also hör zu! Die Helen hat sich verlobt.
CRESCENCE.
Sie hat sich verlobt mit'm Stani? Sie will ihn?
HANS KARL.
Wart noch! So hab doch nicht gleich die Tränen in den Augen, du weißt ja noch nicht.
CRESCENCE.
Es ist Er, Kari, über den ich so gerührt bin. Der Bub verdankt Ihm ja alles!
HANS KARL.
Wart Sie, Crescence! – Nicht mit dem Stani!
CRESCENCE.
Nicht mit dem Stani? Ja, mit wem denn?
HANS KARL
mit großer gêne.
Gratulier Sie mir!
CRESCENCE.
Dir?
HANS KARL.

Aber tret Sie dann gleich weg und misch Sies nicht in die Konversation. Sie hat sich – ich hab mich – wir haben uns miteinander verlobt.

CRESCENCE.
Du hast dich! Ja, da bin ich selig!
HANS KARL.

Ich bitte Sie, jetzt vor allem zu bedenken, daß Sie mir versprochen hat, mir diese odiosen Konfusionen zu ersparen, denen sich ein Mensch aussetzt, der sich unter die Leut mischt.

[432]
CRESCENCE.
Ich werd gewiß nichts tun –

Blick nach Stani.
HANS KARL.

Ich hab Ihr gesagt, daß ich nichts erklären werd, niemandem, und daß ich bitten muß, mir die gewissen Mißverständnisse zu ersparen!

CRESCENCE.

Werd Er mir nur nicht stutzig! Das Gesicht hat Er als kleiner Bub gehabt, wenn man Ihn konterkariert hat. Das hab ich schon damals nicht sehen können! Ich will ja alles tun, wie Er will.

HANS KARL.

Sie ist die beste Frau von der Welt, und jetzt entschuldig Sie mich, der Ado hat das Bedürfnis, mit mir eine Konversation zu haben – die muß also jetzt in Gottes Namen absolviert werden.


Küßt ihr die Hand.
CRESCENCE.
Ich wart noch auf Ihn!

Crescence, mit Stani, treten zur Seite, entfernt, aber dann und wann sichtbar.
11. Szene
Elfte Szene
HECHINGEN.
Du siehst mich so streng an! Es ist ein Vorwurf in deinem Blick!
HANS KARL.
Aber gar nicht: ich bitt um alles, wenigstens heute meine Blicke nicht auf die Goldwaage zu legen.
HECHINGEN.

Es ist etwas vorgefallen, was deine Meinung von mir geändert hat? oder deine Meinung von meiner Situation?

HANS KARL
in Gedanken verloren.
Von deiner Situation?
HECHINGEN.

Von meiner Situation gegenüber Antoinette natürlich! Darf ich dich fragen, wie du über meine Frau denkst?

HANS KARL
nervös.

Ich bitt um Vergebung, aber ich möchte heute nichts über Frauen sprechen. Man kann nicht analysieren, ohne in die odiosesten Mißverständnisse zu verfallen. Also ich bitt mirs zu erlassen!

HECHINGEN.

Ich verstehe. Ich begreife vollkommen. Aus allem, was du da sagst oder vielmehr in der zartesten Weise [433] andeutest, bleibt für mich doch nur der einzige Schluß zu ziehen: daß du meine Situation für aussichtslos ansiehst.

12. Szene
Zwölfte Szene
Hans Karl sagt nichts, sieht verstört nach rechts.
Vinzenz ist von rechts eingetreten, im gleichen Anzug wie im ersten Akt, einen kleinen runden Hut in der Hand.
Crescence ist auf Vinzenz zugetreten.

HECHINGEN
sehr betroffen durch Hans Karls Schweigen.

Das ist der kritische Moment meines Lebens, den ich habe kommen sehen. Jetzt brauche ich deinen Beistand, mein guter Kari, wenn mir nicht die ganze Welt ins Wanken kommen soll.

