August Heinrich Hoffmann von Fallersleben
Mein Leben
In verkürzter Form herausgegeben und bis zu des Dichters Tode fortgeführt von
Dr. H. Gerstenberg

Erster Teil

1. Band
[3] Erster Band.
(1798 bis Frühling 1823).

Ich bin geboren den 2. April 1798 zu Fallersleben, dem Hauptorte des gleichnamigen Amtes im ehemaligen Churfürstenthum Hannover. Mein Vater war Heinrich Wilhelm Hoffmann, Kaufmann und Bürgermeister († 23. April 1819), meine Mutter Dorothea geb. Balthasar († 3. December 1842), sie stammte aus Wittingen. In der Taufe erhielt ich die Namen August Heinrich. Meine Pathen waren Heinrich August Hoffmann, nachheriger Pastor zu Mühlhausen im Waldeckschen und Frau Maria Wolff zu Havelberg. Mein elterliches Haus, jetzt im Besitze meines Schwagers Georg Friedrich Boes, ist noch vorhanden. Auf dem Querbalken über der Hausthür steht die Inschrift:

BESSER NEIDEN DEN BECLAGEN
WEN ES GOTT THVT BEHAGEN
WER AFV GOTT THRAWT
HAT WOWL GEBAWT
ER WIRT MIR GEBEN
WAS MICH DIENT ZVM LEBEN

In meiner frühesten Kindheit war ich körperlich sehr schwach und krankte in Einem fort. Außer den damals gewöhnlichen Kinderkrankheiten, Pocken und Masern, bekam ich auch hinterdrein noch das Friesel. Ich mußte viel ausstehen und nahm geduldig ein und that Alles was der Arzt und die Eltern für gut hielten. Ich erinnere mich, daß ich an einem bösartigen Ausschlage über den ganzen Körper litt und eine Zeit lang fast blind war, so daß ich das Tageslicht nicht vertragen konnte und mich gerne in einen dunkelen Gang zwischen zwei Thüren einsperren ließ, aber auch da noch jammerte, wenn der Widerschein der Sonne durch die kleinen Spalten der [3] vorderen Thüre drang. Eine leichte Reizbarkeit der Nerven habe ich seit dieser Zeit immer behalten, namentlich in den Augen, obschon ich noch heute keine Brille brauche.

Unter der sorgsamen, oft ängstlichen Pflege meiner Großmutter, deren Liebling ich war, wuchs ich auf und wurde, wie es bei schwächlichen Kindern in ähnlichen Verhältnissen immer der Fall ist, sehr verzogen, und bald launisch und eigensinnig.

Obschon ich täglich wenn ich aufwachte und wenn ich Abends zu Bette gegangen war und vor dem Einschlafen mit meiner Großmutter betete, so hatte doch diese Andacht, weil sie gewöhnlich geworden, keinen Antheil weiter an dem was ich des Tages that und trieb. Mehr wirkte ihr frommer liebevoller Sinn und die Wahrheit in ihren Worten und Werken, wodurch sie mehr als durch ihr Alter bei Jung und Alt sich hoher Ehrfurcht erfreute. Sie verstand es vortrefflich, jedem die Meinung zu sagen. Nur in Bezug auf mich, ihren Liebling, war sie zu nachsichtsvoll, ja zu schwach.

Gegen den Willen der Eltern setzte ich Vieles durch: wenn mir eine Speise zuwider war oder auch nur nicht schmeckte, ließ ich sie stehen; erhielt ich nichts nach Wunsch, so hungerte ich lieber. Da ereignete es sich denn wol, daß die Großmama noch spät Abends zu mir in die Kammer kam und mir mit einer angenehmen Speise den Hunger zu stillen suchte. Wurden ihr dann darüber Vorwürfe gemacht, so wußte sie sich zu entschuldigen: ›Dem armen Jungen schrumpft ja der Magen zusammen.‹ Innig dagegen konnte sie sich freuen, wenn ich bei Tische einen guten Appetit entwickelte. Da pflegte sie denn wol zu sagen: ›et schînt als ob't dem Jungen smeckt‹ – was nachher sprichwörtlich bei uns wurde.

Auch in Bezug auf Kleidung war ich eigen und eigensinnig. Es kostete immer große Kämpfe, ehe ich ein neues Kleidungsstück anlegte, sobald mir die Farbe oder der Schnitt nicht gefiel. Einmal erhielt ich eine Jacke mit drei Reihen dicht an einander gesetzter blanker runder Knöpfe. Des Sonntags mußte ich die Jacke anziehen. Man glaubte wunder welche Freude man mir damit machen würde. Ich ärgerte mich und weigerte mich, sie anzuziehen – half nichts. Ich ging den ganzen Tag darin umher und dachte nur an meine Narrenjacke. Alles Auffallende in meinem Aeußern verdroß mich.

[4] Ich konnte sogar keinen Fleck leiden, keine Dunen, keine Fädchen an meinem Rocke. Wenn wir ausfuhren und ich neben dem Knechte auf dem Bocke saß und der Wind übersäete mich mit den Haaren unserer Schecken, so war mir schon dadurch die ganze Fahrt verleidet. So ärgerte ich mich auch, daß ich weißes Haar hatte, weil das den Kindern Anlaß gab, mir nachzurufen: ›Wittkopp!‹

Wenn ich mit anderen Kindern spielte, so konnte ich es nie vertragen, wenn meinem ein anderer Eigenwille entgegentrat. Dagegen konnte ich allein stundenlang mit mir zufrieden sitzen und spielen. Ich untersuchte gewöhnlich mein Spielzeug so lange von außen und innen, bis es kurz und klein war. Die Spielsachen, die mir im Sommer von der Braunschweiger Messe und die mir zu Weihnachten beschert wurden, erfreuten sich nie einer langen Lebensdauer. Es war nicht eigentlich die Lust am Zerstören, sondern kindische Neugier, wie dies und jenes gemacht war und sich in seinen einzelnen Theilen ausnähme.

Nicht immer war meine Selbstunterhaltung eine so billige. Eines schönen Morgens saß ich mitten in der Stube auf dem großen Homannschen Atlas und riß nach und nach die Bilder mit ihren glänzenden Farben aus den Ecken, um sie mir näher zu betrachten. Am Tische saß der Herr Pastor Hantelmann von Wettmarshagen bei seinem Cafe, rauchte seiner lange irdene Pfeife und sah mir wohlgefällig zu, ohne ein Wort zu sagen. Da trat meine Mutter ein: ›aber, Herr Pastor, und das haben Sie dem Jungen nicht verboten?‹ – ›Nun, er hatte ja seine Freude daran.‹

Von den Erinnerungen aus so früher Zeit ist mir die schmerzlichste der Tod meiner jüngsten Schwester (4. Januar 1803). Sie war zwei Jahre älter als ich und starb an den Pocken. Ich sehe sie noch wie sie in ihrem kleinen Sarge ruhte, das zarte Gesicht durch eine schwarze Pockenbeule entstellt. Dies Bild ist mir mein ganzes Leben hindurch nie wieder verschwunden. Als ich zu dichten anfing, war eins der ersten Gedichte unserer früh geschiedenen Dorothea gewidmet. Von dieser Zeit an ist es mir nie möglich gewesen, Leichen zu sehen. Ich wollte mir das Bild des blühenden Lebens nicht durch den Tod verkümmern lassen. So oft andere Kinder an den Sarg ihrer todten Gespielen mit Blumen und Kränzen traten, ging ich trauernd unter den Blumen in unserm Garten umher.

[5] Der Sinn und die Liebe für die Natur erwachte sehr früh in mir. Im Garten zwischen Blumen war mein liebster Aufenthalt. Wie freute ich mich, wenn die zarten Pflanzen, die ich selbst gesäet hatte, gediehen und unter meiner Pflege zur Blüthe kamen! Jeden Morgen wurde Heerschau gehalten und wenn eine Blume aufgebrochen war, so ward es sofort den Eltern gemeldet. Wo es anderswo schöne und seltnere Blumen gab, wurde hinspaziert, und wenn ich Samen oder einen Ableger erbetteln konnte, so zog ich beglückt heim. Besonders prachtvoll war unser langes Tulpen- und Hyacinthenbeet; auch hatten wir einige Jahre die herrlichsten Nelken, schönere an Farben und Gestalt als die jetzigen verkünstelten. Als ich unter dem Pfeffer Ricinuskörner gefunden hatte, pflanzte ich sie und erlebte die Freude, sie noch im Sommer groß aufgeschossen und in Blüthe stehen zu sehn. Auch Citronenkerne legten wir in Töpfe und erzielten wenigstens zierliche, wenn auch winzige Bäumchen. Wir waren jedenfalls glücklicher damit als bei den früheren Versuchen mit Rosinenkernen.

Aber auch an das Nützliche wurde gedacht. Wie meine Gespielen so legte auch ich eine Baumschule an. Bei dem Ueberfluß an Obst gab es den Winter hindurch Gelegenheit genug Kerne zu sammeln, die dann im Frühjahr gesäet wurden. Auch suchten wir überall in Gärten und Baumhöfen aufgelaufene Obstsprößlinge und vermehrten damit unsere Baumschule. Es war eine große Freude für mich, daß ich nach einigen Jahren, als ich Student war, eine hübsche Anzahl veredelter Stämmchen meinem Vetter verkaufen konnte.

Wie der Garten so wurden bald Haus und Hof, Wiesen und Felder ein unermeßliches Feld kindlicher Freude und Thätigkeit. Das Leben im Freien bei nahrhafter Kost hatte mich gekräftigt, ich fühlte mich meinen Gespielen ebenbürtig und konnte mit ihnen Stich halten. Jede Liebhaberei der anderen Kinder wurde meinerseits mitgemacht. Auch ich mußte Tauben haben, und bald hatte ich Feldflüchter, Trommel- und Pfauentauben, die ich täglich fütterte. Daneben hielt ich mir Kaninchen von verschiedenen Farben, die mir besonders wenn ich sie fütterte ergötzliche Unterhaltung gewährten. Sie hatten aber bald den Stall so unterwühlt, daß ich sie abschaffen mußte. Fast noch mehr Spaß hatte ich an einem Häschen in einer leeren Tabakstonne. Anfangs mußte man ihm die Kohlblätter an [6] einem langen Bindfaden hinabreichen; später als es größer wurde, mußte der Bindfaden immer kürzer werden. Als das Häschen ein Hase geworden, was nun? Da meinte der Vater: ›der Hase muß auf weidmännisch getödtet werden.‹ Die Tonne mit dem Hasen wurde in den Garten gebracht, der Vater stand mit geladener Flinte, den Hahn gespannt, daneben. Da ward die Tonne umgekippt; der Hase sprang hinaus, der Vater schoß hinterdrein und Leporello suchte das Weite.

Im Winter war außer den gewöhnlichen Kindervergnügungen, als Schlittenfahren, Schneebällen, Glandern und Schlittschuhlaufen der Vogelfang eine angenehme Unterhaltung. Wir machten uns Sprenkel, worin wir Rothkehlchen, und Kasten von Fliederstäben, worin wir Meisen fingen. Sobald Schnee lag, spannten wir Fallnetze auf, oder legten einen mit Bindfäden überzogenen Tonnenreif voll Schlingen auf den Schnee und bestreuten die Stelle mit Kaff. Die Rothkehlchen und Meisen setzten wir in die Stube, nach einiger Zeit waren sie ziemlich zahm und wurden dann unsere Wintergesellschaft. Die Finken, Goldammern und Sperlinge, welche sich nicht an die Stube gewöhnen können, ließen wir fliegen, den letzteren aber, den Spatzen, klebten wir zuvor Hahnenkämme von rothem Tuch auf den Kopf, wodurch sie ein recht kriegerisches Ansehn bekamen.

Sobald der Schnee verschwunden und die Sonne länger und wärmer wieder schien, eilten wir in die Gärten und Wiesen und suchten Veilchen, Schneeglöckchen, Erdrauch und Himmelschlüssel, und flogen den ersten Schmetterlingen nach, dem Citronenvogel und der Aurora, denn von den verschiedenen Sammlungen, die wir uns anlegten, war mir die Schmetterlingssammlung die liebste. Nach den Schulstunden war meist der Kirchhof unser Spiel- und Tummelplatz: wir schlugen Ball, liefen bar, spielten haschen, Häselein, Eisermännchen in Eisen, ließen den Drachen steigen und den Brummkreisel brummen.

Eine der lieblichsten Erinnerungen aus so früher Zeit ist mir das Kinderfeft in dem benachbarten Sülfeld. Dorthin zogen am zweiten Pfingsttage die Fallersleber, Alt und Jung, damals noch jedes Jahr. Während die Großen nur an Cafetrinken, Kuchen und Tanz dachten, war zunächst uns Kindern die größte Freude, wenn der Laubfrosch und die Maibraut nach einander ihren Aufzug hielten.

[7] Eine Gesellschaft von zwölf Knaben, jeder mit einem hölzernen Säbel, woran unten bunte Bänder flatterten, kam auf die Scheundiele und bildete einen Kreis; in der Mitte stand der Laubfrosch, so benannt weil er ganz in grüne Zweige eingehüllt war. Sowie der Gesang begann, singen alle an um den Laubfrosch herum zu springen und schlugen mit ihren Säbeln gegen die Wände. Das dauerte bis zu der Stelle: Ein Ei, twei Ei etc., dann machten sie alle wie auch der Laubfrosch bei jeder Zahl einen tiefen Diener. Bei den Worten: Dat sebente is dat Pingestei, sprangen alle wieder wie vorher. Sie sangen:


Guden Dach, guden Dach!
Geben se user Lôfföschje wat,
Se hat lange nist ehat,
Sau geben se'r wat,
Sau hat se wat.
Drei halbe Schock Ei, kein fûl Ei,
Dat fule Ei smît wi vor de Dör oppen Stein entwei.
Ein Ei, twei Ei, drei Ei, veir Ei, fîf Ei, ses Ei,
Dat sebente is dat Pingestei.
Boben in der Vöste
Hanget de langen Wöste.
Gebet üsch de langen,
Latet de korten hangen
Bet opt andere Jâr,
Dan wilwi de korten nahâln.

Einen freundlichen Gegensatz zu diesen wilden Burschen bildete die Maibraut. Zwölf kleine Mädchen, alle hübsch geputzt, freundlichen, bescheidenen Wesens, kamen mit ihrer Königin, die eine Krone von Flittergold und künstlichen Blumen trug, und tanzten wie im Ringelrosenkranze um sie herum und sangen:


Guden Dach, guden Dach!
Gebet user Maibrût wat,
Sau hat se wat,
Sau lecht jue Heuneken opt Jâr brav wat.
Klappe klappe ringelken,
Hîr sind de kleinen Kinderkens.
[8]
Lât se gân, lât se stân,
Lât se nich tau lange stân,
Dat se könt'n betjen wider gân.
Stücke von'n Schinken,
Könt se brav op drinken.
Stücke von'n Kauken,
Könt se brav op raupen.
Stücke von'n Luffen,
Könnt se brav op buffen.
Stücke von'n Kese,
Könt se lange na lében.

Von dem Hauswirth mit Wurst, Semmel, Kuchen von den Fremden mit Geld beschenkt gingen die Laubfrosch- und Maibrautkinder weiter und hielten dann, jede Gesellschaft für sich, einen Abendschmaus. Dies fröhliche Kinderfest ist heutiges Tages spurlos verschwunden, wie der Anteich, worin sich einst der Sürfelder Kirchthurm spiegelte.

Zu Anfange des Sommers suchten wir Erdbeeren und Brombeeren in den Wäldern. Im Herbste holten wir die von den Hecken abgeschnittenen Dornen zusammen, auch das trockene Kartoffelkraut, Halme und Bohnenranken, und zündeten sie an; je dicker der Rausch emporstieg, desto größer war unsre Freude. Nebenbei waren wir auch noch sehr empfindungsreich und machten ohne weitere Anweisung uns viele von den Dingen, welche Hermann Wagner in seinem ›illustrierten Spielbuch für Knaben‹ abbildet und beschreibt; wir machten Wind- und Wassermühlen, Klappbüchsen, Blasröhre, Sprützbüchsen (›Strenjen‹), Schlüsselbüchsen, Flitzbogen, Schleudern, Weidenpfeifen, Petermännchen und Schwärmer.

Als meine Eltern glaubten, daß es Zeit sei, etwas zu lernen, schickten sie mich zur Frau Dreyer in die Schule. Es dauerte einige Wochen ehe ich ohne Sträuben hinging. Ich weinte jedesmal, und selbst die Tute mit Rosinen, die ich mit auf den Weg bekam, konnte mich nicht umstimmen. Ich mußte immer hingeführt werden, allein wäre ich nicht gegangen. Nachdem ich aber mich an die vielen fremden Kinder gewöhnt und das Abc überwunden hatte, war mir die Schule kein Ort der Angst und des Schreckens mehr.

Nach Jahr und Tag muß ich wohl so weit gediehen sein, daß ich die Bürgerschule besuchen konnte. Ich erinnere mich wenigstens noch, [9] daß eines Tags der ehrwürdige Superintendent Ziegler uns besuchte und tüchtig abkanzelte: ›Ihr Heiden, ihr Hottentotten –‹ begann er seine Anrede. Dann kam er zu mir, legte seine Hand sanft auf meinen Kopf und sprach: ›Du mein Kind bist artig und fleißig.‹ – Der Unterricht in dieser zweiten Abtheilung der Bürgerschule war sehr dürftig. Meine Eltern und mehrere Familien wollten deshalb ihren Kindern einen besseren geben lassen. Sie einigten sich und fanden in dem Herrn Stolberg einen passenden Lehrer. Es wurde ihm ein Gehalt festgesetzt, eine Wohnung gemiethet und etwa unser acht wurden seine Schüler. So bekamen wir denn zum Lehrer einen Gelehrten, der eben nicht zu viel gelernt hatte und vor der Candidatur des Predigtamtes stehen geblieben war. Obschon diese Schule von kurzer Dauer war, so hatte sie auf mich doch vortheilhaft gewirkt; ich wurde mit manchen Dingen bekannt, von denen ich früher keine Ahndung hatte: ich erfuhr etwas von den Naturreichen und der Länder- und Völkerkunde, und machte den Anfang mit dem Französischen. Nachdem das Verhältniß mit Stolberg gelöst war, besuchte ich wieder die Bürgerschule, nebenbei aber ging ich wöchentlich mehrere Stunden zum Schreiben und Rechnen bei Herrn Harms.

Unser Nachbar Harms, ein Kaufmann, der seinen Handel hatte aufgeben müssen, war Schreiblehrer geworden. Er schrieb eine hübsche Hand und ertheilte guten Unterricht im Schreiben und Rechnen. Er war mit mir recht zufrieden und ich schrieb seine Vorschriften ziemlich gut nach, aber, aber den krummen Finger beim Schreiben konnte er mir nicht abgewöhnen und ich habe ihn mein ganzes Leben behalten. Im Rechnen hatte ich es ziemlich weit gebracht, setzte es leider später nicht fort. Hätte ich nur behalten was ich damals konnte, – ich hatte den alten Hemeling bis über die Mitte durchgerechnet! – es wäre mir in manchen Lagen des Lebens von großem Vortheile gewesen.

Für Musik hatte ich viel Sinn, vielleicht auch Anlage, aber keine Gelegenheit, Singen und Spielen zu lernen. Ich freuete mich an Musik und Gesang, und was ich singen hörte, wußte ich schnell auswendig und sang es nach. Ich machte mir selbst musicalische Instrumente, überzog Schachteldeckel mit Drahtsaiten, suchte aus ungleichen Rohrstangen eine Papagenopfeife zusammenzufügen und aus Wallnußschalen kleine Klappern zu bereiten. Unser oberster Boden war die [10] eigentliche Polterkammer. Unter allerlei Gerümpel befand sich dort eine alte Drehorgel. Manche Stunde spielte ich mir hier alle Stücke nach einander vor und oft mehrmals. Der Gesang in der Schule beschränkte sich meist auf Kirchenlieder. Jeder sang, wie ihm der Schnabel gewachsen war. Als ich später mit zu den Neujahrssängern gehören sollte, handelte es sich nur um zweistimmigen Gesang, oder um ›grob und fein‹, wie wir es bequemer nannten. Wer ein gutes Gehör und eine gute Stimme hatte, genügte vollkommen den mäßigen Anfoderungen.

Zum Zeichnen hatte ich große Lust, aber es fehlte mir auch dazu an Anweisung. Ich begnügte mich, Häuser und Bäume aus dem Kopfe zu zeichnen oder nach Bilderbogen und sie nachher auszumalen. Um ein ziemlich treues Bild zu erlangen, hielt ich an eine Glasscheibe das Original mit darüber gelegtem feinen Papiere und zog nun darauf mit einem Bleistift die Umrisse nach und malte diese dann aus. Da sich aber so etwas nur bei Tage veranstalten ließ und die Winterabende sehr lang waren, so machten wir uns Papier mit Fett und Kienruß schwarz, legten dies mit der schwarzen Seite auf weißes Papier und oben drauf das Original, das dann durchgezeichnet wurde. So gab es denn Tag- und Nachtbilder.

So ergötzlich diese Beschäftigung und jedesmal mit jedem neuen Tuschkasten gar eifrig unternommen wurde, so hielt sie doch nicht lange an, wir kehrten immer wieder zu unseren alten lieb gewordenen Bilderbüchern zurück. Daneben mußte der alte Guckkasten uns noch manche Stunde ausfüllen. Er enthielt einige alte Ansichten von Versailles, tapetenartig gemalt. Sie machten sich aber gar hübsch, wenn sie hinten mit zwei Lichtern beleuchtet wurden. Daß aber dieser Kasten noch zu etwas anderem dienen könnte, ahndeten wir nicht. Später machten wir eine Camera obscura daraus, stellten ihn mitten in den Garten zu Ende des langen Ganges, gerade dem Kirchthurme gegenüber. Da sahen wir denn zu unserer großen Freude eine liebliche Landschaft auf das weiße Papier hingezaubert mit allen Blumen und Bäumen, von bunten Schmetterlingen und Vögeln durchflogen. Bei jeder anderen Stellung des Kastens gewannen wir natürlich immer ein anderes Bild. Mancher heitere Sommertag lud uns zu dieser mühelosen und genußreichen Landschaftsmalerei ein.

[11] Während dieser meiner friedlichen Zeit des Spielens und Lernens daheim sah es draußen sehr kriegerisch aus. Zu Anfange des Jahres 1803 hatte zwar Frankreich England den Krieg noch nicht erklärt, benahm sich aber schon längst sehr feindselig. Endlich wurde denn auch dem Kurstaat die Pflicht sehr nahe gelegt, sich zu rüsten und zu wehren. Am 16. Mai kam ein Regierungserlaß, jeder Unterthan solle sich zur Vertheidigung und Befreiung des Vaterlandes der Regierung zur Verfügung stellen, eine bis dahin in Hannover nie gekannte Maßregel. Es wurden denn auch im Amte Fallersleben sofort Recruten ausgehoben. Wie es dabei herging, weiß ich nur vom Hörensagen. Die jungen Bauerkerle wurden Nachts aus ihren Betten geholt und wenn sie nicht willig folgten, mit Gewalt fortgeschleppt. Mein Vater erhielt den Befehl mit dem Amtschreiber von Blum diese gepreßten Vaterlandsvertheidiger nach Hannover zu geleiten, ein trauriges Geschäft! Nachdem sie auf dem Rathhause eingesperrt und bewirthet und dann theils gutwillig, theils mit Gewalt auf die Wagen gebracht waren, setzte sich der Zug unter dem Geheule der alten Weiber und Bräute in Bewegung und wurde eine weite Strecke dann von diesen begleitet. Als sie in der List dicht vor Hannover ankamen, hieß es denn: ›et is te late, gân se man wedder na Hûs, de Herzog flüchtet eben tom Dore henût.‹ Schnell wie der Blitz sprang Alles von den Wagen herunter und bediente sich der Abwesenheit. Mein Vater aber ging nach Hannover hinein. Es war ihm eine willkommene Gelegenheit, sich die Hauptstadt, die er noch nicht kannte, anzusehen, und er sah sie sich gehörig an.

Schon in den letzten Tagen des Mais rückte Mortier von Holland aus ins Hannoversche ein, unterzeichnete den 3. Juni die Convention von Sulingen und hielt den 4. seinen Einzug in Hannover. Der Sulinger Convention folgte die noch schmählichere von Artlenburg am 5. Juli. Hannover war in den Händen der Franzosen, die sich durch das ganze Land vertheilten.

Auch Fallersleben blieb nicht verschont: eine Schwadron reitender Artillerie rückte ein und nahm auf lange Zeit Standquartier. Wir Kinder freuten uns über die schönen Uniformen und rothen Federbüsche, und zogen überall mit, wenn es Uebungen und Paraden gab. Wir konnten uns nur wundern, wenn wir zu Hause hörten: ›das sind unsere Feinde – wenn wir sie nur bald wieder los wären!‹ [12] Als mein Bruder sich eines Tages sehr freute, daß der Trompeter so schön bliese, sagte der alte Bürgermeister Krüger: ›theuere Musik, lieber Herr Vetter, theuere Musik!‹

Unsere Feinde betrugen sich recht gut; sie waren leicht zufrieden zu stellen, sobald man ihnen nur freundlich entgegen kam und guten Willen zeigte. Unter einander waren sie brüderlich einträchtig. Knechtischen Dienstgehorsam und rohe Behandlung von Seiten der Obern nahm man niemals wahr. Wir hatten so oft gehört, wenn ein Junge unartig war: ›wart! du sollst dem Kalbfelle folgen!‹ Das schienuns gar keine Strafe. Freilich hatte man uns früher das Soldatenleben als etwas Schreckliches geschildert: Prügel, Spießruthen, Gefängniß bei Wasser und Commißbrot. Wir spielten jetzt selbst Soldaten, und wenn einer nicht that was er sollte, so sperrten wir ihn ein: das kam auch bei den Franzosen vor und ging dort eben so lustig ab wie bei uns.

Das Jahr 1804 war angebrochen, eine Aenderung unserer Lage schien in weite Ferne gerückt, vorläufig blieb Alles beim Alten. Seit dem 19. Juni war Bernadotte Oberbefehlshaber. Die Lasten blieben dieselben. Im September (1805) schien es sich für uns besser zu gestalten: die Franzosen zogen ab und am 28. October rückten Preußen in Hannover ein, die hannoversche Regierung wurde hergestellt. Als aber am 2. December die Schlacht von Austerlitz für Oesterreich verloren ging, da gestaltete sich plötzlich Alles anders.

Einige Wochen nach dem Beginn des neuen Jahres 1806 rückten preußische Truppen unter dem Grafen Schuleuburg-Kehnert in Hannover ein. Der König von Preußen erklärte, die französischen Völker würden von nun an das Kurfürstenthum räumen und Preußen bis zum Frieden in Verwaltung und Obhut nehmen.

Wir in unserem entlegenen Winkel erfuhren nur wenig von diesem großen Ereignisse. Die Landeshoheits- und Grenzpfähle mit dem preußischen Adler erinnerten uns jedoch bald, daß wir nicht mehr königlich großbritannisch-hannoverisch waren. Die Stimmung war sehr gegen den neuen Landesherren und hie und da hörte man viel vom preußischen Pfiff und preußischen Kuckuck. Man fürchtete eine größere Steuerlast. Mit Wohlgefallen erzählte man sich, ein Bauer habe vor einem Pfahle, woran der Adler, gestanden, diesen immer angesehen und sich die Taschen zugehalten. Endlich sei die Wache gekommen und habe gefragt, warum er doch immer den Adler [13] so ansehe? ›Ik mach mik dreien wohen ik wil, hei kickt mik immer in mine Taschen.‹

Im Sommer blieb es still, wir waren von Einquartierung verschont. Im Herbste wurde es unruhiger als je. Viele tausend Preußen kamen durch unsere Gegend, lauter Fußvolk. Der Zug eines Regiments dauerte sehr lange, es war groß Gewühl und Getümmel, hinterher viele Packwagen mit Zelten und Stangen. Wir hatten oft bis spät Abends zu sehen. Sehr ergötzlich waren für uns die großen Wagen mit Truthühnern und sonstigem Federvieh; den Thieren bekam die Reise ganz wohl, sie sprangen munter ans Gitter und pickten uns die Brotkrumen aus der Hand. Es sah gar nicht aus, als ob es in Krieg ginge, und alle Welt sagte doch: ›es geht in den Krieg.‹

Manches ereignete sich auch was selbst uns Kindern gar zu spaßhaft vorkam. Eines Morgens hörten wir plötzlich trommeln. Wir laufen vor die Thür. Da kommen mehrere Trommelschläger vom Amthofe herab und schlagen den Generalmarsch. Wir fragen sie was das solle? ›Nun, sagen sie, uns ist befohlen, jetzt zum Abmarsch zu trommeln.‹ Wir bedeuteten ihnen, es sei ja am frühen Morgen Alles schon abmarschiert. Sie hingen die Trommeln auf den Rücken und zogen ihres Weges. Da kommt endlich der alte General hinterdrein geritten; er wundert sich, seine Leute nicht mehr zu sehen. ›Wo ist mein Regiment hinmarschiert?‹ fragt er und wir ertheilen ihm die nöthige Auskunft.

Die Durchmärsche der preußischen Truppen hatten aufgehört. Bald aber wurde die Stille aufs Neue unterbrochen. Hatten wir bisher nur Soldaten gesehen, die siegesgewiß, stattlich mit Wehr und Waffen in geordneten Zügen kamen und gingen, so sollten wir nun auch Soldaten sehen, die einzeln oder truppweise ohne Gepäck und Waffen, traurigen Blicks einherzogen und nach kurzer Rast als Flüchtlinge weiter eilten.

Es war eines Sonntags (den 19. October) gegen 1 Uhr, wir hatten uns eben zu Tische gesetzt, da sprengten drei preußische Cürassiere vor unser Haus. Wir eilten vor die Thür. Wie erschraken wir, als das erste Wort aus ihrem Munde kam: ›es ist Alles verloren!‹ Wir suchten sie auszufragen, aber sie wußten auf alle unsere Fragen nur immer dasselbe zu erwiedern: ›es ist Alles verloren, Alles!‹ [14] Sie erkundigten sich nach dem Wege, den sie einschlagen wollten, näher und machten sich bald auf und davon. Wir sahen uns erstaunt an. Mein Vater schüttelte zweifelnd den Kopf, er hielt es für unmöglich, daß ein Krieg, dessen Anfang wir ja noch kaum wußten, bereits einen so unglücklichen Ausgang für Preußen genommen habe; er konnte an die schreckliche Kunde, die erste vom Kriegsschauplatze, nicht glauben und hielt lieber die drei Reiter für Ausreißer, die ihre Feigheit nur hätten beschönigen wollen.

Leider bestätigte sich das Unglaubliche nur zu früh. Schon die nächsten Tage kam Fußvolk truppweise, alle niedergeschlagen und im erbärmlichsten Aufzuge, sie hatten nichts weiter gerettet als das Leben und den Brotbeutel. Sie gehörten verschiedenen Heeresabtheilungen an, und wußten nicht woher, wohin. Durch ihren traurigen Anblick und die Erzählungen von ihren ausgestandenen Leiden und Strapazen erregten sie allgemein großes Mitleid, sie fanden überall Unterstützung. Die Durchzüge der Flüchtlinge und Versprengten dauerten noch mehrere Tage fort.

Es wurde nun wieder still. Der Krieg berührte uns nicht weiter unmittelbar. Der Winter hatte begonnen und wir Kinder gingen zu unseren alten Spielen über. Nach dem Schlusse der Schulstunden eilten wir auf das Eis, wir glanderten oder liefen Schrittschuh, und wenn es Schnee gab, fuhren wir auf dem Handschlitten eine steile Schneebahn hinab, und bei eintretendem Thauwetter schneebällten wir uns, machten Schneefestungen oder errichteten große Schneemänner auf wegsamen Straßen, zuweilen sogar heimlich dicht vor den Hausthüren. Da die Arbeiten für die Schule bald gemacht waren, so gewährte der lange Abend Zeit genug zum Spielen. Wir machten uns von Kartenblättern Soldaten eigenthümlicher Art: das Blättchen wurde der Länge nach gefaltet und hinten schräg eingeschnitten, der Einschnitt umgeklappt und mit einer Feder versehen, und der Soldat war fertig. Da in unserm Hause viel kartengespielt wurde, so eigneten wir uns die schlecht gewordenen Spiele zu, unser Heer war immer vollzählig.

An zwei Abenden in der Woche kam der Hamburger unparteiische Correspondent. Ich mußte dann die Blätter vorlesen. Die Stammgäste saßen um den großen Tisch herum, rauchten zu ihrem Glas Bier ihr Pfeifchen und hörten aufmerksam zu. Ich las und [15] las in aufgeregter Stimmung, denn die Tagesbegebenheiten hatten auch für mich ein großes Interesse.

Schon in den ersten Tagen des Novembers erfuhren wir Näheres über die unglückliche Schlacht von Jena und auch von ihren Folgen eine auch für uns höchst wichtige: Bertier war wieder in Hannover und erklärte am 12. November, daß er im Namen seines Kaisers das Land in Besitz nehme. Der preußische Adler wurde mit dem französischen vertauscht. Zwei Tage später erlag in Ottensen seinen Schmerzen der todtwunde Herzog Carl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig, fern von seinem Lande, das glücklich durch ihn und mit ihm gewesen war. So folgten sich rasch hinter einander die großen traurigen Tagesereignisse.

Noch Einmal, ehe das Jahr zu Ende ging, wurden wir daran erinnert, daß wir in Kriegszeiten lebten. In der Abenddämmerung hielten zwei Bauerwagen vor unserem Hause still. Mehrere Männer stiegen ab, sie schienen durchnäßt und angegriffen von der Reise. Mein Vater hieß sie freundlich willkommen. Es waren preußische Officiere von der Besatzung Hamelns. Nachdem sie sich umgekleidet und gespeist hatten, wurden sie gesprächig. Sie sprachen sich alle unumwunden und sittlich entrüstet aus über die niederträchtige Capitulation des Commandanten von Schöler. Es war eine männliche würdige Sprache, die uns mit Achtung für die jungen Männer erfüllte und mir unvergeßlich geblieben ist. Der Haß gegen Preußen, der im Kurstaate Hannover ein ziemlich allgemeiner gewesen, war jetzt ziemlich verschwunden, das große Unglück hatte große Theilnahme erweckt. Es wurde wieder viel in unserem Hause politisiert; wir hörten das Alles mit an und ließen unser Spiel ruhen. Wenn man von dem traurigen Ende des Herzogs von Braunschweig sprach, so weinten wir, denn wir hatten nur immer Züge der Liebe und Güte von ihm vernommen. So oft man auf Blücher's Niederlage in Lübeck und die dortigen Gräuel zu sprechen kam, wurden wir über die Franzosen empört. Die preußische Ruhmredigkeit war hart gestraft, aber niemand konnte sich denken, daß ein so mächtiger Staat so schnell in die tiefste Schmach sinken würde. ›Ja, rief dann eine Stimme, es ist mit uns Deutschen vorläufig vorbei!‹ und eine andere meinte dagegen: ›laß nur! die Preußen werden die Franzosen ins Land locken und ihnen den Garaus machen.‹ Leider hatte jene [16] erste Stimme, ich glaube die meines Vaters, Recht: es war vorläufig mit uns vorbei, es folgte ein schmachvoller Friede.

Mit dem Beginne des Jahres 1807 hatte die Aufregung der Gemüther ziemlich nachgelassen. Es wurde zwar noch viel in unserem Hause politisiert, man beschäftigte sich aber mehr mit den großen Kriegsereignissen der letzten Monate als mit denen die noch kommen könnten; niemand dachte mehr an einen Sieg der Preußen und ihrer Verbündeten, der Russen, niemand hegte die Hoffnung, daß wir so bald von der Franzosenherrschaft erlöst werden würden. Der Friede von Tilsit ließ voraussehen, daß auch wir von den Folgen desselben nicht unberührt bleiben würden. Schon im August wurde der südliche Theil des Kurstaates dem neuen Königreich Westfalen einverleibt. Wir blieben vorläufig noch unter französischer Botmäßigkeit.

In der Kinderwelt ward es lebendiger als früher. Wir sannen immer auf neue Kurzweil und Narrenspossen. So pflegten wir uns in den Winterabenden zu verkleiden und dann auf den Kirchhofsgräbern umherzuwandeln. Einer mußte den Geist machen, vor dem wir anderen erschraken und flohen. Dieser Geist hatte sich in einen alten weißen Pudermantel gehüllt und konnte nur langsam fortschreiten. Zuweilen legten wir ihm dicke Steine auf die Schleppe, ohne daß er es merkte, so daß ihm dann selbst bange wurde, als ob ein Geist aus dem Grabe ihn fest hielte.

Zu Ende des Jahres entstand in unserm kleinen Orte ein recht reges Leben. Mehrere junge Leute waren von der Universität zurückgekehrt, alle recht gesellig und lebenslustig; ihnen schlossen sich andere gleichgesinnte, wie mein Bruder, an. Es wurde das alte flotte Burschenleben neu wieder aufgelegt, es wurde gespielt und commersiert. Endlich kam man auf den Gedanken, Schiller's Räuber aufzuführen. Die Rollen wurden ausgeschrieben und passend vertheilt, Proben abgehalten und es erfolgte nach kurzem Zwischenraume eine zweimalige öffentliche Aufführung unter dem freudigsten Beifalle der Zuschauer. Ich war jedesmal zugegen und bin mir noch heute des gewaltigen Eindrucks bewußt, den das Stück auf mich machte. Ich las es später selbst in dem Exemplare, wonach es gegeben wurde; es war die erste Mannheimer Ausgabe von 1781. Ich wußte bald ganze Scenen auswendig. Die jungen Schauspieler, von Haus aus lauter prosaische Naturen, waren durch diese Kunstübungen zu neuen [17] Menschen geworden, sie bewegten sich von jetzt an in freieren geselligen Formen und hatten einen gewissen poetischen Anstrich bekommen. Die Art und Weise ihres Verkehrs in der Gesellschaft blieb nicht ohne Einfluß auf uns Kinder; wir nahmen manche Redensarten und Manieren dieser erwachsenen Jugend an und waren seitdem für alle Freiheitsideen empfänglicher.

Um diese Zeit pflegte ich gern Gedichte zu lesen, auch wol mit lauter Stimme herzusagen. Zuweilen wenn ich ganz allein im Zimmer war, band ich mir ein Tuch um den Leib, setzte mir einen Hut auf, stellte mich auf den Tisch und declamierte feierlich: ›Begra ben will ich Cäsar, nicht ihn loben‹ etc. – Ohne mich weiter mit Poesie zu befassen, schrieb ich eines Tages mit rother Dinte, bloß aus Narrenspossen, zum 2. April in ›von Bogatzky, Güldenes Schatzkästlein der Kinder Gottes für jeden Tag‹:


Am 2. Aprilis ist geboren
Unser Heinerich August
Und zu hoher Sangeslust
Von den Göttern auserkoren

Auch das neue Jahr 1808 brachte uns keine Gewißheit über unser Schicksal, ob wir noch länger französisch bleiben oder nächstens dem neuen Königreich Westfalen einverleibt werden sollten. Vorläufig schien es, als ob wir für die Zwecke des Kaisers noch nicht genug ausgebeutet wären: Kriegssteuern und Einquartierungen dauerten fort.

Im Februar rückten zwei Schwadronen Cürassiere ein vom 11. Regimente und nahmen auf längere Zeit Standquartier. Trotzdem daß niemand von ihnen deutsch verstand, so gestaltete sich doch bald ein traulicher Verkehr zwischen Soldat und Bürger. Wenn es Streitigkeiten gab, so machte mein Vater mit Hülfe meines Bruders den glücklichen Schlichter. Meinem Bruder fiel der größte Theil der Bürgermeistereigeschäfte zu; er war sehr geschäftsgewandt und der einzige der des Französischen mächtig. Jung und lebenslustig wie die Officiere wurde er bald ihr Freund und durfte bei ihren Zusammenkünften nie fehlen. Ich erinnere mich noch, wie er mit ihnen kegelte, mit ihnen trank und sang, scherzte und lachte.

Die Gemeinen hielten unter einander gute Kameradschaft. Selbst bei ihren Trinkgelagen ging es heiter und friedlich zu. Wer singen [18] konnte, sang, die auderen hörten mit Wohlgefallen zu, dann stimmten auch wol mal alle einen Rundgesang an:


Battons le fer, tandis qu'il est rouge,
Battons le fer, tandis qu'il est chaud!
Haut le marteau! bas le marteau!

Sie hielten das Glas hoch empor, senkten es dann und tranken es schließlich aus.

Ihnen gegenüber erfreuete sich Monsieur le bourguemestre, mein Vater, eines hohen Ansehens, weil er sich vor niemandem fürchtete, und im Bewußtsein, nur das Rechte zu wollen, sich auch vor niemandem zu fürchten brauchte. Schon seine stattliche Gestalt, seine Körperstärke und Gewandtheit, mehr aber noch seine ganze Art und Weise, wie er auftrat, waren achtunggebietend. Kein anderer hätte das wagen dürfen was er wagte. Eines Tages sahen wir zwei Cürassiere mit ihren langen Degen unter dem Arme in einen Garten laufen. Wir blieben von ferne stehen. Sie zogen sich aus bis auf die Unterkleider und wollten eben mit einander duellieren. Da kam mein Vater, der von der Geschichte benachrichtigt war, eilig dazu, suchte sie zu beschwichtigen, und als das nicht gelingen wollte, wand er ihnen die Degen aus den Händen. Sie ließen sich das ruhig gefallen, mein Vater gab ihnen die Waffen zurück, und der Kampf war vorläufig beendet.

So ernst die Weltlage, so traurig die staatlichen Verhältnisse, so drückend fortwährend die Abgaben waren, die deutsche Gemüthlichkeit feierte doch nicht länger und wußte sich endlich wieder geltend zu machen, freilich mit einem starken Anfluge französischer Leichtfertigkeit. Wie man dachte und fühlte, sprach sich in allen Vergnügungen aus: bonne mine à mauvais jeu wurde der leitende Grundsatz. Damit stimmten denn auch die Gesellschaftslieder, welche man zu singen pflegte, wenn man lustig wurde:


Es kann ja nicht immer so bleiben
hier unter dem wechselnden Mond –
Freut euch des Lebens,
weil noch das Lämpchen glüht! –
Wir sind die Könige der Welt! –
Dem Teufel verschreib' ich mich nicht,
das wär' wider G'wissen und Pflicht –
[19]
Hört zu, ich will euch Weisheit singen! –
Schön wie Florens Grazien, wie die Rose,
ist mein schlankes Mädchen schön, jung und lose! –
Als ich noch im Flügelkleide
in die Mädchenschule ging –
Es hat die Schöpferin der Liebe
zur Lust die Mädchen aufgestellt –

Selten hörte man Abends im Freien noch bei der Arbeit oder in den Spinnstuben ein wehmüthiges Lied:

Noch einmal, Robert, eh' wir scheiden –
Hier ruhst du, Karl, hier werd' ich ruh'n
mit dir in Einem Grabe! –
Willkommen, o seliger Abend! –
Guter Mond, du gehst so stille! –
Weine nicht, es ist vergebens! –

Unsere Wäscherinnen pflegten gewöhnlich schon früh Morgens anzustimmen:

Laßt euch einmal einen Spaß erzählen! –
In des Waldes tiefsten Gründen! –
Heinrich schlief bei seiner Neuvermählten –

Die meisten dieser Melodien sangen wir den Alten nach, wußten freilich oft vom Texte nur selten mehr als die erste Strophe. Dagegen sangen wir bei unseren Spielen und Märschen:


Ein freies Leben führen wir –
Wol auf, Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd! –
Frisch auf, zum fröhlichen Jagen! –

Alle diese Lieder stammten aus einer früheren Zeit, waren aber recht zeitgemäß geworden; dagegen waren neue entstanden, die der Gefühlsrichtung der Gegenwart noch mehr entsprachen und deshalb in anständigen Gesellschaften beliebt waren und oft und gern gesungen wurden. So die beiden Lieder:


Die Welt ist nichts als ein Orchester –
Freunde, laßt uns nicht so thöricht sein,
das Leben im Galopp hindurch zu fliegen.

Solchen Liedern konnte keine Censur etwas anhaben, noch [20] weniger aber jenen Liedern, welche ›Gedruckt in diesem Jahr‹ zu den Drehorgeln gesungen wurden:


Unter den Akazien
wandeln gern die Grazien –
Ik bin ein Franzose, Mesdames
Ich liebe das Incognito:
hat man in dem Kopf kein Stroh,
kann man vieles sehen.

(Jede Strophe schloß mit dem wiederholten: Aber nur incognito!)

Solche Leichtfertigkeit ward damals gedichtet und gesungen und fand ein dankbares Publicum.

Eine schönere Erinnerung ist es für mich, wenn die Schüler ihren Neujahrsumgang hielten. Sie sangen jedem Hauswirth und Hausgenossen ein Lied und bekamen dann in die eine Büchse eine Gabe für den Rector, in die andere eine für sich. Bei uns mußten sie sich einfinden, wenn wir uns eben zu Tische gesetzt hatten, und jedesmal singen meines Vaters beide Lieblingslieder:


Gesund und frohes Muthes
genießen wir des Gutes,
das uns der große Vater schenkt –
Hoffnung, Hoffnung, immer grün!

So war denn das Jahr 1809 herangekommen. Die gesellige Fröhlichkeit verstummte allmählich, die Tagesbegebenheiten beschäftigten wieder alle Gemüther. In unserm Hause wurde wieder viel politisiert, ich mußte die Zeitungen vorlesen und auf der Landkarte den Kriegsschauplatz aufsuchen. Der Krieg in Spanien gewann immer größere Bedeutung; der Name Saragossa erfüllte uns mit Begeisterung; aber mit Wehmuth vernahmen wir, daß auf der Halbinsel Deutsche gegen Deutsche fechten mußten. Der Marsch nach Spanien galt für den sicheren Weg ins offene Grab. Wie viele Westfalen gingen hin, wie wenige kehrten heim. Ein Bauerjunge nahm sich ein Taschentuch voll Erde mit, um noch eine Nacht auf dem Boden leiner Heimat zu schlafen. Manche Mutter starb vor Gram über den Verlust ihres Sohnes, manche Braut vertrauerte ihr Leben. Herzzerreißend war der Gesang, wenn die Soldaten beim Ausmarsch anstimmten:


Ach du Deutschland, ich muß marschieren,
ach du Deutschland, lebe wohl!

[21] In Süddeutschland war der Krieg in vollem Gange. Alle Gemüther waren aufgeregt, jedes hoffte, endlich würde Napoleon erliegen. In Hessen brach ein Aufstand aus unter Dörnberg, und etwas später zog Schill mit seiner Schaar heran und beunruhigte Sachsen und Westfalen. Alles scheiterte. Anfangs Mai fanden Dörnbergsche Flüchtlinge in unserm Hause einen Zufluchtsort. Später brachte man durch unsere Nachbarschaft Schillsche Officiere, die in Braunschweig erschossen wurden. Wir Kinder waren begeistert für Schill, wir kannten ihn schon aus dem letzten unglücklichen Kriege, wir waren betrübt und zugleich empört, daß ein so tapferer Soldat und entschiedener Franzosenfeind ein so schreckliches Ende nehmen mußte. Noch lange nachher lebte er in ehrendem Andenken fort, in mancher Bauernstube war sein Bild an der Thür zu sehen.

Aller Augen waren nach Süddeutschland gerichtet immer noch hegten die Vaterlandsfreunde einige Hoffnung. Mit Begier wurde der Hamburger Correspondent gelesen. Da die Botenpost nur zweimal nach Gifhorn ging, so wurde oft Geld zusammengeschossen, um ihn durch einen eigenen Boten holen zu lassen. Wir Kinder hörten viel vom Kriegsschauplatze und wollten durchaus, daß der deutsche Kaiser den Sieg davon trage über den neuen Franzosenkaiser. Wir hatten damals neue graue Jacken bekommen; bei unserm Soldatenspiel wendeten wir sie um und schrieben mit Röthel ein großes F. II. (Franz der Zweite) darauf, obschon der deutsche Kaiser schon längst nur noch ein österreichischer war und sich F. I. schrieb. Welch ein Jubel, als die erste Siegesnachricht eintraf! Erzherzog Karl ward der Held des Tages – Aspern und Eßlingen, Jubel und Freudenthränen überall! Aber unsere Freude wurde bald getrübt: das Kriegesglück wendete sich, Napoleon ging auch aus diesem Kampfe als Sieger hervor.

Noch Einmal blinkte ein Schimmer von Hoffnung an unserem Himmel. Der geschworene Feind Napoleons, der seines Landes beraubte Herzog Friedrich Wilhelm, damals meist Braunschweig-Öls genannt, machte einen kühnen Streifzug durch halb Deutschland und so durch sein väterliches Erbe. Er traf den 31. Juli in Braunschweig ein. Wir hatten mit Angst und Beben die Kunde vernommen. Den 1. August kam es bei Ölper zum Treffen mit seinen Gegnern. Des Abends gingen wir ins Freie, hielten das Ohr an[22] den Erdboden gelehnt und hörten deutlich jeden Kanonenschuß und das Rottenfeuer. Des anderen Tages kam die Kunde, daß sich der Herzog durch eine bedeutende Uebermacht von Feinden siegreich durchgeschlagen habe. Lange Zeit noch sprach man von dem abenteuerlichen Zuge des Herzogs und seinen schwarzen Husaren mit dem Todtenkopfe. In vieler Händen war sein Bildniß. Aus dem nahen Braunschweig erfuhren wir Alles genau was sich dort während der Anwesenheit des Herzogs begeben hatte, was und mit wem der unglückliche Fürstensohn gesprochen, nichts aber wurde öfter wiederholt, als daß dort wirklich Brüder gegen Brüder gefochten. Der Herzog hatte sich längst schon eingeschifft, lebte aber in unserem Andenken noch fort. Bei unseren Soldatenspielen trugen wir Papiermützen mit gemalten Todtenköpfen.

Der Friede war abgeschlossen, Napoleon abermals Sieger, nur in Tirol dauerte der Kampf noch fort. Wir hörten viel vom Sandwirth Hofer, sahen ihn auch auf den Bilderbogen, aber diese letzte muthige Auflehnung gegen die Franzosenherrschaft war endlich auch gebrochen. Es schien als ob ganz Deutschland französisch werden sollte, als wir in das neue Jahr 1810 eintraten. Schon im Januar ward Alt-Hannover mit Westfalen vereinigt und im Herbste auch das Schicksal Fallerslebens entschieden: es bildete von nun an einen eigenen Canton des Okerdepartements. Mein Vater wurde am 1. October Canton-Maire, mein Bruder Mairie-Secretär (11. November). Beide Stellungen waren nur bedeutend durch die Ehre und die Gelegenheit, amtlich viel Schlimmes abzuwenden und viel Gutes zu veranlassen und zu fördern.

Plötzlich war nun Alles anders geworden. Das öffentliche Politisieren hörte auf. Von Braunschweig wußten wir, wie gefährlich es war und werden konnte. Mancher büßte für eine unbefangene Äußerung in den Gefängnissen zu Cassel. Die geheime Polizei nämlich, diese saubere Napoleonische Einrichtung, war auch in Westfalen eingerichtet und zählte mehr Eingeborene als Fremde unter ihren Helfern und Helfershelfern – ewige Schmach für den deutschen Namen! Der westfälische Moniteur, die einzige westfälische Zeitung, halb französisch halb deutsch, ging von der Regierung aus; alle Bücher, Zeitungen, Zeitschriften, Flugblätter und Anzeigen standen unter der strengsten Censur. Fremde Zeitungen waren zu theuer [23] und durften sich ebenfalls nicht frei äußern. Der Hamburger Correspondent hatte für uns aufgehört. Hamburg war französisch geworden, der Correspondent mußte eine bedeutende Stempelsteuer bezahlen, das war den Fallerslebern zu theuer und niemand hielt ihn mehr.

Geheime Polizei und Censur hatte bis jetzt keiner bei uns eigentlich gekannt, jetzt lernten wir sie in ihrer ganzen Bedeutung kennen: beide waren die besten Mittel zur gänzlichen Unterdrückung der Wahrheit und jeder vaterländischen und freisinnigen Regung. Die geheime Polizei verbreitete Furcht und Schrecken in allen Kreisen der Gesellschaft und brachte jene trübe Stimmung hervor, die sich auch im Jahre 1819 bei den Demagogenuntersuchungen ebenfalls aller Gemüther bemächtigte. Doch blieb es nicht bei dem geistigen Drucke und der geistigen Bevormundung. Die Continentalsperre hemmte allen Handel und Verkehr und vertheuerte eine Menge Lebensbedürfnisse, an die man sich in unseren Gegenden seit mehr als hundert Jahren gewöhnt hatte. Alles das traf jedoch mehr die Gebildeten, Wohlhabenden und Vornehmen. Zwei Dinge aber erstreckten sich über das ganze Volk: die unbarmherzige Conscription und die fast unerschwinglichen Abgaben. Wer die althannoversche Soldatenaushebung kannte, mußte das jetzige Conscriptionssystem grausam finden, und es war es auch, nur wenige Fälle konnten davon befreien. Mein Vater half auch hier wo er nur helfen konnte; er hat mancher Familie ihre Stütze, mancher kranken Mutter ihren einzigen Trost auf Erden gerettet. Aber oft reichte auch seine Fürsprache nicht aus und nebenbei mußte er noch die ärgsten Vorwürfe des Unterpräfecten sich gefallen lassen. Ebenso drückend waren die Abgaben. Gegen ihre Vertheilung wäre weniger einzuwenden gewesen, aber sie waren zu hoch und zu mannigfaltig und wurden mit unerbittlicher Strenge eingetrieben.

Das waren die Hauptschattenseiten der westfälischen Regierung, und darum glaubte man, es müsse als Wohlthat betrachtet werden, wenn man dem Volke, als es wieder hannoverisch geworden, alles Alte, was es einst hatte, so schnell als möglich wiedergäbe. Und das geschah. So wurde denn von der neuen Junker- und Zopfregierung vieles Gute beseitigt, was alle vernünftigen Vaterlandsfreunde für heilsam und nothwendig hielten und halten.

Das junge Königreich Westfalen hatte Gleichheit vor dem [24] Gesetz, mündliches und öffentliches Gerichtsverfahren, Schwurgerichte, allgemeine Conscriptions- und Steuerpflichtigkeit, freie Ausübung des Gottesdienstes der verschiedenen Religionsgesellschaften, gleiche Berechtigung zu öffentlichen Aemtern, Trennung der Justiz und Verwaltung, undhatte – keine Hörigkeit, keine Frohnden und Zehnten, keine Privilegien und keinen Adel. Bürger und Bauern hatten das Schlechte schnell kennen gelernt, aber das Gute noch viel schneller. Sie wußten, daß sie sich überall einer anständigen Begegnung von Seiten der Behörden zu versehen hatten, daß ihre Klagen und Beschwerden gehört werden mußten, daß ihre Prozesse schnell und billig entschieden wurden, daß sie mit einem weiland bevorrechteten Stande in gleichen Rechten und Verpflichtungen standen. So lernten sie allmählich ihre Würde als Menschen fühlen und ihre Stellung als Staatsbürger begreifen. Die hannoversche Junker- und Beamtenherrschaft war verschwunden mitsamt ihren langstieligen, groben, halblateinischen und eben deshalb unverständlichen Erlassen, ihren Bütteln und Hundelöchern, ihren Schandpfählen, Folterkammern, Galgen und Rad. In den amtlichen Schreiben gab es keine Abstufungen vom Edelgeborenen Schneider und Schuster bis zum Hochgeborenen Grafen. Alles wurde mit ›mein Herr‹ abgemacht.

Seit dem Beginne des Jahres 1811 schien die Umgestaltung der Dinge bei uns immer festeren Fuß zu fassen. Trotzdem war kein rechter Glaube daran im Volke. Als der große prachtvolle Comet im Frühjahr sich blicken ließ, da war mancher erfüllt von Angst und Schrecken und prophezeihte einen blutigen gräuelvollen Krieg, dem der Umsturz alles Bestehenden folgte. Wir Kinder freuten uns jeden Abend an seinem herrlichen Glanzlicht und sahen in ihm mehr den Verkünder eines warmen Sommers, der uns lange heitere Tage für unsere Spiele brächte.

Im Sommer fühlte mein Vater eine unaussprechliche Sehnsucht nach seinem jüngsten Bruder, seit 1807 Pfarrer zu Mühlhausen im Waldeckschen. Die beiden Brüder hatten sich seit 15 Jahren nicht gesehen. Mein Vater beschloß eine Reise dahin, woran meine Mutter, meine älteste Schwester und ich theilnahmen. Ich freute mich gar sehr darauf und zeichnete mir eine Landkarte mit allen den Orten, die wir berühren mußten. Wir reisten mit eigenem Wagen und Pferden. In Göttingen erkrankte unser eine Pferd und starb. [25] Wir wurden dadurch einige Tage aufgehalten und sahen den botanischen Garten, die Bibliothek, das Museum u. dergl. Die Bibliothek war eben damals durch den historischen Saal, den ganzen oberen Raum einer alten Kirche erweitert. Solche Menge Bücher hatte ich noch nie gesehen. In einem Saale hing das lebensgroße Bild des Königs von Westfalen. Noch anziehender war für mich eine Sitzung des Tribunalgerichts. Hier sah ich zuerst das öffentliche und mündliche Verfahren.

In Cassel fanden wir viel Leben und alles was eine Stadt zur Residenz macht: Lakaien, Beamte und Soldaten. Den letzteren schenkte ich besondere Aufmerksamkeit; sie waren nach meiner Ansicht die schönsten die man bis dahin gesehen hatte: geschmackvoll und zweckmäßig gekleidet, vortrefflich eingeübt, und leicht, frisch und munter in ihren Bewegungen. Ich stahl mich weg von Vater und Mutter und trieb mich stundenlang auf den öffentlichen Plätzen umher, wo es immer etwas zu sehen und zu hören gab. So lustig die Musik klang, so schrecklich tönte das Kettengeklirre der Gefangenen, welche die Straßen reinigen mußten; es waren viele politische Verbrecher darunter, die erst zwei Jahre später ihre Erlösung fanden. Nach einigen Tagen verließen wir Cassel.

Eines Morgens in aller Frühe trafen wir in Mühlhausen ein. Mein Vater hatte sich seinen Amtshut tief ins Gesicht gedrückt. Der Oheim kam an den Wagen, sehr verlegen, er glaubte, ein französischer Commissär wolle Conscribierte holen. ›Kennst Du mich nicht, August?‹ rief die Mutter. Es war eine rührende Ueberraschung. Wir blieben mehrere Tage bei dem guten Oheim, der nun seinerseits Alles aufbot, uns für den weiten Weg zu belohnen. Eines Tages besuchten wir das Arolser Schloß. Als wir schon die innere Treppe hinaufgegangen waren, kam unten der Fürst vorbei. Mein Oheim eilte die letzten Stufen wieder hinab und stellte die Mutter vor. Vater und ich blieben oben. Ich war gar nicht weiter bewegt von dieser hohen Bewillkommnung. Ich fragte meinen Oheim: ›Wie groß ist denn das waldecksche Land?‹ ›Dreiundzwanzig Quadratmeilen‹, war die Antwort. ›Nun, meinte ich, da lohnt es sich ja gar nicht einmal ein Fürst zu sein.‹ Diese unüberlegte Äußerung wurde mir nie verziehen.

Auf dem Rückwege hatten wir in Cassel einen unangenehmen Auftritt. Meiner Mutter wareu zu Haus viele Briefe an Soldaten [26] von ihren armen Eltern und Verwandten eingehändigt worden. Jetzt wußte sie nicht, was damit machen. Der Vater saß in der Gaststube am Tische neben einem unbekannten Manne, der sich mit ihm in ein Gespräch eingelassen. Die Mutter überreichte dem Vater die Briefe. ›Ach, sagte dieser, was geht's mich an!‹ und warf das ganze Paket auf den Tisch. Sofort nahm der Fremde sie in Beschlag ›Halt! mein Herr, was soll das?‹ entgegnete mein Vater. Jener aber bemerkte, daß er ein Recht darauf habe, holte ein Papier aus der Tasche und rechtfertigte sich: der Mann gehörte zur geheimen Polizei. Beide gingen zum Minister des Innern, und ich glaube, die Folge davon war, daß auch späterhin die Mitnahme von dergleichen Briefen nicht mehr verpönt war. Die Geschichte hatte einen so bösen Eindruck auf mich gemacht, daß ich von dieser Zeit an einen unauslöschlichen Haß gegen jede geheime Polizei behalten habe. Mein Vater war auch in seiner Stellung verdammt, eine gewisse geheime Polizei auszuüben, aber daß er dadurch jemanden in Unannehmlichkeiten oder gar ins Unglück hätte bringen können, gehörte nach meiner Ansicht zu den Unmöglichkeiten.

Nach meiner Rückkehr besuchte ich wieder die Bürgerschule, welcher seit 1809 der Rector F. zum Berge, mein nachheriger Schwager und später Schwiegervater, vorstand. Es wurde wenig gelernt, weil nur wenig gelehrt werden konnte: Religion nach dem hannoverschen Katechismus, biblische und Reformationsgeschichte, etwas Erdkunde – an der Wand hingen auf Pappe geklebt die beiden Halbkugeln der Erde –, Auswendiglernen von Gesangbuchversen, Bibelstellen und Gedichten zum Declamieren, Rechnen und Schreiben. Viele Eltern meinten, das genüge auch, da ja doch jeder Soldat werden müsse und zu einem Staatsamte keine gelehrte Bildung, höchstens nur noch Französisch erforderlich sei. Mein Vater dachte nicht so, er wünschte daß ich viel lernte und ließ mir durch den Rector Privatstunden geben. Das Französische, welches ich schon früher begonnen, setzte ich fort und das Lateinische fing ich mit großem Eifer an. In letzterem konnte ich es aber nicht weit mehr bringen, ich hatte bis zu meinem Abgange nur 40 Stunden darin gehabt.

Ich war in diesem halben Jahre recht fleißig: ich lernte den ganzen hannoverschen Katechismus mit allen seinen Bibelstellen und Gesangbuchversen auswendig, las viel in der Bibel, schrieb viel [27] Gedichte ab, um sie öffentlich herzusagen. Außer den Schulstunden besuchte ich regelmäßig den Confirmandenunterricht. Am grünen Donnerstage (26. März) wurde ich confirmiert. Es war mir zu Muthe als ob ich ein ganzes Leben abgeschlossen hätte und ein neues beginnen müßte. Am Nachmittage spazierten wir Confirmanden zusammen ins Freie und nahmen dann Abschied von einander. Die meisten sahen sich im Leben nie wieder.

Am 7. April geleitete mich mein Bruder nach Helmstedt. Herr Hofrath Wiedeburg empfing uns sehr freundlich, wir speisten bei ihm zu Mittag und nachdem Wohnung und Kost für mich ausgemacht war, reiste mein Bruder wieder heim. Die erste Zeit war für mich eine sehr traurige: gleich nach der Abreise meines Bruders bekam ich ein heftiges Heimweh. Daneben wirkte sehr niederschlagend, daß ich, der größte von allen und auch einer der ältesten, in der untersten Classe als der dritte von unten zu sitzen kam.

Der Hofrath war ein sehr guter und gelehrter Mann, ein braver Hausvater, aber ein schwacher Director, der bei dem besten Willen weder in Bezug auf Lehrer noch auf Schüler das durchzusetzen vermochte was eigentlich zum Gedeihen der Anstalt nothwendig war. Die Stunden fielen oft aus oder wurden mit anderen Lehrgegenständen ausgefüllt, auch war nicht immer die rechte Gründlichkeit im Unterrichtertheilen noch die gehörige Aufsicht über die Schüler vorhanden. Wer übrigens lernen wollte, hatte Gelegenheit genug und fand auch bei einigen Lehrern Ermunterung, guten Rath und Nachhülfe.

Wir Kostgänger konnten uns über Zwang durchaus nicht beklagen. Der Hofrath hatte keine Zeit, sich viel um uns zu bekümmern, und hätte er auch eine stete strenge Aufsicht führen wollen, er würde nur selten erfolgreich gewirkt haben. Sein Äußeres war durchaus nicht dazu angethan, sich Ansehn zu verschaffen und Liebe und Gehorsam zu gewinnen; schon die Vernachlässigung in seinem Anzuge konnte einen abschrecken, sein unbeholfenes Wesen erregte mitunter bei uns ein verstohlenes Lachen. Er sah aus wie ein Mann, der mehr in der Stube unter Büchern als im lebendigen Verkehre mit allerlei Menschen gelebt hatte, ohne Lebensfrische, ohne Fähigkeit, die Wünsche und Bedürfnisse der Jugend zu erkennen und zum Guten zu leiten.

[28] Das Essen ließ viel zu wünschen übrig; wir konnten wol darüber klagen, während sich über unser Zuspätkommen und unsern Appetit nie klagen ließ. Die in allen Pensionaten vorkommenden Geschichten fehlten auch bei uns nicht: hatte man zu viel Brot, so bat man sich noch etwas Butter aus; behielt man dann von dieser Butter etwas übrig, so bat man wieder um etwas Brot. Wir gehörten noch ehe die Mäßigkeitsvereine aufkamen schon zu denselben, den Magen haben wir uns so viel ich mich erinnere nie verdorben. Nach und nach hatte ich mich an die Menschen, an die Schule und ihre Arbeiten, an Essen und Trinken und Alles gewöhnt.

Von den Lehrern lernte ich zunächst nur den Dr. Justus Wolff kennen. Er ward mein Liebling und blieb es auch. Er stand in der Blüthe seines Lebens, erst 23 Jahre alt, mehr noch Jüngling als Mann, von schlankem, eher zartem als kräftigem Körperbau, ein Gesicht mit lebhaften Augen und freundlichem, zutrauenerweckendem Ausdruck unter einem reichen Lockenschmucke, lebendig in seinem ganzen Wesen, dabei immer nett und geschmackvoll in seinem Anzuge, eine liebliche, einnehmende Erscheinung, die mehr an einen fein gebildeten Hofmann erinnerte als an einen Schulmeister der letzten Classe eines Pädagogiums. Er war als Lehrer streng, entschieden, rücksichtslos, mitunter leidenschaftlich erregt, und wußte mit seiner wunderbaren Sprachgewandtheit, gehoben durch ein liebliches Organ, uns in seinen Geschichtsvorträgen zu begeistern und selbst die trockensten Dinge, die grammatische Formenlehre uns genießbar zu machen. Wie er vom Ehrgeize, sich auszuzeichnen, beseelt, wurden auch wir es, ich wenigstens. Ich war so fleißig, daß ich bald meine Mitschüler überholte: nach der ersten Versetzung wurde ich der dritte in Tertia, nach der darauf folgenden schon der erste, und nach einem halben Jahre wurde ich nach Secunda versetzt.

In dieser Zeit erwachte zuerst der Drang mich poetisch auszusprechen. Im November 1827 versuchte ich, der Zwecklosen Gesellschaft in Breslau darzustellen: ›Wie ich ein Dichter ward‹. Ich stand damals jener Zeit um 34 Jahre näher als heute, und darum will ich aus meinem damaligen Vortrage hier Einiges einschieben.

Der Sinn für Poesie zeigt sich bei einzelnen Menschen wie bei allen Völkern schon in der dunkelsten Kindheit; er ist wie jeder Sinn für das Schöne ein rein ursprünglicher, er kann eben so gut [29] geweckt, belebt und ausgebildet werden als gehemmt, unterdrückt und vertilgt. Da ich aber nur von diesem Sinne hier rede, insofern er selbst schafft, so mag es genügen, aus meinem Jugendleben zu erzählen, damit sich jeder, wie ich es selber muß, erkläre, wie sich dies eigne Schaffen zum Empfangen verhalte, weil doch einmal das erste durch dies letzte nicht allein bedingt wird, sondern genau damit verwachsen ist, wie Ursache mit Wirkung.

Bei den Griechen war die Erinnerung (Mnemosyne) die Mutter der Musen, bei mir ward es die Sehnsucht. Am 7. April 1812 reiste ich in Begleitung meines Bruders nach Helmstedt. So lange mein Bruder auf dem Wagen neben mir saß, so lange er in Helmstedt sich aufhielt, so lange ich ihn sah, ihn hörte, schien ich noch Alles zu haben was ich hatte, Eltern, Geschwister, Jugendfreunde, Heimat und Alles; wie er aber an der Nordseite Helmstedts Abschied von mir nahm und dann der Wagen allmählich aus meinen Blicken entschwand – da schreckte ich auf, bebte und weinte bitterlich, und es war mir, als ob das Liebste in der Welt, was ich vor einigen Tagen verloren hatte, jetzt auf einmal in einem Sarge niedergesenkt würde und ich stände da und hörte den ersten dumpfen Schaufelwurf, womit der Todtengräber den Sarg zu verscharren beginnt.

Wie die Wehmuth selbst, bang und schüchtern kehrte ich in meine Wohnung zurück. Bei jeder Frage an mich, welche die Neugierde so gerne thut, konnte ich nur mit Thränen antworten. Mein Zustand verschlimmerte sich von Tage zu Tage, mein Heimweh schien unheilbar zu werden. Ja, der Anblick eines Bauernhutes und Rockes aus unserer Gegend stimmte mich zum Weinen. Sobald mir aber die fremden Gesichter heimischer wurden, sobald sich von Seiten meiner Lehrer so viel Liebe und Wohlwollen zeigte, und die Regelmäßigkeit des Schulunterrichts mich zu einer regelmäßigen Arbeit auf meinem Zimmer und zu körperlicher Zerstreuung nöthigte, da verwandelte sich mein Heimweh in Wehmuth und Sehnsucht, ich suchte das Verlorene überall; aber kein Frühling mit seinen Blüthenbäumen, seinen Nachtigallen, kein Lehrer mit seiner Theilnahme, kein Freund mit seiner Tröstung konnte es mir wiedergeben. Einsam irrte ich gern auf den öden Sandhügeln, die an der nördlichen Seite Helmstedts sich bis an die hannoversche Grenze erstrecken, weil ich doch da etwas näher meiner Heimat war; und wenn ich mich genug an den Heideblumen [30] gefreut und dem Zuge der Wolken nachgesehen hatte, kehrte ich wehmüthig zurück. Eines Tages aber war mein Herz so voll Erinnerung, so wunderlich bewegt, und als ich nun einen Raben vor mir auffliegen sah an einer grün bewachsenen Stelle, wo Reisig zu Wellen (Wasen) gebunden lag, da fand ich die Wünschelruthe, auf deren Schlag jedesmal die goldene Jugendzeit mit allen ihren Zaubern sich mir offenbaren sollte. Diese Wünschelruthe war die Dichtung. Ich fing an zu reimen:


Dort wo fliegt der schwarze Rabe
Neben langen Wasen,
Ruht aus grünem Rasen
Ein lockigter schöner Knabe.

Mit einer unaussprechlichen Freude kehrte ich zu rück, schrieb mein Verslein auf, und obschon ich keine Idee von Länge und Kürze hatte, fügte ich doch die bekannten Zeichen dafür hinzu. Jetzt aber fragte ich den Hofrath Wiedeburg, was denn eigentlich im Deutschen lang und kurz sei? Statt aller Antwort gab er mir Vossens Zeitmessung, und damit gut. Ich blieb dabei so klug wie zuvor, denn das Buch war mir viel zu hoch. Ich gestand offenherzig, ich könne mich nicht darein finden, und der Herr Hofrath fand das ganz natürlich, ging in seine Bibliothek und brachte mir Moritzens Prosodie und einige ältere Versuche, das Rhythmische der deutschen Sprache auf bestimmte Regeln zurückzuführen. Nun, ich lernte wol Manches, jedoch nie was ich eigentlich wollte, nie eine Regel, wonach ich sicher gehen konnte. Moritzens ganze Art, Länge und Kürze einzig durch den Werth der Redetheile und ihre jedesmalige Stellung zu bestimmen, schien mir viel zu schwankend und verwirrte mich immer, wenn ich etwas herausgefühlt zu haben glaubte. Während ich so mich in der Theorie umsah und beinahe aufgegeben, je darüber ins Klare zu kommen, boten sich mir neue Reime dar, eben so ungerufen wie die ersten:


Fluren und Felder,
Berge und Wälder,
Sehet, wie sind sie geschmückt
Von dem der Alles beglückt!

Wenn ich mir das so ansah, so schien es mir richtig, wenn ich aber las, so kam immer statt Vōn dĕm dĕr Alles zum Vorschein: [31] Von dém der Alles, so wie in dem früheren Versuche: Eĭn lōckĭgtĕr schöner Knabe. – Es wollte also immer noch nicht gehen. Da gerieth ich endlich auf den Gedanken, ob sich die Quantität nicht aus den darin musterhaften Dichtern lernen ließe. Der Hofrath Wiedeburg gab mir nun den Salis. Das war eine Freude für mich! So ein einzelner Dichter war noch nie der Gegenstand meiner Muße gewesen. Ich las mit wahrer Andacht und las langsam, wol ein Vierteljahr hindurch nichts als Salis; ehe ich ein neues anfing, kehrte ich gern zu den alten liebgewordenen zurück. Salis war zu sehr mein eigenes Selbst geworden, als daß ich an ein Darstellen meiner Leiden und Freuden gedacht hätte. So wie ich aber mit dem Technischen minder zu kämpfen hatte, stellte sich der Trieb zu dichten stärker ein als je vorher. Eine Streitigkeit unter meinen Mitschülern, wobei ich Antheil nahm, wurde Veranlassung, auch poetisch mein Bedauern auszudrücken:


In diesen heiligen Hallen,
Wo Eris wohnt
Und herrlich thront,
Wollt' einst Concordia wallen.

Zank und Frieden als Eris und Concordia anzubringen, machte mir vielen Spaß, noch mehr aber dasWollt' einst, wobei ich zum ersten Male die Elision und noch dazu richtig angewendet hatte.

Bald aber mißfiel mir das ganze Ding. Es ist doch nichts weiter, sprach ich zu mir selbst, als etwas mit Reimen versehen, was sich in Prosa eben so gut sagen läßt. Könnte ich doch einmal ein ganzes Gedicht und ein wirkliches zu Stande bringen! Das ward nun mein nächster, mein einziger Wunsch. Aber der Sommer ging vorüber, ohne ihn erfüllt zu sehen. –

Um diese Zeit zogen mehrere französische Regimenter nach Polen und Ostpreußen der russischen Grenze zu. Wir hatten viele Durchmärsche. Ende Juni erfuhren wir Napoleons Kriegserklärung gegen Rußland und die russische Gegenerklärung. Bei Tische wurde oft über die neuesten Zeitereignisse gesprochen. Wir lasen die Kriegsberichte der Augsburger Allgemeinen Zeitung und standen in dem Wahne, daß die Franzosen siegreich fortschritten. Die Napoleonschen Berichte lauteten bisher nur günstig.

[32] Der Winter hatte sich dies Jahr ungewöhnlich früh eingestellt, die Kälte hatte bald einen hohen Grad erreicht und hemmte allen Verkehr. Die Wege waren zum Theil durch Schneefall unfahrbar geworden. Trotzdem bat ich meine Eltern, mich holen zu lassen, ich wollte gar zu gerne die Ferien bei und mit ihnen zubringen. Da kam denn eines Tages unser Wagen. Den andern Morgen legte ich mich auf den Wagen in das Stroh, dicht eingepackt in Mäntel und Fußsack und fuhr hinüber wie ein Lebendigbegrabener, von dem nur etwas Gesicht zu sehen war. Nach einigen Stunden hatte ich die gefährliche Winterreise glücklich vollendet.

Am zweiten Weihnachtstage war großer Ball in unserm Hause. Gegen Abend war eben der westfälische Moniteur angekommen, niemand kümmerte sich um ihn. Er lag vor mir auf dem Tische noch zusammengefaltet, ich las. Ueber mir rauschte die Musik, die ganze Gesellschaft war im lustigsten Tanzen. Da las ich Napoleons 29. Bülletin vom 3. December. Ich eilte hinauf in den Saal und verkündete die große Botschaft. Alles ward mit Angst und Entsetzen erfüllt, das Unglück war zu schrecklich, als daß man sich bei uns hätte freuen können. Beklommen fragte man sich: ›Was mag aus unseren Leuten geworden sein! Die armen Westfalen! Die sind gewiß auch alle verloren!‹ – Doch bald erholte man sich von der Trauerbotschaft, griff das Freudige auf was für uns in diesem Ereignisse lag, jubelte dann über die Niederlage der Franzosen und tanzte lustig weiter bis an den lichten Morgen. Es war des Jammers und Elends so viel in der Welt, daß man jede Gelegenheit zur Fröhlichkeit festhielt.

Nachdem ich meine vierzehntägigen Ferien daheim sehr angenehm zugebracht hatte, kehrte ich nach Helmstedt zurück. Den 4. Januar begann die Schule. Den folgenden Tag wurde ich der Erste in Secunda. Hauptlehrer dieser Classe war Dr. Bollmann, ein Mann von gediegenem Wissen, streng und gründlich im Unterrichten, meist ernst, mitunter verdrießlich, von nicht eben einnehmendem Wesen. So dankbar wir uns fühlten für die Erfolge seines Unterrichts und so groß die Achtung für seine Tüchtigkeit war, so fühlten wir uns doch nicht recht hingezogen und sein scharfer Tadel wirkte niederschlagend und erbitternd, unsere Liebe war wie jener Jude meinte mehr eine Liebe aus Furcht als eine Liebe aus Liebe.

[33] Mit dem neuen Jahre fing ich an ein Tagebuch zu führen. Ich zeichnete jeden Tag ein was mir merkwürdig schien. Die meisten dieser Aufzeichnungen sind ganz kurz, sie betreffen mein Verhältniß zu Lehrern und Schülern, erwähnen die Tagesereignisse, und oft auch meine augenblicklichen, oft traurigen Stimmungen.

Meinem Vater hatte ich versprochen, alle Neuigkeiten von Bedeutung zu melden. So meldete ich denn schon den 19. Januar die Nachricht der Berliner Zeitungen, daß die Russen in Königsberg eingerückt seien. Am 28. Januar lag ein westfälischer Officier bei uns im Quartiere, der eben aus Rußland zurückgekehrt war, der erzählte uns furchtbare Geschichten vom Kriegsschauplatze. Den 6. März kamen die ersten französischen Cohorten durch Helmstedt, 4 Bataillone.

Den 14. April ließen mich meine Eltern nach Haus holen. Schon unterweges begegneten mir französische Vorposten. Im Orte traf ich 400 reitende Jäger vom Davoustschen Corps, das in Gifhorn sein Hauptquartier hatte. So mitten im Kriege war ich noch nie gewesen. Tag und Nacht war Alles auf den Beinen, die Pferde standen gesattelt und aufgezäumt, Wachtfeuer loderten hell empor, Vorposten waren nach allen Seiten ausgestellt. Hinter der Aller schwärmten die Kosacken. Am Charfreitage konnte kein Gottesdienst gehalten werden. Auf dem Amthofe trieben die Soldaten, gleichsam um das Gefühl der Gefahr nicht aufkommen zu lassen, allerlei Possenspiel, vermummten sich und hielten einen Mummenschanz. Aus Versehen wurde einer erschossen. Erst am Samstag vor Ostern (17. April) wurden wir von den sehr unwillkommenen Gästen erlöst. Davoust stand noch immer in Gifhorn. Mein Bruder war dort auf Befehl des Präfecten Oberaufseher der Lieferungen und Magazine. Mein Vater wollte nichts liefern und bekam mehrmals von seinem Sohne Execution. Eines Mittags sprengten zwei Jäger mit gespannten Carabinern durch die Straßen. Als sie keinen Feind gewahrten, eilten sie zurück. Es kam nun eine Schaar von etwa zwanzig Mann. Schnell mußte Brot und Vieh geliefert werden. Die Soldaten speisten unterdessen auf offener Straße. Über aufrecht stehende Tonnen wurden Bretter gelegt, der Tisch war fertig und die Malzeit folgte schnell hinterdrein. Gesättigt und befriedigt zogen sie ab mit ihren erpreßten Lebensmitteln. Das war der letzte Besuch der Franzosen. Das Hauptcorps brach endlich auf und schlug sich nach Hamburg.

[34] Anfang Mai wurde ein Tedeum befohlen für den Sieg der Franzosen bei Lützen, obschon sich keiner den Sieg eigentlich zuschreiben konnte. Wenn ein Tedeum in der Kirche begann, so liefen die Pfarrkinder hinaus, nur die Behörden blieben in Andacht zurück.

Am 11. Mai des Abends um 10 Uhr zeigten sich in meiner Heimat die ersten Kosacken, ein Pulk von 39 Mann. Der Hetman umarmte meinen Vater und küßte ihn, der Cantor aber, der immer nach dem Canton-Maire schrie, bekam Hiebe mit dem Kantschu: ›Nix Canton-Maire! Burgemeister!‹ Ich mußte mit dieser und ähnlichen Nachrichten sehr vorsichtig sein. Die Ausspäherei und Angeberei hatte in diesen letzten Zeiten der Franzosenherrschaft ihren Höhepunkt erreicht. Ich war schon einige Male von der Polizei zur Verantwortung gezogen worden.

Am 26. Mai sprengten drei preußische Husaren in Helmstedt hinein und holten sich die Kassen. Am 5. Juni begann der Waffenstillstand. Wir sahen dann und wann noch Franzosen: am 14. Juli zog das 2. französische Linienregiment durch. Am 24. Juli gingen vier meiner Mitschüler heimlich unter die preußischen Freiwilligen. Den 16. August nahm der Waffenstillstand ein Ende. Alles sah tröstlicher und hoffnungsreicher aus, nur nicht für die westfälischen Beamten: die meisten Canton-Maires wurden aufgehoben und fortgeschleppt; den Gensdarmen ging es noch schlimmer, sie hatten sich durch ihre Jagd auf die Conscribierten und andere Grausamkeiten zu verhaßt gemacht, und wurden jetzt oft sehr gemißhandelt. Die Fallersleber Brigade war versprengt, die einzelnen ließen sich dann und wann sehen, wurden aber bald wieder verjagt; sie hatten meinem Vater Rache geschworen und ich sehe es noch deutlich, wie dieser seine Doppelflinte lud und sich anschickte zur Vertheidigung gegen seine eigene Brigade.

Am 10. September zeigten sich in Fallersleben wieder Kosacken und Baschkiren, und am 25. erschien Marwitz mit seinen Landwehrreitern. Meine Mutter schickte sofort einen Eilboten an den Präfecten Reimann, der sich denn auch noch retten konnte. Von Fallersleben zogen sie weiter und rückten um 1 Uhr in Braunschweig ein.

Die Lage Magdeburgs wurde immer mißlicher. Wenn auch noch nicht eine Belagerung, so stand doch eine Einschließung baldigst bevor. Unter solchen Umständen hielt es meine Mutter für rathsam, ihren [35] Sohn daheim zu haben, der vom Präfekten des Okerdepartements dorthin geschickt war, um über die von demselben gestellten Schanzarbeiter die Aufsicht zu führen. Sie verabredete sich mit einem Unteraufseher und dieser mußte mit einem Wagen nach Magdeburg fahren und dann seinen Oberaufseher abholen. Der Mann richtete die Sache ganz verständig ein. Er ließ den Wagen außerhalb der Schußlinie halten und ging dann zu Fuß zu meinem Bruder. Beide thaten nun, als ob sie ihre Schanzarbeiter besuchen wollten und spazierten dann immer weiter, bis sie den Wagen erreichten, stiegen ein und fuhren ab. Ich war gerade um die Zeit in Fallersleben. Wie groß war unsere Freude, als wir uns wiedersahen! Im Juli des nächsten Jahres war mein Bruder braunschweigischer Commissär bei den Magazinen in Egeln und Meyendorf.

Am 28. September zog Czernitscheff in Cassel ein. Am 1. October erklärte er von dort aus das Königreich Westfalen für aufgelöst. Den 4. October reiste ich mit den Meinigen nach Braunschweig. Wir blieben einige Tage dort. Den 6. sahen wir den Einzug Czernitscheffs mit seinen Kosacken, ein ergötzlicher Anblick! Diese Gesichter, die sich alle glichen, und dann wieder diese unendliche Mannigfaltigkeit in der Kleidung! Auf mehreren Wagen wurden die erbeuteten Sachen fortgeschafft, auf einem saßen zwei Kosacken mit zwei zahmen Rehen, ein Bild des Friedens mitten im Kriege!

Seit dem 11. October war ich wieder in Helmstedt. Die Kunde von der großen Schlacht bei Leipzig (18. October) drang erst drei Tage später zu uns. Die Begeisterung war groß. Auch Steinhart mein Stubengenosse war unter die Freiwilligen gegangen. Ohne ein Wort über sein Vornehmen zu sagen hatte er gleich bei meiner Ankunft Abschied von mir genommen.

Den 26. October hatte Jérome Cassel für immer verlassen. Den 3. November hatten sich die alten hannoverschen Minister wieder eingefunden und am 6. nahm Olfermann für seinen Herzog das Herzogthum Braunschweig in Besitz. Den 21. December kam mein Bruder, um mich abzuholen. Den andern Tag in aller Frühe fuhren wir nach Braunschweig und sahen uns den Einzug des Herzogs an.

Unter diesen aufregenden und zerstreuenden Ereignissen blieb mir doch Zeit zum Lernen. Das Lateinische und Griechische trieb ich mit Lust und Eifer, nicht minder das Französische; der Haß gegen die[36] Franzosen hatte sich nur noch auf sie selbst beschränkt, ihre Sprache hielten wir für eine der drei Weltsprachen, die für den Völkerverkehr nothwendig geworden sei. Dr. Wolff verstand es, in den öffentlichen wie in den Privatstunden durch seine Lehrweise uns in den grammatischen Bau so angenehm und zugleich so gründlich einzuführen, daß mir die damalige Grundlage von nachhaltigem Vortheile geblieben ist.

Für Poesie blieb ich nach wie vor beseelt und thätig trotz allen Aufregungen, welche sich durch das Kriegsgetümmel wiederholten. Schon zu Anfange des Jahres hatte ich mir ein Buch angelegt, worein ich alle Gedichte schrieb welche mich am meisten ansprachen. Ich las dann fleißig Kleist, Matthisson, und zu Anfange des Frühlings Hölth in der Ausgabe von Voß. Nie ohne Thränen verweilte ich bei der Vorrede, diesem schönen, würdigen Denkmale, welches Voß seinem früh geschiedenen Jugendfreunde gesetzt.

Seitdem Dr. Wolff die Declamierübungen leitete, erhielt meine Liebe zur Poesie neue Nahrung. Zur Declamation wählte ich gewöhnlich Schillersche Balladen. Jeder neue Beifall, den mein Gedächtniß oder mein Vortrag erndteten, gewann mich wie für Schiller so überhaupt für Poesie. Ich las oft im Schiller, und obschon ich die vielen mythologischen Beziehungen und die vielen sentenzenartigen Aussprüche oft entweder gar nicht oder falsch verstand, so las ich ihn doch gern und mit vieler Aufmerksamkeit. Darauf mag sich denn auch wol beziehen was ich zum 22. Mai anmerkte: ›Die Lectüre deutscher Dichter wird mir immer angenehmer.‹ Gegen Ende des Jahres dichtete ich sehr fleißig. Den 29. November vollendete ich ein Lied auf den Ausgang des Herbstes, 8 Strophen, und am 4. December eine Elegie auf den Tod meiner jüngsten Schwester Dorothea, deren Bild mir immer gegenwärtig geblieben ist.

Nachdem ich das Neujahrsfest (1814) in gewohnter Weise mit den Meinigen gefeiert hatte, kehrte ich den 3. Januar schon nach Helmstedt zurück, mit anderen Gefühlen wie sonst, denn es war beschlossen worden, daß ich zu Ostern das Catharineum zu Braunschweig besuchen sollte.

Die Durchmärsche und Rüstungen dauerten fort, sonst erfuhren wir wenig vom Kriege außer dem welchen wir selbst führten: wir hatten uns Schneeschanzen gebaut und lieferten Schneeballschlachten auf dem Schulhofe, auf den Straßen und im Freien. Nebenbei war ich sehr fleißig und verfaßte manches Gedicht. Meine Mitschüler [37] nahmen großen Antheil an diesen meinen poetischen Bestrebungen: ich mußte ihnen von Zeit zu Zeit die Gedichte vorlesen, wozu ich mich nie verstanden hätte, wenn ich ihrer Theilnahme nicht gewiß gewesen wäre. S. bat mich sogar, einige dem Dr. Wolff vorlegen zu dürfen. Dieser und der Hofrath Wiedeburg billigten sehr, daß ich die Anlage zur Poesie ausbildete, besonders wenn ich meine Schularbeiten nicht darüber vernachlässigte; der Hofrath fand es sogar sehr löblich, daß ich die antiken Versmaße nachzuahmen unternahm. Aber schon am 10. März erfuhr ich, daß wenigstens Dr. Bollmann die Sache anders ansah: ich blieb im Griechischen der Erste, wurde aber bedroht, wenn ich noch ferner auf Nebenbeschäftigungen meine Zeit verwendete, 6 hinunter zu kommen. Ich schrieb in mein Tagebuch:›Musa mihi cordi est.‹

Zu meinem Geburtstage (2 April) reiste ich in die Heimat. Als die Abdankung Napoleons bekannt wurde, zeichnete ich mit einem Diamant auf eine Fensterscheibe in unserer Kinderstube ein Bild: in der Mitte Napoleon in zerlumpter Uniform mit seinem bekannten Hute, links der Gott der Zeit mit einer gewaltigen Sense und darunter folgende Verse:


Hier zeigt die Zeit ein Schattenspiel:
Napoleon den Großen,
Wie er von seiner Höhe fiel
In Nesseln mit dem Bloßen.

Die Fensterscheibe hat sich viele Jahre erhalten, ist aber endlich, wie meine Nichte sagte, ›caput‹ gegangen. Mancher, der sie sah, hat über den Secundanerwitz gelacht.

Den 19. April reiste ich nach Helmstedt um Abschied zu nehmen. Ich meldete dem Herrn Hofrath meinen Abgang und überreichte ihm den Brief meines Vaters. Der Hofrath war sehr überrascht. Es waren für mich schwere Augenblicke. Ich packte meine Sachen zusammen und ging dann zum Dr. Bollmann. Nachdem ich beiden meinen Dank ausgesprochen und von ihnen Abschied genommen, fuhr ich bis Neindorf und ging dann zu Fuß weiter. Abends um 9 kam ich zu Haus an.

Von meinen Helmstedter Mitschülern sah ich Carl Steinhart und Ernst Henke nach vielen Jahren öfter wieder, Steinhart ist Professor in Schulpforta, Henke Professor und Oberbibliothekar in Marburg.

[38] Den 24. April reiste ich nach Braunschweig. Den folgenden Tag ward ich vom Director des Catharineums geprüft, bestand und kam in die erste Classe. Nun begann für mich ein freieres, regeres und mannigfaltigeres Leben und es entwickelte sich immer mehr das was man Charakter zu nennen pflegt. Ich trieb mit großem Eifer Griechisch und Latein, und übersetzte aus letzterem ins Deutsche, z.B. die 2. Ekloge Virgils und einige Horazische Oden. Meine Poesie war bis jetzt ganz harmlos gewesen, wie schon die Überschriften der damaligen Gedichte andeuten: ›Mein Schäfchen. Lied eines Landmanns in der Fremde. Morgen und Abend. Die Melkerinnen, ein Idylle. Der Pilger.‹

Ich kam aber hier wie mitten in den Krieg hinein. Die Rüstungen wurden mit großem Eifer vom Herzoge betrieben und das kleine Land von 200,000 Einwohnern, welches nach den Frankfurter Beschlüssen vom 24. November 1813 nur 6000 Mann stellen sollte, hatte bald ein wohl ausgerüstetes Heer von 10,000 Mann mit einer reitenden und einer Fußbatterie.

Kein Wunder, daß auch unter solchen Rüstungen meine Poesie ihre bisherige harmlose Richtung einbüßte. Schon am 4. Mai schrieb ich in mein Tagebuch: ›Noch immer verstummt die Musa? Ja, auch noch immer war das Wetter schlecht.‹ Das schlechte Wetter waren aber eben die Zeitereignisse. Ich war für die kaum errungene deutsche Freiheit, wie man damals die Vertreibung der Franzosen nannte, mit Leib und Seele begeistert. Schon in Helmstedt hatte ich eine kleine Sammlung Körner'scher Lieder gelesen. Später erhielt ich von meinem Bruder Körner's Leier und Schwert geschenkt. Ich wußte bald die meisten Lieder auswendig. Ich blieb dadurch poetisch angeregt und fing auch bald an von Freiheit und Vaterland zu dichten.

Den nächsten Anlaß dazu gab das Friedensfest. Briefe von Haus kündigten mir nämlich an, daß im Königreich Hannover am 24. Juli das Friedensfest gefeiert werden sollte. Diese Nachricht stimmte mich so augenblicklich zum Dichten, daß ich während des sehr trockenen Vortrags des sehr ehrwürdigen Hofraths Helwig in der mathematischen Stunde ein Friedenslied zu Stande brachte nach der Melodie: ›Bekränzt mit Laub den lieben vollen Becher.‹ Am 12. Juli schickte ich dies Lied mit einigen Xenien nach Haus und harrte in wunderbarer Begierde der Antwort, wie es aufgenommen würde. Zwei Tage [39] nachher erfolgte ein lobender Brief meines Vaters und ich reiste bald darauf mit einer unaussprechlichen Freude nach Haus. Am 24. gab es viele ernste Feierlichkeiten, am 25. ging's um so lustiger her, da war Freischießen. Mit voller Musik zieht die junge Schützengilde hinaus. Es beginnt das Königsschießen. Der beste Schuß ist gethan und der neue König wird vor einem großen GR. gekrönt. Die junge Mannschaft lagert sich auf dem grünen Rasen und singt mein Lied: ›Herein, herein in unsers Kreises Runde!‹ Ich stand dabei: ob mir das Herz klopfte! So etwas hatte ich noch nicht im Leben erfahren. Und nun noch die Freude der Meinigen! – Damit dies denkwürdige Ereigniß unvergessen bliebe, besorgte mir einige Wochen später der Buchdrucker Meyer einige Abdrücke meines Liedes, die ich dann bis auf wenige nach Haus schickte, wo sie denn auch sofort vergriffen wurden.

Im Herbste machte ich eine Ferienreise zu meinen Verwandten im Hildesheimschen. Ich zeichnete mir Alles auf was ich hörte und sah – das war meine erste Reisebeschreibung.

Der 18. October ward zum ersten Male feierlich begangen. Ich ging in die Katharinenkirche. Der Pastor Ahlers predigte über 5. Buch Moses 4, 9: ›Hüte dich nur und bewahre deine Seele wohl, daß du nicht vergessest der Geschichte, die deine Augen gesehen haben und daß sie nicht aus deinem Herzen kommen alle dein Leben lang. Und sollt deinen Kindern und Kindeskindern kund thun den Tag.‹ Schon damals hatten viele vergessen, was denn eigentlich gefeiert ward, unmöglich doch der Sieg für die gänzliche Rückkehr in die alte gute Zeit? Ich sprach mich mit Ernst und Bitterkeit, mit Laune und Spott darüber aus, und fand eine gewisse Art von Patriotismus dumm, lächerlich und abgeschmackt. Mein Vater merkte die gefährliche Richtung meines Geistes und schrieb mir zu Ende des Jahrs (15. Dec. 1814) einen Brief mit der Anrede ›Angehender Hogarth‹ und ermahnte mich ganz ernstlich: ›Dann gewöhne Dir die Faseleien ab, denn in der That, ich möchte Dich künftig nicht gern in der Schaar der Satyriker sehen. Die Schwächen der Nebenmenschen aufzudecken – wozu man vor dem 50. Jahre nicht einmal in der Republik und im Contrat social Befugniß hat – ist kein Verdienst.‹

Die Weihnachtsferien waren vergnügt verlebt. Den 5. Januar 1815 traf ich wieder in Braunschweig ein. Den Mahnungen meines [40] Vaters nachzukommen hielt schwer, zumal jetzt wo Dr. Petri mit uns den Juvenal las. Eine Vergleichung der alten Römer in den Zeiten ihrer Entartung und Entsittlichung mit der Gegenwart las zu nahe und lockte mich, der ich die Satire meiden sollte, erst recht hinein. Dr. Petri wußte uns in das Verständniß des eben nicht leichten Satirendichters einzuführen durch Einleitungen über römische Sitten und Gebräuche und durch gründliche Sach- und Worterklärungen. Die große Schwierigkeit im richtigen Verstehen des lateinischen Textes reizte mich zu einer metrischen Uebersetzung, welche mich manche Stunde eben so sehr quälte wie ergötzte.

Zu den Osterferien reiste ich wieder zu meinen Eltern, diesmal über Adenbüttel und Isenbüttel. Erst am 15. März traf ich ein. Unterweges ritt ein Freund unseres Hauses, der eben von Braunschweig kam, an mir vorbei und rief mir zu: ›Napoleon ist in Frankreich gelandet.‹ Als ich in die Stube eintrete, finde ich Alles schon im lebhaftesten Gespräche. Der Amtmann schlägt die Hände hoch empor und ruft: ›Kinders! Kinders! Jetzt muß Alles mit! Alles, Alles mit! Du auch!‹ ›Ich, Herr Amtmann? Für die schöne Regierung werde ich meine Haut nicht zu Markte tragen.‹ – Ich meinte das in vollem Ernste, weil ich lieber gegen die inneren als äußeren Feinde kämpfen wollte.

Nach einigen Tagen ergriff auch mich der Freiheitskriegsschwindel, ich las viel in Körner und machte politische Sonette. Wie es kommen würde, ahndete ich jedoch in ruhigen Stunden und sprach es unverholen aus. In einem Sonette vom 27. März lautete der Schluß: ›Der Deutsche soll nun auch für Frankreich sterben? O möcht' er nicht um diese Krone werben, Er wird dereinst nur leeren Lohn ererben.‹ Bei allen meinen liebgewonnenen poetischen und classischen Studien suchte ich mich doch vor Einseitigkeit zu bewahren. Die Tagesereignisse hatten großes Interesse für mich, ich las alle Zeitungen, deren ich habhaft werden konnte, und beschäftigte mich gern mit Geschichte. So machte ich mir jetzt viele Auszüge aus dem alten Fallersleber Rathsbuche, die ich sogar später drucken lassen konnte.

Am 1. April befand ich mich wieder in Braunschweig. Sehr erfreulich war für mich, daß Dr. Wolff Lehrer am Catharineum [41] geworden war. Am 5. April begann er mit uns Übungen im deutschen Stil.

Obschon mein Vater vor einiger Zeit noch gesagt hatte: ›Ich will meine Hand von Dir abziehen, wenn Du nichts Rechtes lernst und wenn Du ferner dichtest‹, so war das doch nicht so böse gemeint. In der Mittheilung dieser väterlichen Worte an meinen Bruder fügte ich hinzu: ›Nun verhalte ich mich ganz mausestill, und esse in Hexametern und Jamben meinen Braten und mein Stück Kuchen.‹ – Ich dichtete nach wie vor, und dichtete jetzt Freiheitslieder in und außer der Schule. Es war unter uns ein reges, lustiges Leben. Vor Beginn der Stunde pflegten wir immer in vollem Chor ein Lied anzustimmen: ›Das Volk steht auf, der Sturm bricht los‹, oder ›Was glänzt dort vom Walde im Sonnenschein?‹ Wir machten oft einen fürchterlichen Lärm, als ob die Welt unterginge, besonders bei dem Liede ›Als die Preußen marschierten vor Prag‹; dabei wurde immer aus Leibeskräften getrommelt und getrompetet. Das bewegte Leben der Gegenwart hatte auch uns Schüler gewaltig ergriffen. Alle Schlachtbeschreibungen der Griechen und Römer konnten das nicht bewirken, was oft eine kleine Zeitungsnachricht vermochte. Wir waren ausgelassener als jemals und sangen so recht aus voller Brust ›Ein freies Leben führen wir.‹ Ich ward so keck, daß ich eines Tages ein selbstverfaßtes Gedicht in der Classe declamierte. Es betraf die Gegenwart und schilderte Napoleons Wiedererscheinen als eine Strafe des Himmels dafür, daß die Fürsten mit der Erfüllung ihrer Verheißungen bisher gezögert hatten.

Am 2. Mai ging ich zum Buchdrucker Johann Heinrich Meyer und brachte ihm vier vor einiger Zeit verfaßte Lieder und fragte ihn, ob er geneigt sei, sie zu drucken. ›Sehr gern, erwiederte er, schade daß Sie nicht schon eher damit gekommen sind.‹ Er bestellte dann für seinen ›Calender auf das Schalt-Jahr nach Christi Geburt 1816‹ ein Einleitungsgedicht. Auch ich sage: ›Sehr gern etc.‹ und den anderen Tag ist es bereits vollendet und in seinen Händen.

Am 6. Mai sind meine Lieder gedruckt, ich bekomme 10 Exemplare ohne Titel, ich eile damit zu den Pfingstferien nach Haus. Ich und meine Lieder wurden freundlichst empfangen, diese beinahe noch freundlicher als ich. Meine Eltern waren hoch erfreut. Was aber muß ich sehen, als ich in einer Schublade nach etwas suche? [42] In mein Friedenslied vom vorigen Jahre hat meine liebe Schwester ihre Tanzschuhe eingewickelt. Nun, dachte ich, dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze, und Dir, Dir geht es am Ende noch schlimmer, Dir wird auch bei Lebzeiten kein Kranz zu Theil. Diese bittere Erfahrung vergaß ich nie, und im Augenblicke konnte mich nichts darüber trösten, auch nicht einmal daß mein Oheim meine neuen Lieder componierte. So eine Verachtung, gleichsam ein Tadel ohne Gründe war mir etwas Fürchterliches, und ich hielt nun den Beifall des Augenblicks für nichts mehr als eine gute Laune, die auch einem ungezogenen Kinde zuweilen nicht ein böses Wort sagen mag. Ich wurde mißtrauisch gegen alles Lob. Es konnte mir durchaus nicht genügen, daß meine Lehrer nur Verstöße gegen die Prosodie hie und da fanden und tadelten, sonst aber Alles beifällig aufnahmen. Ich fühlte recht, was es heißt, in poetischen Angelegenheiten niemanden als sich selbst zu haben, sich selbst als einzigen und letzten Richter betrachten zu müssen. Das muß blind und taub machen.

Von meinen Mitschülern durfte ich erst gar nichts erwarten, sie standen mit mir auf derselben Sprosse der Kritik, nämlich auf der untersten. Wie gesagt, ich war taub und blind; denn als mir ein Freund auf der silbernen Hochzeit meines Vetters in Adenstedt meine Gedichte kritisierte, nahm ich das von der ganz unrechten Seite, wehrte mich mit Händen und Füßen, und am Ende, wenn mein Gegner sich bemühte gründlich zu sein, wurde ich grob.

Dennoch wirkte nach einigen Tagen auch der unbedeutendste Tadel vortrefflich. Hätte ich nur statt alles Lobes etwas mehr Tadel und noch dazu vielseitigeren erhalten! Meine getadelten kleinen Vergehen machten mich jetzt zu einem entschiedenen Liebhaber aller Prosodie, der deutschen, griechischen und lateinischen, ja, ich unterrichtete sogar in der letzten. Es lag mir recht daran, endlich damit ins Reine zu kommen, und ich muß gestehen, ich quälte mich im Lateinischen und Deutschen redlich. So übersetzte ich aus dem Juvenal und Virgils Eklogen metrisch ins Deutsche, den Anakreon aber zugleich metrisch ins Deutsche und Lateinische, und statt daß meine Mitschüler sich bei ihren Exercitien mit lateinischer Prosa begnügten, so hatte ich sie in Distichen oder Jamben oder Trochäen ausgearbeitet.

Meine vier Lieder erschienen ohne meinen Namen unter dem Titel: ›Deutsche Lieder von A.H.H. Vincet amor patriae, [43] laudumque inmensa cupido. Virg. Aen. VI. 824.‹ O.O. u. I. 5 Bl. 8°. – Die Begeisterung, in der sie verfaßt sind, verdient noch heute Anerkennung; sonst ist nichts Gutes daran. Übrigens zählte auch ich mich damals schon zu den Enttäuschten. Es schien mir jetzt nur noch bitterer Spott, was ich am Schlusse meines Friedensliedes (24. Juli 1814) ausgesprochen hatte:


Nun kommen wieder wonnevolle Zeiten
Durch dieses Friedensband,
Nun kommen wieder jene alten Zeiten
In unser Vaterland.

Ja, es kamen ›jene alten Zeiten‹ – der hannoverschen Adels- und Beamtenherrschaft mit allen den alten Herrlichkeiten, die wir seit 1803 los geworden waren. Täglich trafen neue Nachrichten aus dem Hannoverschen ein, daß die Wiederherstellung des althannoverschen Wesens die glücklichsten Fortschritte mache. Um diese Zeit (Anf. Mais) faßte ich den Entschluß, Hannover für immer aufzugeben. Mein Bruder dachte ebenso, er war damals schon im Auslande, und ich schrieb ihm: 1Cedamus patria! so sagt der Emigrant beim Juvenal. Auch wir wollen dem Vaterlande entfliehen!‹ Dann fügte ich ein Sonett hinzu:


– – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Der alte Adel schlinget neue Bande
Und unterjocht die Freiheit weit und breit,
Den stillen Bürger schreckt der Großen Neid,
Willkür und Selbstsucht herrscht im Vaterlande.
Hier kann wol nie dereinst mein Glück erblühen,
Wol nie mein Muth in diesen Fesseln glühen,
Drum will ich diesem schnöden Land' entfliehen.
[44]
Gott gab der Reiche viel' auf dieser Erde,
Er wandelt auch in Freude die Beschwerde,
Drum lodre meine Glut auf fremdem Herde.

Der Adel trat mit der größten Anmaßung wieder auf und suchte seine alten Vorrechte und Bevorzugungen auf alle Weise wieder geltend zu machen. Da thauten die alten längst verschollenen Klänge wie die eingefrorenen des Münchhausenschen Posthorns mit Einem Male wieder auf: Herr von, Herr Baron, Herr Graf, Ew. Gnaden, gnädige Frau, Hochgeboren, Hochwohl-, Hoch- u. Hochwohlgeboren u.s.w. Alle höheren Staatsstellen wurden mit Adelichen besetzt, in der Cavallerie gab es bald nur noch adeliche Officiere, die adelichen Amtmänner hießen Drosten, die adelichen reitenden Förster Forstmeister, die adelichen Förster trugen goldene, die bürgerlichen silberne Epaulettes, die Adelichen hatten ihre eigenen besseren Plätze im Theater, sogar in den Göttinger Hörsälen, und ihre Todten standen in den Hannoverschen Anzeigen unter der Abtheilung: ›Charcterisierte Personen‹. Das waren die wonnevollen Zeiten!

Am 21. Juni kam die Nachricht von dem Tode des Herzogs († 16. Juni). Niemand wollte es glauben. Da läuteten die Glocken und besätigten es. Ganz Braunschweig in Trauer. Unsere jungen Poeten dichteten Elegien. Auch ich entschloß mich dazu, aber erst den 30. Juni. Ich habe kaum je wieder ein so langes Gedicht gemacht: 16 Strophen. Mein Lehrer Dr. Wolff lobte es – unbegreiflich! Das einzige Gute daran ist der Höltysche Ton, offenbar schwebte mir vor die Elegie auf den Tod eines Landmädchens. Dreizehen Jahre später schrieb ich in Bezug auf diese meine Elegie: ›Gottlob, mein letztes politisches Gedicht, und wenn es zufällig noch am Sarge des Herzogs zu St. Blasii hangt, das einzige, welches der Welt zugänglich ist!‹!

So böse ich schon um diese Zeit auf meine Drucksachen war, so tröstete ich mich doch in ruhigen Augenblicken mit dem Vergnügen, das ich Anderen und eben dadurch auch mir bereitet hatte; und als endlich diese Elegie ganz von mir verdammt war, da freuete ich mich noch, daß sie zwei Menschen näher brachte, die für Freundschaft und Poesie gleiche Neigungen, gleiche Hoffnungen hegten. Dort auf dem öden Schulhofe, wo ich nie etwas Freudiges gesehen und gehört hatte, [45] wo ich mit der größten Gleichgültigkeit mehrmals jeden Tag hinüberging, dort, wie ein Wunder! sehe ich Henneberg; sich sehen, sich kennen war Eins.

Diese liebenswürdige Persönlichkeit, dies Geschick, sich in alle Menschen zu finden, niemals unbeholfen und schüchtern, so viel Weltklugheit und so jugendlich und unbefangen, so hervorleuchtend durch Kenntnisse und Talente, und doch so bescheiden in seinem Wissen, seinem Thun – ja, ich schwärmte und fühlte mich selig im bloßen Anschauen; du bist mein Ideal – sagte ich ihm mündlich und schriftlich, in Prosa und in Versen; Oden auf Oden folgten, Alles zur Verherrlichung unserer Freundschaft. Die Gegenwart bot mir so viel, daß ich gar nicht erst an die Zukunft zu denken brauchte.

Die vielen Stunden, die vielen Tage, wo wir beisammen waren, mit einander lasen oder sprachen, waren oft eben so viel Stunden und Tage zum wechselseitigen Verständnisse über das Wesen der Poesie, über Rhythmik, Reime, Assonanzen, über die verschiedenen Dichtungsarten, über die englische und deutsche Litteratur u.s.w. Schon in den ersten Tagen erhub sich ein arger Streit. ›Seit der Herzog todt ist, sagte mir der Buchdrucker Meyer, paßt Ihr Calender-Gedicht nicht mehr, Sie müssen den Schluß ändern und wenigstens den Tod des Herzogs darin anbringen.‹ Ich thue das. Aber ich habe nur für eine halbe Strophe Platz, denn darunter waren die Vier Jahreszeiten und die Sonnen- und Mondfinsternisse. Hier hieß es also sich kurz fassen, und so schloß ich denn:


Und Fried' und Freiheit ist errungen
In blut'ger Schlacht bei Belle-Alliance;
Doch Wilhelm starb, starb muthdurchdrungen
Heil Ihm, Heil Ihm im Siegeskranz!

Ich eile damit zu Henneberg. ›Das gefällt mir nicht!‹ entgegnet er mir, und ich werde stutzig: ›Lies es doch ordentlich!‹ hilft nichts, er bleibt dabei. Jetzt spricht sich jeder aus, und die Bahn zur Freimüthigkeit bei allen künftigen Mittheilungen ist gebrochen.

Von Michaelis 1815 an bis Weihnachten war Kosegarten mein Liebling. Ich hätte wol in dieser schwärmerischen Zeit, wo sich mein inneres Leben so mächtig entwickelte, keine unglücklichere Wahl treffen können. [46] Hundertstrophige Erzählungen, Romanzen, Balladen, Naturgemälde schrieb ich jetzt, und das war mir nur so ein Spaß. Ich hatte schon im Sommer ein viertes Heft meiner eigenen Werke angefangen und das war nun schon so dick wie die übrigen, und darin befanden sich noch nicht einmal die vielen Uebersetzungen aus dem Martial, Ausonius etc.