HANS KARL.
Aber mein guter Ado – Für sich, auf Vinzenz hinübersehend. Was ist denn das?
HECHINGEN.
Ich will, wenn du es erlaubst, die Voraussetzungen rekapitulieren, die mich haben hoffen lassen –
HANS KARL.

Entschuldige mich für eine Sekunde, ich sehe, da ist irgendwelche Konfusion passiert.Er geht hinüber zu Crescence und Vinzenz.


Hechingen bleibt allein stehen. Stani ist seitwärts zurückgetreten, mit einigen Zeichen von Ungeduld.
CRESCENCE
zu Hans Karl.
Jetzt sagt er mir: du reist ab, morgen in aller Früh – ja was bedeutet denn das?
HANS KARL.
Was sagt er? Ich habe nicht befohlen –
CRESCENCE.

Kari, mit dir kommt man nicht heraus aus dem Wiegel-Wagel. Jetzt hab ich mich doch in diese Verlobungsstimmung hineingedacht!

HANS KARL.
Darf ich bitten –
CRESCENCE.
Mein Gott, es ist mir ja nur so herausgerutscht!
HANS KARL
zu Vinzenz.
Wer hat Sie hergeschickt? Was soll es?
VINZENZ.
Euer Erlaucht haben doch selbst Befehl gegeben, vor einer halben Stunde am Telephon.
[434]
HANS KARL.
Ihnen? Ihnen hab ich gar nichts befohlen.
VINZENZ.

Der Portierin haben Erlaucht befohlen, wegen Abreise morgen früh sieben Uhr aufs Jagdhaus nach Gebhardtskirchen – oder richtig gesagt, heut früh, denn jetzt haben wir viertel eins.

CRESCENCE.
Aber Kari, was heißt denn das alles?
HANS KARL.
Wenn man mir erlassen möchte, über jeden Atemzug, den ich tu, Auskunft zu geben.
VINZENZ
zu Crescence.

Das ist doch sehr einfach zu verstehen. Die Portierin ist nach oben gelaufen mit der Meldung, der Lukas war im Moment nicht auffindbar, also hab ich die Sache in die Hand genommen. Chauffeur habe ich avisiert, Koffer hab ich vom Boden holen lassen, Sekretär Neugebauer hab ich auf alle Fälle aufwecken lassen, falls er gebraucht wird – was braucht er zu schlafen, wenn das ganze Haus auf ist? – und jetzt bin ich hier erschienen und stelle mich zur Verfügung, weitere Befehle entgegenzunehmen.

HANS KARL.

Gehen Sie sofort nach Hause, bestellen Sie das Auto ab, lassen Sie die Koffer wieder auspacken, bitten Sie den Herrn Neugebauer sich wieder schlafenzulegen, und machen Sie, daß ich Ihr Gesicht nicht wieder sehe! Sie sind nicht mehr in meinen Diensten, der Lukas ist vom übrigen unterrichtet. Treten Sie ab!

VINZENZ.
Das ist mir eine sehr große Überraschung.

Geht ab.
13. Szene
Dreizehnte Szene
CRESCENCE.
Aber so sag mir doch nur ein Wort! So erklär mir nur –
HANS KARL.

Da ist nichts zu erklären. Wie ich aus dem Kasino gegangen bin, war ich aus bestimmten Gründen vollkommen entschlossen, morgen früh abzureisen. Das war an der Ecke von der Freyung und der Herrengasse. Dort ist ein Café, in das bin ich hineingegangen und hab von dort aus nach Haus telephoniert; dann, wie ich aus dem Kaffeehaus herausgetreten bin, da bin ich, anstatt wie meine Absicht [435] war, über die Freyung abzubiegen – bin ich die Herrengasse heruntergegangen und wieder hier hereingetreten – und da hat sich die Helen –


Er streicht sich über die Stirn.
CRESCENCE.
Aber ich laß Ihn ja schon.

Sie geht zu Stani hinüber, der sich etwas im Hintergrund gesetzt hat.
HANS KARL
gibt sich einen Ruck und geht auf Hechingen zu, sehr herzlich.

Ich bitt mir alles Vergangene zu verzeihen, ich hab in allem und jedem unrecht und irrig gehandelt und bitt, mir meine Irrtümer alle zu verzeihen. Über den heutigen Abend kann ich im Detail keine Auskunft geben. Ich bitt, mir trotzdem ein gutes Andenken zu bewahren.Reicht ihm die Hand.

HECHINGEN
bestürzt.

Du sagst mir ja adieu, mein Guter! Du hast Tränen in den Augen. Aber ich versteh dich ja, Kari. Du bist der wahre, gute Freund, unsereins ist halt nicht imstand, sich herauszuwursteln aus dem Schicksal, das die Gunst oder Nichtgunst der Frauen uns bereitet, du aber hast dich über diese ganze Atmosphäre ein für allemal hinausgehoben –

HANS KARL
winkt ihn ab.
HECHINGEN.

Das kannst du nicht negieren, das ist dieses gewisse Etwas von Superiorität, das dich umgibt, und wie im Leben schließlich alles nur Vor- oder Rückschritte macht, nichts stehenbleibt, so ist halt um dich von Tag zu Tag immer mehr die Einsamkeit des superioren Menschen.

HANS KARL.
Das ist ja schon wieder ein kolossales Mißverständnis!

Er sieht ängstlich nach rechts, wo in der Tür zum Wintergarten Altenwyl mit einem seiner Gäste sichtbar geworden ist.
HECHINGEN.
Wie denn? Wie soll ich mir diese Worte erklären?
HANS KARL.

Mein guter Ado, bitt mir im Moment diese Erklärung und jede Erklärung zu erlassen. Ich bitt dich, gehen wir da hinüber, es kommt da etwas auf mich zu, dem ich mich heute nicht mehr gewachsen fühle.

HECHINGEN.
Was denn, was denn?
HANS KARL.
Dort in der Tür, dort hinter mir!
[436]
HECHINGEN
sieht hin.
Es ist doch nur unser Hausherr, der Poldo Altenwyl –
HANS KARL.

– der diesen letzten Moment seiner Soiree für den gegebenen Augenblick hält, um sich an mich in einer gräßlichen Absicht heranzupirschen; denn für was geht man denn auf eine Soiree, als daß einen jeder Mensch mit dem, was ihm gerade wichtig erscheint, in der erbarmungslosesten Weise über den Hals kommt!

HECHINGEN.
Ich begreif nicht –
HANS KARL.

Daß ich in der übermorgigen Herrenhaussitzung mein Debüt als Redner feiern soll. Diese charmante Mission hat er von unserm Club übernommen, und weil ich ihnen im Kasino und überall aus dem Weg geh, so lauert er hier in seinem Haus auf die Sekunde, wo ich unbeschützt dasteh! Ich bitt dich, sprich recht lebhaft mit mir, so ein bissel agitiert, wie wenn wir etwas Wichtiges zu erledigen hätten.

HECHINGEN.
Und du willst wieder refüsieren?
HANS KARL.

Ich soll aufstehen und eine Rede halten, über Völkerversöhnung und über das Zusammenleben der Nationen – ich, ein Mensch, der durchdrungen ist von einer Sache auf der Welt: daß es unmöglich ist, den Mund aufzumachen, ohne die heillosesten Konfusionen anzurichten! Aber lieber leg ich doch die erbliche Mitgliedschaft nieder und verkriech mich zeitlebens in eine Uhuhütte. Ich sollte einen Schwall von Worten in den Mund nehmen, von denen mir jedes einzelne geradezu indezent erscheint!

HECHINGEN.
Das ist ein bisserl ein starker Ausdruck.
HANS KARL
sehr heftig, ohne sehr laut zu sein.