Die Stadt- und Landestrauer wurde bald durch Freude und Jubel unterbrochen: die Siegesberichte aus Frankreich folgten schnell nach einander. Viele Spottgedichte wurden damals öffentlich feil geboten und fanden reißenden Absatz. Ich hatte mir eine Sammlung solcher fliegender Blätter angelegt, die bald zu einem dicken Bande gedieh, der mir leider später durch vieles Verleihen verloren ging. Napoleon wurde abermals wie zu Ende des Jahres 13 todtgeschimpft, todtgedichtet, todtgesungen. Aus den Schimpfwörtern auf ihn hätte man ein ganzes Wörterbuch machen können. Ich hatte Napoleon gehaßt, aber die Anbeter und Vergötterer seiner Sieger wurden mir in ihrer Sicherheit verächtlich. Die Caricaturen waren oft nicht besser als diese gemeinen Spottlieder: man stellte den Mann, vor dem sich einst die Fürsten Europas gebeugt hatten, als Heckelträger, als Metzger u. dergl. dar, oder als Leiermann, der da singt: ›Es kann ja nicht immer so bleiben.‹ Auch gab es ein Bildniß Napoleons aus lauter Schlangen zusammengesetzt mit einem Spinnengewebe statt Sterns auf der Brust. Sein leicht zu treffendes Bildniß wurde in Gefäßen angebracht, deren Namen man in anständiger Gesellschaft nicht zu nennen wagt.

Am 2. August feierten wir Schüler das Geburtstagsfest unsers alten lieben Lehrers, des Directors Conrad Heusinger. Die Classe war schön ausgeschmückt und wir harrten seiner Ankunft in feierlicher Stimmung. Die Thür öffnet sich, er wird freudig begrüßt und ist sehr gerührt von der einfachen, aber herzlich gemeinten Ueberraschung. Lentz überreicht sein Gedicht, welches er im Auftrage aller verfaßt hat. Darauf treten Henneberg und ich heran und überreichen auch jeder ein Gedicht. Als ich ihm nachher noch einen Besuch abstattete, war er sehr gerührt und dankte mir abermals herzlich.

Mit diesem Tage endet mein Tagebuch.

[47] Der Ernst des Lebens bleibt nicht aus. Meine Eltern drangen in mich, daß ich mich jetzt für ein Brotstudium bestimmt erklären sollte; sie wünschten die Theologie, ließen mir aber freie Wahl. Da ich selbst die Nothwendigkeit eines solchen Entschlusses erkannte, so entschloß ich mich bald und wählte die Theologie. Dennoch kümmerte ich mich wenig darum, ob ich denn dazu gehörig vorbereitet sein würde, wenn ich schon zu Ostern Braunschweig verließe. Ich war und blieb dabei ganz unbefangen, hing meinen Lieblingsneigungen nach und dachte, in Göttingen wird sich Alles finden. Das Hebräische hatte ich noch nicht angefangen, und in den Originaltext des Neuen Testaments nur so gelegentlich hineingeblickt. Diese leichtsinnartige Unbekümmertheit lag in meinem freien Leben: wir thaten alle bis auf wenige was wir eben wollten, und wenn wir nur keine dummen Streiche verübten, die Schularbeiten gehörig einlieferten und in den Lehrstunden bestanden, so waren wir unantastbar und der alte ehrwürdige Heusinger sprach dann recht gerne von ›Meinen Primanern.‹ Leider aber überschritten wir auch mitunter den Kreis dieser verneinlichen Tugenden, und ich war ebenfalls mit dabei, wenn es darauf ankam, die Primanerfreiheit zu behaupten oder wo möglich zu erweitern.

Durch den Verkehr mit einigen Schülern meines Alters ward ich meiner poetischen Welt etwas entfremdet. Ihre Unterhaltung gefiel mir und ich gewöhnte mich leichter daran als an ihre Persönlichkeit; so nahe sie mir durch gleiche Ansichten über mancherlei Dinge standen, so blieben sie mir doch in Herzensangelegenheiten sehr fern. Was mir Henneberg geworden, konnten sie weder ahnden noch mir nachfühlen, wie hätten sie ihn mir ersetzen können? Dennoch raubten sie mir manche schöne Stunde, die ich mit ihm zubringen wollte, manchen Abend, wo ich für mich allein glücklicher gewesen wäre. Doch was thut nicht Gewohnheit? Allmählich hatte ich mich an meine Prosaiker gewöhnt und verkehrte fleißig mit ihnen. Nachmittags spazierten wir zuweilen zum Cafe hinaus, Abends saßen wir manchmal zu Biere. Konnten oder mochten wir nicht unter uns sein, wählten wir irgend ein Bierhaus, suchten uns einen guten Platz zum Hören und Sehen, und kannegießerten mit den guten Pfahlbürgern. Wenn wir ihnen dann ganz ernsthaft die unglaublichsten Geschichten erzählten und sie glaubten daran, so hatten wir unglaublichen [48] Spaß. Auch ich kam so in das Witzeln und Spötteln hinein, daß ich bei allem Beifall meiner Umgebung doch oft mir selbst unausstehlich wurde, denn meiner klaren Verstandesstimmung war oft nichts mehr heilig, selbst mein Hang zur Poesie erschien mir abgeschmackt und nur höchstens noch dazu passend, ihn als Gegenstand des Witzes zu verbrauchen. Meinen Lehrern konnte diese anscheinend gänzliche Umwandlung meines Wesens nicht entgehen, wenigstens dem alten Heusinger nicht, der sich noch am meisten um mich bekümmerte. Ich war der Kindheit entwachsen und der damit verbundenen Schüchternheit und fühlte mich, mehr als ich sollte. Kein Wunder, daß Heusinger, dessen Liebling ich beinahe zwei Jahre gewesen war, über meine jetzige Denk- und Sinnesweise ungehalten sein mußte; er fühlte zu seinem Bedauern sich veranlaßt, mich väterlich zu ermahnen, und als ich ein Abgangszeugniß verlangte, ging er so weit, mir schriftlich zu bescheinigen, daß ich ein anderer Mensch geworden sei. Für den Augenblick verdroß mich das sehr, ich wollte das Zeugniß auf der Stelle zerreißen, weil ich es ja doch nie gebrauchen konnte, bald aber erschien mir die Sache anders, ich legte es fein sauber gefaltet in meine Schublade und bewahre es noch jetzt als ein Heiligthum auf: es ist das einzige schriftliche und amtliche Zeugniß, welches meines Wissens auf meine Veranlassung über mich ausgestellt ward.

Freilich war ich ein anderer Mensch geworden! Ich hätte untergehen müssen in dieser einzigen ewigen Gefühlsrichtung, in dieser Phantasieschwelgerei, worin ich es verschmähte, mich und Alles um mich näher kennen zu lernen, um nur nicht meine Welt zu zerstören. Diese Schwäche junger Poeten hatte ich nun erkannt und suchte durch ein frisches männliches Streben nach Klarheit meiner bewußt zu werden und mich vor aller Gemüthsschwäche zu bewahren.

Schade, daß ich aus dieser Zeit nichts aufgezeichnet habe, ich würde die Worte: wo Bewußtsein ist, nur da kann Tugend sein – auf manchem Blatte finden. Aber schon daß ich kein Tagebuch führte, ist ein Beweis für die Regsamkeit meines Ichs und den Reichthum äußerer Erscheinungen.

Der Blick in die Zukunft machte mich jetzt ziemlich ernst: ich fühlte, daß ich durchaus weder Lust noch Talent genug haben möchte, den ganzen theologischen Glaubens- und Wissensschatz glücklich durchzumachen, und doch schwatzte ich mir viel vor von Muth und Beharrlichkeit. [49] So viel stand fest: die schönen Tage meines poetischen Lebens rückten immer ferner und schienen mir unwiederbringlich; an der Jacobsleiter meiner Wünsche und Hoffnungen kletterte ich nicht mehr hinauf, sondern herab. Die nächsten drei Stufen werden nun wol die Studentenjahre sein, dachte ich mir, wo du von einem theologischen Hörsaale in den anderen läufst; fünf oder mehr darauf folgende Stufen kannst du für die Jahre rechnen, wo du als Hauslehrer eines gnädigen Herrn in der Kinderstube schulmeistern, an seiner Tafel und an seinem Spieltische lückenbüßern mußt; noch einige Stufen bleiben dir dann, wo du als Candidat und wallfahrender Prediger um eine Pfarre und ein Weib werben mußt, und – dann ist es aus mit der Jacobsleiter, du bist glücklich auf der Erde angelangt, hast Pfarre, Weib und Kinder, und die Wünsche der Deinigen, wenn auch nicht deine sind erfüllt.

Noch ernster aber wurde ich bei der Besorgniß vor einer sehr drückenden Lage während meiner akademischen Laufbahn, die ich doch in Kurzem antreten sollte. Dort gab's andere, größere Bedürfnisse zu befriedigen als hier, und die größere Entfernung von der Heimat machte manche Unterstützung, wo nicht ganz unmöglich, doch sehr schwierig; auf baares Geld durfte ich wol vorläufig, aber doch nicht für die ganze Zeit meines Aufenthalts in Göttingen rechnen. Diese Besorgniß war leider begründet, da die Vermögensverhältnisse meiner Eltern sich nicht verbesserten.

Zu Frühlingsanfang verließ ich Braunschweig und begab mich an meinen Geburtsort. Nach einiger Zeit reiste ich dann zu Fuß mit meinem Jugendfreunde Ferdinand Hempel nach Göttingen, er wollte Forstwissenschaften, ich Theologie studieren. Sonntags 28. April trafen wir in Göttingen ein. Ich hatte nur gegen 20 Rb. Geld, aber einen Koffer unterwegs, beinahe zwei Centner schwer mit Büchern, Schriften und Wäsche. Den Tag darauf wurde ich unter Mitscherlich immatriculiert. Kaum Student geworden mußte ich schon Geld borgen. Schöne Aussichten! Das geborgte war bald wieder ausgegeben, und wenn ich auch von Zeit zu Zeit einige Louisd'or erhielt, so konnte ich doch am Ende weiter nichts als Schulden bezahlen und Schulden machen. Das war das erste Mal, wo ich die Prosa des Lebens recht tief und schmerzlich fühlte! Ich, und ohne Geld, ich, einst in der Fülle aller Güter, ohne ein Bedürfniß zu kennen, [50] ohne eine Sorge um den morgenden Tag zu ahnden, und jetzt ein Brotstudium und kaum einen Bissen Brot, ein Student, ein freier Mann und in der größten, widerlichsten Abhängigkeit!

Mein Vater hätte das alles wie ich auch fühlen müssen, aber er hatte so etwas nie erlebt. Meine Bitten, meine Klagen, mein ängstliches Flehen – ihn konnte es nie so rühren, wie ich es beabsichtigte, damit er meiner Noth abhülfe. Ihm war und blieb die Welt noch im Alter und bis an seinen Tod und zwar unter allen Verhältnissen gerade so wie er sie in seiner Jugend sich gedacht, sie geliebt und gehaßt hatte. Seine Briefe gehen selten auf den Gegenstand ein, über den ich mir Antwort erbat; es schien ihm viel zu unbedeutend, über Geld, Freitisch und sonst etwaige Unterstützung zu schreiben; alles andere, wenn es nur unmittelbar meine geistige Ausbildung betraf, besprach er mit Wohlgefallen, und er fiel auf das Fremdartigste, wenn er nur glaubte, daß er irgend auf mich und die Art meiner Studien wohlthätig wirken könnte.

Obschon er mir mündlich das Dichten abgerathen hatte, so schien es doch nicht so recht sein Ernst damit zu sein. Das zeigte sich bald. Der erste Brief, den ich nach Hause schickte, war so ringsum vollgeschrieben, daß ich ihn ohne Umschlag nicht füglich auf die Post geben konnte; die Stelle, wohin die Adresse gehört, blieb leer und ich schrieb ganz fein darüber: ›Diefe Stelle ist für eine Xenie.‹ Das war meinem Vater willkommen und er füllte sie mit folgenden Worten aus:


›Dürstet nach Wissenschaft Jüngling dein Herz,
Du stehst am Quell, nimm den Becher
Und trinke aus dem Born der höhern Weisen.
Hier winken die Musen dir alle,
Gieb dich aber der lyrischen besonnen nur hin!‹

Ich hatte den Wunsch meines Vaters, nicht mehr zu dichten, nur zu wörtlich erfüllt. Wer weiß, ob ich jemals wieder darauf gekommen wäre, wenn mich nicht ein eigenes Mißgeschick wieder in poetische Studien geführt und so zum Poeten gemacht hätte.

Dies Mißgeschick war, daß meine drei theologischen Collegia, die ich von Ostern bis Michaelis 1816 hörte, mich der Theologie gänzlich [51] entfremdeten. Ich hörte beim alten Planck Kirchengeschichte und verstand kein Wort: der hochgelehrte ehrwürdige Herr hatte ein sehr schlechtes Organ und sprach noch dazu Alles schwäbisch aus. Ich blieb bald weg. Ich hörte bei Pott hebräische Grammatik, besaß aber gar keine Vorkenntnisse, schrieb ein schönes Heft und das war alles was ich dabei gewann, nicht einmal die Buchstaben weiß ich mehr. Ich hörte bei demselben die größeren Paulinischen Briefe, war sehr fleißig, aber fühlte mich durch die unwürdige Behandlnng eines so hohen Gegenstandes meines künftigen Berufes sehr verletzt. Nun kam noch dazu ein viertes Collegium, das mich ebenfalls nicht recht befriedigte. Ich hörte Logik bei Gottlob Ernst Schulze, dem weiland berühmten Gegner Kant's. Sein Vortrag war klar, aber fortwährend unterbrochen durch ein ›ä pä‹, und die trockene Logik wurde einem erst recht trocken.

Um mich für diese Collegienprosa schadlos zu halten, beschäftigte ich mich gern mit Philologie und deutscher Litteraturgeschichte und besuchte fleißig die Universitäts-Bibliothek, diese Bibliothek, die in mancher Beziehung so einzig in ihrer Art ist, die sich so auszeichnet durch ihren großen Reichthum, ihre musterhafte Ausstellung, ihre genügenden Kataloge, ihre vortreffliche Verwaltung, ihre gefälligen kenntnißreichen Beamten, die Bequemlichkeit ihrer Benutzung: wie angenehm, daß sie jeden Tag mehrere Stunden Jedem geöffnet ist, daß man sich in den großen Räumen niederlassen und ausbitten kann was man ansehen und nachschlagen will, und daß man nun noch eine genügende Anzahl Bücher zu wochenlanger Benutzung ins Haus erhält. Dieser freigebigen Göttinger Bibliothek verdanke ich wenn nicht mehr, doch eben so viel als der theueren Heftweisheit der Göttinger Professoren.

Das erste halbe Jahr war hin und ich fühlte mich gezwungen, mir einen eigenen Studienplan zu entwerfen, den ich auch eifrig verfolgen wollte, sobald ihn mein Oheim gutgeheißen hätte. Mein Oheim, immer noch Pfarrer H. zu Mühlhausen inl Waldeckschen, hatte mich seit dem Jahre 11 nicht gesehen, auch weiter nichts von mir gehört. Wie mußte es ihn überraschen, als er auf einmal einen Brief vom kleinen Heinrich bekommt, worin derselbe sich als Mitglied der Georgia Augusta ankündigt! Am 16. September erfolgte statt Antwort ein kurzes Einladungsschreiben, am 19. reiste ich zu Fuß ab, [52] mein Reisegefährte war der Studiosus Heiner, ein geborener Waldecker.

Zu einem reisenden Studenten gehörte damals vor allen Dingen ein ledernes Ränzelchen mit grünem Wachstuche überzogen, das auf dem Rücken getragen wurde und etwas Wäsche und ein Commersbuch enthielt. Ferner gehörte dazu ein leichter Rock, in der Seitentasche eine Brieftasche, gestickt von der Hand einer Schwester oder liebenswürdigen Freundin nebst Stammbuchblättern und getrockneten Blumen, Zeichen der Erinnerung an schöne Tage, ferner ein Pfeifenrohr von wohlriechendem Weichselholz mit einem Lemgower Meerschaum- oder Ulmer Holzkopf, eine geschenkte Geldbörse, die nirgend wohin man sie auch steckte Beschwerden verursachte, endlich ein Ziegenhainer von echtem Hörlitzholz (cornus) mit den eingeschnittenen Namen der Freunde. So ausgerüstet waren auch wir beide und zogen fröhlich und wohlgemuth ins Waldecker Land. Obschon wir nicht wie unsere Vorfahren, die weiland fahrenden Schüler ›heischen‹ (betteln) gingen, so versäumten wir doch nicht, hier und da die Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen.

Am vierten Tage erreichte ich Mühlhausen. So groß die Freude des Wiedersehens, so groß war die Freude des Beisammenseins. Wir mochten sein wo wir wollten, zu Hause, im Felde oder auf Reisen, überall gab's Veranlassung uns gegenseitig auszusprechen. So oft ich von meiner Theologie begann, stimmte mein Oheim entschieden dagegen; seine Gründe waren meist immer dieselben, die auch ich mir selbst anführte, er fand aber in seinem Leben den allertriftigsten, und dessen Richtigkeit war mir so vollkommen einleuchtend, daß ich also eigentlich gegen gar nichts etwas einzuwenden haben konnte. Also etwas Anderes! Das war bald ausgesprochen, wer aber wußte vorherzusagen, ob dies Andere auch das Bessere für mich sein müßte? Meine Wahl ließ nicht lange auf sich warten: ich erkor die Philologie. Mein Oheim stimmte bei. Er hing ziemlich stark am classischen Alterthume, und das kam wol mit daher, er hatte zu spät sich damit vertraut gemacht, anfangs zu viel Mühe, zuletzt aber, besonders unter seinen Amtsgenossen zu viel Ehre davon gehabt; er kannte die Griechen und Römer ganz gut und sprach ein hübsches Latein. Jetzt pries er mir das Studium der alten Litteratur, wie wichtig, ja nothwendig es für jeden Gelehrten sei. Nun ja, meinte [53] ich, so will ich denn einmal Philologie studieren! Der Vorsatz war ernstlich genug gefaßt, ob ich ihn aber vollständig ausführen würde, bezweifelte ich selbst; mir ahndete schon nichts Gutes, wenn ich so viel über die falsche Anwendung der Philologie hörte, wie sie den Geist an Kleinigkeitskrämereien gewöhnte und ihn darin erstickte, und statt Mittel zu anderen Dingen zu sein, lediglich als Zweck betrachtet würde. Nahm ich nun an mir selbst wahr, daß mich eine gewisse Neigung zur deutschen Sprachforschung, deutschen Geschichts-und Sittenkunde etc., ja eine Art von Instinct zu Dingen hintrieb, die sich selten mit dem Studium des classischen Alterthums vertragen, so ward ich erst recht bedenklich bei meinem neuen Plane. Vorläufig jedoch kümmerte ich mich nicht weiter um die Zukunft und benutzte was der Augenblick mir bot: bei den vielen Ausflügen mit meinem Oheim (Corbach, Arolsen, Canstein) besuchte ich Kirchen, Kunst- und Gemäldesammlungen, Naturaliencabinette, Bibliotheken, die Gelehrten und die Kirchhöfe, zeichnete das für mich Merkwürdigste auf, schrieb Urkunden ab, machte Auszüge aus Büchern und Handschriften 2 und fertigte ein waldeckisches Idiotikon an, wozu mir die Dienstboten und Anwohner des Pfarrhofes täglich Beiträge liefern mußten.

Vier Wochen waren seit meiner Ankunft wie im Nu vergangen. Reich an schönen Erinnerungen und Erfahrungen nahm ich herzlich dankend von meinem Oheim und den seinigen Abschied.

Am 19. October kam ich nach Göttingen zurück. Ganz erfüllt von meinem neuen Studienplane ging ich sofort auf die Bibliothek und lieh mir allerlei Bücher über Geschichte, Encyclopädie und Methodologie der Philologie und über allgemeine Litteraturgeschichte. Während ich so für mein Selbststudium gesorgt hatte und dann selbiges eifrig trieb, hörte ich einige philologische Vorlesungen von Dissen und die Ästhetik bei Bouterwek.

So war also mein neuer Studienplan ins Leben getreten. Es handelte sich jetzt noch darum, ihn meinen Eltern mitzutheilen. Ich schrieb demnach an sie, allerdings etwas schüchtern, aber doch begeistert [54] von dem was ich jetzt trieb, und bat zugleich meine Schwester Auguste, mir Winckelmann's Schriften und Lessing's Laokoon in Braunschweig zu kaufen. Von meinem Vater erhielt ich eine Antwort, wie ich's nur wünschen konnte. Sein Eingehen in meine Ansichten, seine Bewilligung meines Vorhabens war für mich sehr rührend. Stand ich vor mir auch gerechtfertigt da, so wollte ich es auch vor meinen Eltern sein, und ich hätte Alles studiert, um nur ihren Wunsch und ihren Willen zu erfüllen.

Wegen meines Dichtens durfte sich niemand mehr Sorgen machen: seit Jahr und Tag hatte ich nicht mehr gedichtet. Und doch hatte man es zu Hause nicht vergessen, daß ich weiland viel gedichtet und auch Einiges drucken lassen, ja man schien Werth darauf zu legen, wie ich denn gelegentlich auch erfuhr, daß mein Vater um auf einer Geschäftsreise etwas für mich auszurichten, den Wunsch äußerte: ›Hätte ich doch Deine gedruckten litterarischen Producte, so würde ich Alles besser betreiben können‹. Den 11. Februar schrieb ich: ›– wundert Euch nicht, liebe Eltern, daß ich weder Gedichte noch sonst was der Art schicke. Kann ich kein großer Dichter werden, so will ich nicht weiter wagen im kastalischen Quell zu schöpfen. – Daß ich einst dichtete, war mehr jugendlicher Leichtsinn für die Sache des Vaterlandes als innerer Antrieb. Und meine Freunde hatten nicht geirrt, wenn sie mich mit spöttelnder Schalkheit Barde nannten. – – Nur der elterlichen Liebe und der Freundschaft konnte ich durch meine Tändeleien ein Lächeln abgewinnen‹.

So verging denn endlich dieser erste Winter in Göttingen, und als der Frühling kam, da zog's mich unwiderstehlich hinaus dem Kranich gleich in die Heimat, um einen Plan auszuführen, den ich aus Noth und Neigung entworfen hatte. Dieser Plan besagte weiter nichts als: Du sollst philistrieren, d.h. von Ostern bis Michaelis bei Dir selbst Collegia hören in Deiner Vaterstadt. Ich erwartete viel und durfte es erwarten, weil ich doch längere Zeit mit den Meinigen leben konnte. Ebenso trauete ich meiner treuen Liebe zu geistiger Beschäftigung und dem Ekel am Philisterthume so viel zu, daß ich um ihretwillen auf Alles leicht verzichten würde was mich irgend stören und zerstreuen könnte. Ich erhielt im Februar Briefe genug, worin mir in Bezug auf meinen Plan alles Mögliche versprochen [55] ward, lauter schöne Hoffnungen, aber keinen Pfennig Geld, und ohne meine Schulden bezahlt zu haben, konnte ich und wollte ich Göttingen nicht verlassen. Endlich aber erschien Geld und ich ward flott.

Wie ich zu Hause ankomme, freut sich Alles inniglich. Doch waren die nöthigen Einrichtungen für mich noch nicht getroffen; mein Lieblingszimmer, sonst so freundlich und einladend, war jetzt unwohnlich. Nach einigen Tagen, kurz nach dem Osterfeste, verließ ich das Haus und ging nach Magdeburg zu meinem Bruder.

Es war mir sehr angenehm, daß ich zu diesem kleinen Ausfluge einen Reisegefährten fand. Mein Jugendgenosse Heinrich Dreyer, Studiosus der Theologie, hatte die Ferien bei seiner Mutter zugebracht und stand eben im Begriffe, nach Halle zurückzukehren. Als wir bei dem ersten Festungsposten anlangten, wurden wir angehalten. Mein Freund hatte neben seiner Matrikel einen Paß, er wurde nicht weiter beanstandet. Mit meiner Matrikel ging es mir schlecht. Der Unterofficier entfaltete die große Urkunde, schüttelte den Kopf und machte die geistreiche Bemerkung: ›Och Latein versteht kein Schwein‹.

Ein Soldat mit Ober- und Untergewehr begleitete mich nun wie einen Sträfling durch die ganze Stadt bis ins Polizeigebäude. Dort wurde ich denn nach dem Zweck meiner Reise gefragt, woher? wohin? ›Ja, sagte ich, meine Herren, mein Zweck ist sehr einfach: ich will meinen Bruder besuchen, den Regierungs-Calculator Hoffmann‹. Ich konnte doch nicht sagen ›zum Vergnügen‹, denn sonst hätte es mir auch gehen können wie jenem Reisenden, der ins Fremdenbuch als Zweck der Reise ›zum Vergnügen‹ hineingeschrieben hatte und den andern Tag vor die Polizei geladen wurde: ›Hören Sie, das ist sehr verdächtig – es hat sich hier noch niemand zum Vergnügen aufgehalten.‹

Jetzt wurde mir ein Polizist mitgegeben. Da ich nur den Hausbesitzer und die Straße, aber nicht die Hausnummer angeben konnte, so wurde in verschiedenen Häusern nachgefragt, ob der Calculator Hoffmann dort wohne. Als immer ein entschiedenes Nein erfolgte, so wurde dem Polizisten eigen zu Muthe, ich las schon aus seinen Mienen, als ob er mich für einen argen Schwindler [56] hielte. Endlich geriethen wir in das rechte Haus. Der Wirth öffnete meines Bruders Wohnung, ich warf meinen Ränzel mitten in die Stube, zog mir die Stiefel aus, stopfte mir eine Pfeife, legte mich auf's Sopha, bestellte mir zu essen und zu trinken und that als ob ich zu Hause wäre; dann stöberte ich die Bücher durch und las nach so vieler liebevoller Behandlung Thümmel's Inoculation der Liebe. Unterdessen verhandelte der Polizist noch lange sehr eifrig mit dem Wirthe, und machte es ihm zur Pflicht, ja ein wachsames Auge auf den sehr verdächtigen Menschen zu haben und ihm durchaus nicht den lateinischen Schein eher wieder zu geben, als bis sich die Sache aufgeklärt habe. So saß ich denn nun da und wartete auf meinen lieben Bruder. Es wurde 10, es wurde 11 Uhr, mein lieber Bruder kam nicht. Die Angst des Wirths, der zwar den Glauben, aber nicht den Muth mit der Judith theilte, wuchs von Minute zu Minute. Da kam mein Bruder als Rettungsengel. Wir lachten noch lange über den Diensteifer des Polizisten und die Angst des guten Staatsbürgers. Schon damals fingen die Behörden an, jeden jungen Menschen, der bequem und deshalb oft auffällig gekleidet war, oder gar eine greise Turnjacke und leichte Mütze trug, für staatsgefährlich zu halten und ihm besonders das Reisen zu verleiden.

Mein Bruder behielt mich einige Wochen bei sich und bot Alles auf, mir den Aufenthalt lehr- und genußreich zu machen. Dann kehrte ich wieder nach Fallersleben zurück. Ich studierte nun allgemeine Sprachlehre, Lateinisch, Griechisch, las den Homeros und die Nibelungen, lernte Holländisch und brachte es im Dänischen so weit, daß ich mich bald unterhalten konnte und zwar mit einem Kopenhagener Tischlergesellen, der nach Fallersleben verschlagen war, gute Schulkenntnisse besaß und sein Handwerk gut verstand.

Ich lebte sehr zurückgezogen, nur meinen Studien und meiner Familie. So poetisch ich oft gestimmt war, wenn so viele Erinnerungen an eine glückliche Kindheit in mir erweckt wurden, so dachte ich doch gar nicht ans Dichten. Ernst und nachsinnend wandelte ich oft von meinem treuen Pudel Asgard begleitet im Felde und Gebüsche umher, pflückte mir Wiesenblumen für meinen Arbeitstisch und suchte schöne Aussichten auf, oder ich blieb in unserem Garten, pflanzte Blumen, nahm Samen auf, band die Reben und Ranken empor, oder ruhte im Schatten der Lindenlaube.

[57] Die Michaelisferien gingen zu Ende, ich packte meine Schriften und Bücher zusammen und machte mich reisesertig. Der Studiosus Zernial, der sich von Berlin mir zum Begleiter angemeldet hatte, war bereits angekommen. Er wollte wie ich seine Studien in Göttingen fortsetzen. Durch den kurzen Umgang vor unserer Abreise hatten wir uns ziemlich genähert, auf der Reise selbst noch mehr, in Göttingen unterhielten wir dann einen traulichen Verkehr, an dem noch ein dritter theilnahm.

Dieser dritte war Krawinkel. Schon die Art, wie wir mit einander bekannt wurden, zeigte, daß er nicht zu den gewöhnlichen Menschen gehörte. Eines Morgens klopft's an meiner Stubenthür, ich sitze an meinem Tische, arbeite ruhig fort und rufe: ›Herein!‹ und wer tritt hinein? Ein schlanker, wohlgebaueter Jüngling mit einem runden ausdrucksvollen Gesichte; seine Augen, die bald sanft, bald scharf mich anblicken, sind lieblich blau und seine Wangen matt geröthet; in der Linken hält er eine lange Pfeife mit einem Meerschaumkopfe – so kommt er auf mich zu und reicht mir die Hand. Ich stehe etwas verlegen auf – ich hatte ihn ja noch nie gesehen, obschon er mir gegenüber, nur einen einzigen Schritt von mir wohnte, – und sehe ihn an, begierig auf das was er sagen wird. Da erzählt er mir denn mit großer Unbefangenheit, daß man ihm gesagt habe, es sei so Sitte in Göttingen, seine Nachbaren zu besuchen und mit ihnen gute Freundschaft zu halten. ›Nun ja, versetzte ich, warum denn nicht? Das wollen wir thun.‹ Und ich muß gestehen, daß wir von diesem Augenblicke an nicht erst Freunde werden durften, sondern es wirklich waren. Ich lud nun Zernial bald zu mir ein, auch er lernte Krawinkel kennen. Wir kamen dann den ganzen Winter hindurch mehrmals die Woche zusammen.

Zur classischen Philologie zog mich jetzt der Beruf: ich hörte bei Dissen Terenz und bei Welcker Sophokles. Ich wurde mit mehreren Philologen bekannt. Wir gründeten eine lateinische Gesellschaft: nach der Reihe sollte jeder eine Abhandlung in lateinischer Sprache liefern über irgend einen Gegenstand aus der Alterthumswissenschaft, darüber sollte dann lateinisch disputiert werden und die übrige Unterhaltung sollte immer lateinisch sein. Mitglieder warenDilthey, Eduard Jacobi, Wüstemann und Wachler (Neffe des Breslauer Oberbibliothecars), die alle außer dem letzten als Philologen [58] rühmlich bekannt geworden sind. Die Idee war schön und der Eifer anfangs sehr groß. Bald aber fehlte allen Zeit oder Lust eine Abhandlung auszuarbeiten. Ich kam meiner Verpflichtung nach mit einer Ausarbeitung de colore togae romanae. Ich hatte mich viel damit gequält und war zu dem Ergebniß gelangt, daß die Farbe der römischen Toga weiß gewesen sei. Unsere Gesellschaft durfte nicht erst den bald folgenden Auszug mitmachen, sie hatte sich schon vorher in Wohlgefallen aufgelöst.

Lehr- und genußreicher als diese Philologica war für mich das Collegium von Fiorillo über Kunstgeschichte. Die Hauptwerke berühmter Künstler suchte er uns durch Kupferstiche zu veranschaulichen, und wenn er seinen Vortrag geschlossen hatte, so konnten wir uns mit Muße und mehr noch besehen als erwähnt worden war. Als Aufseher der Kunstsammlungen wußte er sein Collegium höchst interessant zu machen und es war seine zwei Louisd'or werth.

Um das Studentenleben hatte ich mich bisher wenig gekümmert, es gehörte ja auch mit zum guten Tone, so wenig als möglich Studenten zu kennen. Und dabei stand man sich gut: man war sicher vor diesen kalten, vornehmen, empfindlichen Musensöhnen, wie sie damals massenhaft nur in Göttingen gediehen und gedeihen konnten. Ein Vereinsleben war kein Bedürfniß, ein paar hundert Landsmannschafter beherrschten das große Heer der Wilden, das doch wol über anderthalb tausend stark sein mochte. Die Corps bestimmten den Comment, hielten Commerse und maßten sich das Recht an, in allen Studentenangelegenheiten, bei öffentlicher Vertretung, Ehren- und Duellsachen die einzige Behörde zu sein. Seitdem durch die Feier des Wartburgfestes angeregt die Gründung deutscher Burschenschaften eifriger betrieben wurde, machten wir auch in Göttingen Versuche damit. Aber unsere Versammlungen waren erfolglos, Göttingen war einmal kein Boden für Burschenschaften. Die Corpsburschen, die doch gesetzlich verboten waren, wurden vom Prorector zum Thee eingeladen, und – es blieb Alles beim Alten. Wie hätte auch so etwas entstehen können an einem Orte, wo noch nie in die Seele eines königlich großbritannisch-han noverischen Hofraths der Gedanke ›Deutschland‹ gedrungen war?

Feinheit in der Tracht und im Benehmen wurde den Göttinger Studenten nachgerühmt und freilich mit Recht, aber man ging oft [59] in beiden Dingen zu weit, daran waren jedoch auch die Professoren mit Schuld. Bei gewissen konnte man nur im Frack und mit dem Cylinder einen Besuch machen, und hatte man gar das große Glück, zum Thee eingeladen zu werden, so mußte man ballmäßig erscheinen. Es war schwer, mit den Professoren bekannt zu werden, fremd wie man ihnen blieb, so blieben sich auch die Studenten: man saß ein halbes Jahr lang in demselben Collegium und hatte mit seinen Nachbaren nie ein Wort gesprochen; man wohnte Jahr und Tag in einundemselben Hause, ja in demselben Stockwerk mit vielen zusammen und erfuhr kaum etwas von ihnen, ja man bekam sie oft nicht einmal zu Gesicht. Daß man sich anständiger und rücksichtsvoller gegen einander benahm als auf anderen Universitäten, war ganz hübsch, doch geschah es oft mehr aus Besorgniß anzustoßen als aus Neigung und Überzeugung. Eine gewisse Harmlosigkeit im Verkehre mit Studenten, die man wenig oder gar nicht kannte, hörte ganz auf. Es lag mir übrigens auch gar nichts an einem Gesammtverkehre, höchstens daß ich mich für den Sohn eines berühmten Mannes interessierte, z.B. Baggesen. Mir genügte der kleine Kreis meiner Freunde, und ich hatte ja auch alle Hände voll zu thun.

1818. Das neue Jahr begann. In der Neujahrsnacht, als es eben zwölf schlug und draußen gelärmt, gejubelt und geschossen wurde, faßen wir ganz ruhig und gemüthlich beisammen, Zernial, Krawinkel und ich, und wie es schien schaute jeder ungetrübten Blickes zurück in die Vergangenheit und vorwärts in die Zukunft. Wir führten unter einander ein sehr reges geistiges Leben: wir unterhielten uns über Kunst und Litteratur, Philosophie und Welt, und tauschten unsere Ansichten aus. Jeder fühlte sich zu dem anderen hingezogen, und wenn er auch mitunter durch Widerspruch unangenehm berührt wurde, so trennte uns das nicht; bei der Mannigfaltigkeit unserer Bestrebungen und Richtungen konnte es sich auch nicht um Glaubens- und Wissenseinheit handeln.

Henneberg sah ich den ganzen Winter nur selten. Er war unter seine prosaischen Landsleute gerathen und, was noch schlimmer, in Heise's Pandecten. Wie oft rief ich ihm zu: ›O ich möchte ein Frühlingshauch sein und unter Deine Hefte fahren!‹ half Alles nichts: er stapelte seine Hefte bergehoch auf und ließ sich nicht irre machen, wie sehr ich auch in Bezug auf seine Gesundheit meine Besorgnisse [60] äußerte und seine Heftweisheit belächelte. Der Frühling kam und mit ihm erwachte in Henneberg eine heiße Sehnsucht nach seiner Heimat; er fühlte das Elend wohin ihn die edle Rechtswissenschaft gebracht hatte. Für seinen Fleiß mußte er wochenlang auf dem Krankenbette büßen. Ich habe ihn in dieser traurigen Zeit oft besucht und neben anderen manche Nacht bei ihm gewacht. Am Charfreitag (20. März) kam seine Mutter. Erst am 14. April konnte sie den Kaumgenesenen nach Blankenburg mitnehmen. Nachdem er sich dort wieder erholt hatte, kehrte er nach Göttingen zurück, freilich erst ziemlich spät.

Der angenehme, geistbelebende Verkehr mit Zernial und Krawinkel war ungestört bis zum Frühlinge fortgegangen. Da wurde es plötzlich anders. Zernial, um vieles älter als wir, glaubte schon dadurch uns den Jüngeren gegenüber ein Vorrecht zu haben, nämlich uns Alles sagen zu dürfen, während wir uns Alles von ihm gefallen lassen sollten; er wollte, wenn nicht mehr, doch Alles besser wissen als wir. Seine heftige, anmaßende, von Unfehlbarkeit strotzende Art und Weise, sich und seine Ansichten geltend zu machen, brachte es dahin, daß meine bisherige Harmlosigkeit sich ihm gegenüber in Mißtrauen, meine frühere Theilnahme für ihn sich in Gleichgültigkeit gegen ihn verwandelte.

Sonderbar, daß ich und Krawinkel um eben diese Zeit in ein Meer von Mißverständnissen geriethen, woraus wir vorläufig nicht aufzutauchen vermochten. Er, einer der edelsten und herrlichsten Menschen, die ich je in der Welt kennen lernte, begabt mit tiefem Gefühle und einem scharfen Verstande, voll von hohem Sinne für Recht und Wahrheit, begeistert für eine Idee, der man sein Leben freiwillig hingiebt, wenn's darauf ankommt, er, der mich so herzlich, so unaussprechlich liebte, meine Freude in einer oft trüben Gegenwart war und meine beseligende Hoffnung für die Zukunft ward – sollte Alles, Alles für mich sein und bleiben, aber nicht mehr zu mir kommen, mich nicht mehr sehen, nicht mehr sprechen! Es war ein wunderlicher Gedanke, daß zwei Menschen indem Augenblicke, wo sie sich am meisten liebten, sich am unentbehrlichsten waren, sich eben da entbehrlich sein und freiwillig auf einander verzichten wollten und konnten!

Was vorhergegangen war, weiß ich nicht mehr. Am 12. April [61] schrieb ich an ihn, nachdem ich eben von einem Spaziergange zurückgekehrt war, unter anderem: ›– Warum sollen wir uns gegenseitig quälen? und Frieden da draußen suchen, den doch jeder von uns in sich finden kann und soll? Drum laß uns unsern Umgang abbrechen, der uns beiden nicht wohlthut, bis auf bessere Zeit‹.


Krawinkel antwortete noch denselbigen Abend:

›– – – Ich verstehe Dich sehr gut, und wünsche Dir herzlich und wehmüthig mein bestes Lebewohl. Ich hoffe und erwarte von Dir vieles. Und jede einstige Erfüllung wird mir eine neue Freude bringen. Möge Dir der Gott der Liebe recht bald eine Seele zuführen, die ist wie du bist, und möge diese Dir dann reichere und frohere Stunden bereiten, als ich es vermochte. Dein stiller und guter Geist wird mir nie entschwinden, und, edler Mensch, glauben wir, mit einem höheren Leben erringen wir auch uns wieder‹. – Wie lange wir uns nicht sahen, weiß ich nicht mehr, wie ich denn ohne diese Briefe kaum wissen würde, daß zwischen uns je eine Quarantaine stattfand.


Die Osterferien waren begonnen. Ich fühlte mich einsam und verlassen. Meine Freunde waren alle verreist, ich konnte nicht verreisen: das wenige Geld, welches mir von Hause zukam, reichte nicht aus um die allernothwendigsten Ausgaben zu bestreiten. Wie hätte ich reisen können! Es gab Zeiten, wo ich wochenlang zu Mittag hungerte, um nur Abends auf dem Ulrichsgarten für zwei gute Groschen mich anständig satt zu essen. Zur Erdbeerenzeit habe ich vierzehn Tage lang zu Mittage nur von Erdbeeren und Weißbrot gelebt. Kein Wunder, daß ich mich aus Göttingen fortsehnte, schon um aller Nahrungssorgen überhoben zu sein. Es war aber noch ein anderer Zweck, der mich hinaustrieb: die Angst, unter lauter Büchern zu verkommen und ein Stubenhocker zu werden.

Als ich vor der Pfingstzeit Forster's Rheinansichten las, da ergriff mich ein unwiderstehlicher Reisetrieb – ich war im Geiste überall, nur nicht in Göttingen. Ich mußte reisen, einerlei wohin? und so reiste ich denn mit meinem Freunde Reck zu seiner Familie in Greene. Es waren schöne Maitage in dem freundlichen Leinethale mit den waldumkränzten Höhen, den grünen Wiesen und Feldern, den Blüthenbäumen und Blumen in den Gärten.

[62] Der kleine Ausflug hatte sehr wohlthätig auf mich gewirkt. Ruhig und heiter gestimmt kehrte ich zum Arbeiten zurück. Ich studierte Winckelmann's Werke und las mit großer Begeisterung seine Briefe. Täglich besuchte ich die Bibliothek, zunächst um zerstreute Nachrichten und Nachweisungen über griechische und römische Kunstwerke zu sammeln. Zu diesem Zwecke sah ich das ganze Magasin encyclopédique von Millin, 122 Bände durch.

Aber wozu das Alles? fragten mich meine Freunde. Das wußte nur ich und ich eben am besten: ich wollte ein zweiter Winckelmann werden, wollte mich dazu in Deutschland so weit als möglich vorbereiten, dann einige Jahre dem Studium der Kunst in Italien widmen und endlich zu demselben Zwecke nach Griechenland gehen. Ich machte wirklich schon ernste Anstalten dazu: ich las Reisebeschreibungen, entwarf eine Litteratur derselben, trieb das Französische, welches ich etwas vernachlässigt hatte und stiftete mit Henneberg und Woltag eine Académie française, wo wir zunächst Rousseau lasen; wollte dann Italienisch und endlich Neugriechisch lernen, wozu mir Glarakes aus Chios behülflich sein sollte, wie er denn mir auch schon versprochen hatte.

Während ich von meinem großartigen Lebensplane ganz erfüllt war und dafür lebte und strebte, ereigneten sich die bekannten Studentenunruhen. Dies große Ereigniß blieb nicht ohne großen Einfluß auf die ganze Göttinger Studentenwelt: man fühlte mehr die Zusammengehörigkeit, hielt sich nicht mehr an die alten überlieferten Formen, den steifen pedantischen Ton und verkehrte traulicher mit einander.

Doch verließen damals die meisten meiner Freunde Göttingen. Ich nahm von allen Abschied auf Wiedersehen, aber nur wenige sah ich wieder. Am schmerzlichsten war mir der Abschied von Henneberg, der zu Michaelis nach Jena ging.

So wehmüthig mich die Gegenwart stimmte, so froh und hoffnungsreich erschien mir die Zukunft. Zeugnisse dafür enthalten meine damaligen Briefe. Am 26. Juli sendete ich von Dransfeld aus an meine Schwester Minma folgende Zeilen:


Stimme der Vorwelt,
Heißt du mich pilgern?
[63]
Glückliche Hellas,
Habe Dank!
Heimischer wird mir,
Trag' ich im Herzen
Götter und Menschen,
Deine Welt.
Gutes Walhalla,
Neblichtes Erin,
Heute das letzte
Lebewohl!
Bringen die Horen
Wieder des Lebens
Schöneren Lenz mir
Früh' herab –
Ewig, Olympos,
Dann mit den hohen
Himmlischen Göttern
Sei gegrüßt!

Meine archäologische Liebe war zur Schwärmerei geworden, ich lebte und strebte nur für sie, ›sie war mein Taggedanke, war mein Traum.‹ Es war eines Abends, als ich eben auf der Straße von Dransfeld ganz allein auf Göttingen zuwanderte. Wie ich eben aus dem Grohnder Holze ins Thal eintrete, da ist's mir, als ob sich die Zukunft vor mir enthüllen will, als ob Wald und Kornfeld, Wolken und Sonne mit mir redeten und Alles das guthießen was ich mir zur Aufgabe meines Lebens gemacht hatte: ›jenseit der Berge (so schrieb ich am 5. August meinem Vater) glaubt' ich mich versetzt in Hellas und Hesperien. Meine Phantasie brütete lieblicher an dem großen Plane meines Lebens und die untergehende Sonne verlängerte meinen Schatten über dem Saatfeld und schien zu sagen: so groß kannst du am Abende deiner Tage sein!‹

Die Ferien begannen diesmal früher als sonst. Die meisten meiner Freunde und Bekannten hatten bereits Göttingen für immer verlassen. Da ich das als Inländer nicht konnte, so wollte ich [64] wenigstens vor Beginn des Winterhalbjahrs noch eine Reise machen. Ich schrieb nach Haus und bat um Geld. Am 27. August erhielt ich 2 Louisd'or. Da ich nicht mehr erwarten durfte, so trat ich wohlgemuth schon nach einigen Tagen meine Reise an. Ich gedachte über Cassel ins Waldeckische zu gehen, von da durch den Thüringer Wald nach Jena, dann zu meinem Bruder in Magdeburg und endlich durch meine Heimat nach Göttingen zurückzukehren.

In Cassel war mein Hauptaugenmerk gerichtet auf das Museum und die Bibliothek. Am ersten Morgen ist mein erster Gang nach dem Museum. Auf der Straße begegnet mir ein ältlicher Herr im braunen Rocke, ich rede ihn an: ›Können Sie mir nicht sagen, wo der Hofrath Völkel wohnt?‹ – ›Das bin ich selbst.‹ – ›Herr Hofrath, das ist mir sehr angenehm: ich wollte eben so frei sein, Ihnen einen Besuch abzustatten und einen Gruß des Herrn Professor Welcker zu überbringen.‹ – Er war sehr freundlich, und so bat ich ihn denn, mir Gelegenheit zu verschaffen, das Museum zu sehen, dessen Director er war. Er beschied mich auf die Bibliothek, nach einer halben Stunde würde er sich dort einfinden. Ich erscheine um die bestimmte Zeit, denke, er sitzt schon drüben am Fenster, und gehe auf ihn zu. Das ist aber Jacob Grimm. Ich weiß mir schnell zu helfen, bestelle einen Gruß von Welcker und unsre Bekanntschaft ist gemacht. Ich bitte ihn um die Einsicht des Handschriftenverzeichnisses. Nachdem ich Einiges gefunden was ich zu sehen wünsche, holt er es mir hervor, so auch einen Stoß Briefe von Gelehrten aus neuerer Zeit. Ich sehe sie durch und finde einen Brief Winckelmanns an den in Cassel noch in schlechtem Andenken stehenden Raspe. Hoch erfreut über meinen Fund nehme ich mir sofort Abschrift 3.

Unterdessen kommt Völkel, überreicht mir seine Beschreibung der Casseler ›antiken Sculpturen‹ (aus Welcker's Zeitschrift), führt mich in den Saal, wo sie aufgestellt sind, und schließt mich ein, er muß eben noch einige fürstliche Personen umherführen. Da studiere [65] ich nun die Falten und Säume der Gewänder u. dgl., bis mich Völkel wieder erlöst. Ich gehe abermals auf die Bibliothek und unterhalte mich viel mit Jacob Grimm. Er ladet mich zu sich ein und schon am Nachmittag besuche ich ihn.

Ich fand ihn eben beschäftigt mit seiner Grammatik. Mehrere Bogen lagen bereits gedruckt vor. Ich sah und erstaunte, eine neue Welt ging mir auf, ich wurde nachdenklich und schwankend in meinen Plänen. Da ich den vorigen Sommer zu Hause dänisch gelernt hatte und in der letzten Zeit zu Göttingen auch holländisch, mich auch um deutsche Litteraturgeschichte gekümmert, so gab es in unserer Unterhaltung Berührungspunkte genug. Hatte schon in der Bibliothek seine Persönlichkeit auf mich gewirkt, so war das in seinem Zimmer unter seinen Arbeiten, Büchern und Handschriften jetzt noch mehr der Fall. Die Ordnung, die hier überall bis ins Kleinste waltete, der Fleiß, der aus Allem sich kund gab, die lebendige Theilnahme bei allen Dingen, auf welche die Rede kam, Alles das gewann ihm meine innige Liebe und Verehrung.

Den anderen Tag sahen wir uns wieder auf der Bibliothek. Jetzt lernte ich auch seinen Bruder Wilhelm kennen. Nachdem wir uns eine Zeit lang unterhalten, überreichte ich jedem ein Stammbuchblatt. Jacob schrieb mir:


ein ieglich meusche enphat
darnach als ime sin herze stat.
Wilhelm:
lere unt meisterschafte sint guot,
swer aber sinneriehen muot
von angeborner tugent hat,
des witze get für allen rat.

Herzlich dankend und hocherfreut nahm ich Abschied von ihnen beiden und auch von Völkel.

Als ich mit Jacob zusammen die Treppe hinab ging, erzählte ich ihm, daß ich nach Italien und Griechenland zu reisen beabsichtigte, um dort an Ort und Stelle die Ueberbleibsel alter Kunst zu studieren. ›Liegt Ihnen Ihr Vaterland nicht näher?‹ fragte er darauf in einem herzlichen, liebevollen Tone. Ich höre die Worte [66] noch heute, die Worte vom 5. September 1818. Noch auf der Reise entschied ich mich für die vaterländischen Studien: deutsche Sprache, Litteratur-und Culturgeschichte, und bin ihnen bis auf diesen Augenblick treu geblieben.

So war mir denn Cassel von neuem lieb und werth geworden, und vergnügt setzte ich meine Reise fort nach Mühlhausen im Waldeckischen. Mein Oheim empfing mich eben so herzlich wie sonst und that auch diesmal das Seinige, mir den Aufenthalt lehr-und genußreich zu machen. Vergebens wartete ich auf Geld, und war endlich gezwungen, da mir auch mein Oheim nichts ablassen konnte, mit dem Reste meiner kleinen Baarschaft weiter zu wandern.

In den Elephanten zu Weimar brachte ich noch drittehalb Kopfstücke. Ich traf gerade zu Mittag ein, als die Malzeit begann. Ich war sehr hungrig, beschränkte mich aber auf eine Tasse Cafe mit Weißbrötchen. Dann sah ich in Gesellschaft mit einigen Studenten Alles was damals sehenswerth war, zahlte aber nur mit einem schönen Dank, was denn meine Begleiter eben so überraschte wie verdroß. Abends besuchte ich aber doch das Theater, das damals noch immer in sehr hohem Rufe stand. Romeo und Julia waren sehr billig, ich sah sie aber auch oben vom Paradiese. Bei allem Sparen und Hungern hatte ich doch den andern Morgen nicht so viel Geld, daß ich meine Wirthsrechnung bezahlen konnte. Ich mußte meinen Homeros als Pfand zurücklassen.

Bis jetzt befand ich mich ziemlich wohl bei allen Strapazen, denen nun einmal jedes Fußreisen, zumal jedes weite ausgesetzt ist. Nach und nach aber wurde mir ein Blutgeschwür an der rechten Backe sehr lästig, es war so dick und schmerzhaft geworden, daß ich mein Gesicht halb verbinden mußte. Trotzdem zog ich lustig mit meinen 20 Pfennigen, die mir übrig geblieben waren, über das Schlachtfeld von Jena. Die kleine Summe reichte eben hin zu einem Imbiß. Doch hatte ich dadurch leider meinen Hunger und Durst nicht gestillt, sondern vielmehr gereizt, und da dachte ich nun nach Art der weiland fahrenden Schüler mich an dem zu erquicken was der liebe Gott für Alle wachsen läßt: ich machte den Versuch, mir einige Zwetschen abzuschlagen, womit die Bäume reich gesegnet waren. Kaum hatten das die Bauern gesehen, so verfolgten sie mich auch [67] schon mit ihren Hunden, ich mußte mein Heil in der Flucht suchen, und die Zwetschen blieben mir Aepfel der Hesperiden.

So ohne einen rothen Heller, hungrig und mit einer dicken Backe stellte ich mich auf dem Marktplatze in Jena aus und wartete das Mitleid meiner academischen Brüder ab. Viele kamen neugierig heran, begrüßten mich und fragten mich aus; einige, die mich an meinem braunen Rocke erkannten, schrieen mir von ferne freundlich ihr Willkommen! zu – davon aber hatte ich nichts. Endlich kam eine mitleidige Seele und führte mich als Gast heim. Vier Wochen lebte ich hier von einem zum andern mich einquartierend.

Das Jenaer Studentenleben war damals ein recht frisches, freies, reg- und strebsames, der Ton zutraulicher als anderswo, schon der allgemeine Du-Comment näherte einander, war freilich auch rücksichtsloser, indem er keine Schranken duldete, die man zwischen sich und anderen oft gern gezogen sieht, er hatte oft eine gewisse Derbheit, die nicht jeder vertragen kann. Das Gefühl der Zusammengehörigkeit war sehr groß; unter den Tugenden eines Burschenschafters stand wechselseitige Theilnahme und Gastfreundschaft oben an: Alles lebte mit einander und für einander. Es ging aber auch so einfach her, daß sich nur hier ein solches Gemeinleben durchführen ließ. Wie in geselliger Beziehung so machte man auch in anderer keine großen Ansprüche. Man ging nicht nur sehr einfach, sondern oft auch sehr nachlässig einher. Das Essen war weit schlechter als in Göttingen. Nebenbei machte es noch einen eigenen Eindruck auf mich, wenn man in der Rose zu Mittag speiste und mußte jede Scheibe Brot noch besonders bezahlen. Das Höchste was sich Abends erreichen ließ, war Gänsebraten in der sogenannten Knabei. Wein gehörte zu den Seltenheiten. Es dachte aber auch niemand daran, weil er zu theuer und zu schlecht war und das Lichtenhainer und Ziegenhainer Bier doch einmal höher stand als jedes Getränk der Vor- und Mitwelt.

In Jena war um diese Zeit ein sehr reges Leben und Treiben in der Studentenwelt. Zu dem eben hier tagenden allgemeinen Burschentage hatten sämmtliche Burschenschaften ihre Abgeordneten geschickt. Ich ging zuweilen in die Sitzungen, die immer öffentlich waren. Für die Idee der Burschenschaft war auch ich beseelt, vielleicht mehr als mancher Burschenschafter, obschon ich weder dieser noch sonst einer Verbindung angehörte. Doch mißfiel es mir von Anfang an[68] daß so manche gar zu großen Werth auf das Aeußere legten, Alles in Gesetze und Formen passen wollten und darüber das wahre Wesen vergaßen. Die unbedeutendsten Jünglinge, wenn sie altdeutsches Haar und Bart und altdeutsche Tracht trugen, hielten sich oft für mehr und besser als alle übrigen, die oft nicht so viel Geld hatten, sich einen Sammetrock und ein Barett mit Reiherfedern anzuschaffen. Dies teutsche, biderbe Wesen vieler Turner, dem oft gar keine höhere sittliche und wissenschaftliche Bildung zu Grunde lag, war mir lächerlich und widerwärtig, weil durch Eitelkeit und Unnatur vieles Edle und Schöne aufs Spiel gesetzt ward und auch wirklich unterging. Hätten diese altdeutschen Jünglinge nicht die einzig echten Deutschen und was Besseres sein wollen als das ganze übrige Volk, sie würden nicht so mancherlei Gegner hervorgerufen, sondern der guten Sache Freunde und Förderer gewonnen haben.

Als ich am 18. October viele Studenten in ihrer grauen Turnertracht ihre Kunststücke machen sah mit einem Ernste als ob das Heil der Welt am Barren und Reck hinge, da mußte ich lächeln. Ich hatte als Junge ganz andere Kunststücke gemacht: ich war auf hohen Dächern spazieren gegangen und in die höchsten Wipfel geklettert. Und mein Vater, der keine Ahndung vom Turnen hatte, ließ einen langen schweren Heubaum auf seinen Zähnen balancieren und sprang über sechs quer gelegte große Fässer weg.

Das Interessanteste an Jena war mir Oken. Gleich in den ersten Tagen machte ich seine Bekanntschaft. Der Verkehr mit ihm war anregend, lehrreich und angenehm. So oft ich zu Oken kam, war ich ihm jedesmal willkommen. Mein Vertrauen zu ihm war so groß, daß ich es eines Tages wagte, ihm einige Distichen zu bringen. Er las sie und – fand sie vortrefflich. Da meinte ich denn, er könnte sie ja in die Isis aufnehmen. Er war bereit, und da er meine jetzige Lage kannte, so gab er mir zwei Louisd'or: ›Die Sachen sind viel mehr werth, fügte er hinzu, aber ich gebe gar kein Honorar, und darum müssen Sie so vorlieb nehmen.‹

So erschienen denn in der Isis von 1818 und 1819 4 nach und nach über hundert meiner Distichen und Tetrastichen. Alle diese [69] Epigramme bezogen sich auf die damaligen deutschen Zustände, besonders in Hannover. Stoff gab es genug, auch in der Studenten- und Professorenwelt, die Philisterei und das Zopfthum grünten und blühten schon wieder in unserm Staats- und geselligen Leben, viele Köpfe und Hände waren beschäftigt, die alte gute Zeit wieder auf die Beine zu bringen und jedes Mißfallen darüber, jeden Widerstand dagegen als staatsgefährlich auszuposaunen. Wer in göttlichen und menschlichen Dingen eine freie Ansicht zu behaupten suchte und nicht einverstanden war mit den Mitteln und Wegen, welche die vaterländischen Regierungen einschlugen das Vaterland zu beglücken, der wurde mißliebig, und wenn er gar eine bedeutende Stellung einnahm und durch Wort und Schrift zu wirken verstand, so wurde er so lange gemaßregelt bis er sich fügte oder seine Stellung aufgab oder aufgeben mußte. Da ich mich nicht genannt hatte, so blieb meine Person unangefochten, und ich freute mich im Stillen, daß über meine Herzensergüsse Mancher sich gefreut und gelacht, Mancher sich aber auch geärgert hatte. Sie sind längst vergessen und ruhen in der dicken Isis wie in einem hermetisch verschlossenen Grabe. Später ging ich auch zu den gereimten Epigrammen über, damals war mir die Distichenform lieber.

Die Tage von Jena sind mir besonders durch die Erinnerung an Oken unvergeßlich. Als ich ihm ein Göttingisches Stammbuchblatt mit Winckelmann's Bildniß überreichte, schrieb er auf der Rückseite seitwärts darauf: ›Sey Dir ein Vorbild. Jena 18. Oct. 18. Wenn auch das was er von mir hoffte, nicht in Erfüllung ging, so freut es mich doch heute noch, daß er etwas von mir hoffte.

Der Herbst war schön: noch lebt in meiner Erinnerung manche Morgen- und Abendlandschaft, wenn die Sonne die kahlen Berge beleuchtete und das Laub der Reben und Bäume vergoldete. Stundenlang wandelte ich manchen Tag im Thale umher und an den Bergen. Bei allen Zerstreuungen nahm ich mir doch Zeit zum Arbeiten, ich las viel und schrieb ein ganzes Heft ab: Eichstädt's Encyclopädie der Philologie, wofür ich freilich etwas Besseres hätte thun können.

In den letzten Tagen des Octobers trat ich meine Rückreise an in Begleitung des Mineralogen Friedrich Hoffmann. Den ersten Tag waren wir beide sehr schweigsam, wir gingen wie zwei Geister im dichtesten Nebel fast den ganzen Tag. Nur in Weimar schien [70] uns einen Augenblick die Sonne. Wir frühstückten im Elephanten, ich löste meinen zurückgelassenen Homer ein und wir setzten unsere Reise im Nebel wieder fort. Den anderen Tag hatten wir wieder fortwährend Nebel. Da wir nun abermals außer aller Beziehung zur Außenwelt gesetzt waren – wir sahen um uns kaum bis auf zwanzig Schritte – so entwickelten wir in dieser Trübe beide einen glänzenden Humor: Scherze, Witze und Schnurren aller Art wechselten mit einander und ehe wir es uns da versahen, waren wir in Langensalza. Nie in meinem Leben ist mir ein so langer Weg so kurz geworden. In Mühlhausen blieb mein Freund. Ich setzte nun allein meine Reise fort.

Kaum war ich in Göttingen angekommen, so wurde mir gemeldet, in Fallersleben sei die Ziehung gewesen, man habe für mich Nr. 27 gezogen und ich müsse marschieren. Ich nahm die Sache sehr leicht. Als mir aber vom Amte gedroht wurde, wenn ich mich nicht sofort beim Regimente in Celle einfände oder dorthin die Stellvertretungssumme von 100 Thalern einsendete, so sollte ich durch Landreiter abgeholt werden, da wendete ich mich sofort an das Cabinetsministerium in Hannover und meinte, man möchte doch die mir gewährte Unterstützung, das königliche Stipendium von 80 Thalern, dessen erste Hälfte gerade zu Michaelis fällig geworden sei, zurückbehalten oder mich zur Reserve stellen. Es wurde mir Alles abgeschlagen und mein Vater mußte zahlen. Mit 20 Thalern wurde ich endlich von der Ehre, ein königlich großbritannisch-hannoverischer Vaterlandsvertheidiger zu sein, losgekauft.

Seit meiner Rückkehr lebte ich mit Krawinkel wieder in alter inniger Freundschaft: wir sahen uns beinahe täglich, gingen zusammen spazieren, theilten uns unsere schriftlichen Arbeiten mit und machten manches litterarische Plänchen, welches wir künftig gemeinschaftlich ausführen wollten. Ich dichtete noch immer sehr wenig, und wenn mir an einem Gedichte nur etwas nicht gelungen schien, so zerriß ich es auf der Stelle. Zu Hause hatte man noch große Ideen von meiner Poeterei; man meinte, ich müßte jetzt doch wol einen großen Vorrath an Gedichten haben. Nicht also. Als mir mein Vater am Neujahrstage 1819 viel vom Druckenlassen schrieb, erwiederte ich ihm: ›In den letzten Tagen des vorigen Jahrs fror mich sehr auf meiner Stube. Da nahm ich vier Bände meiner Gedichte und warf sie in [71] den Ofen. Aber da sieht man, daß Wasser das Feuer löscht, denn nun ging das Feuer erst aus.‹ Krawinkel billigte sehr, daß ich von Tage zu Tage strenger gegen mich ward. Ob noch irgend ein Gedicht jener Zeit die Feuerprobe bestand, weiß ich nicht mehr.

Der Entschluß war gefaßt, Göttingen und das Land Hannover für immer zu verlassen. Von meinen Freunden und Bekannten hatte ich bereits Abschied genommen und mit einigen Stammbuchblätter gewechselt. Der größte Theil meiner Schulden war bereits bezahlt. Einen Wechsel mochte ich nicht erst noch abwarten, um ganz schuld- und schuldenfrei, wie mein Vater meinte, die Universität zu verlassen. Bonn war das Ziel meiner Wünsche und Hoffnungen. Von der neuen Universität am schönen Rhein erwartete ich ein neues Leben für meine Studien und mein Herz. Welcker, der zum Bonner Professor und Oberbibliothecar ernannt war, erklärte sich bereit, was er vermöchte für mich zu thun; er war so gütig, mir meine Bücher kostenfrei nach Bonn zu besorgen.

Ich wanderte zu Fuß mit leichtem Gepäck. Der blaue Frühlingshimmel mit seiner milden Sonne that mir wohl; die Saaten waren grün und die Lerchen sangen. Am 17. März kam ich in Fallersleben an. Die Freude der Meinigen war groß. Die erste Zeit verging fröhlich und wohlgemuth. Die späten Abendstunden, wenn nichts Fremdes mehr im Hause war, gehörten uns ganz. Da saßen wir auf dem Sopha und rings umher und plauderten in alter Gemüthlichkeit. Nach einiger Zeit aber wurden die Gespräche ernst und immer ernster. Der Gedanke, was noch aus mir werden sollte, erfüllte jeden mit Besorgniß. Drei Jahre auf Universitäten waren vergangen, und nun wollte ich wieder auf Universitäten! Niemand wußte, was mein Ziel war, und eigentlich wußte ich es auch selbst nicht. Der Vater meinte, ich hätte bei der Theologie bleiben sollen, oder sollte jetzt eine Hauslehrerstelle annehmen, um dann sorgenfrei meine Lieblingsstudien fortsetzen zu können. Mein Bruder hatte brieflich mir entschieden abgerathen, Hannover zu verlassen und in Preußen mein Heil zu suchen, obschon er selbst im preußischen Staatsdienste stand. Es wurde Alles hin und her erwogen, und endlich stellte sich für mich heraus, was ich ja von vorn herein schon wußte: wir können Dich nicht weiter unterstützen. Ich erklärte dann, daß ich ja keine Unterstützung beanspruchte; ich hätte in Göttingen schon [72] einen so schönen Anfang gemacht, mich durchzuschlagen, und würde es von jetzt an noch besser lernen, da ich nun einmal gewiß wüßte, daß ich von Haus durchaus nichts zu erwarten hätte.

Ich verweilte nun noch einige Wochen in der Heimat, verkehrte mit Verwandten und Jugendgespielen und suchte alle die Örter auf, an welche sich für mich heitere Erinnerungen aus meiner Kindheit knüpften.

Unter den Glückwünschen der Meinigen reiste ich ab. Ich machte einen großen Umweg, ich ging über Magdeburg, um meinen Bruder noch zu sehen. Er hatte jetzt wieder eine feste Anstellung, sein ziemliches Auskommen und lebte in angenehmen geselligen Beziehungen. Ich lernte bald seine näheren Bekannten kennen. Es herrschte unter ihnen ein freier, munterer Ton. Gewöhnlich wurden lustige Geschichten erzählt, Witze gerissen und Neckereien vollführt; dann aber wendete sich das Gespräch oft auch den ernsten Fragen des Tages zu.

Sand's schreckliche That (23. März) hatte große Erbitterung gegen die Universitäten und die Studenten hervorgerufen. Was ein Einzelner für sich gethan hatte, sollte Folge eines gemeinschaftlichen Beschlusses der Burschenschaften gewesen sein, und diese Ansicht fand selbst bei Leuten Glauben, die man für besser unterrichtet halten mußte. Ich hielt mich verpflichtet für alle Studenten sprechen zu müssen und eine solche Beschuldigung als nichtswürdig und lächerlich zurückzuweisen, was sich auch später aus der amtlichen Untersuchung herausstellte. Daß Kotzebue's Thun und Treiben ziemlich allgemeine Mißbilligung fand, das stand fest, aber eben so fest, daß man gegen ihn mit denselben Waffen kämpfen mußte womit er Deutschland und die sogenannte Deutschthümelei angriff, und das war die Feder. Damit hatte ich ja vor einem halben Jahre während meines Aufenthalts in Jena auch gekämpft, meine Epigramme waren in der

Isis gedruckt.

Eben so fest stand, daß es neben Kotzebue noch viele, viele Lumpe gab, und gefährlichere als ihn: wo hätte man da anfangen und aufhören sollen, wenn man den Verrath am Vaterlande auf Sand's Weise hätte rächen wollen? Daran dachte höchstens nur ein eben so überspannter Kopf wie Sand, und das wußte man recht gut. Aber das Sand'sche Verbrechen war den Rückschrittsmännern ein sehr willkommener Anlaß, zunächst alle Professoren und Studenten, die[73] für Recht und Vaterland, deutsche Freiheit und Einheit beseelt waren und strebten, zu verfolgen und zum Schweigen zu bringen und endlich jede freie Regung in Wort und Schrift zu unterdrücken. Daß strenge Maßregeln gegen die Universitäten vorbereitet wurden, wußte jedermann.

Nach Tische pflegte ich mit meinem Bruder Besuche oder einen Spaziergang zu machen. Des Abends waren wir gewöhnlich zu Hause. Wir erzählten uns allerlei Geschichten, Schnurren und Witze aus der Heimat, alte und neue, und ergötzten uns immer wieder, selbst an den längst bekannten. So saßen wir denn auch am 18. April ganz gemüthlich. Plötzlich klopft's. Wir öffnen: ein Bote bringt einen Brief von der Hand des Superintendenten: der Vater sei bedenklich erkrankt und mein Bruder möchte sofort nach Haus kommen. Unser Schrecken war furchtbar. Der Bote wußte nichts. Wir lasen den Brief immer wieder und fragten: lebt er noch oder ist er todt? Es war uns in dem sonst so traulichen Zimmer unheimlich geworden, wir zündeten alle Lichter an die wir hatten, und überlegten ängstlich was zu thun sei. Mein Bruder wollte und mußte reisen, obschon dringende Arbeiten vorlagen; ich fühlte, daß meine ganze Zukunft in Frage gestellt wäre, wenn ich nach Hause zurückkehrte, denn war der Vater wirklich todt, so hätte ich die Meinigen nicht wieder verlassen können. So schwer die Wahl war, so mußte ich mich doch für die Weiterreise nach Bonn entscheiden.

Nach einer schrecklichen Nacht nahm ich Abschied von meinem Bruder und war nun mit meinem Schmerz allein auf dem Postwagen nach Halberstadt. Ich eilte von dort gleich weiter nach Blankenburg, und verweilte einige Tage bei den Eltern meines Freundes Henneberg. Am Sonntagmorgen (25. April) erhielt ich einen Brief von meinem Bruder, aber selbst die tröstliche Nachricht: ›der Vater lebt!‹ konnte mich nicht beruhigen. Mit der Ahndung, der Vater ist todt, reiste ich weiter. Der Frühling mit all feinem frischen Grün und den blühenden Bäumen in und um Blankenburg erheiterte mich nicht. In trübster Stimmung ging ich durch den noch winterlichen Oberharz mit seinen düsteren Tannen und Fichten und den öden, haus- und menschenleeren Wegen.

Nach zwei Tagen erreichte ich Göttingen. Als ich zum Bruder meines Schwagers kam, bestätigte er meine trübe Ahndung: ›Dein [74] Vater ist – vielleicht – schon todt! Fasse Dich! Es ist gut, wenn ich heute keinen Brief bekomme – Du würdest den ganzen Weg traurig sein.‹ – Am 2. Mai kam ich in Cassel an. Von Trauer und vom Wandern erschöpft legte ich mich zitternd im Fieberfrost schon am hellen Abend zu Bette. Nach einem erquicklichen Schlafe wachte ich zeitig auf und konnte weiter reisen. Bald vor mir, bald hinter mir fuhr ein Herr im Einspänner. Wir verfolgten einen und denselben Weg, ich hatte jedoch nicht das Herz ihn anzusprechen. Abends fanden wir uns im Wirthshause zu Jesberg und speisten bald mit einander. Da ich den ganzen Tag nicht geredet hatte, so war es jetzt ein Bedürfniß für mich und ich sprach mich aus und zwar über die Zopfwirthschaft des alten wunderlichen Kurfürsten: Wirth und Wirthin und mein unbekannter Reifegefährte ergötzten sich sehr au meinen nicht eben unwitzigen Auslassungen. Es saß aber ein Mann noch in der Stube, der nahm mich freundlich bei Seite und sprach in einem anscheinend väterlichen Tone: ›Ich bin ein Freund der Studenten, habe auch einen Sohn auf Universitäten, ebendeshalb muß ich Sie aber warnen – ich meine es gut mit Ihnen – mäßigen Sie sich in Ihren Äußerungen!‹ – Ich dankte ihm und ließ mich in meiner guten Stimmung nicht irre machen. Als er fortging, fragte mich die Wirthin: ›Was wollte denn der?‹ – ›Mich vermahnen.‹ – ›Der soll nur still sein, der ist gestern erst abgesetzt. Sie haben nur das Wahre gesagt und wir haben uns alle recht gefreut.‹

So dachte auch der Fremde und war dermaßen für mich gewonnen, daß er mir einen Sitz in seinem Wagen zur Weiterreise nach Frankfurt anbot. Ich nahm das sehr dankbar an und war sehr froh, ich konnte nun bequemer und schneller Frankfurt erreichen. Der Wechsel der Gegenden, die alle im neuen Frühlingsschmucke um uns lagen, und die Gelegenheit, mich jeden Augenblick gegen jemanden aussprechen zu können, hatten wohlthätig auf meinen Zustand gewirkt. Nach zwei Tagen kamen wir in Frankfurt an. Ich traf einen Freund unsers Hauses, den Weinhändler Abeken von Braunschweig. Er bat mich, ihn den andern Morgen zu besuchen. Das that ich. Meine erste Frage war, ob er nichts von meinem Vater wüßte? Er schwieg. Als ich dann in ihn drang, fragte er: ›Wenn Sie den Tod Ihres Vaters hörten, wie würden Sie ihn ertragen?‹[75] – ›Mit Ruhe.‹ – ›Nun, so will ich Ihnen sagen: Ihr Vater ist todt!‹ – Da ward ich so wehmüthig und so wirre, daß ich für Alles außer mir alle Theilnahme verlor. Ich sah in dem großen Frankfurt Vieles und sah Nichts. Ich war in einer Gemäldesammlung und kam heraus und wußte so viel wie heute davon, gar nichts. Den dritten Tag, es war am 6. Mai, fuhr ich mit Abeken auf dem Marktschiffe nach Mainz. Wol würde eine solch eigenthümliche Fahrt mich sonst auch ergötzt haben. Ich ging unter den zweihundert Menschen umher, hörte sie reden und singen, sah wie sie spielten, aßen und tranken – Alles war mir gleichgültig. Es war viel Leben und Lärmen, der noch durch Musik vermehrt wurde, denn alle Augenblicke kamen Drehorgeln an Bord. Mir ging es ähnlich wie dem Italiener, der that als ob er nichts hörte: als man bei ihm einsammeln wollte, sagte er ›je dors‹, und als ein Tau auf seinen Gypsfigurenkram fiel und eine Venus zerschmetterte, hob er gleichgültig die Scherben auf und warf sie in den Main.

Am folgenden Tage reiste ich weiter den Rhein hinab mit dem Postschiffe. Ich befand mich in kleinerer und besserer Gesellschaft als gestern. Die meisten meiner Reisegefährten mochten wie ich noch nie den Rhein gesehen haben und waren entzückt von seinen wechselnden Schönheiten, die sich bei heiterem Sonnenscheine in ganzer Frühlingspracht den Augen darboten. Die ganze Gesellschaft ward bald zu einer großen fröhlichen Familie und wunderbar, ich war einer der heitersten, so daß ich nicht wenig zu der guten Stimmung beitrug. Das Leid hat sein Recht, aber die Freude will auch ihr Recht haben. Ich war ein Allerweltsfreund geworden, alle verkehrten mit mir gerne, und erwiesen sich sehr freundlich und gefällig.

Am 8. Mai traf ich in Bonn ein. Am Rheinufer begegneten mir einige alte Bekannte, einer führte mich in seine Wohnung und beherbergte mich. Noch am Abend spazierten wir nach Poppelsdorf, dort gedachte ich zu wohnen. Die Sonne ging eben unter, das Siebengebirge lag in seinem veilchenblauen Scheine neben uns; die hohen Kastanien, unter denen wir wandelten, blüheten in voller Pracht. Ich wurde fast schwindelig von der zauberischen Aussicht. Wie schön ist die Gegend! rief ich aus, wäre doch das Leben auch so!

Am folgenden Morgen besuchte ich Welcker. Er empfing mich wie gewöhnlich, nicht kalt nicht warm, machte mir zu nichts Hoffnung [76] bat mich übrigens, ich möchte immer zu ihm kommen und ihm sagen, worin er mir helfen solle. Montag den 10. Mai ließ ich mich bei Hüllmann immatriculieren. An demselben Tage zog ich nach Poppelsdorf in ein kleines einstöckiges Haus neben der Kirche. Ich hatte mich nach ländlicher Einsamkeit und Ruhe gesehnt und fand beide hier. Unter dem von fern her hallenden Gebelle der Hunde und dem Gequake der Frösche schlief ich ein und mit dem Morgenrufe des Hahnes wachte ich auf. Es that mir wohl, die ersten Tage so für mich hinzuleben. Ich kümmerte mich wenig um Professoren und Studenten. Noch Einmal sollte sich in seiner ganzen Fülle der Schmerz um den Tod des Vaters erneuen. Am Tage vor Himmelfahrt, als ich eben auf dem Universitätsplatze umherwandelte, überreichte mir der Pedell einen Brief meines Bruders. Aus dem goldenen Engel, wo ich gespeist hatte, ging ich zu Schlegel in die Geschichte der abendländischen Litteraturen. Ich setzte mich auf eine Bank im Hintergrunde, entfaltete den Brief und las. Vor Thränen konnte ich kaum die erste Seite beendigen. Ich legte ihn wieder zusammen und hörte Schlegel zu. Er theilte eben die schöne Canzone mit, worin Petrarca den Tod seiner Laura beweint. Ich begann zum zweiten Male den Brief zu lesen. Es war mir nicht möglich, ihn zu beendigen. Als Schlegel seine Vorlesung beschlossen hatte, sprang ich zum Fenster hinaus und eilte ins Freie und so nach Poppelsdorf. Ich schloß mich in mein Zimmer ein und las und weinte. Verwirrt und mit heftigen Kopfschmerzen suchte ich dann das Freie.

Am anderen Tage, es war Himmelfahrt, als die Glocken läuteten und die Morgensonne durch die grünlichen Scheiben brach, und mir so festlich zu Muthe war, da las ich den Brief meines Bruders wieder.

Ich war von jetzt an ruhiger geworden und hoffte für meine Studien ein recht ersprießliches Gedeihen durch den Verkehr mit Professoren und Studenten und durch die Benutzung der Bibliothek. Die Universität Bonn war am 18. October 1818 durch Friedrich Wilhelm III. gestiftet. Schon zu Michaelis fanden sich einige Professoren und Studenten ein, eröffnet wurde sie eigentlich erst zu Ostern 1819 und zwar mit 219 Zuhörern.

Unter den Professoren waren bedeutende Namen, besonders in der philosophischen Facultät. Bald zeigte sich, daß sie als Lehrer [77] ebenso unbedeutend waren als früher bedeutend durch ihre Schriften. Der Collegia, die unser einer hören mochte, waren wenig, und diese wenigen entsprachen durchaus nicht den Erwartungen, mit denen man in den Hörsaal trat. So las Schlegel Geschichte der neueren deutschen Litteratur. Das war nicht viel besser, als wenn man gelegentlich einem Fremden erzählt, daß wir Deutschen auch eine schöne Litteratur haben. Dabei brachte er alle wichtigen Erscheinungen mit sich in Beziehung, und wenn er auf Goethe und Schiller zu sprechen kam, so vergaß er nie ›mein unsterblicher Freund‹ hinzuzufügen. – Was Arndt leisten würde, ließ sich nicht ermessen; seine academische Lehrthätigkeit wurde durch einen Ministerialbeschluß aufgehoben und blieb es nachher noch zwanzig Jahre.

Die Studentenwelt war ungleich besser vertreten als meine philosophische Facultät. Fast alle deutschen Universitäten hatten ihren Beitrag geliefert, namentlich Jena. Es waren meist alte Burschen, viele Mitglieder der Burschenschaft, einige sogar Vorsteher derselben. Sie waren begeistert für die Ideen dieser zeitgemäßen, Verbindung und verfochten ihre Ansichten mit dem Worte wie mit dem Schläger. Des gewöhnlichen Studententreibens satt hatten sie sich der Wissenschaft ernster zugewendet und strebten mit Eifer und Muth nach einem edelen sittlichen Leben für sich und andere und nach Erwerb einer tüchtigen wissenschaftlichen Bildung, alles zu Nutz und Frommen des Vaterlandes. Sie übten durch Erfahrung, Einsicht und Beispiel eine Herrschaft aus, der sich die jüngeren Studenten gerne fügten, zumal niemand in seiner jugendlichen Heiterkeit und seinem sonstigen, selbst absonderlichen Wesen sich gestört fühlen konnte. So wurden die ersten Ankömmlinge die Gründer eines Studententhums, das sich trotz den baldigen störenden Eingriffen der Regierung herrlich entwickelte.

Die Bürger wußten nicht was aus ihnen und ihrer guten Stadt Bonn noch werden sollte. Sie hatten weder von einer deutschen Universität noch von deutschen Studenten die geringste Ahndung. Sie kannten nur die französischen Bildungsanstalten; was im Vaterlande bestand und vorging, war ihnen fremd geblieben. Sie wunderten sich nicht wenig, daß Professoren so hochangesehene Leute waren, bei ihnen hieß ja jeder Schulmeister (selbst unser Poppelsdorfer) Professor. Daß Studenten ganz was Besonderes sein sollten, konnten [78] sie nicht begreifen; waren sie doch selbst Studenten gewesen, denn wer eine Schule besuchte, besonders eine sogenannte lateinische, war ein Student. Es dauerte eine Zeit, ehe sie an das freie muntere Wesen der Studenten und ihre Sitten und Gebräuche sich gewöhnten, und sich darein fanden, mit ihnen die besuchtesten Vergnügungsörter theilen zu müssen.

Commerse und Bälle waren unsere Vergnügen, woran sich jeder betheiligen konnte. Wollte sich einer sonst erholen oder belustigen, so gab es Gelegenheit genug. So fand sich immer Nachmittags ein kleiner Kreis von Freunden und Bekannten ein aus der Vinea Domini, damals noch eine Kaffee- und Weinwirthschaft. Die Aussicht auf den Rhein und nach dem Siebengebirge war reizend, und der Aufenthalt unter dem Schatten der Bäume, umspielt von der frischen Rheinluft, erquickend. Andere, die in Poppelsdorf speisten, blieben gewöhnlich noch einige Stunden dort. Zu denen gehörte auch ich den ersten Sommer. Da saßen wir denn im Garten vor der Brüsselbachschen Wirthschaft und führten manches Gespräch über Kunst, Wissenschaft und Politik. Noch andere machten weitere Ausflüge in die schöne Umgegend, nach Königswinter, dem Siebengebirge und Godesberg. Auf dem Heimwege wurde dann immer viel gesungen, besonders das Wahlmannsche Lied: ›Mein Lebenslauf ist Lieb' und Lust‹ und mit jubelnder Begeisterung die Strophe:


Die Krone nehme Bacchus hin,
Nur er soll König sein,
Und Freude sei die Königin,
Die Residenz am Rhein!

Obschon unsere Anzahl nur klein – etwas über 200 – und bisher keine Klage eingelaufen war über Ruhestörungen und irgend eine Unbill unsererseits, so schien es uns doch selbst nothwendig, etwas durch uns und so für uns zu thun. Darum waren wir denn darauf bedacht, die ganze Studentenschaft in ein geschlossenes Ganze zu bringen mit selbst berathenen und beschlossenen Gesetzen, wodurch ein sittlicher und wissenschaftlicher Sinn befördert und dem jugendlichen Leichtsinne und jeder unedelen Leidenschaft entgegen zu wirken wäre.

[79] Das geschah denn auch im Laufe des Sommers. Es wurde ein Ausschuß mit Entwerfung der Gesetze beauftragt. Es nahmen mit mir mehrere der alten Burschen Theil daran. Jetzt handelte es sich nur darum, ob wir überhaupt in dieser Zeit noch an eine Verbindung denken dürften. Die Beschlagnahme der Papiere der beiden Welcker und Arndt's und des letzteren einstweilige Entamtung waren keine vereinzelten Maßregeln mehr. Die Carlsbader Beschlüsse standen in Aussicht.

Da beschlossen wir denn: wir wollen keine Burschenschaft und keine Landsmannschaft sein; wir wollen keinen geschriebenen Comment haben, sondern was uns gut und zweckmäßig scheint und sich durch Erfahrung bewährt hat als Gesetz halten; wir nennen uns Allgemeinheit, denn jeder Student, der nichts Unehrenhaftes sich hat zu Schulden kommen lassen, ist Mitglied; wir wollen auch die deutschen Farben nicht, sondern die rheinischen, weißgrünroth:


Weiß wie die Unschuld, weiß ist unser Zeichen,
Grün wie die Hoffnung die im Herzen glüht,
Wie's Laub von unsern Reben, unsern Eichen,
Und roth das Band das unsre Brust umzieht,

und um allen Verdacht über unser Thun und Treiben von vorn herein zu beseitigen, sollen alle unsere Verhandlungen öffentlich sein. So glaubten wir jeder Gefahr zuvorgekommen zu sein und doch unsern Zweck erreicht zu haben.

Es war auch ein Bonner Commersbuch schon im Frühjahr gewünscht und später beschlossen worden. Mir wurde der Auftrag, ein solches auszuarbeiten und darin hauptsächlich auf den Rhein und seine schönste Gabe, den Wein Rücksicht zu nehmen. Ich suchte nun mir für manche Lieder die ursprünglichen Texte zu verschaffen, einige in den Commersbüchern verdorbenen nach besseren Lesarten herzustellen und alle Lieder, die nach Puder und Pomade rochen oder voll Rohheiten und Renommisterei strotzten, fern zu halten. In Betreff der Vaterlandslieder war die größte Vorsicht anzuwenden, und es kam mir zu Statten, daß der Verleger für das Patriotische keinen Bogen mehr spendieren wollte. Die Censur war bereits in voller Thätigkeit und gewisse Wörter waren bereits verpönt. In dem schönen Arndt'schen Liede: ›Bringt mir Blut der edlen Reben‹ lautete die letzte Strophe [80] ursprünglich:


Und dies letzt', wem soll ich's bringen
In dem Wein?
Süßestes von allen Dingen,
Dir, o Freiheit, will ich's bringen
In dem Wein!
Das war damals bereits verwandelt in:
Süßestes von allen Dingen,
Dir muß ich's im Stillen bringen
In dem Wein.

Das Büchlein erschien im August unter dem Titel: ›Bonner Burschenlieder‹. 5 (Bonn, bei Eduard Weber 181). 153 Studenten hatten darauf subscribiert, ihre Namen wurden mit Angabe ihrer Heimat und ihres Studiums vorgedruckt. Ich erhielt für dies Erstlingswerk 50 Reichsthaler kölnisch.

Das eigentliche Studentenleben, dem ich mich bisher nicht gut entziehen konnte, bekam ich nach und nach satt. Ich beschränkte mich lieber auf einen kleinen Kreis von Freunden und auch diesen war es Bedürfniß, sich über die Fragen des Tages und wissenschaftliche Dinge, die uns am Herzen lagen, gegenseitig ruhig und gemüthlich aussprechen zu können. Ich hatte in Kessenich eine kleine Bauernwirthschaft entdeckt, wo man guten Wein und Butterbrot billig haben konnte. Hinter dem Hause war ein Baumgarten (Bungert) mit einem Pfahltische und Pfahlbänken. Dahin führte ich auch meine [81] Freunde, und wir konnten da bei unserm Schöppchen stundenlang sitzen, sahen in das frische Grün der Bäume und des Rasens und unterhielten uns.

Mit neuen Plänen und Entwürfen, mit neuer Arbeitslust kehrte ich dann heim in mein stilles Stübchen, um noch zu lesen und zu dichten. Auf dem Tische fand ich ein frisches Blumensträußchen. Das war von Gretchens Hand, und meine Freude daran war auch ihre Freude. Sie war die Tochter meines Wirthes, und obschon dieser ein bürgerliches Gewerbe trieb – er war Porcellanmaler und Steindrucker – so war doch Gretchen ganz wie ein Landmädchen in Tracht, Sprache und Sitten. Sie trug ein perlengesticktes Häubchen und wenn sie zur Stadt ging, ein großes weißes Tuch über dem Kopfe und wieder darüber, wenn sie etwas zu tragen hatte, den Korb der auf einem wollenen Kranze ruhte. Sie sprach das eigentliche Bönnisch und wußte alle die Lieder, die man zum Tanze oder im Freien und bei Zusammenkünften zu singen pflegte. Sie hatte eine Freundin, Katharina (Tring); beide waren die hübschesten Mädchen des Dorfes. Ich lernte von ihnen ihre Sprache und ihre Lieder, und wenn sie diese nicht recht vollständig wußten, so schrieben sie in Gesellschaft mit anderen Mädchen und Burschen dieselben auf. Zuweilen that ich dies denn auch selbst und Andres, Katharinas Bruder, mußte mir helfen, und wir tranken dann ein Schöppchen dazu.

Ich hatte wieder große Lust zum Dichten bekommen, meine Liebe war eine unerschöpfliche Liederquelle geworden. Wenn ich dann ein neues Lied Gretchen vorlas, so freute es mich, daß sie es verstand und sich darob freute. So klein auch der Kreis der Gefühle und Gedanken eines einfachen jungen Landmädchens nur sein konnte, so war er doch für mich groß genug, und meine Phantasie wußte manche Aeußerung, manchen Anlaß poetisch zu benutzen. So entstanden mehrere Lieder, wovon die meisten in meine ›Lieder und Romanzen‹ (Köln 1821 bei Bachem) 6 übergingen. Keiner meiner [82] Freunde wußte eher etwas davon, und es schien mir, als ob ich mehr meiner poetischen Stimmung als meinen Poesien den Spitznamen ›der Poet‹ verdankte.

Nur Einer wußte, daß ich immer wieder zu dichten beginnen, ja, daß ich es niemals lassen würde, nur Einer hegte bisher von meinen dereinstigen poetischen Leistungen so große Hoffnungen, wie sie nur in dem Herzen eines Freundes sprießen konnten, und dieser Eine war Krawinkel. In einem schwärmerischen Briefe, den er im Sommer von Göttingen aus in seiner treuen Liebe an den fernen Freund richtete, sprach er den Wunsch und die Erwartung aus, mich dereinst in einer Geschichte der deutschen Litteratur, die er zu schreiben beabsichtigte, als einen der unsterblichen Geister, als das neue Gestirn des Tages feiern zu können. Der gute Krawinkel! Ich dachte vorläufig an keine Unsterblichkeit: mir war genug dieser Frühling meiner Dichtung und Liebe. Gretchen war mein Taggedanke, war mein Traum.

Gegen Ende Augusts unternahm ich mit zwei Freunden, Schweder und Schindler einen Ausflug an die Maas, Eisel und Mosel. Nach damaligen flüchtigen Aufzeichnungen und Erinnerungen habe ich zehn Jahre später diese Reise beschrieben.


Die Morgenglocke läutete. Mit leichtem Gepäck, den Staubmantel übergeworfen, eilte ich zu Schweder und holte ihn ab. Die Waldhöhen hüben und drüben am Rheine wurden heller, vor uns ging die Sonne auf, rechts lag hinter dem blinkenden Wasserspiegel das Siebengebirge in das schönste Veilchenblau gehüllt.

In Köln eilten wir, sobald wir uns erquickt hatten, nach dem Dome. Welch ein Eindruck! Schweigend stehen wir da, jeder merkt dem anderen an diese stille Bewunderung für einen so hohen himmlischen Gedanken, der sich hier verkörperte. Wir treten ein in diese zauberische Dämmerung, die Poesie des Tages. Eine reiche lebendige [83] Natur, ein ganzer Wald himmelanstrebender Bäume wölbt sich über uns mit breiten Wipfeln und Blätter- und Blumenkränzen, und steht versteinert da, um den Geist der Andacht zu begränzen, das gen Himmel ringende Herz auf der Erde zu fesseln.

Colonia Agrippina, wär' es dir möglich gewesen, deine hundert Götter in diesen Dom zu stellen, hier hättest Du sie selbst zerstört und Dir selbst über ihren Trümmern das Evangelium gepredigt!

Ich kann es nicht lassen, ich muß vergleichen, auf daß mir klar werde, was Heidenthum und Christenthum, Ausland und Vaterland ist. Ich hasse jedwede seichte Lobpreisung und blinde Verehrung und verachte jede Einseitigkeit, die nicht auf ein edles, reines Streben für Kunst und Wissenschaft sich gründet, oder etwas im Leben bekundet, was man Physiognomie, Art und Weise, Charakter nennt. Lernt Deutschlands Vergangenheit und Gegenwart kennen, nur dann werdet ihr herrliche Hoffnungen für seine Zukunft haben! Es ist ein heiliger Gedanke für mich, daß auch durch mich vielleicht doch irgend eine dieser Hoffnungen erfüllt wird, und eben das ist mein Trost, wenn ich mir, wie heute hier in Köln, Einseitigkeit, salsche Ansicht, verkehrtes Streben zum Vorwurf machen lassen muß.

Nur der Kampf führt zum Siege! Und ich werde kämpfen und wenn ich auch nicht siege. Es hat sich in mir eine Reihe von Ansichten über deutsches Leben, deutsche Sprache, Kunst und Wissenschaft gebildet, die ich zu einem Ganzen einen, zu einer großen Idee erheben, zu dem Zielpunkte meines ganzen Lebens hienieden hinstellen will. Mühsam habe ich alles das errungen, aus dem Wuste eingetrichterter Schulweisheit gerettet, mit Aufopferung und Entbehrung dem Frühlinge meines Alters abgezwungen; aber ich nenne es mein, es ist mein eigenstes Besitzthum, und wenn auch niemand mit mir Gütergemeinschaft eingehen will, so soll doch auch niemand mein Besitzthum mir rauben, beeinträchtigen, verunglimpfen.

Ich reise nicht so leicht wieder in Gesellschaft; jeder verfolgt seinen Zweck, d.h. in der Regel keinen. Wehe dem, der neben anderen, die nichts wollen, etwas will! Wie ärgert mich diese Flüchtigkeit, diese Oberflächlichkeit! Ich könnte noch heute im Dome sein – und meine Reisegefährten gönnen wir kaum so viel Zeit um nur das Wichtigste zu beschauen.

[84] Die bretterbeschlagene Wölbung stört, sie unterbricht sehr unangenehm die emporstrebenden Linien der Pfeiler, das Auge will einen Ruhepunkt, und da ist die Welt wirklich mit Brettern vernagelt. Der Chor ist ganz vollendet worden, zurückschauend daraus erfaßt man erst recht den hohen Gedanken des Meisters und vergißt die Armuth und Erbärmlichkeit unserer Tage, die nichts Großes beginnen konnte, nichts Großes vollenden wollte.

An den vielen Altären wird nach dem Rosenkranze gebetet mit niedergesenktem Blick; wie anders mußich beten, jeder Blick empor ist ein inbrünstiges Gebet zu Gott.

Wir stehen auf dem Gerüste vor dem berühmtesten Bilde der altkölnischen Schule, was hier neben uns ein Maler copiert. Diese lichte, strahlende Engelreinheit in den Jungfrauengesichtern, diese Verklärtheit ihrer Augen, die sich alle in Einen Blick einigen, ihre Verehrung der Mutter Gottes darzubringen – copiere nur zu! dachte ich. Mir ist es immer, als ob die Künstler damals noch in den Himmel geschaut hätten und wir Modernen könnten vor allerlei Studien und Lectüre in Italien und sonstwo nicht mehr dazu kommen.

Es ist heut ein lebendiger Tag in Köln, die Procession von Kevelaer kehrt zurück. Diese vielen tausend Menschen, voran wehende Fahnen, Geistliche im Festschmucke, Panken und Trompeten, und nun, im Zuge Alte und Junge, Gesunde und Kranke, durch einander singend und betend, dann hinterdrein einige hundert Wagen mit Fähnlein geziert – wer kann leugnen, daß ein solcher Zug irgend ein Interesse erwecken muß in dem Hörer und Zuschauer? Aber ich erkläre mir dies Interesse nicht aus der religiösen Beziehung dieses Zuges, sondern lediglich aus der Masse Menschen, der jeder leicht den reinsten Zweck, den schönsten Willen oder sonst etwas Interessantes anpoetisieren kann, zumal wenn er etwas fern steht, und nicht erfährt oder erfahren will, was es denn eigentlich mit diesen Wallfahrten für eine Bewandtniß hat. – Ja, und wenn auch wahre Andacht und Reue vorhanden, ist es nicht ein furchtbarer Gedanke, daß Menschen Heil und Segen meilenweit von einem hölzernen Bilde, von einer Puppe sich holen! und daß mitten in unserem tausendjährigen Christenthume solche Heidengräuel noch sind wie zu Zeiten der Apostel!

[85] Ich höre, daß man es hin und wieder unserer Regierung hoch anrechnet, daß sie die Wallfahrten, die in französischer Zeit so streng verboten waren, erlaubt; aber ich höre von rechtschaffenen und einsichtsvollen Geistlichen große Klagen darüber erheben und der Regierung Vorwürfe darüber machen. Meines Erachtens thun beide unrecht daran, da die Regierung vorläufig in Religionssachen gar nichts thun will, weil Alles was in Bezug darauf geschähe, so wie es nur preußisch hieße, noch mehr gehaßt würde. Aber die Regierung hat noch ein Mittel in Händen, womit sie Wunderdinge thun kann: Schulen und Universitäten, und diese Wunder werden bald alle Wunderdinge übertreffen, welche die Muttergottes in Kevelaer seit Jahrhunderten verrichtet hat.

Den anderen Tag besuchten wir in den Morgenstunden die Wallraf'sche Gemäldesammlung, die nach der Boisserée'schen vielleicht in geschichtlicher und künstlerischer Hinsicht den ersten Rang unter den eigentlich altdeutschen Gallerien behauptet. Die große Masse der Gemälde, die Mannigfaltigkeit der Gegenstände aus der heiligen und Profangeschichte, die Verschiedenartigkeit der Darstellung eines und desselben Ereignisses, der Wechsel in der technischen Behandlung – alles das verwirrte meinen Blick und ließ mich zu keinem ruhigen Genusse kommen, so sehr ich mich auch zwang, bei dem einen und dem andern Bilde zu verweilen. Zuletzt ward meine Unruhe so groß, daß ich mich vor dem heiligen Sebastian hinsetzte mit dem Entschlusse: nun auch weiter nichts mehr zu sehen, um doch etwas Ganzes, eine klare Vorstellung aus diesem Bildermeere heimzubringen. Es gelang mir, aber ich bedauerte bald, daß ich doch außer dem heiligen Sebastian gleichsam nichts weiter gesehen hätte. Um so erfreulicher ward es mir in der Zukunft, daß ich bei dieser Gelegenheit einen Mann kennen gelernt, dessen ganzes Wesen immer meine Achtung und Bewunderung in Anspruch nimmt. Und das war Wallraf, der Stifter dieser herrlichen Sammlung und aller übrigen öffentlichen Sammlungen Kölns. Ich sah ihn heute zum ersten Mal, er führte uns selbst umher und ich unterhielt mich viel mit ihm. Sein ganzes Äußere war bescheiden und anspruchlos, aber es sprach aus allem etwas Edles und eine Würde, die nicht allein das Alter zu geben vermag; und obschon er jetzt 71 Jahre alt war, so blitzte doch noch aus den klaren großen Augen, die von den weißen Augenbrauenüberschattet [86] wurden, mitunter ein Jugendfeuer und in seinem Lächeln lag eine Heiterkeit, als ob er ein Jüngling fortan geblieben sei.

Desselben Tags in der Dämmerung kommen wir in Düren an. Nach Tische suchen wir uns ein trauliches Eckplätzchen und lassen uns bei einem Schöppchen nieder. Wir sind hier ganz unter uns, thun wie zu Hause, unbekümmert um die vielen Gäste, die sich uns neugierig ein nach dem andern bis auf einige Schritte nähern. Zuerst erzählen wir uns von unsern heutigen Erlebnissen, wie hier und dort die Leute, wol wegen gewisser Auffälligkeiten in unserem Anzuge und besonders wegen unserer langen Bärte, vor uns fortgelaufen, wie die Kinder uns jubelnd mit hepp! hepp! nachgefolgt, wie wir überall verhöhnt und ausgelacht sind u. dgl. Dinge mehr, die wir mit einem Selbstgefühl ertrugen, als sei es rein unmöglich, überhaupt nur etwas Lächerliches an uns zu finden. – ›Stoß an! es lebe ...‹ ›Noch eine Flasche! Der Wein ist wirklich ganz vortrefflich.‹

Es bleibt doch immer eine feine Sitte, dies Lebenlassen, wenn man selbst so anmuthig lebt, so sorglos um das Morgen und Heute, und dann so recht von Herzen die ganze Welt leben läßt. Die Leute scheinen sich höchlich zu wundern über unsere Lebhaftigkeit und den männlichen Ernst in unserer Unterhaltung; und wir hätten uns über uns noch mehr wundern sollen! Wir fühlen uns wechselseitig näher als jemals, unsere Herzen so harmonisch, jede Äußerung nichts als Liebe und Zutrauen zu dem andern! und doch stehen wir uns so ferne! Aber hier übte der Wein seine Zaubermacht. Ja, ich will's gestehen, und wenn's meine größte Schwäche wäre, ich bin dem guten Weine herzlich gut, ich verdanke ihm mit die schönsten und heitersten Stunden, Stimmungen, wo mein Geist seiner Ewigkeit froh ward, wo ich vor den Sternen des Glücks die dunkle Erde nicht sehen und ihre Leiden, ihre Mühsale, ihre Lüge, ihren Haß nicht einmal glauben konnte.

Der Wein ist eine verkörperte Idee der Liebe, und nur wer für Liebe empfänglich ist, nur der versteht diese Idee, nur der erfährt es im Leben, wie sie verständigt, vermittelt, versöhnt, vereinigt, heilt, stärkt, begeistert.

Folgenden Tages gegen Abend kommen wir nach Aachen. Mit einem wunden Fuße lege ich mich schlafen, und beim Aufstehen ist [87] er noch wenig besser. Ich muß im Gasthofe bleiben, und sitze nun eben hier auf einem Schilfrohrsessel so nachdenklich, als ob ich sonst nirgend in der Welt Zeit dazu gehabt hätte und nur darum nach Aachen gekommen wäre. Ist es denn nicht Unglück genug, daß wir unglücklich waren? muß denn nun auch die Erinnerung unser Unglück festhalten, erneuen, vergrößern? Morgenträume des Glücks, geht ihr so in Erfüllung über? – Mein Vater ist todt, meine Mutter, meine Schwestern todtkrank, Haus und Hof in fremden Händen, mein Bruder in der Ferne, und ich? heimatlos, ohne alle Aussicht, ohne alle Hoffnung, so arm an Trost und – könnte ich nur weinen, ich wäre noch glücklich; aber auch das nicht mehr. Wie ein Gefangener sitz' ich hier, dem die ganze Welt mit ihrem Frühlinge und ihren Freuden sich verschloß, dem selbst die Erinnerung daran geraubt ward, ja dem man das Leben ließ, damit es ihn quält und plagt. Unterdessen wurde es lebendiger unter meinem Fenster. Mich trieb's aus meinem Zimmer, weiß selbst nicht wie, ich hinkte hinunter und – da stand ich mitten auf dem Markte, und als ich nun dies lebendige Leben und Treiben, diese Gesundheit und Fröhlichkeit so recht in der Nähe wahrnahm, da weint' ich und fragte mich, warum man so sehr trauern könnte in einer Welt, wo so viel zu thun ist, andere zu erfreuen, zu beglücken.

Nachmittags bestiegen wir den Loysberg. Die Aussicht ist befriedigend. Freilich wer immer und überall vergleicht, dem fehlt hier vieles und die Erinnerungen an die großen Begebenheiten, die sich an den Namen Aachen knüpfen, können ihm keinen Rhein, keine Mosel, keine Alpen und Gletscher, keine Schweizerseen herzaubern. Das Vergleichen einer schönen Gegend mit einer andern ist eine wahre Krankheit in gewissen menschlichen Naturen; sie können nie des Augenblicks recht froh werden, weil sie immer etwas Fremdartiges, etwas jeden Genuß Störendes aus ihren Erlebnissen und Wünschen hervorbringen müssen. Wie anders erscheint dagegen ein gesunder, kindlicher Sinn! Was ihm der Augenblick beut, das ist sein, er genießt, und unter dem poetischen Athemzuge seiner stillen Zufriedenheit gestaltet sich Alles zu einer willkommenen Gabe, das Unbedeutendste wird bedeutungsvoll, das Minderschöne zeigt doch eine Seite, worüber man sich freuen kann.

Man wird wenig mehr vom Bade gewahr, die eigentliche Curzeit [88] ist schon vorüber, und das bedauere ich auch keinesweges. Es ist für mich ein beunruhigender Anblick, so schaarenweise nichts als kranke, leidende, abgehärmte, bleiche, finstere, langweilige Gesichter zu sehen; es betrübt und verdrießt mich, wenn ich mich herumtummeln muß unter einer Masse Menschen, die nichts weiter auf Gottes Welt zu thun haben, als jeden Augenblick vorschriftsmäßig zu ihres Leibes Heil und Seligkeit anzuwenden! Nein, ich kann nicht begreifen, wie ein Gesunder, der nicht etwa Geld oder sogenannte Menschenkenntniß einsammeln will, auch nur eine Woche hier verweilen kann!

Im Gasthaus gesellte sich zu uns ein preußischer Hauptmann; er zeichnete sich durch ernste Haltung und Gediegenheit der Gesinnung vor der übrigen Gesellschaft aus und erwarb bald unsere Liebe und Achtung. Man hörte es ihm an, daß ihm seine Ansichten und Urtheile nicht so angeflogen waren, wie manchem Schwätzer, sondern daß er die wichtige Frage:warum und wozu man lebt? sich genügend zu beantworten getrachtet hatte. Wir unterhielten uns lange mit ihm, erst gegen Mitternacht nahmen wir Abschied von einander. Ich muß gestehen, ich that's mit einer freudigen Bewegung meines Herzens, denn daß ich künftig eine Erinnerung mehr haben sollte, die mir einen edlen Charakter vergegenwärtigen könnte, – das war eben die letzte Freude dieses Tages.

Uberhaupt etwas verlange ich von jedes Menschen Leben, ein Etwas, das seine Begierden und Leidenschaften veredelt, seinen Willen heiligt und sein ganzes Sein und Thun erwärmt und begeistert; eine Idee, die ihn von dem Gemeinen und Alltäglichen entfernt, und ihn in jeder Lage, in jedem Verhältnisse auf einer Höhe hält, wohin kein böser Leumund sich wagen darf. Auch in meinem Leben finde ich den Trost, daß mehr als eine solcher Ideen darin sichtbar ward, zuerst Vaterland, dann Liebe und Kunst und endlich Freundschaft und Wissenschaft. Aber das Alte wird wiederkehren, noch Einmal heißt es: Liebe und Kunst, und zuletzt Vaterland, aber nicht dieses, was ich gefunden, wofür ich leben und wirken wollte und konnte, jenes himmlische Vaterland, jene Heimat, die den letzten Wunsch und die letzte Hoffnung mit Mutterarmen empfängt.

Kaum haben wir Aachen verlassen, so sind wir auch schon auf niederländischem Boden. Es thut mir ordentlich weh, daß das schöne Limburger Land uns nicht gehört, und wie schade um unsere Schifffahrt[89] – nur wenige Meilen von der Maas zieht sich unsere Gränze hin. Dieser kleine Zipfel vom rechten Ufer der Ourthe und Maas, oder von Stablo bis Venlo wäre mir lieber als das halbe Großherzogthum Posen! Allerdings ein schönes Ländchen, voll lebendiger, frischer, gewerbthätiger Menschen, Städtchen an Städtchen, Dörfer an Dörfern, überall grüne Wiesen, Gebüsche, Viehheerden, lauter frohe reiche Aussichten und besonders an einem so heiteren Tage. Die Straße, worauf wir gehen, liegt etwas hoch, und scheint nicht allein zum Gehen, sondern auch zum Sehen ordentlich eingerichtet zu sein. Schon am frühen Morgen begegnen uns Leute von allerlei Gewerben, Bauern und Bürger, jeder lacht uns an und grüßt uns wallonisch, und wir antworten in allerlei Sprachen, was jenen denn eben so lächerlich war als uns ihr Wallonisch. Wo wir unterweges einkehren, ist des Staunens kein Ende; aber das stört mich weniger als die unverschämte Ansprache der Betteljungen vor und hinter den Dörfern, sie begleiten uns kläglich bittend und stellen sich vor uns im dicksten Staube auf den Kopf und schießen Purzelbaum. Man erzählt viel von dergleichen Bettlerpoesie in fernen Landen, ich finde sie aber weder nothwendig für eine schöne Gegend, noch ruhmvoll für einen Staat. Ich habe keinen Sinn dafür und mag auch keinen dafür erlangen; es ärgert mich immer, wenn die Natur den Menschen beschämt und wenn ein Künstler durch Bettler den Reichthum seiner Landschaft hervorheben will.

Doch was kann mich überhaupt stören, so lange ich in einem paradiesischen Garten genießend lustwandle? Die Frische des Grüns und die heitere Bläue des Himmels erquickt und belebt mich; hin und wieder zirpt ein Vogel, aus einem Meierhofe tönt ein Volksgesang, ich höre nur und sehe, spreche gar nicht und gehe weiter, ich fühle mich so allein und doch Allem was mich umgiebt, liebend genähert und befreundet. Es liegt etwas Versöhnendes in einer solchen herrlichen Gegend; ich freue mich, daß die Natur noch immer ihre alten Wunder an mir thut; schon dafür daß sie mir die lieblichsten Erinnerungen an meine Heimat weckt, an die Sonnentage meiner Kindheit, gebührt ihr Dank und Liebe meines Herzens. Armes Stadtkind, wenn du nur zwischen steinernen Häusern und in öden Hofräumen aufwächsest! wenn du die lebendige Natur nur aus Tapeten und Bilderbüchern kennen lernst! – Jede Erziehung sollte billig immer dafür sorgen, daß die Heimat des Kindes ein reiches Feld [90] von belebenden und mannigfaltigen Erscheinungen und Anschauungen ist, ein Garten, drin das Kind sein zartes Leben frei und ungestört in Unschuld wie die Blume entwickeln kann. Wo die Erziehung des Menschen keine Geschichte hat, muß sie in späteren Jahren gleichsam immer wieder beginnen; das Kind bewahrt keine Gefühle und Anschauungen, woran sich das Verwandte anknüpfen, womit sich das Neue und Überraschende der Erscheinung harmonisch vereinigen ließe. Unser väterliche Garten hat mehr Antheil an der Entwickelung meines ganzen Seins als manche spätere wohlgemeinte Ermahnung; die Blumen und Bäume, die Lauben und Schattengänge, die singenden Vögel und bunten Schmetterlinge reden noch immer aus jenen Tagen herüber ihre freundliche Sprache, ich sehe und höre noch Alles wieder, ich lebe noch immer im vollen Genusse dieses reichen Schatzes an Poesie und Lebensfreude.

Zu Mittage waren wir in Herve, wir nehmen dann unsern Weg weiter nach Lüttich zu. Bei Sonnenuntergange nähern wir uns der Stadt. Die Heerstraße wird lebendiger, aber auch staubiger; ganze Schaaren von Tagarbeitern, die wahrscheinlich die ganze Woche über in Lüttich beschäftigt waren, scheinen jetzt auf den Sonntag zurück in ihre nahe Heimat zu gehen; sie sind guter Dinge und aus ihrem spöttelnden Jubel läßt sich leicht abnehmen, wie das Gefühl des mühselig verdienten Wochenlohns sie sorglos, sicher und übermüthig macht. Ein solches Gefühl hat gewiß bei diesen armen Leuten etwas sehr Verzeihliches, aber ich wünsche ihnen ein besseres: nicht dieses augenblickliche rauschartige Bewußtsein der Güter des Lebens, sondern den dauernden Genuß, den ihnen ein heiterer Sinn und religiöse Zufriedenheit gewähren kann. Ich weiß recht gut, daß jeder Erwerb, zumal noch jeder würdige und ehrenvolle ein Selbstgefühl erzeugt, wovon der Kraft- und Thatlose kaum zu träumen weiß; aber in eben diesem Gefühle, so schön und lobenswerth es ist, liegt doch auch wieder so etwas Unersättliches, daß es leicht ohne Verdienst befriedigt wird, und dann uns vor uns selbst und vor andern erniedrigt. Wehe dem, der schon am Morgen seines Lebens gethan zu haben denkt, was anderen nach tausend Mühsalen, Opfern und Entbehrungen noch nicht gelingen will!

So kamen wir denn nach Lüttich. Dort folgte uns beim Eintritt in die Stadt im Jubel der ganze Troß schaulustiger Leute nach und [91] die Jungen ließen es an hepp! hepp! und einigen derben Artigkeiten nicht fehlen, und so gelangen wir bei der größten Theilnahme des Publicums in unser Gasthaus. Schon die wenigen deutschen Worte, womit uns der Kellner empfing reichten hin, unsern Kummer für den Augenblick zu stillen. Aus dem Munde eines Fremden und noch dazu in der Fremde erfahren wir erst recht, was die Muttersprache für eine Bedeutung hat, wir fühlen uns geborgen und heimisch und der liebenden Theilnahme der Gesellschaft wiedergegeben. Aber leider wurden wir bald von neuem getäuscht; man glotzte uns habgierig an, als sei's nur lediglich auf unseren Geldbeutel abgesehen. Die schlechte Bewirthung entsprach ganz den Blicken der Gastgeber.

Wir gedachten länger hier in Lüttich zu verweilen, aber der gestrige Tag hat meinen Reisegefährten alle Lust verleidet; sie wollen nichts mehr von Lüttich wissen, wollen bis den Augenblick zu Hause bleiben, bis das Schiff nach Maastricht abgeht. Ich benutzte anders diese Morgenstunden. Es ist gerade Sonntag und die Straßen sind noch belebter als gestern. In Begleitung zweier junger Wallonen wandre ich von einem Ende der Stadt zum andern.

Um Mittag bestiegen wir das Marktschiff nach Maastricht. Die Ufer der Maas sind schön, freilich keine Rhein- und Moselufer, aber eben darum fahren wir ja auch auf der Maas. Die kleinen grünen Berge, die den Fluß umschließen, die freundlichen Dörfer an beiden Uferseiten, dann die lustigen Leute auf den vorüberfahrenden Schiffen, das wirklich sonntägliche Wetter, ein ununterbrochener Sonnenschein, und nun noch unsere Ruhe auf dem Verdecke im Anschauen aller dieser Herrlichkeiten neben und über uns – ich war still und zufrieden und lebte ganz dem Augenblicke, der immer eine neue freundliche Aussicht in die Welt darbot. Ich weidete bald mit den Hirten auf den Wiesen, bald warf ich mit dem Fischer mein Netz aus, bald saß ich an einer Felsenecke mit einem Knaben und blickte erwartungsvoll auf die ausgeworfene Angelschnur; dann zog ich mit den jubelnden Landleuten auf die Kirmeß, dann lief ich mit den Kindern um die Wette und war nicht der letzte am Ziele – ja, es ist ein erquickendes Gefühl, eine wahre Sonntagsfeier, an den Freuden fremder Menschen sich mitzufreuen. Man muß aber auch von früher Jugend dergleichen Freuden für wirkliche Freuden erkannt haben, um dafür empfänglich zu bleiben, man muß sie mit erlebt haben, um wenigstens durch die [92] Erinnerung ihrer theilhaftig werden zu können. Unsere vornehme, entfremdende Erziehung verstopft uns aber so viele Quellen der Fröhlichkeit, daß uns Eitelkeit und Selbstsucht oft am Ende als einzige Quelle überbleibt, woraus wir zu schöpfen verdammt sind. In der Achtung jedes Standes und Gewerbes, welches nothwendig und ehrlich zugleich ist, soll das Kind aufwachsen; soll lernen, daß alle Güter der Erde für alle Menschen bestimmt sind, daß nicht etwa diese und jene ein ausschließendes Recht darauf haben, daß der Werth dieser Güter nur ein rein willkürlicher ist, das Herz aber diesen Werth bestimmt und ihren Genuß zu einem gottwohlgefälligen macht.

Schon sahen wir die Thürme der Stadt. Das linke Maasufer mit seinen vielen Wirthshäusern wird belebter, näher der Stadt zu in den langen Lindenalleen lustwandelt die Maastrichter schöne Welt. Wir landen. Leute von allen Richtungen her strömen herbei. Wir sind umringt und müssen uns durchdrängen. Ein Dragoner kommt auf mich zu: ob wir Dienste nehmen wollten? ›Nein, nein, nichts der Art.‹ Man drängt sich hinter uns drein. Die Kinder werden lauter, hin und wieder fällt schon ein vernehmliches Hurrah! Die Thorwache läßt uns jedoch ruhig einziehen, der Unteroffizier hält es aber für besser, uns durch einen Dragoner zur Hauptwache geleiten zu lassen. So etwas geschieht sonst nie oder doch höchst selten, uns wird diese absonderliche Ehre zu Theil. Treulich begleitet uns nun der große Troß lustiger Buben, die jetzt ein fürchterliches hundertstimmiges Hepp! hepp! anstimmen. In allen Gassen mehrt sich der Troß; man reißt die Fenster auf, tritt hastig vor die Thüren und lacht uns an und aus. Und so in einem Triumphzuge, wobei wir die gefangenen Könige sind und der Maastrichter Pöbel den Senatus Populusque Romanus macht, ziehen wir in die Hauptwache ein. Die Officiere begegnen uns mit der größten Artigkeit, gleichsam den Fehler ihres Unterofficiers wieder gut zu machen, sie lesen unsere Matrikeln, trösten uns über den unangenehmen Vorfall und bitten uns, doch noch eine Weile bei ihnen zu verziehen, bis das Publicum ruhig geworden sei. Wir bleiben auch wol ein Viertelstündchen, aber das Publicum will nun einmal einen befriedigenden Schluß dieses Dramas sehen. So wie wir uns wieder blicken lassen, beginnt Alles im lautesten Jubel seine Wanderung mit uns; die halbe Stadt [93] ist wie im Aufruhr. Endlich stehen wir vor dem Gasthofe au Lévrier oder nach der Volkssprache: hazenwind. Die Wirthin ist eben auf das Geschrei von draußen hervorgesprungen, sieht uns an und erschrickt nicht wenig. Wir bitten freundlichst um Aufnahme und treten in das große Gastzimmer ein. Hier bekam ich die erste Idee von holländischer Nettigkeit. Die Wände sind mit Tapeten, Gemälden und Kupferstichen geziert, vor den hellen Fenstern hängen die feinsten Gardinen, über den hohen Spiegeln weiße Florvorhänge, die Möbeln alle geschmackvoll gearbeitet blinken von Reinlichkeit, das ganze Innere hat etwas Trauliches. Wir setzen uns sogleich zum Vespermale nieder und die gute Frau mit uns. Unterdessen erscheint die Tochter vom Hause; sie hatte unterweges gehört, es seien wieder so Leute angekommen wie neulich, aber viel wilder. Es wohnte nämlich neulich in demselben Gasthofe ein Türke, auf dessen Erscheinen den ganzen Tag über viele Menschen vor dem Hause zu passen pflegten. ›Mutter, begann das hübsche Mädchen, wir haben ja wol wilde Menschen bekommen, ich möchte sie gern einmal sehen.‹ – ›Da sind sie‹, erwiederte die Mutter, und wir wurden uns wechselseitig vorgestellt. Das liebe Kind wurde sehr roth und sehr verlegen, als wir unser Lachen am Ende doch nicht bergen konnten. Draußen tobten die Gassenjungen noch munter fort; vor jeder kleinen Öffnung der Fenster, wo nämlich die Gardine sie nicht deckte, standen zwei, drei, und schrieen uns ihr Hurrah! zu.

Es war unterdessen Abend geworden. Die Wirthshausruhe sprach mich nicht mehr an; ich verließ meine Reisegefährten und wandelte allein in der Stadt umher. Nahe am Markte liegt eine Kirche. Ich gehe hinein. Das Halbdunkel, sie war nur spärlich erleuchtet, und das Gemurmel der knieenden Betenden, Alles machte mir bange, es war so etwas Graun- und Geisterhaftes darin, ich mußte bald fortgehen. Ich glaube, ein Katholik wird niemals dies drückende Gefühl haben; wir aber von Jugend auf an eine heitere helle Gottesverehrung gewöhnt, bei der Armuth an Ceremonien angewiesen und beschränkt auf den Reichthum innerer, von allem äußern Pompe und Glanze unabhängiger Andacht, werden uns immer unheimisch finden bei der Ausübung der vielen heiligen Gebräuche der römischen Kirche. Jeder öffentliche Gottesdienst hat sein Nothwendiges, sein Erhebendes, und eben dadurch wohlthätig Wirkendes. Nicht jeder Mensch hat die Gelegenheit, [94] nicht jeder die Kraft und den guten Willen, für das Heil seiner Seele zu sorgen. Aber dies sich Abfinden und Fertigwerden mit dem lieben Gott, was besonders durch die zur Gewohnheit gewordene strenge Beobachtung äußerer gottesdienstlicher Gebräuche so leicht erzeugt wird, ist doch dem Sinne des wahren Christenthums schnurstracks entgegen. Der Christ hat keinen schönern Tempel, wo er Gott verehrt, wo er die Opfer seines Dankes und die Gelübde eines gottwohlgefälligen Lebens darbringt als sein eigenes

Herz. Der Lehrer des Volks, der Erzieher der Jugend, der Rathgeber und Tröster in unseren Kümmernissen und Nöthen sollte es für seine schönste und heiligste Pflicht ansehen und ausüben, in der Welt überall darauf hinzuwirken, daß jedes Menschenherz ein Tempel, eine würdige Wohnstätte Gottes würde.

Am folgenden Tage besuchen wir die sogenannte Maastrichter Höhle, es sind die Steinbrüche des St. Petersberges, der etwa 180 Fuß hoch nahe bei Maastricht liegt zwischen der Maas und dem Flüßchen Jaar (oder Jecker). Bei dem hellsten Sonnenscheine beginnen wir unsre unterirdische Wandrung; sobald uns das Tageslicht verläßt, zünden wir unsere Fackeln an. Unser Führer, vor uns herschreitend, erzählt schon von den Merkwürdigkeiten, bei denen wir eben angelangt sind; wir folgen aufmerksam zuhörend. – Welch eine großartige, alle Erinnerungen und Ideen überwältigende Erscheinung! Tausende von Säulengängen sich immer und immer wieder durchkreuzend, oft 45 Fuß hoch und gegen 15 Fuß breit. Wie verschwinden dagegen die weltberühmten Katakomben Roms! Seit vielen Jahrhunderten, ja schon seit den Römerzeiten ward der Petersberg ausgehöhlt. Dieser kalksteinartige Tufstein wird noch jetzt darin bearbeitet, an die freie Luft, wo er sich härtet, hervorgeschafft und dann nahe und weit versendet. So haben sich diese tausende von Säulengängen gebildet, ein undurchforschliches Labyrinth. Welch eine Geisterstille! das Wort erstirbt gleichsam auf den Lippen; wir singen, aber von den dunklen Wänden hallt nichts wieder. Das Gefühl der Einsamkeit wirkt wol nirgend fürchterlicher als hier; das Erlöschen unserer Fackeln – und wir samt unserem Führer sind Opfer der Verzweiflung und des Hungertodes. In der unabsehbarsten Sandwüste schmachtend umherziehen, an einer öden Insel Schiffbruch leiden, auf den Gletschern der Schweiz sich verirren, – ja, es verfolgt uns überall das Gefühl einer schrecklichen [95] qualvollen Einsamkeit; aber der Himmel ist doch über uns, seine Sonne und seine Gestirne trösten uns. Hier aber in diesen Höhlen erinnert nichts an das Leben; hier nur Nacht, geisterhaftes Grauen, Todtenstille.

Anderthalb Stunden hatten wir umhergeirrt. Das trübe Fackellicht und die undurchdringliche Finsterniß vor und hinter uns, die langen mattbeleuchteten Wände, die keinen Strahl des Widerscheins gaben – ich fühlte eine heiße unendliche Sehnsucht nach dem Tageslichte, nach dem lebendigen, belebenden Lichte. Wir nähern uns schon dem Eingange, niemand aber von uns weiß es, als wir plötzlich aus weiter Ferne das Himmelslicht erblicken. Wie ein Blinder, der zuerst nach Jahre langer Finsterniß wieder sieht, so stand ich da; dieser Anblick war mir so etwas Neues, überaus Wunderbares, Entzückendes, ich konnte mich gar nicht satt sehen. – Wird es mir in diesem überwölbten Erdenleben mal ebenso helle!

Schon seit früher Jugend hielt ich das Reisen für eine Hauptquelle der Erfahrung und Belehrung. Ich erinnere mich noch recht gut, wie ich Tage lang 1811 die Landkarten studierte, um den Weg mir aufzuzeichnen, den ich damals mit meinen Eltern aus einer kleinen Cantonstadt zur Hauptstadt des Königreichs Westfalen nehmen sollte, wie fleißig ich mir die Sehenswürdigkeiten, die unterweges vorkommen sollten, schon im Voraus merkte. Eine große litterarische Reise, wozu ich hinlänglich mit Kenntnissen und Hülfsmitteln ausgerüstet wäre, gehörte zu meinen damaligen Lieblingswünschen. Ich reiste nun schon bis jetzt durch viele Gegenden Deutschlands und kann wol sagen, wo ich mich befand, überall schwebte mir irgend ein wissenschaftlicher Zweck vor, den ich auch immer und wenn auch nur theilweise erreichte; jetzt aber wußte ich wahrhaftig selbst nicht mehr, wozu ich reiste. Um mich recht zu freuen, war ich nicht unabhängig genug; um mich zu belehren, durfte ich nie die Gelegenheit benutzen. Schon beschloß ich, rechts hinauf in das eigentliche Holland zu wandern; aber ich fühlte mich zu sehr, wie durch ein feindseliges Geschick an die Willkür zweier Menschen gebunden, die nur sich für den Mittelpunkt ansahen, um den sich alle meine Neigungen und Wünsche drehen mußten.

Am Nachmittage wanderten wir weiter. Unser Geld war merklich zusammengeschmolzen, wir übernachteten in Herve und lebten sehr mäßig; am folgenden Morgen hatten wir nicht [96] das Herz in Verviers einzukehren. Bald hinter Verviers hebt sich das Land, es wird wilder und unwirthlicher; aber diese letzten Abdachungen des furchtbaren Waldgebirges, der Ardennen, gewähren doch auch wieder manchen Punkt, der uns um so schöner dünkt, je düsterer die umliegenden Gegenden uns anblicken. Bei stets abwechselndem Wetter, wo bald Wolken und Wolken sich jagen, dann wieder die Sonne freundlich hervorglänzt, erreichen wir zu Mittage Spaa. Man ahndet vorher kaum, daß sich in solcher Öde, auf unfruchtbarem steinichten Boden, in Gesellschaft dürrer Fichten, bräunlichten Heidekrauts und hungriger Wölfe Menschen ansiedeln konnten, ja sogar aus fernen Gegenden dahin zum Vergnügen und zur Gesundheit reisen können. Wir kehren ein und hoffen uns an einem so berühmten Orte recht gütlich zu thun, wir haben den vortrefflichsten Appetit und auch guten Willen, mit unsrer Baarschaft nicht zu geizen. Wir kehren also ein und zwar wie immer in das beste Gasthaus. Die Rechnung übersteigt alle Begriffe, die ein vernünftiger Mensch von dem Werthe eines elenden Frühstücks haben kann. Doch es hilft nichts, wir müssen zahlen und können getrost weiter wandern.

Dasselbe Spaa, was wir von der drübigen Seite so freundlich vor uns sahen, erschien uns jetzt in einer finstern verächtlichen Gestalt. Die Sonne war verschwunden und von Osten her zogen schwarze Gewitterwolken über uns auf; in den öden Straßen ritten bleiche Engländerinnen in ihren langen dunkelblauen Reitkleidern wie Gespenster einher, und einige einheimische Gesichter glotzten uns aus den kleinen Fenstern der letzten Häuser stier und unheimlich an und schlugen ein lautes Hohngelächter über uns auf. Wir aber wandern traurig und ernst die Höhen hinan, wir wissen nicht, wo wir die Nacht zubringen und wie wir mit unsern paar Groschen Trier erreichen sollen. Da lacht uns die Sonne abermals freundlich an und die ganze Gegend, wir werden recht froh und guter Dinge, und fühlen uns reicher als vor der Ankunft in Spaa. Doch unsre Freude währt nicht lange. Der Himmel umwölkt sich rings, ein schweres Gewitter steht über uns; als wir eben einen zweiten Berg besteigen, läßt es sich furchtbar nieder, es blitzt und donnert unaufhörlich und gießt in Strömen herab. Wir gehen gelassen weiter, und obschon es dicht neben uns einschlägt, daß Schweder, der vor [97] mir her geht, einen Seitensprung macht, so kommen wir doch mit einem tüchtigen Wasserbade bis auf die Haut davon. Wie ein rettender Engel winkt uns da auf einmal Malmedy in einem lieblichen grünen Thale, Malmedy, die erste preußische Gränzstadt. Wie doch die Hoffnung belebt! Ich ward ganz warm in meinem Wasserpanzer und freute mich schon auf die Freude, die ich haben würde bei einem Kaminfeuer unter der Fürsorge freundlicher Menschen.

Der Gefälligkeit zweier preußischen Zollbeamten gelingt es, uns ein erträgliches Zimmer bei dem schwarzen Bären zu verschaffen. Ein Kaminfeuer wird schnell angezündet; unsere Wirthin, eine ehrliche Stockfranzösin ist recht bekümmert um uns, sie verschafft uns, was wir in unserer Lage nur wünschen und verlangen können: wir trinken Thee mit Rothwein und lesen den Faust.


Was kann die Welt mir wol gewähren?
Entbehren sollst du! sollst entbehren!
Das ist der ewige Gesang,
Der jedem an die Ohren klingt,
Den, unser ganzes Leben lang,
Uns heiser jede Stunde singt.

Warum denn den Faust? Ein deutscher Student pflegt außer einem Wegweiser und einem Commersbuche selten ein anderes Buch bei sich zu führen. Es ist auch so viel Erlebtes darin, Empfundenes und Gedachtes, daß man leicht etwas Verwandtes, Anregendes, und Unterhaltendes, Belehrendes, Begeisterndes, wiederfindet, daß man ferner dort den Faden der Erinnerung für Momente, die sich durch ein Tagebuch in Prosa nicht fixieren lassen, erfolgreich anlehnen kann.

Am folgenden Morgen ersteigen wir die erste Anhöhe der jetzigen Eifel. Eine wahre Lüneburgische Bergheide! Wir können stundenlang gehen und finden dann erst ein Haus, meilenweit und finden ein Dorf oder Städtchen. Ueberall kleine Berge, Heidekraut, Sandsteppen, dunkle Tannichte, dürftig bebautes Feld, wenig Vieh, und Menschen beinahe gar nicht. Bald diesseit Malmedy ist die Landessprache deutsch, der niederrheinischen Mundart ähnelnd, gerade wie sie in Urkundenbüchern der Eifel vorkommt. Die Volkstracht stimmt ziemlich zu der Bonner Tracht, nur die Weibermützen dehnen [98] sich schon oberhalb zu dem platten wulstigen Heiligenscheine aus, wie man sie auf alten Bildern und jetzt um Trier als gewöhnliche Kopftracht erblickt.

Das Wetter scheint sehr unbeständig hier zu sein; wir können kaum eine kurze Strecke wandern, wo uns nicht ein Regenwetter überfällt, und dann haben wir gewöhnlich keinen weitern Schutz als einen niedrigen Birkenbusch. Die trostlosen Aussichten und langen Wege ohne Gelegenheit und Mittel sich erquickend auszuruhen, ermüden sehr. Wir gehen auf dunklem Pfade in die Nacht hinein, wissen gar nicht mehr, ob wir uns verirrt haben oder bald ein Ziel unserer heutigen mühsamen Tagereise sehen werden. Als wir den letzten Berg ersteigen, steht der bleiche Mond vor uns von einem farblosen Regenbogen umgeben. Eine seltene Naturerscheinung, die uns zuerst wieder gesprächig macht, denn traurig und stumm war bisher einer dem andern gefolgt. Die Lichter unten im Thale und die kaum hervordämmernden Häusergruppen, wie unsere matten Glieder an dieser Wahrnehmung erstarken! Die Idee: du bist am Ziele! hat eine Alles aufregende, belebende Kraft. Ich fühle es heute wieder, wie manchmal früher; wenn ich nur noch träumend den müden Körper hinschleppte, durstig und hungrig, unkundig des Weges, und dann eine Thurmspitze, ein Licht erblickte, Hundegebell oder Glockengeläute in der Dämmrung hörte, – ich lebte gleichsam wieder auf und fühlte mich rüstig, noch viele Meilen zu vollenden.

Am 6. September abends spät, von langer Wanderung bei Hunger und Durst völlig erschöpft, trafen wir in Trier ein. Meine Glieder waren vom Gehen so steif, daß ich eine Zeit lang stehen mußte, ehe mir das Sitzen möglich war. Nachdem wir etwas genossen hatten, wurden einige Bekannte aufgesucht und in Anspruch genommen. Sie versahen uns mit etwas Reisegeld und wir setzten des anderen Tages unsere Reise fort. Wir suchten überall Richtwege auf und vermieden dadurch das wiederkehrende Einerlei der Mosel, welche unendlich viele Krümmungen macht. Es wurde wieder recht lustig gelebt und dem billigen leichten Mosel tapfer zugesetzt, als ob wir an der Mosel nicht genug gehabt hätten, sondern nun auch noch den Mosel dazu nehmen mußten.

Zu Anfange der zweiten Woche Septembers kehrten wir heim. Ich hatte viel gesehen und gehört, und manch Vergnügen [99] gehabt; das ganze Ergebniß aber stand in gar keinem Verhältnisse zu den Anstrengungen und Kosten. Was ich mir unterwegs schon mehrmals gelobt hatte, nie wieder in Gesellschaft und noch weniger auf gemeinschaftliche Kosten zu reisen, hielt ich später, und das war der größte Gewinn, den mir am Ende doch noch diese Studentenfahrt einbrachte.

Der Wunsch nach einer Stellung an der Bibliothek war noch immer unerfüllt geblieben. Welcker wollte mich vorschlagen: ich sollte die Bücher aufsuchen und ausgeben und dafür etwas Gehalt bekommen. Das war mir schon recht, mir lag besonders daran, auf die Weise die Bibliothek freier benutzen zu können. Leider gewährte sie in ihrem damaligen Zustande sehr wenig für meine germanistischen Studien. Das Bedürfniß litterarischer Hülfsmittel trat immer fühlbarer hervor und so dachte ich denn daran, mir selbst eine Bibliothek zu gründen. Freilich waren die Aussichten dazu sehr schlecht, vor allen Dingen gehörte dazu Geld, und das eben fehlte mir.

Trotzdem machte ich bald einen glänzenden Anfang: ich fand auf dem Bonner Markte eine Liederhandschrift aus dem 16. Jahrhundert und kaufte sie um 40 Stüber. Meine Freude war sehr groß. Zwei Studentenlieder theilte ich sofort in ihrer alten Schreibart in den ›Bonner Burschenliedern‹ mit, die übrigen Lieder verglich ich mit den bereits anderweit gedruckten und wollte dann die unbekannten oder solche, die sich hier in besseren Lesarten fanden, herausgeben. Ich suchte nun weiter bei den Trödlern und fand mehrere deutsche Handschriften, die aus dem Nonnenkloster Nonnenwerth stammten, und auch diese erwarb ich.

Seit dem 1. October wohnte ich in der Stadt am Markte. Ich arbeitete viel: ich sammelte für deutsche Sprache, Mundarten, Sitten und Gebräuche, Litteratur- und Culturgeschichte und sah zu dem Zwecke ganze Reihen von älteren und neueren Zeitschriften durch. Bernhard Mönnich, mit dem ich zusammenwohnte, wunderte sich oft, wie ich mich so ins Einzelne verlieren konnte. Ich gründete mir aber eben dadurch eine Sammlung, die mir mein ganzes Leben hindurch gute Früchte trug.

Sehr willkommen war mir, daß ich seit dem 13. November Bibliotheksassistent geworden: ich sollte in den öffentlichen Stunden auf der Bibliothek sein, Bücher holen, verzeichnen u. dgl. Ich war [100] nun außerdem noch manche Stunde dort, theils um die Bibliothek in ihrem ganzen Bestande kennen zu lernen, theils um selbst für meine Studien etwas zu finden und Entdeckungen zu machen. Ich hatte mir damals ein hohes Ziel gesteckt, das ich in meiner jugendlichen Begeisterung und im Vollgefühl meiner Kraft zu erreichen gedachte, wenn sich meine äußeren Verhältnisse nur irgend günstig gestalteten: es war diedeutsche Philologie. Ich begriff darunter das Gothische, Alt-, Mittel-, Neuhochdeutsche mit allen seinen Mundarten, das Altsächsische, Niederdeutsche und Niederländische, das Friesische, Angelsächsische und Englische, und das Scandinavische; ferner die deutsche Litteratur- und Culturgeschichte, alles Volksthümliche in Sitten, Gebräuchen, Sagen und Märchen, sowie endlich Deutschlands Geschichte, Kunst, Alterthümer und Recht. Ich wollte die germanischen lebenden Sprachen nicht nur verstehen, sondern auch sprechen. So wie in mehreren Mundarten so hatte ich es auch schon im Dänischen so weit gebracht, im Holländischen war ich nahe daran. Ich las manches Holländische, trieb Grammatik eifrig und sammelte aus einer Menge neuerer Liederbücher die wenigen zerstreuten Volkslieder. Zu meiner großen Freude fand ich das alte Amsterdamer Liederbuch, von dem niemand bisher etwas wußte. Meine Sammlung erhielt dadurch ihren besten und größten Zuwachs.

So kam der 1. Januar 1820 heran. Ich glaubte den Tag nicht besser feiern zu können, als daß ich mich über meine wissenschaftlichen Wünsche und Bedürfnisse gegen einen Mann aussprach, der mir Alles das was ich wollte, längst erreicht zu haben schien – ich schrieb an Jacob Grimm in Cassel. Schon in den nächsten Tagen erfolgte eine Antwort, die aber eigentlich keine Antwort auf meinen Brief war, wie denn Grimm sein Schreiben auch beginnt: ›ich beantworte Ihre freundliche Zuschrift sogleich, vielmehr ich beantworte sie noch nicht, welches ich besserer Muße vorbehalte.‹ Dennoch fand ich auch in diesen Worten eine Billigung meines Studienplanes und war sehr erfreut. Grimm bat mich um die eben erschienenen Bruchstücke des Mailänder Ulfilas von Castiglione und Angelo Mai. Ich sendete sie sofort an Grimm, dem ein großer Gefallen damit geschah, er war eben in voller Arbeit bei der neuen Auflage der Grammatik. Der von nun an mit ihm fleißiger fortgesetzte Briefwechsel wurde mir für meine Bestrebungen sehr lehrreich und für meine Arbeiten sehr förderlich.

[101] Die Sehnsucht nach den Meinigen war jetzt sehr groß. Meiner Mutter hatte ich schon lange versprochen, sie dies Frühjahr zu besuchen. Eines Tages verabredete ich mich mit Wilhelm Hengstenberg, bis in seine Heimat die Reise mit ihm gemeinschaftlich zu machen und dann von dort aus zu den Meinigen zu reisen. Karl Bädeker, der eben von Heidelberg auf der Reise zu seinen Eltern begriffen war, schloß sich an. In der vorletzten Woche 7 des März begannen wir unsere Wanderung. Wir waren alle drei recht munter, Wilhelm sogar ausgelassen. Er neckte und hänselte Alles was uns begegnete, wir hatten genug zu thun, seinem jugendlichen Uebermuthe zu steuern. Am Palmsonntag rückten wir in Elberfeld ein. Bädeker schlug den Weg nach Essen ein und wir verfolgten die große Straße nach Schwelm. Gegen Abend erreichten wir das obere Pfarrhaus in Wetter an der Ruhr. Der geliebte Sohn wurde herzlichst empfangen und man hieß mich, seinen treuen Begleiter freundlichst willkommen.

Wilhelm wollte sich nun in seiner neuen Würde als Student überall zeigen und nahm mich überall mit hin; wir machten fortwährend Ausflüge zu den Bekannten und Freunden seiner Familie. Eines Tages führte er mich auf ein benachbartes Gut. Die Frau vom Hause, Henriette ... empfing uns sehr freundlich, wir blieben den Nachmittag da, waren sehr heiter und gingen erst am Abend heim. Was ich bisher von ihr wußte, war mehr geeignet mich gegen als für sie einzunehmen. Sie war sehr jung an einen Mann verheirathet, mit dem sie bald eine sehr unglückliche Ehe führte. Sie wurde geschieden, behielt ihre beiden Kinder, nahm den Namen ihres Vaters wieder an und wohnte seitdem auf ihrem väterlichen Stammsitz. So freundlich und liebenswürdig sie war, so blieb doch aus ihrem Gesichte die Trauer über ein verlorenes Jugendglück, und ein Anflug unbefriedigter Sehnsucht und der Schmerz der Hoffnungslosigkeit. Volle dunkelbraune Locken umspielten das fast blasse Antlitz und in den feurigen Augen ließ sich eben soviel Gutmüthigkeit als Laune und Leidenschaft lesen.

Henriette fühlte sich immer allein, war auch meist allein: ein alter Vater, ein alter Hauslehrer, eine alte Kammerjungfer, also nur [102] Hausgenossen, bildeten den Kreis, auf den sie angewiesen war. Ihr Schicksal hatte sie vorsichtig gemacht in der Wahl ihres Umgangs, und ängstlich in ihren Aeußerungen mit Fremden. Es mußte sie sehr angenehm überraschen, jemanden vor sich zu sehen, der offen und heiter sich über Alles aussprach, von dem sie für sich und ihr Schicksal Theilnahme erwarten durfte. Ich fühlte, daß ich ihr nicht gleichgültig war. Ich schied in einer wunderlichen Stimmung, so daß Wilhelm mit mir scherzte: ›ich glaube, Du hast Dich verliebt.‹

Natürlich wurde der Besuch bald, sehr bald wiederholt. Wir wurden immer freundlicher aufgenommen, es wurde mir dort heimischer, so daß ich denn auch ohne Wilhelm hinging. Die Unterhaltung war dann sehr lebhaft und mannigfaltig. Ich mußte viel erzählen von meiner Kindheit, meiner Studentenzeit, meinen Wanderungen. Oft auch las ich etwas vor, am liebsten aus meinem treuen Begleiter, dem Faust. Ich hatte ihn zu oft gelesen, als daß ich ihn jetzt schlecht lesen sollte. Ich hatte das dankbarste Publicum. So wuchs denn unsere wechselseitige Neigung und wurde bei mir etwas leidenschaftlich. In meinem Liebesrausche fragte ich mich ängstlich: was soll daraus werden? Du bist nichts, Du hast nichts, Dein wissenschaftliches Leben ist erst im Beginn, mit allem Deinem schönen Streben, Deinen herrlichen Entwürfen könnte es leicht zu Ende gehen, wenn Du durch äußere Verhältnisse gefesselt Pflichten übernimmst, die Deine Zeit und Kräfte vorweg in Anspruch nehmen. – Aber alle diese Bedenken machten mich nur ruhiger, aber nicht hoffnungslos. Was ich nicht mündlich auszusprechen vermochte, wagte ich schriftlich und ehe ich Wetter verließ, erhielt Henriette meinen ersten Brief (14. April). Den anderen Tag reiste Wilhelm nach Bonn und ich in meine Heimat.

In den letzten Tagen Aprils hatte ich Fallersleben erreicht. Ich wollte die Meinigen überraschen: um in den Garten zu gelangen stieg ich über einen Zaun und hielt mich dann an dem Rahmen einer Laube, worauf ich sonst als Knabe oft spaziert war. Das Holz war morsch geworden, es brach und ich fiel mit Sack und Pack in den Garten. Schlechte Vorbedeutung. Der Garten war schön hergerichtet, ich freute mich über die vielen prachtvoll blühenden Frühlingsblumen. Ich ging dann über den Hof ins Haus, und – traf [103] niemanden von den Meinigen. Die jüngste Schwester 8 war ausgegangen, die älteste verheirathet und die Mutter bei ihr zum Besuch. Bald heiterte sich Alles auf, ich verlebte einige frohe Tage im elterlichen Hause und reiste dann zu meinem Schwager, dem Pastor zum Berge in Winsen an der Aller. Die Meinigen waren sehr freudig überrascht, am freudigsten meine Mutter. Sie küßte mich ohne meinen Bart zu bemerken. Bald aber weinte sie: ›einen Juden habe ich doch nicht geboren!‹ Ihre Thränen trockneten jedoch bald und ich behielt meinen Bart. Von Winsen reiste ich mit meiner Mutter wieder zurück in die Heimat und blieb dort bis in die zweite Hälfte Mais. Ich beschäftigte mich viel mit der dortigen Mundart und sammelte alle kleinen Lieder und Sprüche. Anfang Junis war ich wieder auf der Wanderung. Als ich auf dem Wege nach Lemgo in die Nähe von Bösingfeld kam, fragte ich einen Hirten nach meinem Freunde Krawinkel. ›Der ist in der Osterwoche begraben worden.‹ Bestürzt durch diese schreckliche Nachricht entschloß ich mich, in Bösingfeld nicht einzukehren. Traurig wanderte ich weiter und erreichte gegen Abend Lemgo.

Den 25. Juni 9 traf ich in Wetter ein. Den folgenden Tag ging ich zu Henriette. Sie begegnete mir, that sehr freundlich, ich merkte ihr aber große Verlegenheit an. Ich gerieth nun erst recht in eine peinliche Lage. Wir sahen uns bald darauf. Am 27. nahm ich Abschied. Schweigend, ruhig und fast heiter reichte ich ihr die Hand und wanderte fort. Ich war sehr aufgeregt und wurde bald sehr traurig gestimmt. Das Fußreisen wurde mir auch lästig. Fast jeden [104] Tag war ich naß geworden, fast jeden Tag hatte ich mich verirrt. Ich sehnte mich nach Körper- und Herzensruhe und wissenschaftlicher Thätigkeit. Trotzdem schlug ich nicht den nächsten Weg ein, sondern besuchte noch einen Freund in Düsseldorf. In den letzten Tagen Junis traf ich endlich in Bonn wieder ein.

Meine Beziehungen zur Bibliothek hatten sich unterdessen geändert. Ich bezog eine kleine Besoldung, diese war aber in einen Freitisch verwandelt. Wäre der Freitisch einigermaßen gut gewesen, so hätte ich mir die Aenderung schon gefallen lassen können, er war aber so schlecht, daß wir eines schönen Tages, ich voran mit dem Corpus delicti auf der Schüssel, zum Rector magnificus durch die Straßen Bonns wallfahrteten und uns beschwerten. Es half nichts. Ich gab den Freitisch auf, blieb aber als Freiwilliger auf der Bibliothek.

Meine Studien über Volkslieder setzte ich den Sommer eifrig fort. Meine Freunde besorgten mir aus ihrer Heimat manches hübsche Lied; Karl Reuter verschaffte mir eine Sammlung aus dem Rheingau und Peter Adams eine von der Mittelmosel. In Poppelsdorf und Kessenich sammelte ich selbst. Der Kessenicher Pastor, sehr gefällig und musikkundig, setzte mir die Noten dazu. – Um die weite Verbreitung des deutschen Volksliedes darzuthun und den noch immer poetischen Zusammenhang aller germanischen Völker nachzuweisen, hatte ich die Lieder von den Königskindern gesammelt. Ich besaß sie schwedisch, dänisch, holländisch und hochdeutsch in vielen Lesarten und seit meiner letzten Reise auch niederdeutsch; um Bonn herum hatte ich vier verschiedene Melodien entdeckt.

Unterdessen erhielt ich zwei Briefe von Henriette. Der eine inliegende war am Tage des Abschieds geschrieben. Was sie mir hatte sagen wollen und in Gegenwart anderer nicht sagen konnte, erfuhr ich nun brieflich. Sie sprach sich offen und theilnehmend aus: ›O daß Sie mir den schönen Glauben: Ihre Gefühle für mich nur für freundschaftliche zu halten, nehmen mußten!‹ ... ›ein schönes Leben wartet Ihrer noch – jetzt müssen Sie Ihre Empfindungen bekämpfen, um Ihrer und meiner Ruhe willen, – beide leiden wir darunter – und die Welt ist lieblos in ihrem Urtheil über uns, ich habe dies schon schmerzlich erfahren, – der Gedanke, wie schuldlos unser Umgang immer war, gab mir bisher die Kraft, das Gespräch der Menschen gering zu achten. – Wenn Sie wieder ganz ruhig und[105] glücklich sind, dann schenken Sie der Frau, in die Sie jetzt ein so hohes Vertrauen setzen, Ihre freundschaftliche Erinnerung, und sei'n Sie überzeugt, daß meine Achtung für Sie nie abnehmen wird, und mich nichts so erfreuen kann als wenn ich vernehmen werde, daß Sie glücklich sind.‹

Was Henriette für sich und mich wünschte, suchte ich zu erfüllen, und so ward unsre Freundschaft uns beiden eine frohe Erinnerung und blieb es für immer.

Kaum war der Sommer verschwunden, so erwachte wieder meine Reiselust. Ich wanderte nach Coblenz und von dort die Mosel hinauf bis Trier. Hier machte ich längeren Halt. Der Bibliothecar Professor Wyttenbach war die Liebe und Güte selbst. Er machte es nicht wie so manche Bibliothecare, die unter dem Vorwande es selbst herauszugeben, einem alle seltenen, merkwürdigen Drucke und Handschriften vorenthalten. Er theilte mir Alles mit und freute sich, daß er etwas für die Stadtbibliothek gerettet oder sonst erworben hatte, das für meine Zwecke von großem Nutzen war. Ich verweilte längere Zeit und war sehr fleißig: unter anderem schrieb ich den Theophilus ab, der damals schon durch Feuchtigkeit sehr gelitten hatte und an mehreren Stellen schwer zu lesen war. Die Abende war ich meist in Gesellschaft mit einigen Beamten von der Regierung, die mit mir gleiche politische Gesinnung und gleiche Wünsche für Deutschlands Freiheit und Einheit theilten.

Erst in der Mitte Octobers setzte ich meine Reise fort. In Mainz bereitete mir der Premierlieutenant von Kittlitz, ein höchst liebenswürdiger, gemüthlicher Mensch, einige angenehme Tage bei sich und seinen Freunden. Durch ihn lernte ich nämlich mehrere tüchtige Männer kennen, die wie er beseelt waren für die Idee einer freien volksthümlichen Entwickelung des deutschen Volkes. Freilich durfte man damals von solchen Dingen nur unter zuverlässigen Freunden sprechen, so weit war es bereits gekommen: in Mainz tagte die Central-Untersuchungs-Commission und speiste in den ›Drei Reichskronen‹. Kein Wunder, daß mein Erscheinen den Herren sehr bedenklich war und der Kellner gewiß die Weisung erhielt, mich baldigst zu entfernen. Jeder im deutschen Rocke und mit einem Schnurrbarte galt damals für einen höchst gefährlichen Menschen, dem man das Schlimmste zutraute.

Ich benutzte nun zur Weiterreise das Postjachtschiff. Ich fand [106] eine hübsche Gesellschaft. Nach einiger Zeit unterhielt ich mich mit einem Manne, der mir vielseitige Kenntnisse zu besitzen schien. Ich kam auf Volkslieder zu sprechen. Da ergab sich denn, daß er eine an ihn gerichtete Anfrage nicht beantwortet hatte – er entschuldigte sich, es war Achim von Arnim. Natürlich wurde jetzt meine Theilnahme für ihn lebendiger und so auch meine Unterhaltung. Ich wunderte mich aber doch über seine große Ruhe, die mich an einem so entschiedenen Romantiker gar sehr befremdete.

Am 10. November kehrte ich nach Bonn zurück. Zu den alten Schätzen, die ich dem Glück und guten Freunden verdankte, brachte ich von der Reise noch neue: alte Bücher, Handschriften, Urkunden und Volkslieder und sogar ein in Holz geschnitztes schönes Crucifix. Ich entwickelte jetzt eine lebendige Thätigkeit: ich dichtete, las, sammelte, studierte, machte Abschriften, schrieb Briefe und stöberte in der Bibliothek umher. Die Studentenwelt war mir sehr fern gerückt. Ich hatte nur mit einigen näher befreundeten etwas Verkehr. Es war auch nothwendig für meine Studien und meine Person. Die Verdächtigungen erstreckten sich auf das Geringste in unseren mündlichen und schriftlichen Äußerungen. Niemand mehr war sicher. Hatte doch selbst der Universitäts-Bevollmächtigte v. Rehfues sich schon im Sommer geäußert: ›Ich kann es gar nicht begreifen – ich werde gerade auf diejenigen fortwährend aufmerksam gemacht, welche die tüchtigsten und gesittetsten auf der ganzen Universität sind.‹ Drei meiner näheren Bekannten waren bereits in eine Untersuchung gezogen, die später sehr traurige Folgen hatte 10.

Unsere Statuten waren schon im letzten Winter von Hand zu Hand gewandert, niemand glaubte sie bei sich in sicherem Verwahrsam. Endlich geriethen sie auch an mich. Ich versteckte sie in einem Kamin, wo sie vielleicht noch heute geborgen sein mögen. Den letzten Anschlag im Sommer, worin zu einer allgemeinen Burschenversammlung eingeladen war, hatte der dicke Pedell mit dem Worte abgerissen: ›Renommage!‹ Die Versammlung kam nicht zu Stande. Unsere sogenannte Allgemeinheit hatte sich selbst aufgelöst, ehe die Behörden dagegen einschritten.

[107] Es wäre sehr interessant, wenn einmal das Bonner Matrikelbuch der beiden ersten Jahre des Bestehens der Universität gedruckt würde! Schwerlich hat irgend eine deutsche Universität zu einer und derselben Zeit so viele Zöglinge gehabt, die nachher einen so bedeutenden Antheil an allen Bestrebungen, Richtungen und Leistungen im Gebiete der Litteratur und Wissenschaften so wie in der Politik genommen haben. Damals schienen dieselben Menschen alle Ein Herz und Eine Seele zu sein; es war mir, als ob sie alle nur Ein hohes, herrliches Ziel verfolgen könnten, als ob sie einst ihre schönsten Kräfte dem Vaterlande und seiner freiheitlichen Entwickelung, seinem Wohl, seinem Ruhm und seiner Ehre widmen müßten. – Kaum waren die einen ins Staatsleben eingetreten, kaum hatten die anderen einen selbständigen Beruf erlangt, so waren sie sich entfremdet oder gar feindselig gegen einander. Viele schlugen in das Gegentheil um von dem was sie früher zu sein oder werden zu wollen schienen: sie wurden Aristokraten, Feudale, Absolutisten, Reactionäre, Ultramontane, Convertiten, Pietisten, Mönche und Gott weiß was Alles noch.

Durch meine vielen Reisen hatte sich die Zahl mei ner litterarischen Freunde sehr vermehrt und in dem Maße auch mein Briefwechsel. Auch in Köln hatte ich freundschaftliche Beziehungen angeknüpft. Ich hatte den Regierungsrath Freiherrn Werner von Haxthausen besucht und war mehrere Tage bei ihm. Er wohnte im Hause seiner Schwester, dem einzigen Kölns, das noch an die Stadtmauer lehnte, ganz in der Nähe des Bayenthurms. Es war sehr geräumig, nur wenige Zimmer waren bewohnt; in den meisten lagen oder standen alte Bücher, Handschriften, Urkunden, Gemälde, Glasmalereien, Holzschnitte, Alterthümer und Kunstsachen aller Art. Hier führte Haxthausen mit seinem Freunde, dem Staatsprocurator Leist, und einem alten Bedienten, Namens Petermann, ein echtes Junggesellenleben. Außer des Mittags sahen wir uns oft gar nicht. Zu Langerweile war übrigens für mich gar keine Gelegenheit. Ich arbeitete fleißig und hatte auch meine Gänge. So war ich öfter bei Eberhard von Groote, der damals eben mit der Ausgabe des Tristans von Gottfried von Straßburg beschäftigt war. Groote besaß selbst schöne Handschriften und hatte manche sich geliehen. Er war so freundlich, mir mehrere auf einige Tage anzuvertrauen. So unterhielt ich mit ihm durch das Holen und Zurückbringen einen lebhaften Verkehr. Die Ausflüge [108] nach Köln wiederholte ich öfter, sie thaten mir wohl und waren mir förderlich in meinen Studien.

Auf eine stürmische Silvesternacht folgte recht bald für mich ein milder sonniger Tag. Am 8. Januar entdeckte ich in der Bonner Universitäts-Bibliothek auf dem Innern der Holzdecken, welche den schlechten Papierhandschriften der Summa Theologiae des Thomas de Aquino als Einband dienten, schön geschriebene Pergamentblätter aus Otfrid's Evangelienbuche. Meine Freude war gränzenlos: ich lief sofort mit einem Bande zu Welcker, zeigte ihm meinen Fund und bat um Erlaubniß die Blätter abzulösen. Er meinte, Herr Professor Kastner der Chemiker müsse das am besten verstehen und der war denn dazu auch bereit. Die Ablösung wurde leider nicht so ausgeführt wie sie mir ohne alle chemische Kenntnisse gelungen wäre. Die Folge davon war, daß manche Buchstaben auf dem Deckel zurückgeblieben waren.

Ich faßte nun den Entschluß, das Ganze herauszugeben. Nachdem ich eine genaue saubere Abschrift angefertigt, die Abweichungen des Schilter'schen Textes hinzugefügt und die Vorrede vollendet hatte, sah ich mich nach einem Verleger um. Ich zeigte mein Manuscript dem Buchhändler C. vom Bruck, er meinte jedoch, zu einem Buche wäre es zu wenig, ich sollte noch etwas dazu thun. Wir wurden einig über Format, Druck und Papier und Honorar: er bewilligte 2 Louisd'or. Ich fügte nun noch eine 2. und 3. Abtheilung hinzu. Die 2. enthielt Auszüge aus einer Trierer Hs.: Interlinearversion der Psalme aus dem 12. Jahrh., die ich eben vollständig abschrieb. Als 3. Abtheilung gab ich ein Bruchstück aus dem mnl. RomanRenout van Montalbaen. Die Vorrede dazu schloß ich mit einer Übersicht aller mir bekannt gewordenen Denkmäler der mittelniederländischen Dichtung. Der Druck begann sofort. Die Correctur machte mir unsäglich viel Mühe, ein Bogen beschäftigte mich fast vier Stunden. Auf meinen Wunsch, ein Blatt Facsimiles der drei Handschriften dem Büchlein beizulegen, ging vom Bruck bereitwilligst ein. Leider war die dortige Steindruckerei in dergleichen Dingen noch sehr unerfahren, die Ausführung ging langsam von statten und entsprach am Ende doch nur sehr mäßig unseren Erwartungen. Dadurch verzögerte sich die Erscheinung meiner Schrift um einige Wochen und konnte erst gegen Mitte Aprils versendet werden. Dies, [109] mein erstes wissenschaftliches Buch erschien unter dem Titel: Bonner Bruchstücke vom Otfried nebst andern deutschen Sprachdenkmälern. Herausgegeben durch H. Hoffmann von Fallersleben. (Mit Schriftproben.) Bonn 1821. Bei C. vom Bruck. 4° XXII. 23 SS.

Während ich so mich sprachlich und litterarhistorisch beschäftigte, sammelte und ordnete ich zugleich meine Gedichte in der Absicht sie recht bald herauszugeben. Anfang Februars unterhandelte ich mit Joh. Peter Bachem, der erst seit 1818 sich als Buchhändler in Köln niedergelassen. Wir waren bis auf das Honorar ganz einig, und endlich auch über dies: ich sollte 4 Friedrichsd'or nach Beendigung des Druckes und noch 4 haben, wenn 200 Exemplare verkauft wären. Mit den Lettern war ich aber gar nicht zufrieden, und wenn mich nicht die Aussicht auf etwas Reisegeld gereizt hätte, so wäre wol das Ganze unterblieben. Die Druckereien in Bonn und Köln waren damals sehr erbärmlich; wenn auch etwas auf dem besten Papiere gedruckt war, so sah es immer unsauber aus; auch der Schnitt der Lettern war geschmacklos. Sehr ergötzlich schien es mir deshalb, wenn Bachem sich brieflich äußerte: ›ich weiß, daß Erzeugnissen des Genius ein gewisser Glanz nicht mangeln darf.‹ – Noch vor Ende März war meine kleine Gedichtsammlung erschienen unter dem Titel: ›Lieder und Romanzen. Herausgegeben von H. Hoffmann von Fallersleben.‹ (Köln,1821. 108 SS) 11 Ich mußte ›herausgegeben‹ sagen, weil mehrere Übersetzungen holländischer Volkslieder darin waren und auch einige Gedichte meiner Freunde Henneberg und Krawinkel.

Die Zueignung war eigenthümlich: ›Dir‹, auf der Rückseite die Worte des von Singenberg, Truchsessen von St. Gallen:


Sol ich niht ersingen wan der liute haz,
Sô gezimt der guoten wol an sælden und an êren
Daz sie mir ersezze daz.

Mit dem ›Dir‹ hatte ich es aber nicht gemacht wie Griepenkerl mit seinem ›Ihm‹; der versah damit eins seiner Dramen und sendete es dann verschiedenen Fürsten. Mein ›Dir‹ war wirklich nur [110] an Eine 12 gerichtet und diese Eine nahm es freundlichst auf. Deshalb durfte ich nicht weiter besorgt sein, wol aber wegen des großen Publicums, zumal ich selbst bald einsah, daß vieles besser sein müßte. Ich war in meinem poetischen Schaffen noch lange nicht fertig, viel zu unfrei, ich kämpfte noch zu sehr mit der Form, und im Streben nach Volksthümlichkeit vernachlässigte ich jene, und so erreichte ich denn nur selten ein in Form und Stoff vollendetes Ganze. Es war sehr voreilig von dem Halleschen Recensenten (ALZ. 1821. Nr. 277), bei mir von einer ›angebildeten Manier‹ zu sprechen; ich hatte mehr eine Manie gute Gedichte zu machen, als die Manier, Fehler und Albernheiten der Romantiker nachzuahmen. Nach einem halben Jahre hätte ich gern mein Büchlein zurückgenommen und für mich behalten. Ich fühlte wol, wie sehr mein Freund Krawinkel Recht hatte. Seine letzten Worte waren: ›Productivität, nur freilich noch nicht durch die Presse.‹ Doch – es war einmal gedruckt und ich tröstete mich mit dem alten Satze: ›Wenn man schwimmen lernen will, muß man ins Wasser gehen.‹

Die letzte Zeit meines Bonner Aufenthalts schrieb ich mir noch mehrere Handschriften ab theils zu meinem Studium, theils zu künftiger Bearbeitung und Herausgabe. So vollendete ich noch die Abschrift des Trierer Williram und der Interlinearversion der Psalmen.

Ich halte bereits viel Stoff gesammelt und hielt es für zweckmäßig, Manches davon zu veröffentlichen. Ich sprach auch mit Werner von Haxthausen darüber, und um ihn zur Theilnahme zu bewegen, bot ich ihm die Mit-Herausgeberschaft an. Er war dazu geneigt und wollte Manches beisteuern, unter anderm geistliche Lieder aus dem Gesangbuche der Katharina Tirs. Er wendete sich an seinen Freund Reimer in Berlin, und dieser erklärte sich bereit, das Werk zu verlegen, wir sollten nur Subscribenten sammeln – von Honorar war so viel ich mich erinnere gar keine Rede. Wir ließen eine Ankündigung drucken, worauf 10 Nummern; Subscriptionspreis für 24 Bogen in Octav 11/6 Rb. mit Noten und Schriftproben. Das Buch sollte im Sommer 21 erscheinen unter dem Titel: ›Westphälische [111] Beiträge zur Geschichte deutscher Sprache und Dichtung. Herausgegeben von Werner von Haxthausen und H.v.F.‹ Da ich bald merkte, daß mir allein die ganze Arbeit zufallen würde und ich bald noch Besseres zu geben Gelegenheit fand, so ließ ich die Sache auf sich beruhen, zumal ich mit der geringen Anzahl Subscribenten – ich hatte auf meinen Reisen nur 36 gesammelt – nicht vor Reimer hintreten mochte.

In und mit Bonn war ich endlich fertig und verließ es am 11. April. Ich reiste abermals die Mosel hinauf und blieb in Coblenz, und hie und da, wo fröhliche gastfreie Leute mich aufnahmen. Mein Hauptziel war zunächst Trier. Wyttenbach hatte sich bisher so überaus freundlich gegen mich bewiesen, daß ich von seiner Güte eine Benutzung der Bibliothek hoffen durfte wie ich sie nur wünschen konnte. Und ich täuschte mich nicht. Alle deutschen Handschriften sah ich ein; was mir irgend für meine Zwecke werth schien, verzeichnete ich und machte Auszüge. Bei diesen Beschäftigungen und im heitersten Verkehre mit alten Freunden und Bekannten waren vierzehen Tage schnell vergangen. In jeder Hinsicht befriedigt setzte ich meine Reise fort, es mochte gegen die Mitte des Mais sein.

In Köln fand ich wieder die alte freundliche Aufnahme bei Haxthausen und Leist. Ich lebte nach alter Art bei ihnen und mit ihnen drei Wochen, immer guter Dinge: ich arbeitete viel, schrieb Briefe und dichtete. Bei meinen Wanderungen durch die Stadt sah ich mir manche Alterthümer und Kunstsachen näher an, und war öfter im Dome. Unangenehm war und blieb es jedoch für mich, daß ich mich in der großen, wühligen, hie und da wüsten Stadt nie zurecht finden konnte. Es war für mich zu Vieles vorhanden an das ich mich nie gewöhnen konnte: die krummen, engen Gassen, die alle Augenblicke ihre Namen wechseln, der Schmutz und Kohlenstaub, die vielen häßlichen Gesichter, die einem damals begegneten, so wie die vielen zerlumpten, schmierigen Bettler, das ewige Glockengebimmel und das Geknarre der schwer beladenen plumpen zweirädrigen Wagen. Ich war mitunter recht froh, wenn ich auf meinem Zimmer sitzen oder im Garten, der freilich sehr verwildert war, spazieren gehen konnte.

Drei Wochen waren bereits vergangen. Ich hatte immer noch auf etwas Geld von den Meinigen gewartet, es kam nichts. Da [112] lieh ich mir ein paar Friedrichsd'or von Leist und erhielt dazu noch 4, das Honorar von Bachem, so daß ich nun etwa 6 hatte. Damit wollte ich nach Holland und Gott weiß wohin noch reisen! Den 7. Juni verließ ich Köln und ging über Crefeld, Xanten und Cleve nach Nimwegen. Als ich mich der holländischen Gränze näherte, fürchtete ich Paßunannehmlichkeiten. Ich traf gerade eine leere Hessenkarre und bat den Fuhrmann mich aufzunehmen. Er hatte nichts dawider. Ich legte mich auf den Bauch der Länge nach ins Stroh und fuhr gemüthlich und unbehelligt über die Gränze. Als ich die Anhöhe erreicht, die Holland von Deutschland scheidet, wurde ich durch eine prachlvolle Aussicht überrascht: die Waal schlängelte sich wie ein breiter Silberstreifen durch das Land, und Nimwegen von ihr umspült, das nächste Ziel meiner Reise, lag mit seiner Cathedrale hell von der Sonne beleuchtet vor mir.

Ich war nun in Holland und mußte mich bequemen, holländisch zu sprechen. Ich hatte Manches gelesen und manche Wörter und Wendungen mir gemerkt, aber die eigentliche Umgangssprache war mir völlig fremd. Da half nun weiter nichts als fröhlich und wohlgemuth sich drein finden und holländisch sprechen.

In Utrecht besuchte ich den Professor der niederländischen Litteratur und Beredtsamkeit, Herrn Simons. Der Mann war ganz erstaunt, als er hörte, daß ich auf einer litterarischen Reise begriffen sei: ›Mein Herr, es ist nicht Gebrauch in unserem Lande, eine litterarische Reise zu machen.‹ Diese Worte waren der Willkomm aus dem Munde eines Professors, von dem ich erwarten durfte, daß er sich über mein Unternehmen freuen und es unterstützen würde. In Laufe des Gesprächs merkte er wol, daß er es nicht mit einem jungen Abenteurer und litterarischen Stromer zu thun hatte, und wollte zeigen, daß ihm die alte niederländische Sprache und Litteratur nicht fremd sei; das waren aber so allgemein bekannte Dinge, die jeder wissen konnte. Als er mich mit dem Klaas Kolijn auf das Glatteis führen wollte, mußte ich herzlich lachen; daß die von G. van Loon 1745 prachtvoll herausgegebene Reimchronik eines Egmonder Mönchs ein untergeschobenes Werk war, wußte ich schon seit vielen Jahren. Wir schieden als gute Freunde und sahen uns nie wieder.

Utrecht hatte mir wenig Ausbeute gewährt. Meine ganze Hoffnung war und blieb Leiden. Am 22. Juni traf ich dort ein.

[113] Zu meiner Freude war eben Professor van Swinderen aus Groningen auch in Leiden. Er war im Sommer in Bonn gewesen und ich hatte ihm manche Gefälligkeit erwiesen, so daß er mich nun seinen hiesigen Freunden recht warm empfahl. Ich wußte bereits, wie viel für mich zu arbeiten sei. Die Universitäts-Bibliothek bot Manches, das Meiste und Bedeutendste aber in ihren alten Handschriften die Bibliothek der Maatschappij der nederlandsche Letterkunde. Auf eine Benutzung ganz nach Wunsch durfte ich rechnen, man kam mir von allen Seiten auf das Freundlichste entgegen.

Am 25. war ich bei dem jüngeren Tydeman zu Mittag eingeladen. Ich traf dort van Swinderen und einige Leidener Professoren. Es war eine heitere Unterhaltung. Man bewies sich zugleich sehr theilnehmend gegen mich und äußerte mehrfach den Wunsch, ich möchte nun recht lange bei ihnen verweilen. Ich wurde sehr ernst und sprach mein Bedauern aus, daß ich diesen Wunsch wol schwerlich erfüllen könnte und gab nicht undeutlich zu verstehen, daß mich meine geringe Baarschaft zu einem eiligen Rückzuge nöthigen würde. Das Mittagsessen war vorüber. Wir schickten uns an uns zu empfehlen. Da wendete sich Tydeman an mich: ›Es ist hier auch noch ein Landsmann von Ihnen, der wünscht Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen. Ist es Ihnen recht, so gehen wir jetzt zu ihm.‹ – Wir gingen. Die Tischgenossen begleiteten uns. Mein Landsmann, Herr Dr. Salomon freute sich sehr und erkundigte sich theilnehmend nach Allem: ›Wie gefällt es Ihnen bei uns?‹ – ›Ganz gut. Es thut mir nur leid, daß ich eben jetzt, nachdem ich weiß, was Leiden für bedeutende litterarische Schätze für mich hat, es verlassen muß.‹ – ›Und warum denn?‹ – ›Mein Reisegeld reicht nur noch zur Rückreise –‹ – ›Nun, wenn es weiter nichts ist! Kommen Sie zu mir! bleiben Sie so lange als es Ihnen gefällt!‹ Ich war dermaßen überrascht, daß ich kaum etwas darauf zu erwiedern wagte. Die Freunde des Doctors redeten mir zu und ich nahm das überaus freundliche Anerbieten an.

So hatte sich Alles plötzlich zum Guten gewendet. Den anderen Morgen bezahlte ich im Gasthofe meine Rechnung, ließ meine Sachen in meine neue Wohnung bringen und trat selbst ein. Bald saß ich bei mildem Sonnenscheine unter einem Baume im kleinen Garten und verglich [114] die prachtvolle Leidener Handschrift vom Williram mit der alten Ausgabe des Paulus Merula.

Ich lebte mich bald ziemlich ein und gewöhnte mich an die übertriebene Reinlichkeit im Hause, an dies ewige Putzen, Schrubben, Waschen, Bürsten, Ausklopfen, Fegen und Fittigen, so wie an die pünktlich inne gehaltene Hausordnung.

Wol hätte ich für einen heimischen Hausgenossen gelten können, wenn meine Tracht und mein Aussehen nicht zu sehr an die Fremde erinnert hätten: ich war nicht fatsoenlijk, nicht holländisch anständig genug gekleidet. Um mich dem etwas zu nähern, mußte ich den Bart ganz abschneiden und meine Locken abstutzen und trug eine holländische schwarze Sammetmütze und eine eng anliegende blaue Hose. Ich erreichte dadurch zunächst, daß mir die Jungen auf den Straßen nicht nachriefen: kijk eens, de mof!

Ich arbeitete sehr fleißig. Die Benutzung der benachbarten Bibliothek der Maatschappij stand mir jeden Augenblick frei, man hatte mir den Schlüssel anvertraut. Nach und nach holte ich mir alle Handschriften und alten Drucke und verzeichnete sie. Das Gedicht von Floris und Blancefloer schrieb ich ab und manches andere. Zunächst arbeitete ich meine Uebersicht der alten niederländischen Dichtungen um, die dann van Kampen ins Holländische übersetzte und im Konst- en Letterbode 1821 und 22 drucken ließ.

So viel und so gerne ich arbeitete, so entzog ich mich doch nicht dem geselligen Verkehre. Ich kam oft ins Wohnzimmer, wenn Frau Salomon Besuch hatte, meist von jungen Mädchen. Unter diesen war Elisabeth Kemper, die von dem Augenblicke an, als ich sie zuerst sah, mein ganzes Herz gewann. Niemand durfte sich darüber wundern, ich am allerwenigsten. Diese Schönheit voll Jugend und Anmuth, dieser jungfräuliche Adel des Gemüths, dieser helle, feingebildete Geist! Es that mir wohl, wenn ich in ihrer Nähe war, und ich ward wehmüthig gestimmt, wenn ich sie mehrere Tage nicht sehen konnte. Sie war eine große Freundin der deutschen Litteratur, sie sprach und schrieb das Deutsche. So oft sie bei uns war, gab es Gelegenheit, etwas zu besprechen und vorzulesen. So kamen wir auf Hebel's allemannische Gedichte, die weder Frau Salomon noch Betty bekannt waren. Ich erklärte sie ihnen und beide hatten große Freude daran. Das Allemannische wurde nun die Sprache meines Herzens, ich [115] glaubte keine schönere zu finden, worin ich Betty besang. Sie hieß von nun Meieli 13.


Sagmer Näumer, öbbe Näumer,
Tönt ei Namen au so süeß,
Tönt ei Namen au so liebli,
Wenni Di mi Meili grüeß?

Land und Leute kennen zu lernen, hatte ich Lust und Zeit, nur fehlte es mir an etwas Wichtigem, an Geld. Ich war viel zu stolz, mir etwas zu leihen. Ich mußte mich also mit Einladungen begnügen oder zu Fuß wandern, und in beiden Fällen brauchte ich freilich kein Geld, konnte aber an ein eigentliches Reisen nicht denken.

Der erste Ausflug war mit der Familie Salomon nach Katwijk. Der Weg bot wenig Anziehendes dar, der Wagen rollte auf der schönen Klinkerstraße leicht dahin und der Himmel war heiter und wir wie er. Noch ehe wir die kahlen Dünen erreicht hatten, sahen wir die See. Dieser erste Anblick war ein sehr überraschender, gewaltiger und blieb ein unvergeßlicher. Wie oft habe ich nachgefühlt was ich damals dichtete:


Ich sahe die blaue unendliche See,
Wie ward's mir im Herzen so wohlig, so weh! 14

Mehrmals wanderte ich nach Haarlem und nach dem Haag. Eines Tages wohnte ich unterwegs mit Bekannten einer Kirmeß bei. Das ist kein Volksfest wie in Deutschland, nichts erinnert auch mehr an die alten niederländischen Kirchweihen, wie sie uns Teniers so meisterhaft dargestellt hat. Buden mit Genever und Honigkuchen, Waffelkuchenwagen, ein Raum zum Tanzen, dazwischen junge Burschen und Mädchen und Kinder, die sich herumtummeln, mitunter jubeln und singen und tanzen – das ist Alles. Wir stellten uns vor eine Bude und spielten: ich gewann einen großen Honigkuchenmann. Dann [116] wollten wir dem Tanzen zusehen. War das ein Tanzen! In einem langen Saale auf ebener Erde, vollgepfropft von Menschen, standen auf einer Bühne vier Musicanten und spielten wie die ärgsten Bierfiedler. Alle Augenblicke kam ein Tanzpaar heran, hüpfte einige Male empor, drehte sich einige Male wieder herum, und wurde dann von einem anderen abgelöst. Die Mädchen gingen alle in Schlapppantoffeln, die Absätze waren mit buntem Leder eingefaßt. Da soll einer tanzen! Zuweilen sangen sie auch dazu. Eine Melodie blieb mir unvergeßlich. Aber welch ein Text! Es war der Anfang eines van Alphen'schen Kinderliedes:


Ach mijn zusjen is gestorven,
Maar eerst dertien maantjes oud
'k Zag haar in haar doodkist leggen,
Ach, wat was mijn zusjen koud –.
und dahinter in wilder Lust
Lapperdi lapperdi lorischi lorischi!
Lapperdi lapperdi lorischa!

Ich habe später darauf ein Storchlied gedichtet: ›Habt ihr ihn noch nicht vernommen?‹ 15 das jetzt ein Lieblingslied der Kinder geworden ist.

Der Weg nach dem Haag war weit, gegen drei Meilen, zwar ganz angenehm, er wollte aber gewandert sein. Wenn ich im Haag ankam, ging ich sofort zur königlichen Bibliothek. Herr C.S. Flameut († 1836) ein Franzose, der noch schlechter holländisch sprach als ich und von den alten Handschriften nichts verstand, mußte mir diese vorlegen. Ich arbeitete fleißig, aber in einigen Stunden war wenig abzumachen. Einmal meinte er, er wolle mich einsperren. O ja, das wäre hübsch gewesen, wenn er eine Malzeit für mich miteingesperrt hätte. Der Mann war eben nicht ungefällig, aber ich fühlte mich in seiner Nähe unbehaglich. Er gehörte zu den vielen Bibliothecaren, die man dazu gemacht hatte, weil man sie zu nichts weiter auf der Gotteswelt gebrauchen konnte. Mehrmals wiederholte ich diese Wanderung und erreichte so ziemlich meine Zwecke.

[117] Drei bis vier Mal mochte ich so im Haag gewesen sein und hatte nichts weiter gesehen. Da meinte Professor Reuvens, das sei doch zu arg! von der Residenz des Reichs nichts als die Bibliothek, auch nicht einmal Scheveningen gesehen zu haben. Er lud mich zu einer Spazierfahrt ein. Wir fuhren eines Sonntags hinüber. Mein nächster Wunsch war, die Gemäldesammlung kennen zu lernen. Wir verweilten wol eine Stunde vor den Bildern. Sehr angenehm war ich überrascht, als wir zu den Werken der neueren niederländischen Maler kamen; der König hatte hier viele der schönsten vereinigt. Um Mittag fuhren wir nach Scheveningen. Es war eben noch Ebbe. Wir spazierten am Strande umher. Ich bestieg eine Düne nach der anderen, weil mir die andere immer höher schien. Bald kam die Fluth. Wir gingen in das Wirthshaus am Strande, und während wir ein gutes Mittagsmal hielten, waren unter unseren Fenstern die Schiffe flott geworden und stachen wieder in See. In der Dämmerung kehrten wir nach Leiden ganz befriedigt zurück.


[Während seines Aufenthaltes in Leiden knüpfte Hoffmann zahlreiche Bekanntschaften an und trat mit einer stattlichen Anzahl dort lebender Gelehrter in nahen Verkehr. Durch sie faßte er in den Niederlanden festen Fuß; ihnen verdankte er auch reiche wissenschaftliche Anregung und Förderung, so daß seine Thätigkeit sich seit dieser Zeit in hervorragender Weise auf das Studium der niederländischen Sprache und Litteratur richtete. Die Früchte, die ihm selbst und der Wissenschaft sein damaliger und mancher spätere Aufenthalt in Holland eintrug, legte er in seinen Horae belgicae nieder, von denen nach und nach 12 Bände erschienen. Auf dem Gebiete der niederländischen Sprach- und Litteraturkunde kann man Hoffmanns Wirksamkeit als eine bahnbrechende bezeichnen. Denn die Methode exakter Forschung, welche seit Anfang unseres Jahrhunderts die Gebrüder Grimm, Karl Lachmann und andere für die deutsche Sprache ausbildeten und in Anwendung brachten, und die auch Hoffmann sich zu eigen machte, übertrug er auf die Schwestersprache. Dankbar verehrt daher auch heute die niederländische Gelehrtenwelt in ihm den Vater der niederländischen Sprachforschung. – Den Männern, die dem Jünglinge während seines ersten Aufenthaltes [118] in Leiden 1821 ihre Freundschaft entgegenbrachten, setzt Hoffmann als Greis an dieser Stelle seiner Biographie ein ihn selbst ehrendes Denkmal treuer Anhänglichkeit und dankbarer Erinnerung. Zunächst widmete er seinem Landsmann Dr. Gottlieb Salomon, in dessen Hause er die liebenswürdigste Aufnahme fand, und dessen Familie Worte der Verehrung und Dankbarkeit. Dann gedenkt er ausführlich der Leidener Gelehrten und seiner Beziehungen zu ihnen. Folgende Männer finden hier Erwähnung: Henrik Willem Tydeman, der jüngere, Professor der Rechte; Dr. Bodel Nijenhuis; Professor Meinard Tydeman, der ältere; Professor Jona Willem te Water; der Dichter Willem Bilderdijk; Professor der Theologie Joannes Clarisse; Professor Matthijs Siegenbeek; der Orientalist Henrik Arend Hamaker; Professor Jan Henrik van der Palm; Jan Bake; Professor der Archaeologie Caspar Jacobus Christianus Reuvens; der Lector der deutschen Sprache und Schriftsteller Nicolaus Godfried van Kampen; Professor der Rechte Cornelis Jacobus van Assen; Professor der Rechte Jan Melchior Kemper. Letzterer ist der Vater der vom Dichter als ›Meieli‹ besungenen Elisabeth Kemper. Ueber seine Beziehungen zu Bilderdijk spricht Hoffmann am ausführlichsten und macht dabei eine bedeutsame Abschweifung. Wir lassen daher seine eigenen Worte folgen.]


Willem Bilderdijk, damals schon als erster Dichter Hollands anerkannt und gefeiert und als Gelehrter und Sprachforscher in hohem Ansehn, lebte sehr zurückgezogen. Er hatte in Leiden fast gar keinen Verkehr. Ich besuchte ihn oft und konnte ihn besuchen wann ich wollte. Er hat mich jederzeit freundlich aufgenommen, und selbst bei körperlichen Leiden, bei sichtlicher Gemüthsverstimmung mir zu erkennen gegeben, daß ich auch dann ihm willkommen war. Ich brachte ihm immer etwas Neues: Bücher, Handschriften, Abschriften und Auszüge aller Art, denn es gab selten einen Tag, an dem ich nicht etwas für die Zwecke meines Dortseins fand. Wir sprachen über allerlei Gegenstände der Litteratur und Kunst, am liebsten über mittelniederländische Sprache und Dichtung. In diesem Fache war er nicht minder heimisch als in vielen anderen; er hatte viel Stoff [119] gesammelt, viele Studien gemacht. Meine Mittheilungen erfreuten ihn und regten ihn an, sich von neuem eifriger mit der alten niederländischen Sprache und Dichtung zu beschäftigen. Er unterstützte mich mit Rath und That, erfüllte bereitwilligst meine Wünsche und förderte meine Zwecke wie und wo er konnte.

Wie sehr ich mich freute über diesen angenehmen und erfolgreichen Verkehr, so kann ich doch nicht leugnen, daß ich mich sehr wunderte und daß seine Landsleute sich noch mehr wunderten. Er war mir geschildert als launig und mürrisch, menschenfeindlich, als ein wüthender Feind Deutschlands und alles deutschen Seins und Thuns, als ein fanatischer Gegner aller freien Regungen in der Politik und Religion, als ein starrer, nie einer besseren Ueberzeugung zugänglicher Festhalter der wunderlichsten Ansichten auf dem Gebiete der Geschichte, Sprache, Litteratur und Kunst, endlich als ein unversöhnlicher Feind aller derjenigen die anders dachten, anderes wollten, anderes thaten. Mir gegenüber schien er ein ganz anderer. Ich habe nie ein böses Wort über Deutschland aus seinem Munde gehört, bin nie Zeuge eines Ausbruchs verhaltenen Ingrimms gewesen, hatte nie zu leiden von den leidenschaftlichen Äußerungen seiner reizbaren, oft trüben körperlichen und geistigen Stimmung. Ich habe erlebt, was damals niemand erwartete, daß er mich zu besuchen in das Haus des Mannes kam, den er haßte und der mich innig liebte, denn dieser Mann hatte mich auf mein ehrliches Gesicht hin in sein Haus aufgenommen und wie sein Kind beherbergt und bewirthet.

Er hatte sich einst gegen einen seiner Verwandten über mich geäußert: ›obschon er ein Mof ist, so mag ich ihn doch wol leiden.‹ Und dies bewies er auch bei allen Gelegenheiten, wo wir uns auf dem Felde der alten germanischen Sprachen und Litteraturen begegneten. Seine Liebe für die altniederländische Poesie hatte jedoch mehr ihren Grund in der alten Sprache, insoweit dadurch das jetzige Holländisch aufgeklärt und bereichert wird. So betrachtete er denn auch die alten Volkslieder nur als Sprachdenkmale, Anfänge der Poesie, poetische Curiositäten, und nur sein Patriotismus für alles Holländische ließ es nicht zu, sich auf diese Weise darüber gegen mich auszusprechen. Ich nahm dies bei verschiedenen Gelegenheiten wahr und scheute mich deshalb gar sehr, meine Ansichten über Poesie zu entwickeln und dadurch meine Vorliebe für das Volkslied zu begründen. [120] Und doch war mein eifrigstes Streben, überall Liebe und Theilnahme für jedes ursprünglich germanische Element, und so auch in der Poesie unserer verwandten Nachbaren zu erwecken. Durfte ich aber bei einem so vielseitigen Manne wie Bilderdijk nichts für diese meine Richtung erwarten, so war das noch mehr der Fall bei jenen anderen Männern, die nicht einmal ein sprachliches oder litterar-historisches Interesse für das Volkslied hatten. Ich suchte hie und da auf das Eigenthümliche und Vortreffliche der Volkspoesie aufmerksam zu machen, umsonst, niemand gewann eine andere, eine bessere Ansicht: die Einen hielten die octroyierten Lieder der einflußreichen Gesellschaft ›Tot nut van't algemeen‹ für Volkslieder, die Anderen verwechselten nach wie vor Volkslieder und gemeine Gassenhauer, woran freilich Holland überreich ist, mit einander. Wenn ich ihnen dann deutsche Volkslieder vorsang und ich sah sie davon ganz entzückt, dann glaubte ich sie bekehrt, aber es war nicht so. Eines Tages wurde ich in einer großen Gesellschaft junger hübscher Mädchen ersucht, etwas zu singen. Ich sang deutsche Lieder und Alles war erfreut. So wie ich aber das schöne altniederländische Lied: ›Het waren twee coningheskinder‹, anstimmte, brach Alles in ein lautes Gelächter aus. Ich sang nicht weiter, sagte aber auf holländisch so gut ich eben konnte: ›Ich nehme von den schönen Fräulein keine Rücksicht für mich in Anspruch, habe aber geglaubt, daß sie ihr eigenes Vaterland und seine schönere poetische Vergangenheit mehr ehren würden‹. Für das Mal sang ich nicht mehr.

Wie aber ein Liebender oft seine Geliebte nur noch schöner und trefflicher findet, je mehr ihr Werth von Anderen angefochten und erniedrigt wird, so erging es mir. Mit größerer Liebe beschäftigte ich mich seitdem mit dem niederländischen Volksliede, ich durchstöberte Bibliotheken und Buchläden und machte manchen hübschen Fund.

Ich lebte mich so recht ein in die Sprache und den Geist des alten Volksliedes, daß die Lust wie von selbst kam, ähnliche Lieder zu dichten. Und so geschah es: mein erstes Lied war ein Scheidelied, nicht ohne Bezug auf eine liebe Freundin, die ich nun bald verlassen und nie wiedersehen sollte. Ich brachte das Lied zu Bilderdijk und fragte ihn, ob es wol noch dem 15. Jahrhunderte angehöre. Er meinte, es könnte wol noch älter sein! Ich ging ganz befriedigt heim. Bald darauf entstand ein zweites. Die Veranlassung dazu gab mir [121] eine altfranzösische Romanze, die ich flüchtig kennen gelernt hatte. In welchem Verhältnisse mein Lied zu jenem französischen steht, kann ich nicht genau angeben, nur so viel weiß ich, daß es keine Übersetzung ist, denn als ich es dichtete, war das Original längst nicht mehr in meinen Händen. Zehn Jahre später, als ich meine Sammlung holländischer Volkslieder herausgeben wollte, fand ich unter meinen Papieren auch jene beiden Lieder. Ich nahm sie mit auf, nicht in der Absicht, damit zu täuschen, sondern nur zu zeigen, daß ein Fortdichten im alten Geiste auch noch jetzt möglich ist; zugleich hegte ich die Hoffnung, daß auch Andere mir darin nachfolgen würden, um so durch Wiederbelebung des Volksliedes eine volksthümlichere und zugleich bessere Richtung in der neuholländischen Poesie anzubahnen. Um meine Lieder nicht mit den ursprünglich alten zu vermengen, hatte ich sie dem Schlusse dieser unter Nr. 22 und 23 (s. Horae belg. II, 155–158) angehängt und mit diesen Worten begleitet: ›Dies und das folgende Lied sind in Holland entstanden. Näheres darüber behalte ich mir vor gelegentlich nachzuholen.‹ Es bot sich aber dazu keine Gelegenheit dar. Meine Sammlung, die 1833 als Pars II der Horae belgicae erschien, fand nicht solche Theilnahme, daß eine neue Auflage nöthig wurde. Bei meiner großen Entfernung von Holland hörten nach und nach meine Beziehungen dahin auf und ich erfuhr nicht einmal, wie meine Sammlung aufgenommen war. Ich hielt es also gar nicht der Mühe werth, die verheißene Auskunft zu geben. Bald mußte ich nun aber erleben, daß meine beiden Lieder für alte Volkslieder galten. Im Jahre 1838 erschien von Jonc Gherrit eine Übersetzung nebst Melodie (wahrscheinlich aus den Souterliedekens ? 147) als ›Alt-Niederländisch‹ in den ›Deutschen Volksliedern mit ihren Original-Weisen von A. Kretzschmer‹ 1. Th. (Berlin 1840. Nr. 20). Dann folgte eine andere Übersetzung in Talvj (d.i. Therese Adolphine Luise von Jakob, verehl. Robinson): ›Versuch einer geschichtlichen Charakteristik der Volkslieder germanischer Nationen‹ (Lpz. 1840.) S. 460. nebst einer Übersetzung des Scheideliedes S 462. mit der Bemerkung: ›Wir geben hier einige Stücke, deren Entstehung in Holland selbst unläugbar ist. Wir nehmen dies von den beiden ersteren Liedern auf Hoffmann's Autorität an‹. – Ich sollte aber noch mehr erleben. J.F. Willems nahm beide in seine ›Oude [122] vlaemsche Liederen‹ (Gent 1848.) auf unter Nr. 78 und 97. Bei Jonc Gherrit bemerkt Snellaert, der Fortsetzer von Willems S. 197. ›Volgens H.v.F. is dit overoude schoone lied nog onder het volk in de provincie Holland bekend‹ und S. 235 giebt er nun gar zum Scheideliede als Quelle: ›Jan Roulan's Liedekensboeck, Antw. 1544‹! Und daran war ich doch gewiß nicht Schuld!

Die altniederländische Poesie habe ich somit um zwei Lieder ärmer gemacht, dagegen die Litteraturgeschichte um eine Entdeckung bereichert. Da ich jetzt nun Alles noch zeitig genug aufgeklärt, so fühle ich mich wieder ganz beruhigt. Ich kann übrigens nicht läugnen, daß mich dieser erste Versuch, altniederländisch zu dichten, etwas kühn gemacht hat, so kühn, daß ich abermalige Versuche gewagt habe. Ich will für diese völlig neue und unerhörte poetische Thätigkeit keine weitere Rechtfertigung noch Anerkennung; das eigene Vergnügen daran mag mich rechtfertigen und genügt mir. Warum sollte übrigens nicht auch einmal ein Deutscher altniederländische Gedichte machen? es ist doch viel natürlicher, als wenn er altgriechisch oder altlateinisch dichtet. Wie ganz anders hätte sich die Nationallitteratur dort zu Lande gestaltet, wenn die altniederländische volksthümliche Poesie als Muster und leitender Grundsatz betrachtet worden wäre, wenn sie die poetischen Geister angeregt und belebt hätte! Die heutige Poesie huldigt noch immer jener Geschmacksrichtung aus den Zeiten der französischen Ludwige, sie hat noch immer jenen fremdartigen Zuschnitt in ihren Formen beibehalten, sowie jene prosaische Anschauungs- und jene gelehrte Ausdrucksweise und bleibt dadurch dem Gemüthe des Volkes eben so fern, wie die Vergangenheit der Gegenwart, und oft eben so unverständlich, wie das Ausland dem Vaterlande.

Dies Einschiebsel über Volkspoesie aus der Vorrede zu meinen Horae belgicae P. VIII. vom Jahre 1852 schien mir hier am passenden Orte. Ich kehre nun zu Bilderdijk zurück.

Meine freundschaftlichen Beziehungen zu ihm dauerten fort. Wir standen noch lange im Briefwechsel mit einander, bis denselben die große Entfernung immer mehr erschwerte und zuletzt ganz unterbrach. Seine Briefe an mich theilte ich dem Rotterdamer Buchhändler Messchert mit, der sie dann seiner Sammlung der Briefe [123] Bilderdijk's einverleibte. Es erschien davon ein besonderer Abdruck: Brieven van Mr. W. Bilderdijk aan A.H. Hoffmann van Fallersleben. (Rotterdam 1837. 8°.)


Das waren die Männer, mit denen ich traulich verkehrte, die mir meinen Aufenthalt erheiterten und mich in meinen Bestrebungen freundlichst unterstützten. In diesen angenehmen Beziehungen und unter fortwährenden Arbeiten war der Sommer vergangen und der Herbst herangekommen. Ich konnte befriedigt zurückschauen: ich hatte nun auch das Verzeichniß der Handschriften und alten Drucke der Maatschappij der nederlandsche Letterkunde vollendet und war durch ein Honorar von 60 Fl. freudig überrascht worden; ich hatte durch Geschenke eine köstliche Sammlung von Handschriften und Büchern erworben und dadurch zur Fortsetzung meiner Studien umfangreichen, nachhaltigen Stoff erlangt, ich konnte zufrieden sein.

Und doch war mir so eigen zu Muthe, wenn ich allein auf meinem Zimmer saß und an die Zukunft dachte. Ich wollte und mußte fort, und doch war mir der Abschied so schwer. Drei Wochen lang hatte ich schon Abschiedsbesuche gemacht: ich hatte so viel und so vielen zu danken für alle die Liebe und Freundlichkeit, die man mir, dem Fremden erwiesen hatte.

Am schwersten ward mir der Abschied von Meieli. Sie gab mir die Hand und ein Blättchen mit einer Zeichnung: ein Mädchen kommt aus Wolken hervor und streut Blumen. Ja, sie streute mir Blumen in mein Leben, die noch heute blühen, und mit Recht konnte ich sagen:


O, könntet ihr hören und sehen sie,
Und den Zauber, der sie umschwebet,
So wüßtet auch ihr, warum Meieli
In meinen Liedern lebet! 16

Endlich am 6. October, an einem heiteren Herbstmorgen, verließ ich Leiden. Meielis Brüder waren die letzten, die von mir Abschied nahmen. Sie wollten gerne dem Deutschen ein deutsches Lebewohl [124] mitgeben und sagten: ›Lieben Sie wohl!‹ Das erheiterte mich einen Augenblick, ich war und blieb bis Amsterdam sehr wehmüthig gestimmt. Was ich damals in meinem Scheidegruße an Holland versprach, habe ich treu gehalten:


G'segnich Gott! und wenni's niene,
Niene no vergelte cha,
Müender doch e großes Plätzli
In mi'm chleine Herzli ha!

Während meines Aufenthaltes in Holland erhielt ich nur selten Briefe aus Deutschland, dennoch erfuhr ich von den Meinigen alle wichtigeren Familienangelegenheiten. Auch meine jüngste Schwester Minna hatte sich verheirathet (24. Juni). Kurz vorher hatte eine Regulierung unsers Vermögens und eine Auseinandersetzung unter den Geschwistern statt gefunden. Als auch ich dazu eingeladen war, schrieb ich meinem Bruder: sie sollten sich lieber zusammen alsauseinander setzen. Daß ich leer ausgehen würde, wußte ich vorher, aber ich ahndete nicht, daß ich 150 Rb. zu viel bekommen haben und zurückzahlen sollte! Das verdroß mich mehr als daß ich überhaupt aus dem ganzen Vermögen meines Vaters nichts mehr bekam, denn, bemerkte ich, ›den Ruhm solltet Ihr mir doch gönnen, daß ich mich bei geringer Unterstützung und wenigen Mitteln so ehrenwerth auf Universitäten durchgeschlagen habe!‹ Dennoch war das nur eine augenblickliche Verstimmung. 17

Nachdem ich in Amsterdam mich noch einige Tage aufgehalten hatte, eilte ich in meine Heimat und kam in den letzten Tagen des Novembers in Fallersleben an. Die Freude des Wiedersehens war groß. Acht Monate war ich auf Reisen gewesen und wußte viel zu erzählen. Meine Mutter hatte sich sehr geängstigt wegen meines langen Ausbleibens und war auch immer noch sehr besorgt für meine Zukunft gewesen. Sie schien sich jetzt mehr zu beruhigen, an meinen Aufenthalt in Berlin, wohin ich nun ging, knüpfte sie die besten Hoffnungen. Um vor Einbruch des Winters noch dort zu sein, beschleunigte ich meine Reise. Mein Bruder erwartete mich schon [125] seit dem Sommer, er hatte Alles für mich in Bereitschaft setzen lassen.

Am 3. December kam ich des Abends in Berlin an. Als der Postwagen die Leipziger Straße entlang fuhr, sah ich immer zum Fenster hinaus. Bis zur Königsstraße fand ich nichts, was nur irgend einen Eindruck auf mich gemacht hätte. Die Beleuchtung war nicht sonderlich, nur die langen Straßen erinnerten an das Großstädtische. Ich ließ mich sogleich zu meinem Bruder bringen, Rosenstraße Nr. 4 auf dem Werder, hinter des Königs Palais. Die Freude des Wiedersehens war groß und des Erzählens kein Ende. Wir machten dann einen Spaziergang. Wir kamen gleich in die Gegend, wo das Großartigste in Berlin sich vereint findet, vom Anfange Unter den Linden bis zum Lustgarten. Es war ein überraschend prachtvoller Anblick, als eben der Mond durch die Wolken drang und wir in der Nähe der Hauptwache rechts und links die bedeutendsten Bauwerke Berlins übersehen konnten. Die nächsten Tage unternahm ich einige Wanderungen durch Berlin, um die Plätze und Straßen kennen zu lernen und mich bald in der großen Stadt leichter zurecht zu finden.

Mein Bruder führte mich dann zu seinen Freunden und Bekannten. Das waren ganz nette Leute aus dem Beamten- und Kaufmannsstande, konnten mir aber nicht genügen. Meine Studien und Bestrebungen verlangten einen ihnen entsprechenderen Verkehr.

Schon in Coblenz hatte ich viel gehört von einem Herrn von Meusebach, der dort Präsident der provisorischen Verwaltung der Rheinlande gewesen war und dann als Geheimer Rath an den Rheinischen Cassations- und Revisionshof in Berlin versetzt sei. Der besitze eine große Bibliothek, reich an altdeutschen Werken, sei ein großer Kenner und immer noch ein eifriger Sammler. Ich erfuhr bald seine Wohnung; eines Morgens ging ich zwischen 9–10 hin und ließ mich anmelden, wurde aber abgewiesen. Ich wiederholte noch zweimal meinen Besuch um dieselbe Zeit, wurde aber immer abgewiesen, es hieß: ›Der Herr Geh. Rath schläft noch.‹ Ich ließ mich nicht abschrecken: ich ging zum vierten Male hin, aber erst um 11 Uhr. Diesmal hatte ich sagen lassen, der Herr von Arnim habe mich ja schon angemeldet. Nach einiger Zeit kehrte der Bediente zurück: ich möchte eintreten. Herr von Meusebach war in eifrigem [126] Gespräche begriffen mit Frau von Savigny, begrüßte mich, ließ mich stehen und setzte sein Gespräch fort. Frau von Savigny war so gesprächig, daß sich gar kein Ende absehen ließ. Endlich nach einer guten Viertelstunde war der Born ihrer Beredtsamkeit versiegt und sie empfahl sich. M. wendete sich nun an mich. Ich sprach einfach aus was ich von ihm wünschte, nämlich seine Bücher zu sehen. Das gefiel ihm. Ehe er mir aber etwas zeigte, öffnete er die Thür zur Bibliothek und holte links aus der Ecke zwei gestopfte Pfeifen und bot mir die eine an. Als wir so recht damit im Zuge waren, schloß er eine Tapetenthür auf; in diesem unbemerkten Wandschrank wurden die Lieblingsbücher und kostbarsten und seltensten aufbewahrt. Zuerst zeigte er mir das Luthersche Gesangbuch von 1545: ›Was sagen Sie dazu?‹ Ich freute mich, staunte, bewunderte. Es folgte nun eine ganze Reihe derartiger Bücher, die ich alle noch nie gesehen hatte. Die Bücherschau dauerte bereits über anderthalb Stunden, da trat Friedrich der Bediente ein: ›Herr Geheime Rath, es ist angerichtet.‹ Das störte uns nicht, wir fuhren in unserm angenehmen Geschäfte fort. Friedrich kam wieder: ›Herr Geheime Rath, das Essen steht schon längst auf dem Tische.‹ – ›Gut. Nun kommen Sie mit!‹ – Ich hatte früher nie Sauerkraut essen können, heute schmeckte es mir vortrefflich, so wie der leichte Moselwein – einen anderen führte der Geh. Rath nicht. Frau von M. lachte, daß ich es heute so schön getroffen hätte. Die Unterhaltung war sehr heiter. Ich erzählte allerlei hübsche Geschichten so unbefangen als ob ich in einem Kreise alter lieber Freunde mich befände.

Nach Tische begaben wir uns wieder an unsern Wandschrank. Als der Kaffee kam, holte ich mir selbst eine frisch gestopfte Pfeife – Friedrich mußte immer an die dreißig wohlgereinigt und gestopft im Gange erhalten. M. ergötzte sich sehr, daß ich schon so gut Bescheid wußte. Wir begannen von neuem die Bücherschau. Es wurde Licht angezündet, wir setzten uns. Jetzt kamen die Liederbücher und die Fischartiana an die Reihe. Meine Freude steigerte sich. Der Thee wurde gebracht. Frau von M. kam mit ihren Kindern. Das störte uns weiter nicht. Wir unterhielten uns und besahen Bücher; Thee und Essen war Nebensache. Die Kinder gingen wieder fort, Frau von M. folgte bald nach, wir waren wieder allein. Eine frische Pfeife wurde angebrannt. Es war bereits spät. Mein Bruder [127] wußte nicht, wohin ich gegangen war – ich wollte jetzt nach Haus. Ich mußte bleiben. Es wurde zwölf, es wurde eins. Immer noch kein Ende. Da kam M. auf mein Liederbuch zu sprechen und meinte, es wäre hübsch, wenn er es mal sehen könnte. Das Sehen verstand ich recht gut und beschloß bei mir, es ihm zu Weihnachten zu verehren. Endlich um 1/22 schieden wir und waren nach funfzehntehalb Stunden erster Bekanntschaft beide recht frisch und vergnügt. Ich mußte versprechen, meinen Besuch bald zu wiederholen, und es fiel mir denn auch nicht im Geringsten schwer, recht bald Wort zu halten.

Noch vor Weihnachten war ich öfter bei Meusebach, und immer gleich halbe Tage lang. Die jedesmalige herzliche, vertrauenerweckende Aufnahme bewog mich, Alles auszusprechen was ich auf dem Herzen hatte. Ich erzählte M. von meinen bisherigen Studien und Arbeiten, von meinen Reisen, meinen Sammlungen, meinen Wünschen und Plänen für die Zukunft. Seine Art, humoristische, neckische Bemerkungen und Zwischenfragen einfließen zu lassen, reizte mich nur noch mehr zur Gesprächigkeit, und wenn ich mitunter mich auch verletzt fühlte und plötzlich schwieg, so wußte irgend ein besänftigendes Wort, das von seiner unendlichen Gutmüthigkeit so wie von seiner aufrichtigen Theilnahme für mich zeugte, Alles wieder gut zu machen.

Das Weihnachtsfest kam heran. Ich war bei Meusebach's dazu eingeladen und freute mich sehr, endlich wieder einmal den heiligen Abend, an den sich die lieblichsten Erinnerungen meiner Kindheit knüpften, in einer lieben Familie gemüthlich verleben zu können. Als der Weihnachtsbaum angezündet war, eilten die Kinder jubelnd zu ihren Geschenken, ich folgte ihnen und war freudig überrascht wie sie, denn auch ich war wie sie reichlich bedacht worden. Unter den hübschen Geschenken befand sich auch was ich mir lange gewünscht hatte, des Joh. Leonh. Frisch deutsches Wörterbuch, ein schönes in Pergament gebundenes Exemplar. Meine Freude wurde noch erhöht, als ich M. meine Liederhandschrift, die ich in Bonn auf dem Trödel gekauft hatte, schenkte und er über diese unerwartete Gegengabe sich so unendlich freute. Es war ein fröhlicher Abend, ich ging erst nach Mitternacht heim.

Zu den Festtagen war ich wieder eingeladen und auch auf Silvester. Der letzten Einladung konnte ich nicht folgen, da mein [128] Bruder für mich bereits eine andere angenommen hatte. Neujahr dagegen feierte ich mit und bei Meusebach.

Ich war den Tag sehr ernst gestimmt. Je angenehmer mir der Aufenthalt in Berlin von Tag zu Tag geworden war, um so drückender ward das Gefühl, daß sich keine Aussicht zu einem bestimmten Lebensberufe mir eröffnete. Privatdocent an der Berliner Universität zu werden, hatte ich keine Mittel, und es wäre auch wol sehr langwierig geworden, bis ich es zum Professor, und am Ende noch ohne Gehalt, gebracht hätte. Eine Stelle an einer Bibliothek schien mir noch am wünschenswerthesten. Ich hätte dann zugleich Hülfsmittel für meine Studien gewonnen und bei meinen Berufsarbeiten auch Zeit übrig behalten zu eigenen Arbeiten.

M. kannte meine Neigungen bereits und meinte, ich müßte mich um eine Stelle bei der königlichen Bibliothek bewerben und zunächst eine Eingabe an den Minister machen. Einige Tage nachher besuchte ich ihn wieder. Sein erstes Wort war: ›Wie steht's mit Ihrer Eingabe?‹ – ›Daran habe ich noch nicht weiter gedacht.‹ – ›Nun, fuhr er fort, ich habe Ihnen eine gemacht‹ und damit überreichte er mir einen höchst scherzhaft gehaltenen Entwurf einer Eingabe an den Minister Altenstein.

Ich las und mußte herzlich lachen. Daß ich die Sache so lustig nahm, freute ihn sehr und er meinte, wenn mir diese Eingabe nicht gefiele, so wolle er mir eine andere machen, die ich einreichen könnte. Er hielt Wort. Nach einigen Tagen überreichte er mir eine von ihm verfaßte und eigenhändig geschriebene. Diese fand meinen und meines Bruders vollkommenen Beifall; ich schrieb sie ab und reichte sie beim Minister ein.

Schon am 22. Januar schickte der Minister dieselbe an den Oberbibliothecar Wilken ›mit dem Auftrage, sich gutachtlich darüber zu äußern, ob und in welcher Qualität derselbe (der Privatgelehrte H.) seinen Wünschen gemäß, bei der hiesigen Bibliothek angestellt werden kann; auch über seine wissenschaftliche Bildung durch Unterredung mit ihm und Einsicht seiner schriftstellerischen Arbeiten sich Kenntniß zu verschaffen und darüber zu berichten.‹ Ich machte demgemäß Herrn Oberbibliothecar Wilken meine Aufwartung. Er empfing mich nicht eben freundlich. Ich ward etwas verlegen, antwortete aber bald unbefangen auf alle Fragen und übergab ihm einen Theil meiner [129] Arbeiten zu gelegentlicher An- und Durchsicht. Etwas ärgerlich und ohne alle Hoffnung auf Wohlwollen verließ ich Wilken. Zu meinem nicht geringen Erstaunen erfuhr ich später, daß er sehr günstig über mich berichtet hatte.

Ich mußte lange auf Antwort warten und lebte deshalb der Hoffnung, daß eine günstige erfolgen würde. Nicht also. Zu meinem Geburtstage (2. April) wurde ich mit einer kurzen abweisenden Antwort überrascht. Es stand mir aber doch noch eine Freude für diesen Tag bevor. Ich war zu Meusebach's eingeladen und fand dort eine reiche Geburtstagsbescherung, darunter auch die ehemalige Eschenburg'sche Handschrift mit niederdeutschen Gedichten aus dem 15. Jahrhundert. Ich war nun fröhlich mit den Fröhlichen und dachte nicht weiter der fehlgeschlagenen Hoffnung auf eine baldige Anstellung.

Das Meusebach'sche Haus gewährte mir damals was ich sonst nur in verschiedenen Häusern, ja oft nicht einmal in einer und derselben Stadt finden konnte: eine belehrende und anregende wissenschaftliche Unterhaltung, eine ausgezeichnete Bibliothek, traulichen Familienverkehr und die Gelegenheit, viele bedeutende Männer und Frauen kennen zu lernen. Sie standen mit M. theils in freundschaftlichen, theils in amtlichen Beziehungen oder suchten seiner Bekanntschaft. Es fanden sich dort dann und wann ein: Graf Gneisenau, damals Gouverneur von Berlin, General-Major Carl von Clausewitz, die Majore G.v. Below und v. Tümpling, Hegel, v. Savigny, v. Sethe, Geheime Rath Eichhorn, Prof. Rösel, Achim und Bettina v. Arnim, Graf Schlabrendorf, Georg Anton v. Hardenberg (als Dichter unter dem Namen Rostorf bekannt), der schwedische Generalconsul Dehn, der Hamburger Ministerresident Lappenberg, Professor Zeune, Johannes Schulze.

M. hörte damals schon schwer und es war ihm lästig, sich lange mit Leuten zu unterhalten, denen er Rücksicht schuldig war oder mit denen er nichts zu sprechen fand von Belang. Wenn sie dann länger zu bleiben die Absicht zeigten, so wußte er keinen besseren Ableiter als das Spiel, zumal er selbst gerne spielte. So pflegte er immer mit Hegel und Dehn sich zum L'hombre zu setzen, später auch mit meinem Bruder, der bald Meusebach's liebster Spielcamerad wurde.

Unterdessen war Frau v.M. in ihres Mannes Zimmer, wo das Clavier stand. Sie spielte mir dann die schönen Kreutzer'schen Compositionen [130] der Uhland'schen Lieder, oder wol meine eigenen Melodien, die ich mir hatte aufzeichnen lassen.

Ich verlasse jetzt das Meusebach'sche Haus, um zu erzählen was ich zu Hause trieb und mit wem ich sonst bekannt wurde. Den ganzen Frühling und Sommer arbeitete ich recht fleißig: ich studierte Grimm's Grammatik in neuer Auflage, deren Aushängebogen mir der Verfasser gütigst zugesendet hatte, ich machte Abschriften alter Handschriften, Auszüge für Sprache und Litteraturgeschichte und benutzte viel die königliche Bibliothek. Nebenbei dichtete ich und fang mir zu manchem Liede eine Weise, die ich mir dann aufzeichnen ließ von irgend einem Musiker. Niemand war bereiter dazu als Kretzschmer.

Andreas Kretzschmer lebte als pensionierter geheimer Kriegsrath in Berlin und beschäftigte sich mit Musik und Volkspoesie. Er war kein Musiker von tiefen theoretischen Kenntnissen und practischer Ausbildung, hatte aber einen feinen Sinn für schöne volksthümliche Melodien und Glück in eigenen Compositionen. Leider liebte er das Geistige in zu weiter Ausdehnung und zerrüttete dadurch sich und sein Hauswesen. Er hatte hübsche Sachen gesammelt, Liederbücher, alte Drucke und Handschriften, die er nach und nach verkaufen mußte.

Wenn ich in seiner Familie war, da merkte ich nichts von seiner Neigung zum Trunke. Es ging sehr bürgerlich einfach zu, nur ein kleines Fläschchen Rum wurde herumgereicht und der Hausvater maß sich zwei Löffel voll ab und that sie in den Thee. Sah ich ihn aber bei mir oder sonstwo, so hatte er gewöhnlich schon des Guten zu viel gethan. So lieb es mir war, daß er mir meine Melodien aufzeichnete, und so sehr ich auch von seiner freundlichen Gesinnung gegen mich überzeugt war, so wurde mir doch der Verkehr mit ihm nach und nach verleidet. Er war gemüthlich, gefällig, talentvoll, das ist war, aber er wurde leichtsinnig und unzuverlässig wie im Leben so auch leider in seinen ›Deutschen Volksliedern‹, wovon er noch einige Hefte selbst herausgab.

Schon funfzehen Jahre vor dieser Sammlung – die Ankündigung erschien 1837 –, beabsichtigten wir mit Chamisso eine ähnliche. Kretzschmer hätte hier gewiß etwas Ausgezeichnetes geleistet, da es hier nicht darauf ankam, etwas Ueberliefertes getreu wiederzugeben, seine musicalische Phantasie hätte freien Spielraum gehabt und er [131] keine Verantwortlichkeit. Der ganze Plan kam, wie so mancher, den K. mit sich herumtrug, nie zur Ausführung.

Da ich den Aufzeichnungen Kretzschmer's nicht so recht trauete, so sah ich mich noch nach anderen Musikern um. Eines Tages besuchte ich Ludwig Berger. Ich begrüßte ihn als den trefflichen Componisten von: ›In einem kühlen Grunde‹, und ›Als der Sandwirth von Passeyer‹. Wir sprachen viel über Composition und wie wol Gedichte die sich dazu eigneten beschaffen sein müßten. Dann erzählte ich ihm, daß ich meine Lieder selbst componierte, obschon ich keine Note verstände. Ich sang ihm einige vor und bat ihn dann, sie mir aufzusetzen. Er war sehr bereitwillig. Ich mußte nun satzweise singen und wiederholen, das wurde mir schwer, und es kam mitunter etwas anderes zum Vorschein als beim ersten oder zweiten Male. Er ließ sich dadurch nicht stören. Ich mußte immer wieder singen. Zuweilen fragte er: ›Ist das wirklich so? das geht nicht gut.‹ – ›Nun, meinte ich, dann bringen Sie es in eine gesetzliche Form!‹ – Später trafen wir bei Chamisso zusammen. Wir sprachen viel über Volksmelodien. ›Ja, meinte Chamisso, ich würde viel darum geben, wenn eine recht volksthümliche Melodie zu meinem: »Der Zopf der hängt ihm hinten«, gemacht würde!‹ – ›Machen wir selbst eine!‹ sagte ich, und fing gleich an zu singen, Chamisso und Berger stimmten ein; wir sangen so lange, bis das Ding rund wurde. Berger setzte dann die Dreimänner-Melodie auf. Ich habe das Blatt noch, wozu jeder von uns schließlich einen Kerl mit einem Zopf zeichnete.

Auch Franz Stöpel verdankte ich mehrere Aufzeichnungen meiner Melodien.

Jede Aufzeichnung von einem dieser drei Musiker brachte ich sofort zu Meusebach's. Frau von M. war dann so gütig, sie mir vorzuspielen und nun konnte ich erst mein eigenes Kunstwerk recht kennen lernen und beurtheilen. Obschon ich das Ganze nur als Spielerei betrachtete, so hatte ich doch Freude daran und der eigentliche Gewinn dabei war: ich wurde immer von neuem zum Dichten angeregt.

Mein Verkehr mit Meusebach blieb während des Sommers ein naher und ich weilte viel in seinem Hause. Leider hatte sein Gehör die letzte Zeit sehr gelitten, die Unterhaltung mit ihm war dadurch [132] sehr erschwert. Ich konnte weniger darüber klagen; ich sprach langsam und deutlich, auch hatte er sich an den Ton meiner Stimme gewöhnt. Besonders angreifend war für ihn jede Sitzung des Revisionshofes. Kam dann M. zu Hause, so war er sehr gereizt und konnte über die größte Kleinigkeit außer sich gerathen. Wenn er heftig geworden, ließ er sich schwer besänftigen. Gewöhnlich erfolgte bei Tische ein Tonnerwetter. Ich war deshalb an allen Sitzungstagen (Mittwoch) zum Mittagsessen eingeladen und nannte mich selbst den Blitzableiter. So wie ein Gewitter losbrach, verhielt sich Alles ruhig. Wenn dann M. genug geblitzt und gedonnert hatte und ich bemerkte nur ein Stückchen blauen Himmel, dann gelang es mir gewöhnlich mit einem Worte, das gar keine Beziehung auf den Gegenstand seines Zornes hatte, den Frieden wieder herzustellen. Er war dann wieder sanft wie ein Kind, der allerliebenswürdigste Mann von der Welt, und wußte auch bei mir, wenn auch ich mein Theil Schelte bekommen hatte, Alles wieder gut zu machen. Wir rauchten dann die Friedenspfeife.

Meine Ruhe kam mir sehr zu statten, noch mehr aber, daß ich ihn in seinem ganzen Wesen erkannt hatte. Wir blieben immer die besten Freunde, ich liebte seinen Humor, ich ließ mir seine Neckereien und Sticheleien gefallen, ich ehrte seine vielseitigen Kenntnisse und Forschungen, und gab ihm Beweise, wie sehr ich ihn liebte und hochschätzte.

So theilte ich ihm von Zeit zu Zeit Manches mit, was ich hie und da in Berlin auftrieb. Auch auf andere Weise suchte ich seine Sammlungen zu bereichern. So stellte ich ein Liederbüchlein zusammen und ließ es drucken unter dem Titel: ›Die Schöneberger Nachtigall. Das ist: lauter schöne neue Lieder für die lieben Landleute alt und jung, die lustigen Handwerksburschen, für die braven Soldaten und die Herren Studenten gleichermaßen.‹ (Berlin, zu haben in der Zürngiblschen Buchdruckerei, Haakschen Markt No. 2.) M. erhielt ein Prachtexemplar und freute sich über das Büchlein so wie über die Art, wie ich bedacht war, seine Sammlungen zu vermehren.

Die Beziehungen zum Meusebachschen Hause füllten so sehr meine freie Zeit aus, daß ich zum Verkehre mit anderen Leuten kein rechtes Bedürfniß fühlte. Ich machte gegen Beginn des Winters nur noch wenig Bekanntschaften und vernachlässigte sogar die bereits[133] gemachten. Zwei liebe Universitätsfreunde waren gerade um die Zeit in Berlin: der Chemiker Dr. Runge und der Mineralog Dr. Friedrich Hoffmann, beide Privatdocenten, die mit einander in freundschaftlichem und wissenschaftlichem Verkehre standen. Als dritter gesellte sich zu ihnen Poggendorf, der sich meist mit Physik beschäftigte. Hoffmann lud uns öfter zu sich ein. Da gab es für uns denn immer gemüthliche Abende. Obschon ich mich unter lauter Naturforschern befand, zu denen sich auch noch Chamisso, der Botaniker v. Schlechtendal und der sehr junge Astronom Jacob Wilhelm Heinrich Lehmann gesellten, so war doch die Unterhaltung durchaus nicht einseitig. Sehr ergötzten wir uns, wenn Chamisso, den ich hier erst kennen lernte, von seiner Reise um die Welt erzählte. Er wußte durch sein Hand- und Geberdenspiel und seine mitunter unbeholfene Sprache die unbedeutendste Geschichte interessant zu machen.

Später war ich auch in Chamisso's Hause und verlebte dort einige schöne Abende. Frau v. Ch. war eine hübsche anmuthige Frau und im Bewußtsein ihres Glückes blickte sie so recht liebeselig in die Welt hinein. Sie konnte sehr naiv sein – sie selbst, die Zeugin der überschwenglichen Liebe ihres Mannes, meinte, als ich einige Liebeslieder las: ›Wie kann man aber auch so verliebt sein!‹ Dagegen meinte ihr Mann, dem das Volksthümliche über Alles ging und der fast immer vergebens danach strebte: ›Der singt wie der Vogel singt.‹ – Eines Abends war auch Joseph von Eichendorff zugegen. Die Unterhaltung war eine sehr belebte, wir brachen erst um Mitternacht auf. Ich ging nachher noch mit Eichendorff eine Zeitlang spazieren in den langen stillen Straßen Berlins, wir unterhielten uns viel über Poesie und Philisterei.

Das Weihnachtsfest kam heran. Ich war bei Meusebach's eingeladen. In heiterster Stimmung traten wir in das Bescherungszimmer. Der Tannenbaum mit seinen vielen bunten brennenden Lichtern, goldenen und silbernen Äpfeln und Nüssen, beglänzte die Geschenke, die wir uns wechselseitig bescherten. Es war manches Sinnreiche darunter: so hatte Frau v.M. ein Buch vom Conditor bereiten lassen, das sehr täuschend aussah, es hatte die zierliche Aufschrift einer der Fischartschen Schriften, die M. noch fehlten.