Aber alles, was man ausspricht, ist indezent. Das simple Faktum, daß man etwas ausspricht, ist indezent. Und wenn man es genau nimmt, mein guter Ado, aber die Menschen nehmen eben nichts auf der Welt genau, liegt doch geradezu etwas Unverschämtes darin, daß man sich heranwagt, gewisse Dinge überhaupt zu erleben! Um gewisse Dinge zu erleben und sich dabei nicht indezent zu finden, dazu gehört ja eine so rasende Verliebtheit in sich selbst und ein Grad von Verblendung, den man vielleicht als erwachsener Mensch im [437] innersten Winkel in sich tragen, aber niemals sich eingestehen kann! Sieht nach rechts. Er ist weg. Will fort.


Altenwyl ist nicht mehr sichtbar.
CRESCENCE
tritt auf Kari zu.
So echappier Er doch nicht! Jetzt muß Er sich doch mit dem Stani über das Ganze aussprechen.
HANS KARL
sieht sie an.
CRESCENCE.

Aber Er wird doch den Buben nicht so stehen lassen! Der Bub beweist ja in der ganzen Sache eine Abnegation, eine Selbstüberwindung, über die ich geradezu starr bin. Er wird ihm doch ein Wort sagen. Sie winkt Stani, näherzutreten.


Stani tritt einen Schritt näher.
HANS KARL.

Gut, auch das noch. Aber es ist die letzte Soiree, auf der Sie mich erscheinen sieht. Zu Stani, indem er auf ihn zutritt. Es war verfehlt, mein lieber Stani, meiner Suada etwas anzuvertrauen. Reicht ihm die Hand.

CRESCENCE.

So umarm Er doch den Buben! Der Bub hat ja doch in dieser Geschichte eine tenue bewiesen, die ohnegleichen ist.

HANS KARL
sieht vor sich hin, etwas abwesend.
CRESCENCE.
Ja, wenn Er ihn nicht umarmt, so muß doch ich den Buben umarmen für seine tenue.
HANS KARL.

Bitte das vielleicht zu tun, wenn ich fort bin. Gewinnt schnell die Ausgangstür und ist verschwunden.

14. Szene
Vierzehnte Szene
CRESCENCE.

Also, das ist mir ganz egal, ich muß jemanden umarmen! Es ist doch heute zuviel vorgegangen, als daß eine Person mit Herz, wie ich, so mir nix dir nix nach Haus fahren und ins Bett gehen könnt!

[438]
STANI
tritt einen Schritt zurück.

Bitte, Mamu! nach meiner Idee gibt es zwei Kategorien von Demonstrationen. Die eine gehört ins strikteste Privatleben: dazu rechne ich alle Akte von Zärtlichkeit zwischen Blutsverwandten. Die andere hat sozusagen eine praktische und soziale Bedeutung: sie ist der pantomimische Ausdruck für eine außergewöhnliche, gewissermaßen familiengeschichtliche Situation.

CRESCENCE.
Ja, in der sind wir doch!

Altenwyl mit einigen Gästen ist oben herausgetreten und ist im Begriffe, die Stiege herunterzukommen.
STANI.

Und für diese gibt es seit tausend Jahren gewisse richtige und akzeptierte Formen. Was wir heute hier erlebt haben, war tant bien que mal, wenn mans Kind beim Namen nennt, eine Verlobung. Eine Verlobung kulminiert in der Umarmung des verlobten Paares. – In unserm Fall ist das verlobte Paar zu bizarr, um sich an diese Formen zu halten. Mamu, Sie ist die nächste Verwandte vom Onkel Kari, dort steht der Poldo Altenwyl, der Vater der Braut. Geh Sie sans mot dire auf ihn zu und umarm Sie ihn, und das Ganze wird sein richtiges, offizielles Gesicht bekommen.


Altenwyl ist mit einigen Gästen die Stiege heruntergekommen. Crescence eilt auf Altenwyl zu und umarmt ihn. Die Gäste stehen überrascht.
Vorhang.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Hofmannsthal, Hugo von. Dramen. Der Schwierige. Der Schwierige. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-77DF-4