Am Silvesterabend hielten wir eine Nachfeier. Wir waren wieder sehr heiter. Die Familie zog sich zurück, ehe das neue Jahr [134] anhub. Ich blieb mit M. allein und wir ließen es herankommen. Zu sehr vorgerückter Stunde trat der Herr Geheime Rath Johannes Schulze ein. Er kam aus einer Gesellschaft, wo man eben nicht trockenen Mundes gesessen hatte. Kaum hat er auf dem Sopha Platz genommen, so erscheint Frau v.M. Schulze entschuldigt sich in Einem fort, daß er es gewagt habe, so spät einzukehren. ›Sehen Sie, Herr Geheimer Rath, beginnt darauf M., was mir meine Frau zu Weihnachten beschert hat‹ – und überreicht das nachgemachte Buch. Schulze nimmt es ›Allerliebst! allerliebst!‹ will es öffnen und – zerbricht es: ›Bitte tausendmal um Entschuldigung! Nein, daß mir auch so was passieren muß! solch Kunstwerk zu zerbrechen!‹ Er ist gar nicht wieder zu beruhigen und bittet immer tausendmal um Entschuldigung. Unter solchen Umständen scheint es denn doch dem Herrn Geheimen Rath am gerathensten sich zu empfehlen. Wie ich das merke, wende ich mich an ihn: ›Erlauben Sie Herr Geheimer Rath, daß ich Sie begleiten darf?‹ – ›Mit dem größten Vergnügen!‹

Ich fasse ihn unter und wir gehen Arm in Arm zum Döhnhofsplatz. Die frische Luft wirkt beruhigend und ich benutze die gute Gelegenheit, mich gegen den Herrn vortragenden Rath im hohen Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten auszusprechen. So erfahre ich, daß demnächst an der breslauer Bibliothek eine Custodenstelle frei wird. Allerdings verspricht sich der Herr Geheime Rath von einer etwaigen Bewerbung meinerseits kaum einen Erfolg.

Unterdessen hatten wir sein Haus erreicht: ›Herr Geheimer Rath, ich wünsche Ihnen nochmals ein fröhliches Neujahr und bitte um Ihr ferneres gütiges Wohlwollen.‹ – ›Was an mir liegt, werde Alles thun – kommt Alles auf den Minister an. Ich danke Ihnen. Leben Sie wohl! leben Sie wohl!‹

Noch in der Nacht erzählte ich meinem Bruder mein Abenteuer. Er meinte, ich müsse sofort ein Bittgesuch um die Custodenstelle in Breslau an den Minister einreichen. Am andern Morgen machte mir mein Bruder die Eingabe, ich schrieb sie ab und trug sie ins Ministerium.


1823.


Ich hegte die beste Hoffnung und wartete sehnsuchtsvoll. Nach vierzehen Tagen hielt ich es doch für gerathen, ein neues Gesuch [135] an den Minister zu richten. Es war wieder der 14. Januar, an dem ich vor einem Jahre an den Minister schrieb. Ich legte mehrere meiner Arbeiten bei, unter anderen eine Übersicht der mittelniederländischen Dichtungen, die später alsPars I. der Horae belgicae erschien.

Ich lebte nun in banger Erwartung. Wenn ich mitunter traurig gestimmt war, daß auch diesmal wieder eine abschlägige Antwort erfolgen könnte, so ging ich zu Meusebach's und fand dort immer die freundlichste Theilnahme und vergaß in dem traulichen Familienkreise Alles was mich heimlich quälte.

Karolina war noch ein Kind, aber es war ein Bedürfniß meines Herzens, sie als meine künftige Geliebte zu betrachten. Ich liebte und sang von Liebe und durfte doch niemandem sagen, wen ich mit Rosegilge und Arlikona meinte.

Daß sie einst eine Quelle meiner unerfüllten Sehnsucht, eines nachhaltigen Schmerzens werden würde, hatte ich schon im vorigen Sommer geahndet. Aus dem Juni 22 stammt das einst viel gesungene Lied nach der schönen Weise von Curschmann: ›Du siehst mich an und kennst mich nicht.‹ 18

Und ich sollte bald von ihr scheiden und von Allem scheiden was mir lieb und theuer war in Berlin. Am 4. März wurde ich vom Minister v. Altenstein ›bei der Central-Bibliothek in Breslau als Custos vorläufig und zur Probe auf Ein Jahr gegen eine Remuneration von 300 Rb. ‹ angestellt und erhielt 35 Rb. Reisegeld. Ich war herzlich froh, der liebevollen Fürsorge meines Bruders enthoben und selbständig geworden zu sein. Wenn auch das ›vorläufig und zur Probe auf Ein Jahr‹ meine Zukunft noch in Zweifel stellte, auch ich keine angenehmen Dienstverhältnisse mir versprechen durfte, indem ich der Willkür des Curators und des Bibliothecars völlig preisgegeben war, so fühlte ich mich doch stark genug, allen Intriguen gewachsen zu sein.

Schlesien kannte ich noch gar nicht. Was ich davon wußte, hatte ich aus Büchern erfahren und aus den Erzählungen meiner Freunde. Es war mir eigentlich von Deutschland zu fern und nun von Holland, mit dem ich noch immer in lebhaftem freundschaftlichen [136] Verkehre stand, erst recht fern. Meine Mutter weinte, als ich nach Bonn ging; wie sie hörte, ich müsse nach Breslau, weinte sie nicht mehr, das lag ihr außer der Welt.

Hatte ich mich im Briefwechsel bisher sehr mäßigen müssen, so stand mir jetzt in Sicht, daß das nun noch mehr der Fall werden würde. Das Porto wurde nach Entfernungen berechnet und Breslau war eben von allen Orten fern wohin ich künftig schreiben mußte oder möchte. Also der briefliche Verkehr war mir erschwert und der persönliche vorläufig unmöglich. Durch die weitere Entfernung war das Reisen kostspieliger geworden. Die Fahrposten waren schlecht und langsam, die eben eingerichteten Schnellposten unser einem zu theuer, obschon sie viel Bequemlichkeit und schnelle Beförderung boten.

Der Gedanke an die Ferne und die Fremde machte mir den Abschied erst recht schwer, es war mir, als ob ich ein unsicheres angenehmes Leben gegen ein sicheres unangenehmes vertauscht hätte.

[137]
Fußnoten

1 Brief vom 7.–8. Mai 1815. Das Gedicht beginnt:

›Rechtschaffenheit erliegt der stolzen Schande,

Und darbet in der langersehnten Zeit,

Und trägt des Hochmuths hinterlassnes Kleid.

Die Bosheit prunkt in seidenem Gewande.

Der Afteradel knüpfet neue Bande‹ – u.s.w.

G.

2 Bei dem Pastor in Heddingshausen (Kreis Brilon), einem sehr liebenswürdigen gelehrten Mann fand ich eine Handschrift des Heldenbuchs v. Jahre 1442.

H.

3 Hoffmann veröffentlichte diesen Brief noch in demselben Jahre in Oken's Isis (Jahrg. 1818. Spalte 1764–1766) unter Nennung seines Namens. In demselben Jahrgang der Isis sind auch Hoffmannsche Epigramme, jedoch anonym, mitgeteilt (vgl. unten S. 69 und 70). Diese beiden Veröffentlichungen sind die einzigen des Jahres 1818 und überhaupt die ersten, welche aus Hoffmanns Feder geflossen sind.

G.

4 1818. Bogen 8**** und 1580. 1581.–1819. Sp. 318–320. 478–480. 776–778. – 1820. Sp. 753. 754.

H.

5 In den ›Bonner Burschenliedern‹ teilt Hoffmann zwei eigene Lieder, die kurz vorher in Bonn entstanden sind, unter dem Pseudonym ›P. Siebel‹ mit. Es sind die Lieder Nr. 7. S. 18–20. ›Was flimmert wie goldene Sterne‹ – und Nr. 39. S. 211–213: ›Wo die Berge sich heben im Sonnenlicht‹. Das letztere Lied ist in die Ges. W. (Bd. III. S. 31–33) aufgenommen. Schon Goedeke schreibt beide Lieder Hoffmann zu (Grundriß zur Gesch. d. Deutschen Dichtung. Bd. III. S. 261) und erklärt das Pseudonym richtig als›Poet Siebel.‹ Hoffmann führte nämlich unter seinen Bonner Studiengenossen den Spitznamen. ›Der Poet‹ (vgl. Unten S. 83). Genaueres giebt J. M. Wagner in einem Nachtrag zu seiner bibliographischen Schrift über Hoffmann (Petzholdt's Neuer Anzeiger für Bibliographie und Bibliothekswissenschaft. 1870. April. S. 107. 108 – von uns mitgeteilt in den Ges. W. Bd. III. S. 283. Anm. 6).

G.

6 Die Gretchenlieder finden sich in dem ersten Abschnitte der ›Lieder und Romanzen‹ (S. 1–42; 29 Gedichte), aus welchem eine Auswahl von 23 Gedichten in die Ges. W. aufgenommen ist (Bd. I. S. 175–192; vgl. ebenda S. 397. Anm. 45). Noch enthält dieser Abschnitt nicht nur Lieder an Gretchen; 2 Gedichte liegen vor der Bonner Zeit (Nr. 3. 20); einige Lieder gelten Henriette von Schwachenberg, die Hoffmann zu Anfang April 1820 kennen lernte. Die Trennung zwischen den Liedern an Gretchen und Henriette läßt sich nicht vollständig durchführen. Durch das Vorkommen des Namens sind als Gretchenlieder bezeugt Nr. 2. 6. 7. 10. 11. 18; diejenigen anderen Lieder, die nachweislich vor des Dichters Bekanntschaft mit Henriette entstanden sind, dürfen wohl ebenfalls auf Gretchen bezogen werden.

G.

7 Ungenaue Angabe; Abreise von Bonn nach einer handschriftlichen Bemerkung am 16. März; zweite Ankunft in Wetter am 22. Juni.

G.

8 So groß ihre Freude war über meine Ankunft, eben so groß war auch ihre Betrübniß über mein Aussehn. An Bruder Daniel schrieb sie den 18. April: ›Bevor ich Dir aber mehr sage, muß ich Dir erst die frohe Nachricht mittheilen, daß unser Bruder Heinrich hier am Mittwoch-Nachmittag ganz unerwartet ankam. Meine Freude war unbeschreiblich, da ich so lange nichts von ihm gehört hatte. Beim nähern Anblick wurde ich aber so wehmütig gestimmt, er schien mir nicht mehr der sanft liebende Bruder zu sein, sein Körper hat ein rauhes Ansehn gewonnen. Er trägt einen furchtbar langen Bart, statt der Weste eine Art Ueberzug von schwarzem Sammet-Manchester, dazu ist er ganz gelb gebrannt von der Sonne. Jeder Mensch erschrickt vor ihm, und so unendlich viel ich ihn auch gebeten habe, will er mir dennoch die Liebe nicht erzeigen und seinen furchtbaren Bart abnehmen lassen. Doch was rede ich Dir von seinem Aeußern! Uebrigens ist er noch ebenso, hat noch dieselben Ideen und Eigenheiten, die er sonst hatte. Was ich aber am meisten an ihm liebe, ist seine Charakterfestigkeit.‹

H.

9 Vgl. Anm. S. 102.

10 S. die zusammengestellten Acten im 3. Hefte der ›Geschichte der geheimen Verbindungen der neuesten Zeit‹ (Lpz. Barth 1831).

H.

11 Aus den ›Liedern und Romanzen‹ ist der größte Teil der Liebeslieder in die Ges. W. aufgenommen (vgl. oben S. 82. Anm.) dagegen sind von den Romanzen nur einige Proben mitgeteilt (vgl. Ges. W. Bd. III S. 255–260 u. S. 299 Anm. 59).

G.

12 Henriette; sie schreibt dem Freunde: ›Ihre Gedichte haben mir unendlich viele Freude gemacht. Nehmen Sie den Dank für jedes wehmütige süße Gefühl, was ich stets beim Lesen empfand, und noch empfinde‹.

G.

13 Die Lieder in allemannischer Mundart, welche Hoffmann für ›Meieli‹ gesungen hat, stehen an Zartheit der Empfindung den hochdeutschen Liebesliedern nicht nach. Sie sind in den ›Allemannischen Liedern‹ (fünf Auflagen; fünfte 1843. Mannheim) veröffentlicht. In den Ges. W. fehlen sie vorläufig wie die dialektischen Dichtungen überhaupt; sie sind für einen beabsichtigten 9. Band zurückgelegt.

G.

14 Ges. W. I, 193. 194.

G.

15 Ges. W. Bd. II. S. 325.

16 Aus den damals und in der Folgezeit entstandenen ›Liedern an Meieli‹ (Ges. W. Bd. I. S. 193–195).

17 Auf diese Familienangelegenheit bezieht sich das Gedicht ›Bin noch jung und guter Dinge‹. (Ges. W. Bd. I. S. 19. 20.)

G.

18 Ges. W. Bd. I. S. 197.

G.

2. Band
Zweiter Band.
(Breslau, Frühling 1823 bis Ende 1836).

Den 21. März, also mit Frühlingsanfang reiste ich ab. Nach zwei Tagen und drei Nächten kamen wir in Breslau an. Ich war sehr ermattet, an allen Gliedern wie gelähmt.

Breslau hatte etwas Fremdes für mich, es machte auf mich gar nicht den Eindruck einer deutschen Stadt. In den zwar geraden, aber schmalen Straßen, zwischen hohen, finsteren Häusern bewegte sich langsam eine wühlige Volksmenge, darunter Kerle in schmierigen Schafpelzen, in alten Schlafröcken, Bettler in zerlumpten Kleidern, nur hin und wieder Mädchen in sauberem nettem Anzuge. Die öffentlichen Plätze sind viel zu klein, als daß sie sonderlichen Eindruck machen könnten; der schönste ist von unansehnlichen Häusern umgeben. Der Raum um den Ring war an der Ost- und Südseite mit grundfesten Bauden besetzt und so verunstaltet. Die Kirchen, zwar keine Kunstwerke, aber doch von bedeutendem Umfange, traten nicht recht zum Vorschein, sie waren meist durch schlechte Anbaue entstellt. Von den großen öffentlichen Gebäuden gewährte mir nur die Universität von der Oderbrücke gesehen einen großartigen Anblick.

Mein erster Besuch galt dem Professor der Rechte,Dr. Förster, zweitem Custos der königlichen und Universitäts-Bibliothek. Ich sollte vorläufig sein Stellvertreter und später sein Nachfolger werden. Wir sprachen erst über gleichgültige Dinge und kamen dann auf die Bibliothek zu sprechen. ›Wie man mir in Berlin sagte, soll sie ja noch sehr in Unordnung sein –‹, so etwas äußerte ich ganz harmlos, gar nicht als meine Ansicht. Diese Worte, die freilich wahr, aber gar nicht böse gemeint waren, galten für eine Kriegserklärung. Förster sagte sie brühwarm seinem vertrautesten Freunde Unterholzner [139] sofort wieder und dieser empört darüber kam sofort um seinen Abschied ein. Der Krieg gegen mich war begonnen und dauerte von diesem Augenblicke an bei der Bibliothek fort, nur durch längere und kürzere Waffenstillstände unterbrochen.

Ich besuchte dann den Bibliothecar Professor Unterholzner. An ihn war ich durch das Ministerialrescript verwiesen worden. Er empfing mich recht freundlich. Nach kurzer Unterhaltung beschied er mich zum anderen Tage auf die Bibliothek. Ich war sehr überrascht, ein so stattliches Gebäude zu finden, das zwar früher zu einem anderen Zwecke gebaut 1, zu einer Bibliothek wie geschaffen war: viele, nicht zu große, nicht zu hohe Zimmer, mit breiten Wandflächen, mit den gehörigen Durchgängen, und nach allen Seiten hin hell. Im zweiten und dritten Stocke lange Corridore, an beiden Seiten mit Büchergestellen. Unterholzner kam und führte mich durch die einzelnen Säle und machte mich flüchtig mit der Aufstellung bekannt. Dann zeigte er mir die verschiedenen Kataloge im Arbeitszimmer, sprach kurz über ihre Einrichtung und wies mir in einem abgelegenen Zimmer eine Arbeit zu: das Ordnen und Verzeichnen der Ordensgeschichte (Historia Sodalitiorum), und – überließ mich meinem Schicksale.

Seit Gründung der Bibliothek im Jahre 1811 waren sehr viele Beamte, Gehülfen und Freiwillige dabei thätig gewesen, anfangs sogar zwei Oberbibliothecare, und doch war noch kein Alles umfassender alphabetischer Katalog vorhanden. Der jetzige bestand aus vier besonderen, und jeder derselben war nach anderen Grundsätzen angelegt. Real- oder wie wir sie nannten Stand-Kataloge waren nicht von allen Fächern vorhanden und die vorhandenen zum Theil sehr schlecht. Bei der Leidenschaft Unterholzner's Alles neu und besser zu ordnen, stand auch mir eine Fülle von Arbeiten in Sicht.

Alles schien sich für mich gut zu gestalten. Zu Anfange Julis schrieb ich meinem Bruder: ›Mein Eifer für die Bibliothek ward bald ruchtbar, und wo man nichts von mir wußte, hatte man doch schon von einem unermüdlichen Bücherwurm gehört, dessen einsames, anspruchloses Leben eher Mitleiden, Theilnahme und Aufmunterung verdiene als irgend eine kränkende Behandlung .... Unterholzner ist mir gewogen [140] und immer und überall so freundschaftlich, daß ich das Verhältniß der Untergebenheit nie drückend gefühlt habe. Wir arbeiten oft gemeinschaftlich, berathen das Beste der Bibliothek und sind in unseren Ansichten und Wünschen einstimmig.‹ Durch Unterholzner's Vermittelung erhielt ich endlich auch die mir bisher verweigerten Bibliotheksschlüssel. Ich konnte nun die lange Tageszeit freier benutzen, ich blieb länger auf der Bibliothek, suchte nach und nach alle einzelnen Fächer kennen zu lernen und machte bei der Gelegenheit hübsche Entdeckungen. Unter den Handschriftbruchstücken, womit meist die alten Bücherdeckel inwendig beklebt waren, entdeckte ich manches wichtige, so unter anderen Bruchstücke aus den verloren gegangenen Stücken von Maerlant's Spieghel historiael. 2

Mein geselliger und wissenschaftlicher Verkehr war bisher gering. Von der Hagen und Büsching, mit denen ich früher schon in Briefwechsel stand, hatte ich persönlich kennen gelernt. Beiden gebührt das Verdienst, in der traurigsten Zeit Deutschlands auf das Altdeutsche aufmerksam gemacht zu haben. Büsching war ein langweiliger, philisterhafter Gesellschafter und trockener Professor, der durchaus nicht litt an Überfluß geistiger Fähigkeiten und Kenntnisse. Seine Angst, daß ich ihm einmal Mitbewerb (Concurrenz) machen könnte, ließ ihn immer unmittheilender und kälter gegen mich werden, und wie ich das merkte, suchte ich seinen Umgang nicht weiter. Von der Hagen dagegen konnte, so ledern er auch in seinen Schriften war, doch im Verkehre recht lebendig, mitunter sogar geistreich sein. Ich war gerne bei ihm. Er gab damals Gottfrieds von Straßburg Werke heraus in zweitem Druck, der erste war zu seinem doppelten Vortheil abgebrannt: er bezog die dem Drucker eigentlich gebührenden Entschädigungskosten und konnte zugleich sein Buch jetzt in besserer Gestalt veröffentlichen. Ich überließ ihm dazu meine Bruchstücke von Eilhart; sie wurden dem 2. Th. S. 313–321 angehängt.

Von Henriette hatte ich seit Jahr und Tag nichts erfahren. Ich wollte und konnte ihr nicht schreiben. Was sollte ich mir Hoffnungen erwecken, die nie in Erfüllung gehen sollten? Sie wußte nicht was aus mir geworden war. Sie hatte mich nicht vergessen und suchte ihr Andenken zu erneuen durch sehr liebe werthvolle Geschenke, [141] die bei meinem Bruder in Berlin abgegeben waren. Ich erhielt sie erst Anfang Julis, ihr Brief war vom 8. Mai: ›Nehmen Sie beigelegte Kleinigkeiten als Erinnerungen von der Freundin aus dem stillen Thale an; unendliche Freude habe ich bei den kleinen Handarbeiten empfunden, sie liegen schon so lange Zeit da, mir fehlte bisher der Muth sie Ihnen zu schicken. Lassen Sie mich hoffen, daß Sie meine kleinen Sachen nicht verschmähn. Ihre Lieder machten mir so unendlich viele Freude, daß es mich schmerzt, Ihnen nichts Bessers geben zu können – so mag denn der Reichere die Gaben der Ärmeren, die nichts anders zu schaffen weiß, gütig annehmen – – Ich scheide mit wehmüthigem Herzen, und wende dabei noch einmal einen Blick zur Vergangenheit.‹ – Ich war sehr überrascht, und wehmüthig gestimmt; auch mein Blick wendete sich zur Vergangenheit, und doch fühlte ich mich frei von aller Schuld, daß dieser Vergangenheit keine ihr entsprechende Zukunft folgte.

Ich hatte in meinen bisherigen freien Stunden im April und Mai den ersten Theil meiner Horae belgicae vollendet. Ich machte nun eine saubere Abschrift und fügte eine Zueignung an die Universität zu Leiden hinzu und schickte mein Werk an dieselbe ein. Darauf hin hatte schon den 14. Juni die Universität zu Leiden mich zum Doctor ernannt, ich erhielt das Diplom, auf Pergament geschrieben und mit dem großen Universitäts-Siegel versehen, erst den 25. Juli. Diese glänzende Ehrenbezeigung freute mich und alle meine Freunde gar sehr. – Anfang Septembers bekam ich ein rheumatisches Fieber, erst heftige Hals-, dann Brustschmerzen. Vierzehen Tage lag ich im Bette, ich litt viel, die Nächte waren mir ganz schrecklich. Es war kein Wunder: der lange Aufenthalt auf der Bibliothek, Tag für Tag sieben bis acht Stunden, war mir nachtheilig geworden; dies ewige Einathmen der feuchtkalten Luft und Einschlucken des hundertjährigen moderigen Bücherstaubes hätte auch einer kräftigeren Natur als der meinigen schaden müssen. Ich war so matt geworden, so erschöpft, daß ich bei meinem ersten Spaziergange unterwegs zusammensank und langsam geführt nach Hause geleitet werden mußte.

Als ich mich einigermaßen wieder wohl fühlte, setzte ich meine Bibliotheks-Arbeiten mit Lust wieder fort, aber ich hatte eine wunderbare Sehnsucht in die Welt hinaus. Ich bat um Urlaub zu einer Reise und er wurde mir unter den jetzigen Umständen leicht gewährt. [142] Ich reiste nach Berlin. Der Aufenthalt daselbst that mir sehr wohl: ich wurde im Meusebach'schen Hause und im Verkehre mit alten Freunden und Bekannten wieder recht heiter und frisch. Dem Minister machte ich meine Aufwartung so wie auch einigen geheimen Räthen.

Nach meiner Rückkehr zu Anfange Novembers gab es wieder in der Bibliothek Arbeit vollauf. Unterholzner, immer leidenschaftlich und unaufhaltsam im Auflösen, Ordnen, Neugestalten, hatte mir ein heizbares Zimmer neben den Arbeitszimmern einrichten lassen. Darin wurde nun nach unserm gemeinschaftlichen Plane die Litteraturgeschichte umgearbeitet und verzeichnet. Dann wurde ein neues Fach gegründet: Biographia; bis jetzt standen die Lebensbeschreibungen zerstreut in allen Fächern.

Gegen den Schluß des Jahres trieb ich stark das Althochdeutsche. Ich arbeitete fleißig an einer Übersicht der althochdeutschen Glossen und ordnete alphabetisch die sogenannten Trierer Glossen. Dann vollendete ich eine buchstäblich getreue Abschrift der Heidelberger Handschrift des Otfrid (Codex palatinus 42), welche mir die Universität besorgt hatte.

An Dichten war wenig zu denken, ich mußte trachten, trachten, daß ich durch wissenschaftliche Schriften die bereits eingenommene amtliche Stellung behauptete und eine bessere zu erhalten würdig erachtet würde.

Auch im neuen Jahre war der Briefwechsel mit Meusebach in lebhaftem Gange. Schon den Tag nach meiner Abreise von Berlin hatte M. damit begonnen. In Breslau fand ich Gelegenheit, für Meusebach's Bibliothek mancherlei zu erwerben. Ich hatte ihm zu seinem Geburtstage und zu Weihnachten hübsche Sachen geschickt, dann und wann Einiges gekauft und Tausche für ihn vermittelt. Er war sehr erfreut darüber und erkannte meinen Eifer dankbar an. Doch konnte er auch sehr ausgebracht sein, wenn er glaubte, daß ich seine Wünsche nicht gehörig berücksichtigt und seine Aufträge schlecht ausgeführt hätte.

Mein geselliger Verkehr beschränkte sich nur auf wenige Familien. Den Oberlandesgerichts-Rath Carl von Winterfeld hatte ich schon im vorigen Jahre kennen gelernt. Er beschäftigte sich mit der Musik der Italiener und Deutschen im 16. und 17. Jahrhundert.[143] Den Anfängen unsers evangelischen Kirchengesanges spürte er eifrig nach. Da er nicht gerne die Bibliothek besuchte, so besorgte ich ihm was ich für seine Forschungen finden konnte. Dadurch blieben wir in fortwährender Beziehung, und nach und nach gestaltete sich ein recht freundschaftliches Verhältniß.

Da ich nun einmal in Schlesien war und aller Wahrscheinlichkeit nach länger bleiben mußte, so wollte ich es auch genauer kennen lernen. Ich beschäftigte mich zunächst mit der schlesischen Mundart. Alles in den schlesischen Provinzialblättern darauf Bezügliche las ich und schrieb es aus so weit es mir zu einem schlesischen Idiotikon zu gehören schien. Nach einiger Zeit zerschnitt ich die einzelnen Wörter, ordnete sie alphabetisch und klebte sie auf. Zu dieser Grundlage fügte ich was ich später aus dem Munde des Volkes sammelte oder in allerlei Druckschriften, in Gedichten, Verordnungen u. dgl. fand.

Bald darauf ging ich über zu der schlesischen Cultur- und Litteraturgeschichte. Besonderen Reiz für mich hatten die schlesischen Dichter. Ich suchte mir eine vollständigere Kenntniß von ihnen zu verschaffen als die bisherigen Geschichten der deutschen Litteratur gewährten. Mein Hauptaugenmerk richtete sich auf die Vor-Opitzianer und jene Zeitgenossen Opitzens, die bisher wenig oder gar nicht bekannt wurden.

Eine sehr ergiebige Quelle dafür eröffneten mir die vielen hundert Mischbände mit Hochzeit- und Leichengedichten, die ich alle für das neugegründete Fach der Biographie zerschneiden mußte. Wir hatten nämlich uns entschieden, daß bei dergleichen Gedichten und bei Leichenpredigten das biographische Interesse das überwiegende sei und deshalb alle Schriften der Art alphabetisch den Biographien einverleibt werden müßten. Daß die drei städtischen Bibliotheken reich an Schriften der beiden sogenannten schlesischen Dichterschulen sein würden, schien mir mehr als wahrscheinlich und ich überzeugte mich bald. Leider waren diese Bibliotheken im Winter fast gar nicht, und im Sommer nur schwer zugänglich: die Bernhardin-Bibliothek war die Woche nur Einmal, die Elisabeth (Rehdigersche) zweimal geöffnet, die Magdalenen eigentlich gar nicht.

Über Jahr und Tag war ich bereits Custos ›vorläufig und zur Probe auf Ein Jahr.‹ Eine Entscheidung des Ministeriums war [144] abhängig gemacht von Unter holzner's Berichte und dieser hatte erklärt ›niemals über mich zu berichten‹. Zweimal war er vom Curatorium dazu aufgefordert und jedesmal hatte er ablehnend geantwortet, und das dritte Mal legte er das Mahnungsschreiben ad acta. Der Bericht war also dem künftigen Oberbibliothecar überlassen und mein Schicksal in dessen Hände gegeben.

Wachler war 1815 einem Rufe nach Breslau gefolgt als Professor der Geschichte an der Universität und Consistorial- und Schulrath bei der Breslauer Regierung. Durch den Antheil, den er an den Turnstreitigkeiten seines Schwiegersohnes Franz Passow mit Menzel und Genossen genommen hatte, mehr aber noch durch seinen bedeutenden Einfluß auf das höhere Schulwesen Schlesiens und seine theologischen Annalen war er mißliebig geworden und wurde als regierungsfeindlich gezwungen, seine Stellung bei der Regierung und seine Annalen aufzugeben. Er bezog seinen Gehalt aus der Regierungscasse noch fort, hatte aber gar keine amtliche Thätigkeit mehr. Die Regierung drang höheren Orts darauf, die nötige Stelle wieder zu besetzen, zumal sie immer den Gehalt dafür ausbezahlte. Wachler mußte entschädigt werden und das Ministerium fand kein anderes Mittel, als Wachler zum Oberbibliothecar zu ernennen. Im Mai 1824 trat er sein neues Amt an. Unterholzner war lange zweifelhaft gewesen, ob er bleiben sollte. Wachler hätte ihn gerne beseitigt gesehen und gab mir zu verstehn, daß wir gegen ihn zusammenhalten müßten. Ich ging auf nichts ein. Ich hatte Unterholzner zu lieb und ehrte zu sehr seine bibliothecarische Tüchtigkeit und Thätigkeit als daß ich mich zu irgend etwas gegen ihn hätte verleiten lassen können. Die Folge davon war: Wachler und Unterholzner, die sich einander fürchteten und endlich verständigten, wirkten bald mit und neben einander gegen mich.

Kaum hatte Wachler sein neues Amt angetreten, so stellte sich schon heraus, daß er sich in unsere Anordnungen nicht finden konnte und daß sein Schematismus der Wissenschaften sich auf eine große Bibliothek, die der Neuzeit angehörte, nicht mehr anwenden ließe. Daß es bibliothecarische Gesichtspunkte geben könne, welche zweckmäßiger in ihrer Anwendung wären als die bisherigen wissenschaftlichen, wollte Wachler'n nicht einleuchten. Wenn dann Manches zur Sprache kam zwischen ihm und mir, so that dann Unterholzner, [145] als ob er keinen Theil daran gehabt hätte und ich mußte der Sündenbock sein.

Trotzdem war mein Verhältniß zu Wachler ein ganz leidliches: er machte ein günstiges Gutachten über meine bisherige Thätigkeit, die er doch nur wenig kannte, und ich wurde vom Minister von Altenstein unterm 8. August 1824 definitiv zum Custos mit 300. Rb. Gehalt angestellt.

Meine freie Zeit benutzte ich den Sommer über meist mit dem Studium der althochdeutschen Glossen und des Willeram. Der alte Druck der Glossae Salomonis in unserer Bibliothek gab mir Veranlassung zu einer Abhandlung über diese Glossen, sie wurde mit einer Zueignung an E.G. Graff gedruckt. Ich nahm getreue Abschrift von der Rehdiger'schen Handschrift des Willeram, welche mir der Breslauer Magistrat zur Benutzung gestattet hatte, und verglich die Ebersberger Hs. nach einer Abschrift des Münchener Oberbibliothecars Dr. Scherer, die mir durch Vermittelung unsers Ministeriums besorgt war. Vorläufig kündigte ich meine Ausgabe des Willeram auf Subscription an.

Von dem Gedichte auf den heiligen Georg veranstaltete ich eine neue Ausgabe und widmete sie Georg Friedrich Benecke, Bernhard Joseph Docen und Jacob Grimm. Sie erschien unter dem Titel: ›Hymnus theotiscus in Sanctum Georgium. Ad fidem Codicis Vaticani edidit et supplevit A.H. Hoffmann, Fallerslebensis.‹ (Vratislaviae cIɔ Iɔ ccc xxiiij. 8°.)

An diesen Arbeiten hatte ich große Freude. Auch wurde ich gerade jetzt noch mehr dazu ermuntert, da sich eine Aussicht für mich bei der Universität eröffnete. Durch v.d. Hagen's Versetzung an die Berliner Universität war die hiesige Professur für deutsche Sprache und Litteratur erledigt worden. Die Facultät hatte Grimm, Lachmann und mich vorgeschlagen. Ich dachte schon daran, mich zu habilitieren. Bald aber gab ich die Sache auf. Büsching, seit 1817 außerordentlicher Professor, wurde 1823 ordentlicher und beanspruchte Zulage. Er und andere bekamen dieselbe aus dem Hagen'schen Gehalte, so daß nichts mehr für einen anderen übrig blieb. Vorläufig hatte ich also bei meinem Custodiatsgehalt von 300 Rb. weiter keine Aussicht.

[146] Erst den 11. November erhielt ich meine am 8. August bereits ausgefertigte Bestallung. Der königliche außerordentliche Regierungs-Bevollmächtigte und Curator der Universität Neumann hatte sie also ein volles Vierteljahr zurückgehalten und dagegen remonstriert! Einen engherzigeren, mißgünstigeren, falscheren Regierungsmenschen habe ich nie kennen lernen. Unter dem Scheine eines Wohlwollenden versprach er dies und jenes und beantragte hinterdrein gerade das Gegentheil, wie ich es denn später oft genug erleben mußte.

Mit Frühlingsanfang des Jahres 1825 reiste ich zu meinem Bruder nach Berlin. Ich blieb vier Wochen dort. Ich war oft allein, oft auch mit meinem Bruder zu Meusebach eingeladen. Der alte traulich freundschaftliche und wissenschaftliche Verkehr wurde fortgesetzt. Eines Tages war auch Wilhelm Müller eingeladen. Er wurde mir und den übrigen Gästen als Geh. Rath Spanknabe vorgestellt. Unter diesem Namen wurde oft im Meusebach'schen Hause ein Fremder vorgeführt und den übrigen blieb es überlassen, das Rechte herauszufinden. Diesmal wurden nun aber auch die Bekannten dem Fremden unter falschen Namen, Ämtern und Würden vorgestellt. M. hatte seinen Spaß daran, wenn die Entwickelung möglichst lange ausblieb und allerlei verfängliche Fragen gethan und Gespräche geführt wurden. Ein gefährlicher Scherz, der immer gut ablief. So fragte mich M., was ich von Wilhelm Müller's Gedichten hielte? Die Antwort fiel natürlich so günstig aus, daß sich der Herr Geh. Rath Spanknabe nur freuen konnte. Noch bei Tische löste sich Alles in Wohlgefallen auf und wir tranken auf das Wohl unsers schelmischen Wirthes 3. Den 21. April kehrte ich nach Breslau zurück.

Trotzdem, daß ich so sehr durch die Bibliotheksgeschäfte und wissenschaftliche Arbeiten in Anspruch genommen wurde, so suchte ich doch Zeit zu gewinnen zum Dichten. Es war ein Bedürfniß für mich, die liebste Erholung, eine wahre Herzerquickung. Ich dichtete oft und gern, wie wenig ich auch von außen Anregung und Aufmunterung fand. Auf meinen einsamen Spaziergängen und selbst in der stillen Öde der Bibliothek sang ich mir ein Lied, das ich dann lange mit mir herumtrug, bis es mir fertig schien und ich es aufschrieb. [147] Am Sonntagmorgen, wenn mich nichts an die Bibliothek mahnte und die Kirchenglocken rings um mich läuteten, übersah ich dann mein Heft und die Freude daran rief neue Lieder hervor.

In den Pfingstferien besuchte ich mit dem Maler Bräuer seine Eltern in Öls. Es war schönes Wetter, wir lustwandelten viel umher. Während er im Walde seine Studien machte, Baumgruppen und Bäume zeichnete, lag ich im Grase und dichtete. Es entstanden damals die Eintagschönchen. 4 Später gerieth ich in das Leben der Landsknechte und schwärmte für Georg von Frundsberg.

Mein Gehalt verbesserte sich unterdessen. Im Mai wurde Förster von seinem Custodenamte erlöst und ich erhielt die von ihm inne gehabte Wohnung. Mit Genehmigung des Ministeriums vermiethete ich sie ihm um 160 Rb. Leider erfreute ich mich dieses schönen Zuschusses nicht lange: den 27. November des folgenden Jahres (1826) starb Förster, die Wohnung wurde getheilt, die eine Hälfte, die größere, wurde zur Aufbewahrung der Handschriften eingerichtet, die andere blieb mir. Ich erhielt 60 Rb. Entschädigung und die Erlaubniß, meine Wohnung zu vermiethen.

Im Laufe des Sommers ward mir noch ein sehr lästiges Amt auf der Bibliothek zuertheilt, freilich durch meine Schuld. Bisher hatte mein College, der erste Custos an der Bibliothek, Dr. Friedrich, das Ausleihejournal geführt, aber auf eine Weise, daß ich mich ärgerte so oft ich das Buch ansah. Ich hatte mich dar über mehrmals mißbilligend ausgesprochen. Man sah es ein, wagte ihn aber nicht zu beseitigen. Endlich, nachdem ich ihn einmal vertreten, behielt ich das Ausleiheamt. Die Benutzung der Bibliothek nahm von Jahr zu Jahr zu.

Meine schriftstellerische Thätigkeit war dies Jahr unbedeutend. Im Herbste wurde im Rectoratsprogramm von Förster von mir gedruckt Glossarium latino-germanicum e Codice Trevirensi. Dann lieferte ich Recensionen zu Seebode's Neuer kritischer Bibliothek 1825: S. 106–116 von v.d. Hagen's Denkmalen des Mittelalters, und S. 545–552 von Maßmann's Erläuterungen zum Wessobrunner [148] Gebet. Den 7. December vollendete ich eine Abhandlung ›Über Otfrid. Ein Beitrag zur Geschichte deutscher Sprachforschung‹. Sie erschien später in den Fundgruben 1, 38–47. Zu den Recensionen trieb mich allerdings ein wissenschaftliches Interesse, dann aber auch die Absicht, gewissen Herren zu zeigen, daß unser eins auch etwas gelernt hatte. Daß beide von mir waren, blieb kein Geheimniß.

Das Neue Jahr (1826) begann ich mit der frohen Hoffnung, daß ich meine Arbeiten im Althochdeutschen bald vollenden würde und herausgeben könnte. Den 7. Februar 1826 schrieb ich die Vorrede zu meiner Glossensammlung, die bald darauf unter dem Titel erschien: ›Althochdeutsche Glossen, gesammelt und herausgegeben von A.H. Hoffmann. Erste Sammlung, nebst einer litterarischen Uebersicht althochdeutscher und altsächsischer Glossen.‹ (Breslau. Grass, Barth u.C. 1826. 4°). Jacob Grimm hatte mir dazu einige früher von ihm selbst gesammelte Glossen freundlichst überlassen, Lachmann verdankte ich einige hübsche Beiträge zu meiner Übersicht. Lachmann's bisherige Gefälligkeit hatte mich ermuthigt: ich wendete mich vertrauensvoll an ihn mit der Bitte, mir mein eben vollendetes Wörterbuch zum Willeram durchzusehen. Schon den 27. April sendete er mir meine Arbeit zurück mit einem freundlichen Briefe, er hatte meine Bitte erfüllt.

Den Sommer wollte ich eine litterarische Reise machen nach Wien und in die österreichischen Klöster. Ich hatte bereits Nachrichten über letztere gesammelt und meinen Reiseplan entworfen. Wachler dachte anders: Urlaub wollte er mir schon ertheilen, aber nur zu einer Reise in die Heimat. Was sollte ich machen? Lieber also nach Haus als gar nicht reisen.

In der Mitte Juni traf ich in Fallersleben ein. Die Meinigen waren mir entgegen gegangen, und schienen etwas verwundert über mich zu sein. Meine Schwester Minna schrieb an meinen Bruder: ›Sein großer Mantel, sein langes Haar gaben ihm ein phantastisches Ansehn; er war sehr von der Reise angegriffen, und ich kann wol sagen, daß ich etwas erschrak, denn er kam mir recht mager vor. Als er aber einige Tage hier war, erholte er sich sehr und ist jetzt so wohl, wie nur ein Mensch sein kann, obgleich er sich zuweilen eine Krankheit einbildet.‹

So gerne ich bei den Meinigen war, so reuete mich doch die [149] lange Zeit und das viele Geld, das mir die Reise kostete, denn das Reisen war damals sehr kostspielig. Ich hätte lieber Bibliotheken durchstöbert und für meine altdeutschen Studien neuen Stoff gewonnen. Nun ging ich hier fast den ganzen Tag im Garten spazieren und spielte mit den Kindern. Das war freilich recht hübsch. Wenn ich mich beklagte, daß ich so viel versäumte, so glaubten die Meinigen, es gefiele mir bei ihnen nicht. Ich wußte recht gut was mir entging. Graff hätte längst seine Reise zum Behuf seines ›Sprachschatzes‹ angetreten, Oesterreich aber noch nicht abgestreift. Jetzt wäre es noch Zeit gewesen, dort zu erndten, später bliebe mir nur die Nachlese. Und die Folge bestätigte das.

Um nicht ganz unthätig zu sein, hatte ich eine Ausgabe meiner allemannischen Lieder veranstaltet. Ich ließ sie in 140 Exemplaren auf meine Kosten in Celle drucken. Sie erschienen Anfang Juli ohne meinen Namen: ›Allemannische Lieder. Erste Auflage.‹ (Fallersleben M.D.CCC.XXVI. 64 SS. in 16°.) – Endlich machte ich doch noch eine kleine Ausbeute: ich war einige Tage in Wolfenbüttel und schrieb mir einige kleinere ahd. Stücke ab, um sie später herauszugeben.

Den 1. August war ich wieder in Breslau und gleich darauf in dem alten Arbeitsgleise.

Das Bedürfniß nach einem gemüthlichen geselligen Verkehre hatte ich bis jetzt weniger gefühlt: ich sah auf der Bibliothek Leute genug, und fand selten Zeit und Lust, Besuche zu machen. Nach und nach stellte sich jedoch dies Bedürfniß ein. Die Breslauer geschlossenen Gesellschaften, die ich kennen gelernt hatte, sagten mir durchaus nicht zu. Freimaurer zu werden, fiel mir im Traume nicht ein: ich hatte schon genug daran, daß es mein Bruder war.

Ich trug lange den Plan mit mir herum, einen Verein zu gründen, der mir und Gleichgesinnten genügen könnte. Ich machte einigen Freunden und Bekannten Mittheilung davon, und so gründete ich am 2. September 26 die ›Zwecklose Gesellschaft.‹ Wir wollten keinen Zweck nach außen verfolgen, nur nach innen, uns selbst Zweck sein. Wir waren junge Gelehrte und Künstler oder Kunstfreunde, die ein gemeinsames Bedürfniß zusammen führte und hielt. Wir fühlten uns von einem reinen und begeisterten Streben beseelt, den Menschen, sein Wissen und Können verstehen zu lernen und zu würdigen, sich so zu erheitern und anzuregen und weiter zu fördern [150] in allem Wahren, Guten und Schönen. Hat auch selten eine Gesellschaft sich und anderen, zumeist aber sich so viel Freude und Verdruß gemacht, wie diese, so hat ihr doch jeder Einzelne viel zu verdanken. Ich wenigstens habe das immer dankbar anerkannt: ich konnte dort mich über Alles frei aussprechen, meine Ansichten entwickeln, durch Widerspruch von anderer Seite läutern, erweitern und befestigen. Auch konnte ich meine Kenntnisse vermehren, denn unsere Gespräche und Mittheilungen beschränkten sich nicht auf einzelne Fächer der Wissenschaft und gewisse Leistungen und Richtungen der Kunst.

Mitglieder der Zwecklosen Gesellschaft waren bei ihrer Gründung: Maler Carl Bräuer, Bildhauer Mächtig, Fabricant Carl Milde, Lieutenant Nicky, Privatdocent Dr. Friedlieb Ferdinand Runge, Musiker Immanuel Sauermann, und Maler Carl Schwindt. Später trat dazu im Januar 1827 Carl Geisheim, Schulcollege beim Elisabeth-Gymnasium, 1828 Maler Carl Herrmann und im Herbst desselben Jahrs Wilhelm Wackernagel, und im Herbst 1829 Maler Albert Höcker.

Um dieselbe Zeit entstand ein Singverein unter dem Namen: ›Die kleine Breslauer Liedertafel‹, ursprünglich nur vier Mitglieder, die ein Gesangquartett bildeten. Ich wurde Ehrenmitglied. Zweck war: eigene Compositionen zu liefern und zu singen, dann diese selbst und den Vortrag zu besprechen. Die vier Mitglieder waren der Seminarlehrer Ernst Richter, der Musiklehrer Immanuel Sauermann, der Organist Fischer und der Lehrer Dauber. Später traten dazu der Oberorganist Freudenberg und der Musiklehrer Eduard Philipp. Ich lieferte fleißig Texte und hatte dann das Vergnügen, einen und denselben drei- oder viermal componiert singen zu hören. Die Besprechung der Composition und des Textes war für den Dichter wie für die Musiker sehr lehrreich.

Durch diesen Singverein und die Zwecklose Gesellschaft fand ich willkommenen Anlaß und Anregung zum Dichten. Der Vorrath meiner Gedichte hatte sich sehr vermehrt. Bald bewährte sich auch an mir das bekannte Goethe'sche


Dichter lieben nicht zu schweigen,
Wollen sich der Menge zeigen.

Ich durchmusterte meinen Vorrath, wählte aus, schrieb ab, ordnete und ein Bändchen war fertig. Ich übergab es der Buchhandlung Grüson & Comp. Schon den 14. Oct. 26 war das Büchlein [151] fertig und erschien unter dem Titel: ›Gedichte von Hoffmann von Fallersleben‹ (Breslau. 1827. 12°.) Einige Wochen vorher war in demselben Verlage die zweite Auflage meiner ›Allemannischen Lieder‹ herausgekommen.

Ich hatte wenig Freude an dieser Sammlung meiner Gedichte. Die Ausstattung war nicht sonderlich, das Format nicht gefällig, und die Verlagshandlung stand gar nicht in dem Ansehn, daß sich die Buchhändler sonderlich für sie interessierten. Der Absatz war und blieb gering, und nach einigen Jahren war ich froh, daß ich durch Übereinkunft des Druckers (Graß, Barth u.C.) mit dem Verleger den Rest der Auflage erhielt und vernichten konnte. Der schlechte Erfolg hatte mich nicht im Mindesten muthlos gemacht, eben so wenig als die Kritik, die Manches daran auszusetzen fand: ich dichtete fröhlich und wohlgemuth weiter fort. Noch zu Weihnachten ließ ich ein kleines Opus von Stapel: ›Maikäferiade, oder: Lieben, Lust und Leben der Maikäfer vor Einführung des Philisterthums. Zum erstenmale bekannt gemacht aus der einzigvorhandenen Handschrift durch Dr. A.H. Hoffmann, Custos der Königlichen und Universitäts-Bibliothek zu Breslau‹. (Breslau, gedruckt bei Graß, Barth und Comp., aber weder da, noch sonstwo zu haben. 8°). So schwirrte ich als singender Maikäfer in das kalte neue Jahr hinein, als ob es ein Frühling wäre.

Die Zwecklose Gesellschaft erfreute sich eines fröhlichen Gedeihens. Wir kamen jeden Samstagabend zusammen. Jeder theilte mit was er des Mittheilens werth hielt, Eigenes und Fremdes, Gedichte, Aphorismen, Witze, Auszüge aus alten und neuen Büchern. Alles wurde besprochen, und das gab dann wieder Stoff zu neuen Erzeugnissen für den nächsten Samstag. Zuweilen wurde auch etwas gelesen: der Finkenritter, Schelmufskys wahrhaftige curiöse und sehr gefährliche Reisebeschreibung zu Wasser und zu Lande, die Schildbürger u. dgl. Auch wurden Kupferstiche, Holzschnitte, Steindrücke besehen und besprochen. Mitunter sangen wir auch ein Lied, verfaßten auch eins gemeinschaftlich, wenn Anlaß und Stimmung dazu trieb. So machten wir auch Epigramme und Knittelverse gegen alle die uns anfeindeten und gegen Alles was uns zuwider war. Obschon wir keine öffentlichen Sitzungen hielten, so konnte es doch nicht fehlen, daß unser Thun und Treiben bald öffentlich besprochen [152] wurde, weil wir doch zuweilen einen heimischen Gast unter uns hatten.

Bisher waren wir immer auf uns beschränkt geblieben und im vollen Sinne des Wortes zwecklos, bald aber traten wir aus unseren vier Pfählen heraus und betheiligten uns an einer sehr zweckvollen Thätigkeit.

Schwindt hatte schon öfter die Idee eines Breslauer Künstlervereins zur Sprache gebracht. Wir hatten ihm immer entgegnet, daß in Breslau dafür gerade die Hauptsache fehle, nämlich die Künstler; ein Künstlerverein ohne Künstler sei ein Unding, die ausgezeichnetsten schlesischen Künstler seien in der Ferne: Carl Lessing, Julius Hübner, August von Klöber, Florian Grospietsch, Mücke, Heinrich Kramsta, Emil Ebers u.a., keiner von ihnen sehne sich nach Schlesien zu rück, aus den wenigen hier vorhandenen, dem Namen und der That nach wahrhaften Künstlern lasse sich kein Verein schaffen. Schwindt aber ließ sich nicht irre machen, gewann allerlei Leute, Kunstkenner und Kunstliebhaber dafür, und richtig, am 20. Mai, zu Albrecht Dürer's Geburtstage wurde ein ›Breslauer Künstlerverein‹ gestiftet.

Seit dem Bestehen der Zwecklosen Gesellschaft und des Künstlervereins fehlte es mir nicht an Geselligkeit. Mein Familienverkehr hatte sich nicht erweitert. Das Verhältniß zu Winterfeld war ein vertrauteres geworden, er hatte mich sogar zu Gevatter gebeten zu seinem Sohne Sigismund. Der Frau Gevatterin hatte ich einige Wiegenlieder verehrt, die ich dann gedruckt ihr überreichte: ›Siebengestirn gevatterlicher Wiegen-Lieder für Frau Minna von Winterfeld.‹ (Polnisch-Neudorf, 20. Rosenmonds 1827. Gedruckt und verlegt von Forster, Hochheimer und Comp. zu den 4 Thürmen. 10 SS. 8°.) 5 Es war so meine Liebhaberei, von Zeit zu Zeit eine Kleinigkeit drucken zu lassen und meine Freunde damit zu beschenken. So hatte ich kurz vorher an sie vertheilt: ›Kirchhofslieder der Zwecklosen Gesellschaft gewidmet‹ (Aschermittwoch 1827. 16 SS. 8°).

Meusebach erhielt von Zeit zu Zeit meine kleinen Drucksachen, beklagte sich aber, daß er mit dem kleinen Zeuge nichts anfangen könnte, sie ließen sich nicht recht binden. Trotzdem widmete ich ihm zu seinem Geburtstage, 6. Juni, wieder etwas Kleines: ›Althochdeutsches [153] aus wolfenbüttler Handschriften herausgegeben von Dr. A.H. Hoffmann.‹ (Breslau. 1827. 8°. xxviij SS.). Es enthielt meine vorjährige Wolfenbütteler Ausbeute.

Meine Bibliothekstellung hatte sich unterdessen nicht besser gestaltet, der Willkür des Oberbibliothecars war keine Schranke gesetzt worden. Ich freute mich unendlich, daß ich einmal aus der Bibliothek herauskam: der Minister hatte mir unterm 27. April bereits Urlaub zur Reise ins Ausland bewilligt und sogar eine Unterstützung von 100 Rb. gewährt. Den 26 Juni reiste ich ab, zunächst nach Wien. Mein Reisegefährte war der Tonkünstler Heinrich Panofka.

Am 30. Morgens 7 Uhr kamen wir in Wien an. Nachmittags begebe ich mich auf die Hofbibliothek. Kopitar empfängt mich sehr freundlich; wir gehen Arm in Arm auf und ab und reden über unsere Freuden und Leiden, wie sie nur Bibliotheckbeamte haben und nachfühlen können. Er zeigt sich heiter, offen, theilnehmend, ich fühle mich heimisch in der Fremde und von der Hoffnung beseelt, daß ich Wien nicht unbefriedigt verlassen werde. Er führt mich zu Graff, der eben noch auf der Bibliothek arbeitet. Ein unerfreuliches Zusammentreffen, das mir aber am Ende doch lieb war, weil ich vor einem fruchtlosen Schwelgen in süßen Hoffnungen bewahrt wurde. Graff erzählt mir, daß er schon 14 Wochen in Wien sei und die Bibliothek benutzt habe; er werde zunächst den Otfrid herausgeben. ›Den Otfrid?‹ frage ich. – ›Ja, erwiedert er, das ist nothwendig für meinen Sprachschatz.‹ – Ich schweige.

Den folgenden Morgen, Sonntag 1. Juli, gehe ich wieder zu ihm. Wir sprechen wieder über Otfrid, ich erzähle ihm, daß ich mich schon seit Jahren damit beschäftige und jetzt zunächst in Wien sei, um die Vergleichung der Wiener Handschrift vorzunehmen, dazu habe mir das Ministerium auch Urlaub und Unterstützung gewährt. Das rührt ihn Alles nicht, er bleibt bei seinem gestrigen Ausspruch: ›Für meinen Sprachschatz ist meine Ausgabe des Otfrid nothwendig.‹ Den Hauptzweck meiner Reise sehe ich also gescheitert. Jetzt klage ich ihm meine Noth, ich erzähle von meinen Bibliotheksangelegenheiten, von meinen vielen Arbeiten und dem geringen Gehalte u. dgl. Auch er weiß viel zu klagen, als ob es ihm Gott weiß wie schlecht gehe, doch kommt es mir sonderbar vor, daß er sich einen ganz neuen schönen Wiener Wagen gekauft hat. Ein Professor, der [154] nur das Altdeutsche treibt, reist in seiner eigenen Kutsche! Wir gehen in die Leopoldstadt zu dem Wagenbauer und fahren Probe durch den Prater und zurück in die Stadt, speisen dann im goldenen Lamm, wo ich wohne, und spazieren nach Tische im Prater umher. Wir sprechen viel und lange über Leben und Wissenschaft. Graff ist sehr verstimmt und ich werde es durch ihn auch. Er empfiehlt mir Ruhe, und als ich ihm von meiner fünfjährigen Ruhe bei so mancher Unbill, die ich ertragen mußte, erzähle, meint er, es sei hart, aber ich könne mit Ruhe dennoch Alles erreichen. Wir nehmen Abschied und sehen uns nie wieder. Meine Erinnerung an ihn ist keine angenehme. So kurz unser Verkehr war, so schien er mir doch genügend, meinen Mitbewerber kennen zu lernen. Ich hielt ihn für selbstsüchtig, mißgünstig, fleißig ohne Freude und Genuß, kränklich, grämlich und unzufrieden mit seinem Schicksale, lebensmüde. Letzteres schien er selbst zu bestätigen durch die Äußerung: ›Hätte ich nicht Frau und Kinder, so wäre ich Mönch geworden auf dieser Reise, wozu ich mehrmals Gelegenheit und Veranlassung hatte.‹

Den 2. Juli begann ich meine Arbeiten auf der Hofbibliothek und war von diesem Tage an bis zu meiner Abreise jeden Tag dort so lange die öffentlichen Stunden währten, Vormittags von 9–12, Nachmittags von 3–6 Uhr. Wenn die Bibliothek um 6 Uhr geschlossen war, machte ich mit Kopitar regelmäßig einen großen Spaziergang. Stunden lang unterhielten wir uns, der Stoff ging nie aus.

Mit Panofka stand ich fortwährend im Verkehr. Wir besuchten uns gegenseitig. Er trug mir, wenn ich bei ihm war, seine Compositionen meiner Lieder vor, von denen auch später einige erschienen. Gewöhnlich verbrachten wir die Sonntage mit Spaziergängen und Ausflügen. An Langerweile litten wir auch nicht einen Augenblick, dafür sorgten schon die guten Wiener in ihrem genußwüthigen, oft gar possierlichen Wesen und Treiben. Wir geriethen oft in ein so lautes, fast unanständiges Lachen, das man uns anderswo schwerlich als reinen Herzenserguß hätte hingehen lassen. Schon mehrmals hatte ich gegen Panofka den Wunsch geäußert, wie gern ich Franz Schubert kennen lernen möchte. ›Gut, sagt P., dann wollen wir nach Dornbach hinaus, dort ist Schubert den Sommer über sehr viel und es ist auch besser, wenn wir ihm dort begegnen.‹ –Wir fahren nach Dornbach – vergeblich. Vierzehen Tage später [155] ist gerade Mariä Himmelfahrt und die Bibliothek geschlossen. Um 2 Uhr fahre ich mit Panofka im Stellwagen nach Nußdorf. Wir fahnden auf Schubert, vergebens. Es ist viel Zuzug und wir ergötzen uns sehr an dem bunten Menschengewühle. Plötzlich ruft Panofka aus: ›Da ist er!‹ und eilt fort zu Schubert, der eben von mehreren Fräulein umgeben sich einen Platz sucht. Panofka bringt ihn zu mir. Freudig überrascht begrüße ich ihn, erwähne flüchtig, wie viel Mühe wir uns gegeben hätten ihn zu finden, wie sehr ich mich freute, ihn persönlich kennen zu lernen etc. Schubert steht verlegen vor mir, weiß nicht recht was er antworten soll, und nach wenigen Worten empfiehlt er sich und – läßt sich nicht wieder blicken. ›Nein, sage ich erstaunt zu Panofka, das ist denn doch ein bischen zu stark! Nun wäre mir wahrlich lieber gewesen, ich hätte ihn nie gesehen, ich hätte dann bei dem Schöpfer so seelenvoller Melodien nie an einen gewöhnlichen, gleichgültigen oder gar unartigen Menschen denken können. So aber abgesehen von seinem heutigen Benehmen unterscheidet sich der Mann ja gar nicht von jedem anderen Wiener, er spricht Wienerisch, hat wie jeder Wiener seine Wäsche, einen sauberen Rock, einen blanken Hut, und in seinem Gesichte, seinem ganzen Wesen nichts wasmeinem Schubert ähnlich sieht.‹

Da ich von jetzt an keinen Versuch mehr machte, irgend einen Wiener noch kennen zu lernen, so ließ ich es bei den bisherigen Bekanntschaften bewenden. Mein erster Besuch galt dem Herausgeber der österreichischen Volkslieder Franz Ziska, oder wie er sich später germanisierte oder eigentlich barbarisierte: Tschischka. Nach mehreren mißlungenen Versuchen traf ich ihn endlich. Er war sehr erfreut und zeigte mir seinen reichen Vorrath österreichischer Volkslieder, woraus er wol noch ein Bändchen liefern könnte. Er hatte sich damals der Kunstgeschichte Österreichs zugewendet und dachte erst später wieder an die Volkslieder zu gehen, die er denn auch im Jahre 1844 in einer zweiten Auflage ohne Schottky herausgab.

Unvergeßlich und wichtig für die Zukunft ward mir die Bekanntschaft mit Stephan Endlicher. Erst in letzter Zeit traten wir uns näher und wurden dann recht vertraut mit einander. Er war ein rüstiger, liebenswürdiger junger Mann von 23 Jahren, von einem glühenden Eifer beseelt für Kunst und Wissenschaft, und für beide wie für seine Freunde jedes Opfers fähig. Seine vielseitigen [156] Kenntnisse kamen der Hofbibliothek, bei welcher er beschäftigt war, sehr zu Statten. So groß seine Neigung für Sprache und Geschichte war, so blieb doch die für Naturwissenschaften, namentlich Botanik, die überwiegende, wie er denn auch 1840 Professor der Botanik ward und zugleich Director des botanischen Gartens.

Der August ging zu Ende und mit ihm mein Urlaub. Die Vergleichung des Otfrid hatte ich vollendet, die Monseer Glossen abgeschrieben und manche althochdeutschen und mittelhochdeutschen Gebete, Predigten und Gedichte. Meine Ausbeute war größer als ich nach dem Zusammentreffen mit Graff erwartet hatte. Den 28. August verließ ich Wien.

Die Nacht blieb ich in Krems und fuhr den anderen Morgen hinauf nach der berühmten Benedictiner-Abtei Göttweih. Ich wurde auf die freundlichste Weise empfangen und erhielt das schönste Gastzimmer mit der Aussicht auf die Donau angewiesen. Mein erster Gang war in die prachtvolle Bibliothek. Ich sah mir jede Handschrift an und legte mir mehrere heraus zu weiterer Benutzung. Am Nachmittag arbeitete ich bereits in meinem Zimmer.

Ich wurde mit allen Professoren bekannt und unterhielt mich viel mit ihnen. Ich war erstaunt über die hohe wissenschaftliche Bildung. Diese Männer, die auf sich und ihr Kloster beschränkt in der Einsamkeit lebten, waren genau voll allem Thun und Treiben in der Wissenschaft und Politik unterrichtet und sprachen sich freimüthig über Alles aus. Hier erst lernte ich die österreichischen Klöster kennen, ihre Stellung zum Staate und zur Kirche, ihre wissenschaftlichen Bestrebungen und Leistungen und ihre finanziellen Verhältnisse. Der Abt, ein höchst liebenswürdiger Mann, hatte die philosophischen Systeme aller Zeiten gründlich studiert, er war eben bei Hegel angelangt und ließ sich, weil schon damals seine Augen sehr schwach waren, alle Schriften desselben vorlesen. Das Klosterleben in Göttweih war mir etwas Neues, Überraschendes, Erquickliches. Der viertägige Aufenthalt blieb mir eine der schönsten Erinnerungen meiner Reise. Mit innigem Danke für alles Liebe und Gute nahm ich Abschied.

Ich begab mich von da nach der Cistercienser-Abtei Zwettl. Auch hier wurde ich sehr freundlich empfangen und aufgenommen. Obschon ich nicht solche wissenschaftliche Bildung traf wie in Göttweih,[157] so vermißte ich doch nicht den Sinn für wissenschaftliche Bestrebungen und man erwies sich äußerst gefällig. Ich fand gar Manches und war fünf Tage sehr beschäftigt mit Abschreiben und Aufzeichnen. Ich reiste nun von dort durch Böhmen und kam den 14. September in Breslau an.

Mit meiner litterarischen Ausbeute war ich sehr zufrieden, und auch noch in anderer Hinsicht konnte ich es sein: ich hatte wieder ein gut Stück Deutschlands kennen gelernt und die Deutsch-Oesterreicher lieb gewonnen. Leider blieb es mir ein trauriger und entsetzlicher Gedanke, daß ein so herrliches Volk nun schon seit Jahrhunderten unter politischem und religiösem Drucke leben mußte. So gutmüthig und gemüthlich mir die Leute erschienen, so ließ sich doch bald wahrnehmen, daß jeder einzelne mehr oder weniger durch die Polizeiwirthschaft und das Spionierwesen verdummt und entsittlicht war und daß auch in den besten ein großer Hang zum Sinnlichen vorherrschte. Eben weil nur in sinnlichen Genüssen Freiheit gestattet wurde, darum ergab sich ihnen Vornehm und Gering, und die Künste und Gewerbe kannten kein anderes Ziel, als dem Volke diese Genüsse zu verschaffen, zu erleichtern und zu erhöhen. Das Volk kannte keine geistigen Genüsse und sollte auch keine kennen lernen. Die Regierung suchte es durch Censur und Bücherverbote, schlechtes Schulwesen davor zu bewahren. Daß es noch irgend einen gescheidten Mann in Österreich gab, war zu verwundern. Wenn ich die schönen Gegenden, dies wirklich gesegnete Land betrachtete, wurde ich wehmüthig gestimmt und doch auch wieder empört über die Habsburgische Hauspolitik, daß ich in demselben Augenblicke, wenn ich versetzt worden wäre in die wüsteste Gegend der Mark Brandenburg, einen schwarzweiß angestrichenen Wegweiser hätte umarmen können wie einen Boten des Himmels.

Bei aller Lustigkeit des Volks im Prater, am Annerltage in der Brigittenan, in den vielen Vergnügungsörtern um Wien herum kam einem immer das Gefühl als ob das nur die Lustigkeit des Blödsinns oder der Verzweiflung war, und damals war noch Wien etwas das alte Wien.

Die Regierung hatte den geistigen Erzeugnissen gegenüber nicht das mindeste Schamgefühl, sie trieb ihr Censorgeschäft mit beharrlicher Frechheit fort, und ließ sich nicht irren, wenn sie auch täglich, [158] ja stündlich sich lächerlich machte. Die Gelehrten und Künstler fanden nur Gnade, wenn sie sich hielten auf der k.k. wagerechten Fläche (niveau).

Schon wenige Tage nach meiner Rückkehr brach der Krieg zwischen mir und Wachler, dem Oberbibliothecar aus.


[Der Curator der Universität Neumann hatte bereits früher die Zahl der täglichen Amtsstunden für Hoffmann auf 7 festgesetzt. Dagegen behauptete dieser jetzt, daß er nicht verpflichtet sei, der Bestimmung nachzukommen und erklärte sich zu wöchentlich 22 Amtsstunden bereit. Ein Protokoll über diese Streitfrage wurde von Wachler dem Ministerium eingeschickt; gleichzeitig beschwerte sich Hoffmann beim Ministerium und richtete an dasselbe in einem zweiten Schreiben die Bitte, ihn gegen Willkürlichkeiten und Anfeindungen Neumanns sicher zu stellen. Während das Ministerium auf seine Entscheidung warten ließ, forderte der Curator Hoffmann auf, täglich 6 Arbeitsstunden der Bibliothek zu widmen.]


So sehr mich diese Bibliothekshändel verstimmten, so fand ich doch Trost, Beruhigung und Erheiterung in meiner wissenschaftlichen und poetischen Beschäftigung, und nebenbei hatte ich immer Gelegenheit, mich gegen meine Freunde gehörig auszusprechen. Der Williram war unterdessen erschienen: ›Williram's Uebersetzung und Auslegung des Hohenliedes in doppelten Texten aus der Breslauer und Leidener Handschrift herausgegeben und mit einem vollständigen Wörterbuche versehen von Dr. H. Hoffmann. Hiebei ein Facsimile der Bresl. Hs.‹ (Breslau. 1827.Grass, Barth u.C. 8°). Was Lachmann gewünscht hatte, was Andere jetzt vielleicht noch vermissen: die lateinische poetische Paraphrase, die wichtigsten Lesarten anderer Handschriften u. dgl., wollte ich später liefern. Ich kam nicht dazu. Damals konnte und mochte ich es nicht. Mit Recht schloß ich den 18. October 27 meine Vorrede: ›Doch kann dies Alles erst dann geschehen, wenn meine äußere Ruhe nicht so befehdet mehr ist, wie eben jetzt und leider! wol noch längere Zeit.‹

Die Zwecklose Gesellschaft bestand nun schon seit Jahr und Tag und hatte eben so viel Aufmerksamkeit und Beifall als Neid und Haß sich erworben. Ende des Jahres erschien das erste Heft unserer ›Societäts-Schriften I.‹ unter dem Titel:


[159] Zweckloses Leben und Treiben,

Wer's nicht lesen will, läßt es bleiben,

Das ist:

Vernünftige Gedanken

in

Geburtstags-Glückwünschen

der

Zwecklosen Gesellschaft

zu

Breslau.

Der Zweckvollen Welt

zum ersten Mal

an's Licht gestellt.

Breslau, 1828.

Verlag von J.D. Grüson und Comp.

/ Liber rarus.


Wir hatten nicht auf den Beifall der Kritik gerechnet; wir wußten, daß viel Ärgerliches, Wunderliches, viel uns nur Verständliches darin war. Wir wollten uns und unsere Freunde ergötzen, und unsere Feinde nebenbei ein bischen ärgern, und das hatten wir vollständig erreicht. Wie das aber bei solchen Dingen geht – uns wurden Anspielungen und Sticheleien auf Persönlichkeiten schuldgegeben, an die wir nie gedacht hatten; Mancher, den wir nur dem Namen nach kannten, fühlte sich beleidigt und schimpfte weidlich auf die Zwecklosen.

Unsere Societätsschriften waren am Ende weniger der Gegenstand des Ärgers. Seit man mußte, daß der eigentliche Heerd der Bestrebungen für den Künstlerverein und den Kunstverein in unserer Gesellschaft war, galt diese nun für den Störenfried des bisherigen ruhigen, unangefochtenen Treibens der Kunstsection der vaterländischen Gesellschaft und aller philisterhaften Gemüthlichkeit.

Eine unüberlegte Äußerung des Professor Büsching in den Schlesischen Provinzialblättern gab Veranlassung, daß wir in den Zeitungen gegen ihn zu Felde zogen für den beleidigten Künstlerverein. Daß ich in einem öffentlichen Breslauer Blatte einen [160] öffentlichen ordentlichen Professor angegriffen hatte, einen Mann, der Gesellschaften mitmachte und gab, mit Geheimen und Commerzräthen seine Partie spielte und unter den Philistern für einen großen Gelehrten, tüchtigen Kunst- und Alterthumskenner galt – das wurde mir nicht verziehen und mußte gerächt werden. Da man mir nicht anders beikommen konnte als in meinem Bibliotheksverhältnisse – denn das war und blieb meine Achilles-Ferse –, so ergab sich dazu bald die schönste Gelegenheit.

Ende Januars sendete mir das Ministerium meine Eingabe zurück und ertheilte mir einen tüchtigen Verweis: ›Die Fassung Ihrer Vorstellung ist eben so anmaßend wie subordinationswidrig, so daß solche nur ein mißfälliges Befremden hat erwecken können und das Ministerium Sie warnen muß, bei Vermeidung empfindlicherer Maßregeln für die Folge in Ihren amtlichen Vorstellungen die Rücksichten nicht zu vergessen, welche Sie den Ihnen vorgesetzten Behörden und Personen unter allen Umständen schuldig sind .... Ein solcher anmaßender und subordinationswidriger Ton ist nicht nur straffällig, sondern überhaupt der Würde gebildeter Männer nicht angemessen.‹

Ich hätte viel darauf entgegnen können, namentlich über das ›was der Würde gebildeter Männer nicht angemessen‹. Ich wurde von den Herren wie ein Hausknecht behandelt, von Wachler mündlich, von Neumann schriftlich. Doch was hätte mir ein fernerer Widerstand genützt? Ich durfte als der Untergebene den Obern gegenüber nie Recht bekommen: das war damals der feststehende Regierungsgrundsatz. Dennoch beruhigte ich mich noch nicht, ich schrieb an den GR. Johannes Schulze, der doch wahrscheinlich jenes Schreiben verfaßt hatte, und suchte so auf traulichem Wege zu erreichen, was mir auf amtlichem mißlungen war.

Unter diesen ärgerlichen Bibliothekhändeln war ich fortwährend wissenschaftlich beschäftigt, ja, ich machte sogar umfassende Vorarbeiten zu einer schlesischen Zeitschrift. Schon im October 1824 hatte ich ein ähnliches Unternehmen mit Dr. Pinzger ins Leben rufen wollen. Ende des Jahres 27 nahm ich den alten Plan wieder auf, einigte mich mit Graß, Barth u.C. und erließ schon den 17. December eine Ankündigung meiner ›Monatschrift von und für Schlesien.‹ Meine Vorarbeiten waren noch nicht so weit gediehen, daß ich ohne [161] Unterbrechung meine Zeitschrift hätte fortsetzen können, die ersten 3 oder 4 Hefte sollten wenigstens gesichert sein. Auf meine Mitarbeiter konnte ich mich wenig verlassen. Im Januar 27 hatte ich bereits ein Schema zu einem ›gelehrten Schlesien‹ drucken lassen. Von den vielen hundert versendeten Blättern kamen nur wenige, und auch diese oft ungenügend ausgefüllt zurück. Da nun auch diese Mittheilungen, die ich für die Monatschrift verwenden wollte, so spärlich ausfielen, so fand ich es gerathener, die Monatschrift auf das Jahr 1829 zu vertagen.

Der 20. Mai rückte heran und nahm meine Thätigkeit sehr in Anspruch. Es war der Geburtstag Albrecht Dürer's und zugleich der Stiftungstag unseres Künstlervereins. Er wurde diesmal vom Künstler- und Kunstvereine zugleich gefeiert. Es hatten sich einige hundert Mitglieder beider Vereine nebst einigen Ehrengästen eingefunden. Ich eröffnete das Fest mit einer Rede. Nach den Worten: ›Dann hat der heutige Tag seine Bedeutung, dann dürfen wir singen –‹ fielen das Orchester und die Sänger ein mit einer vom Capellmeister Schnabel componierten, von mir gedichteten Cantate, 6 nach deren wahrhaft begeisterndem Schluß lauter Beifall ertönte. Es war ein schönes, glänzendes Fest, das dem Vereine die Achtung und Liebe vieler befestigte, noch mehrerer erwarb.

Den 10. Juni sendete ich dem Minister von Altenstein meine Gedichte, die beim Stiftungsfeste des Künstlervereins vertheilt und gesungen wurden. Er schrieb darüber dem Oberpostdirector Schwürz: ›Herzlichst danke ich Ihnen mein Werthester für die freundlichen Zeilen vom 10ten d.M. mit welchen Sie die Ubersendung des Schreibens von Herrn Dr. Hoffmann begleitet und mir einige seiner Arbeiten mitgetheilt haben. Ich freue mich der frischen Lebenskraft in dessen Gedichten, und seines Wirkens für Kunst. Ich hoffe ihn für Breslau zu erhalten. Er wird sich immer mehr in sein Verhältniß finden und ich werde endlich doch auch seine allerdings nicht glänzende Lage etwas verbessern können. Nur ist zu wünschen, daß er sich in einer bedeutenden Arbeit so auszeichnet, daß seine Verdienste auch ganz allgemein anerkannt werden.‹

Also sich auszeichnen! Das war auch das ewige Lied des [162] Schulze: ›Er muß sich auszeichnen, muß sich auszeichnen!‹ Wie ist das möglich, wenn einem täglich die schönste Zeit und die beste Kraft vorweggenommen und obendrein noch alle Lust zum Arbeiten vergällt wird? Von so etwas hatte das Hohe Ministerium keine Ahndung, es überließ mich sogar noch der Willkür zweier Leute, die weiter keinen Zweck hatten, als täglich zu zeigen, daß sie meine Vorgesetzten wären und mit mir machen könnten was sie wollten.

Schon im vorigen Herbste hatte der Druck der Fundgruben begonnen. Er schritt langsam voran, der Satz war schwierig, die Correctur machte mir viel zu schaffen, die Vollendung der einzelnen Abschnitte er forderte die größte Sorgfalt und viel Zeit. Mit dem sich auszeichnen ging es also so schnell nicht. Tröstlich war es allerdings für mich, daß ich mich des Wohlwollens des Ministers versichert halten durfte.

Um diese Zeit begannen meine Bibliothekhändel von neuem. Die Amtsstundenfrage war noch immer nicht erledigt. Wachler hatte sich deshalb auf eine des großen Litterarhistorikers recht würdige Weise an den Minister gewendet und für Mittwoch und Samstag je 6 Stunden, für die übrigen Tage je 4 beantragt. Hohes Ministerium entschied natürlich bei allem Wohlwollen für mich doch wider mich. Den 1. August ward die von Wachler beantragte Stundenzahl mir kundgethan und ich schrieb nur darunter: ›Gelesen‹.

Wachler hatte gar falsche Ansichten von dem was ich that und thun mußte, wenn er sagte, daß meine Amtsstunden mit keiner Kopfanstrengung verbunden wären. Freilich, wenn man so schlechte Kataloge machen wollte, wie er selber einen über die Künste geliefert hat, von dem sein eigener Sohn sagte: ›Damit kann sich mein Vater auspfeifen lassen‹ – so darf man den Kopf nicht sehr anstrengen; auch dann nicht, wenn man bloß Titel abschreibt, oder aus einem Saale in den andern läuft, Bücher hin und her trägt, Bücher einstellt, Bücher in den Fächern aufsucht, in den Katalogen nachschlägt, Signaturen einschreibt und einklebt etc. Wer aber ordnet, jeden Schriftsteller nach dem Jahre wann er zuerst aufgetreten einreihen, die Namen, den wahren Namen, die erste Ausgabe u.s.w. ermitteln und nach dem Inhalte jedes Buch gehörig unterbringen soll – ich dächte, daß man dazu schon den Kopf brauchen muß.

Mein Humor war noch nicht ertödtet: ich konnte sehr froh, mitunter [163] ausgelassen lustig sein und lachte über die ernsten, würdevollen, nur Respect und Subordination verlangenden hochgelahrten Amtsphilister. Ich ließ wieder eine ›poetische Spielerei‹ drucken und zwar zum Besten des Dürerdenkmals: ›Muckiade oder Herrn Mucks Sonnenfahrt und Tod. Nebst einem Anhange. Alles aus dem Archive der Zwecklosen Gesellschaft zu Breslau. Der Ertrag ist für das Dürerdenkmal zu Nürnberg.‹ (Breslau. 1828. Gedruckt und verlegt bei Graß, Barth und Comp. 30 SS. 8°). Wir nahmen 30 Rb. dafür ein und schickten sie mit noch 30Rb. von Seiten des Künstlervereins nach Nürnberg.

Um dieselbe Zeit erschienen: ›Jägerlieder mit Melodien. Herausgegeben von H. Hoffmann von Fallersleben‹. (Breslau bei G.P. Aderholz. 1828. 8°.) nebst ›Melodieen .... gesammelt und zum Theil mit Hornbegleitung von A. Fuhrmann.‹ Unter diesen Liedern sind viele, die damals erst entstanden waren und zwar durch die Ausflüge der Kleinen Liedertafel, an denen ich jedesmal Theil nahm. Der Vorrath eigener Compositionen unserer Mitglieder hatte sich bereits sehr vermehrt. Durch meine Vermittelung war im vorigen Jahre bereits bei G.P. Aderholz ein Heft mit 6 vierstimmigen Gesängen erschienen unter dem Titel: ›Die kleine Liedertafel zu Breslau. 1. Lieferung.

Das Jahr 1828, das bisher so reich an Ereignissen für mich gewesen war, brachte mir schließlich noch ein sehr erfreuliches. Im October kam Wilhelm Wackernagel nach Breslau: 22 Jahr alt, jugendlich frisch und kräftig, voll Ehrgeiz und Unternehmungsgeist, sprachgewandt, poetisch productiv, kenntnißreich, gründlich und fleißig in seinen Studien. Ich hatte ihn bereits im Sommer des vorigen Jahres kennen gelernt. Seit unserer ersten Bekanntschaft lebte er in Berlin und zwar in sehr drückenden Verhältnissen: er schrieb alte Handschriften ab für die königliche Bibliothek und Gelehrte, ertheilte Unterricht und konnte wenig zu eigenen Arbeiten gelangen. Nebenbei hatte er kein Glück und Uhlands schöne Romanze vom Unstern konnte er ganz gut auf sich anwenden. Ich hätte gerne geholfen und wußte nicht wie. Schon früher hatte ich Wackernagel dringend gebeten, sich in Breslau für deutsche Sprache und Litteratur zu habilitieren. Es schien aber, als ob er ganz muthlos geworden wäre. Runge war unterdessen in Berlin gewesen [164] und hatte Wackernagels Lage kennen gelernt und sich von seiner Neigung überzeugt, auf meinen Vorschlag einzugehen, also sich in Breslau zu habilitieren. Wir besprachen die Sache und einigten uns über den Kostenpunkt: ich versprach eine Unterstützung, das Übrige wollte Runge tragen. So lud ich denn Wackernagel ein. Er nahm das Anerbieten an und kam im October herüber.

Schon zu Anfang Novembers war er Protocollant der Zwecklosen Gesellschaft und betheiligte sich an dem zweiten Jahrgange unserer Societätsschriften, die wir eben vom Stapel ließen. Zu Neujahr ward er Mitglied des Künstlervereins.

Mein Briefwechsel war seit meiner Wiener Reise sehr in Stocken gerathen. Auch Meusebach hatte fast ein ganzes Jahr warten müssen und sich gegen meinen Bruder sehr beklagt. Trotzdem schrieb er mir gegen Weihnachten sehr humoristisch und machte – mich zu seinem Fischartritter: ›in der Anlage habe ich die Ehre Ihnen den Fischartorden zweyter Klasse zu ertheilen, er wird getragen wie jeder andere Ordensstern auf der Brust, aber nicht auf dem Rocke, sondern unter dem Rocke, verborgen wie das stille bescheidene Verdienst, für welches er verliehen wird, sich nun schon mehrere Jahre lang vor meinen Augen verborgen hat.‹ Eine lederne Brieftasche, worauf schön gepreßt das Bild Fischart's wie es in seinem Ehezuchtbüchlein zu finden, mit der Unterschrift:


HIER AVSSEN MENTZERS BILD, HIER INNEN

DES MENTZERS GEIST VND KLVGE SINNEN


Inwendig H.V.F.R.D.F.O. II. KI.

Der schöne Orden war viele Jahre mein täglicher Begleiter, im Jahre 1848 wurde er mir mit seinem werthvollen Inhalte in Berlin gestohlen.

Nachträglich erfuhr ich noch Einiges in Bezug auf meine Bibliotheks-Angelegenheit. Mein Bruder schrieb mir über ein Zusammentreffen mit Johannes Schulze bei Meusebach: ›Schulze behauptete, Du wärest sehr grob gewesen, er hätte dagegen sehr glimpflich geantwortet; er allein würde Dich halten und Alles für Dich thun. Ich entgegnete ihm, daß Du nun schon 6 Jahre lang mit kärglichen 300 Rb. arbeiten müßtest, ferner keine Aussicht hättest, Bibliothecar zu werden, da nach den Statuten nur ein Professor diese Stelle bekleiden könne. Er in vollem Eifer entgegnete mir, daß er allein [165] zeigen wollte, was ein Bibliothecar jetzt leisten müsse, daß dies eine der wichtigsten Stellen sey und daß die jüngeren Custoden mit der Zeit die Bibliothecarstellen bekleiden müßten. »Ich stoße die Statuten um, lassen Sie mich nur machen, ich sorge für ihn, wenn er nur jetzt sein Verhältniß mit Wachler nicht unvorsichtig ganz verwirrt.« – Thue mir daher nur die Liebe und mach wegen dereinen Stunde, die Du ja auf andere Weise wieder einholen kannst, keine Weiterungen mehr und sey klug in Deinem Benehmen gegen Wachler. Schulze meint es gewiß herzlich gut, und Meusebach ist mit mir auch einverstanden.‹

Ich war damals in einer sehr aufgeregten trübseligen Stimmung, wie aus dem Briefe an meinen Bruder vom 5. December erhellt: ›Warum ich bis heute mit meiner Antwort gewartet habe, ist mir eben so unerklärlich, als wenn ich mich zuweilen frage: warum ich überhaupt noch lebe? Wenig fesselt mich noch hier auf der Welt und dies Wenige ist ein so zweifelhaftes Besitzthum, daß ich sein selten recht froh werde .... Um was Neues zu beginnen, bin ich zu alt geworden, und wenn ich bedenke, daß ich Ostern schon 6 Jahr hier lebe, so kann ich mir sehr leicht denken, daß ich in diesem Zustande noch 20 Jahr hier lebe, ohne daß ein Hahn nach mir kräht. Was ist Docen geworden? Er ward Custos der Königlichen Hof- und Central-Bibliothek zu München und sein Lebelang weiter nichts. Gestern lese ich seinen Tod. Glaub mir sicher, daß gewisse Menschen mit den entschiedensten Talenten für ein bestimmtes Fach und mit dem besten Streben nie zu etwas kommen, sie mögen es anfangen, wie sie wollen. Ich habe genug gethan, um bekannt zu werden und rühmlich bekannt zu werden – hilft Alles nichts! ... Ich will noch einen Versuch machen, ob man mich als Bibliothecar in Berlin haben will? Du sollst erleben, es schlägt fehl, und Alles was ich daran anknüpfe, ebenfalls. Es ist einmal vorbei mit mir. Weiß ich erst, daß man mich zu weiter nichts brauchen will und kann als zu einem hiesigen Handlanger, dann darf ich nie auf K.'s Hand rechnen ..... O diese unaussprechliche Sehnsucht, diese Angst! Ich schlafe oft mehrere Nächte hinter einander nicht, und da ich nun des Tags auf der Bibliothek, dann für meine Monatschrift und Fundgruben arbeiten muß, so kannst Du denken, daß ich oft ein wahres Traumleben führe, in einem Zustande zwischen Schlafen und Wachen mich umhertreibe.‹ – [166] Mit dem Jahre 1829 begann meine eigentliche schlesische litterarische Thätigkeit und nahm mich ein ganzes Jahr sehr in Anspruch. Zu den nächsten Heften meiner ›Monatschrift von und für Schlesien‹ hatte ich zwar Stoff genug, mußte jedoch um eine Mannigfaltigkeit des Inhalts zu erzielen viele Leute in Breslau und in der Provinz um Beiträge bitten. Des Briefschreibens und Laufens war kein Ende. Versprechungen erfolgten genug, wenige wurden erfüllt. Es liefen Beiträge schon ein, des Brauchbaren jedoch wenig, ich mußte also immer selbst Rath schaffen. Bald fühlte ich das Lästige, wenn man in seinen Arbeiten an eine bestimmte Zeit gebunden ist: mit dem ersten jedes Monats mußte ein Heft erscheinen, wenn die Zeitschrift in Gang kommen und im Gange bleiben sollte.

Unterdessen war das zweite Heft unserer Societätsschriften erschienen. Die zwecklose Schriftstellerei ergötzte uns sehr – kaum war Fastnacht da, so ließen wir ein unsinniges Ding los:


Schlagschatten.

Ein zweckloses Fastnachtbüchlein

Worin allerhand Curiosa

In Reimen und in Prosa.

Zum Besten der hiesigen Erziehungsanstalt

für sittlich verwahrlosete Kinder.

Breslau, bei Grüson und Comp. 1829.


Bei allen Faschingsscherzen in unserer Gesellschaft war mir doch wehmüthig zu Muthe. Ich litt seit Jahren an einer Sehnsucht, die ich niemandem offenbaren konnte, sie war nach und nach zu einer wahren Qual geworden. Ich fragte mich: darfst du jetzt, darfst du überhaupt um ihre Hand anhalten? ist sie noch frei? wird sie dir je werden? – Um ein Ende dieser qualvollen Lage herbeizuführen, entschloß ich mich endlich, mich frei gegen Arlikonas Vater auszusprechen. Ich wußte es nicht anders als durch ein Stück Lebensgeschichte: ›Aus meinem Leben. Für meinen künftigen Herrn Schlichtegroll.‹ 7 Dieser kurzen Geschichte meiner langen heimlichen Liebe hatte ich ein ›Buch der Chronica‹ hinzugefügt, für jedes Jahr ein Lied, worin ich mein Sehnen, mein Hoffen, mein Leid einst[167] aussprach. Zwei Tage vor meinem Geburtstage erfuhr ich, daß Arlikona bereits einem Anderen Herz und Hand bestimmt hatte. Ein schöner Traum war ausgeträumt, die Poesie meiner Liebe, sie hatte mir nichts gelassen als meinen Schmerz und eine Handvoll Lieder.

In dieser Zeit der schmerzlichsten Gemüthsbewegung mußte es mir sehr willkommen sein, daß ich nach außen hin vielseitig beschäftigt ward. Zunächst waren es die Vorarbeiten zum zweiten Stiftungsfeste des Künstlervereins. Ich mußte einen Bericht liefern über die Leistungen des Künstlervereins und die Verwaltung des Kunstvereins. Damit eröffnete ich am 20. Mai das Fest 8. Wie im vorigen Jahre so fiel es auch dies Jahr ganz nach Wunsch aus. Schnabel's Cantate erwarb sich wieder den freudigsten Beifall. Die vielen Tafellieder und Trinksprüche erhöhten die heitere Stimmung, womit das Fest begann und zu Ende ging.

Meine traurige Stimmung war sehr nachhaltig. Auch da, wo ich jemandem eine Freude bereiten wollte, machte sie sich geltend. So war es bei Meusebach's Geburtstag den 6. Juni. Da ich ihm nichts Altes zu schenken hatte, so ließ ich meine Aufsätze über Samuel von Butschky in meiner Monatschrift zusammenfügen zu einem Büchlein, das dann mit Titel und Vorrede versehen wurde. Der Titel lautet: ›Samuel von Butschky als Geburtstags-Gratulant zum sechsten Juni 1829‹ (Dillenburg 9, in der Universitäts-Druckerei).

Wie meine damalige Stimmung war, läßt sich auch aus einer Aufzeichnung vom 9. Juni ermessen: ›Nichts stimmt mehr zu meinem jetzigen Zustande als eine gänzliche Abgeschiedenheit von der Welt. Es genügt mir, daß ich die Menschen von meinem Zimmer aus auf der Straße sehe, daß ich die Uhr schlagen höre, wonach sie sich drehen und tummeln. Ich habe nie geglaubt, daß ein trauriges Ereigniß so nachhaltig sein, uns so ganz und gar durchtrüben und verstimmen könne. Ich habe einen wahren Ekel an Allem was mich mahnt zu [168] leben. Meine Bücher und Papiere, selbst die kleinsten Zettelchen liegen just heute noch wie vor acht Tagen. Was ich seit der Zeit gethan habe, mußte ich mir als Ehrensache aufdisputieren; selbst zu dem Weintrinken, dieser leidlichsten Widerwärtigkeit, habe ich mich jedesmal ordentlich bedenken müssen, was mir wahrhaftig kein Mensch glaubt.‹

Es war ein drückendes Gefühl für mich, daß ich mich gegen niemanden aussprechen konnte; ich war das allen Betheiligten schuldig. Und doch war es mir, als ob ich mich aussprechen müßte. Ich schrieb demnach vom 12–17. Juli ein kleines Drama, worin ich als Fremder und unglücklicher Liebender auftrete unter den Zwecklosen, deren jedem Witze, Sprüche, Lieder zugetheilt sind, wie sie eben seiner Eigenthümlichkeit entsprechen. Es war ein Gemisch von Ernst, Humor, Sticheleien und Anzüglichkeiten. Als ich es eines Abends vorgelesen hatte, war mir wirklich, als ob ich mein Herz erleichtert hätte, und weiter wollte ich ja nichts. So hatte ich freilich gedichtet, es war aber mehr ein unfreiwilliges Geschäft. Denksprüche, Xenien, wilde und zahme entstanden wol, aber selten ein Lied. Zu Liedern fand ich nie die rechte Stimmung in mir. Meine Unruhe, meine Unzufriedenheit mit mir und der Welt ließen mich selten zu einem heiteren Schaffen gelangen. Von den Gedichten dieser Zeit ist überdem wenig übrig geblieben, ich habe später die meisten vernichtet.

In meinen amtlichen Verhältnissen hatte sich nichts geändert. Der Minister war mir sehr wohlwollend gesinnt, er dachte ernstlich an eine Verbesserung meiner Lage, es ergab sich nur keine Gelegenheit dazu. Jetzt im Beginne des Sommers trat solche ein. Büsching war am 6. Mai gestorben und dadurch ein bedeutender Gehalt verfügbar geworden. Wenn auch ältere Zulageversprechungen davon erfüllt würden, so mußte doch noch immer etwas übrig bleiben. Der Minister wußte mir nicht anders zu helfen, als wenn er mich zum Professor machte und so auf den Universitäts-Etat brächte. Diese Absicht hatte er, wollte jedoch durch die philosophische Facultät dazu veranlaßt werden und forderte deshalb dieselbe zur Begutachtung über mich auf, in der Hoffnung, daß selbige seinen Wünschen entgegen kommen würde. Nicht also! Die Facultät erwiederte, hauptsächlich wol auf Wachler's Antrieb, am 25. Juli: ›Den hiesigen Bibliotheks-Custos Dr. Hoffmann hält die hiesige philosophische Facultät [169] zu dieser Lehrstelle gar nicht geeignet und zwar notorisch mit vollem Recht, denn er hat weder den hierzu nöthigen tief eindringenden philosophischen Geist, noch die ernste Studien-Assiduität, noch Vorlesungs-Gabe.‹ Obschon die philosophische Facultät von allen diesen drei Eigenschaften nichts wußte und auch nichts wissen konnte, so erreichte sie doch ihren Zweck: es blieb Alles beim Alten.

Den Sommer über arbeitete ich in den freien vier Nachmittagen sehr fleißig mit Wackernagel an einem ›Glossar für das 12.–14. Jahrhundert.‹ Wir lasen dazu viele Gedichte, Predigten, Rechtsbücher, Glossen u. dgl. Es erschien am Schlusse des 1. Theils der Fundgruben S. 347–400. Die Arbeit war mühsam, mitunter langweilig, die Nachmittagshitze oft lästig, ein seltenes Wort aber und die Ermittelung seiner wahren Bedeutung ließ uns die Mühsale schnell vergessen und wir setzten wohlgemuth unsere Arbeit fort.

So verbrachten wir manche Stunde in der Woche und gewiß in recht ›ernster Studien-Assiduität‹. Dafür gönnten wir uns dann zwei Abende, Mittwoch im Künstlerverein und Samstag in der Zwecklosen Gesellschaft. Das war ein anregendes, erheiterndes, belehrendes, sogar billiges Vergnügen. Es schien damals, als ob durch den Künstlerverein ein für höhere Genüsse empfängliches Leben sich geltend machen wollte, als ob wenigstens diejenigen Männer, welche sich unbefriedigt fühlten in den herkömmlichen Unterhaltungen der vielen geschlossenen Gesellschaften Breslaus, sich uns nähern und anschließen würden. Wir gaben uns und ihnen manche Gelegenheit dazu: wir feierten schnell einmal den Geburtstag eines großen Dichters oder Künstlers, so Goethe's achtzigjährigen Geburtstag.

Bei den vielen Anfeindungen und Verläumdungen, welchen die Zwecklose Gesellschaft in der Philisterwelt fortwährend ausgesetzt war, behielten wir, die Zwecklosen, immer unsern guten Humor, ja es schien oft, als ob derselbe dadurch an neuer Lebenskraft gewänne. So zwecklos wir für uns waren und sein wollten, so zweckvoll wurden wir mitunter für andere. Hatten wir zu Fastnacht die sittlich verwahrloseten Kinder und im vorigen Jahre das Dürerdenkmal bedacht, so mahnte uns jetzt die Noth der durch Überschwemmung Leidenden, auch für sie etwas zu thun. Unsere ›Ars potatoria experimentalis‹ erschien in neuer, vermehrter Auflage unter dem Titel: ›Weinbüchlein. Zum Besten der wasserbeschädigten Schlesier herausgegeben von der [170] Zwecklosen Gesellschaft.‹ (Breslau, im Verlage bei Josef Max und Komp. 1829. 12°. 42 SS). Die Buchhandlung ließ davon 300 Exemplare drucken und bestimmte die ganze Auflage ohne Abzug der Kosten für den angegebenen milden Zweck. Die ganze Auflage war bald vergriffen.

So lange sich unsere zwecklose Schriftstellerei in poetischer Form bewegte, war die Zahl unserer Widersacher gering, vermehrte sich aber bedeutend, als wir als Kritiker auftraten. Zuerst nahmen wir den ›Schlesischen Musen-Almanach 1829. Herausgegeben von Theodor Brand‹ vor und lieferten eine Recension in einzelnen Paragraphen 10. Der ganze schlesische Parnaß war zum Vesuvius geworden und spie Feuer und Flammen gegen uns. Wir blieben aber unversehrt, höchstens daß uns etwas kalte Asche bestäubte. Später versuchte die Zwecklose Gesellschaft, die ›Gedichte von Karl Ludwig Kannegießer. 1. 2. Bdch. (Breslau 1824. 1827)‹ einer gründlichen Beurtheilung zu unterziehen. 11 Diese gründliche, witzige, mitunter bissige Recension verbreitete Angst und Schrecken in den Reihen der Breslauer Poeten und gemüthlichen Schriftsteller, und fand allgemeine Mißbilligung bei den hochgestellten Philistern. Letztere meinten, es sei unrecht von uns, einen Gymnasialdirector so anzugreifen, wir untergrüben seine Autorität, verleiteten die Schüler zur Insubordination u. dgl. Allerdings hatten die Primaner bisher wol großen Respect vor dem Übersetzer des Dante gehabt, – denn gewiß hatte ihn keiner gelesen – jetzt machten sie sich lustig über ihn. Doch hatten wir ja nicht den Director des Friedrichsgymnasiums angegriffen, sondern den Poeten, der nebenbei auch Director war. Wir ließen die Leute reden und trösteten uns mit den unsterblichen Versen Kannegießer's (Gedichte 1. Bdch. S. 142):


Wie ist das liebe Leben doch
Zum größten Theil so spröde!
Verrinnt nicht manche ganze Woch'
Prosaisch, wüst und öde?

Die schönen Hoffnungen, mit denen ich die ›Monatschrift von und für Schlesien‹ begann, waren im Laufe des Jahres immer geringer [171] geworden, auch die letzten blieben unerfüllt, nämlich die, wenigstens so viel Theilnahme zu finden, daß sich ohne große Opfer an Geld und Zeit das Unternehmen fortsetzen ließe. Es war drum gut, das ich mich rasch entschloß, das Ganze aufzugeben. In Schlesien hätte ich mir doch kein Publicum bilden können, die Leute waren durch das Sammelsurium der Provinzialblätter zu sehr verwöhnt, sie erhielten viel Papier für wenig Geld, Tagesneuigkeiten, Familiennachrichten, leichte Unterhaltung und allerlei. Eine gute anständige Zeitschrift mit werthvollen wissenschaftlichen Aufsätzen war nur ein Bedürfniß weniger, und durch diese wenigen konnten nicht einmal die Druckkosten bestritten werden.

Eine eigentliche schlesische Schriftstellerei gab ich für immer auf. Der Aufwand an Zeit und Mühe war in keinem Verhältnisse zu dem Erfolge. Eines schönen Tages übergab ich einen ganzen Waschkorb voll Papiere, lauter Vorarbeiten zu einem gelehrten Schlesien dem fleißigen Amanuensis unserer Bibliothek Karl Nowack, der dann später mit Benutzung dieses Stoffes sein ›Schlesiches Schriftsteller-Lexikon‹ 1–6. Heft (Breslau 1836–1843) herausgab.

Die Anregung, welche mir die Zwecklose Gesellschaft gewährte zum Dichten und Denken, war mir sehr willkommen: ich hatte vielfachen Anlaß und häufige Gelegenheit mich über allerlei auszusprechen. Wir machten es nicht wie die Mittwochs-Gesellschaft in Berlin, bei der es Gesetz war, nichts Eigenes vorzutragen. Im Gegentheil, das Eigene hatte bei uns den Vorrang, und nur wenn unser Vorrath erschöpft war und wir noch etwas hören wollten, gingen wir zum Vortrage fremder Sachen über. Wir scheuten uns nicht das auszusprechen:


Schon recht! Ihr les't von Euch nie eine Zeile
In Eurem litterarischen Verein,
Sonst würde ja der lieben Langenweile
Kein Ende sein.
Uns aber macht's ein groß Vergnügen,
Uns selbst zu hören überall,
Wir wollen uns auch nie verfügen
Mit jedem gleich in Einen Stall.

Um die geistige Regsamkeit im Gange zu erhalten, wurden in [172] jeder Sitzung außer den neuesten Gedichten noch Aphorismen, Sprüche und Epigramme vorgetragen. Daß sich jeder recht frei und ungebunden, auch in gebundener Rede, aussprach, läßt sich denken: wir schonten uns selber nicht, und jeder trat für seine Ansichten und Bestrebungen in die Schranken so gut er es eben konnte. Wenn es dann augenblickliche Verstimmungen gab, so ging es das nächste Mal noch ärger her, so daß ich mich nach einer neuen Reihe von Aphorismen und Xenien veranlaßt fühlte zu erklären:


Wenn ihr wollt, daß ich mich nicht äußern darf,
Da schwör' ich euch, ich bin noch mal so scharf.
und wieder ein anderes Mal:
Hier geht mein Papier zu Ende!
Aber ich habe noch Füß' und Hände,
Und eine Zunge, ein schneidige,
Womit ich die Wahrheit vertheidige.

Der Gewinn bei diesen geistigen Wettkämpfen war zunächst ein persönlicher: wir wurden darauf geführt, uns mit uns selbst zu beschäftigen, uns über uns klar zu werden, über unsere Bestrebungen und Ziele, über unsere Stellung zur Kunst und Wissenschaft und zu unseren Freunden und Gegnern. Namentlich kannich diesen Gewinn nicht zu gering anschlagen. Viele meiner damaligen Aufzeichnungen geben das Streben zu erkennen, zu größerer Klarheit, Entschiedenheit und Selbständigkeit zu gelangen. Kein Wunder, daß ich mit großer Liebe an dieser meiner Stiftung hing und auch für die Zukunft die schönsten Hoffnungen zu ihr hegte.

Das Jahr 1830 begann. Mehr als je fühlte ich die Nothwendigkeit, etwas für mich zu thun wodurch ich eine bessere, sorgenfreie Stellung erreichte. Ich hatte jetzt niemanden gegen den ich mein Herz ausschütten konnte als Karl Milde; niemandem schenkte ich ein so unbedingtes Vertrauen als ihm; niemand aber verdiente es mehr als er, er war jederzeit bereit gewesen, mir mit Rath und That beizustehen.

Ich hatte im Mildeschen Hause schon viel Verkehr gehabt. Der alte Milde hatte sich von einem kleinen Cattundrucker allmählich zu einem der bedeutendsten Fabricanten emporgeschwungen und sich eine [173] achtungswerthe Stellung unter seinen Mitbürgern erworben. Die höhere Bildung, die ihm fehlte, suchte er für seinen Sohn zu erreichen und gab ihm eine Erziehung, wie sie oft in höheren Kreisen nicht vorkommt. Karl wurde, nachdem er die nöthigen Vorkenntnisse zu weiterer Fortbildung besaß, auf Reisen geschickt. Mit einem Schatz von Kenntnissen, Erlebnissen und Erfahrungen kehrte er nach Jahren in das elterliche Haus zurück. Er sollte nun unter dem Vater das Geschäft betreiben, bald schien ihm aber dies Verhältniß unbequem: er sehnte sich hinaus und reiste abermals. Nach längerer Zeit kam er zurück und übernahm selbständig die Fabrik. Mildes Rückkehr war für die Zwecklose Gesellschaft ein erfreuliches Ereigniß, das sie auf ihre Weise feierte. Milde jedoch fühlte sich bald nicht recht heimisch bei unseren Scherzen und Witzen, wofür er keinen Sinn hatte, auch sagte ihm überhaupt unsere ganze Richtung nicht zu gegen die Philisterwelt, welcher er doch als reicher Kaufmann und Gemeindebürger angehören mußte und wollte, ja sie schien ihm hinderlich um zu dem zu gelangen was er in der Gesellschaft und im Stadtwesen sein wollte: gegen Ende des Jahrs 1829 trat er aus. Trotzdem war mein Verhältniß zu ihm unberührt geblieben. Vertrauensvoll konnte ich mich nach wie vor an ihn wenden.

Ich theilte Milden meinen Plan mit. Die Fundgruben 12 waren vollendet. Ich hatte sie dem Minister gewidmet, und dieser die Widmung angenommen. Ich wollte sie ihm selbst überreichen und bei der Gelegenheit zugleich meine Entlassung im Fall er meine Lage nicht zu verbessern vermöchte. Da ich keinen Urlaub zur Reise von Wachler erwarten durfte, wollte ich ohne Urlaub abreisen. Milde stimmte ein. Ich hielt die Sache natürlich sehr geheim. Ich war mit meinen Vorarbeiten schnell fertig: alle Bibliotheksbücher lieferte ich ab, meldete Wachler und Neumann, daß ich in Familienangelegenheiten auf einige Zeit verreisen müßte, schickte ersterem die Bibliothekschlüssel und reiste am 19. Februar mit der Schnellpost nach Berlin.

Da ich nun gerade über meinen Aufenthalt in Berlin vom [174] 21. Februar bis 2. März ein Tagebuch habe, so will ich Einiges daraus mittheilen.

Montag den 22. Februar. Meine Fundgruben werden von einem Freunde meines Bruders dem Minister überreicht.

Dinstag den 23. Februar. Morgens um 9 Uhr besuche ich Herrn GR. Schulze. Er empfängt mich sehr freundlich und wir besprechen meine Angelegenheit ausführlich. Er wurde ganz zutraulich und lud mich ein wiederzukommen.

Aschermittwoch den 24. Februar. Um 7 Uhr Abends zum Minister. Der Portier empfängt mich mit dem schlechten Troste: ›Excellenz spricht.‹ Ich muß lange warten. Endlich öffnet sich die Thür, der Minister entläßt seinen Geh. Rath und empfängt mich recht freundlich. Ich muß mich zu ihm auf's Sopha setzen.


M. Nun, wie geht es Ihnen in Breslau?

Ich. Leider muß ich Ew. Excellenz erwiedern: nicht sonderlich.

M. Wie kommt denn das?

Ich. Sieben Jahre bin ich Custos mit einem geringen Gehalte und was noch schlimmer ist, ohne alle Aussicht auf Verbesserung.

M. Können Sie nicht auskommen?

Ich. Leider nicht. – Ich möchte Breslau ganz verlassen.

M. Aber wollen Sie nicht Vorlesungen halten? Ich kann leider nicht die Bibliothekstellen unabhängig machen von den Universitäten, daran ist schon Manches gescheitert ...

Ich. Excellenz, leider erfahre ich zu spät, daß in der Bibliothekslaufbahn kein Weiterkommen ist.

M. Warum haben Sie früher nichts gethan? Hagen ging fort, Büsching starb – Sie haben sich zu wenig geriert.

Ich. Ich habe zu viel Feindschaft bei der Universität – wie hätte ich den Entschluß fassen können, ins academische Leben einzutreten?

– – –

M. Nun, wie wär's wenn Sie Vorlesungen hielten? Büsching's Stelle ist noch nicht wieder besetzt.

Ich. Ew. Excellenz erlauben mir zu bemerken, daß die Stelle allerdings noch nicht besetzt ist, daß aber kein Gehalt mehr vorhanden.

M. Gehalt findet sich schon – ich will Sie zum Professor machen.

Ich. So erfreulich mir das sein muß, so kann ich doch den [175] Wunsch nicht unterdrücken, daß ich eben lieber überall als gerade in Breslau Professor würde ....

M. Es ist für den Augenblick. Doch will ich thun was ich kann. Machen Sie mir eine Eingabe. Ich hoffe, es wird gehen, nicht wie am Ende Alles geht, sondern – es wird gut gehen. Leben Sie wohl!


Ich ging tief gerührt von dem Wohlwollen des Ministers und dankerfüllt, aber ohne mich eigentlich zu freuen. Der Gedanke an Breslau ließ kein freudiges Gefühl in mir aufkommen, ich ahndete nur noch schlimmere Kämpfe, die ich bestehen würde, und fürchtete, darunter alle Lebenslust, allen Humor und alle Poesie vollends einzubüßen. In dieser Stimmung erreichte ich das Meusebachsche Haus. Ich muß M. erzählen was ich eben erlebt. Als ich die Worte des Ministers: ›Ich will Sie zum Professor machen‹ ausspreche, unterbricht mich M., freudig erstaunt und scherzend: ›Nein, Sie sind doch ein Glückskind! Laufen aus Breslau fort und – zur Belohnung macht Sie der Minister zum Professor!‹

Samstag den 27. Februar. Ich reiche meine Eingabe an den Minister ein. Um 6 Uhr beim GR. Schulze; ich theile ihm mit, daß ich den Minister gebeten, mir die Büschingsche Stelle zu verleihen.

Sch. Ja, großer Gott, da ist nichts zu machen, nichts, gar nichts. Sie haben nichts gethan, daß wir Ihnen eine solche Stelle geben können .... Wenn ich nur wüßte, wie ich helfen sollte! Aber wir können nicht, wir können wahrhaftig nicht: es ist kein Pfennig Geld da.

Im Laufe des Gespräches fährt er fort: Ja, wenn wir nur Ehre mit Ihnen einlegen. – Es ist sehr gewagt, Sie als Professor anzustellen. Es wird viel Geschrei geben.


Ich. Herr GR., haben Sie schon Schande mit mir eingelegt? Ich fordere jeden, selbst meine ärgsten Feinde, den Passow etc. auf, ob sie irgend etwas gegen meine bisherige amtliche Thätigkeit aufbringen können, was mir oder dem Ministerium zur Schande gereichte; ob ich nicht fleißig und gut gearbeitet habe, nicht jedem und allezeit gefällig und hülfreich gewesen bin.

Sch. Ja, das paßt hier nicht auf die Professur. Sie haben noch nicht gezeigt, daß Sie Professor sein können.

[176] Ich. Ich habe schon Vorlesungen genug gehalten – ob da 5 oder 100, ob Studenten oder andere Leute sitzen, ist am Ende einerlei. Ich werde lesen, und werde so lesen, wie einem Manne geziemt, der seines Berufs sich bewußt ist und auf Ehre hält.

Sch. Was wollen Sie denn lesen?

Ich. Allgemeine Litteraturgeschichte, Culturgeschichte, deutsche Litteraturgeschichte.

Sch. Wieviel wollen Sie denn haben?

Ich. Einige hundert Thaler.

Sch. Die müßten aus der allgemeinen Casse angewiesen werden, bis dort in Breslau Fonds frei würden und Sie dann auf den Etat kämen. Aber Sie müssen Litteraturgeschichte lesen, Sie müssen sich besonders dafür bestimmen, ich werde es in Ihr Patent schreiben. Wir müssen aber Ehre mit Ihnen einlegen, Sie müssen sich auszeichnen, dann können sie in Breslau schreien wie sie wollen!

Ich. Ich werde das Meine thun.

Sch Aber das ist das Schlimme: es sieht immer aus wie eine persönliche Begünstigung.

Ich. Herr GR., wenn Sie irgend glauben, daß ich persönlich begünstigt werde, so wünsche ich recht sehr, daß Sie durchaus nichts für mich thun. Daß ich unglücklich war, daraus darf man mir keinen Vorwurf machen.

Sch. Ich werde ja thun was ich kann, seien Sie davon überzeugt!

Ich. Ich wünsche, daß es bald enschieden wird. Wollten Sie es mich wol wissen lassen, damit ich, wenn's nichts mit meiner heutigen Eingabe wäre, dann meinen Abschied noch zeitig einreichen könnte?

Sch. Das ist nur Scherz. Ich werde thun was ich kann.


Ich verneigte mich und ging.

So hart ward ich noch nie von einem Manne behandelt, der doch längst eine bessere Meinung von mir haben mußte. Seiner Heftigkeit zu Anfange begegnete ich mit der größten Ruhe, und erst dann, als er sich auf Erörterungen einließ und allmählich ruhiger und milde ward, trat ich mit aller Kraft meines gekränkten Ehrgefühls gegen ihn auf, ich schenkte ihm gar nichts, und bin vielleicht nie stolzer gewesen als eben damals, aber auch vielleicht nie mit größerem Rechte. Die ganze Verhandlung währte eine Stunde; ich [177] hatte gesagt was ich sagen wollte.

Sonntag den 28. Februar. Ich beschäftige mich mit den Vorlesungen, die ich nun nächstens halten werde. So angenehm mir die Aussicht auf einen neuen schönen Wirkungskreis ist, so kann ich doch ein gewisses trauriges Gefühl nicht unterdrücken.

Um 2 Uhr zu Meusebach. Nach Tische habe ich eine sehr lange Unterredung mit Lachmann. Ich erzähle ihm meine letzten Erlebnisse in Breslau und den Zweck meines Hierseins. Er zeigt sich so überaus theilnehmend und liebevoll, daß ich ihm heute um vieles näher stehe als sonst. Er redet mir zu, den Otfrid doch herauszugeben, er sei bereit die Correctur hier zu übernehmen.

Dinstag den 2. März. Um 6 Uhr besuche ich Hofrath Koch. Ich beklage mich über Schulze's Benehmen gegen mich. Koch entschuldigt den Geheimen Rath, er sei seit einiger Zeit sehr überreizt, er müsse zu viel arbeiten und würde gewiß erliegen, wenn das so fortginge. Übrigens meine er es gut, und würde gewiß für mich thun was er könne.

So weit mein Tagebuch.

Ich dachte noch oft an den GR. Schulze. Er war eigentlich immer aufgeregt und gewöhnlich sehr zerstreut, und konnte leicht leidenschaftlich und beleidigend werden. Manchem Gelehrten und Künstler, die mit dem geistlichen Ministerium in Beziehung standen, ging es bei Schulze nicht besser wie mir. Er wendete und drehte sich um einen und vor einem herum wie ein Kreisel, die Pfeife ging alle Augenblicke aus, wurde wieder angesteckt, der Schlafrock flog wie im Winde, und die Arme und Hände begleiteten fleißig seine raschen Worte. Bei seiner inneren und äußeren Unruhe vergaß er das was er immer im Munde führte und allen empfahl, die Würde, auch war er in seinen Ausdrücken nicht eben wählerisch. Seine Liebe für Kunst und Wissenschaft glich mehr einer Liebhaberei, außer der classischen Philologie und später der Hegel'schen Philosophie ließ er eigentlich nichts gelten, er war ein gelehrter Beamter, dem das Bureaukratische doch noch mehr galt als das Philomathische.

Der Minister von Altenstein dagegen verhielt sich ruhig und würdevoll, ließ jeden aussprechen und ging auf Alles ein. Beseelt von reinster Liebe für Kunst und Wissenschaft wollte er für beide das Beste wirken. Er ehrte beide in ihren Trägern und betrachtete[178] den Gelehrten und Künstler nicht wie einen gewöhnlichen Beamten, der an bestimmte Arbeiten und Stunden gebunden ist. Er sah in den Universitäten etwas Höheres als bloße Cadettenhäuser für den Staatsdienst, wollte nicht den Geist dressieren und jede freie Selbstthätigkeit beseitigen. Dabei hatte er ein sanftes Gemüth, das im Unglück viel verloren, aber an Liebe für die Menschen, für Kunst und Wissenschaft reicher geworden war. Wie mit seinen Blumen verkehrte er mit den Menschen gütig, wohlwollend, theilnehmend.

Am 6. März kam ich in Breslau an; zwei Tage dar auf stattete mir der Minister seinen Dank ab für die ihm gewidmeten Fundgruben: ›Indem ich das Verdienst, welches Sie sich durch die mit Sachkenntniß und lobenswerther Sorgfalt veranstaltete Herausgabe der interessanten und wichtigen, in diesem Bande enthaltenen Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Litteratur erworben haben, nach seinem ganzen Werthe anerkenne, gebe ich Ihnen zugleich die Versicherung, daß ich bemüht seyn werde, Ihre äußere Lage nunmehr zu verbessern, und Ihnen dadurch meine vorzügliche, Ihnen gewidmete Hochachtung zu bethätigen.‹

In diesem Schreiben des Ministers fand ich Beruhigung und Trost, mehr aber noch in den Gesichtern meiner künftigen Herren Collegen: es lag darin, daß mir gegen ihren Wunsch und Willen etwas Gutes begegnen würde. Schon am 30. März erfuhr ich durch meinen Bruder, daß ich zum außerordentlichen Professor ernannt sei. Erst am 13. April erhielt ich meine Bestallung als außerordentlicher Professor für das Fach der deutschen Sprache und Litteratur mit einem jährlichen Gehalte von 200 Thalern, sie war am 18. März ausgefertigt. Ich war sehr bewegt – ich schlug die Bibel auf und las mit großer Andacht die Worte des Psalmisten (109 und 103):


Stehe mir bei, Herr mein Gott! hilf mir nach Deiner Gnade!

Daß sie inne werden, daß dies sei Deine Hand, daß Du, Herr, solches thust.

Fluchen sie, so segne Du! Setzen sie sich wider mich, so müssen sie zu Schanden werden, aber Dein Knecht müsse sich freuen.

Meine Widersacher müssen mit Schmach angezogen werden, und mit ihrer Schande bekleidet werden, wie mit einem Rock.

Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen!

Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiß nicht was er Dir Gutes gethan hat!

[179] Nach langer Zeit konnte ich mich wieder einmal so recht von Herzen freuen. Ich hatte mich bisher nie glänzender an meinen Feinden und Neidern gerächt. Ich war nun dasselbe was sie, und konnte sorgenfreier und hoffnungsreicher der Zukunft entgegen gehen. Ich besuchte in den nächsten Tagen meine Herren Collegen. Sie waren alle sehr freundlich und versicherten mich ihrer collegialischen Freundschaft. Ich ließ mich durch alles das nicht irre machen und blieb in meiner bisherigen Zurückgezogenheit. Ich hatte lange genugneben ihnen leben müssen, als daß ich noch Lust gehabt hätte, mit ihnen zu leben. Wie ärgerlich die Herren über meine Ernennung waren, erfuhr ich denn doch sehr bald. Der einzige Professor, mit dem ich bisher fast freundschaftlich verkehrte, Stenzel, sprach sich, nachdem ich ihm meine Ernennung mitgetheilt hatte, auf eine Weise aus, die mich nach dem was die anderen darüber dachten, gar nicht weiter verlangen ließ.

Ich dachte jetzt sehr ernstlich an meine Vorlesungen. Die Zeit war kurz, ich mußte mich für dies halbe Jahr auf ein Publicum und ein Privatissimum beschränken, zumal mich noch die neue Ausgabe des Otfrid, mit der ich mich schon seit dem März beschäftigte, und meine Habilitation sehr in Anspruch nahm. Für letztere schrieb ich eine Abhandlung über die mittelniederländischen Dichtwerke.

Zu meiner ersten Vorlesung hatte ich einen Gegenstand gewählt, der bis dahin noch nie besonders behandelt war: Geschichte des deutschen Kirchenliedes vor Luther. Ich hatte schon lange dafür gesammelt, die Ausarbeitung machte mir viel Freude, noch mehr daß ich nun in einem öffentlichen Vortrage die Ergebnisse meines Forschens auch anderen mittheilen konnte. Ich begann den 7. Juni vor 9 Zuhörern, die dann auch treu aushielten bis zuletzt. Zu meinem Privatissimum zu Hause: deutsche Handschriftenkunde, hatten sich mehr gemeldet als ich unterbringen konnte, ich hatte nur für 6 Platz. Mit dem Erfolge meiner neuen academischen Thätigkeit konnte ich zufrieden sein.

Am 20. Juni feierte ich mit den Geburtstag der Frau v.W. 13 Ich überreichte ihr ›Kalitten 14 zu den Blumenkränzen des 20. Juni 1830‹ und Uhland's Gedichte mit folgender Zuschrift:


[180]
Am Reichthum dieser fremden Blüthenwelt
Kannst Du vergessen meine Dürftigkeit,
Denn in den Frühling meines Lebens fällt
Nur eine lange herbe Winterzeit.

In den Kalitten sind 5 spanische Romanzen mitgetheilt. Diese galten meiner unerwiederten Liebe zuBotheina, wie ich sie damals nannte und später nennen werde. 15 Die Zueignung rechtfertigt, warum diese Romanzen bei dieser Gelegenheit gedruckt wurden:


Ist das Glück auch mir entschwunden,
Blieb der Schmerz auch mir allein,
Darf ich drum der frohen Stunden
Letzten Nachhall Dir nicht weih'n?
Hast Du es doch mit empfunden,
Eben darum ist es Dein.

Wäre es doch bei den Kalitten geblieben! ich hätte mir und anderen viel Leid und Kummer erspart, und so manche schöne Erinnerung ungetrübt für mein ganzes Leben behalten können.

Es war jetzt mein sehnlichster Wunsch, mit der Facultät so bald als möglich ins Reine zu kommen. Daß man meinen Leidener Ehrendoctorgrad nicht gelten lassen möchte, hatte ich bereits unter der Hand erfahren. Ich schickte das Diplom ein. Die Facultät betrachtete das Pergament mit dem großen Siegel in der Messingkapsel. Wachler sprach dann das große Wort gelassen aus: ›Es ist echt!‹ Zu einer Promotion hätte ich mich nie verstanden, das wäre eine Beleidigung für die Leidener gewesen; eine Ehrenbezeigung dieser Art von solch einer Universität schien mir immer noch mehr zu wiegen als ein rite promotus jeder deutschen Universität. Ich glaubte als Professor derdeutschen Sprache und Litteratur genug zu thun, wenn ich eine lateinische Abhandlung drucken ließe und eine lateinische Rede hielte, wie man ja auch v.d. Hagen und Büsching gestattet hatte. Dies wurde mir auch von der Facultät zugestanden.

Botheina war seit Anfang Julis wieder in Breslau bei ihren Anverwandten. Sie war krank gewesen und noch immer sehr schwach und leidend. Ich sah sie dann und wann. Wir sprachen fast nie mit einander, und das wenige, was ich von ihr hörte, war der Art,[181] daß ich nicht die mindeste Hoffnung hegen konnte, daß sie meine Liebe je erwiedern würde. Ich fühlte mich sehr unglücklich und litt viel. Ich begreife heute noch nicht, wie ich trotzdem so beharrlich lieben konnte. Ihren Verwandten war mein Zustand bekannt, sie suchten zu trösten, ohne jedoch die geringste Hoffnung mir zu machen. Ich wußte mein peinigendes Gefühl nur durch Dichten und Aufzeichnen meiner Seelenzustände zu beschwichtigen. Ich war geistig und körperlich sehr aufgeregt und ungewöhnlich reizbar.

Es kamen nun noch die Julitage hinzu. Ich nahm den lebhaftesten Antheil an der Entwickelung der Dinge in Paris. Ich war oft bei Milde. Jede Neuigkeit aus Paris wurde verschlungen. Als die französische Bewegung die Nachbarländer ergriff, verfolgte ich mit gespanntester Aufmerksamkeit jede Regung zur Herbeiführung besserer Zustände, namentlich in Deutschland. In dieser äußern und inneren Unruhe vollendete ich den Druck meiner Habilitationsschrift, die später als Pars I. der Horae belgicae im Buchhandel erschien.

Ende September und Anfang October besuchte ich meine Heimat und die Meinigen. Auf der Hin- und Rückreise verweilte ich einige Tage in Berlin. Täglich war ich bei Meusebachs, auch öfter mit Lachmann zusammen. Durch Meusebach erhielt ich das Antwerpener Liederbuch, das er schon mehrere Jahre aus der Wolfenbütteler Bibliothek geliehen hatte. Ich schrieb mir alle Lieder daraus ab, welche ich für ursprünglich niederländisch hielt. Es gab des Besprechens und Sehens so viel, daß ich mehrmals des Nachts dort blieb.

Dem Minister sprach ich in einer Eingabe die Bitte aus, daß ich statt einer öffentlichen lateinischen Disputation eine lateinische Rede vor der Breslauer philosophischen Facultät halten dürfe, und daß mein Leydener Ehren-Doctordiplom anerkannt würde.

Nach meiner Rückkehr nach Breslau entwickelte ich eine große Thätigkeit: ich arbeitete für meine Vorlesungen, war beschäftigt auf der Bibliothek, dichtete, briefwechselte und leitete den Künstlerverein. Dieser hatte sich seit Kurzem erweitert: es hatte sich eine litterarische Abtheilung gebildet, welche regelmäßige Sitzungen halten und eigene und fremde Werke besprechen wollte, um so sich anzuregen und sich wechselseitig zu bilden. Die früheren litterarischen Mitglieder des Vereins Geisheim, Grünig, ich, Schall, Wackernagel und Karl Witte hatten sich begnügt, bei öffentlichen Festen des Vereins mitzuwirken [182] und sich endlich veranlaßt gefunden, auch einmal selbständig aufzutreten. Sie hatten zu Anfange des Jahrs eine Sammlung Gedichte herausgegeben unter dem Titel: ›Poesieen der dichtenden Mitglieder des Breslauer Künstlervereins‹. (Breslau. Gosohorsky 1830.)

Obschon mir die jetzige Idee, eine größere litterarische Thätigkeit ins Leben zu rufen, sehr gefiel und ich sie auch nach Kräften unterstützte, so hatte ich doch wenig Hoffnung auf Erfolg.

Unterdessen traf ein Schreiben des Ministers ein: meine Bitte war vollständig gewährt und ich konnte nun täglich den Anforderungen der Facultät genügen.

So ging das Jahr zu Ende. Ich hätte zufrieden, sehr zufrieden sein können: ich hatte vieles erreicht was mir vor Jahr und Tag unerreichbar schien. Und doch fühlte ich mich unglücklich. Meine Liebe zu Botheina war durch alle Hoffnungslosigkeit nur noch stärker geworden. Mein einziger Trost war, daß ich mich in Liedern aussprechen konnte. Zu Weihnachten ließ ich sieben Lieder drucken: Die letzten Blumen, eins für jeden Wochentag, voran eine Einleitung. 16

Die Zwecklose Gesellschaft war die Veranlassung für mich gewesen, dann und wann meine jeweiligen Stimmungen und meine Ansichten über das Leben, über Kunst und Wissenschaft u. dgl. aufzuzeichnen. Nachdem sie nicht mehr bestand, setzte ich diese Selbstunterhaltung noch eine Zeitlang fort. Seit Jahr und Tag hatte sich nun zwar mein äußeres Leben günstiger gestaltet, und ich hätte in dieser Beziehung beruhigter und heiterer sein können, auch fehlte es mir nicht an Arbeit, die meinen Wünschen entsprach, und mit den Erfolgen meines academischen Wirkens konnte ich sehr zufrieden sein, trotzdem aber gab es des Widerwärtigen so viel, daß ich mich oft recht unglücklich fühlte. Einige Wochen vor Beginn des neuen Jahrs schrieb ich einer Freundin 17: ›Sie gedenken nicht mit einer Zeile dessen was so mein ganzes Sein und Leben durchlebt und durchwebt. Glauben Sie wirklich, daß diese Liebe nur ein poetischer Anflug ist, eine leidenschaftliche Neigung, ein abenteuerlicher Versuch für ein äußerliches Glück? Das können Sie nicht glauben, Sie am wenigsten, ja Sie dürfen es nicht einmal ahnden! Oder gedachten [183] Sie, durch jede Berührung gewisser Erinnerungen aus diesem letzten Sommer mich zu betrüben? Nein, das dürfen Sie nie denken. Der Mensch ist mehr, ist besser als sein Schicksal. Jetzt erst darf ich sagen: ich liebe, jetzt weiß ich was ich sonst nur ahndete; jetzt ist zur Wahrheit geworden was früher nur als Idee vor mir stand und in einzelnen Tönen hervorbrach, als Lied und Aphorisme sich offenbarte. Groß war mein Schmerz, aber größer ist meine Liebe, sie wollte siegen und hat gesiegt. Nichts kann mich darin irre machen. Und selbst wenn Botheina sagte: ich liebe dich! ich könnte sie nicht mehr lieben als jetzt; und wenn sie gar sagte: ich hasse dich! ich könnte sie doch nur lieben. Ich muß selbst weinen vor diesem wunderbaren, beseligenden Gefühle, aber es ist kein Mitleid mit mir selbst, sondern mit anderen, die solche Wunder, solche Seligkeit nicht kennen. Diese anderen stehen um mich und verstehen mich nicht, und da mich meine Liebe mit der ganzen Welt versöhnt, Alles ebnet und mildert, so kann ich mich um so leichter von ihnen trennen, und die Kräfte und die Zeit, worauf die Pflicht ein Recht hat, ungetheilter meiner Wissenschaft zuwenden. Ich müßte für ungerecht erscheinen, wenn ich jetzt über die Menschen klagen wollte; aber ich habe gar kein Bedürfniß, mich an sie und ihre Gesellschaften anzuschließen, viel weniger als jemals, besonders seitdem das Entbehren jedes irdischen Glücks mein Hauptstreben geworden ist und mir nur Heil und Frommen bringt. Muß ich nicht unendlich viel entbehren, daß ich mit niemandem sprechen kann über das was mich neben meinen wissenschaftlichen Arbeiten fortwährend beschäftigt, was meine Seele umkreist wie der Mond die Erde? Aber niemand will mich verstehen, niemand will zugeben, daß ein irdisches Wesen seine himmlische Abkunft in Selbstverläugnung und Aufopferung suchen darf, um nicht für sein, nur für Anderer Glück zu leben. Wie groß mein Vertrauen ist und sein darf, was hilft's mir, so lange man mir für mein Glück ein anderes geben will? Da muß ich schweigen. Man will die Liebe behandeln wie etwa einen wissenschaftlichen Gegenstand, bei dem sich falsche Ansichten berichtigen, Zweifel heben und Unwahrheiten aufdecken lassen. Ich achte und ehre jede Mühe, die man sich mit mir gegeben hat, mich gleichsam zu bekehren, aber ich kann niemandem dafür danken. Verdient es denn auch Dank, daß man mir das wenige was ich mir bewahrt und zur frischen [184] Blüthe auferzogen habe, rauben will? Wer kann mir Ersatz geben für den Verlust meiner Poesie? Und sie ist ganz Eins geworden mit meiner Liebe.‹

In solche Gefühle und Gedanken war ich wie durch Zauber gebannt, und hätte ich mich damals ihrer erwehren wollen, es wäre mir nicht gelungen. Zu meinem großen Glücke mußte ich auch an andere Dinge denken. Zunächst nahm mich meine Habilitation in Anspruch. Die Einladungsschrift war fertig und wurde vertheilt. Am 28. Februar (1831) Mittags 11 Uhr hielt ich in der kleinen Aula eine lateinische Rede über Luther's Verdienste um die deutsche Sprache; ich war nun wirklicher Professor extraordinarius.

Am 2. April wurde in befreundetem Kreise mein Geburtstag gefeiert und mit einer Überraschung beendet, mit – meiner Verlobung. Nach vielen mündlichen und schriftlichen Verhandlungen, nach vielen Überlegungen und Erwägungen war von Seiten der Familie die Einwilligung erfolgt, Botheinas Herz hatte sich in Liebe mir zugewendet, sie war meine Braut und ich fühlte mich unaussprechlich glücklich. Wie mir damals zu Muthe war, habe ich am besten ausgesprochen in den sechs letzten meiner spanischen Romanzen (Nr. 11–16), 18 die eben damals entstanden. Ich lebte herrlich und in Freuden nur meiner Braut, nur ihr und ihrer Familie.

Im Herbste nahm ich mit Botheina an einem Ausfluge theil, den die Familie ins Gebirge machte. Als wir zurückkehrten, war kurz vorher (29. September) in Breslau die Cholera ausgebrochen. Es kam nun eine traurige Zeit. Die Cholera, diese nie gekannte Krankheit, mit ihren plötzlichen heimtückischen Anfällen, zwar kurzen, aber schrecklichen Schmerzen, denen meist immer der Tod folgt, verbreitete Angst und Schrecken. Die ersten gräßlichen Vorsichtsmaßregeln, das Fortschaffen der Cholerakranken im Korbe, die nächtliche Bestattung, alles das vermehrte das Unheil. Ich lebte wie gewöhnlich, hatte keine Furcht, und suchte mich und andere zu erheitern. Und das war gewiß das beste Gegenmittel.

Meine heitere Stimmung wurde leider bald getrübt: Botheina [185] erkrankte und genas nicht recht wieder, den ganzen Winter kränkelte sie. Ich litt mit und fühlte mich endlich sehr leidend und ward traurig.

Durch vielseitige Thätigkeit hielt ich mich immer aufrecht. Ich las mit Lust und Eiser Litteraturgeschichte und Handschriftenkunde. Zu diesem letzteren Collegium hatte ich ein Büchlein drucken lassen:Handschriftenkunde für Deutschland. Ein Leitfaden zu Vorlesungen von Dr. A.H. Hoffmann. (Breslau. 1831. 8°). Jeder Theilnehmer erhielt es und außerdem noch zum Abschreiben einige Hefte, die als Ergänzung dienten. Mein academisches Lehramt machte mir viel zu schaffen. Nebenbei vollendete ich meine Geschichte des deutschen Kirchenliedes. Mit meinem Dichten war es vorläufig vorbei. Ich hatte dazu weder Ruhe noch Heiterkeit noch Anlaß.

Das Schicksal Polens betrübte mich sehr und in dem Losreißen Belgiens von Holland konnte ich wenigstens für die Belgier niederländischer Abkunft kein Heil sehen. Und den großen Ereignissen des Tages nahm ich lebhaften Antheil. Am 26. October 31 schrieb ich meinem Bruder: ›Wir armen Schlesier! wir werden leider zuviel regiert; das ist die allgemeine Klage. Ja, könnte es nur unmerkelicher 19 geschehen, da wär's noch ziemlich. Der gute Wille und die Thatkraft des Einzelnen wird durch die angemaßte Vormundschaft von Seiten der Regierung täglich mehr geschwächt. Das Beschönigen und Vertuschen des Unglücks von oben herab, die vielen halben und unsinnigen Maßregeln, die höchstens ein Berliner †† in der Allgemeinen Zeitung loben kann, das despotische Wesen unserer Polizei, ihr Aushorchen, ihr Aufpassen – Alles erstickt das letzte Vertrauen gegen die Regierung und erbittert gegen die Beamten. Von einer öffentlichen Meinung, die auch hier noch manches Üble abwenden, der Willkürlichkeit Schranken setzen, und die gesunde Vernunft zu ihren Rechten bringen würde, kann in einem Lande was immer schläft keine Rede sein. Und wollte es auch aufwachen, wollte es sein eigenes Interesse kennen lernen, der hiesige despotische Aristocratismus und allgemeine spießbürgerliche politische Obscurantismus giebt es nicht zu. Auch der gebildetere Theil Breslaus lebt in einer politischen Unbefangenheit und ahndet die spanische Censur, [186] die jeden freien Gedanken wie eine lästige Fliege dem braven Bürger abfängt.‹

Die Censur war kleinlich und frech, und machte sich täglich lächerlicher und verhaßter. Die harmlosesten Dinge wurden gestrichen. Am meisten hatten die Zeitungen und die Flugschriften zu leiden. Ohne Censur durfte nichts, gar nichts gedruckt werden, nicht einmal ein Anschlag zu Privatgebrauche. Die Censoren betrachteten die Censur als eine Erwerbsquelle. Für jeden Bogen eines wissenschaftlichen Werkes bekamen sie einige Groschen. Oft sahen sie das Buch gar nicht weiter an und schnitten es kaum auf. Da ereignete es sich denn einmal, daß mein College Thilo bei einem Buche, das in halben Bogen gedruckt war, das Doppelte berechnete!

Das neue Jahr 1832 begann. Ich hoffte, daß ich nun bald Hochzeit halten und mir ein eigenes Hauswesen gründen könnte. Eine bange Ahndung sagte mir, daß sich diese Hoffnung nicht erfüllen würde. Ich sah mit Besorgniß in die Zukunft.

Den 26. März schloß ich meine Vorlesungen und gedachte nun wieder einmal recht frei und froh zu sein. Wenige Tage nachher erfolgte ein Ereigniß, das, so freudig es für die Familie meiner Braut war, doch für mich nicht sein sollte. Die Familie wollte schon in nächster Zeit Breslau für immer verlassen.

Wie mir damals zu Muthe war, erhellt aus einem Briefe an meinen Bruder. Den 30. März schrieb ich ihm:

›Ich habe diesen Winter viel arbeiten müssen, besonders hat mir meine Litteraturgeschichte viel zu schaffen gemacht. Jetzt hoffte ich recht froh und munter des Frühlings zu genießen; ich wollte studieren was mir Freude machte; ich wollte wieder dichten, wozu mir seit einem halben Jahre gar keine Zeit blieb; ich wollte Briefe schreiben etc.

Nun ist mir Alles getrübt. Ich habe Kraft und Muth genug, allein überall in der Welt zu stehen; aber der ewige Wechsel in meinen Lebensverhältnissen läßt mich zu keiner Ruhe und keinem Frieden gelangen und muß endlich doch allen Muth, alle Kraft brechen.‹

Was ich der Familie gegenüber thun konnte, um meinerseits jedes Hinderniß meiner Heirat zu beseitigen, that ich: ich reiste nach Berlin, machte eine Eingabe an den Minister, bat um das Ordinariat und um Zulage, überreichte ihm meine Geschichte des Kirchenliedes [187] und theilte ihm mündlich meine Gründe ausführlich mit. Nach dreiwöchentlicher Abwesenheit kehrte ich den 12. Mai nach Breslau zurück. Im Juni verließ meine Braut mit ihrer Familie Breslau und ging zunächst in ein Bad. Ich begleitete sie dorthin. Nach zehen Tagen kehrte ich in derselben Ungewißheit über meine Hochzeit zurück wie ich abgereist war. Jetzt getrennt auch von denen, mit welchen ich seit Jahr und Tag gleichsam zusammen gelebt hatte, entfremdet allen früheren Freunden und Bekannten, erfolglos in meinen Bemühungen, endlich mir ein eigenes Familienleben und Hauswesen zu gründen, fühlte ich mich alleiner wie jemals. Schon den 20. Juni schrieb ich meinem Bruder: ›Dieser Zustand hat für mich etwas Zerstörendes, er vernichtet mich völlig.‹

All mein Flehen und Bitten umsonst. Noch am 28. August schrieb ich meiner Braut: ›Um die schönste Zeit meines Lebens betrogen soll ich nun auch den letzten Rest noch – nicht einer belebenden, begeisternden Idee – dem Eigensinne Anderer opfern. Was soll ich davon denken? Weiß ich einmal, daß man meine Hochzeit absichtlich von einem Jahr ins andere hinausschiebt, dann weiß ich auch, daß ich wenig oder gar nichts dabei gelte, daß ich gar nichts bin.‹

Auch darauf erfolgte so gut wie keine Antwort. Nach langem qualvollen Ueberlegen und Erwägen schrieb ich meinem Bruder 30. September: ›... Ich sehe zu klar, wie meine ganze Heiratsangelegenheit sich in Nichts auflöst. Das unschlüssige Wesen der Familie und ihre Rechtfertigung der Verzögerung meiner Hochzeit haben mich hinlänglich überzeugt, daß ihre Ansprüche an mich so hoch sind, daß ich sienie erfüllen kann ... Die Familie mag nun sehen, daß ich mehr bin als ihre thörichten Rücksichten und ihre quälenden Bedenklichkeiten, und daß ich mich zu einem Verhältnisse, wozu man nur Opfer von mir verlangt, da es doch nur durch wechselseitige Opfer gegründet wird, nicht verstehen kann.‹

Er übernahm dann die weiteren mündlichen und schriftlichen Verhandlungen mit der Familie meiner Braut und gegen Ende Novembers war mein Verhältniß gelöst. Was ich in meinem letzten Briefe an ein Mitglied der Familie schrieb (2. December 32) kann ich zum Glück noch heute sagen: ›– ich habe ehrlich und grade gehandelt, und kann meinem Gewissen keinen, auch nur den leisesten Vorwurf machen.‹

[188] Aus einem langen qualvollen Zustande war ich erlöst und der Dichtung und Wissenschaft und dem geselligen Leben wiedergewonnen. Meine Vorlesungen gingen Hand in Hand mit meiner Schriftstellerei. Ich las diesen Winter den Reineke Vos und um meinen Zuhörern einen guten billigen Text zu verschaffen, besorgte ich eine Ausgabe. Die einzelnen Bogen wurden, frisch wie sie aus der Druckerei kamen, von mei nen Zuhörern gekauft. Schon den 1. October war diePars II. der Horae belgicae ausgedruckt. Sie erschien auch unter dem Titel: Holländische Volkslieder. Gesammelt und erläutert. (Breslau. Grass, Barth u.C. 1833). Von meinem Aufsatze über Günther in den Provinzialblättern wurden mir besondere Abdrücke besorgt: ›Johann Christian Günther. Ein literar-historischer Versuch.‹ (Breslau. W.G. Korn. 1832. 8°.) Mehrere Gedichte von mir erschienen in dem ›Archiv der literarischen Abtheilung des Breslauer Künstler-Vereins‹ (Breslau. 1832) S. 30–50 und daselbst auch S. 51–64 ›Dr. Martin Luther's Verdienste um die deutsche Sprache.‹

Mit dem Jahre 1833 stellte sich mein früherer geselliger Verkehr wieder her und erweiterte sich auf eine für mich sehr angenehme Weise.

Jeden Sonntagabend pflegte ich von jetzt an bei Professor Christian Heinrich Müller zu sein, woselbst sich einige seiner Verwandten und meiner Collegen einfanden. Die Frau Professorin war eine würdige Nichte ihres großen Oheims Gotthold Ephraim Lessing und ihr Mann ein tüchtiger Physiker, lebendig und strebsam, der sich auch um die vaterländische Gesellschaft große Verdienste erworben hatte.

Manchen Abend war ich auch bei Friedrich Lewald, wo ich immer Gesellschaft traf. Frau Lewald wußte durch ihr angenehmes Wesen, ihre feine Aufmerksamkeit als Hausfrau, ihren frischen Sinn für Litteratur und Poesie uns den Abend nur lieb und werth zu machen. Ihr Mann, durch große Reisen und den Verkehr mit vielerlei, oft bedeutenden Männern an Lebenserfahrungen und Kenntnissen bereichert, unterhielt uns sehr anziehend, und da er sich viel mit Politik und erfolgreich mit Volkswirthschaft befaßt hatte, war seine Unterhaltung zugleich sehr belehrend und anregend, er konnte dann mitunter sehr humoristisch und witzig sein. Von weiblicher Gesellschaft war nur noch eine Nichte Lewald's zugegen, von der ich [189] damals nicht ahnden konnte, daß sie Fanny Lewald 20 werden würde. Sie war ein junges Mädchen, sehr zart und zierlich, und betheiligte sich, wenn ich mich recht erinnere, wenig bei unseren Gesprächen.

Auch zu G. Ph. Aderholz kam ich oft. Er war mein Landsmann und verstand plattdeutsch, und so stand ich ihm schon näher als vielen anderen. Ich ging täglich nach Tische zu ihm in seinen Laden am Ringe und trank meinen Kaffee dort. Ich sah mir alle neuen Bücher an und lernte durch ihn das ganze Wesen des deutschen Buchhandels kennen. Er nahm den innigsten Antheil an allen meinen Erlebnissen, meinen Freuden und Leiden, und es that mir wohl, wenn ich mich aussprechen konnte. Bei allen seinen vielen Geschäften hatte er immer Zeit für mich. Ein oder zwei Mal in der Woche besuchte ich ihn des Abends in seiner Familie. Bei Milde's war ich von jetzt an jeden Sonntag-Mittag Stammgast. Oft blieb ich dann noch den Abend da. Auch in der Woche pflegte ich den jungen Milde zu besuchen.

Mit meinen Collegen stand ich nur auf Grußcomment: ich war freundlich gegen sie und ihnen gefällig wo und wie ich konnte. Nur mit einem einzigen verkehrte ich nach wie vor, mit Stenzel, doch könnte ich nicht sagen, daß der Umgang mit ihm für mich sehr erquicklich gewesen wäre. Er hatte sich nach und nach mit allen seinen Collegen mehr oder weniger überworfen, ich war der einzig übriggebliebene, der bisher mit ihm gut auskam. Doch sollte es auch nicht lange mehr dauern: er machte mir den Vorwurf, daß ich den Frommen zu Liebe die Geschichte des Kirchenliedes geschrieben habe! und dgl. Als ich seine mancherlei Vorwürfe als unbegründet und lächerlich zurückwies, wollte ich mich nicht ferneren Unannehmlichkeiten aussetzen und fand es gerathen, mich von ihm zurückzuziehen.

Zu seinen größten Feinden gehörte Passow, der auch mein größter Feind war, obschon ich ihm meines Wissens nie den mindesten Anlaß dazu gegeben hatte. Doch nahm er noch kurz vor seinem Tode (11. März 1833) eine freundliche Stellung gegen mich an. Auch mein Verhältniß mit Wachler, seinem Schwiegervater, besserte sich in jener Zeit.

Meine Heiratsangelegenheit wurde noch immer ausgebeutet, um [190] mir möglichst zu schaden. Das stimmte schlecht zu jener Äußerung, die ein Mitglied der Familie meiner Braut einem Briefe an meinen Bruder eingefügt hatte: ›An den Folgen dieser Trennung, die kein Geheimniß bleiben kann, ist er selber Schuld. Was in meinen Kräften steht, sie abzuwenden, wird jederzeit geschehen und so mögen Sie ihn versichern, daß der Bruch den er selber ausgesprochen mich nie hindern wird, ihn in eine Lage zu versetzen, wo er seine Gaben zum allgemeinen Besten entfalten kann.‹ Daß Umtriebe von gewisser Seite in Berlin gegen mich stattfanden, hatte mein Bruder erst später erfahren, er schrieb mir darüber (am 24. Juni): ›Vor einigen Tagen ging ich mit ... von der Brandenburgischen Gesellschaft nach dessen Garten und rauchte noch eine Pfeife – er wurde vertraulich und eröffnete mir, daß Deine Heiratsangelegenheit bis zum König durch ... 21 gekommen ist. Wahrscheinlich hat Se. Majestät von dem Minister nähere Auskunft verlangt und dies wird denn wohl die Veranlassung gewesen seyn, daß Schulze 22 Dir dieserhalb geschrieben hat. Der Minister hat indessen die Sache dadurch einigermaßen applaniert, daß er das Kirchenlied Ihm übersandt hat, worauf denn der Allerhöchste Dank erfolgt ist. Unter anderen Umständen wäre gewiß ein Mehreres erfolgt, doch mußt Du Dich vorläufig damit begnügen. Daß der Minister jetzt Deinetwegen sehr vorsichtig seyn muß, siehest Du ein – er selbst hat Dein Verfahren völlig genehmiget und ist, wie mich ... unumwunden versichert, Dir persönlich gewogen; doch sind ihm auch bei Anstellungen, die vom Hofe abhängen, als Ernennung zum Ordinarius, die Hände gebunden. Habe nur Muth und arbeite unverdrossen darauf los, es wird sich mit der Zeit Alles finden.‹

Am 6. Mai besuchte mich Ludwig Henneberg, geheimer Canzlei-Secretär zu Braunschweig, mein alter Jugendfreund. Ich war sehr freudig überrascht. Wir erzählten uns viel von unseren Freuden und Leiden seit der Zeit als wir uns zuletzt sahen. Wir kamen dann auf meine Gedichte zu sprechen. Ich hatte schon lange den Wunsch gehegt, eine vollständige Sammlung zu veranstalten und an Brockhaus [191] gedacht. Da nun Henneberg der Schwager der beiden Brockhaus war, so fragte ich ihn, ob er geneigt sei, für mich zu verhandeln. Er versprach es. Auf seiner Rückreise in die Heimat würde er auch nach Leipzig kommen und meinen Wunsch erfüllen.

Den 10. Juni ward ich Mit-Director der Kunst- und Alterthümer-Sammlung der Universität. Mir sollte, wie Herr GR. Neumann schrieb, ›die specielle Aufsicht über die alterthümlichen Gegenstände des Mittelalters, und der nicht klassischen Zeit und Völker, ingleichen über die Gemälde- und Kupferstich-Sammlung übertragen werden.‹ Die Aufsicht über alles Übrige fiel meinem Collegen Ritschl zu, der erst seit Ostern als außerordentlicher Professor der Philologie an unsere Universität versetzt war. Ich glaubte in dieser neuen Stellung etwas Ersprießliches für Kunst thun zu können, fand mich aber bald getäuscht. Die Sammlung umfaßte zu vielerlei und mit der dafür bestimmten Summe (170 Rb. ) zu jährlicher Vermehrung ließ sich nicht viel machen, zumal dieselbe vorzugsweise der Sammlung classischer Alterthümer zu Gute kommen sollte. Die Sammlung der in den alten Gräbern gefundenen Sachen war bedeutend, von Büsching angelegt und hübsch geordnet und aufgestellt. Was war aber damit für Geschichte und Kunst anzufangen? Lauter Töpfe, Aschenkrüge, Spindelsteine, Kinderklappern, Spangen, Korallen und dgl. von Völkern und aus Zeiten, von denen uns keine Kunde vorhanden ist. Die Kupferstichsammlung war kaum des Erwähnens werth. Erst später kamen einige werthvolle Blätter dazu aus dem Vermächtnisse des Hofraths Bach.

An Zerstreuungen mancher Art hatte es mir den Winter nicht gefehlt: ich besuchte das Theater, die wilden Thiere, die Börsenbälle, die Weinstuben und fuhr öfter spazieren. Ich war nach und nach theilnehmender, heiterer und gesünder geworden. Es bot sich manche Gelegenheit zu angenehmem geselligen Verkehre dar. Sehr erfreut war ich, daß ich noch zu Anfang des Sommers Bekanntschaft machte mit der Familie von Nimptsch in Jäschkowitz, einem Gute in der Nähe Breslaus. Ich ging oft seitdem hinaus, gewöhnlich des Samstags und kehrte Montagmorgens erst wieder zurück. Frau Leocadia von Nimptsch, hübsch und liebenswürdig, für Kunst und Litteratur voll lebhafter Theilnahme, in ihren Ansichten über Staat und Kirche freisinnig, für Humor und Witz empfänglich, dabei immer lebendig und [192] heiter, hatte etwas Anziehendes und Fesselndes für jeden solcher Gäste, die mehr als gewöhnliche Unterhaltung suchten. Kein Wunder, daß auch ich mich zu ihr hingezogen fühlte und nach unserer ersten Begegnung meinem Bruder schrieb: ›Frau v.N. ist das interessanteste, liebenswürdigste Weib, was ich je auf Erden kennen gelernt habe – und das sagt doch wol etwas?‹

Unterdessen hatte Henneberg seine Schwäger in Leipzig für den Verlag meiner Gedichte bewogen. Ich stellte keine Bedingungen, sondern äußerte nur Wünsche. Ich wollte auch hier Dichter sein. Meine Wünsche waren, daß meine Gedichte 1. sehr schön gedruckt und 2. noch in diesem Jahre erschienen. 23 Das war eine große Unbesonnenheit, einem Buchhändler gegenüber ein Dichter sein zu wollen. Ich mußte dafür mein ganzes Leben büßen. Die ehrenwerthen Schwäger meines Freundes waren so unpoetisch, mir nie ein Honorar zu geben und betrachteten meine Gedichte als ihr für alle Zeiten wohlerworbenes Eigenthum.

Zu meinen Beichtvätern in der Poesie gehörte damals Dr. Regis, der Übersetzer des Rabelais. Ich hatte ihm ein Exemplar der ersten Ausgabe meiner Gedichte gegeben und ihn gebeten, es genau durchzusehen. Er unterzog sich freundlichst der Arbeit und machte fast zu jedem Gedichte seine Bemerkungen. Ich suchte zu verbessern und verwarf was er verworfen, wenn ich sein Urtheil gerechtfertigt fand. Über Manches besprachen wir uns dann noch später. Seine Theilnahme war mir lieb und werth.

Die Sammlung meiner Gedichte war endlich druckfertig und wanderte am 24. August an Brockhaus. Ich war recht froh. Es kam wieder einmal für mich eine Zeit erfreulicher Ereignisse: kurz vorher hatte ich 100 Thaler Zulage bekommen, war also von nun an ein außerordentlicher Professor mit einer außerordentlichen Einnahme von – 300 Thalern.

Den 17. September kam mein Bruder. Er wohnte bei Milde, der ihm mehr Bequemlichkeit und Genuß gewähren konnte. Sein Aufenthalt fiel gerade in die Zeit als die Naturforscher in Breslau tagten. Es war ein wühliges Treiben, des vielen guten Essens und Trinkens kein Ende. Mitunter war es mir ganz lieb, dergleichen [193] Festgelage mitzumachen. Mich ergötzte es, wenn ich sah, wie alle Persönlichkeit im großen Ganzen verschwand und wie alle Poesie des Lebens in einem Weichselzopfe von leeren geselligen Formen ihr Ziel fand. Bald aber sehnte ich mich nach dem stillen Familienleben voll Wahrheit und Gemüthlichkeit. So ein kleines häusliches Fest, wo das Herz sich aussprechen durfte, konnte mich unendlich mehr freuen und freute mich noch lange in der Erinnerung. Seit ich mich in der Familie Milde heimisch fühlte, ließ ich keinen Geburtstag unbesungen vorübergehen. Zu Milde's Geburtstag hatte ich mehrere Kleinigkeiten bescheret und mit Versen begleitet. In mein Büchlein: Bartholomäus Ringwaldt und Benjamin Schmolck, das eben erschienen war 24, und auch als Geburtstagsgeschenk dienen mußte, hatte ich eingeschrieben:


Was wir still und unverdrossen
Wirkten, bleibet uns allein.
Hat es erst der Freund genossen,
Muß es doppelt unser sein.

Meine litterarische Thätigkeit wurde durch solche und andere poetische Streifzüge durchaus nicht beeinträchtigt. Am Michaelistage hatte ich den zweiten Theil der Horae belgicae vollendet, fleißig das Glossarium zum Reineke gefördert, einige Aufsätze zur deutschen Litteraturgeschichte drucken lassen und Manches für den Aufsessischen Anzeiger in Nürnberg geschickt.

Im October kam ein neuer Professor zu uns, Adolf Friedrich Stenzler, Professor des Sanskrit. Alle Welt schrie: Sanskrit in Breslau! in Breslau, wo man nur Brotwissenschaft studiert, wo die Studenten so arm sind, daß sie nicht einmal ein Publicum belegen, weil sie 21/2 Silbergroschen dann an die Krankenkasse entrichten müssen, wo zwei Studenten, wie man sich erzählt, nur Ein Paar Stiefel haben. Ich lernte Stenzler kennen, und obschon sein zurückhaltendes, fast kaltes Wesen nicht eben einem traulichen Verhältnisse förderlich war, so kam ich doch mit ihm auf freundschaftlichen Fuß. Ich rieth ihm, für sein besseres Fortkommen sich noch ein Nebenamt zu verschaffen, und um ihn an die Bibliothek zu bringen, schlug ich ihm vor, mich [194] zu vertreten, wenn ich einmal eine längere Reise unternähme.

Mit dem neuen Jahre erschienen meine ›Gedichte‹. (1. 2. Bdch. Leipzig. F.A. Brockhaus 1834. gr. 12°.) und bald darauf: ›Reineke Vos. Nach der Lübecker Ausgabe vom Jahre 1498. Mit Einleitung, Glossar und Anmerkungen von H.v.F.‹ (Breslau. Grass, Barth u. C. 1834. 8°). Erst den 10. December v.J. war das Glossar fertig geworden, ich hatte daran acht Monate gearbeitet.

Den 21. Januar kam ich beim Minister um Urlaub ein zu einer wissenschaftlichen Reise auf drei Monate (April, Mai, Juni). Hauptzweck dieser Reise sollte sein die Benutzung der Bibliotheken in Prag, Wien, München und Stuttgart und in den österreichischen Klöstern. Von Seiten Wachler's und Neumann's fürchtete ich kein Hinderniß: Professor Stenzler hatte sich erboten, meine Custodiatsgeschäfte zu versehen. Meinem Gesuche hatte ich sieben meiner größeren und kleineren Druckschriften beigefügt.

Schon am 10. März erfolgte der Urlaub mit einer Reiseunterstützung von 100 Rb. Den 19. März reiste ich ab. In Görlitz verweilte ich einige Tage bei meinem Freunde dem Diaconus Leopold Haupt. Wir hatten mancherlei wissenschaftliche Beziehungen: deutsche Sprache, Geschichte und Poesie. Er dichtete selbst und von seinen Liedern aus der Burschenschaftszeit hatten mehrere weitere Verbreitung gefunden.

Am 24. März ging ich über die böhmische Gränze, übernachtete in Reichenberg und war den folgenden Tag in Prag. Hanka hatte die dortigen Bibliothecare von meiner baldigen Ankunft in Kenntniß gesetzt. Zunächst richtete ich mein Augenmerk auf die Universitätsbibliothek. Da es in den großen Sälen zu kalt war, so hatte Professor Spirk die Güte, mir in seinen eigenen Zimmern die Benutzung der Handschriften zu gewähren. Das Bedeutendste was ich fand und abschrieb, war eine Reihe unbekannter althochdeutscher Glossen zum Prudentius. Ich verschaffte mir dann den Eintritt in die fürstlich Fürstenbergsche Bibliothek. Karl Egon Ebert, der bekannte Dichter, war Bibliothecar. Ich fand ihn als Dichter zu kühl und ruhig und als Bibliothecar etwas gleichgültig. Es dauerte lange, bis er warm wurde. Ich begann das Fach der Handschriften durchzusehen und ich ward sofort reichlich belohnt. Ich fand auf zwei zusammenhangenden Pergamentblättern ein Bruchstück einer poetischen [195] Erdbeschreibung des 11. Jahrhunderts. Die Kehrseite hatte außerordentlich gelitten; einst angeklebt an den Holzdeckel einer lateinischen Handschrift hatte sie später, nachdem diese Hülle zerstört war, dessen Dienste versehen. Ebert gestattete mir auf das Freundlichste die Benutzung. Nachdem ich die Abschrift der wohlerhaltenen Seite vollendet, suchte ich die verwischte und abgeriebene Schrift der Kehrseite herauszubringen. Ich ging in die Einhornapotheke um mir Reagentien zu verschaffen. Der Apotheker Frey interessierte sich für die Sache und bereitete mir Gallusäpfeltinctur. Nach tagelanger unsäglicher Mühe gelang es mir, fünf Sechstel herauszubringen. Das blausauere Eisenkali, welches ich auch einmal anwendete, bewährte sich nicht. Ich veranstaltete sofort eine Ausgabe, die ich mit Einleitung und Anmerkungen versah: ›Merigarto. Bruchstück eines bisher unbekannten deutschen Gedichtes aus dem XI. Jahrhundert, herausgegeben von H.v.F. Mit einem Facsimile‹. (Prag. H. I Enders'sche Buchh. 1834. 8°).

Auf Ebert's Wunsch widmete ich meine kleine Schrift Seiner Durchlaucht dem Hochgebornen Herrn Herrn Karl Egon, regierenden Fürsten zu Fürstenberg. Wie hätte ich ahnden können, daß ich jemals mit dem Fürstenbergschen Fürstenhause in Beziehung kommen würde! Im Jahre 1845 wurde der Fürst Schwiegervater Sr. Durchl. des Herzogs von Ratibor, dessen Bibliothecar zu Corvey ich seit 1860 bin. Die Wichtigkeit meines Fundes leuchtet jedem ein, der nur etwas von unserer Litteraturgeschichte weiß. Wir wußten nämlich bisher von keinem einzigen Gedichte aus dieser Zeit. Diese Wichtigkeit erhöht noch der Inhalt: das Gedicht giebt nämlich eine kurze Beschreibung Islands, dessen Einwohner erst im Jahre 1000 Christen geworden waren.

Am 1. April besuchte ich zum ersten Male die fürstlich Lobkowitzische Bibliothek und wiederholte dann meine Besuche sehr oft. Ich fand hier eine hübsche Anzahl altdeutscher Handschriften, einige stammten aus dem Schlosse Blankenheim in der Eifel, andere aus dem schwäbischen Kloster Weißenau. Ich war mit meiner Ausbeute sehr zufrieden.

So verlebte ich, wie ich damals schrieb, ›glühend vor Suchbegierde und unbefriedigt im Finden, immer ohne Rast, aus einer Bibliothek in die andere wandernd‹, über drei Wochen in Prag. So gut ich [196] meine Zeit angewendet hatte, so hätte es doch noch besser geschehen können: die Bibliotheken waren aber zu weit entfernt vom schwarzen Rosse, wo ich wohnte, die Bibliothekgesetze in Betreff des Ausleihens zu strenge und das Wetter zu schlecht.

Die Abende verlebte ich, wenn ich nicht eben zu Hause arbeitete, in Gesellschaft mit den Prager Slavisten: Wenzeslaus Hanka, Franz Palacky, Wenzel Swoboda, Paul Joseph Schafarik, denen sich der Tonkünstler Wenzel Joseph Tomatschek anschloß. Obschon ich diesen Erz-Czechen gegenüber für einen Erz-Deutschen galt, so war doch der Verkehr mit ihnen für mich ein überaus angenehmer, belehrender und für meine Zwecke förderlicher.

Erst den 19. April setzte ich meine Reise fort. Ich fuhr die Nacht durch. Halb schlaftrunken und ermattet näherte ich mich der Donaugegend. Ich wurde munter und froh gestimmt, als sich das Gebirge vor mir immer schöner entfaltete. Gegen 12 Uhr traf ich in Linz ein. Nachdem der Bibliothecar der sogenanntenBibliotheca publica versichert hatte, daß keine Handschriften dort wären, fuhr ich sofort nach St. Florian, dem einzigen Augustiner Chorherrn-Stifte Ober-Österreichs. Es liegt in einer reizenden Gegend, in der Nähe der Donau und Ens, mitten in fruchtbaren Ebenen, von waldbewachsenen Bergen umgeben. Der Frühling stellte sich mit aller Macht ein, nur aus der Ferne glänzte der Schnee herüber von den steirischen Alpen. Sorglos, im heitersten geselligen Verkehre, mitten unter den herrlichsten litterarischen Hülfsmitteln blieb ich hier bis den letzten April.

Am 1. Mai reiste ich ins Kremsthal nach Kremsmünster, einem uralten Benedictiner-Kloster vom J. 777, berühmt durch sein Gymnasium, seine Bibliothek, Sternwarte und naturhistorischen Sammlungen. Ich habe nur die Bibliothek gesehen und darin eigentlich nur die Handschriften, bei deren Durchsicht mir der gelehrte Pater Ulrich Hartenschneider hülfreiche Hand leistete. Ich fand ein Schauspiel von der heiligen Dorothea aus dem 14. Jahrhundert, welches ich vollständig abschrieb, so wie auch zwei böhmische Gedichte, womit ich Hanka eine große Freude bereitete. Die übrigen Handschriften verzeichnete ich nur, bei meiner Rückkehr aus Kärnthen gedachte ich sie näher zu untersuchen. Darum reiste ich denn schon am 3. Mai ab und kam am 4. von Stadt Steier nach Seitenstetten.

[197] Es ist ein paradiesisches Land, und besonders die ganze Strecke von der Donau bis hierher an die steierischen Berge. Alle Felder im schönsten Grün, an allen Wegen, in allen Gärten blühende Obstbäume, einige als ob sie mit einem großen weißen Laken überhängt wären. Ich fand auch hier die freundlichste Aufnahme und reichliche Beschäftigung, ich blieb acht Tage und war so glücklich, noch Einiges für meinen Zweck zu finden.

Nach diesem ländlichen Aufenthalte, wo ich mich so wohl und heimisch gefühlt hatte, wendete ich mich nun wieder der Donau zu, und verweilte acht Tage in der stattlichen, palastartigen Benedictiner-Abtei Melk. Es war hier nicht dieser traulich gesellige Ton, wie ich ihn anderswo gefunden hatte. Jeder ging an dem anderen stumm vorüber. Ob nun eine strengere Beobachtung der Regel des heiligen Benedictus, ob mehr Geschäfte daran Schuld waren – ich weiß es nicht.

Man hatte mir gesagt, wie angenehm und lohnend eine Fahrt auf der Donau wäre, um ein Billiges könnte man auf einem Floße hinunterfahren. Da nun eben ein Floß angemeldet war, so nahm ich Abschied, ließ meine Sachen an den Strand bringen und wartete dann lange auf meine neue Reisegelegenheit. Das Floß kam endlich, ich fuhr im Nachen ihm entgegen und stieg hinauf. Die Floßknechte thaten gar nicht, als ob sich ihnen ein menschliches Wesen genähert hätte, kaum daß sie meinen Gruß erwiederten, nur mit Mühe konnte ich von ihnen erfahren, daß sie heute Krems nicht erreichen würden. Nach mehrstündiger Fahrt legte das Floß an und ich ging mit meinem Koffer ins Dorf. Ich erfuhr weiter nichts von meinen Reisegefährten. Hätte mich der gefällige Wirth nicht am Morgen zeitig geweckt, ich würde das Nachsehen gehabt haben. Ich bestieg wieder das Floß und befand mich wieder unter Menschen die eher Comanches-Indianer schienen als deutsche Landsleute. Um Mittag erreichten wir Stein. Das Floß wurde getheilt, weil es sonst nicht durch die Brücke durchkommen konnte. Der Strom ist dort sehr reißend. Ehe die Durchfahrt bewerkstelligt wurde, trieb unser Floßtheil gegen einen Brückenpfeiler. Wir hatten uns jetzt dermaßen dem Ufer genähert, daß ich die schöne Gelegenheit benutzte und mit meinem Gepäck auf den Sand sprang. Ich war froh, daß ich diese ›curiöse und sehr gefährliche Reise‹ glücklich vollendet hatte.

[198] Ich nahm mir sofort einen Wagen und fuhr nach Göttweih hinauf. Ich wollte hier das Pfingstfest (18. Mai) feiern und ausruhen von meinen Arbeiten und Reisen. Ich wußte, daß ich sehr willkommen sein würde, und ich war es. Ich verlebte schöne, unvergeßliche Tage und nahm eine doppelt frohe, dankbare Erinnerung mit an meine jetzige wie an meine frühere überaus liebevolle Aufnahme.

Unterdessen erwartete mich Dr. Endlicher (damals Scriptor an der Hofbibliothek) täglich in Wien. Er hatte, wie er mir nach Melk schrieb, die Pfingstferien bei seinem Vater in Preßburg zugebracht und wollte Sonntags zurückkehren. Ich gedachte um dieselbe Zeit einzutreffen. Ich hoffte nur noch Manches in Herzogenburg zu finden und nahm meinen Weg über dies Augustiner-Chorherrnstift. Ich fand auch einige Handschriften, aber nichts Erhebliches.

Am Samstag, 24. Mai, war ich schon in Wien. Endlicher kam den Sonntag darauf, und am Montag gingen wir zusammen in die Hofbibliothek. Von diesem Augenblicke an war ich – den ersten Ausflug nach Klosterneuburg abgerechnet – täglich fünf Stunden beschäftigt in der Hofbibliothek bis zu ihren Ferien, die mit dem 1. August ihren Anfang nahmen.

Endlicher wohnte den Sommer über auf dem Lande. Er hatte mir seine Wohnung überlassen und die Benutzung seiner reichhaltigen Bibliothek. Auf die Weise war ich häuslich eingerichtet und konnte nach Lust und Belieben arbeiten. Des Morgens war auch er auf der Bibliothek beschäftigt, den Nachmittag blieb er gewöhnlich in seiner Wohnung und gegen Abend ging er wieder auf's Land. Bald eröffnete sich uns ein Feld gemeinsamer Thätigkeit. Endlicher hatte im vorigen Herbste etwa fünf Blätter Althochdeutsches aus dem achten Jahrhundert von den Deckeln einiger Monseer Handschriften er k.k. Hofbibliothek abgelöst. Ich erkannte in ihnen sogleich die älteste Übersetzung des Evangeliums Matthäi. Außer mir vor Freude darüber ermunterte ich ihn, sofort weiter zu suchen. Er suchte, war abermals glücklich und brachte nach wenigen Stunden wiederum einige Blätter hervor. Wir beschlossen sogleich die gemeinschaftliche Herausgabe, schrieben ab, brachten das Erloschene durch Reagentien zum Vorscheine und versuchten das Abgeschnittene und gänzlich Zerstörte zu ergänzen.

[199] Nach einigen Wochen wanderte unsere kleine Schrift in die Druckerei. Unterdessen unternahm Endlicher eine abermalige Durchsuchung der etwa 1200 Monseer Handschriften, und nun fanden sich noch so viel Überreste, daß wir den Druck aufschieben und die Arbeit gewissermaßen von neuem anfangen mußten. 25 Als wir keine Hoffnung hatten, noch etwas zu finden, begann der Satz auf's Neue. Die geistliche Censur erfolgte sofort und die Polizeibehörde war so gefällig, ihre Censur nach den Correcturbogen zu ertheilen.

Die Trefflichkeit und Schönheit dieser Übersetzung, die poetische Kraft und Fülle der alten Sprache entzückte uns. Kein Wunder, daß wir uns in diese Sprache verliebten und dafür schwärmten. Ich fing an sogar darin zu dichten. Anlaß gab das Schicksal Wolo's, wie es Eckehard IV. in den Casus St. Galli beim J. 876 erzählt. Weil sich Endlicher und Moriz Haupt sehr daran ergötzten, so fuhr ich munter fort, und bald vermehrte sich die Zahl meiner althochdeutschen Gedichte auf 16, die Haupt in mittellateinische Verse übersetzte. Hier nur eins zur Probe:


Huuanta der sneo fona himilu fellit,
dero fogalo stimna nioht mer gahellit,
uue hinauuortan ist alliu uunni,
trurentiu sint dera uueralti chunni.
Uue farbrunnan is diu heida,
uue ardorrita diu bluomiga uueida,
die giezun eigun farloran iro chosa,
sama so dorna gastaat diu rosa.
Auar niouuiht min uuinea diu hera,
gastigit singanta uf heiminges berga.
bede ioh lenzo ioh sumar sceidant,
rosa uf ira hiufilum bluoiant.
[200]
Cum nix de caelo hiemali cadit,
Nec auium cantus per siluas uadit,
Uae, omnia gaudia tunc sunt soluta,
Dolentque homines dolentque bruta.
Uae, sicca sitiunt florida prata,
Exaruerunt pascua lata,
Obmutuerunt Nymfæ aquosæ,
Instar spinarum arescunt rosæ.
Sed laeta manet mea amata,
Canensque uadit per montium prata.
Uer, aestas pereant exitiose,
In eius genis splendescunt rosæ.

Es war ein heißer Sommer, die Hitze lange andauernd, oft unerträglich, acht Wochen kein Tropfen Regen, nirgend erfrischende Kühle. Auch des Abends pflegte es sich nur wenig abzukühlen, und der furchtbare Staub verleidete einem jeden Spaziergang ins Freie. Des Nachmittags saßen wir auf gut Wienerisch in Hemdsermeln und arbeiteten im Schweiße unseres Angesichtes. Endlicher war dann immer so gütig und spendierte Eis und gute ungarische Cigarren – das einzige Honorar, dessen sich meine mühevolle Schriftstellerei zu erfreuen hatte.

Weil ich nun doch durch die Mitherausgabe der althochdeutschen Bruchstücke auf längere Zeit an Wien gefesselt und ins Druckenlassen hineingerathen war, so wollte ich Endlicher'n eine gedruckte Freude machen: ich widmete ihm eine kleine Schrift zur Erinnerung an den schönen, zwar heißen, aber fruchtbaren Sommer. Ich hatte dazu gewählt deutsche Glossen des 12. und 13. Jahrhunderts, die bis jetzt noch wenig berücksichtigt waren. ›Sumerlaten. Mittelhochdeutsche Glossen aus den HSS. der k.k. Hofbibliothek zu Wien. Herausgegeben von H.v.F.‹ (Wien. Rohrmann und Schweigerd. 1834. 8°. VIII. 66 SS.). V.d. Hagen sprach sich damals sehr wegwerfend darüber aus in der Germania 1. Bd. S. 98: ›gefällt sich eben nicht höflich darin, einige Wörtersammlungen, meist Kraut und Wurzeln, besser und vollständiger zu liefern, als ein Anderer.‹ Ich dachte damals mit Walther: sô rechet mich und gêt ir hût mit sumerlaten an, [201] und heute freut es mich, daß dies ›Kraut und Wurzeln‹ manchem, z.B. Wilhelm Müller beim mittelhochdeutschen Wörterbuche sehr willkommen sein konnte.

Unterdessen war ich eifrig beschäftigt in der Hofbibliothek mit meinem Verzeichnisse aller dortigen deutschen Handschriften bis zum 15. Jahrhundert. Die Arbeit hatte ihr Ergötzliches, mitunter aber auch ihr sehr Langweiliges: in vielen Handschriften waren die Blätter noch unbezeichnet und ich mußte nun manchen Tag viele tausend Zahlen schreiben. Um mich etwas zu erholen von diesen vielerlei täglich fortgesetzten Arbeiten ging ich auf einige Tage (12. bis 15. Juni) mit Haupt nach Klosterneuburg. Wir durchsuchten die ganze sehr bedeutende Handschriftensammlung. Wir fanden sehr Vieles, und nahmen Abschriften oder machten Auszüge. Die Erholung war eben nicht sonderlich: wir hatten vier Tage lang in unserem Zimmer oder in der Bibliothek mit Handschriften aller Art verkehrt.

So kam Ende Junis heran: mein Urlaub war abgelaufen, mein ursprünglicher Reiseplan zerstört, meine Thätigkeit vielfach in Anspruch genommen; Setzer, Drucker, Buchbinder, Schriftschneider, Zeichner, Lithographen gingen ein und aus, Censuren und Correcturen kamen vom Morgen bis in den Abend. Ehe jedoch der Juni zu Ende ging, hatte ich neuen Urlaub auf drei Monate. In der Mitte Julis waren die Sommerlatten fertig, war das ganze Alphabet unserer Bruchstücke und das ganze gothische zum Motto geschnitten und gegossen, das Facsimile gezeichnet und lithographiert, und zu Ende desselben Monats näherten sich auch unsere Fragmenta theotisca ihrem Ende.

Am 31. Juli ward die Hofbibliothek geschlossen. Ich hatte mein Verzeichniß der deutschen Handschriften vollendet, ein deutsches Gedicht des 12. Jahrhunderts (Genesis und Exodus) abgeschrieben so wie auch eine bisher ganz unbekannte Comödie aus dem 15. Jahrhundert und manches andere.

Zu unseren Fragmenten fehlte nun noch die Vorrede und das Wörterverzeichniß. In den ersten Tagen Augusts vollendeten wir beides und schickten die Manuscripte in die Druckerei. Endlicher ging dann nach Ungarn und ich nach Klosterneuburg. Ich blieb drei Tage dort, hielt eine kleine Nachlese und kehrte dann frischer und fröhlicher heim. Ich besorgte nun noch den Abdruck des Index verborum [202] und am 19. August war unser Buch, dessen Druck Ende Mais begann, vollendet. Es erschien unter dem Titel: ›Fragmenta Theotisca versionis antiquissimae Evangelii S. Matthaei et aliquot homiliarum. E membranis Monseensibus Bibliothecae Palatinae Vindobonensis ediderunt Stephanus Endlicher et Hoffmann Fallerslebensis.‹ (Vindobonae. Typis Caroli Gerold. M.D.CCC.XXX.IV. gr. 4° XVI. 88 Seiten).

Gedruckt wurden 107 Exemplare, darunter zwei auf Pergament, eins für den Kaiser von Österreich, das andere für den König von Preußen. Die meisten wurden verschenkt an einige mit uns befreundete Gelehrte, an mehrere österreichische Klöster und die preußischen Universitätsbibliotheken. Die sehr bedeutenden Kosten bestritt Endlicher, der nebenbei noch mit manchem ungarischen Ducaten den Setzer bei dem schwierigen Satze zu größerem Fleiße anzuspornen suchte.

Sehr befriedigt mit meinem langen Aufenthalte verließ ich Wien am 21. August Morgens 6 Uhr. Die Nacht des folgenden Tages fuhr ich durch das liebliche Mürz- und Murthal und traf Morgens um 6 Uhr in Gratz (damals noch Grätz genannt) ein. Da ich meine Arbeiten in der öffentlichen Bibliothek bald vollendet hatte, so wollte ich mich nun auch der schönen Natur erfreuen. Ich machte verschiedene Spaziergänge und Ausflüge und war entzückt von den Herrlichkeiten ringsumher. Die Aussicht vom Schloßberge ist unstreitig eine der schönsten in Deutschland und wird wol kaum von irgend einer anderen an malerischem Reichthum übertroffen. Ich war fortwährend in freudiger Aufregung und selbst noch des Abends spät konnte ich mich nicht satt sehen an dem Himmel, so tief blau hatte ich ihn nirgend gesehen, auch die Sterne schienen mir alle größer und glänzender als sonstwo.

Am 25. August begleitete mich ein Bekannter über Voitsberg nach Köflach. Ich war nun am Fuße des Hochgebirges und setzte allein mit meinem Einspänner die Reise fort. Es dauerte lange, bis ich auf die Höhe gelangte. Ich fuhr immer weiter auf der Hochebene und erreichte erst in der Dämmerung die Pack, ein Alpendorf, zwischen 5–6000 Fuß über der Meeresfläche. Ich war sehr hungerig und sehnte mich nach einer guten Malzeit, erwartete aber nichts Sonderliches. Wie war ich überrascht, als vortreffliche Backhändel mir aufgetischt wurden und guter steirischer Wein dazu kam. [203] Den folgenden Tag früh 4 Uhr setzte ich meine Reise fort. Stundenlang fuhr ich, dicht in Nebel gehüllt, auf dem Rücken des Gebirgszuges, der die Steiermark von Kärnthen scheidet. Zuweilen öffnete sich das Gewölk, und eine weite grüne Landschaft lag vor mir im hellen Sonnenscheine. Zwischen 9 und 10 Uhr ward es heiterer. Wir fuhren nun andert halb Stunden bergab ehe wir im Thale anlangten. Der Weg ist beinahe immer sehr abschüssig. Viele Menschen zu Roß und zu Wagen fanden hier schon ihren Tod, Alles zerschmetterte und stürzte in die Tiefe hinab.

Endlich gegen Mittag erreichten wir den Engpaß, der Graben genannt. Ein sehr schmaler, oft nur von Steinen locker aufgeführter Weg zieht sich rechts an hohen Felswänden hin und links an einem brausenden Gießbache. Die drohenden Felsstücke, das wüste Flußbette, die dunkelen Baumgruppen, hinundwieder im Thale rauchende Schmelzhütten und pochende Eisenhämmer, auf den Höhen verfallene Burgen – alle diese mannigfaltigen Erscheinungen ließen mich das wirklich Gefahrvolle des Weges vergessen.

In der Nähe vor Wolfsberg öffnet sich das Lavantthal mit seinen freundlichen Dörfern und Städtchen, mit seinen Maisfeldern, Obstbäumen und üppigen Matten, zu beiden Seiten von hohen Bergen umschlossen. Am Ende des Thales, in der Nähe der majestätischen Choralpe, auf einem Felsen liegt St. Paul, halb umkränzt von einem Buchenberge, auf dessen drei Gipfeln zwei Kirchen stehen und ein altes Schloß. Ich traf zur Mittagszeit ein. Ich war schon durch den Abt von Wien aus angemeldet, wäre aber auch ohnedem freundlichst empfangen worden. Ich ward sogleich zur Tafel geladen, und nachher in mein Zimmer und dann in die Bibliothek geführt. Noch am selbigen Tage nahm ich mehrere Handschriften in mein Zimmer und fing sofort an zu arbeiten. Das Wichtigste ist ein Uncial-Codex des 6. und 7. Jahrhunderts, Ambrosius de fide catholica, mit zwei Vorsetzblättern aus gleicher Zeit, enthaltend das 1. und 2. Capitel des Lucas. Auf diese Vorsetzblätter hat ein Glossator des 8. Jahrhunderts die beinahe vollständige deutsche Übersetzung eingetragen, auch zu jeder Abweichung der Itala die gewöhnliche Lesart der Vulgata hinzugefügt. 26 Außerdem schrieb ich ab eine ganze [204] Reihe Glossen aus dem 8. Jahrhundert zur Genesis, eine ganze Handschrift biblischer Glossen, vier altfranzösische Lieder für Haupt und vieles Andere.

Das war meine Ausbeute vom 25. bis 31. August. Alles aber schien auch hier zur Arbeit zu ermuntern und zu kräftigen. Mein Zimmer bot eine weite Aussicht bis über St. Andre hinaus. Über meinem Sopha hing das Bild des berühmten Martin Gerbert, dessen Verdienste um deutsche Geschichte und Geschichte der Musik jede Zeit anerkennen muß. Ich lebte die ganze Zeit über in heiterster Stimmung. Am letzten Sonntag war große Mittagstafel, wozu einige benachbarte Beamte und Gutsbesitzer eingeladen waren. Nach aufgehobener Tafel blieben die Officialen mit den Gästen noch beisammen. Es wurde der beste steierische Wein aus großen Cristallflaschen kredenzt. Er mundete mir wie den übrigen, ich trank fleißig mit, und ahndete gar nicht, daß unter der Milde und Lieblichkeit dieses Weines so viel Kraft und Feuer verborgen sein könnte. Ohne eine besondere Wirkung zu spüren, nahm ich Abschied. Kaum aber saß ich im Wagen, so glühte ich über und über und mußte in Wolfsberg einige Stunden in der Abendluft wandern, bis ich kühl wurde.

Den 1. September verließ ich das Lavantthal. Ich fuhr den ganzen Tag, dann und wann wurde angehalten, in St. Leonhard, Reichenfels, Obdach, Judenburg. In Zeiring übernachtete ich. Den folgenden Tag fuhr ich über St. Johann und die Rottenmanner Tauern. Die Fahrt ist sehr beschwerlich und dabei sehr gefahrvoll: anderthalb Stunden lang geht der Weg immer bergab, oft ganz abschüssig. Doch giebt es wol wenig Bergpässe, die soviel Schönes und Erhabenes den Blicke darbieten. Besonders großartig erscheint die Natur zwischen dem ersten und zweiten Tauern; hier zieht sich die Straße an thurmhohen Felswänden und einem rauschenden Gießbach hin. Die höchste Stelle der Straße ist 5000' Seehöhe.

Am Nachmittage erreichte ich das Ensthal und das nächste Ziel meiner Reise, die stattliche Benedictiner-Abtei Admont (ad montes). Sie liegt von hohen Bergen halb umschlossen an der Ens. Die hohen Gebäude, obschon nicht ganz vollendet, mit ihren drei Höfen und 300 Zimmern machen einen großartigen Eindruck. Man hieß mich freundlichst willkommen und führte mich sofort in das Lesezimmer, [205] worin mehrere Zeitungen und Zeitschriften aller Art auslagen. Zur Benutzung der Bibliothek schien es für heute zu spät.

Den folgenden Tag war mein erster Gang in die Bibliothek. Obschon das Kloster erst 1074 gegründet ward, so fand sich doch unter den Handschriften Manches für meinen Zweck: althochdeutsche Wörterbücher 27, mittelhochdeutsche und lateinische Gedichte, wovon ich Abschrift nahm. Aus einer lateinischen Metrik für die Poesie des Mittelalters schrieb ich nur einen Theil ab, den Abschnitt von den Versarten, es kommen darin schon die leoninischen Verse vor. 28

Bis zum 5. September verweilte ich hier. Des Arbeitens war kein Ende: wenn ich des Abends fertig zu sein glaubte, so fand ich des Morgens wieder etwas Neues, Interessantes. Nur wenn die Sonne unterging und blutroth die weißen Zinken der Alpen färbte, verließ ich mein Zimmer und ging auf die Ensbrücke. So habe ich mitten in der wunderherrlichsten Natur nur von ferne mich ihrer freuen können.

Den 6. September war ich wieder unterwegs. Ich fuhr über Liezen ins Salzkammergut und blieb die Nacht in Aussee. Den folgenden Tag setzte ich meine Reise fort durch Ischl, am Wolfgangsee vorüber nach St. Gilgen. Den Abend traf ich in Salzburg ein. Den 8. September besuchte ich das Benedictinerstift St. Peter. Es war Mariä Geburt, jeder Geistliche in der Kirche, der Bibliothecar über Land. Erst am Nachmittage konnte ich die Bibliothek sehen. Man gestattete mir, alle Handschriften Band für Band zu untersuchen. Ich fand für meine Zwecke nur wenig. Einen Prudentius mit althochdeutschen Glossen bat ich mir aus, nahm ihn mit ins Gasthaus und schrieb die Glossen daraus ab. Am Abend konnte ich die Handschrift schon wieder abliefern.

So angenehm mir bisher das Kutschieren mit dem Einspänner gewesen war, so bequemte ich mich doch jetzt des schnelleren Fortkommens wegen zum Eilwagen. In München war mein erster Gang zu Schmeller. Ich freute mich sehr auf seine persönliche Bekanntschaft, durch Briefwechsel waren wir uns schon näher getreten. Ich erzählte [206] ihm von meiner Reise und sagte dann, daß ich nur um seinet- und der Bibliothek willen nach München gekommen. Er bedauerte, daß ich eine so ungünstige Zeit gewählt hätte, jetzt seien eben Bibliotheksferien und die wolle er sich zu Nutze machen; er habe schon lange mit seinem Freunde und Hauswirthe Professor von Martius eine Reise nach Stuttgart verabredet, in wenigen Tagen wollten sie dieselbe antreten. ›Nun, meinte ich, dann will ich auch nach Stuttgart – wir sind dann noch etwas länger beisammen.‹

Schmeller führte mich in die Hofbibliothek und zeigte mir die wichtigsten altdeutschen Handschriften. Ich wiederholte einige Tage meinen Besuch und beschränkte mich auf das Allernothwendigste: ich verglich einige althochdeutsche Gebete und Beichtformeln und schrieb Einiges der Art ab. Die hiesigen Handschriftenschätze sind bekanntlich sehr bedeutend und wer sich nur auf das Althochdeutsche beschränken wollte, hätte schon Wochenlang vollauf zu thun.

Diese Stunden, die ich mit Schmeller unter Büchern und Handschriften verlebte, waren schon schöne Stunden, und es folgten ihnen bald nach schönere. Ich ward immer mehr von Liebe und Verehrung erfüllt für diesen echtdeutschen edelen Charakter, dies kindlich reine, innige Gemüth, diesen feinen, gründlichen Kenner deutscher Sprache und deutschen Lebens, der mit so reichem mannigfaltigen Wissen so viel Bescheidenheit verband, bei so großen eigenen Verdiensten so viel dankbare Anerkennung der Leistungen Anderer bereitwilligst kundgab. Auffällig war mir, daß er meiner Lebhaftigkeit gegenüber mitunter sehr ruhig und bedächtig ward, als ob ein heimlicher Kummer ihn drückte. Er konnte zuweilen scherzen und lächeln, ein nachdenklicher Ernst verbreitete sich aber bald wieder über sein Gesicht.

Auch mit Maßmann war ich öfter zusammen, er war freundlich und gefällig, unsere alten Mißhelligkeiten schienen für immer beseitigt zu sein.

Den 14. September reisten wir ab. Die Fahrt ging langsam, den ersten Tag Augsburg, den zweiten Ulm, den dritten Stuttgart. Daselbst war ich eines Abends zu Gustav Schwab eingeladen. Ich fand dort eine große Gesellschaft, auch Justinus Kerner, dessen Äußeres eher einen Pachter als sinnigen Dichter vermuthen ließ. Schwab reichte mir ein Glas Neckar, wir stießen an, da meinte er, dieser [207] Ur-Schwab: ›Nur wo der Wein wächst, kann man ihn auch besingen – das ist hier schon etwas anderes als in Eurem Norden etc.‹ Ich hätte viel darauf erwiedern können, schwieg aber, und schluckte das sauere Gewächs und das eben so sauere Compliment hinunter.

Gerne wäre ich noch etwas länger in Stuttgart geblieben, Schmeller aber wurde unruhig und erklärte, er müsse weiter reisen. Den 20. September verließen wir Stuttgart und fuhren zusammen nach Tübingen. Das Wetter war heiter und wir waren es ebenfalls. Wir freuten uns über die Fülle des Obstes, das überall an den Bäumen zu beiden Seiten des Weges hing und erreichten unter heiteren und anregenden Gesprächen Tübingen. Im Gasthofe fragten wir gleich nach Uhland, der war, wie wir auch in das Fremdenbuch einschrieben, unser Reisezweck. Wir ließen anfragen, ob und wann er zu sprechen wäre. Sofort erfolgte die Antwort seiner Frau: Uhland schliefe zwar noch, aber wir möchten nur kommen, sie würde ihn wecken.

Wir spazierten hin. Ich hatte Uhland noch nie gesehen und es ging mir wie so manchem andern: mein Bild stimmte nicht mit dem Originale. Er empfing uns recht freundlich, war aber nicht sehr gesprächig und lebendig, um so mehr wurde ich es, und es dauerte nicht lange, so fing Uhland an aufzuthauen. Seine Frau nahm Theil an unserer Unterhaltung. Der gute Wein kam dazu und bald hatten wir uns alle traulich und heiter genähert. Wir machten dann einen Spaziergang und mußten nachher bei Uhland zum Abendessen bleiben. Ich erzählte so viele Schnurren, daß des Lachens kein Ende war. Frau Dr. Uhland mochte sich ein eignes Bild gemacht haben von einem Norddeutschen, sie fragte mich: ›Sie sind wol kein Preuß?‹ – Den andern Tag verließ uns Schmeller. Ich blieb noch in Tübingen. Um Mittag holte mich Uhland ab. Wir speisten zusammen und machten dann mit seiner Frau einen Ausflug zu Wagen nach dem ehemaligen Cistercienser-Kloster Bebenhausen.

Mein Reisezweck war erfüllt: ich hatte ihn kennen gelernt, den Mann den ich als Dichter und Gelehrten schon lange liebte und verehrte und war hocherfreut, daß derselbe Mann, was er gewesen geblieben war, ein standhafter Vorkämpfer für die freie Entwickelung des deutschen Staatslebens. Herzlich dankend für alles Liebe und [208] Gute nahm ich Abschied und reiste noch denselben Abend nach Freiburg. Ich eilte nun nach Basel, wo mich Wilhelm Wackernagel schon seit längerer Zeit erwartete. Den 23. September traf ich ein und blieb acht Tage bei ihm. Wir arbeiteten täglich zusammen. Er gab gerade sein altdeutsches Lesebuch heraus. Ich lieferte ihm noch einige hübsche Beiträge dazu, unter anderen jene Comödie, die ich in Wien abschrieb. Die Handschriften der Baseler Bibliothek hatte Wackernagel zum Theil durchgesehen und manches Deutsche gefunden. Jetzt wollten wir die noch nicht berührten Schränke untersuchen. Wir wurden reichlich belohnt. Ich fand gleich anfangs in einer Handschrift aus dem Ende des 7. oder Anfang des 8. Jahrhunderts mit angelsächsischer Schrift zwei deutsche Recepte, eins gegen den Krebs, das andere gegen eine nicht näher bezeichnete Krankheit. Zum Andenken an unser Suchen ließ ich diesen kleinen Fund drucken als ›Vindemia Basileensis‹.

Mein Urlaub war nun abgelaufen und ich mußte die Schweiz, Straßburg, Brüssel und manches andere aufgeben. Ich begann meinen Rückzug. Den 1. October fuhr ich mit dem Eilwagen über Kehl nach Carlsruhe. Mone war freudig überrascht. Er zeigte mir seine Sammlungen mittelniederländischer und altdeutscher Gedichte. Durch seine Vermittelung erhielt ich aus der großherzoglichen Bibliothek eine Handschrift mit althochdeutschen Glossen, die ich ganz abschrieb. Graff hatte bereits andere Glossen, die ebenfalls darin stehen, daraus abdrucken lassen. Eine Vergleichung des Abdrucks mit dem Originale bewies mir abermals, wie flüchtig Graff auch hier gearbeitet, z.B. die Gestalt des carolingischen o, welches wie ein geschlossenes d aussieht, hat er nicht gekannt und immer als ein o mit v darüber gelesen und im Druck wiedergegeben.

Ich eilte dann über Darmstadt, Frankfurt, Gießen, Marburg und Cassel nach Göttingen. Ich kehrte bei den Brüdern Grimm ein. Es war ein fröhliches Wiedersehen nach langer Zeit. Seit 1818 hatten wir nur durch Briefwechsel unsern Verkehr fortsetzen können. Die wenigen Tage (Vom 11.–15. October), die ich mit und bei Jacob, Wilhelm und Ferdinand Grimm verlebte, schienen mir frohere Erinnerungen als die drittehalb Jahre meiner hiesigen Studentenzeit. Es ward mir unendlich schwer, mich von so vieler Liebe und Theilnahme, von so vielen Schätzen des Herzens und Geistes zu trennen.

[209] Einige Tage verweilte ich dann bei den Meinigen und in Braunschweig. Die letzte Woche Octobers war ich in Berlin. Ich glaubte jetzt mehr als je Anspruch zu haben, in meiner amtlichen Stellung weiter zu kommen. Ich besuchte den Geh. Rath Johannes Schulze, der wegen seines Einflusses ›der kleine Minister‹, auch wol ›Ioannes parvulus‹ hieß. Er war recht freundlich. Ich erzählte ihm von meiner Reiseausbeute und überreichte ihm die von mir unterwegs herausgegebenen Schriften. Dann äußerte ich den Wunsch,Professor ordinarius zu werden.

Sch. Das geht so nicht – da muß Sie die Facultät vorschlagen und empfehlen, wir können die Facultät nicht übergehen.

Ich. Auf die Weise bleibt es beim Alten, denn wenn es auf die Facultät ankommt, so werde ich nie Ordinarius.

Sch. Wir können nicht anders, können nicht anders, es geht wahrhaftig nicht. Der Minister darf die Wünsche und Vorschläge der Facultät nicht unberücksichtigt lassen.

Mit dieser schönen Aussicht reiste ich am 1. November von Berlin ab und kam am 3. in Breslau an. Den folgenden Tag saß ich schon wieder auf der Bibliothek. Stenzler, der mich bisher vertreten hatte, freute sich, daß er erlöset war, und mich freute es nebenbei, daß es doch nun einen Menschen mehr gab, der das Lästige und Störende einer solchen amtlichen Beschäftigung gekostet hatte.

Ich ging mit frischem Muthe dem Winter entgegen: ich hatte Stoff genug zum Verarbeiten gesammelt und konnte mich freuen und erquicken an so vielen schönen Erinnerungen. Um diese Zeit dankte ich dem Minister für den Urlaub und die Reiseunterstützung und bat zugleich, Sr. Majestät das Pergamentexemplar der Fragmenta theotisca mit meinem Schreiben zu überantworten, und die übrigen Exemplare an die preußischen Universitäts-Bibliotheken vertheilen zu wollen. Die Weihnachtsferien reiste ich nach Leipzig, besuchte Brockhaus und verhandelte mit ihm wegen derHorae belgicae, deren Fortsetzung mir sehr am Herzen lag.

Die Tage kurz vor und nach Neujahr 1835 verweilte ich bei Moriz Haupt. Wir hatten seit Wien viele litterarische Beziehungen zu einander und einen lebhaften Briefwechsel geführt. Schon dort verabredeten wir ein gemeinschaftliches Unternehmen, was nun eben jetzt ins Leben trat:


[210] Altdeutsche Blätter. 29


Sie sollten dem Studium des deutschen Alterthums kleineres Material durch sichernde Herausgabe zur Benutzung darbieten und nebenbei auch Abhandlungen, Bemerkungen, Auszüge aus seltenen und Nachträge zu wichtigen Büchern bringen. Die ersten Hefte wurden auf unsere Kosten gedruckt. Da wir das Unternehmen nicht fallen lassen mochten und auch eine längere Dauer bei größerer Theilnahme dafür erwarteten, so brachten wir gerne dies Opfer. Endlich aber ward es uns zu viel und wir machten einen Vertrag mit Brockhaus, wir durften nun wenigstens nichts mehr zuzahlen. Es wurden übrigens nur 300 Exemplare auf Druckpapier und 30 auf feinerem Papiere gedruckt, letztere kamen nicht in den Buchhandel.

Seit Anfang Aprils wohnte ich in dem ersten Wartenslebenschen Hause auf der heil. Geiststraße. Die Wohnung, obschon nach Norden, war sehr freundlich, ich sah in den Garten, auf den Wall, die Oder, links auf den Sand, auf die Kreuzkirche, rechts auf den Dom. Die grünen Bäume, das lebendige Wasser und das große Stück Himmel wirkten wohlthätig auf mein Gemüth. Anfangs war es auch ziemlich still. Leider ward bald in den schönen Sommertagen der Garten ein Tummelplatz für die Kinder meines Nachbars, des Professor Regenbrecht. Ich ward oft dermaßen gestört, daß ich nur mit der größten Anstrengung bei dem Lärmen der Kinder zu arbeiten vermochte.

›Sie scheinen sich nur wohl zu fühlen, wenn Sienicht in Breslau sind,‹ sagte einmal der Minister zu mir. Und leider! so war's auch. Erst ein Vierteljahr wieder in Breslau und schon hatte ich einen seltsamen Drang, aus Breslau wieder hinaus. Als nun die Osterfeiertage nahten, eilte ich nach Berlin zu meinem Bruder. Ich konnte jedoch nur acht Tage bleiben: ein unerwartetes Ereigniß hieß mich bald heimkehren.


[Bei einer Revision auf der Breslauer Bibliothek hatte es sich herausgestellt, daß eine große Menge Bücher fehlten. Bald bestätigte sich der Verdacht, daß die Frau des ersten Custos, des Dr. Friedrich, diese Diebstähle begangen hatte, um aus dem [211] Erlös der Bücher sich eine Einnahme zu verschaffen. Ritschl theilte Hoffmann dieses brieflich nach Berlin mit.]


Den 21. April traf ich wieder in Breslau ein. Ich fand alles bestätigt was mir Ritschl geschrieben hatte. Die Frau meines Collegen war wenige Stunden vorher in den Stock abgeführt, er selbst vorläufig ›dispensiert‹. Daß er in seinem Amte nicht bleiben konnte, war klar, und daß ich in seine Stelle einrücken und mich verbessern würde, war mehr als wahrscheinlich. Trotzdem sehnte ich mich fortwährend nach dem Augenblicke der völligen Erlösung aus dieser tagtäglichen Frohne, mein Humor schien mir dafür gar nicht mehr nachhaltig. Abermals bat ich schriftlich den Minister, mich zum Ordinarius zu machen.

Auf mein Gesuch erfolgte schon den 11. Mai eine Antwort des Ministers von Altenstein: er habe das Gutachten der Breslauer philosophischen Facultät einfordern lassen. Von dem Wohlwollen des Ministers war ich überzeugt, zweifelte aber, daß ich etwas erreichen würde, wenn er den Wünschen der Facultät nachkäme. Daß sich der Minister früher an diese nicht gekehrt hatte, konnte sie ihm nicht vergeben; es war vorauszusehen, daß sie jetzt Alles aufbieten würde, dem Wunsche des Ministers entgegen zu sein. Den 30. Mai hielt sie ihre Sitzung und ich erfuhr schnell genug ihren Beschluß, der natürlich, wie ich voraussah, gegen mich ausfiel. Ich hatte wenig Hoffnung und war verstimmt.

Mein geselliger Verkehr war um diese Zeit sehr gering. Milde hatte geheirathet und war mit seiner jungen, sehr hübschen und liebenswürdigen Frau viel in Gesellschaften oder auf Reisen. Das Lewaldsche Haus war nach dem Tode der Frau Lewald wie ausgestorben. Mit Ritschl und Stenzler war ich gespannt, und die übrigen Professoren blieben mir fremd und gleichgültig wie bisher. Ohne sonderliche Abwechslung verging ein Sommertag wie der andere. Nach Tische verweilte ich ein Stündchen in Aderholzens Buchladen und spazierte dann gewöhnlich um den Wall; Abends badete ich in der Oder und ging von da ins Weinhaus, die übrige Zeit wurde gearbeitet. Der dritte Theil der Horae belgicae und meine Vorlesungen nahmen mich sehr in Anspruch.

Um nochmals meine Theilnahme für Schlesien kundzugeben, bewerkstelligte ich in der vaterländischen Gesellschaft, daß alle Silesiaca [212] aus der Bibliothek ausgeschieden und zu einer besonderen schlesischen Bibliothek vereint wurden. Am 10. Juni erließ ich als Bibliothecar einen Aufruf zur Gründung einer ›Schlesischen Bibliothek‹, die alles in Bezug auf schlesische Geschichte, Litteratur und Naturgeschichte umfassen sollte. Ich durchsuchte manche Büchersammlung, fand manches für uns passende und erbat es mir von den Besitzern, die es denn auch des guten Zwecks wegen bereitwillig hergaben. Ich war ziemlich glücklich und legte somit den Grund zu der heutigen schlesischen Bibliothek der Schlesischen Gesellschaft.

Bei aller amtlichen und wissenschaftlichen Thätigkeit fand ich immer noch Zeit zum Dichten und sehr willkommene Anregung. Ernst Richter, Musiklehrer am Breslauer Schullehrer-Seminar, beabsichtigte eine Sammlung von Liedern herauszugeben, die sich an J.G. Hientzsch, ›Methodische Anleitung zum Singunterricht‹ anschließen sollte. Er suchte dazu noch schöne einfache Volksweisen und Texte. Ich brachte ihm Stoff genug aus unserer und meiner Bibliothek. Er fand passende Melodien, aber keine passende Texte. Er bat mich, dazu Texte zu dichten. Ich ließ mir nun die Melodien so lange vorspielen, bis ich sie auswendig wußte, ich trug sie dann so lange mit mir herum, bis ich Worte dazu fand. So entstanden mehrere Lieder. Ich dichtete dann auch ohne Melodien einige, und wenn Richter dazu keine Volksweise fand, so machte er eine eigene. Schon im August war von seiner Sammlung die erste Abtheilung erschienen als ›Unterrichtlich geordnete Sammlung‹, lauter ein- und zweistimmige Sätze und Lieder, unter den letzteren waren 23 von mir.

Meine Ordinariats-Angelegenheit ging ihrer Entwickelung entgegen.


[Das Gutachten der Facultät, welches der Minister eingefordert hatte, lautete für Hoffmann nicht günstig. Man ließ zwar seiner schriftstellerischen Thätigkeit in demselben die volle Würdigung zu Theil werden, doch forderte man, daß er die gesetzlichen Leistungen, welche die Facultät für den Fall einer Ernennung zum Professor ordinarius vorschreibe, anerkenne und sich zu denselben verpflichte. Darauf hin erklärte Hoffmann sich am 8. August 1835 sowohl der Facultät als auch dem Minister von Altenstein gegenüber bereit, ›die Obliegenheiten, die ihm [213] als Professor ordinarius zukommen würden, zu erfüllen, also eine lateinische Abhandlung zu schreiben und lateinisch zu vertheidigen.‹ Damit stand seiner Ernennung kein Hinderniß mehr im Wege.]


Es trat nun für mich etwas Ruhe ein. Ich arbeitete fleißig an dem 3. Theile der Horae belgicae. Das Glossarium machte mir viel zu schaffen. Am 10. October war Text, Glossarium und Einleitung vollendet.

Am 2. November überraschte mich mein Bruder mit einer frohen Nachricht. Sein Brief begann: ›Gra tuliere, Herr Ordinarius!‹ Die Nachricht war verfrüht, bestätigte sich aber bald. Am 15. November hatte Se. Majestät auf Antrag des Ministers vom 20. October mich zum Ordinarius ernannt.

Am 10. November wurde das Schillerfest in Breslau gefeiert, seit 1829 wieder zum ersten Male. Gegen hundert Theilnehmer hatten sich eingefunden. Ich führte den Vorsitz. Es war ein heiteres, durch Reden, Lieder und Trinksprüche belebtes und belebendes Fest, von Anfang bis zu Ende. Ich hatte die Genugthuung, daß öffentlich zu lesen war, daß ich ›mein Präsidentenamt auf höchst liebenswürdige Weise geführt hätte.‹ Auch ich brachte verschiedene Trinksprüche aus, zuerst ließ ich die Poeten leben. Dann ging ich bald nachher über auf die Philister. 30 Der Jubel wollte kein Ende nehmen. Am belustigendsten war, daß gerade die am meisten jubelten, auf die ich es abgesehen hatte. Ich mußte den Trinkspruch wiederholen und es erfolgte wieder ein endloser Jubel.

Wenn ich so etwas Erfreuliches erlebte, dann war ich ruhig, auch wol heiter gestimmt, arbeitete mit Lust, sang und dichtete. Doch dauerte es nicht lange. Meine Bibliotheksverhältnisse waren nun einmal von schwüler Temperatur, daß jeden Augenblick sich ein Gewitter zusammenziehen und über mir losbrechen konnte. Und so war es denn auch. Den 4. November konnte ich meinem Bruder bereits wieder eine unangenehme Neuigkeit melden.


[Stellvertreter für Dr. Friedrich, der wegen des Bücherdiebstahls seiner Frau dispensiert war, wurde Professor Stenzler, [214] derselbe, welcher von Hoffmann auf die Bibliothek hingewiesen und im Sommer 1834 für ihn in die Custodiatsgeschäfte eingetreten war. Bei dieser Veränderung erwartete Hoffmann eine Erleichterung für sich und hoffte, von dem lästigen Ausleiheamt, welches er elf Jahre geführt hatte, befreit zu werden. Aber auch mit diesem berechtigten Wunsche stieß er auf die hartnäckigsten Schwierigkeiten, und als er endlich durchdrang, war ihm die ganze Stellung so verleidet, daß er sich danach sehnte, aus dem Bibliotheksdienst überhaupt auszuscheiden.]


Gegen Ende des Jahres erfolgte die amtliche Anzeige von meiner Ernennung zum Ordinarius. In dem Begleitschreiben an den Senat war erstlich mein Name ausgelassen und zweitens der ordentliche Professor. Ich dankte, freilich nicht dafür, daß mir das Ministerium noch ausdrücklich schreiben ließ, daß mir aus meiner Ernennung keine Ansprüche auf Gehaltszulage erwüchsen. So hatte ich denn in meiner academischen Laufbahn das Höchste erreicht was ich erreichen konnte: ich war Professor ordinarius. Schon den 9. Januar 1836 wurde ich in den academischen Senat eingeführt und von denen als College begrüßt, die mich nicht zum Collegen hatten haben wollen.

Mehr Aufsehen als diese neue Würde machte jedoch noch mein ›Buch der Liebe,‹ welches um diese Zeit erschien. 31 Des Fragens und Forschens, wem diese vielen Liebesergüsse galten, war kein Ende. Es war und blieb ein Geheimniß. Nur Einer wußte darum, und dieser Eine sagte nichts und wird auch jetzt nichts sagen. Meine Liebesstimmung war zwar eine nachhaltige geworden, aber wie sie in Poesie gekommen, so löste sie sich in Poesie wieder auf, und mir blieb nichts als die Erinnerung an manchen beseligenden Augenblick.

Zufällig haben sich einige Aufzeichnungen aus jener Zeit erhalten. Im Juni 1835 heißt es: ›Ich sah im Frühjahr ein Kind, und das Kind ist eine Jungfrau geworden, und die Jungfrau gefällt mir. Wird sie heute über ein Jahr mehr als die Schwester meines Freundes sein?‹

Dann mehrere Tage später: ›21. Juni Sonntags in der Kunstausstellung. [215] Unter so vielen schönen Bildern auch sie; ich sah sie, ich sprach sie. Dies schöne große Auge!‹

Im Juli: ›Sie steht vor mir, geht mit mir, ich denke an sie, rede mit mir von ihr – Traum nur, Traum am hellen lichten Tage!‹ – ›Und wenn ich einst jene Zeilen wieder lese, vielleicht verstehe ich sie nicht mehr, oder – ich weiß Alles besser als heute und sage jemandem: Du warst es!‹

Dann in diesem Jahre: So waren Monate vergangen – ich sah sie nicht. Der ganze Herbst war vergangen, der halbe Winter – ich sah sie nicht. Und wir feierten Weihnachten und – ich sah sie nicht, und kurz vor Neujahr sah ich sie, sprach mit ihr und sollte beim Tanz sie küssen – das war zu viel. Und es vergingen wieder anderthalb Monate und ich sah sie nicht. Und das Buch der Liebe war erschienen und – ich sah sie nicht. Endlich kam der 11. Februar 36. Wir sprachen viel mit einander und saßen bei Tische neben einander: ›Nein, nein! ich habe das Buch der Liebe nicht gelesen.‹ –

Über meine neueste Dichtung ließen sich viele anerkennende Stimmen vernehmen. Ich war sehr erfreut darüber und fühlte mich getröstet für manches Unangenehme, welches mir meine beiden Ämter in jüngster Zeit gebracht hatten. Aber der freudige Beifall Anderer konnte mich nicht befreien von der Furcht, daß sich neue Widerwärtigkeiten bald einstellen würden.

Und sie kamen nur zu bald. Die philosophische Facultät sah mich nicht für voll an, ich sei allerdings Doctor, aber nur der freien Künste, und um als Decan Andere zu Doctoren der Philosophie promovieren zu können, müsse ich selbst Doctor der Philosophie sein. Sie mochte Recht haben, ich wurde aber so ärgerlich darüber, daß ich erklärte, ich würde nichts thun, um meine Doctorwürde zu vervollständigen; die Erinnerung an das Verfahren der Facultät in Betreff meines Doctordiploms war noch zu lebendig bei mir. Nun, es wurde nicht so schlimm als ich fürchtete. Die Facultät erklärte sich bereit, das Fehlende ohne eine Gegenleistung meinerseits zu ergänzen. Das große Werk trat am 16. März ins Leben. In dem Pergamentdiplom, welches mir zugestellt wurde, heißt es: ›philosophiae Doctorem et artium liberalium Magistrum honoribus iuribus privilegiisque omnibus praeditum publico hoc diplomate agnitum renuntiavit.‹ [216] Ernstlicher als je dachte ich jetzt daran, aus meinem Bibliotheksamte erlöst zu werden, damit ich ganz meinem Fache leben könnte. Ich wendete mich deshalb an den Minister von Altenstein. Aber es blieb beim Alten.

Schon lange war ich mit der Idee umgegangen, die deutsche Sprachwissenschaft und Litteraturgeschichte als ein Ganzes in einem Grundrisse 32 darzustellen. Nach vielen mühsamen Vorarbeiten war es mir endlich gelungen, das Buch war fertig bis auf die Vorrede. Diese wollte ich nach Rücksprache mit Moriz Haupt bei ihm in Zittau vollenden. Ich reiste am 2. April nach Görlitz, blieb die Osterwoche dort bei meinem Freunde Leopold Haupt und war dann die nächsten drittehalb Wochen in der Familie Haupt in Zittau. Ich wohnte mit dem jungen Moriz Haupt in einem Flügel des großen elterlichen Hauses, jeder am äußersten Ende, durch viele Zimmer von einander getrennt. Das Wetter war sehr unfreundlich und wir verspürten gar kein Verlangen ins Freie zu gehen. Da wir nur wenige Stunden des Tages mit den Eltern verkehrten, so waren wir die übrige Zeit ganz auf uns beschränkt. Jeder hatte zu arbeiten, das Verlangen aber uns wechselseitig auszusprechen war sehr groß und so machten wir uns denn den Tag über mehrmals Besuche, die oft Stunden lang währten. Gewöhnlich saßen wir Abends nach Tische in meinem Zimmer und unterhielten uns über Welt und Litteratur und alles Mögliche. Meine Vorrede zur deutschen Philologie, an welcher Haupt großen Antheil nahm, führte uns oft auf deutsche Litteraturgeschichte und Sprachwissenschaft. Eines Abends saßen wir wieder wie gewöhnlich beisammen und scherzten über manche neuere Erscheinung auf dem Gebiete der altdeutschen Litteratur. Ich meinte, am besten ließe sich reimweis darüber ein Urtheil aussprechen. Schön, und im Nu reimten wir Guckkastenbilderreime. Dann kamen wir auf unsere neuesten Dichter und ihre Manieren. Wir versuchten nun diese nachzuahmen, und sogleich waren auch einige fertig. Wir hätten gewiß noch an anderen Abenden diese Belustigungen fortgesetzt, wenn nicht immer ein Neues, uns wichtiger Scheinendes, das Alte verdrängt [217] hätte. Hier jedoch einige Proben, die ich mir zur Erinnerung an diese ergötzlichen Zittauer Abende aufbewahrt habe.

Altdeutsche Kuckkastenbilder.
Anjetzo präsentieret sich
Graff's Sprachschatz craß und fürchterlich.
Schatz hat er ihn deshalb genannt,
Weil er drin seine Rechnung fand.
Viel Sanskrit macht das Buch uns kund,
Zehn Lettern gehen auf ein Pfund.
Daß man sich findet recht zu Haus,
Heckt er 500 Zeichen aus.
Den Otfried hat er ausgeschickt,
Daß er ihm seinen Beutel spickt.
Daß man ihn trefflich mag verstehn,
In jedem Vers zwei Puncta stehn.
Herr von der Hagen hat gewacht
Eintausend schon und Eine Nacht.
Wann heißet es: Victoria!
Die Minnesinger sind nun da?
Dem Mone ward's, das Gott erbarm!
Im heilgen Grale gar zu warm:
Er läuft heraus und stürzt sich gleich
In einen alten Antenteich.
Doch kühlt es seine Hitze nicht,
Denn zum Anzeiger ruft die Pflicht.
Ihn ängstet sehr der Zwentibolk,
Und noch viel mehr das Wilzenvolk.
Der Maßmann aus Italia
Bringt heim erlesne Gothica;
Als theologscher Candidat
Er sie herausgegeben hat.
[218]
Von Kaiserchronik spricht er viel,
Und schreibet einen saubern Stil;
Damit nichts aus einander fällt,
Er alles hübsch in Klammern stellt.
Das Turnen steckt ihm noch im Kopf,
Drum faßt er keck den Tod beim Schopf,
Und hopst im Todtentanz herum –
Die Kosten zahlt das Publicum ... etc.
Poetische Manieren.
1.
Es steht der dürre Schlehenstrauch
Und ziehet an ein weiß Gewand,
Es färbt sich grün das ganze Land,
Und nächstens blühn die Rosen auch.
Der Kibitz kreiset um sein Nest –
O Bild der Liebe sanft und rein –
Und Erd' und Himmel lächeln drein,
In solch ein schönes Frühlingsfest.
2.
Bachstelzen baden ihr Gefieder
Im klaren grünumbuschten Quell –
Born der Natur so reich und hell,
Du giebst mir ewig neue Lieder.
3.
Die Frösche schrei'n im Sumpf gemeinsam,
Ich wandl' in Waldesschatten einsam.
O schreit, ihr Frösche, nur im Ried,
Nicht stören soll euch ja mein Lied.
[219] 4.
Die Gänseblümchen wie bescheiden
Sie stehen auf dem grünen Plan!
Ich möchte fast ihr Glück beneiden
Und muß mich ihnen freundlich nahn.
Sie blühn in grüner Waldesmitte,
Ein stummberedter Frühlingsgruß –
Stör' ich sie wohl durch meine Tritte? –
Ich lenke rückwärts meinen Fuß.
5.
Wie bin ich durstig schon seit Stunden,
Kaum kühlet mich des Waldes Schatten.
Da hab' ich einen Strauch gefunden
Mit Beeren, die sich friedlich gatten.
Doch wag' ich nicht sie abzupflücken,
Weil sie so schön, o Strauch, dich schmücken.
6.
Ich komm' an diesem Nachmittag
In einen grünen Buchenhag,
Doch ist den scharfen Beilesschlägen
Schon manche Buche rings erlegen.
Mir will es fast wie Mord erscheinen,
Ich muß ob eurem Tode weinen.
7.
Die Fliege spielt im Sonnenschimmer
Und schwebet hin und her beweglich!
Wie wäre doch daheim im Zimmer
Ihr Summen mir so unerträglich.
Doch ist es hier in grüner Flur
Ein Klang aus deinem Lied, Natur.

Karl Mayer.
[220] 1.
Das war die alte Großmutter,
Die in dem Lehnstuhl saß,
Sie schwatzt mit bleicher Lippe
Und weiß doch selber nicht was.
Der Kater sitzet daneben
Und brummt und knurrt seinen Baß,
Er brummet und er knurret
Und weiß doch selber nicht was.
Da draußen heulet der Hofhund
Empor zum Monde so blaß,
Er heult und winselt erbärmlich
Und weiß doch selber nicht was.
Und neben der alten Großmutter
Das tiefe Auge so naß;
Da flüstert ein krankes Mägdlein
Und weiß doch selber nicht was.
Sie flüstert keine Gebete,
Weiß nicht von Lieb' und Haß;
Es wird ihr so eigen im Herzen
Und weiß doch selber nicht was.
Und draußen steh' ich und spähe
Und sehe durch's Fensterglas,
Ich möchte segnen und fluchen –
Und weiß doch selber nicht was.
2.
Es hat schon neune geschlagen,
Es wirbelt der Zapfenstreich;
Ich liege träumend und schläfrig
Im weißen Arme so weich.
Mein Liebchen, was horchst du so seltsam
Auf den wirbelnden Zapfenstreich?
[221]
Was wirst du auf meine Frage
Auf einmal so ernst und so bleich?
Gedenkst du des schlanken Leutnants
In knapper Uniform,
Der täglich auf der Parade
Sich zieret und brüstet enorm?
Er liegt in seiner Kaserne,
Gebannt vom Zapfenstreich.
Ich lach' und liege behaglich
In deinen Armen so weich.
3.
Es ist so düster und öde,
Der Wind zieht über die Flur,
Im Schilderhaus auf dem Walle
Steh' ich in dünner Montur.
Ich denk' an die schönen Zeiten,
Wo ich im Collegium schlief,
Und niemals eine Patrouille
Aus meinen Träumen mich rief.
Es schwatzte der dürre Professor
Von christlicher Moral;
Mir träumte viel gescheidter
Von seinem Ehegemahl.
4.
Ich sitze im Parterre
Und seh die Tragödie mir an;
Es spielt Acteur und Actrice,
Wie man es nur wünschen kann.
In schönen und häßlichen Augen
Schon manche Thräne blinkt,
[222]
Da nun mit mächtigem Schwunge
Rauschend der Vorhang sinkt.
Mein Nachbar weinet und flüstert:
›Das war ein schöner Zug!‹
Ich merk' es, mich quälet seit Jahren
Der Rheumatismus genug.

Heinrich Heine.

Am 5. Mai starb der erste Custos unserer Bibliothek, Dr. Johann Christoph Friedrich. Obschon er nebst seinen Kindern in dem Bücherdiebstahlsprozesse gegen seine Frau durch richterliche Entscheidung für schuldlos erklärt war, so war er doch suspendiert geblieben, zwar mit vollem Gehalte. Obschon mir jetzt das erste Custodiat von Rechtswegen zufallen mußte, so hielt ich es doch für nothwendig, die 600Rb. Gehalt, welche der Dr. Friedrich bezogen hatte, zu beanspruchen und wendete mich deshalb an den Minister. Da keine Antwort erfolgte, so wiederholte ich am 15. Juni dem Minister den Wunsch: ›endlich des Custodiats entbunden und als Professor so gestellt zu sein, daß ich diesem Amte ungetheilt Zeit und Kräfte widmen darf und als Lehrer und Schriftsteller ersprießlicher zu wirken vermag.‹ Der Minister bedauerte jedoch, meinem Wunsche nicht entsprechen zu können, ›da gar keine Fonds vorhanden sind, Sie für die mit dieser Stelle verbundenen Einkünfte anderweitig zu entschädigen.‹

Ich war unterdessen eingekommen um Urlaub zu einer wissenschaftlichen Reise auf drei Monate (August September October). Die Städte, worin ich länger zu verweilen gedachte, hatte ich angegeben: Kopenhagen, Amsterdam, Leiden, Haag, Antwerpen, Brüssel und Paris. Ich reiste den 26. Juli ab. Die nächsten acht Tage verweilte ich in Berlin. Abends den 3. August am Geburtstage des Königs reiste ich mit der Schnellpost nach Stettin. Den folgenden Mittag um 12 Uhr fuhr ich mit dem Dampfschiff Dronning Maria, Capitän Lous, nach Kopenhagen.

Es war meine erste Seefahrt. Das Wetter war schön, die See ruhig. Nachdem wir eine Zeitlang in See waren, wurde auf dem Verdecke die Tafel angerichtet. Wir ließen uns nieder und es schien [223] allen gut zu schmecken. Nach Tische sah ich mir die Gesellschaft näher an und sprach mit einem und dem andern. Die See wurde unruhig, das Schiff schwankte, die Reisenden zogen sich in die Kajüten zurück. Ich begab mich zu Bette und schlief sechs Stunden ganz ruhig. Um 6 Uhr Morgens am 5. August hielten wir vor Bornholm und nahmen die dortigen Gäste an Bord. Der Sturm wurde immer ärger, die See ging hoch. Die hinzugekommenen Fremden, lauter Dänen, wurden alle seekrank, von den Deutschen, die schon an Bord gewesen waren, niemand. Nach einigen Stunden verspürte ich großen Hunger und ließ mir ein Beefsteak geben. Es war ein Meisterstück damit fertig zu werden unter den vielen Seekranken, die in allen Ecken sich erleichterten. Ich hielt mich tapfer, mein Frühstück war verspeist. Gegen 5 Uhr Nachmittags liefen wir in den Sund ein. Die Flagge wurde aufgehißt. Nach 8 Uhr erst waren wir auf der Rhede vor Kopenhagen und wurden in Böten ausgeschifft.

Samstagmorgen den 6. August besuchte ich die Bibliothek. Ich wurde recht freundlich empfangen, aber ich merkte bald, daß man durchaus nicht geneigt war, mir eine Benutzung der Bibliothek zu gewähren, wie ich sie für meinen Zweck wünschen mußte.

Den Sonntag darauf, 7. August, besuchte ich den Friedrichsberg und sah mir das Volksgetümmel an. Wunderbar schön ist die Aussicht von dort nach Kopenhagen und unvergeßlich mir der Anblick der weiten heiteren Landschaft mit der großen Stadt, wohinter die See hervorblickt und einzelne Schiffe vorüber segelten. Den 12. August abends reiste ich von Kopenhagen wieder ab. Den anderen Morgen um 6 liefen wir in den Kieler Hafen ein. So müde ich war, so hatte ich doch im Gasthof keine Ruhe. Zunächst besuchte ich die Bibliothek, dann Herrn Boie, Sohn des J.H. Vossischen Schwagers. Am Nachmittag fuhren wir mit Ratjen im Nachen nach Düsternbrook. Zum Ruderschlage las ich ihnen das Buch der Liebe vor. Den Abend und den ganzen folgenden Tag verlebte ich mit Ratjen, der sich wahrhaft collegialisch meiner annahm. Mittags war bei ihm große Gesellschaft. Ich lernte mehrere Kieler Professoren kennen: Hegewisch, Ritter, Olshausen, Behn. Wir waren sehr vergnügt. Überhaupt schien das hier bei der Universität ein frisches, heitergeselliges Leben zu sein, man lebte und ließ leben. Was ich [224] anderswo nicht gewagt hätte, wagte ich hier: ich las den Herren Collegen meinen Reisebericht von 1834 vor und mehrere Breslauer Trinksprüche. Am Nachmittag spazierten wir nach Düsternbrook, und ich erfreute mich dieser lieblichen Landschaft am westlichen Ufer des Kieler Hafens.

Den 15. August reiste ich weiter.

Den 16. August traf ich in Lübeck ein. Die Stadt erinnert an die schönsten Zeiten des Mittelalters. Die stattlichen Kirchen, die hohen steinernen Häuser, meistens mit Spiegelscheiben, die reinlichen Straßen, die wohlgekleideten Leute machen einen wohlthätigen Eindruck. Den folgenden Tag machte ich mehrere Besuche. Es that mir wohl, daß ich in Dr. Deecke und Professor Classen zwei frische heitere Männer fand, denen ich viele frohe Stunden in Lübeck verdanke. Deecke zeigte mir die Schätze der Stadtbibliothek, die Lübecker Drucke, die er selbst beschrieben hatte, und versprach mir eine getreue Abschrift von Lantsloot ende die scone Sandrijn, die ich auch später erhielt. Den folgenden Tag führte er mich in den Rathskeller, wo wir denn ganz gemüthlich den Abend verbrachten. Sehr befriedigt setzte ich den 19. August meine Reise fort und erreichte den folgenden Mittag Hamburg.

Die Stadt machte einen großartigen Eindruck auf mich: es war etwas Anderes, Neues was sich meinen Blicken darbot. Dies rege Getümmel, und doch dieser Ernst, diese Ruhe in allen Gesichtern, die einem begegnen oder an einem vorübergehen. Alles Geschäft, die Leute nehmen sich keine Zeit zum Sprechen, haben keine übrig zum Lachen.

Der Buchhändler Herold hatte sich erboten, um und durch Hamburg mein Führer zu sein. Wir gingen durch die schönen Anlagen, verweilten oben auf dem Baumhause, freuten uns an der schönen Aussicht und an dem durch Schiffe und Nachen belebten Strome, fuhren durch den Hafen und kehrten über den Stintfang zurück. Diese Wanderungen mit Abwechselung wiederholte ich noch einige Male, Herold war immer mein liebenswürdiger lebendiger Bädeker. Sie endeten dann mit einem Frühstück und buchhändlerischen Gesprächen.

Ich fühlte mich täglich heimischer in Hamburg, so neu und fremdartig mir Alles anfangs war und sein mußte. Besondere [225] Freude gewährte mir, den treuen Gefährten meiner Kindheit, meinen Vetter F. Wiede wiederzufinden. Er lebte schon mehrere Jahre in Hamburg als Kaufmann und es ging ihm und seiner Familie gut. Wir waren oft zusammen und erzählten uns aus der Heimat und Kindheit.

Unterdessen verfolgte ich meine litterarischen Zwecke. Die Stadtbibliothek besuchte ich öfters. Obschon Professor Petersen nach seiner Ansicht glaubte mir sehr gefällig zu sein, so genügte mir doch die Durchsicht der Kataloge und das Vorlegen einiger bekannten Handschriften nicht – ich wollte sie alle selbst an- und durchsehen. Erst später wurde mein Wunsch erfüllt.

Von Privatbibliotheken lernte ich nur eine kennen, die aber für meine Zwecke sehr bedeutend war, die des Dr. Janssen. Der Mann hatte mit Geschick und Eifer sein Leben lang gesammelt und besaß viele Werke aus der älteren deutschen Litteratur, die sich nirgend sonstwo mehr fanden. Er war außerordentlich gefällig und ließ sich keine Mühe verdrießen, mir das zu zeigen was ich zu sehen wünschte. Das Finden war oft schwierig, jeder benutzbare Raum des kleinen Hauses war bis unter das Dach mit Büchern voll gepackt. Ich machte mir viele Aufzeichnungen, die jetzt erst recht werthvoll sind, denn leider ist dieser bedeutende Bücherschatz bei dem großen Hamburger Brande 1842 ein Raub der Flammen geworden.

Sehr angenehm war mir die Bekanntschaft mit dem Syndicus Sieveking, dem Hamburger Diplomaten, der die besten Eigenschaften eines Diplomaten besaß: er war fein gebildet, geistreich und liebenswürdig durch und durch. Ich wurde auch mit dem Kreise seiner Freunde bekannt, so mit Otto Speckter, der mir wegen seiner allerliebsten Zeichnungen zu Hey's Fabeln (1833) schon lange lieb und werth gewesen war. Ich besuchte ihn nachher in seiner Familie und verlebte einen heitern Abend. Der alte Vater und seine Frau waren so ganz das Bild echtdeutscher Biederkeit und häuslichen Glückes. Der Alte war sich der Einfachheit und Wahrheit seines Wesens bewußt, er scherzte über sich selbst und nannte sich der flachen und doch gebildet sein wollenden Welt gegenüber den ›olen Plattdütschen‹.

Schließlich muß ich auch noch des Professors Dr. Cornelius Müller gedenken. Während der Zeit meines Hamburger Aufenthalts [226] bewies er sich sehr theilnehmend, ich war oft in seiner Familie und wir machten manche ergötzliche Ausflüge in die Umgegend. Eines Tages führte er mich nach Billwerder zu Frau Christine von Westphalen. Wir waren zum Mittagessen eingeladen. Wir fanden die freundlichste Aufnahme und eine recht angenehme Unterhaltung. Die Frau Wirthin erregte mehr meine Theilnahme durch das was sie in ihrem bewegten Leben erfahren, gelitten und gestrebt hatte als durch ihre Schriftstellerei. Sie galt für eine gute Dichterin bei ihren Zeitgenossen, war dafür von vielen Gelehrten anerkannt, und hatte mit manchen einen Briefwechsel unterhalten, worin natürlich auch ihrer Muse gehuldigt wurde. Man darf jedoch nicht vergessen, daß sie als Dichterin einer Zeit angehörte, welche noch sehr bescheidene Ansprüche an einen Dichter machte und in Ertheilung des Dichtertitels sehr freigebig war. Ihr vaterländischer, echtdeutscher Sinn während der schrecklichen Fremdherrschaft ist ihre beste Dichtung, und trotzdem daß sie durch ihre ›Gesänge der Zeit‹ 1815 ihre Mitbürger zu beleben und zu ermuthigen wußte, so ist sie doch noch kein ›weiblicher Tyrtäos‹. Sie war in ihrem ganzen Wesen milde und anspruchlos und eine in jeder Beziehung achtungswerthe Persönlichkeit, und ich dankte Herrn Müller, daß ich ihre Bekanntschaft gemacht hatte.

Von Hamburg fuhr ich über Harburg nach Bremen. Der Weg ist sehr langweilig, nur hin und wieder gewährte die Ebene ringsum etwas Eigenthümliches: die blühende Heide verbreitete einen röthlichen Schimmer und die Föhrenwaldungen in der Ferne waren tiefdunkelblau. Erst den folgenden Mittag erreichte ich Bremen.

Da auf der Bibliothek Alles geordnet und verzeichnet war und das Verzeichniß sogar gedruckt ist, so hatte ich wenig Mühe das Wichtigste für mich herauszufinden. Ich lieh mir mehrere Bücher, um sie zu Hause näher durchzusehen. Sehr überraschte mich, auch hier ein Exemplar des Reineke (Lübeck 1498) zu finden, freilich ein unvollständiges.

An Bekanntschaften und Vergnügungen fehlte es mir nicht. Der Bremer Rathskeller durfte nicht unbesucht bleiben, auch wenn Wilhelm Hauff ihn nicht verherrlicht hätte. In bester Stimmung fanden wir uns ein und bezogen ein besonderes Kellergemach. War der Wein gut, so war noch besser unsere Unterhaltung: Witze und Geschichten [227] aller Art jagten einander, und dazwischen wurde dann wieder ein Lied angestimmt. So verging unter litterarischen Arbeiten und im geselligen Verkehre, der für mich heiter und anregend war, fast eine ganze Woche in Bremen.

Am 4. September Nachmittags 3 Uhr reiste ich weiter und kam am 8. spät Abends in Groningen an, so daß ich erst den folgenden Tag meine Besuche machen konnte. Professor Theodor van Swinderen war sehr erfreut mich wieder zu sehen. Wir kannten uns schon von Bonn her. Obgleich seine Studien den meinigen fern lagen, so hatte er doch immer mit mir in Briefwechsel gestanden und mir den litterarischen Verkehr mit Holland vermittelt.

Schon den 10. September reiste ich weiter, fuhr die Nacht durch und traf den anderen Mittag in Amsterdam ein. Es war mir ganz eigen zu Muthe: vor funfzehen Jahren ein armer Student, und heute ein Professor ordinarius, dem so eben noch der König von Holland die große goldene Medaille verehrte. Durch Vermittelung eines Bekannten erhielt ich den freien Zutritt zu der Bibliothek des königlichen Instituts und konnte dort und zu Hause Bücher und Handschriften daraus so viel ich wollte mit Muße benutzen. Die Liederbücher des 17. Jahrhunderts sah ich alle durch, fand aber nichts für meine Zwecke. Auch die Bibliothek der Doopsgezinde Gemeente lernte ich kennen. Sie enthält einen Schatz alter niederländischer Gesangbücher, welche später Philipp Wackernagel in seiner Bibliographie zur Geschichte des deutschen Kirchenliedes S. 493ff. näher beschrieben hat.

So viel Zeit ich täglich auf meine litterarischen Arbeiten verwenden mußte, so blieb mir doch noch genug zum Sehen übrig. Besonders genußreich war der Besuch des königlichen Museums und der damaligen Kunstausstellung, letztere arm an historischen Bildern, desto reicher aber an schönen Landschaften, wodurch sich die niederländische Schule noch immer auszeichnet.

Ich fühlte mich bisher recht heimisch: ich lebte ja ganz nach Wunsch, ich konnte sehr bequem arbeiten – und dennoch bekam ich einen Anfall von Heim weh, der mich dermaßen traurig und unruhig machte, daß ich eines Mittags einpackte und sofort abreiste. Wehmüthig wurde mir, als ich den l7. September nach 15 Jahren wieder in das alte gastliche Haus zu Leiden eintrat.

[228] Dr. Salomon hieß mich herzlich willkommen. Ich bezog meine alte Wohnung und war sofort angenehm und bequem eingerichtet. Ich besuchte zunächst die alten Freunde und Bekannten: Tydeman, van der Palm, Siegenbeek, van Assen, Clarisse, Bake, Geel, van Kampen. Das waren die wenigen noch übrig gebliebenen aus der alten Zeit; sie waren zum Theil recht alt geworden, einige hatten viel häusliches Leid erfahren, nur Tydemann hatte seine jugendliche Regsamkeit und Geistesfrische bewahrt. Ich lernte nun mehrere Professoren und Gelehrte kennen, die seit 1821 bei der Universität und ihren verschiedenen Anstalten einen Wirkungskreis fanden: Reinwardt, Hofman Peerlkamp, Kist, Wttewaall, van der Chijs, C. Leemans, Janssen, Bergman, Schrant, – oder eine unabhängige Stellung einnahmen: Kluit, Bodel Nijenhuis, Jos. Hoffmann und Carl Ludwig Blume, Herausgeber der Flora Javae. Gemeinsame oder verwandte wissenschaftliche Bestrebungen brachten mich mit dem einen und dem anderen in nähere Beziehung.

Schon in Groningen hatte ich erfahren, daß mir vom Könige der Niederlande die große goldene Medaille ertheilt worden sei. Ich fand es passend, persönlich meinen Dank auszusprechen. Der König gab an gewissen Tagen allgemeine Audienzen. Ich fuhr zu einer solchen nach dem Haag hinüber. Der König empfing mich und redete mich deutsch an: ›Habe ich schon mal das Vergnügen gehabt Sie zu sehen?‹ Nachdem ich meinen Dank dargebracht hatte, äußerte er seine Freude, daß ich als ein Fremder so glücklich im Finden gewesen sei und mich so eifrig mit der alten Sprache und Dichtung der Niederländer beschäftige. Der König war überaus huldvoll und ich ging sehr befriedigt heim. Nachher besuchte ich Holtrop, Bibliothecar der königlichen Bibliothek, und bekam alle Handschriften zu sehen die ich zu sehen wünschte. Abends war ich wieder in Leiden.

Meine Zeit war getheilt zwischen Arbeiten und Besuchen. Zu Spaziergängen war das Wetter zu schlecht, und da es kein Wirthshausleben wie bei uns giebt, so mußte ich zu Hause bleiben oder zu Freunden und Bekannten gehen. Die späten Abendgesellschaften bekamen mir sehr schlecht, und doch mußte ich mich in die Landessitte fügen. Etwas Eigenthümliches in dem holländischen Leben lernte ich kennen, als ich an einer öffentlichen Versammlung der Genootschap van fraaije Kunsten en Wetenschappen theilnahm. [229] Bei schönem Wetter fuhr ich mit Professor Bake nach einem Wirthshause hinaus, das an der Haager Straße liegt und Huis ten Dijk heißt. Wir fanden schon einige Mitglieder, bald kamen mehrere, um 121/2 Uhr begann die Sitzung. Bake hielt einen Vortrag über Beredtsamkeit. Dann folgte der Rechenschaftsbericht über den Stand der Gesellschaft, Einnahme und Ausgabe und Preisfragen. Darauf gehen wir im Garten spazieren. Ich mache einige neue Bekanntschaften: Collot d'Escury, le Jeune etc. Unterdessen ist angerichtet. Ein wirklich glänzendes Gastmal beginnt. Nach und nach wird die Unterhaltung lebendiger, aber erst beim Nachtisch überläßt man sich der Fröhlichkeit. Da folgt Trinkspruch auf Trinkspruch. Auch mir wird ein Hoch ausgebracht. Ich danke mit einigen Worten, die mir eben einfallen:


Leve de wetenschap de altijd groeijende,
Leve de kunst de altijd bloeijende,
De President en de Secretaris!
Zoo dankt een vreemdeling die ook daar is.

Ein junger Dichter trägt dann ein langes Gedicht vor. Er fragt mich um meine Meinung über die Art seines Vortrages. Ich kann nur bemerken, daß die holländische Vortragsweise weder unserem Gefühle noch unserem Geschmacke zusagt. Jetzt wird gesungen, und so muß ich mich denn auch hören lassen. Ich singe: ›Das Volk steht auf, der Sturm bricht los‹, und: ›E jede will de Schönste‹. Erst Nachts 1 Uhr kehren wir heim.

Am 5. October verließ ich Leiden. Den 7. Abends kam ich nach Bonn. Als ich den anderen Morgen in den Straßen umherwanderte, tauchten unendlich viele Erinnerungen auf. Ich erkundigte mich nach meinen früheren Wirthen und Bekannten – die meisten waren verkommen oder verschollen oder gestorben. Ich wurde wehmüthig gestimmt. Ich machte einige Besuche. Welcker lud mich zum Mittagessen ein. Nach Tische ging ich allein nach Poppelsdorf. Es war mir wie damals als ich zum ersten Male denselben Weg ging, aber die schöne Aussicht nach dem Siebengebirge war nicht mehr, sie war zugebaut worden. Ich suchte meine alte Wohnung und konnte sie lange nicht wieder finden: das Haus war umgebaut, der frühere Besitzer gestorben, seine Familie ausgewandert. Am Abend kam ich mit mehreren Professoren zusammen,[230] ich kannte keinen einzigen. Es war mir Alles so fremd, daß ich schon den dritten Tag weiter reiste. Meine wehmüthige Stimmung begleitete mich und stellte sich noch später wieder ein. So entstanden die ›Poppelsdorfer Erinnerungen‹: 33


Ihr blauen Berge seid es wieder,
Du bist es wieder, grünes Thal!
Hier sang ich meine ersten Lieder,
Ich liebte hier zum ersten Mal.

Von Linz ab reiste ich mit Karl Simrock. Wir kehrten in Coblenz in den Riesen ein und wollten unsern alten Universitätsgenossen Peter Adams begrüßen. Da hieß es, er wäre im Theater, heute würde der Glöckner von Notre Dame ausgepfiffen. Dies war bereits versucht worden, als wir ins Parterre eintraten, die Ultramontanen waren in die Flucht geschlagen und der Glöckner wurde ugestört bis zu Ende gespielt. Man sah uns groß an, als wir uns nach einem Mitpfeifer erkundigten. Den anderen Morgen kam Adams zu uns und lud uns zu Mittag ein. Obschon bei Tische unser Bonner Leben der Hauptgegenstand der Unterhaltung war, so konnte es doch nicht fehlen, daß das Gespräch immer wieder in die Gegenwart hinüber spielte, und dann war es für unser einen nicht angenehm, ich fühlte mich so unfrei, es ward mir so unheimlich, so beklommen. Alle meine alten Coblenzer Freunde standen mit an der Spitze des sogenannten Glaubensheeres, und bildeten den Kern der deutschen Ultramontanen. Mit solchen Leuten kann ein ehrlicher Deutscher nicht gemüthlich verkehren. Ich fühlte mich erst wieder frei und froh bei meinem lieben biedern, freisinnigen, klaren und gemüthlichen Carl Bädeker.

Ich reiste mit Schnell- oder Extrapost weiter. Erst in Göttingen hielt ich Rast. Den 13. October gegen Abend kam ich an und kehrte bei den Brüdern Grimm ein. Der Empfang war ein überaus herzlicher. Wilhelm war sehr leidend und reizbar, ich verkehrte meist nur mit Jacob. Dieser fragte mich, ob ich noch geneigt wäre in Gesellschaft zu gehen, Otfried Müller habe zur Einweihung seines neuen Hauses seine Freunde eingeladen. Ich war bereit. Zu rechter [231] Zeit fanden wir uns ein. Müller, der mich schon von Berlin her kannte, empfing mich sehr freundlich. In den großen hell erleuchteten Räumen bewegte sich die feine Welt Göttingens. Man begrüßte sich, wurde einander vorgestellt, sprach etwas, trank Thee, später Wein und suchte sich sehr anständig zu vergnügen. Anfangs bewahrte auch ich den echten Salonton. Als mich Jacob Grimm dem Professor Gervinus vorstellte und unser beider Namen nannte, verbeugten wir uns sehr artig und sahen uns an und sprachen kein Wort. Nach dieser geistreichen Unterhaltung wendeten wir uns wieder der übrigen Gesellschaft zu. Da rief ich für mich: ›Ich bin des trocknen Tons nun satt‹ und setzte mich mit Siebold und einigen lustigen Gästen in einem Nebenzimmer zusammen. Hier fingen wir an uns allerlei hübsche Geschichten zu erzählen und entwickelten eine ungemeine Herterkeit. Ich war unerschöpflich, fand ein sehr dankbares Publicum und dachte: Hofrath hin! Hofrath her! Hoffart muß Zwang leiden. Den andern Tag war ganz Göttingen noch voll von meinen Geschichten und mancher lachte noch nachträglich. Selbst Wilhelm Grimm, der doch viel Geschichten wußte und gern und gut erzählte, hätte den Abend nicht gegen mich ankommen können.

Die folgenden Tage machte ich Besuche bei von Siebold, Gieseler, Otfried Müller, Dahlmann, Benecke, Höck. Jacob zeigte mir alle neueren Erscheinungen auf dem Gebiete der deutschen Sprachwissenschaft, und auf der Bibliothek sah ich mir das Fach der deutschen Litteratur näher an. Benecke lud uns zum Abendessen ein. Ich ging zeitig hin, Jacob folgte erst später nach, er war kein Freund des Tabaksgeruchs und wußte, daß Benecke gerne vorher rauchte. Benecke kannte ich schon früher von der Bibliothek her; ich sah ihn dort in den weiten Sälen feierlich einherschreiten, den Hut etwas seitwärts zur Linken gerückt, ohne eine Miene zu verziehen. Ich ahndete nicht, daß derselbe Mann gemüthlich und heiter sein konnte. Kaum hatte er mich begrüßt und willkommen geheißen, so bot er mir eine Pfeife an: ›Es ist der edelste Genuß den die Welt hat; die neuere Cultur möchte uns gern auch darum bringen.‹ Als das Abendessen bereit war, erschien Jacob Grimm. Bei Tische entspann sich eine vielseitige und heitere Unterhaltung. Benecke erzählte: ›Der Iwein ist vergriffen, Reimer will abrechnen.‹ ›Nun, sagte Jacob schalkhaft lächelnd, da hätten Sie uns wol mehr aufwichsen können!‹ [232] Es war ein angenehmer Abend, der uns noch am anderen Morgen ergötzte. Jacob war so heiter gestimmt, daß er im 4. Theile seiner Grammatik, woran er eben arbeitete, eine Anmerkung gegen Benecke strich.

Sonntag-Abend den 16. October nahm ich Abschied und reiste den folgenden Morgen in aller Frühe mit der Post nach Hannover und von da mit Extrapost nach Bothfeld zu meinen Verwandten. Zwei Tage war ich in Bothfeld, oder eigentlich in Hannover, denn jeden Tag machten wir dahin einen Spaziergang.

Bei Pertz war ich mit meinem Schwager etwa eine Stunde. Wir sprachen viel über Handschriften und Bibliotheken. Den andern Tag ging er mit mir auf die königliche Bibliothek, ich sah mir die Handschriften alle an, durch seine Vermittelung erhielt ich später mehrere geliehen. Die Bibliothek glich mehr einer Rumpelkammer, wohin man Dinge schafft die man anderswo nicht unterbringen kann.

Den 20. October reiste ich mit meiner Schwester und ihrer Tochter Alwine in meine Heimat. So ein Stück Lüneburger Heide wie über Burgdorf und Uetze läßt sich nur mit Geduld und Humor angenehm durchreisen. Der Kutscher mit seinen Ackerpferden übereilte sich nicht, die Wege waren schlecht, oft gar nicht vorhanden; wir fuhren meist nur der Richtung nach. Endlich in der Dunkelheit waren wir da. Ich sprang vom Wagen herab, setzte mir einen Frauenhut auf, hüllte mich in meinen Mantel, machte mich ganz klein und spazierte so am Arme meiner Schwester in das elterliche Haus. Niemand kannte uns. Neugierig kamen die Unsrigen herbei, becomplimentierten uns und führten uns in ein Nebenzimmer. Da erhob ich mich und – die freudigste Ueberraschung war gelungen. Das Wetter war schön, meine Stimmung noch schöner: ich war sehr lustig und die Meinigen waren es auch, besonders meine Mutter.

Den 25. October traf ich in Berlin ein, den folgenden Tag hatte ich Audienz beim Minister und den 30. war ich wieder in Breslau. Wol hegte ich die Hoffnung, künftighin, unangefochten in meinen amtlichen Beziehungen, heiter und zufrieden meiner Wissenschaft leben zu können. Diese Hoffnung sollte nie in Erfüllung gehen: die Breslauer Bibliothek war und blieb einmal mein Plagegeist. Den 14. November meldete mir GR. Heinke meine Ernennung zum ersten Custos mit 440 Rb. Gehalt (also 160 Rb. und 7 Klafter hartes Holz [233] weniger als mein Vorgänger!). Er bemerkte jedoch: ›Dabei hat jedoch das hohe Ministerium ausdrücklich nicht für nothwendig befunden, Ihre diesfälligen Geschäfte durch eine Ihnen speciell zu ertheilende Dienst-Instruction festzustellen.‹ Ich war also von neuem der Willkür des Oberbibliothecars preisgegeben. Der alte Zankapfel war geblieben.

Ich war bis jetzt immer noch Professor ordinariusdesignatus und hatte als solcher nur Ein Jahr das Recht, Mitglied der Facultät mit Sitz und Stimme zu sein. Ich dachte schon lange wie die Frau meines Collegen R., diese bat jedes halbe Jahr, wenn der Katalog erschien, ihren Mann: ›Schaff Dir doch das ekliche Des vom Leibe!‹ Dazu gehörte, daß man erstlich eine lateinische Abhandlung verfaßte und drucken ließ und zweitens dieselbe in lateinischer Sprache vor den dazu eingeladenen Mitgliedern der Universität öffentlich vertheidigte. Meine Abhandlung war bereits gedruckt: Caerl ende Elegast critice editus. Da niemand an der Universität vom Niederländischen etwas verstand als der Dr. August Geyder, damals ein hoffnungsvoller, beliebter Privatdocent in der juristischen Facultät, so wählte ich ihn zum Opponenten. Es fehlte mir noch ein Opponent und ein Respondent. Zu jenem verstand sich Karl Gabriel Nowack, später bekannt geworden durch Herausgabe eines schlesischen Schriftsteller-Lexikons. Mein Respondent wurde der ausgezeichnete lateinische Lexikograph Dr. Wilhelm Freund. Um die lateinische Comödie recht schön in Scene zu setzen, war eine Vorbereitung nöthig: wir kamen alle vier zusammen und beschlossen, die und die Punkte sollten so und so angegriffen und vertheidigt werden.

Der 22. December, der Tag meiner Habilitation erschien. Es waren zugegen Rector und Senat, der Decan und viele Mitglieder der philosophischen Facultät. Das Publikum war sehr zahlreich: viele Studenten, die sonst selten zu dergleichen Feierlichkeiten erscheinen, hatten sich eingefunden, alle neugierigst harrend der Dinge, die da kommen sollten, denn es hieß in der Stadt: ›Der Hoffmann spricht heute lateinisch‹. Ich hatte mit meinem Respondenten in einer Bank Platz genommen, vor mir in einer anderen saßen die beiden Opponenten. Ich erhob mich und bewillkommnete mit den gewöhnlichen hochtrabenden Floskeln die Anwesenden. Se. Spectabilität antwortete darauf eben so hochtrabend. Die Disputation begann. Mein Respondent [234] sprach sehr fließend und widerlegte glänzend alle Einwürfe der Opponenten, so daß diese nach einiger Zeit nichts mehr vorzubringen wußten. Da sagte ihnen denn der Respondent viel Schmeichelhaftes, diese wieder ihm und alle endlich mir. Ich erhob mich und dankte und wollte eben, als Se. Spectabilität schon das Ganze für geschlossen zu betrachten schien, abtreten, da wendete sich noch einer meiner Collegen, Professor Kutzen, an mich. Auf einen solchen Ueberfall ex corona – wie es auf gut ciceronianisch heißt – war ich nicht vorbereitet und hatte auch keine Lust, mit meinem mittelalterlichen Latein glänzen zu wollen. Kutzen fragte mich, warum ichcritice editus gesagt hätte, passender wäre wol gewesen etc. Ich that als ob ich mich zur Vertheidigung anschickte, nahm mein Büchlein in die Hand, sah hinein und sprach dann mit lauter fester Stimme: ›Concedo.‹ Ein lautes Gelächter erscholl und lächelnd empfahl ich mich und sang für mich den Schluß des bekannten Bierliedes:


Und Hermann der Sieger
Zog jubelnd davon.
Fußnoten

1 Stiftsgebäude der Augustiner Chorherren, aufgehoben 1810.

H.

2 Horae belg. P. I. ed. 2. p. 80.

H.

3 S. Wilh. Müller's Brief und meine Erläuterungen dazu in meinen Findlingen S. 211–214.

H.

4 Ges. W. Bd. I. S. 208–210. – Den Namen ›Eintagschönchen‹ hat H. wahrscheinlich gewählt mit Rücksicht auf eine ihm bekannt gewordene Sammlung von Gelegenheitsgedichten, die der Freiherr von Meusebach nach und nach hatte drucken lassen und unter dem Titel zusammengestellt hatte: ›Eintagschönchen auf- und abgeblüht zu Koblenz an dem Rheine‹ (1814–1818. 52 SS. in 8°); Näheres über diese Meusebach'sche Sammlung in Cam. Wendeler's ›Fischartstudien des Freiherrn ... von Meusebach‹ (Halle. 1879. S. 41. 42.).

G.

5 Ges. W. Bd. II. S. 82–87 und S. 397. Anm. 21.

G.

6 Vgl. Ges. W. Bd. VI. S.6. 7.

G.

7 2–4. Februar 29.

H.

8 Gedruckt in meiner Monatschrift von und für Schlesien 1829. S. 394–403.

H.

9 Meusebach hatte in Dillenburg gewohnt und besaß auch dort noch ein Haus. Maßmann hatte das erfahren und wendete sich eines Tages wegen der Handschriften der dortigen Universitäts-Bibliothek, Dillenburg mit Dillingen verwechselnd, an Meusebach.

H.

10 Monatschrift S. 179–190.

H.

11 Monatschrift S. 639–661.

H.

12 Fundgruben für Geschichte deutscher Sprache und Litteratur herausgegeben von Dr. Heinrich Hoffmann. 1. Theil. Breslau. 1830. bei Grass, Barth u.C. 8°. VIII. 400 SS.

H.

13 Frau von Winterfeld, Gattin des mehrfach rwähnten Oberlandesgerichts-Rathes Carl von Winterfeld.

G.

14 Kalitte brandenburgisch der Schmetterling.

H.

15 Davida von Thümen. Näheres s. die Nachträge.

G.

16 Ges. W. Bd. I. S. 226ff. und S. 400. Anm. 56.

G.

17 Brief vom 18. November 1830 an Angelica von Thümen; s. Nachträge.

G.

18 Dieselben sind in die Ges. W. nicht aufgenommen. Sie sind von H. veröffentlicht in der Brockhaus'schen Ausgabe seiner ›Gedichte‹. (Leipzig. 1834. Erstes Bändchen. S. 259–290).

G.

19 Merkel war Oberpräsident der Provinz Schlesien.

H.

20 Fanny Lewald erwähnt ihre damalige Bekanntschaft mit Hoffmann in ihrer ›Lebensgeschichte‹ (Neue Ausgabe. Berlin 1871. Bd. II. S. 84) nur ganz flüchtig.

G.

21 Thümen.

G.

22 15. März. ›Noch eine Herzensfrage: wie steht es mit Ihrer beabsichtigten Heirat? Man hat hierüber nachtheilige Gerüchte verbreitet, denen ich gerne widersprechen möchte.‹ Es erfolgte darauf meinerseits eine gehörige Antwort.

H.

23 Aus einem Briefe H.'s an Henneberg.

G.

24 Ein Beitrag zur deutschen Litteraturgeschichte des 16. u. 18. Jahrhunderts. Breslau. Hentze 1833. 8°.

H.

25 Unser Freund Dr. Moriz Haupt, ein täglicher Augenzeuge unserer Freuden, aber auch unserer Leiden, hat kurz, einfach und wahr von allen diesen Dingen Bericht erstattet in den ›Wiener Jahrbüchern‹ Bd. LXVII; ein besonderer Abdruck, 24 Seiten, erschien unter dem Titel: ›Zu Endlicher's und Hoffmann's Ausgabe der Wiener althochdeutschen Fragmente. Von Moriz Haupt‹ (Wien. Carl Gerold. 1834).

H.

26 Vollständig und mit den Ergänzungen von mir mitgetheilt in Haupt's Zeitschrift für deutsches Altertum 3. Bd. (1843) S. 460–467.

H.

27 Vocabularius latino-teutonicus sec. XI. in Haupt's Zeitschrift. 3. Bd. S. 368–381.

H.

28 De cognitione metri in den Altd. Blättern. 1. Bd. S. 212–215.

H.

29 Der erste Band erschien 1835. 36, der zweite 1837–1840; jeder Band besteht aus vier Heften.

H.

30 Der erstere Trinkspruch ist in die Ges. W. nicht aufgenommen; der zweite findet sich Ges. W. Bd. VI. S. 10.

G.

31 Buch der Liebe von Hoffmann von Fallersleben. Breslau bei Georg Philipp Aderholz. 1836. 8°. 96 SS. – vgl. Ges. W. Bd. I. S. 249–311.

G.

32 Die deutsche Philologie im Grundriss. Ein Leitfaden zu Vorlesungen von Dr. Heinrich Hoffmann. (Breslau. Aderholz 1836. 8°. XXXXII und 239 SS.), dem Geheimerath Dr. Johannes Schulze gewidmet.

H.

33 Ges. W. Bd. I. S. 313–316 und S. 402. Anm. 67.

3. Band
[235] [237]Dritter Band.
(Breslau, 1837 bis 1842).

Das neue Jahr 1837 begann ich mit dem bangen Gefühle, daß mir viel Ärger und Verdruß aus meiner Bibliotheksstellung erwachsen, und daß ich selten einer so ruhigen, heiteren Stimmung des Gemüths mich erfreuen würde, um zum Dichten zu gelangen. Auch fürchtete ich für meine wissenschaftlichen Arbeiten, welche vielen ungestörten Fleiß erforderten. Mir war seltsam zu Muthe, als ob es mit meiner dichterischen Thätigkeit von jetzt an vorbei wäre und das Inter arma silent Musae auch für mich seine Bestätigung gefunden hätte. Wehmüthig wie man den Nachlaß eines lieben Freundes sichtet und ordnet, um das Beste daraus der Welt mitzutheilen, so ging ich an meine Gedichte, die seit 1834 entstanden waren. Von den wenigen wählte ich nur wenige aus. Die Reinschrift war bald vollendet. Ich schickte sie an Moriz Haupt, mit dem ich eben damals in lebhaftem freundschaftlichen Verkehre stand, und bat ihn um eine strenge eingehende Kritik. Zu meiner großen Freude erfüllte er meine Bitte, schon den 16. Januar sendete er mir meine Handschrift zurück mit seinen Urtheilen über manche Gedichte und mit allerlei Bemerkungen über Einzelnes, die ich denn auch mit vielem Danke benutzte. Diese Gedichte erschienen bald darauf als ›Neue Sammlung‹ bei meinem Freunde G.P. Aderholz in Breslau.

Unterdessen war auch der Druck des 2. Theiles meiner Fundgruben begonnen. Es ging sehr langsam damit. Die Correctur [237] machte mir viel zu schaffen, da ich sehr gewissenhaft verfuhr. Zweimal verglich ich bei zweiter Correctur jeden Bogen und lief dann noch in die Druckerei um nachzusehen, ob nicht doch noch ein Fehler stehen geblieben.

Die Bibliothek, meine Vorlesungen und Fundgruben nahmen meine ganze Zeit in Anspruch, ich arbeitete viel und war sehr aufgeregt, hatte aber doch wenigstens äußerlich Ruhe. Doch es war nur ein Waffenstillstand, denn schon im Februar begannen wieder die Feindseligkeiten.


[Auch diesmal handelte es sich um die Anzahl der Dienststunden auf der Bibliothek und um die Führung des Ausleihejournals. Während Hoffmann in dem ersten Punkte der Behörde entgegenkam, weigerte er sich, als erster Custos das Ausleihejournal weiter zu führen, da er als zweiter Custos zwölf Jahre diese Arbeit allein gehabt habe. Daraufhin machte der Regierungsbevollmächtigte Heinke, der Nachfolger Neumanns, seine Drohung wahr und hielt Hoffmanns Custodengehalt zurück, bis eine Entscheidung vom Ministerium erfolgt wäre. Daher versuchte Hoffmann in einer Eingabe vom 21. März das Ministerium zu einer für ihn günstigen Entschließung zu bewegen.]


Den 2. April beging ich meinen 40. Geburtstag. Ich war ernst, aber doch nicht muthlos; vertrauensvoll sah ich der Zukunft entgegen und sprach das in einem Gedichte 1 aus. Freilich war ich dann auch wieder sehr wehmüthig gestimmt, und ich litt manchen Tag, manche Nacht wie am Heimweh. Nur dann und wann gelang es mir, mich durch das Dichten zu trösten. So entstand jenes, auch von Anderen vielgesungene Lied:


Abend wird es wieder:
Über Wald und Feld
Säuselt Frieden nieder
Und es ruht die Welt. 2

[238] In meinem einsamen und unbehaglichen Leben ward mir doch manche Theilnahme, manche Freude. Ich unterhielt einen lebhaften Briefwechsel mit befreundeten Gelehrten und Künstlern, der sehr anregend und lehrreich war. Meine Gedichte fanden freundliche Aufnahme und wurden viel und mitunter glücklich componiert. Meine wissenschaftlichen Werke hatten sogar außerhalb Deutschlands Freunde gefunden. Angenehm überrascht wurde ich durch einen Brillantring, welchen mir der König der Belgier verehrte, und zu besonderer Freude gereichte mir, daß Jacob Grimm auch mir unter ›Den mitforschenden Freunden‹ den 4. Theil seiner Grammatik gewidmet hatte.

Da ich ohne Bescheid auf mein Schreiben vom 21. März an das Ministerium geblieben war und mir mein Custodengehalt fortwährend zurückgehalten wurde, so machte ich abermals und zwar am 26. Mai einen gründlichen Versuch, das Ministerium zu einer mir günstigen Entscheidung zu bewegen 3

Es erfolgte keine Antwort.

Am 14. August kam ich beim Ministerium um Urlaub ein zu einer Reise nach Belgien, und legte zugleich bei den 2. Theil meiner Fundgruben und den 5. der Horae belgicae 4 nebst einer amtlichen Bescheinigung meiner gehaltenen Vorlesungen. Den 3. September erhielt ich Reiseurlaub, durfte aber nicht abreisen, bevor ich das Geschichtsfach revidiert hatte. Das geschah und am 5. zeigte mir der GR. Heinke an, ich könne reisen, und ich reiste am folgenden Tage ab.

Wie einem Gefangenen zu Muthe sein muß der nach jahrelanger Haft endlich aus seinem engen, düstern, dumpfen Kerker befreit [239] wieder den Himmel sieht und die freie Luft athmet, so fühlte ich mich wieder frisch und froh, wie neugeboren als ich den Postwagen bestieg. Obschon ich die erste Station ohne alle Gesellschaft war, so verging mir doch die Zeit rasch genug, ich machte die schönsten Pläne für die Zukunft.

Ich verweilte einige Tage in Berlin, machte mehrere Besuche, wurde mit meinem Bruder viel eingeladen und verlebte mit seinen und meinen Freunden manche heitere Stunde. Schon den 9. September hatte ich Audienz beim Minister von Altenstein. Er empfing mich sehr freundlich und erkundigte sich theilnehmend nach meinen Studien und den Breslauer Verhältnissen. Ich äußerte mich sehr frei und bat ihn abermals um eine baldige Versetzung an eine andere Universität.

Am 12. September ging ich zum GR. Joh. Schulze. Wie ein Wüthender trat er mir entgegen:

›Was wollen Sie?‹

›Nichts, Herr GR., als Ihnen meine Aufwartung machen.‹

›Alle Welt ist unzufrieden mit Ihnen, Alles ist gegen Sie. Uber keinen Menschen ist so viel geschrieben als über Sie. Es ist eine widerwärtige, fatale Sache. Ich werde den Minister bitten, mich davon zu dispensieren. Sie haben es aufs Äußerste gebracht. Es wird an den König gehen. Heinke nimmt seinen Abschied.‹

Ich entgegnete ganz ruhig, er wurde heftig und immer heftiger, daß ich denn endlich auch nicht ruhig und sanft blieb. Dreimal empfahl ich mich und jedesmal: ›Herr GR., ich hoffe, daß ich Ihnen nie wieder Veranlassung geben werde, so aufgebracht gegen mich zu werden –‹.

Denselben Tag verließ ich Berlin. Am 20. September in der Morgendämmerung kam ich in Löwen an. Nachdem ich gefrühstückt hatte, eilte ich zum Bahnhofe. Ich war sehr gespannt; ich hatte bis jetzt noch keine Eisenbahnfahrt gemacht. Kaum war das Zeichen angelangt, daß der Zug nahe, so waren alle Uebergänge der Bahn abgesperrt. So eben sah ich erst den Dampf in der Ferne, und da ward auch schon der Zug wie im Nu sichtbar und hielt an. Ich war außer mir vor Erstaunen, unwillkürlich trat ich zurück, als der Zug daher brauste. Ein ganzes Bataillon Soldaten stieg aus, ordnete sich und zog unter Trommelschlag zur Stadt hinein. Nach einer Weile war der Zug wieder zur Rückkehr bereit. Das Zeichen zum [240] Einsteigen wurde gegeben und gleich darauf zur Abfahrt. Ich kam aus meinem Erstaunen gar nicht heraus und war nicht wenig verwundert, daß auch nicht ein einziger meiner vielen Reisegenossen auch nur die Miene verzog, die neue wunderbare Art der raschesten Reisebeförderung schien jedem schon etwas ganz Gewöhnliches geworden zu sein.

In Mecheln mußte ich mehrere Stunden warten bis der Zug nach Dendermonde ging. Von hier ab bis Wetteren war die Bahn noch nicht eröffnet, die Weiterbeförderung geschah durch Postwagen. Erst des Abends gelangte ich in Gent an und kehrte in den Wiener Hof ein. Ich eilte sofort zu Willems. Er war nicht zu Hause, ich durfte aber nicht lange auf ihn warten. Er hieß mich herzlich willkommen und lud mich ein bei ihm zu wohnen, damit wir gegenseitig besser mit einander verkehren könnten. Ich nahm die freundliche Einladung an und den folgenden Tag (21. September) zog ich bei ihm ein.

Willems ist eine stattliche Gestalt, die gerade Haltung seines Körpers, der Ernst in seinem Gesichte und die ruhige bedächtige Sprache geben ihm eine gewisse Würde, die darauf hindeutet, daß er in der Gesellschaft eine hervorragende Stellung einnehmen müsse. Und diese hatte er auch in Folge seiner früh gehegten aufopfernden Liebe für alles Vlämische in Sprache, Dichtung und Sitte. Seit seinem ersten Auftreten als Schriftsteller mit seiner Verhandeling over de nederduytsche Tael- en Letterkunde (1819–1824) hat er durch eine Reihe von Werken die Liebe für das Vlämische bei seinen Landsleuten zu erwecken gewußt. Er galt für den tüchtigsten Kenner der alten vlämischen Sprache und in ihm war der Mittelpunkt aller der Bemühungen, das Vlämische, die Volkssprache Brabants und Flanderns als Schrift-, Schul- und Staatssprache wieder zur Geltung zu bringen.

So hatte ich denn mit Willems viele gemeinschaftliche Bestrebungen, und der Verkehr mit ihm war ein traulicher, angenehmer, anregender und lehrreicher. Er stellte mir bereitwilligst seine reiche Bibliothek und seine mancherlei Sammlungen zu beliebigem Gebrauche und vermittelte mir die Benutzung vieler wichtigen Handschriften. Durch seine Fürsprache erhielt ich die reiche van Hulthemsche Handschrift (Cod. Hulth. No. 192) geliehen, und nahm mir Abschrift von den[241] merkwürdigen alten Schauspielen, die ich später alsHorae belgicae Pars VI. herausgab. Durch ihn lernte ich mehrere Gelehrte in Gent kennen, so wie auch das dortige gesellige, wissenschaftliche und künstlerische Leben und Treiben. Er führte mich ein in die Ressource, die Concordia und die Maetschappy van vlaemsche Letteroefening, die mich am 22. September zu ihrem Mitgliede aufnahm.

Willems bot Alles auf, mir den Aufenthalt in Gent recht angenehm zu machen. Wenn wir uns Stunden lang unterhalten hatten über alte Dichtungen und Handschriften, dann pflegten wir Volkslieder zu singen. Willems, selbst sehr musicalisch, setzte sich dann ans Fortepiano und trug einige seiner Lieblingslieder vor, und so eigenthümlich und allerliebst, daß ich mich noch lange nachher in der Erinnerung daran erfreute.

Eines Nachmittags war ich von Serrure zum Kaffee eingeladen. Ich traf dort einige Professoren, auch W.G. Raßmann, der mir als Vergleicher und Ergänzer der Manessischen Sammlung für von der Hagen bekannt war. Raßmann hatte sich später anderen Studien zugewendet und war Professor an der Universität zu Gent geworden. ›Nun, fragte er mich, wohin werden Sie denn von hier reisen?‹ – Scherzhaft erwiederte ich, aber scheinbar mit einer gewissen Zuversicht: ›Jetzt gehe ich nach Valenciennes und entdecke dort das Ludwigslied.‹ Man lachte und ich lachte mit.

Den folgenden Tag (26. September) um 3 Uhr verließ ich Gent, übernachtete in Mecheln und ging über Brüssel nach Valenciennes.

Nach einer langweiligen schlaflosen Nacht kam ich hier den 28. September gegen Mittag an, halb krank und sehr verdrießlich. Ich frage sofort nach dem Bibliothecar. Nachdem ich ihn gefunden, führt er mich in die Bibliothek. In dem ersten Zimmer links vom Eingange sehe ich unter den Büchern viele alte Bände. Ich frage, ob ich wol die Bücher der Reihe nach durchsehen könne. Er hat nichts dawider. Jetzt beginne ich hoffnungsvoll mein Suchen. Viele Handschriften stehen zwischen den Büchern. Als ich mit den ersten drei Reihen, den Folianten, fertig bin, machen wir Mittagspause. Gegen 2 Uhr finde ich mich wieder ein und fahre mit dem Durchsehen fort. Da ich die Bücher nicht mehr von unten abreichen kann, so besteige ich eine Leiter. Schon bin ich wieder mit einer Reihe fertig, da bitte ich den Bibliothecar eine zweite Leier für sich zu holen und mir die [242] Bücher zu reichen. Schon beim zehnten Buche etwa schreie ich jubelnd auf und schlage meinen Nachbar vor Freuden auf die Schulter, daß er fast das Gleichgewicht verliert: ›Voilà, Monsieur!‹ Der alte Büffeleinband mit den Schriften des Gregorius von Nazianz hatte mich nicht betrogen. Auf der Rückseite des 141. Blattes steht das Ludwigslied, und wie bin ich erstaunt, zugleich das älteste romanische Gedicht, ein Lobgesang auf die heilige Eulalia, bisher völlig unbekannt.

Ich nahm mir sofort Abschrift und stellte wiederholte Vergleichungen an. Meine Freude war groß: wie ein Feldherr nach einer gewonnenen Schlacht zog ich triumphierend in meinen Gasthof ein. Ich vergaß alle Plagen meines heftigen Schnupfens und die Kälte meines Zimmers mit dem rothen Backsteinestrich. Ich gab die Weiterreise nach Frankreich hinein völlig auf, denn einen bedeutenderen Fund glaubte ich doch nicht machen zu können. Den anderen Morgen besuchte ich wieder die Bibliothek, ich fand noch allerlei, aber nichts von großer Bedeutung. Ich dankte dem gefälligen Bibliothecar und verließ Valenciennes, nachdem ich noch zuvor Willems meinen Fund gemeldet hatte.

Einige Tage blieb ich in Brüssel. Den 4. October des Nachmittags begab ich mich auf den Bahnhof und wollte nach Gent. Da hieß es aber: ›Der Zug geht nur nach Antwerpen.‹ Ich mochte nicht wieder umkehren, also gut, nach Antwerpen. Ich sah mir die Stadt an und las die Zeitungen. Da fand ich denn im Indépendant schon meiner gedacht: ›Mr. le professeur H. van F. vient de faire une découverte des plus importantes dans les manuscrits de la bibliothèque publique de Valenciennes‹ etc.

Am folgenden Vormittag war ich erst bei Willems. Er freute sich sehr meines Doppelfundes und hatte bereits Alles eingeleitet, daß sofort der Druck begonnen werden konnte. Es war ihm sehr willkommen, daß ich ihm für sein Belgisch Museum einen so wichtigen Beitrag beisteuerte. Ich hatte mir nur einige besondere Abdrücke ausbedungen. Noch vor Abend hatte ich Alles druckfertig gemacht, und den nächsten Morgen wanderte es in die Druckerei. Schon den 7. October besorgte ich die Correctur. Willems hat nachher aus dem von mir herausgegebenen halben Bogen ein Buch gemacht, das unter dem Titel erschien: ›Elnonensia. Monuments des langues romane et tudesque dans le IX. siècle, contenus dans [243] un manuscrit de l'Abbaye de St-Amand, conservé à la Bibliothèque publique de Valenciennes, publiés par Hoffmann de Fallersleben, avec une traduction et des remarques par J.F. Willems.‹ (Gand. Gyselynck. 1837. 4°. 34 Seiten.) Es erschien davon 1845 eine Seconde édition, revue et corrigée, wo im Titel ›découverts‹ statt publiés gesetzt ist, 67 Seiten. – Es waren wenige, aber heitere Tage, und noch heiterer die Abende, die ich in Gesellschaft mit Willems, Philippus Blommaert, Prudentius van Duyse und Professor Lenz verlebte.

Den 8. October war ich bereits wieder unterwegs. Ich blieb bis zum 13. in Löwen und trat dann die Heimreise an. In Dresden besah ich, was man hier so zu besehen pflegt: Gemäldesammlung, grünes Gewölbe, Bibliothek und Brühlsche Terrasse. Ich besuchte mehrere Schriftsteller und Künstler. Bei Julius Mosen verlebte ich einen angenehmen Abend, er las uns Einiges aus seinem Ahasver vor. Vorher waren wir zusammen bei Tieck. Ich war zu lebendig, so daß Tieck wenig zu Worte, geschweige denn zum Lesen kam. Das mochte den alten Herrn verdrossen haben, denn später erzählte mir Mosen, bei Tieck sei von mir einmal die Rede gewesen und Tieck habe bemerkt: ›Ja, es ist noch immer der alte Student.‹ Ich hatte damals wie früher und auch jetzt noch wenig Ruhe, Stunden lang still auf einem Fleck zu sitzen und mir etwas vorlesen zu lassen. So sehr ich Tieck's Vorlesetalent schätzte, so mochte ich doch dies Vergnügen nicht mit einem ganzen Abend unbeweglichen Stillsitzens, aufmerksamen Zuhörens und Schweigens erkaufen. Zu dieser Art des Dresdener guten Tons konnte ich mich nicht emporschwingen.

Den 30. October kehrte ich nach Breslau zurück.

In meiner Bibliotheks-Angelegenheit war von Seiten des Ministeriums nichts erfolgt. Das widerwärtige Gefühl der Ungewißheit dauerte für mich fort. Die Theilnahme meiner Freunde und Bekannten war mir zwar ganz lieb, vermochte aber mich nicht in dauernd heitere Stimmung zu bringen. Der Anlässe, mich heiter und frei im geselligen Verkehre zu fühlen, waren wenige, aber sie waren doch. Eines Abends war ich zum Weinprobieren von einem Gastwirth miteingeladen. Als das prüfende Geschäft im vollen Gange war, wurde die Unterhaltung sehr lebendig. Wir kamen auf das nahe bevorstehende Schillerfest zu sprechen. ›Ja, sagte einer der [244] Anwesenden, meine Herren, ich habe etwas mit Schiller erlebt, dessen sich wenige rühmen können.‹ Er erzählte nun, wie er als Student mit anderen Studiengenossen 1804 in Lauchstädt gewesen sei und wie sie Schiller zu verherrlichen versucht hätten und was sich dabei zugetragen. ›O, sagte ich, das ist ja eine wunderschöne Geschichte, die darf nicht verloren gehen.‹ Schon den anderen Tag hatte ich sie in Verse gebracht.

Das Schillerfest, der 10. November kam heran. Professor Schön führte den Vorsitz. Man hatte sich diesmal an ihn gewendet, weil man geglaubt, ich würde zum 10. November von meiner Reise noch nicht zurückgekehrt sein. Mir war dieser Präsidentschaftswechsel sehr willkommen: ich konnte mich nun als gewöhnlicher Gast freier und rücksichtsloser bewegen, mich auch zu meinen Freunden setzen und durfte mich nicht abängstigen mit der Leitung des Ganzen und der genauen Beobachtung der Rangordnung gewisser bei solcher Gelegenheit nie fehlender vornehmer Gäste.

Die Gesellschaft war in heiterster, harmlosester Stimmung. Da warf ich eine Granate hinein: ich trug vor: ›Schiller in Lauchstädt 1804.‹ 5 Ich sprach mit wahrer Seelenruhe, laut und deutlich, daß dem Hörer kein Wort verloren gehen konnte. Jeder kannte mein Verhältniß zu Heinke, jeder wußte, wie parteiisch und feindselig der Mann gegen mich intriguierte, jeder fand es wie ich unpassend, daß der außerordentliche Regierungs-Bevollmächtigte und Curator der Universität zugleich Polizeipräsident der Haupt- und Residenzstadt Breslau war. Ich war noch nicht zu Ende, so erfolgte bei den Worten:

›Und sitzt und singt, da – kommt – die Polizei‹ ein wahrhaft Homerisches Gelächter mit lautem Beifallklatschen und Seitenblicken auf Heinke. Ich hielt inne und ließ sie jubeln und klatschen, Einige suchten unter dem Tische mit den Händen ihrer Herzensmeinung Ausdruck zu geben. Nach einer Pause fuhr ich fort:

›Was will der Sklav bei freien Männern hier?‹

Ein neuer Jubel brach los. Nach einer Pause fuhr ich ruhig fort, als ob nichts vorgefallen wäre. Unter allgemeinem Jubel setzte ich mich gleichgültig thuend nieder.


[245]
Von allen Wünschen in der Welt
Nur Einer mir anjetzt gefällt,
Nur: Knüppel aus dem Sack!
Und gäbe Gott mir Wunschesmacht,
Ich dächte nur bei Tag und Nacht,
Nur: Knüppel aus dem Sack!

Mit diesem Liede, 6 womit ich später die verhängnißvollen ›Unpolitischen Lieder‹ beginnen ließ, beschloß ich das alte und begann ich das neue Jahr, also eben nicht in beneidenswerther Stimmung. Alle Gesuche, alle Audienzen beim Minister, alle Büchereinsendungen – hatten keine endliche Lösung meiner Bibliotheks-Angelegenheit herbeizuführen vermocht. Da immer nichts erfolgte, schrieb ich am 1. Februar an einen Freund meines Bruders in unserm Ministerium, ich wäre sehr bereit mein Custodiat aufzugeben und wollte gerne um meines äußern und innern Friedens willen ein großes Opfer bringen, man möchte mir nur die Hälfte des Gehalts (also 200 Rb. ) lassen. Ich bäte ihn, das gelegentlich Sr. Excellenz kundzuthun.

Den 3. März kam ich um meine Entlassung von der Bibliothek ein. Als ich keine Antwort erhielt, wiederholte ich mein Gesuch am 4. April und bat zugleich um Urlaub zu einer Reise nach Wien, um den schon in meinen Fundgruben Th. 2. S. 296 angekündigten Katalog der altdeutschen Handschriften der dortigen Hofbibliothek zu vollenden. An demselben Tage, 4. April, starb der Oberbibliothecar Wachler. Den 8. April bat ich zum dritten Male um Entlassung von der Bibliothek und erinnerte den Minister an sein Versprechen vom 11. März 1836: ›bei einer Freiwerdung anderweitiger Fonds mich von meinen Bibliotheksgeschäften zu entbinden und durch jene zu entschädigen.‹ Den 8. Mai kam ich abermals um Reiseurlaub beim Minister ein. Auf alle Eingaben erfolgte keine Antwort.

Unterdessen entspann sich zwischen mir und Unterholzner ein sehr ärgerlicher Briefwechsel. Unterholzner nahm als Nachfolger Wachler's sofort die Fehde gegen mich mit großem Geschäftseifer auf, ich sollte nun durchaus die Buchführung wieder übernehmen und [246] wenn ich das nicht wolle, so würde er einen auf meine Kosten zu remunerierenden Stellvertreter annehmen. Ich suchte mich bestens dagegen zu vertheidigen und schloß nicht eben auf freundlich collegialische Weise: ›Wollen Ew. Wohlgeboren übrigens die gegen mich beabsichtigte Maßregel in Ausführung bringen, und die Verantwortlichkeit derselben übernehmen, so betrachte ich mich von dem Augenblicke an, daß solches geschieht, als ausgeschieden aus dem Bibliotheksdienste – was ich ja ohnedies stündlich erwarte. Ich flehe inbrünstig zu Gott, daß Er mich künftighin bewahren möge vor jeder amtlichen Beziehung zu Ew. Wohlgeboren.‹ – Die von Unterholzner angeordnete Maßregel wurde natürlich vom GR. Heinke gebilligt. Diesem aber antwortete ich noch auf sein Schreiben vom 30. April an mich, daß ich mich jetzt als ausgeschieden betrachten müßte.

Ich fühlte mich nun wieder frei, aber sehr unbehaglich. Die ewige Bibliotheksfehde hatte mich endlich doch sehr angegriffen, ich war geistig und körperlich leidend. Die Poesie, die mich sonst noch getröstet und erfreut hatte, war wie für immer geschwunden, die Lust an wissenschaftlichen Arbeiten mir verleidet. Ich hatte den 6. Theil der Horae belgicae nicht mit jener Freudigkeit, wie ich begann, vollenden können, darum heißt es denn auch unter der Vorrede ›Breslau vor, in und nach der Marterwoche 1838.‹ Er erschien jetzt endlich auch noch unter dem besondern Titel:›Altniederländische Schaubühne. Abele Spelen ende Sotternien.‹

Der viele Aerger und Verdruß, dem ich täglich ausgesetzt war, wirkte nachhaltig durch die Erinnerung daran.

In dieser Lage traf mich ein Schreiben des Ministers vom 18. Mai. Ich war von dem Inhalte nicht weiter überrascht, ich wußte, daß der Minister, der sonst sich immer so wohlwollend meiner angenommen hatte, durch die ewigen gehässigen Berichte von Breslau wider mich eingenommen war. Er wolle von einer gegen mich einzuleitenden Untersuchung abstehen, da jetzt der Oberbibliothecar gestorben sei, mache aber zur Bedingung, daß ich von jetzt an die vorgeschriebenen Stunden von 9–12 Uhr der Bibliothek widme; könnte ich das mit meinen litterarischen Bestrebungen und übrigen Neigungen (von meinen Vorlesungen ist keine Rede, ich hatte letzten Winter deren 4 gehalten) nicht vereinigen, so könnte ich den 1. Juli d.J. [247] abtreten mit einem Verluste von 200 Rb. zur Remuneration für einen statt meiner anzunehmenden Custos.

Endlich schien die Stunde der Erlösung von der Bibliothek geschlagen zu haben: mein Vorsatz war gefaßt, auch der plötzlich eingetretene Tod des Professor Unterholzner am 25. Mai konnte mich nicht davon abbringen. Fest entschlossen, mein Custodiat aufzugeben, sah ich jetzt ruhig der Entwickelung der Dinge zu. Da kamen meine Freunde, mißbilligten meine Hartnäckigkeit und meinten, es sei Pflicht für mich, unter den jetzigen Verhältnissen etwas für mich zu thun. Ich war schwach genug, nachzugeben. Ich machte einen letzten Versuch und reiste nach Berlin. Den letzten Mai kam ich an und schon den Sonntag darauf, den ersten Pfingsttag, hatte ich Audienz beim Minister in Schöneberg. Der Minister war sehr freundlich und ging auf meine Bitte ein: ›mir versuchsweise die Verwaltung der Königlichen und Universitäts-Bibliothek übertragen zu wollen.‹ Den andern Tag besprach ich mich mit Schulze, und zu meiner nicht geringen Ueberraschung war er mit meinem Wunsche einverstanden und meinte, es hätten sich zwar viele gemeldet, ich sei jedoch vor allen zu berücksichtigen.

Ich trat nun wieder ein bei der Bibliothek in der guten Meinung, daß mir die alleinige Verwaltung übertragen werde. Es hatte sich übrigens schon längst wieder eine andere Ansicht im Ministerium geltend gemacht. Schon am 21. Juni erhielt ich ein Schreiben vom GR. Heinke, worin er meldete, daß es das Ministerium für räthlich erachtet habe, bis zum Eintritt des zu ernennenden Bibliothecars die Bibliothek durch eine Commission interimistisch verwalten zu lassen. Sehr schnell hatte ich die Ueberzeugung gewonnen, daß meine letzen Schritte in der Bibliotheksangelegenheit ganz vergeblich gewesen waren.

Ueber die Besetzung der Oberbibliothecarstelle waren viele Gerüchte im Umlauf. Endlich erfuhr ich als gewiß, das Ministerium würde diese vorläufig nicht wieder besetzen, und Elvenich als Bibliothecar anstellen. Und wirklich wurde Peter Joseph Elvenich, der frühere Director des Leopoldinums, Bibliothecar.

In der festen Ueberzeugung, daß Alles ohne irgend Berücksichtigung der mir gemachten Versprechungen und meiner sich von selbst ergebenden gerechten Ansprüche bereits entschieden sei, kam ich um meine Entlassung ein. In einem Schreiben vom 22. November gewährte mir [248] der Minister von Altenstein meine Bitte. Ich schrieb auf dies Schreiben des hohen Ministeriums die Verse des Thomas a Kempis:


Quum a multis molestaris,
nihil perdis, sed lucraris.
patiendo promereris,
multa bona consequeris.

Ich war nun beruhigter geworden. Ich las mit Lust und Liebe meine vier Collegia. Ganz besondere Freude machte mir das über die Litteraturgeschichte des Mittelalters. Ich lernte selbst viel dabei, es war zugleich sehr anregend für mich. Die Theilnahme der Zuhörer war eine lebendige und erhielt sich bis zum Schlusse.

Mein geselliger Verkehr beschränkte sich auf die Familien Milde, Aderholz und Professor Müller und einige Freunde. Zu diesen gehörte seit kurzer Zeit der Maler Ernst Resch. Er war im Februar von Dresden, seiner Vaterstadt, nach Breslau übersiedelt, und erfreute sich als trefflicher Portraitmaler allgemeiner Anerkennung. Sein offenes und lebendiges Wesen, verbunden mit dem liebenswürdigsten Humor, machte mir den Verkehr mit ihm lieb und werth. Wir unternahmen manchen Abend größere Ausflüge in die Umgegend und pflegten nachher bei Philippi einzukehren. Bei dem diesjährigen Schillerfeste betheiligte ich mich wieder. Ich brachte mehrere Trinksprüche 7 aus. Mein Humor hatte sein Staatsexamen bestanden, sah lächelnd auf die Vergangenheit zurück und keck und munter in jede Zukunft.

Am 31. December nahm ich Abschied von der Bibliothek, worin mir 15 Jahre lang Stoff genug geboten war, ein prächtiges Seitenstück zu schreiben zu Hufeland's Kunst, das menschliche Leben zu verlängern, nämlich: ›Die Kunst, das menschliche Leben zu – verkürzen.‹

Mit dem neuen Jahre 1839 hatte meine amtliche Schriftstellerei vorläufig ihre Endschaft erreicht, ich bekam nur noch ein Schreiben vom Ministerium, worauf keine Antwort nöthig war: ich erhielt für das Sommersemester Urlaub zu einer litterarischen Reise nach Oesterreich, [249] Baiern, Würtemberg, der Schweiz, Baden, Frankreich und Belgien. Einer angenehmeren Schriftstellerei konnte ich mich jetzt widmen.

Schon seit Jahren war ich mit Ernst Richter bemüht gewesen, in Schlesien Volkslieder zu sammeln und sammeln zu lassen. Wir nahmen jetzt eifriger die Sache in Angriff. Einen schönen Anlaß dazu erhielten wir durch eine Sammlung, die uns Dr. Bellmann vermittelt hatte. Es war darin das herrliche Lied von der schönen Hannele, welches mir anderswo noch nie vorgekommen war. Ich theilte seinen Inhalt in der Zeitung mit und knüpfte daran die Bitte, uns in unserm Unternehmen zu unterstützen. Zugleich schrieb ich sehr viele Briefe an Leute in der Provinz, bei denen ich eine thätige Theilnahme voraussetzte und bat sie um Beiträge. Richter, Musiklehrer am evangelischen Seminar, suchte seine Schüler für unser Unternehmen zu gewinnen; er machte sie aufmerksam auf Alles worauf es beim Sammeln ankomme. Da sie nun zu den nächsten Ferien in ihre Heimat gingen und vielfache Beziehungen zum Volke hatten, so durften wir von ihren Bemühungen guten Erfolg erwarten.

Die Vorbereitungen zu meiner Reise waren vollendet, ich konnte jeden Tag abreisen, ich wartete nur auf milderes Wetter. Am 7. März verließ ich Breslau. Vom 12. März bis 10. Mai blieb ich in Wien. Mein Hauptzweck war die Vollendung des schon 1834 begonnenen Verzeichnisses der altdeutschen Handschriften der Hofbibliothek. Niemand konnte mir dazu behülflicher sein als Endlicher und niemand war es auch wie er; nicht eifriger hätte er sich der Sache annehmen können, wenn es seine eigene gewesen wäre. Er sorgte dafür, daß mir alle Handschriften vorgelegt wurden, verschaffte mir die nöthigen Hülfsmittel und ermunterte mich zur Ausdauer, wenn ich mitunter die ganze Arbeit aufgeben wollte: sie war in der That durch die peinliche Genauigkeit, die immer beobachtet werden mußte, sehr angreifend und in Betreff der Ermittelung des Inhalts oft sehr trocken und unerquicklich.

Endlicher war der erste den ich besuchte. Er empfing mich sehr herzlich, er war noch ganz derselbe wie früher: theilnehmend, aufopfernd, gefällig, liebenswürdig. Wir sahen uns fast täglich. Ich war oft zu Tische eingeladen, Sonntag und Donnerstag regelmäßig. [250] Besonders angenehm aber waren die vielen Abende, die ich im Endlicherschen Hause verlebte. Seine Frau lernte ich jetzt eigentlich erst kennen, im Jahre 1834 lebte sie auf dem Lande. Cäcilia, Tochter Adam Müller's, war eine feingebildete, liebenswürdige Frau. Sie hatte viel Sinn für Poesie und überhaupt für Kunst, sie zeichnete selbst sehr hübsch. Auch ihre jüngere Schwester und ihr Bruder Albert pflegten zuweilen sich einzufinden. Es wurde dann immer viel gesprochen, gesungen, gescherzt und gelacht.

Endlicher hatte damals vielen Umgang mit J.P. Kaltenbaeck, und so kam ich mit diesem auch in nähere Berührung. Wir waren oft zusammen und unterhielten uns über österreichische Dichter, Sprache, Volkslieder, Sitten und Gebräuche. Kaltenbaeck hatte allerlei hübsche litterarische Pläne, schien mir aber nicht die gehörige Ausdauer zu haben, etwas gründlich und erschöpfend auszuarbeiten. Ich habe später nie erfahren, daß er etwas Bedeutendes geleistet hat. Er war übrigens sehr gefällig und wußte mir zu meinen Arbeiten manches Buch zu verschaffen, das ich sonst nirgend bekommen konnte.

Bei meinen anstrengenden Arbeiten und dem mitunter recht schlechten Wetter – den 3. April schneite es immer fort – war ich unwohl und endlich recht verdrießlich geworden. Endlicher suchte mich zu zerstreuen und zu erheitern. Als die schönen Tage kamen, fuhren wir öfter zusammen in die Umgegend und den Prater. Zuweilen gingen wir auch ins Theater. So sehr mich jene Fahrten in der freien, herrlich auflebenden Natur erquickten, so wenig vermochte es das eigentliche Wiener Schauspiel. An diesem Unsinn, dieser Gemeinheit in Worten und Darstellung bekam ich einen gründlichen Ekel. So sah ich im Theater an der Wieden Nestroy's verhängnißvolle Faschingsnacht, worin der Verfasser selbst den Holzhacker spielte, und noch heute ist mir die Erinnerung daran eine widerwärtige.

Mit Kopitar traf ich nur auf der Hofbibliothek zusammen. Eines Abends war ich bei Karajan. Theodor Georg von Karajan hatte sehr früh erkannt, bei seiner großen Vorliebe zu geschichtlichen Forschungen aus den Quellen, daß eine Kenntniß des Altdeutschen nothwendig sei. Seit einiger Zeit trieb er es nun mit großem Eifer. Er hatte eben das Gedicht von den Siebenschläfern herausgegeben. [251] Er ist später als Germanist mit großem Glück und reichen Hülfsmitteln thätig gewesen und hat sich namentlich um die österreichischen Dichter des Mittelalters große Verdienste erworben.

Auf der Hofbibliothek lernte ich Lenau kennen. Ich besuchte ihn später in seiner Wohnung. Er war ernst und zurückhaltend und machte den Eindruck eines Menschen, der mit sich und der Welt zerfallen war. Wir sprachen über Magyarenthum, die Lüneburger Heide, America, Tyrol – so hätte ich mich mit manchem Anderen auch unterhalten können. Vier Wochen nachher kam er mit einigen Bekannten zu mir. Wir gingen in die Birne auf der Landstraße. Der schöne Saal war überfüllt von Gästen. Wir fanden mit Mühe ein Plätzchen, und speisten sehr gut zu Abend. Lanner trug vieles auf der Geige vor und ahmte meisterhaft die Olebullschen Kunststücke nach, so daß das Publicum alle Augenblicke in lauten, anhaltenden Jubel ausbrach. Mich ergötzte die Geschichte gar sehr und ich war recht lustig. Lenau nahm wenig Theil an unserer Unterhaltung noch an dem was Lanner bot, er rauchte aus seinem wohlgepflegten Meerschaumpfeifenkopf und sah sehr gleichgültig drein. Wir sahen uns nie wieder und wären uns auch später nicht näher gekommen: wir hatten keine wechselseitige Anziehungskraft.

Den 2. Mai feierten Endlicher und ich ein hochwichtiges Ereigniß mit Champagner und Gesang, nämlich die Vollendung meines Verzeichnisses der altdeutschen Handschriften der Hofbibliothek. Die nächsten Tage hatte ich nun noch genug zu thun mit dem fünffachen Register. Endlich war auch das vollendet und in wahrer Herzenslust schrieb ich darunter:Explicit hoc Maio, gracias Deo quinquies aio.

Ich ordnete meine Papiere, nahm Abschied und am 10. Mai setzte ich meine Reise fort. Endlicher und Kaltenbaeck begleiteten mich bis Heiligenkreuz. Dort nahmen wir Abschied. Weder Endlicher noch Kaltenbaeck sah ich je wieder.

Sonntag den 12. Mai in aller Frühe fuhr ich nach Göttweih hinauf. Ich wurde ebenso freundlich empfangen wie im J. 1827 und 1834. Es waren angenehme Tage. Den Morgen verbrachte ich meist für mich auf meinem Zimmer oder in der Bibliothek. Bei Tische pflegten wir lange zu sitzen: die Unterhaltung war vielseitig, lebendig und lehrreich. Der Nachmittag und Abend wurde zu Spaziergängen verwendet. Fortwährend das herrlichste Frühlingswetter und nach [252] allen Seiten hin wundervolle Aussichten. Ich fühlte mich recht wohl und munter. Aus den mancherlei Gesprächen erinnere ich mich noch einer Äußerung des Abtes. Als eine seiner theologischen Ansichten angefochten ward, beharrte er dabei und erklärte: ›Nihil revoco, nihil explico.‹

In Linz weilte ich nur einen Tag. Dann fuhr ich nach St. Florian und feierte dort das Pfingstfest. Das Wetter war launig, der Regen verwandelte sich in Schnee; das Thal war grün und das Gebirge ringsum mit Schnee bedeckt. Ich reiste nun dem Hochgebirge entgegen und so aus einem Frühling in den anderen. Auf dem Wege nach Kremsmünster war die ganze Gegend ein grünes Meer von Gras und Laub mit Blüthenwellen. Manche Apfel- und Birnbäume waren so mit Blüthen bedeckt als ob sie in ein weißes Tuch gehüllt wären. Ich fand auch hier wie in St. Florian die gastlichste Aufnahme.

Von hier begab ich mich nach der Benedictiner-Abtei Lambach. Die Bibliothek hat etwa 500 Handschriften und ist von Mone genau durchsucht. Ich fand nichts mehr für meine Zwecke. Das Wetter war ziemlich gut, das Gebirge lag in voller Klarheit da und den ganzen Weg hin sah ich den stattlichen Traunstein.

Der Weg bis Salzburg sehr unterhaltend: bei Schwanenstedt am Ausflusse des Attersees links das Gebirge des Salzkammerguts, bei Straßwalchen Blick auf den Irr- oder Zellersee, bei Seekirchen Ansicht des Wallersees mit dem Staufen im Hintergrunde, prachtvoll. In Salzburg war ich völlig eingeregnet. Ich wohnte im Schiff, konnte aber nicht flott werden. Die Wolken hingen fest an den Bergen, und der Nebel ließ sich als Regen nieder. Nachdem ich trostlos bis Mittag gewartet hatte, entschloß ich mich einen Einspänner zu miethen. Der Paß wurde visiert, ein Passierschein gelöst, das Wetter klärte sich auf und dem Reisevergnügen stand kein irdisches Hinderniß weiter im Wege.

Vom 26. bis zum letzten Mai in München. Ich verkehrte nur mit Schmeller, Martius und Maßmann. Mit allen dreien war ich öfter zugleich zusammen, oder der eine und der andere besuchte mich, oder ich ihn. Schmeller unverändert, immer der fleißige, sinnige und gründliche Forscher, der kenntnißreiche und bescheidene Gelehrte und [253] liebenswürdige Freund. Wir sprachen viel über die deutschen Studien, altdeutsche Metrik, Volkslieder und dgl. 8

Als ich Maßmann besuchte, war er eben beschäftigt mit seiner Ausgabe des Eraclius und der Facsimilierung eines Bruchstückes des alten Reinhart für Jacob Grimm. Er war sehr unbefangen und freundlich. Es schien, als ob alle unsere früheren Häkeleien für immer vergessen sein sollten. Ich hatte ja nie etwas gegen seinen wissenschaftlichen Eifer und Fleiß und habe nie seine wirklichen Verdienste in Abrede gestellt. Mir mißfiel nur immer die Art und Weise, wie er die Ergebnisse seines Forschens zu Tage förderte, diese sich nie genügende Gründlichkeit, die zuletzt in Verworrenheit ausartete, und das peinliche Streben, allergenauest etwas wiederzugeben, welches denn oft ebendeshalb mißglückte, so daß am Ende nicht allein Worte, sondern sogar ganze Zeilen ausgelassen waren. So mißfiel mir auch immer sein wunderlicher, breitspuriger Stylus, wo jeder Satz fortwährend von Zwischensätzen unterbrochen wird. So konnte ich auch nie hübsch finden, daß er bei allen seinen wissenschaftlichen Arbeiten immer seine Haus- und Herzensangelegenheiten zur Sprache brachte; ein Muster der Art ist seine Vorrede zum letzten Theile von Graff's Sprachschatz.

Von dem öffentlichen Leben in München erfuhr ich nur wenig. Den Bockkeller besuchte ich zweimal. Das Bier schmeckt angenehm, ist aber für unser einen zu stark. Die Leute drängten sich dermaßen hinein und hinaus, daß man schwer ein Glas Bier, noch schwerer einen Platz bekommen konnte. In dem düstern schmierigen Raume, der überhaupt nur Einmal erst geweißt zu sein schien, bei dem wühligen Gedränge und dem Heidenlärme war es mir sehr unbehaglich. Wenn man die Tische sah voll Überreste des Biers und dann die alten schmierigen Radiweiber, wie sie aus ihren schmierigen Taschen ein schmieriges Buchsbaumbüchschen, worin 5 Löcher, hervorholten und auf den schmierigen Tisch einige Körnchen Salz herausklopften, und wie der gute Baier den Rettig verarbeitete, dann hatte man genug. Doch ländlich, sittlich. Den anderen Tag zogen die Leute von der Frohnleichnahmsprocession unmittelbar mit Schärpen [254] und Fahnenstangen in den Bockkeller, von der Glaubens-zur Biereinheit.

In der zwanglosen Gesellschaft, in welche mich Maßmann einführte, lernte ich dagegen das feine Münchener Leben kennen, da gab es Salami und Spargel, Affenthaler, Oberpfälzer und Champagner. Es waren hier als Gegensatz des Baierthums nur eingewanderte Münchener: von Martius, Thiersch, Neumann, E. Förster etc.

Den 31. Mai verließ ich München. Mit einem Hauderer machte ich die Fahrt nach Innsbruck. Auf dem letzten Theile des Weges öffneten sich uns hin und wieder herrliche Aussichten auf das Innthal und das südliche Hochgebirge mit seinen Schneefeldern und Gletschern. Zuletzt fuhren wir im grünen Innthale: felsiges Hochgebirge auf beiden Seiten, oben kahl und noch mit Schnee bedeckt, von der Mitte bis zum Fuße herab Föhren, Tannen und Buchen, ein schöner Weg bis Innsbruck. Ich ging sofort in die Kirche zum heiligen Jacob und besah das Grabmal Maximilians I. und das Denkmal Andreas Hofer's, und besuchte dann die Plätze, wo die Tyroler gegen die Baiern gefochten hatten. Am anderen Tag sang ich mir, aber in anderer Stimmung, als jener hatte, der das Lied zum ersten Male sang:


Innsbruck! ich muß dich lassen,
Ich fahr dahin mein Straßen.

Ich wollte nun von hier an den Bodensee und brauchte dazu vier ganze Tage.

In Meersburg angelangt, ging ich sofort zum alten Schlosse hinauf, um den Freiherrn von Laßberg kennen zu lernen. Er hatte das alte Gebäude ziemlich wohnlich einrichten lassen und seine Bibliothek, die einen Schatz altdeutscher Handschriften enthält, darin aufgestellt.

Ich wurde wie ein fahrender Ritter begrüßt: ›Hat der Burgwart schon Ihre Sachen in Empfang genommen?‹ – ›Die sind noch im goldenen Löwen, wo ich abgestiegen bin.‹ – ›Nun, es versteht sich von selbst, Sie bleiben bei mir – die Sachen sollen sofort geholt werden.‹ Mir war die freundliche Einladung sehr will kommen, ich hatte ebenso großes Verlangen, den Herausgeber des Liedersaals wie [255] seine Bibliothek näher kennen zu lernen. Laßberg, schon damals sehr alt, war immer noch eine stattliche Gestalt: groß, in gerader Haltung stehend oder einherschreitend, mit schneeweißen Haaren und dem Vertrauen erweckenden Blicke machte er den Eindruck eines ehrwürdigen, biederen und gemüthlichen alten Mannes. Es führte mich in das nächste Zimmer, wir setzten uns und ich mußte mit ihm den Willkomm in 34r Meersburger trinken. Es erschienen nun auch seine Gemalin, Maria Anna, geb. Freiin Droste-Hülshoff, erst seit dem 19. October 1834 Frau von Laßberg, und ihre Schwester Annette Elisabeth, die Dichterin. Beide begrüßten mich als alten Bekannten; ich hatte sie als junge Mädchen in der Familie Haxthausen in Bökendorf, ihren Verwandten, kennen lernen. Laßberg zeigte mir nun seinen Handschriftenschatz, zunächst ein mit Edelsteinen reich geschmücktes Evangeliarium aus dem 9. Jahrhundert, dann die prachtvoll geschriebene Hohenemser Handschrift der Nibelungen und viele andere so wie viele saubere Abschriften von seiner Hand.

Ich führte ein einfaches, angenehmes Leben. Den Morgen blieb ich auf meinem Zimmer, vor Mittag war der alte Herr nicht sichtbar. Nach Tische gingen wir dann in die Bibliothek und ich verzeichnete so nach und nach sämmtliche Handschriften.

Am 10. Juni nahm ich Abschied. Um 8 Uhr Morgens segelte ich hinüber nach Staad, ging dann zu Fuß nach Constanz, und fuhr gegen Abend mit dem Eilwagen nach St. Gallen, wo ich erst um Mitternacht eintraf.

Die berühmte St. Galler Stiftsbibliothek war immer das Ziel meiner Wünsche gewesen. Ich beabsichtigte alle noch darin vorhandenen althochdeutschen Werke nach und nach herauszugeben nach eigener sorgfältiger Abschrift oder Vergleichung der bisher erschienenen Abdrücke mit der Urschrift. Ich war drei Tage hinter einander, jeden Tag mehrere Stunden in der Bibliothek. Ich sah mir viele Handschriften an und las den ganzen Arxschen Katalog durch. Da überzeugte ich mich denn, daß ein langer Aufenthalt nothwendig sei, wenn ich meinen Zweck erreichen wollte. Den dritten Tag lernte ich den Professor Heinrich Hattemer kennen. Er hatte sich bisher viel mit neuer deutscher Grammatik beschäftigt, auch eben erst eine ›Teutsche Sprachlehre‹ in seiner Vaterstadt Mainz herausgegeben. Es ließ sich erwarten, daß bei dem jetzigen Standpunkte [256] der deutschen Sprachwissenschaft auch Hattemer sich mit der Geschichte der deutschen Sprache befaßt habe und auch darin etwas zu leisten bereit sei. Wir sprachen nun über die althochdeutschen Denkmäler. Hattemer äußerte, daß er schon daran gedacht habe, sämmtliche herauszugeben. Ich redete ihm sehr zu, mir lag ja nur daran, daß überhaupt die Arbeit einmal geschähe. Hattemer versprach mir, sich eifrig dem Unternehmen zu widmen. 9

Am 17. Juni verließ ich St. Gallen. Ein lebenslustiger junger Prager war mein Reisegefährte. Morgens um 1/23 kamen wir in Rapperschwyl an, bestiegen die alte Burg und warteten auf den Sonnenaufgang. Bald sahen wir die Berge am Zürichsee in wundervoller Beleuchtung. Mit dem Dampfschiffe nach Zürich und früh am Morgen dort.

Am Nachmittage machte ich einige Besuche. So unzulänglich meine bisherige Kenntniß der schweizerischen Zustände gewesen war, so wurde ich doch bald im Verkehre mit den Parteien über ihre beiderseitigen Ziele aufgeklärt, und da Jeder, der überhaupt mit und unter den Schweizern leben wollte, Partei nehmen mußte, so nahm auch ich Partei, und meine Wahl war nicht schwer. Die nächsten Tage verkehrte ich nur mit den Liberalen die ich unterdessen kennen gelernt hatte: Oken, Follen, Orelli, Ettmüller etc. Einige Tage wohnte ich bei Follen.

Ueber Basel, wo ich Wilhelm Wackernagel besuchte, fuhr ich dann nach Paris. Eine langweilige Fahrt. Die Gegend in Franche-Comté und Champagne beinahe überall ohne Reiz: Hügel bald kahl, bald mit Getreide, bald mit Reben, keine dunkelen Wälder, keine Wiesen; die Dörfer alle wie Städte, kahl und durchsichtig, Alles ohne Poesie.

In Paris (9. Juli) suchte ich zunächst einen Haupteindruck zu gewinnen: ich ging zu den bedeutendsten öffentlichen Gebäuden, [257] Plätzen, Straßen, Brücken, ich sah Louvre, Palais royal, Tuileries, Quai Voltaire, Pont neuf, Place Vendôme, rue Vivienne, de Rivoli etc. Ich war wenig befriedigt, mir war als ob ich Alles das schon großartiger und schöner gesehen hätte. Erst den dritten Tag besuchte ich die Bibliothek und wiederholte dann öfter meine Besuche. Ich lernte hier mehrere Landsleute kennen, die auch zu wissenschaftlichen Zwecken nach Paris gekommen waren. Dies war am Ende der Hauptgewinn, den mir die Bibliothek brachte. Schon am zweiten Tage merkte ich, daß ich dort für meine Zwecke wenig ausrichten könnte. Ich ließ mir die Manessische Sammlung geben und begann eine Vergleichung mit der Bodmerschen Ausgabe. Bald überzeugte ich mich, daß eine Abschrift weit weniger Zeit erfordern würde. Ueberdem war mein Exemplar so schlecht planiert, daß sich mit der besten Carmindinte nicht hineinschreiben ließ. Ich beschränkte mich auf die Abschrift des Gottfried von Nifen, an dem im Abdruck 171 Strophen fehlen. Irgend einen Fund in den unzähligen Handschriften zu machen, daran war gar nicht zu denken. Es wurde niemand zu den Handschriften gelassen, um unter Aufsicht eine nach der anderen herauszunehmen und durchzusehen. Die vorhandenen Verzeichnisse, namentlich die in G.F. Haenel Catalogi librorum mss. (Lps. 1829) gedruckten, waren theils ungenau, theils mangelhaft.

Wenn man im Lesezimmer sich nach einander alle Handschriften, je eine nach der Reihe der Nummern, hätte geben lassen wollen, so würde man viele Jahre dazu gebraucht haben. Uebrigens waren auch damals wol noch viele Handschriften gar nicht einmal verzeichnet und zugänglich. Von der Verwaltung dieser ungeheueren litterarischen Schätze war ich schlecht erbaut. Viele wichtige neuere Bücher (z.B. Graff's Sprachschatz) waren nicht da; als ich mir Diez, romanische Grammatik erbat, erhielt ich sie broschiert und nicht einmal – aufgeschnitten, und sie war doch schon 1836 erschienen. Da die Bibliothek also wenig meine Zeit in Anspruch nahm, so blieb gerade genug für andere Dinge.

So besuchte ich das Musée du Louvre. Zu viel des Sehenswerthen. Ich sah die drei Säle mit französischen Gemälden, dann die drei mit deutschen und niederländischen und endlich wieder drei mit italiänischen. Dann ägyptische Alterthümer, Waffen aller Art und aller Zeiten, Schiffsmodelle, Antiken. Unten waren noch drei [258] Säle mit Bildern berühmter spanischer Meister. Als ich die vielen abgehärmten, bleichen, mitunter gräßlichen Gesichter sah, da wurde mir angst und bange, und ich eilte bald von hinnen, überdem war nach dem stundenlangen Sehen mein Kunstinteresse völlig erschöpft. Viel Vergnügen gewährte mir der Jardin des plantes, damals noch wol einzig in seiner Art. Der Blumenmarkt – es giebt deren mehrere, ich besuchte nur einen – hatte für mich großen Reiz, nicht allein wegen der vielen schönen Blumen, sondern mehr noch um kennen zu lernen, welche Blumen am liebsten zu Sträußen und Kränzen verwendet werden. Die Blumenmädchen hatten vielen Geschmack in Zusammenstellung der Farben und Blüthenformen. Von St. Cloud gefiel mir am besten die Aussicht nach Paris hin. Die beschnittenen Bäume und die geraden Wandelbahnen waren eben so wie im Guckkasten meiner Kindheit. Die Julifestlichkeiten 29. Juli, die ich noch erlebte, ließen viel zu wünschen übrig. Sie hatten gewiß Geld genug gekostet. Das Feuerwerk war so matt wie die Begeisterung des Volks.

Die angenehmste Erinnerung an Paris ist immer noch für mich, wenn wir Deutsche unter uns waren, mit einander speisten oder Kaffee tranken im Palais royal. Es war immer eine lebendige, gemüthliche Unterhaltung, voll Scherz und Witz, daß wir oft mehr Lärm machten als hundert Franzosen. So hatten einmal unser 8 sich bei Pestel ein besonderes Zimmer geben lassen. Da ging es lustig her. Wir verzehrten aber auch in wenigen Stunden mehr als ebenso viel Franzosen oft kaum in einer Woche, 87 Francs 8 Sous. Da ich damals so nahe der Champagne war und so gerne Champagner trinke, so wollte ich die Gegend kennen lernen, wo das vortreffliche Getränk bereitet wird. Ich machte also von Paris aus einen Ausflug nach Rheims und Epernay über Soissons.

Ich war dann nur noch wenige Tage in Paris und leider krank. Als ich mich wieder erholt hatte, war der 31. Juli herangekommen. Mein Zweck war gewesen, Paris kennen zu lernen, die Bibliothek zu benutzen und mich im Französischsprechen zu üben. Von diesen drei Dingen hatte ich das erste so ziemlich erreicht, das zweite wenig und das dritte gar nicht: meine Landsleute waren mir lieber als mich in einer fremden Sprache mit Fremden zu unterhalten über Dinge, die mir am Ende recht gut fremd bleiben konnten.

[259] Reise nach Lyon über Provins, Nogent, Troyes mit der Messagerie bis Dijon, dann mit dem Courier bisChâlons sur Saône. Auf der letzten Strecke Weinberge rechts und links, die den guten Burgunder liefern:Clos-Vougeot, Vosne, Nuits, Beaune. Von Châlons mit dem Dampfschiffe weiter, langweilige Fahrt, das Wasser oft so seicht, daß wir fest sitzen und schwer wieder flott werden.

Am 3. August Ankunft in Lyon. Den andern Tag besuchte ich das städtische Museum: Naturalien, Antiken, darunter besonders viele römische Grabsteine mit Inschriften, und Gemälde. Später spazierte ich nach den Höhen von Fourvières. Prachvolle Aussicht vom Thurme. Ich hegte noch immer Hoffnung, in den Lyoner Bibliotheken ein altromanisches Werk des 9. oder 10. Jahrhunderts zu finden. Nach den Hänel'schen Verzeichnissen schien das sogar gewiß. Ich ging in die Stadtbibliothek. Mr. Antoine Péricaud, der Bibliothecar, ein bekannter Lyoner Geschichtschreiber war sehr gefällig und zeigte mir alle Handschriften. Ich fand nichts. Ich fragte nach demRouman d'Anseis, und erhielt zur Antwort, derselbe sei in der Bibliothèque de l'Académie des Arts. Dort fand ich das Gesuchte, es war eine Handschrift des – 14. Jahrhunderts.

Ich war recht wohl und munter. Wenn ich mit meinen Landsleuten, die ich zufällig kennen gelernt hatte, spazierte, so sangen wir manch deutsches Lied und kümmerten uns nicht um die Leute, die an uns vorübergingen. Unser Verkehr war ein sehr heiterer und gemüthlicher, und es ging uns allen recht zu Herzen, als wir den letzten Abend noch ein Lied anstimmten und so Abschied nahmen.

Den letzten Tag (den 6. August) in Lyon fühlte ich mich sehr allein, ich hatte keine Seele mehr, mit der ich ein deutsches Wort reden konnte, ich war sehr wehmüthig gestimmt. Da suchte ich mich durch Dichten zu trösten und so entstand mein Lied:


Wie sehn' ich mich nach deinen Bergen wieder,
Nach deinem Schatten, deinem Sonnenschein!
Nach deutschen Herzen voller Sang und Lieder,
Nach deutscher Freud' und Lust, nach deutschem Wein! 10

[260] Gegen 8 Uhr Abends mit der Messagerie nach Genf. Das Schönste daselbst war mir die Aussicht von der Rousseau-Insel auf den See, die Stadt und die Alpen mit dem Montblanc, die ist wirklich entzückend schön.

Am 9. August Nachmittags 2 Uhr mit dem Dampfschiffe nach Vevey. Heiterer Himmel, der Montblanc prachtvoll, grünlichblau der See. Der Montblanc verschwindet oft und kommt immer wieder zum Vorschein. Lausanne freundlich im Sonnenscheine am Abhange des Gebirges. Links verliert sich die Jurakette.

Vevey, auf deutsch Vivis, ist wenig einladend. Ich war schon eine Strecke im Orte und erwartete wenig. Man hatte mir die Fleur de lis empfohlen. Ich stand vor einem Hause, welches nichts vom himmlischen Glanze einer Lilie hatte. Ich trat ein und stieg eine ziemlich dunkele hohe schmale steile Treppe hinauf. Da wurde ich deutsch angeredet. Ich erbat mir ein Zimmer und bekam eins wie ich es mir nur wünschen konnte. Ich trat ans Fenster und sprang auch gleich voller Freude hinaus auf die Terrasse davor, die mit Sträuchen und Blumen freundlich geschmückt war. Da lag vor mir der See, ringsum blauer Duft, drüben die Alpen im Abendroth. Lange, lange stand ich im Anschauen versunken, ich konnte mich nicht satt sehen. Wie oft schon habe ich seitdem an Vevey gedacht, wie oft an diese seligen Augenblicke! 11

Am andern Morgen wandelte ich am See. Zufällig traf ich meinen alten Freund Hagnauer 12 von Aarau. Große Freude. Wir blieben mehrere Stunden beisammen. Ich mußte ihm versprechen, ihn in Aarau zu besuchen. Zunächst fuhr ich nach Bern. ProfessorKortüm suchte ich vergebens, erst am Abend spät kam er zu mir. Ich lernte ihn zuerst kennen, als er noch mit Göttling dem neugegründeten Gymnasium in Neuwied vorstand. Wir freuten uns beide des Wiedersehns nach so langer Zeit. Wir saßen bei Tische und waren eben im besten Gespräche, da kam der Weibel und gebot Feierabend: ›'s isch Zyt, ihr Here!‹ und der Republicaner mußte sich dieser philisterhaften Einrichtung fügen, wenn er nicht wie auch der Wirth einen Laubthaler Strafe bezahlen wollte.

[261] Kortüm immer noch derselbe, ein biederer Charakter voll bewundernswürdiger, rücksichtsloser Freimüthigkeit, der bis ans Ende seines Lebens seine glühende Freiheitsliebe bewahrte. Auf einer dreitägigen Fahrt ins Berner Oberland unterhielten wir uns viel, sehr viel, ernst und heiter, wie es eben Stimmung und Stoff mit sich brachte. Wir sprachen über die traurigen Zustände Deutschlands, über Frankreich und die Schweiz, über unsere Geschichtschreiber und Politiker. Kortüm, der so vieles erlebt und durchforscht hatte, sprach sich frei über Alles aus, er ließ sich nicht durch glänzende Thaten und vortreffliche Werke verleiten, nur darauf allein sein Urtheil zu gründen; er faßte die ganze Vergangenheit und Gegenwart eines Mannes zusammen. Dahlmann konnte er es nie vergeben, daß er einst auf dem hannoverschen Landtagegegen die Amnestie der unglücklichen Göttinger aufgetreten war. Die Reise hatte für mich den Vortheil, daß ich in meinen politischen Ansichten bald berichtigt, bald aber auch befestigt wurde.

Ueber Solothurn nach Aarau. Ich kam erst spät Abends an und traf in einer Weinwirthschaft Hagnauer und seine Freunde und Bekannte. Angenehme Ueberraschung und ein langes heiteres Zusammensein. Es gefiel uns dort im Freien so gut, daß wir uns fast jeden Abend einfanden. Der gesellige Ton war ein anderer als in ähnlichen Gesellschaften in Deutschland: es wurde mitunter so heftig gestritten, und man ward wechselseitig so ausfällig gegen einander, daß mir angst und bange wurde. Schließlich löste sich denn doch Alles wieder in Wohlgefallen auf. Den anderen Tag gingen Arm in Arm friedlich und gemüthlich, die Abends erbittert mit einander stritten. Das republicanische Wesen mit seiner ewigen politischen Aufregung macht die Leute leidenschaftlicher und rücksichtsloser in allen ihren Beziehungen zur Gesellschaft.

Noch den letzten Abend waren wir alle zusammen. Dann gaben sie mir das Geleit zur Post. Ich fuhr allein in einer kalten Mondscheinnacht nach Basel Den 27. August mit dem Dampfschiffe nach Kehl; von dort aus zu Fuß hinüber nach Straßburg.

Am Nachmittag begleiteten mich Bekannte auf den Münster. Als ich von dem herrlichen deutschen Baudenkmale in das weite reiche und schöne Elsaß hinabschaute, ward ich wehmüthig, und welcher Deutsche würde es hier nicht? Ich las meinen Begleitern mein[262] Heimwehlied zwischen Saône und Rhône. Wir waren dann noch in Kehl beisammen und nahmen auf deutschem Boden Abschied. Von Kehl setzte ich meine Reise zu Dampfschiffe fort, übernachtete in Mannheim, dann in Mainz und zuletzt in Köln. Von da ging ich mit der Schnellpost über Aachen nach Lüttich und von hier auf der Eisenbahn bis Antwerpen. Den 3. September Abends war ich in Gent.

Ich wohnte wieder bei Willems, bequem und angenehm. Ich erfreute mich seiner Unterhaltung und seiner Bibliothek. Er zeigte mir alle seit meinem letzten Aufenthalte in Belgien erschienenen Bücher und Aufsätze über vlämische Sprache und Litteratur. Die vlämische Bewegung war noch in vollem Gange. Daß auch ich mich daran betheiligte, beweisen meine Genter Gedichte, die in diesen Tagen entstanden und später meinen Unpolitischen Liedern 13 einverleibt wurden. Meine Hoffnungen waren schon damals nicht sonderlich. Der Einfluß des Französischen war nach allen Seiten hin im Zunehmen begriffen.

Den 13. September war ich bereits auf der Rückreise. Sehr willkommen war mir, daß ich noch die Brüsseler Kunstausstellung sehen konnte. Sie enthielt viel Schönes. Stunden lang verweilte ich darin. Mich fesselten besonders die Bilder der vlämischen Maler. Die alte Eigenthümlichkeit und Meisterschaft im Genre, in Landschaften und Seestücken lebt wieder auf. Ich war sehr erfreut und angenehm angeregt.

Dann reiste ich über Düsseldorf, Bonn, Gießen heimwärts. In Marburg wollte ich Vilmar aufsuchen. Ich kannte ihn zwar noch nicht, doch wußte ich von ihm, daß er sich mit deutscher Sprache und Litteratur befaßte. Ich fragte also nach ihm. Da hieß es denn, ich solle nur die Straße entlang gehen, oben in dem alten Hause wohne der Herr Director. Ich fand auf dem Vorsaal eine junge Frau mit blühenden Wangen und blitzenden Augen, die mit Biegeln beschäftigt war. Sie lud mich freundlichst ein näher zu treten. Ich mußte auf dem Sopha Platz nehmen, sie setzte sich zu mir. Ich wußte noch immer nicht, wer sie war. Da sagte sie: ›Mein Mann wird bald erscheinen, er ist nur noch mit einer Prüfung beschäftigt.‹


[263] Nach einer kurzen Weile trat Vilmar ein, freudig überrascht begrüßte er mich, nahm mich bei der Hand und führte mich oben hinauf in sein Arbeitszimmer. Wir rauchten nun eine Pfeife zusammen und unterhielten uns. Da bemerkte er beiläufig: ›Es versteht sich von selbst, daß Sie einige Tage bei uns bleiben. Ich werde gleich Ihr Sachen holen lassen.‹ Ich hatte dagegen meine Bedenken, half nichts ich mußte das freundliche Anerbieten annehmen.

Den zweiten Tag besuchten wir das Marburger Schloß. Unterweges theilten wir uns unsere Ansichten mit über Poesie, Metrik, Volkslied u. dgl. und ich freute mich, daß wir darüber so einig waren.

Den dritten Tag kamen wir bei einem Spaziergang auf die deutschen Zustände zu sprechen, und ich meinte, daß es gerade jetzt zeitgemäß wäre, auch auf poetischem Wege ein Besserwerden anzubahnen. ›Aber, fügte ich hinzu, es wird schwer halten, etwas wie ich es meine durch die Censur zu bringen und dann auch, vor der Polizei die Verbreitung wenigstens eine Zeit lang zu sichern. Halt, ich werde die LiederUnpolitische Lieder nennen.‹ Ich las nun einige vor, die Vilmar gefielen und denen er auch bei seiner jetzigen (1862) Gesinnung den Beifall gewiß nicht versagen würde.

Ich blieb auch den vierten Tag noch da. Es fehlte uns nie an Stoff zur Unterhaltung, und die Art und Weise, wie Vilmar sich über Alles aussprach, war so anziehend und oft so anregend, so lehrreich, daß ich mich noch heute gerne dieser Tage erinnere. Um so betrübender war es für mich, wie ich von Jahr zu Jahr erleben mußte, daß Vilmar sich immer mehr zu einem unausstehlichen politischen Rückwühler und religiösen Verfinsterer vollendete. Schade, da so viel Geist und Phantasie, so viel Forschungs- und Darstellungsgabe, so viel Kenntniß und Fleiß nicht einem besseren Ziele gewidmet wurden!

Den 27. September elf Stunden unterwegs, erst spät Abends in Cassel. Ich gehe noch zu den Grimms, und treffe dort u.a. Bettina. Sie führte das große Wort, scherzte und lachte, und wir lachten mit. So harmlos anfangs ihre Scherze waren, so wurden sie doch gegen mich bald sehr beleidigend. Ich hielt es für anständig zu schweigen.

[264] Den andern Tag war ich wieder viel dort. Mit Jacob sprach ich über das deutsche Wörterbuch, mit Wilhelm über ein Handbuch der altdeutschen Poesie. Dann sah ich mir die Heerschau der Garnison an und spazierte mit Jacob. Beiläufig erzählte ich, wie unartig gestern Abend Frau Bettina gegen mich gewesen sei. Den dritten Tag war ich wieder bei den Grimms. Bettina war von ihrem Ausfluge nach Fritzlar zurückgekehrt. Als ich mich eben mit Wilhelm in seiner Stube unterhalte, tritt Jacob ein: ›Gleich wird Bettina kommen und Alles wieder gut machen.‹ Sie kam wie im feierlichen Aufzuge von allen Kindern begleitet und bat wie eine reuige Büßerin um Verzeihung. Ich lachte über den schnurrigen Einfall, reichte ihr die Hand, und Alles war gut.

Mit Ludwig Grimm in der Kunstausstellung. Sie gewährt nur wenig Bedeutendes, aber Anlaß genug, uns über Kunst und Kunstbestrebungen auszusprechen. Dann mit Bettina bei den Grimms zum Mittagessen. Sie ist sehr liebenswürdig und gesprächig wie immer. Nach Tische mit ihr und Jacob allein. Das Gespräch kommt auf die Berufung der Grimms nach Berlin. Sie erzählt, daß Lachmann sehr falsch gegen jene gehandelt habe – höchst merkwürdige Geschichten, die gewiß, wenn man die Bettinaschen Zuthaten abrechnet, doch wol nicht alle aus der Luft gegriffen waren. Wilhelm kommt dazu und muß den Schluß gegen seinen Willen mit anhören. Zu mir gewendet sagt sie: ›Jetzt habe ich den Hoffmann erst doppelt lieb, seitdem ich weiß, daß er auch den Lachmann nicht leiden kann.‹

In der Nacht mit der Schnellpost nach Braunschweig und dann mit der Extrapost nach Fallersleben. Die Meinigen wohl und munter. Viel Besuch von Verwandten, den einen Mittag 24 Personen zu Tische. Es waren die letzten schönen Tage, die ich mit meiner Mutter und den Meinigen und in der Heimat verlebte; noch drohte kein Polizist und kein Gendarme mit Ausweisung oder Verhaftung.

Den 11. October war ich wieder in Breslau.

Kaum erst heimgekehrt, war ich schon wieder in voller Thätigkeit. Zunächst dachte ich an die mit Ernst Richter beabsichtigte Sammlung der schlesischen Volkslieder. Da ich nicht selbst sammeln konnte, so wendete ich mich brieflich an allerlei Leute, von denen ich glaubte, daß sie Lust und Gelegenheit hätten, unser Unternehmen durch [265] Beiträge zu fördern. Ich schrieb bis zu Ende dieses Jahres 44 solcher Bittbriefe. Ferner erließen wir mehrmals einen Aufruf in den Breslauer Zeitungen, und baten uns Volkslieder einzusenden. Um den Sammlern einen Anhalt zu geben, theilten wir die 76 Anfänge der Lieder mit, von denen wir theils Texte schon hatten, aber noch bessere wünschten, theils Texte aus anderen nicht schlesischen Gegenden nur kannten.

Meine poetische Stimmung wandte sich unterdessen ganz dem Vaterlande zu. Das erste Lied nach meinem Wiederhiersein war das vom 21. October:


Treue Liebe bis zum Grabe
Schwör' ich dir mit Herz und Hand. 14

Unterdessen las ich fleißig allerlei geschichtliche, politische, sogar statistische Schriften, um klar zu werden über unsere Zustände wie sie waren, sind, sein sollten und könnten. So erhielt ich Stoff und Anregung. Ich dichtete weiter. Das nächste Lied war das mit der Ueberschrift: ›Er kann den Schlüssel nicht finden.‹ 15 Ich dachte dabei an einen Fürsten, der gerne eine Verfassung geben möchte, nur nicht weiß, wie er es anfangen soll. Als ich so auf der Fährte war, wußte ich auch das was ich suchte zu finden. Der Hohn und Spott über alle Dummheiten und Albernheiten, der lang gehegte Ingrimm über alle Erbärmlichkeit, Feigheit, Niederträchtigkeit, wie ich sie aus der Geschichte und dem Leben kannte, wurde zur humoristischen Stimmung, die mich unablässig zum Dichten und Singen trieb.

Meine Vorlesungen hatte ich angekündigt, und auch wirklich die Absicht, sie zu halten. Als aber bereits andere Collegen lasen und vierzehen Tage nachher erst bei mir sich wenige Zuhörer gemeldet hatten, da erklärte ich, daß ich nicht lesen würde. In unserer Facultät war das nichts Ungewöhnliches und niemand wurde deshalb zur Rechenschaft gezogen wie ich später.

Den 10. November wurde wieder das Schillerfest gefeiert. Ich war zum Präsidenten ausersehen. Es war das sechste, welches in Breslau gefeiert wurde. Das erste fiel ins Jahr 1829, dann war das nächste erst wieder 1835. Ich hielt eine kurze Anrede, worin [266] ich die Geschichte der Schillerfeier berührte, über die bisherigen Geldsammlungen Auskunft ertheilte und eine jedesmalige Wahl eines Vorstandes empfahl. Dann brachte ich einen Trinkspruch aus auf die Philister, 16 und ließ nachher noch die schlesische Kunst leben. Beides fand rauschenden Beifall, nur nicht beim Censor, und mußte deshalb ungedruckt bleiben. Fünf Trinklieder von mir wurden bei Tafel vertheilt und nach Compositionen von Eduard Philipp und Ernst Richter vorgetragen. Mein Freund Mächtig hatte dazu eine sinnreiche Zeichnung geliefert.

Die ersten vier Wochen im neuen Jahre (1840) war ich krank und mußte zu Hause bleiben. Trotzdem war ich geistig rege und fleißig, ich wurde nicht zerstreut und gestört und konnte jeden politischen Gedanken mit Lust und Muße poetisch behandeln. Ich dichtete fast täglich und gab jedes neue Gedicht den Freunden und Bekannten zum Besten, wenn sie mich dann und wann besuchten. Zollten sie mir dann ihren Beifall und ich bemerkte: ›Das werde ich drucken lassen!‹ so wurden sie ängstlich und meinten, das sei doch mißlich. Ich aber ließ mich nicht irre machen und vielleicht war es gerade ihre Bedenklichkeit, die mich zu einem neuen Liede trieb.

Außerdem las ich noch alte handschriftliche und gedruckte Chroniken und machte mir Auszüge für mein schlesisches Idiotikon und für die Culturgeschichte Schlesiens, namentlich aus dem handschriftlichen Tagebuche des Joh. Georg Steinberger (geb. 1694), im Besitze des Professor Kahlert. Alle diese Auszüge konnte ich bald verwerthen: ich ließ sie mit erläuternden Anmerkungen versehen in der Schlesischen Zeitung 1840 17 nach und nach abdrucken und erhielt dafür 441/2 Rb. Honorar.

Je größer meine Theilnahme wurde an der Kenntniß der deutschen Zustände der Vergangenheit und Gegenwart, um so größer ward mein Drang mich poetisch darüber auszusprechen. Als ich einmal in die richtige Stimmung dafür hinein gerathen war und den Ton gefunden hatte, der mir wirkungsvoll schien, da kamen die Lieder wie [267] gerufen. Sie hatten sich bald so gemehrt, daß sie als Buch erscheinen konnten. Ich fing an zu ordnen und zu sichten. Am 16. März sendete ich mein Manuscript an Julius Campe (Firma Hoffmann und Campe) in Hamburg. Es entspann sich nun folgender Briefwechsel. 18


Hoffmann an Campe.


Breslau, 16. März 1840.


.... Die Gründe, warum ich mich gerade nach Hamburg und an Sie wende, werden Sie selbst leicht finden, wenn Sie bedenken, daß ich ein Norddeutscher, ein Protestant, ein geborener Hannoveraner und ein königlich preußischer Staatsbeamter bin.

In Betreff des Druckes wünsche ich: wo möglich etwas breites 8°-Format (wie bei den Cottaschen Ausgaben von Uhland etc.), damit nirgend eine Zeile gebrochen werden darf, neue scharfe deutsche Lettern, festes nicht zu dünnes Papier, damit nirgend die Buchstaben der anderen Seite durchschimmern; auf jeder Seite wo möglich ein Gedicht, von längeren Gedichten nur 4 oder höchstens 5 Strophen; sorgfältigste Correctur – Druckfehler sind mir überall verhaßt und könnten hier gerade großes Unheil anrichten.

Ferner wünsche ich, daß die Auflage nicht zu stark wird (etwa 1000 Exemplare), auch nicht zu theuer, damit ich in einer bald folgenden zweiten Auflage auf die gewiß nicht ausbleibenden vielfachen Angriffe antworten kann. – Da Sie mit den dortigen Censoren gewiß persönlich bekannt sind, so werden Sie wohl den für mich bestimmten darauf aufmerksam machen, 1. daß ich mich genannt habe und 2. daß jede hamburgische Rücksicht auf Preußen hier unnöthig ist, indem ich als königlich preußischer Professor ordinarius leicht zur Verantwortung gezogen werden kann. Sollte jedoch eins oder das andere gestrichen werden, so würde ich dafür andere einschalten, damit jede Sitzung ihre 20 behält. Ich denke, die Censur wird gnädig sein. Da sie keine Zeitung wie den Correspondenten herausgeben, so haben Sie von Hannover nicht viel zu fürchten ....

[268] Was nun das Honorar anbetrifft, so wünsche ich eine runde erkleckliche Summe, die sich vor dem Ministerium, welches mich doch am Ende zur Rechtfertigung zieht, mit als Grund meiner höchst unpolitischen litterarischen Beschäftigung anführen läßt .... Im Fall Sie sich sofort zur Erfüllung der obigen Wünsche entschließen können, so lassen Sie denn nur den Druck auch sofort beginnen, ich bin überzeugt, daß wir uns dann unterdessen schon vollständig einigen. Suchen Sie nur mit der Censur ins Reine zu kommen. – Sieveking und Lappenberg, die doch beide öffentliche Aemter bekleiden, können wohl nichts in dieser Beziehung thun? Beide kenne ich sonst gut ....

Campe an Hoffmann.


Hamburg, 29. März 1840.


.... Den uns zunächst angehenden Punkt, das Honorar, ließen Sie offen, was uns nicht lieb ist, weil natürlich davon alles Uebrige, uns Angehende, abhängig ist. – Mit Gedichten, außer Heines Buch der Lieder und den Spaziergängen eines Wiener Poeten – haben wir noch nicht viele Freude, wohl aber manche Ohrfeigen einzucassieren gehabt, – daher sind wir auf diesem Gebiete etwas vorsichtig geworden. – Sie wünschen diese Gedichte gedruckt zu sehen; gerne bieten wir Ihnen unsere Hülfe. Wir übergeben sie der Presse, selbst auf die Gefahr hin, wir verständigten uns darüber nicht .... So kann zur nächsten Messe Ihr Werk mit in Reih und Glied stehen. Jedenfalls soll es gedruckt werden – das Uebrige stellen wir dem großen Meister anheim und Ihrer Billigkeit. – Das thun wir, weil Sie sich auf Sieveking beziehen, der zwar nicht der gemeine Censor, sondern als Syndicus die höchste Instanz der Censur hier handhabt und der frei in allen Dingen denkt, nur in Glaubenssachen difficil ist! – Mithin, befreundet mit ihm, würden Sie schwerlich einen günstigern dieses Standes finden. Oft haben wir siegend gegen unsern Censor, Dr. Hoffmann, Appellation bei ihm eingelegt.

Unsere Zeit ist knapp; nur die ersten beiden Cahiers haben wir bis jetzt gelesen, denn Gedichte kann man nicht wie ein Buch durcharbeiten – wir sind zu prosaisch dazu, und darin finden wir nichts, das hier Anstand finden könnte ....


[269] Hoffmann an Campe.


Breslau, 11. April 1840.


.... Es freut mich, daß Ihnen mein Anerbieten genehm war. Ich bedauere nur, daß Sie nicht Alles gelesen haben, Sie hätten sich sonst überzeugen müssen, daß der Druck unverzüglich zu beginnen und möglichst geheim zu halten ist. Ich bitte Sie also, zu dieser Ueberzeugung gelangen und dann sofort das Ganze der Presse übergeben zu wollen. Zu Anfang Juni muß nach meiner Meinung Alles schon versendet werden, damit zum Buchdruckerfeste (24. Juni) Exemplare in Leipzig vorräthig sind. – Sie sind ein Kaufmann und ich bin ein Gelehrter, aber wir sind beide Deutsche und wollen beide das Wohl unseres Vaterlandes, doch ich kann mit meinen geringen Kräften vorläufig ohne Sie nichts dafür thun; ich wünsche demnach, daß Sie mich darin unterstützen. Da wir aber beide nicht von der Luft leben können, so ist es billig, daß wir beide gewinnen, wenn zu gewinnen, obschon ich gern bereit bin zu verlieren, wenn es nicht anders ginge, und das wäre für mich schon, wenn ich auf Honorar verzichten müßte .... Scheint es Ihnen wegen der Ohrfeigen, deren Sie gedenken, mit Poesien mißlich, so bitte ich, entschließen Sie sich in Betreff des Honorars der meinigen erst dann, wenn Sie sich vom guten Erfolge überzeugt haben ....


Campe an Hoffmann.


Hamburg, 24. April 1840.


.... Dichter fordern zuweilen für ihre Erzeugnisse Preise, die ins Blaue gehen; – wir wußten nicht, welche Ansichten Sie in dieser Sache hegen, daher unser Vorschlag. Wenn Sie uns Ihre Forderung jetzt nennen und dabei zugleich für die Zweite und folgende Auflage Ihre Conditionen bemerken wollen, ist es uns lieb, wenn dann welches Schicksal das Werk auch bestehen möge, der mercantilische Theil geregelt ist und wir ungeniert damit verfahren können, was nicht der Fall wäre, gingen wir als Commissionaire damit zu Werke ....

Fortsetzung! –

Der beiligende Brief war bereits im Voraus geschrieben fertig liegend, als der Drucker kam und klagte: ›Der Censor fühle sich [270] nicht ermächtigt, dasImpr. zu ertheilen.‹ – Da lag die Geschichte! – Sieveking war nicht hier; wir mußten uns an die Censur-Commission wenden, und da wissen wir im Voraus, was uns blühet. Wir setzten uns, schrieben an selbige, aber nicht in der Form einer Petition, sondern bedienten uns des Briefstyles, consumierten darin allerlei Späße, wiesen auf Ihre amtliche Stellung und darauf hin, daß Sie nicht mit zu den mißvergnügten Nobili gehörten, sondern Ihre Stellung und Interessen zuwahren wüßten. Wir versicherten, wenn die löbliche Commission sich in eine gute Laune versetzen möge, sie herzlich lachen werde und gewiß fiele dann kein Gedicht als Opfer der Censur. – Im schlimmsten Fall, könnten wir diese Gedichte der Reihe nachschon gedruckt außerdem vorlegen, denn es sey dieses nur eine Sammlung des einzelnen, wie es entstanden und bereits gedruckten. Es half! – Und so ist bis zum Vierten Bogen keine Verkürzung vorgekommen. Den Censor trafen wir und drückten ihm unser Befremden darüber aus, daß er dabei einen Anstand überall hätte finden können! – Er entschuldigte sich und wird uns Quartier geben.


Ich erfuhr dann einige Wochen gar nichts wieder. Ich reiste ins Gebirge zu meinem Freunde Eduard Kießling, blieb die Osterfeiertage dort, war sehr heiter in der liebenswürdigen Familie und der schönen Natur, 19 dichtete viel, und kehrte nach 14 Tagen wohl und munter nach Breslau zurück. Dann schrieb ich an Herrn Campe:


Breslau, 20. Mai 1840.


Sie setzen mich durch Ihren Wunsch: meinerseits das Honorar für die erste Auflage und die künftigen zu bestimmen, in große Verlegenheit .... Es wäre mir darum lieb, daß Sie mir Ihre Vorschläge machten ..... Vorläufig lassen Sie Sich in Ihren Operationen durchaus nicht stören! Ich gehöre nicht zu den Dichtern, ›die für ihre Erzeugnisse Preise fordern, die ins Blaue gehen.‹ Meine Poesie ist leider nur zu oft ins Graue gegangen ....

[271] Meine Freunde sind meinetwegen einiger Maßen besorgt. Ich aber bin frohes Muthes, habe auch neulich im Angesichte der Schneekoppe bei einem Freunde 20 neue Lieder gedichtet, worunter einige sehr pikante sind .....


Zu den Pfingstfeiertagen machte ich einen Ausflug mit Dr. Gustav Freytag und Dr. August Geyder nach Gimmel, einem Gute des Grafen Alexander von Dyhrn im Oelser Kreise. Das Wetter war schön, sehr schön, nicht so die Gegend, aber der Frühling hatte sie auch mit seinen Gaben bedacht und wir waren zufrieden mit ihr und freuten uns in ihr. Abgeschieden von aller Welt erfuhren wir nichts von den Begebenheiten des Tags. Am ersten Pfingsttage starb der König, uns ward die Kunde erst viele Tage nachher. Am 6. Juni waren wir gekommen und am 13. zogen wir erst heim mit aufrichtigem Danke, den ich für uns alle aussprach. 20

Ich hatte Geyder meine neuesten Lieder vorgelesen. Wir hatten viel darüber gesprochen, und wenn er auch gegen jedes einzelne Lied nichts einwenden konnte, so war ihm doch meine Richtung, die ich in meinem Dichten eingeschlagen hatte, gar nicht recht. Ich ärgerte mich über ihn wie über so viele, die eine bessere Einsicht hatten und doch so durchaus gesinnungslos und gleichgültig in den wichtigsten Angelegenheiten des Vaterlandes sein konnten.

Den 15. Juni erließ ich mit Ernst Richter eine abermalige Bitte, uns Beiträge zu unserer Sammlung schlesischer Volkslieder beizusteuern. Damit die Sammler erführen, mit was für Liedern uns gedient sei, so gaben wir die äußerlichen Kennzeichen der Volkslieder an, wie sie nachher auch in meine Vorrede zu dem Werke aufgenommen wurden.

Den 16. Juni kam ich beim Ministerium um Urlaub ein zu einer Badereise und legte ein ärztliches Zeugniß bei.

Den 18. Juni verlangte das Ministerium durch den Curator der Universität von mir nähere Erklärung, warum ich im vorigen Halbjahre nicht gelesen hätte. Den 30. Juni sandte ich meine Erklärung ein. Das Wichtigste daraus ist später unter dem Titel:

[272] ›Die deutschen Studien auf preußischen Universitäten und Schulen‹ gedruckt worden. 21

Es war große Landestrauer: die hohen Würdenträger, der Adel, die Geistlichen, die Officiere, die Staatsbeamten – Alles ging vorschriftsmäßig mit den Zeichen der Trauer einher. Auch ich hätte trauern sollen, überließ das aber meinen Herren Collegen, die für dergleichen eher etwas auszugeben hatten als ich, und auch gerne mit schwarzem Krepp (crêpe) Hut und Arm schmückten; viele, die sich sonst nicht auszuzeichnen vermochten, zeichneten sich jetzt doch wenigstens durch Trauer aus. Einige legten einen solchen patriotischen Eifer an den Tag, daß sie ihre ganze Familie, sogar die Kinder von drei bis vier Jahren in eitel Schwarz kleiden ließen. Die Volksstimmung war eine zweifelhafte. Niemand wußte recht, was nun kommen würde, ob man sich mit den alten Zuständen begnügen müsse oder mit hoher obrigkeitlicher Erlaubniß etwas Besseres hoffen dürfe.

Von meinen Unpolitischen Liedern erfuhr ich nichts. Es war mir am Ende lieb, daß sie eben jetztnicht erschienen. Endlich in den ersten Tagen des Juli erhielt ich einen Brief von Campe.

›...Von Leipzig hätte ich Ihnen schreiben können, ich bekam dahin die Nachricht, daß unser Censor das Höchst und Allerhöchst und das Landwirthschaftliche 22 gestrichen ... Der Drucker war zaghaft geworden und machte Halt. Ich kehrte am 6. Juny zurück und fand die gemeldete Bescherung. Guter Rath war theuer. – Indeß fand ich ein Hausmittel; ich ließ sie auswärts drucken, so ist denn das vollständige Imprimatur in meinen Händen! der letzte Bogen in der Presse und die ersten in den Händen des Buchbinders – und wills Gott, sind in 8 Tagen die Exemplare auf [273] dem Marsch ins Land: O Knüppel aus dem Sack auf's Lumpenpack! – – Nasenrümpfen wird es geben; vielleicht Nasen selbst, – trotz dem daß seitdem sich 2 Augen geschlossen haben. Wir wollen sehen, was der neue Hausvater thut; es ist das ein Probierstein ganz eigener Art, die Leute zu nivellieren. Ihre Freunde haben nicht Unrecht, wenn sie einige Bedenken hegen; ich gestehe Ihnen ganz ehrlich, daß ich sie ebenfalls gehabt habe, aber jetzt denke, daß der König ein gescheuter Mann ist, der selbst Witz und Humor in sich trägt und oft hat glänzen lassen – daher tolerant gegen andere seyn könnte ....‹

Den 22. Juli kamen die ersten Exemplare der Unpolitischen Lieder in Breslau mit der Post an.

Nachdem ich meine Vorlesungen geschlossen und Urlaub erhalten hatte, reiste ich am 12. August ab nach Helgoland.

Langweilige Fahrt über Leipzig nach Magdeburg. Sonntag den 16. August machte ein neues Elbdampfschiff, der englische Courier, seine erste Fahrt. Das eben mochte viele Reisende bestimmt haben, diese Gelegenheit nach Hamburg zu benutzen. Um 5 Uhr früh fuhr unser Courier ab. Es war ein schöner Morgen. Man ging auf dem Verdecke auf und ab. Niemand kannte mich, aber auch ich kannte Niemanden. Bei Tische machte ich die Bekanntschaft mit einer interessanten Frau, der Hofräthin von Dessauer aus München. Wir sprachen viel über Münchener Gelehrte und Künstler. Unsere Unterhaltung waren wir uns selbst: zu sehen war wenig oder gar nichts. Da gab es denn mal eine kleine Abwechselung: bei Tangermünde blieben wir stecken, und kaum flott, bald abermals. Als wir die seichten Stellen bei Schnakenburg glücklich beseitigt hatten, brach die Nacht ein und wir legten vor Anker. Jeder suchte so gut es gehen wollte eine Schlafstätte. Bei Anbruch des Tages ging die Fahrt weiter. Erst zischen 9 und 10 kamen wir in Hamburg an. Wir nahmen Abschied und jeder ging seines Weges.

Nachdem ich Professor Cornelius Müller begrüßt hatte, begab ich mich in die Deichstraße zu HerrnJulius Campe, den ich noch nicht persönlich kannte. Er empfing mich in seinem Comptoir, das klein und unansehnlich war. Zum Setzen konnte er mich nicht einladen, es war kein Stuhl vorhanden, eine weise Einrichtung, um von Besuchern nicht zu lange aufgehalten oder belästigt zu werden, eine [274] andere Art von freundschaftlichem Wink, nur minder grob als bei Ernst Keil in Leipzig, in dessen Comptoir an der Wand mit großen goldenen Buchstaben zu lesen ist: ZEIT IST GELD.

So wie man ihn erst erblickt, glaubt man einen frommen Wupperthaler, Herrenhuter oder Altlutheraner vor sich zu sehen. Bei näherer Betrachtung aber ist er nichts weniger als das. In seinen Augen liegt eine lauernde Schlauheit, die sich erst recht verräth, wenn er sich die Mühe giebt, durch Blick und Worte sich als treuherzigen, grundehrlichen, uneigennützigen Geschäftsmann darzustellen. Er ist dann so weich in seiner Sprache, in seinen Reden so milde, so theilnehmend, daß man irre werden könnte, wenn er uns selbst nicht davor bewahrte, denn es dauert nicht lange, so ist er wieder in seinem eigentlichen Fahrwasser: scherzhaft und witzig, rücksichtslos, bissig. Jedenfalls ist er ein gewandter, umsichtiger Buchhändler, der sein Publicum, seine Zeit und seinen Vortheil sehr genau kennt und der vor vielen seines Gleichen den großen Vorzug hat, daß er ein sehr ergötzlicher Unterhalter ist.

Campe zeigt mir den Rest der Auflage der Unpolitischen Lieder, etwa 12 Exemplare, – in Leipzig liegen keine mehr auf Lager – läßt mich die Versendungslisten einsehen und ist sehr erfreut über den höchst günstigen Erfolg: in Hameln allein sind 10 Exemplare auf feste Rechnung nachverlangt. Er spricht von einer zweiten Auflage. Von der ersten hat er nicht nach meinem Wunsche 1000, sondern 1250 drucken lassen. Der Punkt des Honorars ist noch nicht erledigt.

Zweiter Hamburger Tag. Morgens bei Campe. Ich treffe dort Dr. Wille und Uffo Horn. Als wir allein sind, zahlt mir Campe 100 Rb. Honorar und will mich bei der zweiten Auflage entschädigen.

Mittwoch den 19. August ging das Dampfschiff nach Helgoland. Ich war sehr heiter und suchte auch Andere in heitere Stimmung zu bringen und darin zu erhalten. Bis Cuxhaven eine fröhliche Fahrt: wenig Seekranke an Bord. Wie wir uns der Nordsee näherten, die Küsten nach und nach verschwanden, da wurde es still und stiller in der Gesellschaft, im Meere aber lebendiger, es stürmte immer stärker, und als wir ›die alte Liebe‹ erreichten, da brach Manchem das Herz. Die Musik hatte noch immer lustig gespielt:Marseillaise, God save [275] und alles Mögliche, jetzt schwieg auch sie. Ich hielt mich tapfer und blieb bei meiner heiteren Stimmung von der traurigen Seekrankheit verschont. Der Anblick der See war mir nichts Neues, aber neu, daß ich nun selbst mitten darin war, nichts sah als Wasser und Himmel. Endlich zeigte sich unseren Blicken das ersehnte Eiland. Der Ruf: Land! belebte die Schwachen und Kranken. Bald hatten wir es erreicht. Unter den Klängen der Musik wurden wir ausgeschifft. Es war mir doch ein angenehmes Gefühl, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.

Ich bezog eine kleine Wohnung in einem kleinen Hause, dem letzten und höchsten Helgolands, oben auf der Klippe bei Oelrichs, es war eigentlich nur eine Schlafstelle. Mein Leben war einfach: Morgens Spazierengehen, dann Ueberfahrt zur Düne, Baden, Rückfahrt, Spazieren, Mittagsessen, Kaffeetrinken im Trichter, Ausruhen auf der Klippe, einen Augenblick im Conversationshause um Zeitungen zu lesen, dann letzter Spaziergang auf der Klippe und zu Bette. Ich suchte keine Gesellschaft, ich war mir selbst genug und freute mich, daß ich es war: ich konnte Stunden lang im Sonnenschein oben auf der Klippe liegen und in die See sehen, während Andere Stunden lang bei Peter Franz, Block, Rickmers, Mohr tafelten und dann müde vom Baden, Essen und Trinken bis in den Abend hineinschliefen.

In diesen einsamen Stunden auf der Klippe, drüben auf der Düne, oder wenn ich allein im Boote hinüberfuhr, entstanden meine ›Helgolander Lieder‹, 23 womit ich Manchen damals erfreute, und die später viel componiert und gesungen wurden.

Die meisten unter den tausend Badegästen waren Hamburger und Berliner. Zu meinen näheren Bekannten gehörte Frau Hofräthin von Dessauer. Das Leben war sehr einförmig. Es war schon ein großes Ereigniß, wenn zweimal wöchentlich das Dampfschiff kam, und ein noch größeres, wenn es durch Sturm verhindert, nicht kam.

Die außerordentlichen Vergnügungen der Badegäste waren eine Umschiffung der Insel bei Beleuchtung der Grotten, oder eine Fahrt mit Feuerwerk; ferner eine Fahrt auf den Hummer- oder auf den Haifischfang.

[276] Wer Einmal so etwas mitgemacht hat, verlangt nicht nach einer neuen Auflage, wenigstens mir ging es so, mit Ausnahme des Haifischfanges, der war wenigstens ganz ergötzlich. Wir fuhren eine Meile weit in See. Dann wurden die Angeln ausgeworfen und nach einiger Zeit aufgezogen. Wir fingen 14 Haifische, darunter ein getigerter, einen Rochen, ein häßliches Geschöpf, eine Seerose mir 13 Zinken und einen Seestern. Für ein ausgezeichnetes Frühstück war gesorgt. Obschon die See hoch ging, so ließen wir uns nicht irre machen. Im Entstöpseln des Champagners entwickelte ich eine bewundernswerthe Fertigkeit.

Das Baden bekam mir gut, auch war ich immer glücklich gewesen. Eines Tages aber ging es mir schlecht. Der Wellenschlag war sehr stark. Eine Welle schleuderte mich an den Strand. Ich verletzte mir an einem Feuersteine, deren es dort viele giebt, die Kniescheibe. Ich stillte das Blut mit Papier und band ein Tuch drum. Mit Mühe und Noth erreichte ich das Boot und unter ziemlichen Schmerzen stieg ich die 173 Stufen der Treppe hinan, die ins Oberland führt. Durch Kaltwasserumschläge beseitigte ich vorläufig die Schmerzen, die aber bald darauf sich wiederholten, ja ein halbes Jahr nachher hatte ich noch zu Zeiten heftige Stiche.

Den 20. August sendete ich an Campe das Manuscript der neuen Auflage der U.L., für die ausgeschiedenen Lieder waren neue eingefügt.

Den 21. September verließ ich Helgoland. Sehr zeitig begab ich mich an Bord der Henriette. Sie lag3/4 Stunden vor Anker und schwankte dermaßen, daß mir ganz flau ward. Während der Fahrt erholte ich mich wieder, und als wir die ›rothe Tonne‹ erreicht hatten, machte ein gutes Frühstück Alles wieder gut. Um 6 Uhr Nachmittags kamen wir in Hamburg an.

Den anderen Mittag zu Campe. Wir sprechen viel über die zweite Auflage und einigen uns erst als wir beim Frühstück sitzen und mit einer Flasche Champagner nachhelfen. Er zahlt mir für die zweite Auflage und alle übrigen 300 Rb. Gold. Der Druck wird binnen acht Tagen vollendet. Auch über den zweiten Theil wurde der Vertrag abgeschlossen:

›Für 300 Rb. überlasse ich Herren Hoffmann und Campe die zweite und jede folgende Auflage des er sten Theils meiner [277] unpolitischen Lieder. Ferner überlasse ich den zweiten Theil dieser unpolitischen Lieder für 300 Rb. in der ersten Auflage, deren Größe die Herren Verleger zu bestimmen haben; über jede etwa folgende Auflage dieses Theils haben sich jedoch die Herren Verleger mit mir zu einigen.

Zugleich mache ich mich anheischig, Alles was ich in dieser Art dichte und für den Druck bestimme, im Verlage der Herren Hoffmann und Campe erscheinen zu lassen.

Hamburg den 26. September 1840.

Dr. H.‹


Campe war recht liebenswürdig gegen mich. Den einen Tag blieb ich von 1 Uhr Mittags bis Abends 10 bei ihm. Er erzählte mit köstlichem Humor alle seine Händel mit dem jungen Deutschland, mit Gutzkow, Wienbarg und Wehl, wobei er dann immer im schönsten, und die anderen im schlechtesten Lichte erschienen. Noch den Tag vor meiner Abreise gab er einen großen Austernschmaus; in bester Laune erzählte er wieder die lustigsten und tollsten Geschichten von seinen Schriftstellern. Wenn alle Lumpe waren, so war und blieb er immer der edle, großmüthige Freund und Förderer der deutschen Litteratur.

Cornelius Müller, mein Vetter Wiede und andere Bekannte ließen es an Aufmerksamkeit nicht fehlen. In die Nähe und Ferne, London Tavern, Blankenese, Altona, Nienstedten mußte ich mit ihnen hin, und überall gab es Austern und Champagner. Was wäre auch Hamburg für einen Fremden auf die Länge ohne dieses?

Die verfassungstreuen Hannoveraner hielten in den Tagen eine Zusammenkunft. Ich mochte mich nicht betheiligen, ging aber doch mit Campe auf einen Augenblick in die Erholung. Da lernte ich nun Hauptmann Böse und Dr. Freudentheil von Stade und noch einige andere kennen. Es ging stürmisch her und wir suchten der belebten Stimmung mit einer Flasche Champagner nachzukommen.

Den anderen Tag fuhr ich mit Campe, Dr. Wille und obgenannten Hannoveranern zu Uffo Horn nach Ottensen. Wir wurden in einen großen dunkelen kalten Saal geführt, endlich brachte man 6 Lichter und eine große Schale mit Punsch. Als es etwas gemüthlicher wurde, erzählte Böse Geschichten aus dem Lande Hadeln, die mich zu Thränen rührten. Obschon ich mit U. Horn öfter zusammen war, so blieben wir uns doch fremd. Ich erkläre mir das aus [278] meinem gründlichen Widerwillen gegen die litterarische Klüngelei, die damals in voller Blüthe stand und wobei sich Horn auch stark betheiligte. Wir trafen später nie wider zusammen, obschon auch er ein viel bewegtes Leben führte.

Den 1. October corrigierte ich die letzten Bogen: mein Buch war fertig und ich auch. Am 3. reiste ich ab. In meiner Heimat verweilte ich einige Tage. Durch Halberstadt fuhr ich am 15. October, als eben zur Geburtstagsfeier des Königs illuminiert wurde. In Halle war ich einen Tag fröhlich zusammen mit Ruge, Echtermeyer, Witte und Gustav Schwetschke. Den 24. October kam ich wieder in Breslau an.

Meine nächste Arbeit war, das Verzeichniß der Wiener Handschriften zu vollenden. Schon den 31. October schickte ich mein sauber geschriebenes Manuscript an Moriz Haupt, der dann den Verlag vermittelte und für einen tüchtigen Corrector sorgte.

Den 10. November wurde wieder das Schillerfest gefeiert. Ich betheiligte mich auch diesmal. Weil doch das was ich gesprochen hatte, nicht in Breslau gedruckt werden konnte, so schickte ich es, einem Berichte über das Fest einverleibt, schon den 12. November an Campe, der Alles sofort in Druck gab. Am 17. December meldete Campe, daß das Schillerfestbüchlein 24 gedruckt und bereits nach Breslau und Berlin versendet sei. Ein Exemplar wurde von der Buchhandlung dem König Friedrich Wilhelm IV. überreicht.

[279] Von meinen Verlesungen war nur eine zu Stande gekommen. Ich las ein Publicum über das deutsche Volkslied. Elf Zuhöre hatten sich zwar nur einschreiben lassen, es fanden sich aber jedesmal weit über zwanzig ein.

Obschon bereits sehr mißliebig in hohen und höchsten Kreisen, so erhielt ich doch um Weihnachten durch den k.k. Geschäftsträger am Berliner Hofe, Freiherrn von Erberg von Sr. Majestät dem Kaiser von Oesterreich in ehrenvoller Anerkennung des Verdienstes meines Allerhöchstdemselben zugesendeten Werkes: Iter Austriacum (Theil 2. der Fundgruben) eine goldene Medaille.

Der erste Theil der U.L. war jetzt Campe's Eigenthum und er konnte damit ganz nach Belieben schalten und walten; der Vertrag über den zweiten Theil war seinen Wünschen entsprechend abgeschlossen. Wir waren wieder gute Freunde. Schon in den ersten Tagen des neuen Jahrs erhielt ich einen Brief von ihm (Hamburg 6. Januar 1841), worin er auf den zweiten Theil der U.L. zu sprechen kommt: ›Für den zweiten Theil der U.L. sammeln Sie nur lustig zu. Die Zeit ist nicht poetisch, – sie gähnt, wie ein vollgefressener Gourmand – der nur noch nach Pikantem greift – Hausmannskost reizt ihn nicht mehr; von allem ist genug da. Wenn der Lümmel gestachelt wird, dann erst regt er sich und wird mobil.‹

Etwa vierzehn Tage später erhielt ich wieder einen Brief von ihm; er theilte mir mit, daß Gutzkow im Telegraph stets auf mich stachele, vermuthlich, weil ich ihn nicht besucht hätte, und warnte mich, scheinbar in wohlmeinendem Tone, vor derartigen Angriffen auf der Hut zu sein.

Den 17. März schloß ich meine Vorlesungen und schon den 25. trat ich meine Ferienreise an: ich begab mich zunächst nach Berlin.

28. März. Ich besuche Emil Sommer. Er war mein liebster und dankbarster Schüler. Schüchtern und bescheiden, mit einem zarten, schwächlichen Körper lebte er unter kümmerlichen Verhältnissen. Ich suchte ihm in Breslau Muth einzuflößen und unterstützte ihn mit Rath und That. Als Nösselt's Geschichte der deutschen Litteratur für Töchterschulen 1840 in neuer Auflage erscheinen sollte, wünschte der Verleger, daß ich die ältere deutsche Litteraturgeschichte umarbeitete. Ich schlug Sommer dazu vor, und obschon dieser meinte, [280] er sei der Aufgabe noch nicht gewachsen, so übernahm er die Arbeit doch und führte sie ganz gut aus. Er bekam ein hübsches Honorar und was noch mehr war, er gewann größeres Selbstvertrauen. In Berlin setzte er unter Lachmann anderthalb Jahre seine Studien fort. Und so fand ich ihn nun hier eben wieder.

Ich wollte Curschmann besuchen, der damals für einen der ersten Liedercomponisten galt. Er hatte viele meiner Lieder componiert und manches wanderte damals als beliebtes Concertstück durch Deutschland. Ich hatte vorigen Sommer an Curschmann, während er im Bade zu Salzbrunn war, einige neue Lieder geschickt und war begierig zu erfahren, ob sie componiert waren.

Sommer begleitete mich. Wir wurden sehr freundlich empfangen. Bald erschien auch Frau Rosa Curschmann. Sie war eine anmuthsvolle, sehr beliebte Sängerin. Ich bat sie, mir einige Lieder zu singen; es würde mir ein doppelter Genuß sein, von ihr ihres Herrn Gemals Compositionen meiner Lieder vorgetragen zu hören. Sie sang, Curschmann begleitete sie auf dem Flügel, wir saßen andächtig da und freuten uns eines Genusses, den wir beide nicht geahndet hatten. Wir dankten herzlich und wollten nun gehen, wurden aber so freundlich zum Mittagsessen eingeladen, daß wir noch länger blieben.

Mit inniger Freude erinnere ich mich heute noch dieser angenehmen Stunden. Noch immer sehe ich das liebenswürdige Künstlerpaar, beide nett und geschmackvoll gekleidet, beide gleich heiter und gemüthlich, und Alles umher im Zimmer so ansprechend und traulich. Es that mir wohl, ein solches Ehepaar auch einmal außerhalb der Romanenwelt gefunden zu haben: beide jung, hübsch, wohlhabend, fein gebildet, liebenswürdig im geselligen Verkehre, ausgezeichnet in der Kunst, rühmlichst anerkannt, und – glücklich.

Dem fröhlichen Frühlinge folgte bald ein trauriger Herbst: Rosa Curschmann meldete mir den Tod ihres Gatten, er starb bei ihren Verwandten zu Langfuhr bei Danzig am 24. September 1841. Sie selbst folgte ihm im Juni des nächsten Jahres und ward an seinem Geburtstage beerdigt.

28. März. Gegen Abend mit Sommer zu den Grimms. Sie waren seit dem 19. März schon in Berlin. Herzlicher Empfang. Jacob's Erstes war: ›Ich habe mit großer Freude die U.L. gelesen, und sie mir gleich angeschafft, ich weiß, daß Sie keine Gedichte verschenken. [281] Meusebach wollte erst nicht anbeißen; nachher aber, als Sie ihm das Schillerfest geschickt hatten, bequemte er sich. Wenn der König darauf zu sprechen gekommen wäre, hätte ich sie ihm empfohlen.‹ – Wir blieben drei Stunden beisammen.

29. März. Mein Bruder hatte eine besondere Liebhaberei an Hyacinthen. Jedes Frühjahr hatte er an beiden Fensterbänken eine lange Reihe der seltensten und schönsten; sie standen eben in vollster Blüthe. Ich bat mir zwei davon aus: Goudbeurs und Mars. Mit diesen und einer Fallersleber Knappwurst ging ich zu den Grimms und überreichte sie Wilhelms Frau. Sie freute sich sehr und scherzte: ›Wenn Sie nicht unser Freund schon wären, so müßte ich es jetzt glauben, daß Sie es sind.‹

30. März. Theodor Mundt verfehlt. Um 5 wiederhole ich meinen Besuch: ›Ist Herr Dr. Mundt zu Hause?‹ – ›Nein, Sie sind nicht zu Hause.‹ – ›Nun, so melden Sie mich mal an!‹ – Der Herr Doctor und seine Frau (Luise Mühlbach) wollten eben ins Concert gehen, geben aber dies Vergnügen auf und laden mich ein, den Abend mit ihnen zu verleben. Wir sind sehr heiter. Ich theile viele Lieder aus dem neuen Theile der U.L. mit und freue mich, daß sie gefallen.

31. März. Bei Bettina (unter den Linden 21). Sie empfängt mich gleich mit den Worten: ›Von dem Augenblicke an, daß Sie in Cassel sich mit mir gegen Lachmann vereinigten, da flogen unsere Herzen zusammen und sind nun ewig vereint.‹ Sie blieb einmal dabei, daß Lachmann der Berufung der Grimms nach Berlin entgegen zu wirken versucht habe. Wir sprechen viel über Politik. Ich muß ihr viele neue Lieder vorlesen und singe ihr zum Abschiede noch (Rheinlied und Rheinleid): ›In jedem Haus' ein Klimperkasten.‹ 25 Nächstens soll ich mit den Grimms bei ihr einen Abend zubringen.

1. April. Ludwig Erk besucht. Er ist Lehrer der Musik am Königlichen Seminar für Stadtschulen. Er hat mit W. Irmer 6 Hefte ›Volkslieder mit ihren Singweisen‹ herausgegeben, eine werthvolle Sammlung, die er jetzt allein unter dem Titel: ›Neue Sammlung deutscher Volkslieder mit ihren eigenthümlichen Melodien‹ fortsetzt.

[282] Er hat hübsche Studien gemacht und viel gesammelt. Wir unterhalten uns meist nur über Volkslieder.

2. April. Lachmann hat den Grimms als Willkomm zu ihrer Ankunft 19. März 1841 in Berlin die zweite Auflage des Nibelungenliedes gewidmet. Mein Bruder meint: ›Die Widmung ist billiger als eine Fallersleber Knappwurst.‹

Dr. Carriere und Sommer besuchen mich. Sie äußern sich mißbilligend über die sehr gemeinen Ausfälle Gutzkow's in seinem Telegraphen. – Später kommt Mundt.

Um 1 auf der Bibliothek. Ich treffe Droysen, der mir große Hoffnung macht auf eine Professur in Kiel. Es ist heute mein Geburtstag. Ich weiß ihn nicht besser zu feiern als bei den Grimms. Ich gehe noch Abends zu ihnen und nehme mit eine Flasche Rosé von Chanoine Frères, Wurst, Apfelsinen, Fallersleber Räucherpulver und ein Stück Felsen von Helgoland. Wir sind recht heiter.

3. April. F.W. Jähns besucht mich. Wir sprechen viel über compositionsartige lyrische Gedichte.

4. April. Um 11 bei Jähns. Er hat 16 Lieder von mir componiert, die er mir alle vorsingt, und später, so weit sie gedruckt sind, schenkt. Einige finde ich ganz vortrefflich, namentlich aus Op. 20: ›Nun schweigt die Höh, nun schweigt das Thal.‹ 26

5. April. Morgens mit den Liederbüchern beschäftigt, die ich aus der königlichen Bibliothek geliehen. – Um 61/2 Uhr zum Minister Eichhorn. Unter den etwa 30 Audienz-Suchenden bin ich der vierte, der vorgelassen wird. Ich kam auf meine Eingabe vom 30. Juni v.J. zurück. Der Minister wußte nichts davon, wußte aber auch eben so wenig von unseren Universitäts-Einrichtungen. Als ich ihm darzuthun suche, wie nachtheilig es für die philosophische Facultät sei, daß die Studenten fast nichts von dem was dieselbe lehrte zu hören brauchten und daß sie angewiesen seien, durch Testata gewisse Vorlesungen als gehört sich bescheinigen zu lassen, und daß diese Testata gar nichts bewiesen, nicht einmal den Besuch der Vorlesungen, – da meinte der Herr Minister zwar erst, wenn den Studenten nicht befohlen würde, dies oder jenes zu hören, so würden sie gar nichts hören, stimmte mir denn doch später bei, daß die [283] Testata unnütz seien und füglich abgeschafft werden sollten. – Ich zeigte nun die Aushängebogen meines Verzeichnisses der altdeutschen Handschriften der Wiener Hofbibliothek und deutete an, daß ich später ein Handbuch der altdeutschen Poesie herausgeben wolle, wozu ich aber noch manche Reisen machen müsse. Der Herr Minister war zum Urlaubertheilen auf ein halbes Jahr geneigt, von einer Unterstützung war keine Rede. Endlich forderte er mich auf, ihn an meine Eingabe schriftlich zu erinnern, was auch den folgenden Tag schon geschah. Und so empfahl ich mich Sr. Excellenz. – Bei den Grimms dann wieder einen angenehmen Abend wie auch den Charfreitag.

15. April. Im Concertsaale des königlichen Schauspielhauses zum Besten des Fons caritatis (armer Schullehrer) große musicalische Gesangaufführung ›vaterländischer Gesänge‹ unter Leitung des königlichen Musikdirectors Wieprecht. Von mir werden drei Husarenlieder 27 gesungen, zwei von E. Richter, eins von Wieprecht componiert. Ich war zugegen. ›Ich bin Husar gewesen, ein preußischer Husar‹ fand rauschenden Beifall und mußte wiederholt werden, so auch das letzte von Wilhelm Wieprecht: ›Es ist nichts Lust'gers auf der Welt.‹

16. April. Am Morgen bei Glaßbrenner, dessen Bekanntschaft ich vor einigen Tagen machte.

18. April. Abschied von den Grimms. Hermann baut Festungen aus Pappe. Seine Mutter bemerkt: ›Der Junge hat viel Geschick zum Bauen, er will Baumeister werden. Bei dem Studieren kommt freilich nicht viel heraus.‹ – ›Ja freilich, erwiedere ich, es kann nicht jeder die Brüder Grimm werden.‹ – ›Nun, meinte sie, die Brüder Grimm sind jetzt Liebhaberei.‹ Bei diesen Worten erschrak sie und bat mich, sie um Gotteswillen nicht weiter zu sagen.

Mein Bruder war immer sehr leidend. Obschon seine Krankheit nicht bedenklich war – ein heftiger Brustkrampf hatte sich nicht wiederholt –, so war mir mein diesmaliger Aufenthalt doch sehr getrübt. Ich nahm Abschied mit dem Gefühle, daß wir uns bald gesund und munter wiedersehen würden. Noch denselben Abend [284] reiste ich ab. Am Morgen in Brandenburg. Ich besehe mir den Roland auf dem Markte. Es ist noch früh am Tage. Eine Hüterin öffnet ihre Bude neben dem Roland und freut sich, daß ich ein Alterthumsforscher bin. ›Vor hundert Jahren soll der Mann noch gelebt haben.‹ – ›Ja, liebe Frau, das ist wol möglich, aber nicht wahrscheinlich.‹

Den nächsten Abend bei Schwetschke d.ä. in Halle. Den Morgen darauf besuche ich seinen Bruder, den Dr. Gustav. Wir spazieren auf den Berg und am Nachmittage mit Leo und Eckstein nach Giebichenstein. Damals noch Alles freisinnig und einig, wenigstens äußerlich, und in freundlichem Verkehre mit einander. Wir fanden uns Abends bei Gustav ein, trafen dort seinen älteren Bruder und ihre Schwäger, und blieben bis Mitternacht alle in heiterster Stimmung beisammen. Gustav brachte folgenden Trinkspruch auf mich aus:


Wie mit lindem Wehen und Weben
Hauche des Lenzes uns umschweben:
So mild tönt Hoffmann von Fallersleben.
Aber wie brausend die Wogen sich heben,
Schäumend zu Kiel und Masten streben:
So wild rauscht Hoffmann von Fallersleben.
Es wogen auf und gleiten nieder
Politische und Liebeslieder.
Lob sei dem Sangesmeister gegeben,
Hoch soll leben
Der Dichter Hoffmann von Fallersleben!

In Leipzig einen Tag. Ich treffe Dr. Eduard Burckhardt. Wir kannten uns von Dresden her. Sehr ergötzlich sind mir seine Mittheilungen über Tieck, den er zuweilen besuchte. ›Wie gefällt Ihnen denn H.v.F.?‹ – Tieck: ›Das ist noch der Student von Anno 15.‹ – Ferner, als ich mich vielleicht etwas zu rücksichtslos über Tieck's Frauendienst des Ulrich von Lichtenstein geäußert hatte: ›Das hätte er mir doch auf eine humanere Weise sagen können?‹ – Tieck über Alfieri: ›Er ist Republicaner und damit ist Alles gesagt.‹ – Robert Blum und Dr. Wuttke besuchen mich. Später treffen wir uns in der Stadt Berlin.

[285] Den 22. April nach Dresden. 26.–28. April in Zittau bei Moriz Haupt. Frohes Wiedersehen. Ich schreibe die Vorrede zu meinem Verzeichnisse der Wiener Handschriften 28. Die beiden letzten Tage des Aprils verlebe ich in Görlitz bei Leopold Haupt, die ersten acht Tage des Mais bei meinem Freunde Kießling zu Eichberg im Hirschberger Thale.

Den 8. Mai wieder in Breslau. Ohne Hoffnung auf Verbesserung meiner amtlichen Stellung war ich heimgekehrt, und so war ich denn nicht im Mindesten überrascht, daß abermals nichts für mich geschah. Se. Excellenz der Herr Minister Eichhorn schrieb mir unter anderm am 11. Mai 1841:

›Die Geschichte der deutschen Universitäten lehrt, daß Professoren, die mit einem lebendigen und nachhaltigen Eifer für das ihnen anvertraute Lehrfach durchdrungen sind, und mit einer gründlichen Gelehrsamkeit die erforderliche Lehrgeschicklichkeit verbinden, auch für ihre Vorlesungen überall eine lohnende Theilnahme von Seiten der Studierenden finden. Gern gebe ich der Hoffnung Raum, daß es auch Ihnen noch gelingen wird, für das Ihnen anvertraute Lehrfach der deutschen Sprache und Litteratur eine größere und Sie selbst befriedigende Theilnahme unter den dortigen Studierenden zu wecken, wenn Sie nur mehr, als es bis jetzt der Fall gewesen zu sein scheint, Ihre Hauptthätigkeit Ihrem akademischen Lehrberufe zuwenden wollen.‹

Daß mir zugemuthet wurde, in meinem 43. Lebensjahre mit 500 Rb. Gehalt als Professor ordinariusnur meinem ›akademischen Lehrberufe‹ zu leben, war doch mehr als naiv. Und dann noch der schöne Schluß: ›Wenn Sie meiner im Obigen angedeuteten Erwartung entsprechen, wird es mir eine angenehme Pflicht sein, auch auf die Verbesserung Ihrer äußeren Lage Bedacht zu nehmen.‹ Also um einem unbestimmten Minister-Versprechen zu genügen, sollte ich wer weiß noch wie lange Publica umsonst und gestundete Privatvorlesungen halten und nach wie vor kümmerlich leben! Mein seliger Vater pflegte bei solchen Dingen mit Claudius zu sagen:


[286]
Sie setzten mir den Thrankrug her,
Ich aber ließ ihn stehen.

Sallet war zu Ende des Jahres 1838 nach Breslau gekommen und beabsichtigte eine Zeitschrift zu gründen. Er dachte dabei auch an mich und suchte meine Bekanntschaft. Durch Vermittelung eines Freundes trafen wir uns in einem Weinhause und sprachen über das beabsichtigte Unternehmen und die litterarischen Zustände Breslaus. Es war zwar nur eine oberflächliche Bekanntschaft, so viel aber hatte ich gemerkt, daß wir wenig zusammen paßten; für mein jugendlich lebendiges Wesen war Sallet zu ruhig, zu ernst und schweigsam. Ich hörte dann von der Zeitschrift nichts wieder, auch nichts mehr von Sallet.

Erst im Jahre 1840 sahen wir uns wieder, aber nur am dritten Orte. Es war die Zeit der politischen Aufregung und die Freisinnigen suchten sich zu nähern und zu einigen. Ich machte den Vorschlag, jede Woche einen Abend uns in der Weinhandlung Philippi einzufinden. Es verstanden sich dazu Friedrich von Sallet, Maler Resch und andere.

Einige Male kamen wir zusammen. Es wurde aber jedes Mal so heftig gestritten, daß ich alle Lust und allen Muth verlor, auf diese Weise mich gesellig zu zerstreuen und zu erquicken. Die Gegensätze zwischen mir und den übrigen waren zu groß, als daß eine Einigung möglich gewesen wäre. Während sie für das Unerreichbare schwärmten, hielt ich mich an das Erreichbare. Während sie für ihre Ideen sich einen Grund und Boden schaffen mußten, hatte ich den meinen bereits, es war das Vaterland, nur Deutschland. Während sie sich außer der Gegenwart stellten, stand ich mitten darin und hielt mich mit meinem Wollen und Wirken an das Leben. Sie sahen ihre Ideen nur verwirklicht in der ersten französischen Revolution und erwarteten nur von den Franzosen das Heil der Welt. Mit wahrer Berserkerwuth fuhren sie über mich her, weil ich mich entschieden dagegen aussprach. Eines Abends gingen sie so weit, daß ich erklären sollte, die französische Revolution sei ein entschiedener Fortschritt für die Menschheit! als ob das über haupt ein vernünftiger Mensch bezweifeln könnte?

Sallet verhielt sich gewöhnlich still, nur selten betheiligte er sich an unseren Streitereien, die schließlich zu weiter nichts führten als [287] daß wir statt uns zu nähern nur noch ferner standen als vorher und ich allein mit meinem Freunde Resch hinfort bei Philippi ruhig und gemüthlich mein Beefsteak verspeiste und meinen Schoppen dazu trank.

Sallet's ›Laien-Evangelium‹, schon Ende 1839 vollendet, war nun gedruckt erschienen bei August Schulz in Breslau, wegen der preußischen Censur mit der Verlagsfirma ›Volckmar in Leipzig.‹ Ich konnte mit dem besten Willen mich mit dem Buche nicht befreunden. So sehr ich den Zweck billigte, der darin verfolgt wird, so wenig konnte mich die Ausführung befriedigen. Es kostete Mühe mich durchzuarbeiten, und wenn ich dann dachte, wie das die Laien fertig bringen sollten, so mußte ich bedenklich den Kopf schütteln. Offenbar hatte Sallet seinen Stoff nicht so bewältigen können, daß derselbe klar in schöner Form für alle und jeden genießbar wurde.

Ich fand jetzt keine Veranlassung, meine Ansicht gegen Sallet auszusprechen: er hatte mich ja vor dem Drucke nie zu Rathe gezogen. Nur gegen Andere hatte ich mich vertraulich nicht günstig geäußert. Sallet war das zu Ohren gekommen. Es focht ihn gar nicht an, und wir blieben gute Freunde. Ich stand ihm nahe durch das was er war und was er wollte, nur in Betreff des wie blieben wir uns fremd. Sallet war eine durchaus reine, edele Natur, voll Begeisterung für Freiheit und Recht und erfüllt von der Pflicht, für die höchsten Güter der Menschheit zu streben und zu wirken.

Während Gutzow's Telegraph die gemeinsten, niederträchtigsten Ausfälle gegen mich brachte, war es mir eine doppelte Freude, daß in Schlesien und von Sallet eine anerkennende Anzeige des ersten Theils der U.L. im Literaturblatt von und für Schlesien Mai 1841 erschien.

Mein Werk über die altdeutschen Handschriften zu Wien war erschienen. Am 13. Mai sendete ich das Zueignungs-Exemplar an Grafen Moriz von Dietrichstein, den Präfecten der kaiserlich königlichen Hofbibliothek. Ich hielt es nicht der Mühe werth, auch einem hohen Ministerium in Berlin ein Exemplar zu verehren. Dagegen kam ich um Urlaub ein, der mir auch 2. August bewilligt [288] wurde. Meine Vorlesungen hatte ich geschlossen und am 3. August trat ich meine zweite Reise nach Helgoland an.

Ich reise schnell und bin doch erst den 5. August in Dresden. Denselben Tag noch in Leipzig. Abends imHôtel de Bavière mit Robert Blum, seinem Schwager Günther, Herloßsohn u.a. Der Kreis viel zu groß, als daß man zu einer erquicklichen Unterhaltung hätte kommen können.

Den 6. August Morgens 10 Uhr von Magdeburg mit dem Dampfschiffe Elisabeth nach Hamburg.

Ich verweile hier vier Tage, die mir sehr rasch vergehen. Nachdem ich Campen das Manuscript des zweiten Theils der U.L. eingehändigt habe und er mir den alten Vertrag unterzeichnet hat, bin ich mit dem Geschäftlichen fertig.

Ich verkehrte viel mit François Wille. Er hatte als Herausgeber der Neuen Zeitung dieselbe zu einem Blatte aller Freisinnigen gemacht, besonders der verfassungsgetreuen Hannoveraner. Er vereinigte viel Geist mit vieler Sinnlichkeit, ernstes männliches Streben mit jugendlichem Leichtsinn. Er war lebendig und rasch in seinem ganzen Wesen, witzig und ergötzlich im Erzählen, rücksichtslos gegen Ansichten und Lebensverhältnisse Anderer, zumal wo ihm Philisterei, Dünkel und Engherzigkeit entgegentraten oder wo er niederträchtige Gesinnung gewahrte. In vertrauten Kreisen pflegte er gerne burschicos und renommistisch zu sein, wenn er auf seine Studentengeschichten und Junggesellenabenteuer zu sprechen kam. Für seine Ansichten trat er nicht bloß mit der Feder in die Schranken, die Schmarren seines Gesichts zeigten, daß er auch die Klinge geführt hatte und wie man nicht zweifeln durfte, unter Umständen noch führen würde. Er mochte sein wie er wollte, er war immer ein interessanter Gesellschafter und tüchtiger Publicist. Ich verkehrte sehr gerne mit ihm. Er kannte seine Leute sehr gut und namentlich Campe. Wenn er auf diesen zu sprechen kam, so wußte er so viele kleine Geschichten von ihm in seine Charakteristik einzuweben, daß man eine Photographie von Campe bis aufs Härchen vor sich zu haben glaubte.

Wienbarg lernte ich nur flüchtig kennen. Er war mißmüthig, seine äußeren Verhältnisse drückten ihn. Auch besuchte ich den Hamburger DiplomatenCarl Sieveking. Wir kamen auf Politik zu[289] sprechen und unterhielten uns ziemlich lange. Er gehörte nicht zu den Hoffnungsseligen: ›Was soll aus Deutschland werden? Der König war unsre letzte Hoffnung. Nun, vielleicht wird noch Alles gut.‹ Über die Fortsetzung meiner U.L. war er sehr erfreut und wünschte die baldige Erscheinung.

Vom 11. August bis 5. September in Helgoland.

Am Bord waren mehrere Hannoveraner, lauter Oppositionsmänner, und einige Exemplare der U.L., die fleißig gelesen wurden.

Am ersten Abend fanden sich die Hannoveraner im Conversations-Hause ein. Es ging recht munter her. Damit wir aber nicht dächten, daß es in dem freien Helgoland keine Polizei gäbe, so mußten wir auf die Marseillaise verzichten, denn die Musicanten durften sie nicht spielen. Den 21. August erwarteten wir hannoversche Landsleute. Wir fuhren in einem Boote mit hannoverscher Flagge der Henriette entgegen. Kanonenschüsse meldeten uns die Ankunft unserer Freunde. Das Conversations-Haus war der Versammlungsort. Nach wechselseitigen Begrüßungen nahmen wir Platz an einer langen Tafel und speisten zu Nacht. Es folgte eine Reihe von Trinksprüchen, die alle mit lautem Jubel aufgenommen wurden. Dr. Freudentheil: die gute Sache! Ein anderer: Stüve! Ich: die deutschen Frauen! dann: die Unfähigen! Darauf las ich mein Gedicht auf den Hamburger Correspondenten, der als ›Unparteiischer Correspondent‹ nicht nur Partei für Ernst August nahm, sondern auch schamlos die hannoverschen Verfassungsfreunde besudelte. 29

Am 23. August kehrten die meisten Hannoveraner heim. Das Wetter war schön, schöner noch die Erinnerung an diese liebe Leute aus dem Lande Hadeln in ihrem schlichten, treuherzigen Wesen, die mir so herzliche Theilnahme bewiesen hatten. Den ersten Augenblick schien mir Helgoland wie ausgestorben, ich fühlte mich sehr verwaist. Und doch that mir bald die Einsamkeit recht wohl: ich freute mich, daß ich nach den unruhigen Tagen wieder einmal auch mir gehören durfte. Wenn ich dann so wandelte einsam auf der Klippe, nichts als Meer und Himmel um mich sah, da ward [290] mir so eigen zu Muthe, ich mußte dichten und wenn ich es auch nicht gewollt hätte. So entstand am 26. August das Lied: ›Deutschland, Deutschland über Alles!‹, den 28.: ›Wir haben's geschworen‹, und bald nachher: (Der guten Sache) ›Frisch auf! frisch auf mit Sang und Klang!‹ und (Lied der Unfähigen) ›Es sauft der Wind, es braust das Meer.‹ 30

Am 28. August kommt Campe. Er bringt mir das erste fertige Exemplar des zweiten Theils der U.L. Während ich darin blättere, bemerkt er: ›Nun erscheinen auch noch nächstens bei mir die Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters. – Der Dichter hat sich nicht genannt – den könnten sie sonst wol noch beim Kragen fassen. Dem kommen Sie nicht nach sowol an Poesie als an Schärfe; einige Lieder sind ganz im Volkstone. Ja, da sind wunderbare Sachen darin. Es sind Seiten berührt, die Ihnen ganz fremd geblieben.‹ – ›Nun, bemerkte ich, ich fürchte mich nicht – ich weiß was ich gemacht habe und Andere wissen es noch besser. Wer ist denn der Ungenannte?‹ – ›Dingelstedt.‹

Erst nach Jahren ist mir klar geworden, was die Campesche Mittheilung beabsichtigte. Campe schlau wie immer wollte, daß ich mich selber für unbedeutend halten sollte, um keine bedeutenden Honoraransprüche zu machen, und Gutzkow mußte ihn dabei durch seine Schandartikel im Telegraphen unterstützen. Und doch war sich Campe des Erfolges bei sei nem Nachtwächter nicht recht sicher: er setzte denselben auf seinen Facturen und Ankündigungen dicht unter die U.L., so daß wirklich lange Zeit alle Welt glaubte (und Manche glauben es noch!), ich wäre auch der Verfasser des Nachtwächters.

Am 29. August spaziere ich mit Campe am Strande. ›Ich habe ein Lied gemacht, das kostet aber 4 Louisd'or.‹ Wir gehen in das Erholungszimmer. Ich lese ihm: ›Deutschland, Deutschland über Alles‹ und noch ehe ich damit zu Ende bin, legt er mir die 4 Louisd'or auf meine Brieftasche. Wir berathschlagen, in welcher Art das Lied am besten zu veröffentlichen. Campe schmunzelt: ›Wenn es einschlägt, so kann es ein Rheinlied werden. Erhalten Sie drei Becher, muß mir Einer zukommen.‹ Ich schreibe es unter dem Lärm der jämmerlichsten Tanzmusik ab, Campe steckt es ein, [291] und wir scheiden. Am 4. September bringt mir Campe das Lied der Deutschen mit der Haydn'schen Melodie in Noten, zugleich mein Bildniß, gezeichnet von C.A. Lill. An letzterem nichts gut als der gute Wille. Hoffentlich werden meine Freunde ein besseres Bild von mir in der Erinnerung behalten haben.

Viertehalb Wochen waren vergangen. Ich mußte das Baden einstellen, weil es mir nicht mehr bekam, und kehrte nach Hamburg zurück.

6.–14. September in Hamburg.

Am 8. bei Campe. Nach seiner eigenen Aussage hat er vom 2. Theile der U.L. 4000 Exemplare drucken lassen und 2911 versendet. Der erste Theil in zweiter Auflage hat in Wien transeat bekommen, während die erste Auflage nur erga schedam hatte. Von dem Liede der Deutschen, das bei Fabricius stereotypiert ist, sind 400 Exemplare an Cranz in Breslau geschickt. Am 13. September, während Campe in Helgoland ist, erfahre ich in seinem Laden, daß vom 2. Theile der U.L. kein Vorrath vorhanden ist.


[Auf Helgoland hatte Hoffmann mit einem Bekannten, dem Hannoveraner Diederichs aus Celle, eine Reise nach Dänemark und Schweden verabredet. Sie hatten sogar den Besuch von Stockholm ins Auge gefaßt. Am 15. September traten sie die Reise an und verweilten zwei Tage in Kopenhagen. Weil aber das Wetter bereits zu winterlich wurde, begnügten sie sich damit, von Helsingborg aus einen Ausflug nach dem Vorgebirge Kullen am Kattegat zu machen. Am 30. September traf Hoffmann wiederum in Hamburg ein.]


Hier begann nun wieder für mich ein sehr bewegtes Leben. Ich verkehrte viel mit Campe, meinem Vetter Wiede, Dr. Wille u.a. und machte allerlei neue Bekanntschaften.

2. October. Campe besucht mich und meldet, daß ein Königsberger, ein Frankfurter und ein Breslauer je 12 Exemplare vom 2. Theil der U.L. nachverlangen, aber hier schreibt mir ein Breslauer, daß ihm 3 Exemplare am 24. confisciert sind und schickt das Zettelchen: ›Der bei Hoffmann und Campe erschienene 2. Theil von Hoffmanns von Fallersleben unpolitischen Liedern ist wegen seiner verderblichen Richtung verboten. Breslau, 24. September 1841.‹ Campe schmunzelt, als er mir das Zettelchen reicht und meint, es sei [292] nur ein Provinzialverbot, denn in Berlin würde die Sendung erst den 4. October eintreffen.

Nachher bin ich mit Wille im Rauchpavillon. Er erzählt mir eine rührende Geschichte von Campe aus den Tagen, als ich noch in Helgoland war: ›Ich könnte dem Hoffmann seine ganze Badesaison verderben, wenn ich ihm die Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters nach Helgoland brächte, aber – ich will es nicht thun.‹ – Ich lache laut auf und singe aus Robert dem Teufel: ›Ach, welche Großmuth! die muß ich loben.‹

5. October. Abends 101/2 Uhr wird Welcker'n, der zwei Tage vorher angekommen ist, ein Ständchen gebracht. Die Schäffersche Liedertafel und die Turner erscheinen und singen bei Fackelschein und mit Begleitung von Hornmusik: ›Deutschland, Deutschland über Alles!‹ Dann redet Dr. Wille auf Welcker. Ein donnernd Hoch ertönt aus tausend Kehlen. Seit der Anwesenheit Blücher's in Hamburg vor vielen Jahren soll man solche Begeisterung, solche Einmüthigkeit nicht gesehen haben. – Welcker dankt tief bewegt. Es wird nun ein zweites Lied von mir gesungen: ›Deutsche Worte hör' ich wieder‹, componiert von dem Vorsteher der Liedertafel, schön vorgetragen und von ergreifender Wirkung. Zum Schlusse singen die Turner unter Hornbegleitung: ›Brause, du Freiheitssang!‹ Wir begrüßen dann Welcker, Wille überreicht ihm mein Lied der Deutschen. 31

6. October. In der Stadt London großes Abendessen zu Ehren Welcker's. Es werden viele Reden gehalten und viele Hochs ausgebracht. Auch ich werde mit einem Hoch von Dr. Wille beehrt und erwiedere es mit einem allgemeinen Danke und einem Hoch auf ihn. 32 Es geht sehr lebhaft und heiter her. Erst um1/23 Uhr Morgens gehe ich nach Haus.

9. October. Campe zahlt mir das rückständige Honorar für den 2. Theil der U.L. Wir sprechen noch viel über Absatz, Verbot u. dgl. Als er mit mir abrechnet, schreibt er noch 100 Rb. dazu und sieht mich fragend an: ›Nun? 100 Rb. Ein für alle Mal?‹ – ›Nein, streichen Sie aus! streichen Sie aus! Ich gebe den zweiten Theil [293] nicht aus meinen Händen. Was Sie wagen, wage ich auch. Wird er verboten, haben wir beide nichts; wird er nicht verboten, wollen wirbeide etwas haben, nicht Sie allein.‹ Campe lacht und ich lache erst recht.

Den 10. October verlasse ich Hamburg. 12.–18. October in der Heimat. Freudiges Wiedersehen. Meine Mutter und die Meinigen alle wohl und munter. Ich will nun nach Magdeburg, unterwegs aber noch eine Verwandtin, die Frau Pastorin in Seggerde besuchen. Bei schlechtem Wetter und auf schlechten Wegen und nach vielen Irrfahrten lange ich dort an. Gleich nach meiner Ankunft kommt ein Bote von meiner Schwester, der bringt einen Breslauer Brief vom 9. October.

Meine Freunde hatten seit einiger Zeit schon sehr ängstigende Gerüchte über mich vernommen. Anfangs schenkten sie denselben keinen Glauben. Als ihnen aber immer von neuem diese Gerüchte mitgetheilt und dafür sogar amtliche Quellen vertraulich angedeutet wurden, schien es den Freunden Zeit, mich zu warnen. Es läßt sich nicht leugnen, der Plan war gut angelegt. Wenn die Freunde ihm die Gefahr schildern, dachte man, in welche er sich begiebt, wenn er wiederkehrt, so wird das wirken: er kommt nicht und wir sind ihn los und einer Untersuchung überhoben, die wenn auch noch so berechtigt, doch immer gehässig erscheint. Die Feinde aber wie die Freunde kannten mich zu wenig, jene würden sonst so etwas nicht angezettelt haben und diese nicht darauf eingegangen sein.

Ich blieb noch ruhig einen Tag in Seggerde und reifte erst den dritten ab als das Wetter besser geworden. Schon wollte ich auf den Leiterwagen steigen, da kam schon wieder ein Bote mit einem neuen Briefe von Breslau. Meine Schwester hatte nicht gewagt, ihn zu öffnen. Was ich vorhergesehen hatte, wurde bestätigt: Alles war erlogen. Ich schickte den Brief mit einem tröstlichen Anhange an meine Schwester zurück, und reiste weiter. – Den 25. October Morgens 6 Uhr war ich wieder in Breslau. Ich kündigte meine Vorlesungen an und konnte sie bald beginnen. Zu meinem Publicum: deutsche Litteraturgeschichte des 16. und 17. Jahrhunderts hatten sich 25 Zuhörer gemeldet, zum Privatissimum: Handschriftenkunde, 7.


[294] [Bereits am 31. October erfuhr Hoffmann von dem GR. Heinke, daß der Minister Eichhorn eine Untersuchung gegen ihn wegen des zweiten Theils der Unpolitischen Lieder angeordnet habe. Am folgenden Tage erhielt er von Heinke und dem Universitätsrichter eine Vorladung, um ›über seine Autorschaft zu dem unter seinem Namen jüngst erschienenen zweiten Bande der »Unpolitischen Lieder«, so wie über den Inhalt einiger der letzteren zum Protokoll vernommen zu werden.‹ Am 3. November fand die Verhandlung statt. Bei derselben gab Hoffmann entsprechend dem ministeriellen Rescript folgende Erklärung zu Protokoll:


1. Ich habe die bei Hoffmann und Campe zu Hamburg erschienenen im zweiten Bande Seite 1 bis 170 enthaltenen ›unpolitischen Lieder‹ selbst verfaßt und zum Druck befördert, ich erkenne dieß bis auf die darin enthaltenen Druckfehler an. Letztere kann ich im Augenblicke nicht auffinden, werde sie aber speziell angeben, wenn ihr Inhalt der Gegenstand einer besonderen Anschuldigung seyn sollte.

2. Ich kann und werde mich auf eine Interpretation meiner Gedichte nicht einlassen, und glaube auch, daß ein Dichter dazu niemals angehalten werden und nicht für seine Stimmung verantwortlich sein kann. Die Dichter reproduzieren die Stimmung der Zeit, in der sie leben. Dieß ist in allen Zeitaltern der Fall gewesen. Ich verwahre mich gegen alle Interpretation von Außen und werde mich gegen solche zu vertheidigen wissen.

Es steht ja auch gar nicht fest, daß der Dichter alle Mal nur seine eigne Meinung ausspricht, vielmehr spricht er, wie schon oben gedacht und aus mehreren Liedern selbst hervorgeht, die Stimmung der Zeit aus.

3. Ich kann mich auch hier auf eine Interpretation meiner einzelnen Gedichte nicht einlassen, bemerke jedoch in Ansehung dessen, daß meine Stellung als Universitätslehrer dabei erwähnt ist, daß ich diese Gedichte nicht als Professor, sondern bloß als Dichter herausgegeben habe, so daß hier ein Zusammenhang mit meiner amtlichen [295] Stellung nicht vorliegt, um so weniger, als ich nicht in dem Fache als Dichter angestellt bin.


Was seine Gesinnung gegen den König anbeträfe, so verwies Hoffmann auf seinen Trinkspruch auf Friedrich Wilhelm IV. (vgl. oben S. 279). Außer dem ›Breslauer Schillerfest 1840‹, in welchem jener Trinkspruch abgedruckt ist, überreichte er seine drei ›Husarenlieder‹ (vgl. oben S. 284), ›um durch ein Beispiel zu zeigen, daß der Dichter nicht gerade dasjenige zu sein braucht, als was er singt.‹ Endlich wies er darauf hin, daß sein Buch unter Censur in einem deutschen Bundesstaate erschienen sei. – Ebenso wie in diesen zum Protokoll gegebenen Erklärungen vertheidigte Hoffmann seine Dichtung und seine Stellungnahme zu dieser Untersuchung mit Freimuth und Nachdruck in den Gesprächen, welche er während des Protokollierens mit Heinke führte.]


Das gegen mich eingeleitete Verfahren machte großes Aufsehen in ganz Deutschland. Da die inländische Presse nur etwas zu meinen Ungunsten mittheilen durfte, so wendeten sich meine Freunde an die Sächsischen Vaterlandsblätter, eins der wenigen Blätter, das unter den damaligen traurigen Preßverhältnissen sich frei und ehrlich aussprach. In Nummer 170 und 171 erschien ein Bericht aus Breslau über meine dortigen Begegnisse seit dem Verbote des 2. Theiles der U.L. Der Bericht wurde nachher als Flugblatt besonders gedruckt und vertheilt.

Ein Brief meines Bruders vom 1. November traf, wenn er hätte wirken sollen, zu spät ein: ich war bereits zu Protokoll vernommen worden. Mein Bruder schrieb: ›Der 2te Theil Deiner unpolitischen Lieder ist höchsten Orts sehr mißfällig vermerkt und und wie ich so eben in der Leipziger Zeitung gelesen, durch Ministerial-Erlaß bereits verboten worden. – Ich habe sie nicht gelesen, vermag auch nicht darüber zu urtheilen, nur so viel sagen auch Deine wärmsten Freunde, daß es unrecht von einem Manne, der öffentlicher Lehrer ist und vom Staate besoldet wird, dergleichen in die Welt hineinzuschreiben. Ich soll Dich, wie mir von einer einflußreichen Person untern Fuß gegeben,warnen, dies thue ich hiermit. – Du wirst zu Protocoll vernommen werden und wenn Du unbefangen erklärst, daß Du die Lieder harmlos niedergeschrieben [296] und dabei nicht die Absicht gehabt hast, Personen oder den Staat anzugreifen oder zu kränken, dann wird, wie ich recht herzlich wünsche, die Sache ohne großen Eclat abgehen.‹

Wenn aber auch der Brief rechtzeitig eingetroffen wäre, so hätte ich doch nicht im Mindesten der brüderlichen Mahnung Folge geleistet, ich würde ruhig und fest wie einst der Abt von Göttweih in einer ähnlichen Lage erklärte, ebenfalls nur erklärt haben: Nihil revoco, nihil explico! (Ich widerrufe nichts, ich erkläre nichts).

Man sieht übrigens aus dem guten Rathe, den mir eine ›einflußreiche Person‹ durch meinen Bruder zukommen ließ, daß man in Berlin gerne weiterer Maßregeln gegen mich überhoben gewesen wäre, zumal die Ansichten, wenigstens in den höheren Kreisen, nicht immer geradezu verdammend waren. Wol hätte in Berlin eine mildere Ansicht über meine U.L. die Oberhand gewinnen können, wenn nicht die ewigen Hetzereien und Anschwärzungen von Seiten meiner Breslauer Collegen beim Curator der Universität, der zugleich Polizeipräsident war (also unter zwei Ministern stand) ein allezeit empfängliches Ohr und bereitwilligste Weiterbeförderung gefunden hätten. Die Herren Collegen waren froh, daß sie doch diese Eine Hoffnung hatten mich beseitigt zu sehen, weil alle früheren ihnen verdorben worden waren.

Wie Jacob Grimm über meine Angelegenheit dachte, gab er mir brieflich kund. Er schrieb


(Berlin 8. nov. 1841.)


›Seit einigen wochen gehn hier ungünstige gerüchte um über Sie, und ich wünsche wol, daß Sie in einem ruhigen augenblick mir ungefähr sagen, was daran oder nicht ist. Um Ihretwillen, aber auch für die regierung selbst wäre mir lieber, daß an freie und dennoch vaterlandliebende äußerungen kein peinlicher maßstab angelegt würde; dergleichen soll nicht auf die spitze gebracht werden weder im anfechten noch im verantworten. Vielleicht aber hat das gerücht, wie gewöhnlich, vergrößert. Sollten Sie indessen den preußischen dienst verlassen, so tröste ich mich im voraus mit dem gedanken, daß Sie sich schon lange in Breslau nicht mehr heimisch fühlten und Ihnen anderswo ein besseres glück beschieden sein kann. In Belgien oder Holland wären Ihre schönen kenntnisse in dieser sprache und [297] literatur schon am rechten platz, und an mancherlei bekanntschaft kann es Ihnen dort nicht gebrechen.‹

Am 22. November wurde der 2. Theil der U.L. im Königreich Hannover verboten und am 8. December im preußischen Staate der ganze Campesche Verlag. Campe glaubte jetzt leichter das unbeschränkte Verlagsrecht der U.L. an sich zu bringen und schrieb mir deshalb den 11. December. Ich erwiederte, daß ich den 2. Theil so nicht aus Händen geben könne und verwies Campe an meinen Vetter, den ich ihm beim Abschiede als meinen Bevollmächtigten vorgestellt hatte.

Den 2. Januar des neuen Jahres erhielt ich eine Vorladung vom königlichen außerordentlichen Regierungs-Bevollmächtigten, geheimen Ober-Regierungs-Rath Heinke und dem königlichen Universitäts-Richter, Stadt-Gerichts-Director Behrends unterzeichnet.


[Am 6. Januar fand diese zweite Vernehmung statt. Nach einigen Vorfragen, deren Beantwortung seitens Hoffmann zu den Akten gegeben wurde, begann das eigentliche Verhör. Zunächst mußte Hoffmann Auskunft über sein Leben und seine akademische Wirksamkeit ertheilen. Hierbei kamen auch die früheren Bibliothekshändel zur Sprache. Bezüglich seiner akademischen Wirksamkeit erklärte er sich bereit, ein Verzeichniß seiner Schriften einzureichen, was er wenige Tage später that. Dann sollte er auf einzelne Fragen über die Unpolitschen Lieder Antwort geben; aber hier beharrte er bei seiner früheren Erklärung, daß er sich auf eine Deutung seiner Gedichte nicht einlasse; auch habe er nur die Stimmung seiner Zeit und des Volkes wiedergegen. Endlich verneinte er wiederum entschieden, daß diese neue Richtung seiner Lyrik einen schädlichen Einfluß auf die studierende Jugend ausübe und sich daher nicht mit seiner amtlichen Stellung vertrage. – Hoffmann blieb also genau bei den Erklärungen, die er bereits in der ersten Verhandlung abgegeben hatte. Daß übrigens die Untersuchung energischer geführt wurde, erkannte Hoffmann aus dem schärferen Tone, in welchem das Schreiben des Ministers, das der Vernehmung zu Grunde gelegt wurde, abgefaßt war. Eine Abschrift des Protokolls dieser zweiten Verhandlung wurde Hoffmann verweigert. [298] Auf eine schriftliche Vertheidigung, die ihm zugestanden wurde, verzichtete er, um die Untersuchung nicht weiter aufzuhalten. Er sowohl als die Breslauer Behörde erwarteten, daß die Entscheidung bald, etwa in 6 Wochen, kommen werde. Doch erst nach einem Jahre erfolgte sie.]


Das Verbot des ganzen Campeschen Verlags in den preußischen Staaten, schon am 8. December vom Ministerium des Innern erlassen, machte großes Aufsehen im Volke, und verbreitete Angst und Schrecken unter den Buchhändlern. Campe hielt die Sache anfangs nicht für so schlimm, und hoffte sogar noch in einer ›offenen Erklärung‹ am 4. Januar ›von der anerkannten Gerechtigkeitsliebe eines hohen Preußischen Ministeriums‹ eine Zurücknahme der Maßregel. Die aus Berlin kommenden Correspondenzen vertheidigten aber dieselbe, so daß an Zurücknahme wol schwerlich zu denken war. Gegen diese ministeriellen Zeitungsartikel schrieb nun wieder Campe mit Unterzeichnung seiner Firma am 10. Januar eine lange ›rechtfertigende Erwiderung‹. Der Schluß lautet: ›Die beiden letzlich genannten Gedichtsammlungen: »Die unpolitischen Lieder von Hoffmann von Fallersleben, 2. Theil«, und die »Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters« sind mit Censur gedruckt. Wir haben das legitime Imprimatur in Händen. Was soll aus dem deutschen Buchhandel werden, wenn man, selbst bei strengster Befolgung aller gesetzlichen Vorschriften, dennoch einer so unerhörten Strafe, wie der über uns verhängten, anheimfallen kann!‹ – Half nichts – Herr von Rochow hielt sein Verbot aufrecht, und Campe mußte erst mit halb Hamburg abbrennen, ehe es aufgehoben wurde.

Mein geselliger Verkehr während der trüben Winterzeit war gering, ich beschränkte mich nur auf einige Freunde. Ich war viel zu Haus und arbeitete fleißig, besonders sehr gerne des Morgens, wenn es draußen noch dunkel und still war. Zunächst beschäftigte mich die Sammlung der schlesischen Volkslieder, sie sollte dies Jahr vollendet werden und erscheinen. Der Stoff war reichlich vorhanden, es bedurfte nur, ihn zu sichten, zu ordnen, zu vergleichen und zum Drucke sauber abzuschreiben. Zugleich lag mir sehr am Herzen, der Welt zu zeigen, daß deutsche Dichter sich von jeher freimüthig über Staat und Kirche geäußert hätten. Ich sah die Werke vieler Dichter durch, machte für meine Zwecke passende Auszüge und suchte die [299] äußeren Lebensverhältnisse der Verfasser zu ermitteln. Daß nicht jeder ungestraft die Wahrheit verkündet hatte, fand ich leider bestätigt: der Reformator Erasmus Alberus war siebenmal seiner geistlichen Ämter entsetzt worden und noch dazu durch seine Glaubensgenossen.

Um diese Zeit machten sich die öffentlichen Blätter viel mit mir zu schaffen. Neben vielem Wahren wurde eben so viel Unwahres zu Tage gebracht. Die Sächsischen Vaterlandsblätter hatten in einem längeren Artikel im Januar ›aus Schlesien‹ gemeldet: ›Die Breslauer Bürger haben sich durch Unterschrift verpflichtet,Hoffmann von Fallersleben jährlich 600 Thaler zur Unterstützung zu geben, falls er wegen jener Gedichte (der U.L.) abgesetzt und zur Festung geführt werden sollte.‹ Diese Nachricht machte großes Aufsehn, namentlich in Berlin. Das Ministerium des Innern wendete sich deshalb an den Breslauer Polizeipräsidenten und dieser an den Breslauer Magistrat. Bald darauf wurde in einem halbamtlichen Artikel aus Berlin diese Nachricht in den Zeitungen widerrufen.

Was war nun aber Wahres an der Sache? Weiter nichts als ein kläglicher Anfang. Einige Gesinnungsgenossen hatten allerdings eine Liste zum Unterzeichnen jährlicher Geldbeiträge in Umlauf gesetzt; einer und der andere hatte sich betheiligt, aber sich entweder mit den Anfangsbuchstaben seines Namens oder gar nur mit N.N. eingeschrieben. Und endlich verlor sich diese Liste wie der Rhein im Sande und niemand wußte oder wollte wissen was daraus geworden war. Die Angst war schließlich doch noch größer als der gute Wille Gutes zu thun. Breslaus Bürgern aber blieb in den Augen Deutschlands die nie weiter angefochtene Ehre, mich jährlich mit 600 Thalern (also 100 über meinen Gehalt) unterstützt zu haben!

Unterdessen war es Frühling geworden, und wie er milderes Wetter brachte, so glaubten Viele, er bringe auch in die Staatsregierung mildere Ansichten. Letztere erwartete Mancher von einem so geistreichen und für Poesie beseelten Könige wie Friedrich Wilhelm IV., aber sie irrten sich wie auch Dräxler-Manfred: 33


[300]
Nur Eine deutsche Sängerkehle
Dort an der Oder lautem Strand,
Sie trauert mit getrübter Seele,
Durch strengen Urtheilsspruch gebannt.
Gerichtet ward der Dichter, dessen
Gerichtshof Herzen sollten sein,
Von Männern, die noch nie ermessen,
Daß Frühling, Frühling bricht herein! –
O Herr! es drängt die Dichterblicke,
Daß sie in Allem groß Dich sehn,
Es drängt das Herz, beim Mißgeschicke
Des Dichterbruders Dich zu flehn.
Die Rose der Verzeihung pflücke
Und wirf sie ins Gericht hinein,
Daß den Verbannten sie beglücke –
Und Frühling, Frühling bricht herein!

Meine Vorlesungen hatte ich geschlossen, ich konnte nun den 26. März meine Reise durch Sachsen und Thüringen antreten, wozu mir der Minister Eichhorn bereits am 19. Januar Urlaub ertheilt hatte.

Ich will jetzt Einiges aus der Erinnerung und meinem Tagebuche mittheilen.

29. März. In Görlitz. Außerordentliche Versammlung der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften. Ich halte einen Vortrag über die litterarischen Bemühungen für das deutsche Volkslied seit Nicolai (1777) und theile mehrere meiner gesammelten schlesischen Volkslieder mit. Etwa drittehalb Stunden dauert mein Vortrag. Von allen Seiten höre ich, daß er sehr angesprochen habe.

Abends bei Baron Stillfried. Außer Leopold Haupt nur zugegen Präsident von Seckendorf. Ich spreche mich ganz unverholen aus über Staat und Kirche sowie über die Gebrechen unserer Zeit und alle Tagesfragen. Jedes Gespräch weiß ich mit irgend einem meiner Lieder zu begleiten, nach Art unserer Katechismen, wo nach jeder Antwort noch Bibelstellen und Liederverse folgen. Der Herr Präsident [301] meint, von Oben müsse Alles ausgehen, der Staat gebe die Idee und alles Uebrige müsse sich dieser Idee unterordnen. Ich behaupte dagegen, alles Heil könne nur von Unten kommen; der Staat nehme Alles unter seine Vormundschaft, und eben dadurch schwäche er sich selbst, weil er das Volk schwäche, ganz willenlos mache. In der Wirklichkeit zeige sich nirgend die Idee einer vernünftigen, zeitgemäßen Regierung. Es werde, wie schon Ancillon bemerkt habe, überall zu viel regiert; man müsse auch darin Maß halten. Nun gehen wir auf den Adel und seine neuesten Bestrebungen über. Beide Edelleute sprechen sich ganz entschieden dagegen aus und meinen sogar, daß man mit der ›Adelsreunion‹ nur dem Adel selbst schade. Ich bringe meine Adelsgedichte an. Merkwürdig, daß beide Edelleute auch dagegen nichts einzuwenden wissen. Jetzt komme ich auf das Schul- und Universitätswesen. Ich lese dazu mein Lied: ›Brotstudien‹. 34 Der Präsident ganz mit mir einverstanden. Um nun endlich noch meine vaterländische Gesinnung und das was ich überhaupt will, klarer an den Tag zu legen, lese ich die darauf bezüglichen Lieder. Der Baron Stillfried meint, man gewinne durch nähere Bekanntschaft mit mir eine ganz andere Ansicht von meinen Liedern; er halte sich selbst überzeugt, wenn ich so einmal dem Könige selbst meine Lieder vorläse, so müßte er mich lieb gewinnen.

2. April in Leipzig. Moriz Haupt besucht. Wir sprechen viel über die schlesischen Volkslieder. Er hofft, daß Breitkopf und Härtel den Verlag übernehmen. Nach Tische holt mich Robert Binder ab. Er ist bereit, meine ›Hundert deutschen Lieder‹ in seinem Verlag erscheinen zu lassen.

4. April. Brief von Vetter Wiede in Hamburg. Seine Bemühungen, Campen zur Gewährung meiner billigen Ausprüche zu bewegen, sind umsonst gewesen. Campe hat sich sehr kalt benommen, sich wegwerfend über den 2. Th. der U.L. geäußert und erklärt, daß er nie eine Fortsetzung des U.L. übernehmen wolle etc. Eins ist mir lieb: ich brauche nun auf ihn weiter keine Rücksicht zu nehmen, wenn ich wieder etwas der Art drucken lassen will. Über meine von ihm empfangenen Honorare wundern sich die Buchhändler nicht wenig. Als ich einem sagte, daß Campe über Krebse klagte, so meinte er, es könnten wol allerdings einige kommen, aber was wolle das sagen?


[302] Er habe nach Magdeburg allein an einen einzigen Buchhändler über 100 Exemplare geschickt.

Morgen mir zu Ehren ein Frühstück im Tunnel desHôtel de Pologne. Dr. Kaiser hat mich dazu eingeladen. Ich bin sehr erfreut, und doch wünsche ich, daß es schon vorbei wäre. Es ist immer ein unbehagliches Gefühl bei mir vor dem Beginne solcher Festlichkeiten, immer die Angst, ich könnte in der Aufregung etwas Unpassendes, Mißfälliges oder gar Verletzendes sagen und so zur Mißstimmung, oder gar zu Streit und Hader Anlaß geben.

5. April. Maler Storck zeichnet mich. Dr. Kaiser holt mich ab ins Hôtel de Pologne. Meist alle Herausgeber Leipziger Journale, mehrere Litteraten und Buchhändler (Otto und Georg Wigand, Wilh. Engelmann, S. Hirzel) haben sich bereits eingefunden. Über das Fest selbst ertheilten die Sächsischen Vaterlandsblätter vom 9. April 1842 ausführlichen Bericht, dem ich nur einige Namen hinzufüge. Er lautet also:

Leipzig. (Hoffmann v. Fallersleben.) Bei dem regen Sinne und der innigen Theilnahme, die Leipzig bei so manchen Gelegenheiten den freisinnigen Bestrebungen der Zeit und ihren Vertretern bewiesen hat, war es nicht anders zu erwarten, als daß die Anwesenheit des genannten Dichters Veranlassung zum Ausspruche der Verehrung und Liebe bieten werde, die derselbe sich in dem Herzen des deutschen Volkes in reichem Maße durch seine kräftigen freiheitathmenden Gesänge erworben hat. Und so geschah es denn am 5. April, daß sich ein großer Kreis der Verehrer des Dichters – vorzüglich aus Schriftstellern und Buchhändlern bestehend – im Hôtel de Pologne zu einem einfachen Frühstücke versammelte, das dem gefeierten Gaste zu Ehren veranstaltet war. Hoffmann's Erscheinung schon hat etwas Herzgewinnendes und Anziehendes. Eine hohe kräftige, männlich-stolze Gestalt, der man es ansieht, daß sie nicht geschaffen ist, um Nacken und Rücken zu beugen, freundliche Züge, ein klares, treues deutsches Auge, blondes Haar und Bart, Einfachheit und Treuherzigkeit im ganzen Wesen, einen Anklang des niederdeutschen Dialektes in der Sprache und Offenheit und Biederherzigkeit in jedem Ausspruche – so tritt er uns entgegen, läßt den Gelehrten und Professor im ersten Augenblick vergessen und dafür den gemüthlichen, durchaus volksthümlichen [303] Dichter in ungeschminkter Treue sehen. Der erste Becherklang galt natürlich dem lieben Ehrengaste 35, ›dem graden, ehrlichen, deutschen Manne, dem rüstigen Vorkämpfer für Deutschlands Freiheit und Rechte, dem Dichter, der das Gefühl für das Gute und Wahre weckt und nährt mit mächtigem Klange in dem Herzen seines Volkes!‹ und in einem dreimaligen Lebehoch brachte ihm die Versammlung den freudigsten Gruß. Der Gast antwortete mit einem Trinkspruche ›auf die Einheit des großen, starken, freien Vaterlandes!‹ und schloß an das ernste Hoch, das derselben erklang, den Vortrag eines satyrisch-launigen Gedichtes, welches mit scharfer Geißel die Vereinswuth unserer Zeit traf und ungefähr mit den Worten schloß: ›Für Alles in der Welt dürfen wir uns vereinen, nur nicht für die Einheit unseres Vaterlandes.‹ 36

Mit dem Motto:


Uns blieb nur Eine Waffe noch!
Frischauf! sie ist uns gut genug;
Mit ihr zertrümmert jedes Joch
Und jeden Lug und jeden Trug!

wurde dem ›freien Wort!‹ als der einzigen, aber unwiderstehlichen und unüberwindlichen Waffe für die Freiheitsbestrebungen der Zeit ein donnerndes Vivat gebracht 37. In gewandter geistreicher Rede verglich ein Theilnehmer 38 den Ehrengast mit Beranger, dem er in der Volksthümlichkeit wie im Geiste seiner Lieder verwandt sei; wie treffend und in mannigfacher Beziehung richtig dieser Vergleich auch sein mochte, wurde er doch von einem andern Theilnehmer 39 mit Recht zurückgewiesen, welcher behauptete, ›der Name Hoffmann von Fallersleben habe einen so guten Klang im Vaterlande, daß es keines aus der Fremde hergeholten Anlehnungspunctes bedürfe, um die Bedeutung desselben zu bezeichnen; eben so wenig es dem Franzosen einfallen werde, irgend einen Dichter den französischen Hoffmann zu nennen, eben so sehr solle man den ausländischen Maßstab meiden, um ein Talent zu messen, das so durchaus eigenthümlich und so rein deutsch sei.‹ Die heitere, von Freiheitsmuth und Hoffnung beseelte Stimmung [304] der Gesellschaft wurde einen Augenblick getrübt durch die Rede eines Theilnehmers, der die vaterländischen Zustände von der schwärzesten Seite betrachtete und nirgend Trost und Hoffnung finden wollte; die ehrenvolle Gesinnung, aus der diese Ansicht hervorgegangen, anerkennend, antwortete ein anderer Redner in kräftiger edler Sprache, auf die wirklich reiche Errungenschaft der letzten Jahre hinweisend den Geist und die Gesinnung segnend, welche die rechte Bahn zum wahren Fortschritte glücklich gefunden und Resultate auf derselben erzielt habe, um die selbst freiere Völker, um die Franzosen und Engländer uns zu beneiden Ursache hätten. Und diese Rede fand um so lautern Anklang, als sie die natürliche Stimmung der Gesellschaft wieder herstellte, die der Feier des Tages ganz angemessen war. Laute Billigung fand der ausgesprochene Wunsch, jeder Mann möge seine Gesinnung und sein Streben offen vor aller Welt zur Schau tragen, ungescheut zur ›Fahne der Partei‹ schwören, die er aus Ueberzeugung gewählt, die Heuchelei aber und alles Schlechte mit offener Acht befehden. Bei der Erwähnung der drei sogenannten Nationalunternehmungen: des Kölner Dombaues, des Hermannsdenkmals und der Errichtung einer deutschen Flotte, wurde das erstere nur mit lautem Hohne aufgenommen; aber allgemeine Zustimmung erfolgte, als der Redner aufforderte, den ›Kölner Dom, der auf verwitterter moralischer und physischer Grundlage erbaut werden solle, der ewig eine todte hohle Steinmasse bleiben werde, ob auch Pfaffen darin hausten, und an den das deutsche Volk kein einziges Band knüpfen könne, links, sehr weit links liegen zu lassen; dem Hermannsdenkmal, an das sich eine schöne Erinnerung knüpfe, eine lebhafte Theilnahme zu schenken, dagegen alle Kräfte auf die Herstellung einer Flotte zu lenken, von der die Farben des freien Vaterlandes jubelnd flattern durch die freie Luft und dahinwehen auf dem freien Meere bis zu dem fernsten Puncte der Erde, wo deutsche Brüder hausen.‹ Noch mancher herzlich gebrachte und freudig aufgenommene Trinkspruch erhöhte die Begeisterung; darunter sind besonders zu nennen: die hannoversche Opposition, die Stadt Osnabrück, der Unionsclub in derselben, die Majorität der badischen Kammer und ihr Sieg, die unabhängigen Blätter, die redlich für die gute Sache wirken u.s.w. Dazwischen erfreute der Ehrengast die Gesellschaft mit dem Vortrage zahlreicher neuer Lieder, die für eine neue Sammlung bestimmt sind [305] und die größte Heiterkeit hervorriefen, diese aber wechselten mit Gesang und manches Lied aus dem 1. und 2. Theile der ›unpolitischen Lieder‹ erklang aus voller Brust. Gegen Abend trennte sich die Versammlung in der glücklichsten, freudigsten Stimmung. Es war ein Fest, reich an Inhalt und Bedeutung, würdig schön und erhebend in seiner ganzen Haltung, freudig anregend und im Guten stählend in seiner Nachwirkung; ein Fest, das den Gebern eben so sehr zur Ehre gereicht, als dem Gaste, für den es veranstaltet wurde. –

Es ist heute wol Manchem unerklärlich, wie das was in der Zeit und für die Zeit gedichtet war, von der Zeit aufgenommen wurde. Freilich trugen auch die Schriftsteller das Ihrige dazu bei, es ließ sich mehr als eine anerkennende Stimme vernehmen. In Bezug auf das obige Frühstück sagt ein Berichterstatter in der Eisenbahn Nr. 43 vom 12. April unter anderem:

›Merkwürdig gerade in dem Harmlosesten, in denjenigen unter den Menschen, auf welche die Welt und das Leben ganz unmittelbar zu wirken scheint, die wie Kinder unter uns singen und spielen, in solchen wirkt des Volkes Freud' und Leid, Hassen und Hoffen am tiefsten und innigsten, und sie wissen nur Das, was sie fühlen, am ungeschminktesten, darum ergreifendsten wiederzusagen. Sie sind ihrer Wirkung stets gewiß; sie sind wahre Volksdichter. Weil sie es mit keinem Rauschgoldglanze, keinem Knalleffecte, mit keiner angedichteten Begeisterung zu thun haben, so werden sie in ihrem Thun und Dichten, je weiter sie in Jahren vorschreiten, desto frischer und lebendiger. Ihre Dichtung nimmt den Ausgangspunct im kleinsten Raume und dehnt sich mächtig und mächtiger aus, weil ein guter und nachhaltiger Grund in ihnen ist, während die Strohfeuerbegeisterung und der Knabenliberalismus so vieler noch jugendlichen Schriftsteller, eben weil das gute, goldreine Wollen des Allgemeinen, des Menschlichen fehlt, nur raketenartig in Worte aufsteigt und im Dunkel der Nacht alsbald erlischt, oder in vornehmes Geckenthum verpufft, wenn jener Knabenliberalismus auf Nichts weiter ausging, als um sein eigenes Ich zu parfümieren, daß es vor sich selber wohlröche. Von dem Allen ist Hoffmann das directe Gegentheil; er ist ein deutscher Mann, der jetzt erst zum Jünglinge reift, in aller Frühlingslust und Jugendinnigkeit.‹ [306] Daß dieser Tag, der für mich ein Ehrentag war und Freudentag bleiben sollte, für die Erinnerung auch noch zu einem Trauertage wurde, wie hätte ich das ahnden können? An diesem Tage starb in Berlin mein Bruder, fern von den Seinigen. Wochen vergingen, ehe ich den Brief eines Freundes erhielt, der mich von dem traurigen Ereigniß in Kenntniß setzte.

Daniel Hoffmann war geboren den 25. Mai 1790. In den Jahren 1811–1813 war er Mairie-Secretär meines Vaters, 1814 trat er in preußische Dienste, 1821 kam er in das Finanzministerium und wurde 1827 Rechnungsrath.

In allen Beziehungen des Lebens bieder, offenherzig, wohlwollend, gefällig, den Freunden ein treuer Freund, der Familie sein ganzes Leben hindurch in aufopfernder Liebe zugethan; in seinem Berufe allen, selbst den schwierigsten Arbeiten gewachsen, ausgezeichnet durch Geschäftskenntniß, gewissenhaft, fleißig, unverdrossen, bei seinen Obern und Amtsgenossen geliebt und geehrt; in Gesellschaften gemüthlich, liebenswürdig, unerschöpflich an guter Laune, reich an Scherzen und Witzen und ergötzlichen Geschichten, wobei ihn sein treffliches Gedächtniß und seine Belesenheit sehr zu statten kamen. Nur in den letzten Lebensjahren war er ernst und stiller geworden, er hatte sich von allen Gesellschaften zurückgezogen und nur auf einen kleinen Kreis von Freunden und befreundeten Familien beschränkt. Bei seiner häufigen Kränklichkeit fing er an, leider zu spät! mehr für seine Gesundheit zu sorgen.

Obschon er mit dem Wie damals regiert wurde, durchaus nicht immer einverstanden war, so konnte er doch nicht billigen, daß jemand sich in meiner Stellung berufen fühlen konnte, öffentlich dagegen zu dichten. Als älterer Bruder und ältestes Mitglied der Familie übte er gegen mich immer eine Art von Vormundschaft und konnte sich von dem Gedanken nicht frei machen, daß er als der Ältere noch immer wie sonst Alles besser wissen müßte. Und so zeigte sich denn auch bei uns, daß nichts so sehr als politische Ansicht und Ueberzeugung die Herzen einander zu entfremden vermag. Ich ehrte seine Besorgniß für mich, aber wie ich ihm gegenüber immer meine Selbstständigkeit behauptet hatte, so fühlte ich auch jetzt mich nicht im Mindesten veranlaßt, diese meine Selbstständigkeit ihm zu Liebe aufzugeben. Daß er ohne die freudige Theilnahme, wie er sie sonst [307] immer an meinem Leben genommen hatte, jetzt aus der Welt geschieden war, blieb für mich ein nachhaltiger Schmerz.

8. April. Bei Dr. Klee. Er will die Correctur meiner schlesischen Volkslieder übernehmen und wegen des Verlags mit Breitkopf und Härtel sprechen. Ich übergebe ihm das Manuscript, 682 Quartseiten. Es ist so sauber geschrieben, daß ein Corrector über keinen Buchstaben in Zweifel gerathen kann. Haupt, dem ich es vor einigen Tagen zeigte, war auch sehr erfreut darüber.

Dr. Diezmann schreibt mir, ich soll als Beilage zur Modezeitung in Stahl gestochen werden. (Ist auch ausgeführt worden).

9. April. Abends im Litteraten-Verein. Ich werde gebeten, Einiges vorzutragen. Ich wähle lauter Litterarisches. Man war mehr stutzig als erfreut. Die Leute stecken zu tief in der griechischen und römischen Classicität und Ausländerei, als daß sie sich mit meinen Ansichten befreunden könnten.

11. April. Binder erhält einen Bescheid des Censur-Collegiums, unterzeichnet von Dr. C. Gretschel, in Betreff meiner ›Hundert deutschen Lieder‹. Darin heißt es unter anderm, ›daß ein großer Theil der gedachten Lieder offenbar ganz unpassierlich ist, daß ein anderer Theil derselben nicht ohne wesentliche Veränderungen das Imprimatur würde erlangen können, und daß mithin nur ein verhältnißmäßig kleiner Theil der Lieder gedruckt werden könnte.‹ Binder war wie aus den Wolken gefallen. Noch einige Tage vorher hatte er hoffnungsreich mir gesagt: ›Gretschel hat noch gestern das Ganze gelesen, er ist entzückt davon und will Sie besuchen.‹ Er hat sich wol gehütet!

Am Nachmittage fahre ich mit dem Eilwagen nach Altenburg. Kurz vorher wird mir noch ein Breslauer Brief gebracht, man meldet mir, daß ich suspendiert sei.

12. April. Das Merkwürdigste für mich in Altenburg Heinrich August Pierer, Major, Hofbuchdrucker und Herausgeber des Universal-Lexikons. Daß sein Werk einst Jahre lang meine einzige Bibliothek sein würde, ahndete ich damals nicht, ich würde sonst noch mit größerer Ehrfurcht dem Manne mich genähert haben, der so Manchem im Leben aus Verlegenheit geholfen und so Manchen vor Unwissenheit bewahrt hat. Der Herr Major macht den Eindruck eines biederen, gemüthlichen und wohlhäbigen Mannes.

[308] 13.–20. April in Jena. Ich besuche Göttling. Er erkennt mich, aber nur, weil er in diesen Tagen mein Bildniß sah, das an einem hiesigen Laden aushangt. Wir frühstücken und gehen dann zur Bibliothek. Ich sehe die alten Liederhandschriften durch und untersuche mehrere Bruchstücke mittelniederländischer Handschriften. Georg Forster's Lieder leihe ich mir. Nach Tische spaziert. Wunderschönes Wetter, die Berge in herrlichster Beleuchtung. Dahlmann begegnet uns, dann Prutz mit Frau und Schwägerin, der alte Fries, O.L.B. Wolff.

Abends bei Prutz mit Wolff. Sehr lebhafte Unterhaltung: wir streiten über antike Bildung, über das Nachlateinen u. dgl. Wolff meiner Ansicht, Prutz uns entgegen. Wir bewirthen uns wechselseitig mit Gedichten. Wolff improvisiert ganz allerliebst. Erst um 1 Uhr scheiden wir in heiterster Stimmung.

14. April. Abends um 7 Uhr bei Wolff. Wir hören Gesang, schauen zum Fenster hinaus, gewahren aber niemand. ›Das gilt Ihnen, sagt Wolff, kommen Sie nur mit auf den Hof!‹ Da stehen etwa 30 Studenten, die in den Ferien zurückgeblieben sind, und singen: ›Freiheit, die ich meine.‹ Dann tritt einer hervor und bringt mir ein Hoch aus. Ich reiche jedem die Hand und danke herzlich für die Liebe und Anerkennung. Ich will noch mehr sprechen, aber ich bin zu bewegt. Sie singen dann noch eins meiner Lieder und gehen befriedigt heim.

16. April. Mit Wolff im Einspänner nach Weimar. Wir besuchen die Bibliothek. Ich werde Riemer vorgestellt. Der Mann mit seinem rothen Gesichte und der dicken Nase hat etwas Abschreckendes, eine in Spiritus gesetzte Reliquie aus Weimars Glanzperiode. Die unpolitischen Lieder sind angeschafft, die Bibliothecare haben aber die Weisung erhalten, sie nicht auszuleihen. Wird wol nicht so genau befolgt sein. Ich leihe mir auf Wolff's Namen das Liederbuch des Paul von der Aelst und zwei Bände mit Liedern des 16. Jahrhunderts in fliegenden Blättern.

Ich verkehrte die letzten Tage in Jena nur mit Wolff. Er ist ein angenehmer, ergötzlicher Unterhalter, unerschöpflich an Witzen, Einfällen, Geschichten aus dem Leben und der Litteratur. Durch ihn lernte ich Dr. Johann Heinrich Sievers kennen. Er hatte sich bereits durch ein Gedicht an mich bei mir angemeldet. Er wollte [309] Buchhändler werden und hielt sich Buchhandelns halber in Jena auf. Ein harmloser Meklenburger, der von der politischen Regung der Zeit mitergriffen war und deshalb glaubte sich poetisch daran betheiligen zu müssen. Ich machte ihm den Vorschlag, mich auf meiner Reise eine Strecke zu begleiten. Er ging darauf ein, und so fuhren wir am 21. April Morgens nach Rudolstadt.

Bis Kahla immer im Nebel, dann klärt es sich und bei schönstem Sonnenscheine kommen wir in ein liebliches Thal, welches noch lange nicht genug gekannt ist. Bald erreichen wir Rudolstadt, speisen zu Mittag, spazieren dann zum Schlosse hinauf und erfreuen uns der schönen Aussicht. Dann fahren wir zum Chrysopras. Es ist ein einsam liegendes Wirthshaus am Eingange ins Schwarzathal. Wir treffen ein als gerade eine Flößerei im besten Gange ist. Einige hundert Frauen, Mädchen und Kinder sind beschäftigt, auf beiden Ufern der Schwarza die Holzscheite, die stehen geblieben sind, abzustoßen und so wieder in Bewegung zu setzen. Drei Holzvögte, jeder mit einem langen messingbeschlagenen Stabe, schreiten gebieterisch einher und ertheilen ihre Befehle mit lauter Stimme. Sie haben sich in ihrem nassen Berufe durch Feuergeist gehörig zu stärken gewußt.

22. April immer unterwegs: durch's Schwarzathal nach der Schwarzburg und dann immer zwischen hohen Bergen voll Fichten und Tannen nach Wallendorf, von da über den Rennweg nach Sonneberg, und Abends in Coburg.

23. April. Wir kehren in Neuses bei Rückert vor. Wir hatten ein hübsches Landgut mit einem parkartigen Garten in einer lieblichen Gegend erwartet, und finden eine ganz gewöhnliche Gegend, ein unansehnliches Haus und einen eben angelegten Garten mit jungen Bäumchen und Sträuchen. Es gehört wirklich eine große Phantasie dazu und noch größere Genügsamkeit, um das Alles auf die Dauer schön zu finden.

Rückert sitzt im Garten. Als er uns nahen sieht, erhebt er sich. Ein langer, ziemlich hagerer Mann; sein Gesicht mit starken Zügen hat etwas Finsteres und fast Abgelebtes; sein langer Rock ist so verschossen, daß es schwer hält nach irgend einer Farbenscala seine jetzige Farbe zu bezeichnen. Er bewillkommnet uns sehr ernst, beinahe kalt. Wir gehen in eine Laube ohne Laub und setzen uns.

[310] Ich. Wie gefällt es Ihnen in Berlin?

R. Jetzt besser als früher.

Ich. Was haben Sie diesen Winter gearbeitet? wol an einer Uebersetzung der Hamasa?

R. Ja, ich bin damit fertig geworden. (Er läßt sich aus über Uebersetzungstreue.)

Ich. Was giebt's denn Neues in Berlin? Das Frankfurter Journal meldet aus Preußen, daß Jacoby verurtheilt ist und daß ich entlassen sei.

R. Sie haben auch wol nichts Anderes erwartet?

Ich. Ich freilich nicht, aber Andere haben Anderes erwartet, viele glauben noch gar nicht daran.

R. Sie haben es provociert.

Ich. Der Staat hat das Recht, sich der Staatsdiener, die ihm nicht genehm sind, zu entledigen, aber nicht das Recht, ohne Urtel und Recht jemanden abzusetzen. Der König hat die Cabinetsordre wie es heißt unterzeichnet.

R. Sie werden Pension bekommen – ich kann es mir gar nicht anders denken – und da wird man Ihnen erlauben, überall zu leben.

Ich (lächelnd). Sie beneiden mich am Ende noch!

Rückert wurde zutraulicher.

R. Es ist weiter kein Unglück, wenn Sie mit 500Rb. pensioniert werden etc., in Hildburghausen können Sie mit 500 Rb. das erste Haus machen. Ich ließe mich gleich pensionieren.

Ich. Sie dürfen nur wieder etwas Politisches dichten.

R. O ja, wenn man nur die Gränze wüßte!

Ich. Das Schlimmste für mich wäre, wenn ich aus Deutschland verbannt würde.

R. Da bleibt Ihnen Europa offen, und wenn das auch Ihnen versagt ist, gehen Sie nach America. Dort lebt jetzt deutsche Kunst und Wissenschaft auf. Wir müssen einen deutschen Staat gründen. Meine Söhne sollen auch hin.

Ich. Ich bin mit Deutschland zu sehr verwachsen: Verbannung wäre mir das größte Unglück.

So scheiden wir. Spät Abends zu Hildburghausen im englischen Hof. Ich gebe mich für einen Papierhändler aus, werde aber von [311] einem der Anwesenden erkannt. Das Fremdenbuch wird umhergereicht. Sievers schreibt in die Rubrik: Zweck der Reise ›Chausseegeld zu bezahlen.‹ Wir hatten sehr oft viel bezahlt. Ich schreibe: ›Die Dorfzeitung an der Quelle zu lesen.‹ 40

24. April. Unser erster Buch gilt dem Gründer des Bibliographischen Instituts, Josef Meyer. Wir finden ihn in seinem Comptoir. Er empfängt uns sehr freundlich. Wir sprechen über die neuesten Zeitverhältnisse. Ich finde ganz den Mann wieder wie er sich selbst giebt in seinem ›Universum‹. Wenn man auch nichts weiß von seinen großen Leistungen auf dem Gebiete des Wissens, des Handels und der Industrie, so gewahrt man doch gleich den außerordentlichen Mann, der mit vielseitigen Kenntnissen glühenden Muth verbindet für des Vaterlandes Glück, Freiheit und Recht, und für den Fortschritt der Menschheit. Wenn ich seine ›Groschenbibliothek der Deutschen Classiker für alle Stände‹ vom gewöhnlichen Buchhändlerstandpunkte aus mißbilligen mußte und vom litterarischen aus nicht billigen konnte, denn er geht zu einseitig zu Werke 41, so war ich doch einverstanden mit dem was er beabsichtigte. Er hatte wie alle bedeutenden Menschen seine Feinde, aber wenn von diesen längst keine Rede mehr ist, wird das Edle in seinen Bestrebungen noch leben.

Noch am Nachmittag reisen wir weiter und sind am Abend im sächsischen Hof zu Meiningen.

25. April. Wir besuchen Ludwig Bechstein.

Er ist ein angenehmer Gesellschafter, der lebendig und ergötzlich zu unterhalten weiß. Er scheint mit seinem Schicksale zufrieden: er hat Haus, Frau und Kinder, eine hübsche Bibliothek und Curiositäten-Sammlung, und als Hofbibliothecar einen kleinen Gehalt und denselben Titel, der einst von hier aus Schiller'n zu Theil ward. Von seiner fruchtbaren Schriftstellerei hatte ich am liebsten ›Fahrten eines Musikanten‹. Merkwürdig, daß gerade dies seiner Bücher nur die eigene Aufzeichnung seines Freundes, des Musikers Elster ist, die er zugestutzt hat und vielleicht nicht einmal immer glücklich. Seine [312] Vielschreiberei scheint nicht allein aus einem unwiderstehlichen Triebe zu dichten und zu erzählen hervorgegangen zu sein, sondern auch aus der Nothwendigkeit das was ihm zur Erhaltung seines Hausstandes und seiner Liebhabereien fehlte, durch Honorare einzubringen. Leider läßt sich auch von seiner Schriftstellerei sagen: ›Etwas weniger wäre mehr gewesen.‹

27. April. Um 4 Nachmittags wieder in Jena. Endlich komme ich ins Klare über mein nächstes Schicksal. Während die Zeitungen bereits meine Absetzung verkündeten, ist bis jetzt nur erst die Suspension erfolgt, wie mir Heinke in einem Schreiben vom 14. April mittheilt.

28. April. Am Abend wird mir angezeigt, daß die Studenten vom Fürstenkeller mir ein Ständchen bringen wollen. Gegen 60 kommen schweigend in den Hof der ›Sonne‹, bilden einen Halbkreis und singen. Als ich das Fenster geöffnet habe und hinabsehe, tritt einer vor und bringt mit lauter Stimme folgendes Hoch aus: ›Dem Manne der Wissenschaft und der Gegenwart, dem Kämpfer für Licht und Wahrheit, dem Sänger des Liedes welches That ist, H.v.F., bringen Jünglinge, deren Streben ist, zu erfassen die Gegenwart und mitzubilden die Zukunft, ein dreifach donnernd Hoch.‹ Es wird noch ein Lied gesungen, dann Alles still. Ich danke tiefbewegt mit wenigen herzlichen Worten, und schweigend geht der Zug von hinnen. Es war nicht gestattet worden, mir ein feierliches Ständchen zu bringen. Wie ich später erfuhr war der Sprecher Wilhelm Genast, Sohn des Hofschauspielers Genast in Weimar.

29. April. Abreise aus Jena. Mich fährt derselbe Hauderer, der gestern den von Berlin heimkehrenden Professor Dahlmann nach Jena zurückgebracht hat. Wunderliches Zusammentreffen! In demselben Wagen gestern der abgesetzte, landesverwiesene Göttinger Professor, der eine ehrenvolle Anstellung in Preußen findet, und heute wieder ein Professor, der aber in Preußen abgesetzt werden soll!

Durch die sogenannte weimarische Schweiz, Dornburg und Umgegend nach Schulpforta. Ich wollte Professor Steinhart nur auf ein Stündchen besuchen. Wir waren zusammen auf dem Pädagogium zu Helmstedt und hatten uns seitdem nicht wieder gesehen, also seit beinahe 30 Jahren. Aus dem Stündchen werden mehrere Tage. Die klösterliche Stille in dem schönen Saalthale thut mir wohl. Bei [313] dem heitersten Frühlingswetter und im traulichen Verkehre vergeht mir die Zeit schnell und angenehm.

5. Mai, am Himmelfahrtstage, begleitet mich Steinhart nach Weißenfels zum Director Harnisch. Der Mann ist noch sehr rüstig, meint aber doch, man müsse nicht im unkräftigen Alter einer Seminar-Directorstelle vorstehen. Er wird nächstens Pfarrer an der Elbe. Früher liberal, jetzt etwas fromm, hat den rothen Adlerorden, liest die Staatszeitung und bezieht bald ein Einkommen von 1800 Rb. – Im Einspänner nach Leipzig.

6. Mai. Als ich mir Abends im Hôtel de Pologne Essen bestellt habe, meldet mir Dr. Wuttke, daß die Studenten mir ein Ständchen bringen wollen. Wir sitzen im großen Saale und speisen, da öffnen sich die Flügelthüren. Gegen 300 Studenten stehen in und vor dem Hause. Sie singen: ›Ach, wir armen Narren hoffen stets und harren‹. 42 Dann hält ein Student eine Rede und bringt mir ein Hoch aus, in das alle einstimmen. Ich trete vor und danke; was ich sagte, weiß ich nicht mehr – ich war sehr ergriffen. Dann singen sie: ›Freiheit, die ich meine.‹ Ich lasse das freie Wort leben.

7. Mai. Gestern kaufte ich 6 Exemplare des 2. Theils der U.L. für einen Freund. Ich mache gleich die Entdeckung, daß der Druck mit dem früheren nicht stimmt. Heute vollende ich die Vergleichung beider Drucke: in dem neuen finde ich über 155 Abweichungen. Campe hat mich also ohne mein Wissen und meinen Willen nachgedruckt. Wuttke räth mir, ihn zu verklagen. Niemand sei erfahrener in solchen Dingen als der Advocat Schellwitz. Wir gehen zu ihm. Ich übergebe ihm den Thatbestand. Schellwitz meint, in Hamburg lasse sich bei den Gerichten gar nichts ausrichten; man müsse warten, bis Campe wieder zur Messe komme. Uebrigens wolle er an ihn schreiben und ihn auffordern, sich gütlich mit mir abzufind en.

Ich hatte schon mehrere Berliner gefragt, die meinen Bruder kannten, ob sie nichts von ihm wüßten. Niemand wollte mir die Wahrheit sagen, es hieß immer, er wäre krank. Ein marterndes Gefühl sagt mir immer: er ist todt, und dies Gefühl verläßt mich nicht mehr. Am späten Abend höre ich dann die schreckliche Kunde [314] von seinem Tode. Ich entschließe mich so schnell als möglich nach Berlin zu gehen.

8. Mai. Ich höre heute erst von dem furchtbaren Brandunglücke Hamburgs. Die ganze Deichstraße ist abgebrannt. Als Campe Leipzig verließ – denn er war hier – lag sein Haus bereits in Asche. Ich nehme meine Klage gegen ihn sofort zurück. – Breitkopf und Härtel übernehmen den Verlag der schlesischen Volkslieder. Bei Engelmann werden ›Politische Gedichte aus der deutschen Vorzeit‹, von mir gesammelt, erscheinen.

10. Mai treffe ich in Berlin ein und noch denselben Tag untersuche ich den Nachlaß meines Bruders. Ich besuche die Freunde meines Bruders und die Grimm's; bei letzteren treffe ich Bettina, die sehr ergötzliche Geschichten erzählt.

12. Mai werde ich zu einem Frühstücke abgeholt, welches 20 Studenten mir zu Ehren veranstaltet haben. Ich war Tags vorher dazu eingeladen, und hatte es nur angenommen unter der Bedingung, daß es an keinem öffentlichen Orte stattfände. Mein Wunsch war erfüllt: wir befanden uns ganz unter uns auf einer geräumigen Studentenkneipe. Ohne alles Aufsehn verlief sich die Sache, obschon es nicht eben geräuschlos herging. Es wird gut gefrühstückt und noch besser getrunken, und viel gesungen. Ich höre meine Lieder oft nach neuen, von den Studenten gemachten Melodien singen. Mitunter kommen auch hübsche Varianten vor:


Dankbar essen wir drum Juchten,
Gehn spazier'n in Caviar. 43

Am 14. Mai wieder in Breslau. Durch meine einstweilige Entamtung war ich ein ganz freier Mann geworden und konnte nun meine Zeit nach Belieben verwenden. So erwünscht mir das früher gewesen wäre, so war es mir doch unter den jetzigen Umständen sehr unwillkommen. Ich fühlte mich vereinsamt, und fast überall, wo ich mich blicken ließ, unangenehm berührt. Die vielen guten Bekannten, zumal aus dem Beamtenstande, suchten jetzt absichtlich jedes Zusammentreffen mit mir zu vermeiden, und um ihre verwandelte Gesinnung gegen mich zu verhüllen, grüßten sie mich um so freundlicher, beeilten sich aber an mir vorüberzukommen. Die Herren Collegen zeichneten sich in dieser Beziehung noch ganz besonders aus, sie flohen mich [315] wie ein räudiges Schaf. Auch die Breslauer Poeten, die mich bisher als ihren Zunftgenossen, wenn auch ungerne, betrachtet hatten, hielten es nicht unter ihrer Würde, mir dem Fast-Abgesetzten bei jeder Gelegenheit eins zu versetzen.

Das Leben in Breslau war mir mehr als je verleidet, ich sehnte mich hinaus nach frischer freier Luft und begab mich ins schlesische Gebirge zu meinem Freunde Eduard Kießling. Drei Wochen verweilte ich hier (26. Mai–17. Juni) still und heiter in der herrlichen Natur. Ich war übrigens nicht unthätig: ich dichtete viel und schrieb die Vorrede zu meinen ›Politischen Gedichten aus der deutschen Vorzeit‹. Da sie in Leipzig von der Censur gestrichen wurde, so übergab ich sie Georg Fein, der sie mit einem Nachworte in Straßburg drucken ließ. 44

Bald nach meiner Rückkehr aus dem Gebirge erhielt ich einen Brief von einem jener Studenten, die mich in Berlin zum Frühstück eingeladen hatten. Sie wollten ein neues Commersbuch herausgeben und ersuchten mich um Beiträge. Ich machte auf einige passende Lieder aufmerksam, neue konnte ich nicht beisteuern. Sie nahmen 18 auf; weit mehr mußten sie der Censur wegen zurücklassen. Das Buch erschien unter dem Titel: ›Deutsche Lieder nebst ihren Melodien.‹ (Leipzig. Robert Friese. 1843. 12°.).


[In jenen Tagen fiel es Hoffmann auf, daß er nicht mehr zu den Sitzungen der Facultät eingeladen wurde. Auf seine Aufrage bei derselben wurde ihm durch den Decan die Antwort zu Theil, daß die Behörde der Facultät auf ihre Frage den Bescheid gegeben hätte, daß die Suspension vom Amte auch die Theilnahme an den amtlichen Verhandlungen ausschließe. Das gehässige Verfahren der Facultät fand überall große Mißbilligung.]


Es war um diese Zeit viel gestritten in öffentlichen Blättern über das amtliche Verfahren gegen mich, nach welchen Gesetzen ich verurtheilt und durch wen ich abgesetzt werden könnte, ob durch das [316] Staatsministerium, oder den Staatsrath, oder nur durch den König. Wie es bisher üblich gewesen war in ähnlichen Fällen, wurde auch gegen mich verfahren; die letzte Entscheidung lag bei dem König.

Man war noch immer der Meinung, daß ein so geistreicher kunstliebender König wie Friedrich Wilhelm IV., der eben erst einem Dichter, Friedrich Rückert, ein Amt verliehen hatte, einen andern nicht seines Amtes entsetzen würde. Diese Meinung theilte auch Gustav Schwetschke und richtete an den König ein langes Gedicht: ›Der neue Archias.‹ 45 Es beginnt:


Für Archias den Dichter
Sprach einst des Rhetors Kunst;
Vergönne, milder Richter!
Dem Deutschen gleiche Gunst.
Für Hoffmann-Fallersleben,
Den freien Sangeshort,
Laß muthig sich erheben
Ein frei beflügelt Wort.

Alles recht schön und gut, aber Alles umsonst.

Unterdessen war mir der Aufenthalt in Breslau immer unheimlicher geworden. Da man mir von Seiten des Ministeriums kein Hinderniß mehr in den Weg legte, so ertheilte man mir so oft ich darum bat Urlaub und kaum war wieder einer in meinen Händen, so reiste ich ab (den 27. Juli).

In Leipzig mache ich wenig Besuche. Am 1. August bei H. Brockhaus. Die Verlagsbuchhandlung hatte mir für meine 1834 erschienenen Gedichte kein Honorar gegeben und beanspruchte nun sogar noch das alleinige Eigenthumsrecht derselben. Ich wünschte endlich mit ihr ins Reine zu kommen und erhielt nach einigen Verhandlungen die schriftliche Erklärung, daß mir die freie Benutzung meiner Gedichte zustände. Dies Zettelchen und die Ehre, unter der Firma Brockhaus Gedichte herausgegeben zu haben, war also mein ganzes Honorar!

3. August in Althaldensleben. Ich spaziere im Nathusiusschen Park. Das Ganze überraschend, Natur und Kunst, Nutzen und Vergnügen [317] im besten Verbande. Ich erkundige mich beim Gärtner nach dem Dichter Nathusius. Er wohnt dem Parke gegenüber. Ich finde schnell mich zurecht. Auf der Treppe begrüße ich ihn. Er ist verlegen und ich werde es auch. Erst als ich sage, wer ich bin, wird mir ein freundlicher Empfang. Kaum sitze ich mit ihm auf dem Sopha, so kommt seine Frau und flüstert ihm etwas zu. Ich werde zu Abend eingeladen. Wir spazieren vorher noch im Park. Auf dem Balkon wird gespeist. Frau Marie Nathusius trägt ihre Compositionen vor. Wir singen viel.

4. August. Philipp Nathusius ladet mich zu Mittag ein. Unsere Gespräche werden sehr politisch. Marie ist sehr bewegt: ›Nun, was meinen Sie denn, was soll denn der Einzelne thun?‹ – ›Ich denke mir immer, es muß jeder von seinen Verhältnissen aus zu wirken trachten, jeder für sich erst tüchtig werden – –‹ Merkwürdig, daß immer die Frauen am lebendigsten durchdrungen sind von der Nothwendigkeit des Fortschritts und eifriger als ihre und andere Männer der Partei der Bewegung angehören, entschiedener sind oder werden.

Am folgenden Tage fahre ich in meine Heimat. 6.–13. August in Fallersleben. Meine Mutter für ihr hohes Alter noch sehr munter und rüstig; wir machen sogar einen Spaziergang von einer Stunde nach dem nächsten Dorfe. Ich spaziere viel im Garten, lese Zeitungen und dichte. Stille, heitere Tage.

14. August mit meiner Mutter und Schwester Minna nach Wittingen in der Lüneburger Heide, dem Geburtsorte meiner Mutter. Schöner Morgen. Jenseit der Aller eine andere Welt: Sand, Heide, Nadelholz, Heirauch, nirgend ein Haus, nirgend ein Acker, Wege nach allen Richtungen, furchtbare Einöde. – 15. August. Ich nehme Abschied heiterer wie sonst und ahnde nicht, daß ich meine gute Mutter nicht wiedersehen sollte. Am 16. August treffe ich in Hamburg ein. Um 10 Uhr Abends führt mich mein Weg durch die unermeßliche Brandstätte. Während ringsumher noch geschäftiges Leben, ist hier Alles todtenstill, der Vollmond beleuchtet den grausigen weiten Trümmerhaufen.

17. August. Meinen Nachdruckproceß gegen Campe kann ich nicht wieder beginnen, ich muß mich mit ihm einigen, um für meinen einen Schwager, der eben in großer Verlegenheit ist, etwas Geld zu [318] bekommen. Dr. Wille übernimmt das unangenehme Geschäft, mit Campe zu verhandeln.

18. August. Im Schöne'schen Quartettvereine höre ich mehrere Compositionen meiner U.L., Schöne hat gegen 50 componiert. Ich bin sehr überrascht: der Componist hat geleistet was ich wünsche, er hat einen neuen Weg eingeschlagen, eine neue Musik geschaffen, wie sie die neue Dichtung fordert.

Ich blieb nun noch einige Tage, um mit Campe ins Reine zu kommen, und es gelang: am 22. August zahlte er noch 400 Rb. für den zweiten Theil und ich unterzeichnete einen Vertrag, wodurch alle meine Ansprüche meiner Seits so gut wie für immer beseitigt wurden. Campe verpflichtet sich nämlich, noch 200 Rb. zu zahlen, wenn binnen 3 Jahren eine 2. Auflage mit Genehmigung der preußischen, hamburger oder königlich sächsischen Censur erscheinen darf. Wird aber in diesem Zeitraume die Druckerlaubniß nicht erzielt, so fällt die Zahlung obiger zweihundert Thaler gänzlich weg, ›und zwar dergestalt, daß die Verleger für die heute gezahlten vierhundert Thaler das Verlagsrecht dieses zweiten Theils, ein für alle Mal, gekauft und erworben haben‹.

Von dieser Seite durfte ich also nichts mehr für mich erwarten, und wenn es mir noch so schlecht ginge. Meine Entdeckung seiner Nachdruckerei, die in der ganzen Buchhändlerwelt übel vermerkt worden war, hatte ihn zu sehr verdrossen. Wie viele zweite Auflagen des 2. Theils erschienen sind, ist mir nie bekannt geworden, ich weiß nur, daß auf jedem Abdrucke 1842 steht. Daß er es mit dem zweiten Theile ebenso gemacht haben wird, wie mit dem ersten ist ziemlich gewiß.

23. August nach Helgoland. Oben an der Treppe treffe ich Dr. Freitag und Graf Dyhrn nebst Frau. Von den alten Freunden, Bekannten und Landsleuten finde ich nur wenige wieder und mache wenig neue Bekanntschaften. Ich verkehre meist mit den Helgolandern und beschäftige mich viel mit ihrer Sprache. Meine Ausbeute habe ich erst später veröffentlicht. 46


[319] Den 12. September verlasse ich Helgoland. Gute Fahrt: wir kommen wohl und munter in Cuxhaven an. Die hannoverschen Freunde warten schon auf mich. Wir spazieren nach Ritzebüttel. Abends mir zu Ehren ein großes Gastmal. Viele Hofbesitzer aus dem Lande Hadeln, einige Bremerleher und Hauptmann Böse von Bederkesa, etwa 40 sind eingetroffen. Im großen Saale des Gasthofs zu Cuxhafen ist eine lange Tafel gedeckt. Das Mal beginnt. Nach dem ersten Gerichte bringt August von Seht meine Gesundheit aus. Nachdem ich meinen Dank dargebracht, folgen viele Trinksprüche und Lieder. Allgemeine Heiterkeit. Um Mitternacht fahre ich mit Christian Schmoldt nach seinem Gute in Westerende-Otterndof.

13.–16. September im Lande Hadeln. Wir machen Ausflüge nach verschiedenen Richtungen, und so lerne ich das kleine merkwürdige Ländchen bald kennen. Ueberall wohin ich komme wird mir die herzlichste Theilnahme. Was die Natur nicht bietet sucht man durch Treuherzigkeit und Gastfreundschaft zu ersetzen. Es ist Alles so wahr an diesen Leuten, daß man sich nicht wundern darf, wenn sie so fest halten an den einfachen Begriffen von Freiheit und Recht und sich als verfassungstreue Männer bewährt haben und ausharren. In allen lebt der alte friesische Freiheitsgeist noch fort und spricht sich wie im gewöhnlichen Leben so auch noch in ihrem Gemeindewesen aus. Wie ein alter lieber Freund war ich aufgenommen und so schied ich wieder, und allen mußte ich versprechen, recht bald wiederzukehren, und jeder bat mich noch dringend, auch dann bei ihm eine Zeit lang zu wohnen. Letzteres hätte ich wol nie ausführen können, es waren der Einladenden zu viele.

17. September fahre ich nach Bederkesa. Es liegt an einem ziemlich großen See, in der Nähe von schönen Buchenwäldern. Oben auf einer kleinen Anhöhe mit lieblicher Aussicht Böse's Sitz. Er ist auf der Jagd. Es wird nach ihm geläutet. Er kehrt mit zwei Hasen heim. Böse ist ein kleiner Mann von sehr lebendigem Wesen. Er hat sich in den hannoverschen Verfassungswirren einen Namen gemacht, er war ein unermüdlicher, gewandter Gegner der Regierung und ward ihr sehr unbequem und von ihr sehr belästigt und verfolgt. Wie er früher für die Freiheit des Vaterlandes als Hauptmann kämpfte, so ist er noch jetzt ein Hauptmann im Kampfe für das gute Recht.

[320] 18. September nach Bremerhafen und dann mit dem Dampfschiffe nach Bremen, und von da mit der Post die Nacht durch nach Osnabrück. Nach den anstrengenden Fahrten der letzten Tage, besonders nach der letzten Nacht, war ich sehr angegriffen, ich sehnte mich nach Ruhe und hoffte sie reichlich zu finden, da ich ja niemanden in Osnabrück kannte. Als ich mich aber nach einigen Stunden im Gasthofe sehr einsam fühlte, so trieb's mich hinaus: ich besuchte den Procurator Hollenberg, an den mir Böse einige Zeilen mitgegeben hatte. Wir verabredeten einen Spaziergang auf den Nachmittag. Nach Tisch wurde ich abgeholt. Wir wanderten nach Schumla, von da nach der Musenburg. Ohne zu ahnden, was mir bevorstand, trat ich ein: gegen 50 Bürger warteten mein und wünschten mich zu sehen, zu hören und zu ehren.


[Auf der Musenburg entwickelte sich an jenem Abend ein Leben, wie man es nur aus jener Zeit heraus verstehen kann. Rede und Gesang wechselten zur Verherrlichung des deutschen Vaterlandes und zur Feier seines unerschrockenen Sängers. Und wie verstand Hoffmann das Feuer der Begeisterung durch seine Trinksprüche und Lieder zu nähren! Kein Wunder, daß dieser Abend bei jedem Theilnehmer eine gehobene Stimmung zurückließ, aus welcher jener Bericht hervorgegangen ist, der in den Zeitungen veröffentlicht wurde und die Aufmerksamkeit der Regierung auf diese Feier lenkte.]


Den Männern der politischen Bewegung lag es damals daran, die Theilnahme an den vaterländischen Angelegenheiten zu erhalten, zu steigern und weiter zu verbreiten. Es genügte ihnen deshalb nicht, daß man bei dieser oder jener Gelegenheit sich freisinnig ausgesprochen hatte, alle Welt sollte wissen, daß man seiner Überzeugung öffentlich kundzugeben sich nicht scheute. Und so galt denn der Bericht über diesen Abend eben sowol der Partei als mir.

Die Osnabrücker Geschichte blieb aber nicht ohne Folgen. Viele Theilnehmer wurden in Untersuchung gezogen, um von ihnen zu erfahren, wie es dabei hergegangen sei und welche Trinksprüche man ausgebracht habe. Die hannoversche Regierung schenkte mir von dieser Zeit ab eine größere Aufmerksamkeit.

Am folgenden Tage begleiteten mich eine große Anzahl Bürger zur Post und ließen bei meiner Abfahrt ein jubelndes Hoch erschallen. [321] Daß mein Singen den Menschen nicht immer und überall angenehm war, wußte ich längst; daß es aber auch den Thieren mißfallen könnte, war mir neu. Unterweges bei dem schauerlichen Herbstwetter, das einen leicht verstimmen konnte, fing ich an zu singen. Da hielt der Postillon still, kam an den Kutschenschlag und bat mich um Gotteswillen nicht zu singen, sein Handpferd könne es durchaus nicht vertragen, es würde flüchtig.

22.–24. September in Köln. Den 23. September enthält die Rheinische Zeitung mein Gedicht: ›An meinen König‹. 47 Dasselbe wurde mir von einigen Seiten sehr übel genommen, man nannte es sogar einen Bettelbrief. Ich hatte für mich nichts gebeten, denn ich sprach frei und ließ mich durch Niemanden irre machen; und was ich drucken lassenwollte, ließ ich nach wie vor drucken.

26. September in Heidelberg. Ich besuche Gervinus, treffe aber nur seine Frau. Sie ist sehr lebendig und theilnehmend und wahrscheinlich viel freisinniger als ihr Herr Gemal.

27. September – 4. October in Straßburg. Abends um 9 am Bord des Dampfschiffes in Mannheim. Mit allerlei Flaggen und unter dem Donner der Böller kommen wir vor Straßburg an. Morgen beginnt derCongrès scientitfique de France seine zehnte Versammlung. Nicht die Aussicht auf große wissenschaftliche Ausbeute hat mich hieher geführt, sondern nur die Hoffnung, diesen und jenen wiederzusehen oder kennen zu lernen. Mir ist der Verkehr mit meinen Landsleuten mehr werth als der ganze Congreß. Man hat mir zwar die Ehre erwiesen, mich in der 7. Section: Littérature française et étrangère zum Vice-Präsidenten zu ernennen, ich nehme aber weder an den Sitzungen noch an den Festlichkeiten Theil. Die letzteren sind mir denn doch etwas zu französisch, z.B. Sonntag-Morgen den 2. October wurde uns zu Ehren eine große Parade auf dem Kleberplatze abgehalten, wozu die ganze Besatzung aufgeboten war – sehr schön, aber sehr langweilig!

Durch Georg Fein lernte ich die letzten Reste des deutschen Volkslebens kennen: wir besuchten die Bierhäuser und Tanzorte. Das Ergötzlichste für mich war ein Commers der Deutschen, wozu ich selbst die Anregung gegeben hatte, ein Commers, wie er wol noch nie vorgekommen war: Männer von den mannigfaltigsten, zum [322] Theil widerwärtigsten Schicksalen saßen hier in jugendlicher Heiterkeit und sangen ihre alten Burschenlieder. Ich hatte darauf gerechnet, daß eine größere Betheiligung stattfinden würde, viele mochten sich scheuen, mit so Politisch-Anrüchigen zusammen zu kommen, auch nahm kein Elsasser Theil. So saßen wir im Apfel zu Straßburg von 8 Uhr Abends bis 1 Uhr einmüthig und fröhlich beisammen und schufen uns selbst die angenehmste Erinnerung an Straßburg. 48

Der Hauptzweck meiner Rheinreise war noch nicht erreicht. Ich wollte nämlich eine Fortsetzung meiner U.L., die in Deutschland nun einmal nicht erscheinen konnten, in der Schweiz drucken lassen. Ich hatte mich an das Literarische Comptoir in Zürich gewendet und wollte von Basel aus diese Angelegenheit weiter betreiben. Den 5. October verließ ich daher mit Georg Fein Straßburg.

Georg Fein, ein merkwürdiger Mensch! Jetzt erst lerne ich ihn näher kennen. Trotz aller Mühsale und Widerwärtigkeiten, woran sein Leben so reich ist, hat er seine Liebe für Freiheit und Vaterland treu gehegt, nie seine Überzeugung geleugnet, nie den Muth verloren für seine Ideen zu leben und zu wirken. Bewundernswerth ist seine jetzige Thätigkeit, die deutschen Handwerker in Frankreich und der Schweiz durch Fortbildungsvereine zusammen zu bringen und zusammen zu halten, damit sie recht vaterländisch gesinnt, sittlich und gebildet werden, um einst heimgekehrt als würdige Söhne des Vaterlandes die bessere Zukunft Deutschlands mit herbeiführen zu helfen. Überall, wo wir längerv erweilten, hatte er Besprechungen mit deutschen Handwerkern und vertheilte kleine Schriften, worin Winke und Wünsche ausgesprochen waren, ein besseres Leben und Streben für das Vaterland anzubahnen.

In Basel fühle ich mich sehr unwohl und begebe mich zu Bette. Um 10 Uhr Abends meldet mir Fein, man beabsichtige mir einen Fackelzug zu bringen. Nach einigen Minuten rückt schon der Zug mit Fackeln heran, an der Spitze die Musik des eben im Dienst befindlichen Jägerbataillons. Vom Bette aus höre ich die Hörner und sehe den Fackelschein. Der ganze Platz an der Barfüßer Kirche soll gedrängt voll Menschen sein. Professor Hagnauer, der mich zuvor begrüßt hat und eben wieder bei mir ist, hält eine Antwort [323] für nothwendig auf das Hoch, das auf mich eben ausgebracht ist. ›Nun, sage ich, wenn Du meinst, so antworte!‹ Er dankt für mich im Schweizerdeutsch:›Der Hoffmann isch chrank – er losst üch danke, dass ihr ihm e gueten Obed bringt. – ich aber säg üch e guete Morge – Schwyzer, mir säge e guete Morge!‹ Das ist eine wunderliche Rede – wir können das Lachen nicht lassen.

8. October. Am Morgen kommt Julius Fröbel, Mitgründer und Hauptleiter des ›Literarischen Comptoirs‹ in Zürich. Ein stattlicher Mann, dessen äußere Erscheinung schon keinen gewöhnlichen Eindruck macht: schwarzes Haar, hohe Stirn, tiefliegende dunkele Augen, ernst, nachdenkend, scheinbar ruhig. Wir verhandeln über die ›Deutschen Lieder aus der Schweiz‹, 49 die als Fortsetzung der U.L. betrachtet werden können, und sind sofort einig. ›Die Verlagshandlung darf von diesen Gedichten eine erste Auflage von fünftausend Exemplaren veranstalten‹, ferner: ›Der Herr Verfasser theilt mit der Verlagshandlung den reinen Gewinn dieser Auflage‹ und ›Bei einer neuen Auflage wird neu contrahiert.‹

9. October. Ich besuche abermals Professor W. Wackernagel. Er macht mir abermals Vorwürfe, daß ich mit solchen Leuten, wie die Anstifter des Ständchens, verkehre. Ich soll also Partei nehmen gegen Leute, die mir eine Ehre erweisen, bloß weil ein alter Freund nicht zu ihrer Partei gehört! Wunderliche Zumuthung! Unsere Zusammenkunft war diesmal eine unerfreuliche. Aus unseren Gesprächen ergab sich, daß wir in religiösen wie in politischen Dingen wenig übereinstimmten: der Breslauer Wilhelm war ein Baseler Herr geworden.

Ich trete die Rückreise an; am 10. October von Kehl mit dem Dampfschiffe nach Heidelberg. In der Kajüte lese ich die Zeitungen und finde einen Berliner Artikel, der mir darauf berechnet zu sein scheint, mich zu schleuniger Rückkehr von meiner Reise zu veranlassen. ›Dem Professor H.v.F. soll es höheren Orts wieder gestattet sein, nach wie vor, auf der Breslauer Universität zu docieren, da die Gründe zu seiner beabsichtigten Suspension nicht triftig genug befunden worden sind‹. Ich lasse mich nicht irre machen und folge noch denselben Tag einer Einladung in die Rheinpfalz.

20. October in Leipzig. Ich werde sehr angenehm überrascht:

[324] Engelmann überreicht mir die fertigen Exemplare meiner ›Politischen Gedichte aus der deutschen Vorzeit‹. Ebenso freut es mich, daß bereits drei Hefte der schlesischen Volkslieder gedruckt sind.

Ich eile über Dresden und Görlitz nach Breslau und treffe den 24. October Morgens ein. Zu meiner Bewillkommnung enthielten beide Breslauer Zeitungen an einem und demselben Tage folgenden Artikel aus Leipzig: ›Die Art und Weise, wie Herr Hoffmann durch Deutschland zieht, sich fetieren läßt und Lieder dagegen als Entschädigung vorträgt, mißfällt hier auch denen, die seiner Sache zugethan sind‹.

Ich lebte sehr zurückgezogen, eigentlich nur mei nen litterarischen Arbeiten und meinen Freunden. Zunächst schrieb ich die Vorrede zu den schlesischen Volksliedern, deren Druck mit dem vierten Hefte vollendet war. In der Vorrede erzählte ich die Veranlassung zu unserer Sammlung, gab nochmals die äußeren Kennzeichen des eigentlichen Volksliedes an, und dankte allen denen, die uns unterstützt hatten. Auch Richter schrieb zu gleicher Zeit eine Vorrede in Bezug auf den musicalischen Theil.

Obschon sich unsere Sammlung vor allen ähnlichen durch Reichhaltigkeit und treues Wiedergeben der Texte und Melodien, und durch litterarische Nachweisungen und Vergleichungen vor allen bisherigen Sammlungen auszeichnete, fand in Schlesien unser Buch doch nicht die Theilnahme, die wir erwarteten, und der Titel: ›Schlesische Volkslieder‹, der uns in Schlesien nichts nützte, schadete uns nach außen hin. Wir hätten besser gethan, wenn wir: ›Deutsche Volkslieder. Gesammelt aus dem Munde des schlesischen Volkes‹ gesagt hätten. Wir fühlten uns übrigens reichlich belohnt durch unsere Arbeit, sie hatte uns viele genußreiche Stunden gewährt.

Ich fühlte mich die beiden letzten Monate nach meiner Rückkehr recht wohl und war sehr heiter gestimmt. Ich lebte am liebsten in der Kinderwelt und dichtete nur aus ihr und für sie. Ich ließ mir die schönsten Volksweisen öfter vorspielen, bis ich sie auswendig wußte, und dann fand ich bald einen passenden Text dazu. Man hat auch diesen harmlosesten Liedern eine politische Bedeutung untergelegt und sie zu verdächtigen gesucht, aber umsonst – sie fanden damals ihren Weg zu den Herzen der Kinder und finden ihn heute [325] noch. Ich war überrascht und ganz glücklich über den glänzenden Erfolg einer pädagogischen Thätigkeit, die Niemand, am wenigsten ich selbst, mir zugetraut hatte.

Diese stille Freude wurde durch ein sehr trauriges Familienereigniß plötzlich gestört: am 3. December starb meine gute Mutter. Die Trauerbotschaft kam mir am 8. Wenige Stunden nachher schrieb ich meiner Schwester Minna: ›Das Unvermeidliche ist also gekommen: unsere gute Mutter ist nicht mehr. Ich habe so heftig geweint, daß mir das Blut zur Nase herausdrang. – – – Bei aller Wehmnth habe ich den schönen Trost, daß ich unserer Mutter doch manche Freude in ihren letzten Tagen bereitet habe, und daß sie gewiß mit einem Segen auch für mich diese Welt verlassen hat. Während ihrer Krankheit habe ich viele lustige Lieder gedichtet, lauter Kinderlieder. Merkwürdig, gerade an ihrem Sterbetage ein trauriges Lied 50 auf eine schöne Melodie: wie ein Kind sich im Frühling nach Genesung sehnt. Merkwürdig ferner, daß ich heute Morgen erst vom Buchbinder einen ganzen Band Familienbriefe bekam, von 1814–1842. Ich blätterte und las darin. Da dachte ich: Großer Gott, wenn nur nicht ein schrecklicher Schlußbrief kommt! Und er kam.‹

Und merkwürdig, – hätte ich einige Wochen später hinzufügen können – daß den folgenden Tag das Staatsministerium meine Absetzung beschlossen hatte!

[326]
Fußnoten

1 ›Warum soll ich nicht singen‹ – Ges. W. Bd. I. S. 42.

G.

2 Ges. W. Bd. I. S. 33.

G.

3 Hoffmann reichte dem Minister ein außerordentlich umfangreiches Aktenstück ein. In demselben spricht er mit einem Freimut, welcher bei Berücksichtigung seiner Amtsstellung zum mindesten sehr kühn zu nennen ist, über die Verhältnisse an der Breslauer Bibliothek. Er tadelt die Übelstände, welche sich in der Verwaltung eingeschlichen haben, beschwert sich über die willkürliche Behandlung, die ihm seitens seiner Vorgesetzten zu Teil wird, und bittet das Ministerium um Festsetzung einer Geschäftsordnung für das gesammte Beamtenpersonal der Bibliothek, damit er nicht weiter Willkürlichkeiten ausgesetzt sei.

G.

4 Der zweite Theil der ›Fundgruben‹ erschien auch unter dem Titel: ›Iter Austriacum. Altdeutsche Gedichte grösstentheils aus österr. Bibliotheken. Herausgegeben von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Breslau. G.P. Aderholz. 1837. 8°. 339 SS.) – P.V. der Horae belgicae hatte auch den Titel: ›Lantsloot ende die scone Sandrijn. Renout van Montalbaen.‹ (Breslau. 1837. 8°. 127 S).

H.

5 Ges. W. Bd. VI. S. 12–14.

G.

6 Ges. W. Bd. IV. S. 3. 4.

G.

7 Die Trinksprüche auf Luther und Scharnhorst sind mitgeteilt: Ges. W. VI. S. 15.

G.

8 Schmeller's Briefe an mich sind gedruckt in Pfeiffer's Germania 12. Jahrg. (1867) S. 248–253.

H.

9 Hattemer's Arbeit erschien unter dem Titel: Denkmahle des Mittelalters. St. Gallen's altteutsche Sprachschätze. Gesammelt und herausgegeben von H. Hattemer. 1.–3. Bd. St. Gallen. 1844–49. 8°. – Hoffmann und Hattemer nahmen gegenseitig an ihrem Leben und Wirken den innigsten Anteil. Durch einen Zufall geriet der Verkehr beider Männer ins Stocken: ein Brief Hattemer's ging verloren und kam erst nach 22 Jahren in Hoffmanns Hände. Inzwischen war Hattemer längst gestorben. Doch widmet Hoffmann am Schlusse dieses 3. Bandes von ›Mein Leben‹ dem Freunde einen warmen Nachruf, auf dessen Wiedergabe wir verzichten müssen.

G.

10 Ges. W. Bd. III. S. 235.

G.

11 Der Erinnerung an Vevey entstammt das Gedicht: ›Vivis, du lebst in meinem Herzen.‹ Ges. W. Bd. I. S. 63.

G.

12 Bonner Studienfreund Hoffmanns.

G.

13 Th. 1. S. 182–185; vgl. Ges. W. Bd. IV. S. 97–99.

G.

14 Ges. W. Bd. III. S. 237.

G.

15 Ges. W. Bd. III. S. 53 und S. 284. Anm. 8.

G.

16 Gedruckt in den Unpol. Liedern 1. Th. S. 201–204; in die Ges. W. nicht aufgenommen.

G.

17 Zur Culturgeschichte Schlesiens. Beiträge zur Breslauer Buchdruckergeschichte. Zur Geschichte des Postwesens. Schlesische Curiositäten, zwei Dutzend. Zur Geschichte der alten Leopoldinischen Universität zu Breslau.

H.

18 Hoffmann teilt den Briefwechsel hier viel ausführlicher mit; wir beschränken uns auf die Wiedergabe des Wichtigsten, wobei allerdings mancher für die damaligen Zeitverhältnisse bemerkenswerte Zug verloren geht.

G.

19 Wie gern ich damals wie immer dort war, giebt noch mein Abschiedslied vom 28. April kund: ›So leb nun wohl, du friedlich Thal!‹ H. – vgl. Ges. W. Bd. VI. S. 17.

G.

20 ›Es war ein langes schönes Träumen‹ – Ges. W. Bd. VI. S. 18.

G.

21 In: Deutsche Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst (Lpz. Otto Wigand) Nr. 186. 6. Aug. 1842.H. – Diese Eingabe Hoffmanns, welche wir hier wegen Raummangels nicht mitteilen können, ist auch heute noch sehr lesenswert. Zwar sind viele seiner Forderungen, die er zur Hebung des deutschen Unterrichtes damals aufgestellt hat, längst anerkannt und durchgeführt, und das Deutsche wird auf Schule und Universität nicht mehr als das Stiefkind behandelt; doch will ja gerade die jüngste Gegenwart die Muttersprache und ihre Litteratur in immer höherem Grade in den Mittelpunkt des ganzen Unterrichtswesens gerückt wissen und tritt damit für Hoffmanns Lieblingswunsch ein.

G.

22 Ges. W. Bd. IV. S. 51. 59.

G.

23 Ges. W. Bd. I. S. 317–322.

24 Das Breslauer Schillerfest 1840. Hamburg bei Hoffmann und Campe. 1841. 8°. 21 S. – Die Schillerfeier des Jahres 1840, bei der Hoffmann wiederum den Vorsitz führte, bildet nach Anzahl und Inhalt der von ihm herrührenden dichterischen Beiträge den Glanzpunkt seines Breslauer Aufenthaltes. Hoffmann feierte zuerst in einem Trinkspruch (vgl. Ges. W. Bd. VI. S. 19–21) den König Friedrich Wilhelm IV. Dann wurde sein zu diesem Feste gedichtetes Trinklied ›Was hilft's, daß billig ward der Schiller‹ (in die Ges. W. nicht aufgenommen, doch abgedruckt in ›Mein Leben‹ Bd. III. S. 169. 170) gesungen. Hieran schloß Hoffmann den Spruch auf Schiller (gekürzt mitgeteilt in den Ges. W. Bd. VI. S. 21. 22; vgl. ›Mein Leben‹ Bd. III. S. 169–172). Später ließ er den Professor Purkinje leben (Ges. W. Bd. VI. S. 22. 23). Endlich brachte er einen umfangreichen Trinkspruch auf die schlesischen Künste aus. Dieser (gedruckt ›Mein Leben‹ Bd. III. S. 173–179) ist in die Ges. W. nicht aufgenommen, da sein Inhalt bei allem Humor, der darin zu Tage tritt, doch so ausschließlich für die damaligen Breslauer Verhältnisse berechnet ist, daß er schwerlich jetzt noch allgemeines Interesse zu erwecken vermag.

G.

25 Ges. W. Bd. IV. S. 186.

G.

26 Ges. W. Bd. I. S. 225.

G.

27 Ges. W. Bd. III. S. 170–173.

G.

28 Erschien bald nachher: Verzeichniss der altdeutschen Handschriften der kaiserlich königlichen Hofbibliothek zu Wien von Hoffmann von Fallersleben. Leipzig. Weidmann'sche Buchhandlung. 1841. 8°. XVI. 429 SS.

H.

29 Ges. W. Bd. IV. S. 103. 276. 228.

G.

30 Ges. W. Bd. III. S. 233. Bd. IV. S. 277. 275. 276.

G.

31 Eine ausführliche Schilderung dieser Welckerfeier findet sich in dem Buche: ›Die Hamburger Turnerschaft von 1816, von ihrer Begründung bis zur Gegenwart. Verfaßt von Carl Schneider.‹ (Hamburg. 1891. S. 50. 51.)

G.

32 Ges. W. Bd. VI. S. 25.

G.

33 ›Frühling 1842‹ im Feuilleton der Köln. Zeitung.

H.

34 Ges. W. Bd. IV. 248.

35 Sprecher Dr. Kaiser.

36 Ges. W. Bd. IV. S. 270.

37 Von Robert Blum.

38 Heinrich Laube.

39 Dr. Kaiser.

40 Darüber ist später noch oft gescherzt worden, selbst in thüringischen Blättern. Herr Ludwig Westrum hat daraus eine ganze Geschichte gemacht und in Versen zum Besten gegeben im Dorfbarbier 1865. Nr. 49. vom 2. December.

H.

41 So erschien ich z.B. nur von Einer Seite, von der politischen, siehe das 237. Bändchen.

H.

42 Ges. W. Bd. IV. S. 203.

43 Ges. W. Bd. IV. S. 7. 8.

44 Vorrede zu Hoffmann's von Fallersleben politischen Gedichten aus der deutschen Vorzeit. Mit einem Nachworte von Georg Fein. Straßburg, bei G.L. Schuler, 5. Gewerbslaubstraße. Basel, bei I.C. Schabelitz. 1842. 8°. 10 SS.

H.

Hoffmann teilt die Vorrede an dieser Stelle mit.

G.

45 Gustav Schwetschke's ausgewählte Schriften (Halle. 1864.) S. 26–29.

H.

46 Hölluner Sproek in Frommann's Zeitschrift: Die Deutschen Mundarten. 3. Jahrg. (1856) S. 25–34.

H.

47 Ges. W. Bd. IV. S. 256.

48 Für diesen Abend dichtete Hoffmann ein Commerslied; vgl. Ges. W. Bd. III. S. 58 und S. 284. Anm. 11.

G.

49 Ges. W. Bd. IV. S. IV. S. 217–284 und S. 361. Anm. 54.

50 Ges. W. Bd. II. S. 117.

4. Band
Vierter Band.
(1843 bis 1847).

Zu Neujahr wurde ich eingeladen vom Grafen Eduard Reichenbach nach seinem Gute Waltdorf im Neißer Kreise. Die Einladung war mir sehr willkommen: ich durfte hoffen fern dem Herde der vielen Unannehmlichkeiten einige ruhige und heitere Tage zu verleben. Waltdorf war eine Freistätte für alle Gleichgesinnten, Wirth und Wirthin boten Alles auf, jedem Gaste den stillen ländlichen Aufenthalt lieb und werth zu machen. Die Vormittagsstunden pflegte ich für mich zu sein, ich las, dichtete, schrieb Briefe oder spazierte. Die Nachmittage und Abende waren wir immer beisammen. Wir sprachen über die Zeitereignisse und Tagesfragen. Die Unterhaltung war meist sehr lebhaft, jeder sprach sich frei aus, und es fehlte dann oft nicht an entgegengesetzten Meinungen und Ansichten.

Reichenbach war eine stattliche Gestalt, damals im kräftigsten Mannesalter (geb. 22. November 1812), mit treuherzigem, vertrauengewinnendem Blick, äußerlich meist ruhig und ernst, aber innerlich voll warmer Liebe, die zur Leidenschaft werden konnte, für Alles was er wollte zur Erstrebung einer besseren Gestaltung des Vaterlandes. Rücksichtslos und ohne Furcht sprach er jedem gegenüber seine Meinung aus, und seine Gesinnung bewährte er durch die That. Wir kannten uns schon einige Zeit und wurden nun durch den jetzigen längeren Verkehr inniger mit einander befreundet. Die vierzehen Tage, die ich in Waltdorf verweilte, vergingen mir sehr rasch. Ruhiger und heiterer, als ich gekommen, kehrte ich heim. Den 14. Januar war ich wieder in Breslau.

[327] Meine Ankunft wurde schnell bekannt. Schon am Nachmittag brachte mir der Pedell meinen Gehalt für die Monate Januar, Februar, März und zugleich eine Vorladung in das Senatszimmer. Was meine Freunde fürchteten, meine Feinde wünschten und ich längst vorhergesehen hatte, erfolgte. Im Beisein des Curators der Universität las mir der Universitäts-Richter Behrends den Beschluß des Staatsministeriums vor, wonach ich ohne Pension meiner Professur entsetzt war. Der Beschluß war vom 4. December 1842, die königliche Bestätigung vom 20. December. Ich unterzeichnete das Protocoll, erbat mir Abschrift, die mir aber verweigert wurde, und empfahl mich. Ich faßte sofort den Beschluß, Breslau baldigst zu verlassen. Schon die nächsten Tage ordnete ich meine Bibliothek und verzeichnete was ich behalten und was ich versteigern lassen wollte.

Am 19. Januar stand das Urtel über meine Absetzung vollständig gedruckt in der Breslauer Zeitung. Weil ich darin eine Verschärfung der ›gegen mich ausgesprochenen Strafe sah, welche kein Gesetz und keine allerhöchste Ordre anordnet‹, und zugleich wissen wollte, ob der Abdruck ein amtlicher wäre, so verklagte ich die Breslauer Zeitung, wurde aber vom Ober-Landes-Gerichte mit meiner Klage abgewiesen, weil die Breslauer Zeitung von einer Behörde zur Mittheilung ›autorisiert‹ worden sei. Es wurde also nur bestätigt, was mir bereits auf meine Aufrage der Herr GR. Heinke am 19. Januar erklärte, daß der Inhalt jenes Zeitungsartikels ›allerdings ganz mit dem Ihnen publicierten Beschluß des kön. Staats-Ministerii übereinstimmt.


[Der Inhalt dieser Veröffentlichung der Breslauer Zeitung, welchen Hoffmann hier wörtlich mittheilt, ist im wesentlichen folgender: Die förmliche Disciplinaruntersuchung, welche der Cultusminister gegen Hqffmann einleitete, führte zu dem Beschluß, daß er aus seinem Amte als ordentlicher Professor an der Universität Breslau ohne Pension zu entlassen sei. Dieser Beschluß wurde dem Staatsrath zur weiteren Berathung vorgelegt. Da dieser sich für incompetent erklärte, ging die Sache an das Ministerium zurück, welches in obigem Sinne entschied und seinen Beschluß dem Könige zur Bestätigung vorlegte, die auch erfolgte. Das Ministerium begründete [328] seinen Beschluß mit Folgendem: ›Der Inhalt dieser Gedichte hat als ein durchaus verwerflicher erkannt werden müssen. Es werden in diesen Gedichten die öffentlichen und socialen Zustände in Deutschland, und respective in Preußen, vielfach mit bitterem Spotte angegriffen, verhöhnt und verächtlich gemacht; es werden Gesinnungen und Ansichten ausgedrückt, die bei den Lesern der Lieder, besonders von jugendlichem Alter, Mißvergnügen über die bestehende Ordnung der Dinge, Verachtung und Haß gegen Landesherrn und Obrigkeit hervorzurufen, und einen Geist zu erwecken geeignet sind, der zunächst für die Jugend, aber auch im Allgemeinen nur verderblich wirken kann.‹ Dieses allgemeine Urtheil über den zweiten Theil der ›Unpolitischen Lieder‹ wird dann durch Anführung und Besprechung einer Anzahl einzelner Lieder begründet; besonders wird noch auf solche Lieder hingewiesen, die sich unzweideutig auf preußische Verhältnisse beziehen und die den Adel-, Beamten- und Militärstand angreifen, sowie lächerlich und verächtlich zu machen suchen. Durch derartige Lieder, heißt es weiter, ›hat H. seine Pflichten als öffentlicher Lehrer gröblich verletzt und seine Unfähigkeit zur Verwaltung des ihm anvertrauten Lehramtes dargelegt ... Von den Folgen seiner Handlung kann ihn weder der Einwand, daß die poetischen Ergüsse nicht seine, sondern vielmehr die Zeitansichten der Gegenwart darstellten, und mit seinem Berufe als Professor nichts gemein hätten, noch die Angabe, daß die unpolitischen Lieder mit Genehmigung der Hamburger Censur erschienen seien, befreien.‹ u.s.w.]


Ich war nicht weiter überrascht: schon am 21. November vorigen Jahres hatte ich vorhergesehen was kommen würde, und mir ein ›Trostlied eines abgesetzten Professors‹ 1 gedichtet.

19. Januar überreichte mir ein Student eine meine Thätigkeit und mein Wolleu sehr warm anerkennende Adresse, von beinahe 50 seiner Commilitonen unterzeichnet, darunter evangelische und katholische Theologen. Über diese Kundgebung war ich sehr überrascht. Es konnte kein Geheimniß sein, daß ich mich über das Breslauer academische Leben und Treiben nie sonderlich günstig ausgesprochen hatte.


[329] Die Universität verhielt sich sonst ruhig. Die Herren Collegen gaben durch Schweigen ihre Theilnahme zu erkennen. Nur ein Privatdocent wagte sich schriftlich gegen mich auszusprechen: Dr. Freytag. Er war verhindert selbst zu kommen, weil ihn eben damals seine Vorlesungen zu sehr in Anspruch nahmen. Er las auf der Börse vor einem sogenannten gebildeten Publicum über neuere Litteratur. Als ich an die Reihe kam, wollte er sich keine polizeiliche Unannehmlichkeiten zuziehen und fragte vorher den Polizeipräsidenten Heinke, ob er denn auch wol über die U.L. reden dürfe? ›O ja, meinte der Herr Präsident, wenn Sie sie weiter nicht loben wollen!‹ – Freytag schrieb mir: ›...Gott tröste Sie und Ihre Kraft. Sie haben Ihrer Gesinnung Ihr äußeres Sein geopfert, Sie werden darin am Ende, wenn die ersten heftigen Eindrücke der Kränkung und des Unmuthes vorüber sind, einen Trost finden. Freilich würde der schneller und vollständiger sich einfinden, wenn Sie kein Dichter wären, denn die weiche, nervöse und reizbare Empfänglichkeit für Eindrücke, welche Ihnen eigen ist, so wenig das die Welt glauben mag, wird Ihnen fürchte ich den Kampf erschweren. Doch Muth und Fassung, mein guter, lieber Freund. Wenn Ihnen die herzlichste Theilnahme eines Mannes, der Ihnen bei allem Entgegengesetzten in seiner Natur warm und herzlich ergeben ist, auch nur auf einen Augenblick tröstend ist, werde ich glücklich sein.‹

In den ersten Tagen des Februars hatte ich meine Bibliothek geordnet und verzeichnet und ließ sie zu meinem Freunde Milde hinüber schaffen, der mir dafür ein Zimmer in einem seiner Nebengebäude eingeräumt hatte. Von meinem Hausrath behielt ich nur wenig, das meiste verschenkte ich. Das Verzeichniß der zu verkaufenden Bücher war gedruckt. Der Titel lautete: ›970 Bücher aus der Bibliothek des Professors Dr. Hoffmann von Fallersleben sollen am 22. Mai 1843 zu Breslau öffentlich versteigert werden‹, wurde aber von der Censur beanstandet; der ›Professor‹ war darin gestrichen. Ich eilte sofort zum Polizeipräsidenten Heinke und setzte ihm aus einander, daß ich den Professor nicht allein dem Könige verdankte, sondern auch den zweimaligen Habilitationsleistungen etc. Der Herr Censor, der als Curator der Universität die academischen Einrichtungen nachgerade etwas kennen gelernt hatte, ertheilte dem ›Professor‹ das Imprimatur.

[330] Um diese Zeit erhielt ich verschiedene Beweise der Theilnahme. So schickten mir zwanzig meiner Verehrer aus Stuttgart funfzig Flaschen edelen Schwabenweins mit einem herzlichen anerkennenden Schreiben. 2 Philipp Nathusius richtete an mich zwei Gedichte und lud mich ein, ihn den Sommer wieder zu besuchen.

Die letzten Tage meines Breslauer Aufenthalts verwendete ich zu Abschiedsbesuchen. Den 25. Februar Abends 7 Uhr begleiteten mich einige Freunde zur Post. Am andern Morgen stand in den Zeitungen:


Feinden und Freunden ein herzliches Lebewohl.


Breslau, den 25. Febr. 1843.

Hoffmann von Fallersleben.


So endete mein zwanzigjähriges Breslauer Leben.


Nachdem ich einige Tage bei meinen Freunden in Görlitz verweilt hatte, traf ich den 28. Februar in Dresden ein.

In der winterlichen Zeit war an Spazierengehen im Freien nicht zu denken und so mußte ich mich denn beschränken auf den geselligen Verkehr mit Gelehrten, Dichtern, Künstlern und Männern gleicher Gesinnung und gleichen Strebens in politischer Beziehung. Einige kannte ich bereits von früher her, andere lernte ich jetzt erst kennen. Wir trafen uns an verschiedenen Orten und ich verlebte manche angenehme Stunde mit ihnen: Echtermeyer, Ruge, Mosen, E. von Brunnow u.A.

Ich eilte nun nach Leipzig. Hauptzweck meiner Reise war, mir einen Verleger zu verschaffen für eine Sammlung meiner Kinderlieder mit Clavierbegleitung. Es waren 50 Stück, ein Drittel davon war erst im December v.J. in Breslau, meist zu schönen Volksweisen, gedichtet. Ernst Richter hatte dazu eine einfache, wohlgefällige Begleitung gesetzt. Das kleine Werk hatte mir große Freude gemacht, und so hoffte ich denn, daß es auch Anderen Freude bereiten würde. Es war Georg Wigand (Firma: Mayer und Wigand) als Verleger mir empfohlen. Schon den ersten Nachmittag nach meiner Ankunft (4. März) besuchte ich ihn, ich überreichte mein Manuscript und theilte ihm meine Ansichten und Wünsche mit. Er zeigte sich sehr bereit, wollte sich erst eine Probe setzen lassen, dann seine Berechnungen [331] machen und mir seine Bedingungen sagen. Nach einigen Tagen legte er mir den Vertrag vor, ich unterzeichnete ihn für mich und Richter, und unser Geschäft war gemacht. Nach einigen Wochen erschien meine Sammlung unter dem Titel: ›Funfzig Kinderlieder von Hoffmann von Fallersleben. Nach Original- und bekannten Weisen mit Clavierbegleitung von Ernst Richter.‹ (Lpz. 1843. Mayer und Wigand) hübsch gedruckt in gr. Querquart, zu dem billigen Preise von 15 Sgr.

Ich hatte noch eine kleine Arbeit mit nach Leipzig gebracht, die ich auch gedruckt zu sehen wünschte. Ich hatte in der letzten Zeit zu Breslau aus dem dortigen Adreßbuche ein Breslauer Namenbüchlein angefertigt. Obschon das nur zunächst ein Scherz für mich war und auch für Andere sein sollte, so hatte doch dieser Scherz seine wissenschaftliche Seite, um derentwillen ich später noch drei ähnliche Namenbüchlein herausgab. Engelmann war sofort bereit, diese Kleinigkeit zu verlegen. Ich besorgte die Correctur und noch während meiner Anwesenheit waren die beiden Bogen gedruckt: ›Breslauer Namenbüchlein, d.i. Einwohner-Namen der Haupt- und Residenz-Stadt BRESLAU, nach Stand und Würden, und sonstigen Eigenschaften geordnet. Für Liebhaber der deutschen Sprache von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Lpz. W. Engelmann. 1843. 16.)

So hatte ich denn meine litterarischen Zwecke erreicht und konnte über meine Zeit frei und nach Belieben verfügen. Ich kam viel zusammen mit Litteraten, Publicisten, Gelehrten und Buchhändlern, und das war, wenn auch nicht immer angenehm, doch immer interessant. Das Leipziger Litteratenthum stand damals in hoher Blüte, es suchte sich durch den Litteratenverein zu einer geschlossenen Körperschaft zu gestalten und so den Buchhändlern, dem Staate und dem Publicum gegenüber seine Interessen geltend zu machen. Es beherrschte einen großen Theil der Unterhaltungslitteratur durch Redaction von Zeitschriften, durch eigene Erzeugnisse und kritische Besprechungen. Mir ergab sich häufig Gelegenheit, den einen und den andern zu sehen und zu sprechen: Laube, Diezmaun, Herm. Marggraff, von Corvin u.A. Auch die Publicistik hatte in Leipzig damals manchen Vertreter. Ich verkehrte viel mit Robert Blum, seinem Schwager Günther und Dr. Julius. Mit der eigentlichen gelehrten Welt kam [332] ich wenig in Berührung. Moriz Haupt sah ich nur Einmal, Buddeus und Wachsmuth lernte ich bei Laube kennen, Wuttke hin gegen bewies mir auch jetzt wieder seiner treue Anhänglichkeit. Sehr lehrreich für mich war auch diesmal wieder der Verkehr mit den Buchhändlern, namentlich Wilhelm Engelmann: ich bekam in das Wesen des Buchhandels eine bessere Einsicht und lernte die Unternehmungen der Verleger und die Ansprüche der Schriftsteller besser zu würdigen.

Kurz vor meiner Abreise brachte mir Günther (Herausgeber der Sächsischen Vaterlandsblätter) die frohe Botschaft: ›Die Gütersloher haben Ihnen auf 5 Jahre, jedes Jahr 80 Rb. gesichert.‹

16.–22. März in Berlin. Den ersten Abend war ich bei Jacob Grimm. In traulichen Gesprächen vergingen nur zu rasch die wenigen Stunden. Später lud er mich schriftlich zum Mittagsessen ein. Wir waren sehr vergnügt. Ich gab mehrere lustige Geschichten und einige Kinderlieder zum Besten. Jacob mißbilligte sehr Maßmann's Ausfall gegen mich in seinem schlechten Eraclius. Zwei Abende war ich bei Wallmüller mit einigen Studenten und den sogenannten Freien: Bruno und Edgar Bauer, Arthur Müller, Köppen, Ludwig Buhl u.a. Es ging wüst und roh her, mir ward angst und bange, als ich sehen und hören mußte, wie hier die Freiheit in Scene gesetzt wurde.

Den 22. März reiste ich ab. Ich blieb nun zwei Tage bei Philipp Nathusius und fuhr dann nach Fallersleben. Ich kam mit der Hoffnung, einige Zeit bei und mit den Meinigen ungestört zu verweilen. Es schien sich auch Alles nach Wunsch zu gestalten. Ich beschäftigte mich viel im Garten, spielte mit den Kindern, spazierte im Freien, las Zeitungen, arbeitete und dichtete. Zu meinem Geburtstage begrüßten mich die Kinder mit Glückwünschen und Blumen kränzen. Ich war einige Tage recht unwohl gewesen, jetzt wieder recht munter. Den Abend vorher erzählte mir mein Vetter Jacob Behne, es sei ihn mitgetheilt worden, daß ich beobachtet würde, und er meinte, ich möchte doch vorsichtig sein. Den 5. April hatte der Drost ein Schreiben von Lüneburg bekommen, hohe Landdrostei wundere sich, daß meine Ankunft noch nicht angezeigt sei. Den 8. April erhielt ich vom Drosten eine Vorladung. Er empfing mich sehr freundlich, zeigte mir aber an, daß mir auf Befehl des Königs vom 12. December 1842 der Aufenthalt in den hannoverschen Landen [333] verboten sei, wenn ich nicht ein Domicil nachweisen könne. ›Und das können Sie ja‹ – fügte er hinzu. ›Ich werde der Landdrostei schreiben, daß Sie hier noch Antheil am Hause Ihrer Frau Schwester hätten.‹

Erst nach anderthalb Stunden kam ich nach Haus. Man hatte meiner in großer Angst geharrt. Die Kinder kamen mir weinend entgegen. Ich beruhigte sie, obschon ich selbst unruhig war, denn ich war fest überzeugt, daß ich am längsten hier gewesen. Ich ging auf mein Zimmer und dichtete. 3

Wenige Tage nachher veranlaßte ich meinen Schwager, sich wegen meiner Angelegenheit beim Drosten zu erkundigen. Letzterer rieth mir abzureisen, Domicilrechte könnte ich nicht beanspruchen, es gehe Alles vom Könige selbst aus.

Am 12. April des Nachmittags traf der Lieutenant der Landdragoner ein. Die Sache war mir sehr verdächtig, obschon er erklärt hatte, er sei nicht um meinetwillen gekommen. In der Dämmerung schleichen die Landdragoner ums Haus herum und spät Abend bewachen sie es aus der Nachbarschaft. Da scheint es mir denn doch gerathen abzureisen. Ich bitte meinen Vetter, auf der Ziegelei einen Wagen für mich bereit zu halten, ich würde mich baldigst einfinden. Um kein Aufsehen zu erregen, gehe ich mit meinem Schwager in den Kuhstall, wir erweitern eine Oeffnung in der Wand und kriechen durch. Aus des Nachbars Garten dringen wir weiter durch Hecken und Stackete, und endlich sind wir im Freien. Der Mond scheint hell auf den frisch gefallenen Schnee, ringsum Todtenstille, während eben noch im Hause meine Nichten, um die Landdragoner zu täuschen, die lustigsten Stücke gespielt und gesungen hatten. Der Wagen wartet schon, ich steige ein und in einer Viertelstunde bin ich jenseit der hannoverschen Gränze und um 3 Uhr Morgens zu Braunschweig im deutschen Hause. Während ich noch im Bette lag, ließ der Herr Drost anfragen, ob er mich besuchen könne. Er wohnte mit mir in demselben Gasthofe. Ich war sehr überrascht, erfuhr aber bald aus seinem Munde den Anlaß zu seiner Reise. Um einem unangenehmen Auftrage sich zu entziehen, hatte [334] er sich entfernt, es war nämlich gestern der strenge Befehl gekommen, wenn ich ausginge, sollte mich stets ein Landdragoner begleiten.

Diese Geschichte bildet den Anfang einer Reihe von Verfolgungen und Belästigungen, denen ich bis zum Jahre 1861, also fast zwanzig Jahre in meinem Geburtslande Hannover ausgesetzt war.

13.–18. April in Braunschweig. In angenehmem Verkehre mit Verwandten, Freunden und Bekannten verging mir die Zeit sehr rasch. Bei einem Ausfluge nach Wolfenbüttel lieh ich mir von der dortigen Bibliothek das Antwerpener Liederbuch vom Jahre 1544.

21. April–24. Mai in Althaldensleben. Ein schöner Frühling, ich war wohl und heiter und befand mich unter lieben Menschen, die mit einem edelen Sinne für Kunst und Wissenschaft innige Theilnahme für den Gast verbanden, der ihnen interessant und angenehm war. Die Morgenstunden war ich immer allein, ich arbeitete oder spazierte im Freien. Philipp sah ich nicht eher als beim Mittagsessen. Gegen Abend pflegten wir mit einander zu spazieren und später nach Tische waren wir immer beisammen. Wir unterhielten uns über ältere und neuere deutsche Litteratur, Zeitgeschichte, namhafte Persönlichkeiten, wir musicierten, sangen Volkslieder oder lasen uns etwas vor. Eines Abends theilte er Bürger's Briefe mit an Philippine Engelhardt, geb. Gatterer, seine Großmutter. Eines anderen Abends las ich ein Stück aus meinem Leben: ›Mein Antheil an der Politik.‹ Maria, Philipps Gattin, trug ihre Compositionen vor, auch wol deutsche Volkslieder, in die wir dann gewöhnlich einstimmten. Wir sprachen auch über allerlei litterarische Arbeiten, mit denen wir uns eben beschäftigten.

So freundlich ich hier in dem genußreichen Althaldensleben aufgenommen, so konnte mir doch das Wanderleben nicht mehr genügen, ich sehnte mich nach einem bleibenden selbständigen Aufenthalte an einem Orte, der mir neben anregendem Verkehr und Hülfsmitteln die gehörige Ruhe zum Arbeiten gewährte und zugleich Gelegenheit böte etwas zu verdienen. Ich hatte lange hin und her gewählt und mit Freunden und Bekannten viel darüber gesprochen. Endlich wählte ich Dresden und schickte mich an, dort vorläufig mich niederzulassen. Den 25. Mai, am Himmelfahrtstage, reiste ich ab mit meinem ganzen Gepäck, es bestand aus zwei Kisten mit Büchern, einem Koffer und einer Reisetasche.

[335] 26.–30. Mai in Leipzig. Den ersten Abend besprach ich mich mit meinen Freunden über die neue Ausgabe meiner Gedichte. Sie riethen mir mit Weidmanns in Unterhandlung zu treten. 28. Mai. Julius Fröbel besucht mich und erzählt von seinem Aufenthalt in Berlin. Alexander von Humboldt hatte sich geäußert, wenn er nicht eben damals in Paris gewesen, so hätte das mit mir nicht vorkommen können, leider sei meine Angelegenheit in die Hände des Ministers Eichhorn gerathen etc. – 29. Mai. Vormittags bei Weidmanns. Sie sind geneigt, die neue Ausgabe meiner Gedichte zu übernehmen. Hirzel überreicht mir einen vorläufigen Vertrag. Ich bin damit einverstanden, und obschon er mich bittet, mich lieber noch zu besinnen, so gehe ich doch darauf ein und unterzeichne.

30. Mai–4. August in Dresden. Stadt und Gegend recht schön. Ich glaubte, alles Übrige würde damit übereinstimmen. Leider überzeugte ich mich bald, daß das nicht der Fall war. Ich war mit sehr bescheidenen Ansprüchen gekommen, aber auch diese wurden wenig oder gar nicht erfüllt. Von dem Augenblicke an, als ich mich für einheimisch betrachtete und Anderen dafür galt, trat das ganze Dresdener Leben in seiner wahren Gestalt mir entgegen: Männer ohne männliche Gesinnung, jedermann höflich und gefällig, wenn es nichts kostet, kleinlich und knickerig im Handel und Wandel, viel Lakaienthum und Philisterei, wenig geistiges Leben, gar keine Gastfreundschaft. Die ganze Bevölkerung schien mir zufrieden mit dem was sie war und was sie hatte; Gewohnheit hielt den Einzelnen ab, etwas anderes, besseres sein zu wollen, so wie die Angst ihn abhielt von jedem Weiterstreben in geselliger und materieller Beziehung. Obschon Jahr aus Jahr ein viele hundert fremde Familien in Dresden leben, viele tausend Fremde jährlich Dresden besuchen, der echte Dresdener bleibt davon unberührt. Nachdem ich verschiedene vergebliche Versuche gemacht hatte, mit den eigentlichen Dresdenern näher bekannt zu werden, wendete ich mich nun lediglich an die Fremden, und nur so gelang es mir, den bald langweiligen Aufenthalt etwas kurzweilig zu machen.

Ich hatte eine freundliche stille Wohnung bezogen an der Bürgerwiese. Die Morgenstunden blieb ich fast regelmäßig zu Hause und arbeitete. Schon in den ersten Tagen vollendete ich ein Heft Lieder: ›Fliegende Blätter.‹ Es erschien schon Mitte Junis unter dem von[336] Fröbel gewählten Titel: ›Deutsche Gassenlieder von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Zürich und Winterthur. Verlag des literarischen Comptoirs. 1843. kl. 8° 26 Lieder.) 4

Darauf vollendete ich die neue Ausgabe meiner Gedichte, es war die dritte, für die vielen weggelassenen der früheren Ausgaben kamen viel mehr neue hinzu. Sie erschien bereits in den ersten Tagen des Augusts: ›Gedichte von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Leipzig. Weidmann'sche Buchhandlung. 1843. 8°. 576 SS.).

Im Juli sendete ich au Haupt zu seiner Zeitschrift für Deutsches Alterthum eine Sammlung althochdeutscher Glossen aus Admont, St. Paul etc. 5

Schon Anfang Julis faßte ich den Entschluß, die deutschen Gesellschaftslieder schon jetzt herauszugeben. Dies lange mit Liebe gehegte und gepflegte Werk konnte, da es bereits zu 200 Liedern gediehen war, füglich zum Abschluß gelangen. Gegen Ende Julis schrieb ich die Vorrede und am 5. August war das Manuscript druckfertig. Es war Ludwig Uhland gewidmet und erschien noch im Laufe dieses Jahres: ›Die deutschen Gesellschaftslieder des 16. und 17. Jahrhunderts. Aus gleichzeitigen Quellen gesammelt von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Leipzig. Wilhelm Engelmann. 1844. gr. 12°. XVIII. 306 SS.).

Meine tägliche Morgenbeschäftigung wurde nur selten unterbrochen. Im Laufe des Junis besuchten mich Uhland, Walesrode, Aderholz, Graf E. Reichenbach, Philipp und Heinrich Nathusius; im Juli Eduard und Albert Kießling und Dr. E. Sommer. Mit den meisten pflegte ich dann den Tag über beisammen zu sein. Es war für mich eine oft willkommene Unterbrechung meiner Studien, ich hörte, wie's meinen alten Freunden und Bekannten ging, wir verplauderten angenehm die Zeit im Freien auf weiteren Ausflügen oder auf der Brühlschen Terrasse. Sehr angenehm war mir die Bekanntschaft mit Walesrode. Wir begegneten uns nachher noch öfter auf unseren Wanderungen.

Die Nachmittage und Abende widmete ich meist dem Verkehre mit Fremden, die sich in Dresden niedergelassen hatten. Der bedeutendste unter ihnen warRuge.


[337] Da ihm damals seine litterarisch-publicistische Thätigkeit in Deutschland unmöglich gemacht worden war, gab er vorläufig sein Wirken in Deutschland auf, aber nicht für Deutschland und hoffte in Frankreich seine Thätigkeit ungehindert und erfolgreicher fortsetzen zu können. Mir that es weh, daß eine so tüchtige geistige Kraft dem Vaterlande verloren gehen sollte, denn ich betrachtete jeden, der das Ausland mit dem Vaterlande vertauschte, für einen diesem und uns Verlorenen. Ich sagte ihm oft: ›Lieber Ruge, bleib hier! Du bist zu deutsch, Du kannst nur in Deutschland recht leben und wirken. Ich bin fest überzeugt, nach Jahr und Tag kehrst Du zurück.‹ Ruge war zu sehr eingenommen für die communistischen und socialistischen Ideen, die ihren Heerd in Frankreich hatten, er erwartete von ihnen eine neue Weltordnung, Heil und Segen für die ganze Menschheit.

Ruge war immer sehr liebenswürdig und theilnehmend wie auch seine Frau, ich war oft und gern da. Als ich mich mit dem schlechten Essen in den Gasthöfen lange genug gequält hatte und ihm meine Noth klagte, da bat er mich, jeden Mittag bei ihm zu speisen. So waren wir denn die letzten acht Tage vor seiner Abreise meist immer beisammen. An Stoff zur Unterhaltung fehlte es uns nie. Ich wurde immer angenehm angeregt und ich dichtete gern, und weil ihn jedes neue Lied wie ich wußte erfreute, so war er der erste dem ich es vorlas oder vorsang. Die meisten der nachher unter dem Titel ›Salonlieder‹ erschienenen Lieder sind damals entstanden. – Den 19. Juli nahmen wir Abschied. Um 1 Uhr reiste er ab nach Paris.

Mosen wohnte den Sommer über in Strehlen. Wenn ich ihn besuchte, so war das für mich zugleich ein hübscher Spaziergang, ich ging immer durch den großen Garten. Mosen damals in der Fülle jugendlicher Kraft, gesund und heiter, frisch an Leib, Geist und Gemüth erschien mir neben seiner lieben Gattin wie ein recht glücklicher Dichter. Ich verlebte bei ihm einige frohe Tage, so den 8. Juli, seinen Geburtstag. 6

Die letzten Tage in Dresden war ich recht leidend und mitunter sehr verstimmt. Ich hoffte, wenn ich nur erst wieder unterweges wäre, so würde sich Alles zum Guten wenden, und so trat ich denn am 4. August meine Reise an. Ich blieb einige Tage in Leipzig, [338] leider aber wurde mein Zustand nicht sonderlich besser. Trotzdem entschloß ich mich den 8. zur Weiterreise nach dem Rhein.

Einige Tage in Frankfurt. Den Abend vor meiner Abreise, 14. August, hatte mich der Buchhändler Suchsland zum Abendessen eingeladen. Er wohnte am Main neben der Bibliothek. Aus seinen Fenstern eine herrliche Aussicht auf den Fluß und Sachsenhaufen. Es war große Gesellschaft. Noch ehe wir uns zu Tische setzen, kommt eine Gondel mit bunten Laternen den Main herauf und legt uns gegenüber mitten im Flusse vor Anker. Die Sänger singen: ›Deutsche Worte hör' ich wieder‹ und bringen darauf mir ein Hoch aus. Unten am Strande viele Menschen. Bei Tische geht es recht munter zu. Nachdem ein Herr Dr. Müller mir einige freundliche Worte gewidmet, werde ich dringend gebeten, einige Lieder zu singen. Ich singe: ›Zwischen Frankreich und dem Böhmerwald‹ und das Hohelied vom Censor. 7

Obschon diese Ehrenbezeigung keine öffentliche war, so wurde sie doch als solche besprochen, und eine Zeitung machte den gehässigen Zusatz: ›Mansieht ihn rüstig und munter an der Wirthstafel seine eigenen Lieder vorsingen.‹

15. August in Coblenz. Der Zweck meiner Reise hieher war eine Freundin 8 nach langen Jahren wiederzusehen und ihr meinen Dank abzustatten für die innige Theilnahme, welche sie von neuem mir bewiesen hatte. Um 4 Uhr Nachmittags ging ich zur Laubbach hinaus. Nach 25 Jahren sahen wir uns wieder und erfreuten uns der alten lieben Erinnerungen.

Nachdem ich den ganzen folgenden Morgen im Riesen von meinem Zimmer aus mir den Rhein und das Getümmel am Strande angesehen und vergebens zwei Freunde erwartet habe, gehe ich zu Karl Bädeker. Da erfahre ich denn: ›Er ist mit dem Dichter Freiligrath spazieren gegangen.‹ – Nach einiger Zeit kommt Bädeker, sichtlich verlegen: ›Willst Du Freiligrath kennen lernen?‹ – ›Warum nicht? Bring ihn nur!‹ – Bädeker kehrt nochmals um und sagt zutraulich: ›Du, sei gut!‹ – Ich muß laut auflachen. Freiligrath kommt, wir [339] begrüßen uns und unterhalten uns ganz nett. Unterdessen ist es Mittagszeit. Wie Bädeker sieht, daß wir beide ganz harmlos mit einander verkehren, so ladet er uns zu Mittag ein.

Wir sind sehr heiter. Ich erzähle viele Schnurren so daß wir gar nicht aus dem Lachen herauskommen. Nach Tische frage ich Freiligrath, ob er mich etwas begleiten wolle, ich müßte noch auf die Laubbach gehen. Er ist bereit. Als wir auf dem Wege sind, meine ich, wir könnten ja erst noch eine Tasse Kaffee trinken. Wir gehen in ein Kaffeehaus und sitzen ganz allein. Wir kommen nun auf die Tagesereignisse zu sprechen. Ich mache keinen Hehl daraus, daß es allgemein sehr übel aufgenommen sei, daß Freiligrath gerade zur Zeit, als Herwegh ausgewiesen worden, ein Gedicht gegen ihn veröffentlicht habe, allerdings ein zufälliges Zusammentreffen. Freiligrath spricht sich nun über seine Gesinnung aus, theilt mir einige seiner neuesten Gedichte mit und bemerkt, daß eins die Censur nicht passiert habe. Nun, fügt er hinzu, ich würde bald von seiner politischen Gesinnung eine bessere Meinung gewinnen. Er ist zutraulich geworden und so glaube ich denn, es auch sein zu können und lese ihm mein Lied vom Schweigethaler 9 vor. Wir scheiden in der Hoffnung, uns den Abend wiederzusehen, Bädeker hatte uns nämlich zu einem ländlichen Familienfeste eingeladen.

Ich setze nun meine Wanderung nach der Laubbach fort und kehre erst nach Sonnenuntergang zurück.

Bädeker hat uns vergebens in seinem Hause erwartet. Einer seiner jungen Leute ist beauftragt uns nach einem Garten auf dem linken Moselufer hinzubringen. Ich gehe beim Riesen vor und hole Freiligrath ab. Wir befinden uns in einer ziemlich zahlreichen Gesellschaft von lauter Bädekerschen Verwandten. Nachdem wir alle uns wechselseitig vorgestellt sind, nehmen wir Platz an einer langen Tafel. Es geht mir gar zu still her und da mir das unerträglich wird, so suche ich etwas Leben hinein zu bringen: ich erzähle einige lustige Geschichten und Witze, stimme ein Lied an und bringe einige Gesundheiten aus. Nach einiger Zeit ist mein Zweck erreicht, die Stimmung ist eine belebte, heitere geworden. Um sie noch zu steigern, gerathe ich ins Politische. Freiligrath sitzt neben mir und ich singe das Lied vom Schweigethaler.

[340] Bädeker nimmt es sehr übel, Freiligrath nicht. Auf dem Heimwege macht mir jener bittere Vorwürfe. ›Aber, lieber Bädeker, Du weißt ja nicht, daß Feiligrath das Lied ja schon kannte, ich habe es ihm am Nachmittage schon vorgelesen.‹ – Bädeker will sich nicht beruhigen. Als wir aber vor seinem Hause Abschied nehmen und seine beiden alten Oheime mir danken für den frohen Abend, den ich ihnen bereitet hätte – da wende ich mich an Bädeker: ›Hast Du's gehört? Nun gieb Dich zufrieden und leb wohl!‹

Ich war mit Freiligrath in der Nähe des Riesen angelangt. Da meinte ich, es wäre hübsch, wenn wir noch so etwas Kühlendes genössen. Freiligrath verstand darunter Champagner. Im Mai des künftigen Jahres richtete Freiligrath ein Gedicht an mich, er beginnt mit jener Nacht im Riesen:

An Hoffmann von Fallersleben. 10
Jetzo, wo die Nachtigall
Schlägt mit mächt'gen Schlägen;
Wo der Rhein mit vollerm Schall
Braus't auf seinen Wegen;
Wo die Dämpfer wieder ziehn;
Wo die grünen Reben,
Wo die Blumen wieder blühn: –
– Jetzt auf einmal eben
Denk' ich wieder, wie im Traum,
Jener Nacht im Riesen,
Wo wir den Champagnerschaum
Von den Gläsern bliesen;
Wo wir leerten Glas auf Glas,
Bis ich Alles wußte,
Bis ich Deinen ganzen Haß
Schweigend ehren mußte.

Den andern Morgen wollten wir zusammen reisen. Ich wachte spät auf und erfuhr, daß sich Freiligrath bereits fort begeben hatte.

[341] Ich fuhr bald darauf mit dem nächsten Dampfschiffe nach St. Goar. Ich kehrte in die Lilie ein und besuchte Freiligrath, der daneben wohnte. Frau F. schien etwas verlegen. Als ich nach einigen Stunden wiederkehrte, war sie ganz freundlich und gesprächig. Geibel, den ich auch traf, blieb lange sehr ernst und zurückhaltend. Freiligrath schlug einen Spaziergang nach Oberwesel vor, Geibel betheiligte sich. Das Wetter war schön und die Abendkühle am Rhein erquickend.

In Oberwesel aßen wir zu Nacht, tranken einen guten Wein und waren recht heiter. Ich sang viel, erzählte viele lustige Geschichten und suchte Alles zu vermeiden was unangenehm hätte berühren können. Als ich anstimmte: ›Deutschland, Deutschland über Alles!‹ sagte Geibel: ›Auf diesem Gebiete sind wir Eins!‹ – Um Mitternacht gingen wir heim, heiter und friedlich wie der schöne Sternenhimmel, über dem Lurleifelsen ging der Mond auf.

18. August. Mit dem Dampfschiffe nach Mannheim. Langweilige Fahrt, erst nach 10 Uhr Abends im Pfälzer Hof.

19. August. Es war meine Absicht, die Acteustücke über meine Absetzung drucken zu lassen. Ich besuchte deshalb zuerst F. Bassermann und Mathy, die im März eine Buchhandlung gegründet hatten. Ich überreichte ihnen das Manuscript und sie waren bereit es drucken zu lassen, es wurde sofort zur Censur geschickt, den andern Tag erfolgte das Imprimatur und noch während ich in Mannheim war, erschien die kleine Schrift: ›Zehn Actenstücke über die Amtsentsetzung des Professors Hoffmann von Fallersleben.‹ (Mannheim. Verlag von F. Bassermann. 1843. 8° 30 SS.)

Da das badische 25jährige Verfassungsjubiläum 11 bevorstand, blieb ich die Festtage über in Mannheim.

22. August. Um 10 Uhr Festzug durch die Hauptstraßen nach dem Marktplatze unter Kanonendonner und Glockengeläute. Von den Fenstern der Ressource sehe ich mir Alles an. Dann großes Festmal. Es werden mehrere Reden gehalten, aber erst durch die von Soiron's und Weller's wurde ›die Tafelrunde in die begeistertste Stimmung versetzt, welche bis zum Schlusse keinen Augenblick mehr unterbrochen wurde.‹ Der Berichterstatter der Abendzeitung fährt dann fort: ›Die mächtigsten Eindrücke ließ aber gewiß unser Gast Hoffmann von [342] Fallersleben zurück! Nachdem das Lied, das er in unsern Mauern zur Feier des hohen Festtages gedichtet hatte, gesungen, und seine Gesundheit stürmisch ausgebracht war, dankte er der Versammlung dadurch, daß er ihr mehrere seiner Gedichte vortrug. Zuerst sprach er das »Lied eines abgesetzten Professors« 12 und das »freie Wort«, 13 dann sang er in seiner höchst eigenthümlichen Weise mit einem Humore, unter dem der tiefste Schmerz verborgen liegt, das Lied: »Alles mit hoher obrigkeitlicher Erlaubniß.« 14 Das war mehr als bloßer Beifallssturm, der da losbrach, das war die mächtige Stimme des Geistes der Freiheit, die der herrliche Mann aus jeder Brust gelockt, es war der mächtige Echoruf seiner eigenen begeisterten Worte und prophetischen Ergüsse, es war der Triumph, den die Wahrheit, den die Ueberzeugung über die Lüge und Halbheit der Gegenwart feierte!‹

Das muß demjenigen sehr übertrieben klingen, der die Stimmung in jenen Tagen, namentlich in Baden, nicht miterlebt hat. Es war nichts Beabsichtigtes, Besprochenes, oder gar Befohlenes, es war die freie Äußerung freier Männer. Jeder wollte die Hand mir reichen, jeder mit mir anstoßen. Die Art und Weise mich zu ehren war mitunter sehr eigenthümlich. So reicht mir ein Metzgermeister ein volles Glas, ich trinke es aus, er steckt es ein um es als Andenken aufzubewahren. Ein anderer Bürger trinkt mir zu, ich thue aus demselben Glase Bescheid; da nimmt er das Glas und – zerschlägt es: ›Aus dem Glase, woraus wir getrunken, soll kein / anderer mehr trinken!‹

Ich war nun noch vierzehn Tage in Mannheim. Ich verkehrte viel mit den badischen Abgeordneten und ihren Freunden: von Itzstein, Hecker, von Soiron, Bassermann, Mathy, Walesrode u.A.

Am 25. August brachten mir die Studenten in Heidelberg, wohin ich einen Ausflug gemacht hatte, ein Fackelständchen. Der Stadtdirector hatte es verboten, der Prorector erlaubt. Die fremden Musicanten wurden den anderen Tag ausgewiesen und die Fackelträger, lauter Stiefelputzer, vor die Polizei geladen. Die beiden [343] Hauptverbindungen der Studenten hatten sich vereinigt, jede sendete ihren Sprecher, mich zu begrüßen. Letztere waren mit mir den folgenden Tag zum Mittagsessen bei Itzstein eingeladen.

5. September reiste ich ins Oberland, um das Wiesenthal und seine Mundart näher kennen zu lernen. Ich ging über Straßburg nach Basel und so nach Lörrach.

Dort machte ich die Bekanntschaft des Rechtsanwalts Euler. Ich sprach von dem Hauptzwecke meiner Reise und bat ihn, mir zur Ausführung behülflich zu sein. Er war sehr bereitwillig, und damit wir recht ungestört das Allemannische treiben könnten, lud er mich ein, bei ihm zu wohnen. Das war mir sehr willkommen. Euler kannte genau die Mundart seiner Heimat und hatte darin auch gedichtet. Die genaue Durchsicht meiner Lieder, welche wir sofort begannen, war bald vollendet, so wie auch ein Nachtrag ›Grammatisches‹. Schon am 16. September schrieb ich meine Vorrede.

Euler war ein lieber gemüthlicher Mensch. Er widmete mir seine ganze Zeit, und damit mir die Erinnerung an seine Heimat eine nachhaltig angenehme werden möchte, so führte er mich in die Umgegend, auf die Berge und in die Örter, welche schöne Aussichten gewährten. Eines Abends war ich mit ihm auf dem Röttler Schlosse. Die Aussicht prachtvoll: in der Ferne die Gletscher im rosigen Scheine der Abendsonne, das erste Alpenglühen, welches ich sah. Die anderen Abende waren wir in Tüllingen, Weil, Stetten. Durch ihn lernte ich auch den Kirchenrath Hitzig kennen, einen liebenswürdigen alten Herrn, der mir viel von Hebel zu erzählen wußte, mit dem er sehr befreundet gewesen war.

Zum Abschiede gab mir Euler einige Zeilen, er hatte mit mir die feste Hoffnung auf eine bessere Zukunft und schloß sein Gedicht:


Der HofMa fehlt, doch d'Hoffnig nit,
Dass uf der dütschen Erde
So mengs was no im arge lit
Nootno cha besser werde.
Drum sagi: HofMa hoff, es cha
Nit allewil so blibe;
Es seig Di Trost, Du guete Ma,
Di Werk wird Früchte tribe.

[344] Den 18. September begleitete er mich nach Efringen. Dort nahmen wir Abschied auf baldiges Wiedersehen, aber wir sahen uns nie wieder: er starb einige Jahre nachher, der alte Hitzig erst 31. August 1849.

19.–30. September wieder in Mannheim. Ich wohnte bei Hecker und verkehrte nur mit seinen Freunden. Walesrode, mit dem ich in Heidelberg und Rastatt zusammen getroffen, war auch wieder einige Tage bei uns.

Die neue Ausgabe meiner allemannischen Lieder war fast vollendet, bis zum 6. Bogen hatte ich die Correctur selbst besorgt. Sie erschien bald darauf: ›Allemannische Lieder von Hoffmann von Fallersleben. Nebst Worterklärung und einer allemannischen Grammatik.‹ (Fünfte, im Wiesenthale verbesserte und vermehrte Ausgabe. Mannheim. I Verlag von Friedrich Bassermann. 1843. 8°. 127 SS.)

1. October verließ ich Mannheim. 4. October in Düsseldorf. Ich traf den Geh. Reg.-Rath von Sybel, der sofort einige Gesinnungsgenossen von meiner Ankunft benachrichtigte. Abends war ich mit ihnen im Domhardt'schen Gasthofe zusammen. Nach und nach kamen immer mehr Theilnehmer. Auch die Liedertafel betheiligte sich an dem unversehens entstandenen Feste und trug mehrere Lieder vor. Es wechselten nun Reden, Trinksprüche und Lieder mit einander, und dann und wann gaben draußen die Trompeter der Ulanen ein Stück zum Besten – Alles mir zu Ehren. Daß auch ich mich betheiligte, erfahre ich aus einem Zeitungsberichte von damals, worin es am Schlusse heißt: ›H.v.F. trug eine Menge seiner neuesten Lieder vor. Sein lebendiger, recitierender Gesang und der Witz fanden, wie überall, die unverkennbarste Anerkennung; die Begeisterung war ohne Gränzen, bis in späte Nacht war man in lauter Freudigkeit zusammen. Wir können offenbar stolz auf den Empfang sein, den der Dichter bei uns fand; er ehrt den Gast nicht minder als den stets sich freier entwickelnden Geist unserer Stadt.‹

Bis gegen Mitte Octobers verweilte ich an der Ruhr und verlebte angenehme Tage in der Familie einer Jugendfreundin. 15

Ich wandte mich nun wieder dem Rheine zu. Am Geburtstage des Königs, 15. October, traf ich in Düsseldorf ein. Zu meinem Leidwesen höre ich von polizeilichen Nachforschungen über die Theilnehmer [345] an dem neulichen Domhardt'schen Abend, die Namen wären nach Berlin geschickt und eine Untersuchung würde nicht ausbleiben, (was sich leider nachher bestätigte!).

17.–20. October in Köln. Als ich eines Abends mit Freunden zusammensitze, flüstert mir der Oberkellner zu, eben sei ein Polizeibeamter angekommen, um mich zu beobachten. Ich setze mich ihm gegenüber und die übrigen Herren, denen ich diese Neuigkeit mitgetheilt, nehmen neben mir Platz. Die polizeiliche Theilnahme wirkt sehr belebend auf unsere Stimmung, ich erzähle so viele Schnurren, daß sich der Polizist selbst nicht des Lachens erwehren kann. Den andern Tag fuhr ich mit dem alten Dresel, der mir schon früher seine Ankunft angezeigt hatte, den Rhein hinauf.

21. October–10. November in Geisenheim.

Wenn man in den Ort hineinkommt von Rüdesheim her, so sieht man bald zwei große Häuser, im französischen Stille des vorigen Jahrhunderts gebaut. Sie liegen links an der Straße, haben eine Aussicht auf den Rhein und waren ursprünglich Ein Gebäude. In dem rechten Flügel wohnte die Familie Dresel. Der Alte hatte darin mit seinem Schwager Lade eine Weinhandlung gegründet und viele Jahre gemeinschaftlich betrieben, später dies Verhältniß gelöst und sich mit seinem Sohne Karl verbunden, nachdem dieser sich mit der Tochter eines Grafschaftsbesitzers verheirathet. Das Geschäft in dieser neuen Gestalt stand wie das alte in hohem Ansehen und schien in erfreulicher Entwicklung zu gedeihen. Beide Familien zählten mit zu den ersten des Rheingaues, zeichneten sich vor allen aus durch Bildung, Freisinn und Gastfreundschaft, und standen durch Freundschaft und Verwandtschaft mit vielen Familien anderer Gegenden in Beziehung.

Der alte Dresel hatte etwas Biederes, Einnehmendes in seinen Wesen. Obschon er von geringem Herkommen war und gern davon erzählte, so war er doch allmählich bequem, genußsüchtig und aristokratisch geworden, obschon er liberale Ansichten auf religiösem und politischem Gebiete aussprach und zu vertheidigen wußte. Der Liberalismus jener Tage gehörte mit zum guten Tone, er vermittelte zugleich angenehme Bekanntschaften und konnte die Geschäftsverbindungen vortheilhaft erweitern. Dresel sah sich gern betrachtet und geehrt als den freisinnigsten Rheingauer, den Repräsentanten eines bedeutenden[346] Geschäfts und einer angesehenen Familie. Wir verkehrten oft und viel miteinander, ich verdanke ihm manche Gefälligkeit und manche angenehme Stunde.

Karl Dresel, lebendig und jugendlich frisch, angenehm in Gesellschaft von Bekannten und Fremden, gemüthlich mit den Seinigen und unter Freunden, dem Gast ein immer freundlicher Wirth. Er arbeitete unablässig an seiner Fortbildung, hatte sich eine hübsche Bibliothek gesammelt, las viel und suchte sein Interesse an Kunst und Wissenschaft auch noch zu beleben durch eifriges Sammeln von Autographa und durch den Verkehr mit Künstlern und Gelehrten, der ihm eine angenehme Erholung und fast zum Bedürfnisse geworden war. Von edeler Gesinnung beseelt suchte er das Gute mit Rath und That zu fördern, war beglückt durch das Glück Anderer, besonders der Seinigen und seiner Freunde und freute sich über jeden Beweis von Theilnahme, von welcher Seite er ihm auch kam. Er war ein vortrefflicher Mensch und hatte eigentlich nur Einen Fehler, nämlich den, daß er ein Geschäftsmann war und sein mußte, daß er den Streit der Pflicht mit seinen Neigungen nie zu seinem und seiner Familie Besten zu schlichten wußte.

Von Karls sechs Brüdern waren damals drei zu Hause, Julius und Hermann mit im Geschäfte, Gustav wartete auf eine ihm zusagende Stellung. Er war vor einiger Zeit aus America zurückgekehrt und wußte so lebendig von seinen Fahrten, besonders in Texas zu erzählen, daß ich allezeit sein dankbarer Zuhörer war.

Ich hatte nicht die Absicht, sehr lange in Geisenheim zu bleiben, aber die freundlichen Zureden meiner neuen Freunde und jeder neue sonnige Herbsttag in dem lieblichen Rheingau verzögerten meine Abreise. An Unterhaltung fehlte es mir nicht. Wenn nicht bei uns Gesellschaft war, so suchten wir sie uns auswärts zu verschaffen. Wir machten Ausflüge nach Wiesbaden, Johannisberg, Aßmannshausen und dem Rheinstein, besuchten August Reuter in Rüdesheim, fuhren zu Itzstein in Hallgarten und zum ProfessorHofmann in Winkel.

Es war am 5. November als wir dem letzteren, meinem Namensvetter einen Besuch abstatteten. Karl Dresel hatte mich schon gehörig vorbereitet und so war mir denn dieser damals merkwürdigste Mann des Rheingaus nicht ganz fremd. Er empfing uns recht freundlich. Ich war erstaunt, in diesem 90jährigen Greise so viel Jugendfrische [347] zu finden. Eine immer noch kräftige Gestalt, voll Leben in Sprache, Geberden und Bewegung der Glieder. Er hörte schwer, wir mußten laut sprechen, er sprach auch laut, und wenn er seiner Rede einen besonderen Nachdruck geben wolle, so faßte er mich beim Arm und drückte mich oder zupfte mich am Kleide. Er erzählte uns viel aus seinem Leben und immer mit großer Lebendigkeit, wir hörten mit gespannter Aufmerksamkeit zu.

Karl Milde hatte mich zu sich nach Breslau eingeladen, ich wollte bald kommen. Ich reiste nun über Mainz, Frankfurt, Schulpforta, Leipzig, Dresden zunächst nach Eichberg im schlesischen Gebirge. An jedem Ort hielt ich mich ein oder zwei Tage auf, um mich auszuruhen und auch alte Freunde und Bekannte zu besuchen. Von Dresden aus sendete ich die Salonlieder an Fröbel in Zürich.

26. November traf ich in Breslau ein. Obschon ich Tag und Stunde vorher gemeldet hatte, wann ich ankommen würde, so war doch niemand auf dem Bahnhofe mich zu empfangen. Erst spät Abends trat ich in Mitde's Haus ein, ohne mein Gepäck, es war im Wagen liegen geblieben, ich erhielt es erst den andern Tag. Ich war sehr verstimmt und ahndete nichts Gutes für meinen neuen Aufenthalt, vergaß aber bei der freundlichen Aufnahme bald das Unangenehme meines Einzugs. Den nächsten Tag richtete ich mich häuslich ein. Ich wohnte in meinem alten Zimmer unter meinen Büchern.

Ich besuchte nun nach und nach meine alten Freunde und Bekannten. Ich bemerkte bald, daß die meisten, wenn auch nicht eben verlegen, doch sehr befangen waren. Eine äußere unabhängige Stellung macht deshalb noch nicht unabhängig und frei im geselligen Verkehre: die meisten nahmen Rücksicht auf befreundete hochgestellte Beamte oder geld- und einflußreiche Leute anderer Gesinnung. Man mied mich eben nicht, aber man suchte mich auch nicht. Niemand machte mir einen Gegenbesuch. Die wenigen Beweise freundlicher Theilnahme, die mir hie und da noch wurden, hoben um so greller das hervor was mich schmerzlich berühren mußte. Auffallend, daß gerade die sogenannten aristokratischen Kreise, in denen ich früher mich auch zuweilen blicken ließ, es jetzt gerade nicht an Aufmerksamkeit für mich fehlen ließen.

[348] Ich zog mich nun ganz auf mein Zimmer und meine Studien zurück, mied alle öffentlichen Gesellschaften und kam nur dann und wann Abends bei Philippi mit Resch zusammen. Ich war recht fleißig. In den ersten Tagen des Decembers vollendete ich den 7. Theil derHorae belgicae, ferner besorgte ich eine saubere Abschrift von Wernher von Elmendorf für Haupt's Zeitschrift. 16

Der gute Erfolg meiner Kinderlieder mit Clavierbegleitung erregte den Wunsch in mir, eine neue Sammlung zu veranstalten. Ich ging zu Ernst Richter und besprach mit ihm mein Vorhaben. Er ging gern darauf ein, meinte jedoch, um dieser Sammlung einen eigenthümlichen und größeren Werth zu verleihen, wäre es gut, wenn wir uns von den ausgezeichnetsten Componisten der Gegenwart Beiträge dazu erbäten. Ich verkehrte nun viel mit Richter, der freilich durch amtliche und sonstige Arbeiten damals sehr in Anspruch genommen war. Ich versah ihn wieder mit Volksweisen aller Völker und ließ mir dann diejenigen, welche er für unsern Zweck geeignet fand, mehrmals vorspielen, bis ich sie fast auswendig wußte. Wenn ich dann nach Haus kam, so fand sich immer Zeit und Lust einen Text dazu zu dichten. Ich war sehr glücklich, ich lebte wieder ganz in der Kinderwelt und dichtete aus ihr für sie mit wahrer Herzenslust. Ich wiederholte meine Besuche öfter und brachte immer ansprechende Melodien heim, die ich denn bald mit neuen Texten versah. Kurz vor Weihnachten – und das warmeine beste Christbescherung – waren 50 Kinderlieder fertig und es bedurfte nur noch der Harmonisierung der bereits vorhandenen Volksweisen und der Composition einiger für unsere besten Meister zurückgelegten Texte.

Im Milde'schen Hause war ich betrachtet wie ein alter Hausgenosse, der frei über seine Zeit verfügen konnte, und das war mir sehr lieb. Die Abende war ich fast nie zu Hause und manchen Mittag anderswo zu Tische. Zwischen mir und Milde war eine Kühle des Gefühls eingetreten, die sich keiner zugestehen, deren sich aber wol jeder bewußt sein mochte. Mir schien es, als ob meine Hausgenossenschaft auf Milde's Verkehr mit vornehmen und hochgestellten Leuten störend wirkte und seine Neigungen, die er nie gern beschränkt sah, aus Freundschaft jetzt mitunter beschränken mußte.


[349] Das Weihnachtsfest war herangekommen. Ich bescherte Manchem etwas, und auch mir wurde beschert. Ich freute mich der Freude der Kinder, war aber nicht so froh wie einst an derselben Stelle in derselben Familie. Den andern Tag war großes Mittagsessen. Ich war ungewöhnlich stille. Bald nach Tische entfernte ich mich für den übrigen Theil des Tages. Es war mir wohler mit Resch allein zu sein bei Philippi.

Einige Tage nachher war es mir, als müßte ich die Luft verändern. Ich entschließe mich rasch zu einem Ausfluge nach Waltdorf. Mein Weg führte mich zunächst nach Neiße. Dort traf ich den GrafenReichenbach und fuhr mit ihm und Rudolf Gottschall nach Waltdorf. Wir waren in bester Stimmung und feierten den Sylvester-Abend im traulichen Familienkreise. Am Neujahrsmorgen schrieb ich an Milde. Ich meldete ihm meinen Entschluß, Breslau zu verlassen und dankte ihm für alles Liebe und Gute, das mir durch ihn und seine Familie zu Theil geworden.

Am Mittag traf Rector Kabierske von Neiße ein. Er wollte mir die Volksweisen aufzeichnen zu den Liedern, welche mir die junge Frau Gräfin gesammelt hatte. Am Nachmittag kamen die Mädel des Dorfes und sangen. Dem musikverständigen Schulmanne gewährte es selbst viele Freude, meinen Wunsch zu erfüllen: er zeichnete eine Anzahl schöner und seltener Weisen auf und ergänzte somit meine bisherige Sammlung. Zehn Texte theilte ich später mit im Deutschen Museum von Prutz (1852. II. S. 161–171), die ich dann mit der damaligen Einleitung und einigen Zusätzen nebst 17 anderen Volksliedern in meinen ›Findlingen‹ 1. Bd. (1860) S. 91–120 wieder abdrucken ließ.

Den Tag über pflegte ich für mich allein zu sein und zu arbeiten. Die Abende waren der gemeinschaftlichen Unterhaltung gewidmet Gottschall war auf einige Tage zurückgekehrt nach Breslau und kam dann den 7. wieder; auch Resch fand sich denselben Tag noch ein, wir holten ihn von Mockwitz ab. Gottschall las uns an zwei Abenden sein fünfactiges Schauspiel ›Robespierre‹. Es machte einen guten Eindruck und gab Anlaß zu allerlei ästhetischen und politischen Erörterungen. Gottschall, damals sehr begeistert für Alles was sich als Streben nach Freiheit und Glück in der Geschichte und dem heutigen Leben der Völker offenbart, war über sein Lebensziel noch [350] nicht im Klaren. Ich sprach deshalb ihm meine Wünsche für seine Zukunft aus, unter anderm den Wunsch: lieber erst viel studieren als viel edieren. Unterdessen traf ein Brief von Milde ein, der schon am 3. Januar, also unmittelbar nach Empfang meines Briefes geschrieben war. Milde sprach sich recht schulmeisterlich und so unwürdig und lieblos über mein früheres, jetziges und künftiges Leben und Treiben aus, daß ich nicht die Stimme eines Freundes, sondern eines wildfremden Menschen zu hören glaubte, die mir nur unverständlich und gleichgültig sein mußte und blieb. Ich gab den Brief Reichenbach; er las und war empört, er wollte, daß ich sofort meine Bücher zu ihm nach Waltdorf kommen ließe. ›Nein! erwiederte ich, ich will keinen solchen Schritt thun, und wenn ich noch berechtigter dazu wäre – ich werde schweigen. Ich bin der Familie diese Rücksicht schuldig. Wozu etwas thun was meinen Feinden nur willkommen wäre? Es wird sich Alles schon entwickeln.‹

Merkwürdig, mit Milde's Brief empfing ich zu gleich einen Brief von Rudolf Müller, der mich abermals dringend zu sich nach Holdorf einlud.

Den 15. Januar Abends traf ich wieder in Breslau ein. Milden gegenüber that ich als ob ich gar keinen Brief von ihm erhalten hätte. Wer solche Vorwürfe, wie er mir machte, einem Freunde machen kann, hat längst aufgehört ein Freund zu sein und verdient nicht, daß man sich gegen ihn zu rechtfertigen sucht. Ein Brief hatte uns geschieden und kein Gespräch und nichts konnte uns wieder vereinen. Ich blieb wieder einige Tage in Breslau und war mit den Vorbereitungen zu meiner Abreise beschäftigt. Den 20. Januar besuchte ich Dr. Wuttkein Brieg und verweilte einige Tage in seiner Familie. Für meine Gesellschaftslieder erhielt ich einige Ausbeute. Durch die Güte des Professors Matthisson konnte ich die Gymnasialbibliothek benutzen, ich fand für meinen Zweck 67 alte Liederbücher.

Am 6. Februar reiste ich von Breslau ab und war dann in Eichberg am Bober bei Eduard Kießling bis zum 20. Februar. Ich fuhr auf der Eisenbahn bis Freiburg und dann mit dem Postschlitten über den Schmiedeberger Berg. Herrliche Winterlandschaft, Bäume und Sträuche dick bereift, so daß man überall menschliche und Thiergestalten [351] zu sehen glaubt, eine ergötzliche Unterhaltung. In Schmiedeberg wartete schon Eduard mit dem Schlitten auf mich, wir fuhren bald ab, die Bahn war schön und zeitig erreichten wir Eichberg.

Ich verlebte stille frohe Tage. Der Verkehr mitEduard und Albert Kießling war ein sehr angenehmer und belebender, Albert hatte die juristische Laufbahn aufgegeben und lebte seiner Kränklichkeit wegen hier auf dem Lande bei seinem Bruder. Er war ein denkender Kopf und hatte viel gelernt. Ich suchte ihn zu schriftstellerischer Thätigkeit zu ermuntern, und bemerkte auch zu meiner Freude, daß er Neigung zeigte, seiner Gedanken, Meinungen und Ansichten über die mancherlei Zeitfragen aufzuzeichnen und von Zeit zu Zeit zu veröffentlichen. Ich glaubte, daß das für ihn gar keine anstrengende Beschäftigung sein könnte, da er ja oft Stunden lang, selbst wenn wir schon im Bette lagen, sich mit mir unterhielt. Während ich ihn zu etwas Zeitgemäßem ermunterte, dachte ich an etwas Ähnliches, an ein ›Freiheitsbüchlein‹, worin die freisinnigen Aussprüche deutscher Schriftsteller zusammengestellt werden sollten.

Von hier aus schrieb ich eines Tages an Resch. Ich war sehr wehmüthig gestimmt, es war mir, als ob ich nach den letzten traurigen Begegnissen in Breslau wol schwerlich wieder dorthin kommen, also weder ihn noch die treu gebliebenen Freunde wiedersehen würde.


Eichberg am Bober 19. Febr. 44.

Lieber Resch!

Wohnung, Essen und Trinken ist viel, sehr viel, ja für die meisten Menschen Alles, aber für mich nur sehr wenig. Der Freund hat etwas Edleres, Besseres dem Freunde zu geben, seine Liebe. Alle Gaben der Welt können diese nicht ersetzen. Nur über den Mangel dieser Liebe kann ich klagen, aber ich sollte es eigentlich nicht, denn ich wußte, daß ein Verhältniß, das meiner Seits über 20 Jahre lang die innigste Theilnahme und Anhänglichkeit bewahrte und bewies, anderer Seits längst zu einer bloßen Ruine geworden, dran nichts Lebendiges mehr war als etwas Immergrün der Erinnerung. Ja, ich wußte es, ich hätte den ersten Eingebungen meines Herzens folgen und ganz für mich leben sollen. Ich that es nicht und habe nun reichlich dafür gebüßt. Ist es nicht bejammernswerth, daß mich der bloße Gedanke: ›nicht mehr in Breslau zu sein‹, trösten und erquicken [352] konnte! Ist es nicht schrecklich, daß ich heute vor Freude aufjauchzen kann, wenn ich ausrufe: ›ich bin nicht mehr in Breslau!‹ Jean Paul hat von dem Immergrün unserer Gefühle geschrieben; ich weiß vom Verschießen menschlicher Gefühle zu schreiben. Was einst für mich grünte, ist jetzt verschossen, bleich und aschgrau geworden. Es ist als ob ich Alles, was ein Menschenleben Süßes und Bitteres, Böses und Gutes hat, selbst durchleben soll. Gut, ich werde es, und es wird mir auch hinfort der Muth nicht fehlen, den Kampf mit dem Widerwärtigen siegreich durchzukämpfen. Und gehen die Freunde meiner Jugend mir alle verloren, der Freunde des Vaterlandes und der Freiheit werden immer mehr, und sie sind meine Freunde. Sie werden mich vertheidigen und schützen, wenn es etwas der Art bedarf, und mit mir lachen über den kläglichen Vorwurf, daß ich nur aus Eitelkeit und um der Genußsucht willen mein Amt aufs Spiel setzte. Leb wohl!


Den 21. Februar nahm ich Abschied. Spät Abends 23. Februar traf ich in Berlin ein. Was ich nun über meinen dortigen Aufenthalt erzähle, gründet sich auf mein Tagebuch, meine Erinnerung und die mündlichen Mittheilungen Anderer.

24. Februar. Den ganzen Morgen Schneegestöber. Ich gehe erst um 12 Uhr aus. Ich höre, daß heute Wilhelm Grimms Geburtstag ist, und die Studenten ihm und seinem Bruder einen Fackelzug bringen wollen. Ich entschließe mich daher, nicht jetzt zu ihnen hinauszugehen, sondern erst den Abend. Um 8 hinaus in den Thiergarten zu den Grimm's. Ich werde sehr herzlich von der Familie empfangen. Bald kommt der Fackelzug. Gendarmen und Polizisten voran. Die Studenten stellen sich im Halbkreise auf. Nach einer kurzen Anrede folgt ein Lebehoch den Brüdern Grimm. Wilhelm steht mit seiner Gesellschaft auf dem Balcon und hält eine Dankrede. Nebenan in Jacob's Zimmer, das nicht erleuchtet ist, siehe ich am offenen Fenster. Um die Rede zu hören, neige ich mich etwas zum Fenster hinaus. Da nun mein Gesicht vom Fackelscheine beleuchtet ist, mag man mich erkannt haben. So wie die Rede zu Ende ist, ruft eine Stimme: ›Hoffmann von Fallersleben hoch!‹ und die ganze Menge stimmt laut jubelnd ein. Ich bin ganz bestürzt und noch mehr sind es die [353] anwesenden Gelehrten. Niemand spricht ein Wort, nur Jacob sagt: ›Es ist hübsch, daß man auch Sie noch hat leben lassen.‹ Ich weiß nicht, was ich machen soll, und möchte doch auch nicht unartig erscheinen. Wilhelm Grimm ist hinunter gegangen; als er wieder herauf kommt, gehe ich in den Haufen der Studenten, reiche einigen die Hand und danke ihnen. Ihrer zwanzig kommen dann zu uns, trinken ein Glas Punsch und singen mehrere meiner Lieder. Nachdem ich mich zu morgen Mittag bei Frau Grimm zu Tische eingeladen habe, nehme ich Abschied und gehe mit den Studenten heim. 25. Februar. Um Mittag zu den Grimm's. Als wir eben über den Verkauf meiner Bibliothek sprechen, tritt Lachmann ein, damals Rector magnificus. Er ist überrascht mich dort zu finden und geht erst mit Wilhelm, dann mit Jacob ins Nebenzimmer. Ich ahnde nicht, daß es den gestrigen Abend betrifft. Wir setzen uns zu Tische; Bettina, die etwas später kommt, nimmt ebenfalls Platz. Obschon sie und ich allerlei Scherze zum Besten geben, so entwickelt sich doch keine rechte Heiterkeit, man scheint verstimmt zu sein. Bald nach Tische brechen wir auf. Ich begleite Frau Bettina bis an ihre Wohnung unter den Linden. Wir sprechen unterwegs noch viel über den gestrigen Abend. ›Ja, sagt sie, das Hoch, das Ihnen gebracht wurde, kam den Leuten so recht von Herzen.‹

26. Februar. Frühmorgens meldet mir der Kellner, es sei ein Herr da, der mich durchaus sprechen müsse. Ich will ihn erst nicht annehmen, aber der Kellner wird abermals zu mir hineingeschickt. ›Nun, sage ich ärgerlich, er mag kommen!‹ Er tritt ein: ›Herr Professor, ich bin der Polizeirath Hofrichter, ich muß mich eines unangenehmen Auftrages entledigen: ich muß Ihnen anzeigen, daß Sie auf Befehl der Polizei noch heute Berlin zu verlassen haben.‹ – Ich lade ihn ein, sich zu mir ans Bette zu setzen. Ich bitte ihn, mir die Gründe zu sagen. Er meint, es bedürfe dessen weiter nicht, er habe mir nur den Befehl mitzutheilen. Wir unterhalten uns ganz traulich und ich erfahre denn so die Gründe. Das Lebehoch von Seiten der Studenten und mein ihnen dafür ausgesprochener Dank haben diese Maßregel veranlaßt. ›Wir wissen, bemerkt er, daß die Studenten Ihnen eine besondere Ehre zu erweisen beabsichtigen, und darum muß dem vorgebeugt werden, man will so etwas nicht etc.‹ – Ich frage nun, ob es denn eine bestimmte [354] Ausweisung sei? – ›Nein, es ist bloß eine Maßregel, die unter den jetzigen Umständen den Behörden nothwendig geschienen hat.‹ – Ich meinte, wenn ich nur noch bis morgen Abend hier bleiben könnte – ich sei heute Abend eingeladen; es würde zu sehr auffallen, wenn ich Berlin plötzlich verließe. – ›Nun, erwiedert er, die Nacht können Sie noch hier bleiben, aber mehr kann Ihnen nicht gestattet werden. Ich werde sehen, was der Herr Präsident jedoch meint. Kommen Sie um 12 zu mir.‹

Ich gehe nun zur Bibliothek und bespreche mit Pertz den Verkauf meiner altdeutschen Handschriften und niederländischen Bücher. Ich überreiche ihm mein Verzeichniß mit Preisen. Ich soll die Handschriften einschicken. Dann eile ich zu Hofrichter. Der Mann ist ganz freundlich und theilt mir mit was der Herr Präsident gesagt hat. Ich fahre sofort zum Herrn von Puttkammer. Ich erzähle ihm ganz einfach meinen Antheil an dem Grimm'schen Ständchen. Er bittet mich, ihm diese Erzählung von Dranienburg aus schriftlich mitzutheilen, es sei das sehr gut für meine Zukunft im preußischen Staate. Er erlaubt mir, bis morgen Abend 6 Uhr hier zu bleiben und bittet mich, meine Rückreise nicht über Berlin nehmen zu wollen. ›Die Studenten sind zu aufgeregt. Es ist nothwendig, daß der Zündstoff fern gehalten wird, man muß das Feuer dämpfen und nicht aufschüren.‹ Schließlich erinnert er sich meines Bruders, er habe unter ihm im Finanzministerium gearbeitet und viel von ihm gelernt.

Den Abend wollte ich mit einigen Freunden und Bekannten in einer Weinstube auf der Poststraße zubringen. Als wir eintreten, finden wir die beiden Bauer, Bruno und Edgar, in einem unzurechnungsfähigen Zustande. Bei ihren rohen, gemeinen Äußerungen wird uns so unbehaglich, daß wir bald auswandern. Wir gehen in eine Weinstube unter den Linden, und sind mehrere Stunden fröhlich beisammen.

27. Februar. Bei Dr. Nauwerck sehr ergötzliches Mittagsessen vier Gemaßregelter: Dr. Lorentzen kommt eben aus einem stundenlangen Verhör, Dr. Rutenberg muß um 4 auf die Polizei, Dr. Nauwerck zum Decan und ich zur Post. Um 6 Uhr verlasse ich Berlin. Herr Hofrichter sagt mir noch, als ich eben in den Wagen einsteige, ein herzliches Lebewohl.

[355] 27. Februar–10. März in Oranienburg.

Runge war sehr erfreut, und bot Alles auf, mir meinen fast unfreiwilligen Aufenthalt angenehm zu machen. Wir waren täglich in Gesellschaft mit seinen Freunden und Freundinnen. Runge spielte immer den Liebenswürdigen, war stets wohl und munter und von unverwüstlichem Humor.

Dr. Rutenberg besuchte uns auf einige Tage und wußte noch allerlei Neuigkeiten zu erzählen. Die Polizei wäre noch eifrig bemüht, die Anstifter des Hochs auf mich zu ermitteln; auch spräche man davon, daß man entdeckt habe, ich wäre schon heimlich seit 8 Tagen in Berlin gewesen um eine Störung des Grimm'schen Festes einzuleiten, und dergleichen Abgeschmacktheiten mehr. Es war gut, daß ich schon in den ersten Tagen an den Polizei-Präsidenten von Puttkammer einen Brief schrieb, in dem ich eine getreue Darstellung des ganzen Vorfalles gab.

Die Erklärung der Brüder Grimm erfolgte den 6. März in der Allg. preußischen Zeitung. Sie lautet:

›Die auswärtigen Blätter überbieten sich in falschen Nachrichten über den letzten Fackelzug. Sie mögen in ihren Widersprüchen untergehen, nur die baare Unwahrheit muß widerlegt werden und kann vor hundert und hundert Zeugen nicht bestehen, daßDr. Hoffmann von Fallersleben in den Kreis der Studirenden von Wilhelm Grimm sei hinabgeleitet worden. Erst als dieser seine Rede vollendet hatte, nur von einem Deputirten begleitet, hinuntergegangen und wiedergekehrt, der Gesang aber geschlossen war, erscholl plötzlich und außerhalb des Zuges aus einzelnen Stimmen das alle Anwesende überraschende Lebehoch für Hoffmann. Kein Mensch hat diesen ein Wort reden hören. Er war, ohne daß wir irgend von seiner Ankunft wußten, in die Gesellschaft getreten; es schien in keiner anderen Absicht, als um zu dem ihm bekannten Geburtstag Glück zu wünschen. Unsere Sache ist es nicht, ihn zu meiden, weil er von Anderen gemieden wird. Wir kennen ihn seit 1818 persönlich: das sind lange Jahre her, in welchen er uns willfährig litterarische Dienste leistete und sich immer theilnehmend gegen uns bewies. Sein unverdrossener Fleiß hat dem Betrieb der altdeutschen Litteratur manche Frucht getragen und wesentlichen Vorschub gethan. Das Schicksal, von dem er betroffen worden ist, thut uns leid: diese Empfindung verbindet [356] uns aber nicht, seine Meinungen und Handlungen zu vertreten oder gut zu heißen. Daß er uns diesmal ein ungelegener Gast kam und alle Freude störte, wird er selbst fühlen. Albern aber muß es erscheinen, wenn man jetzt, auf solchen Anlaß hin, in öffentlichen Blättern uns gleichsam unsere politische Gesinnung abfordert, die wir zur rechten Zeit nicht verholen, sondern bewährt haben. Nichts hassen wir bitterer, als sie jeden Augenblick, ohne Noth, zur Schau zu tragen und frevelhaft preiszugeben. Schon längst haben wir sehnlich gewünscht, daß man uns nicht immer in ungemessenen Ausdrücken, die nicht uns, nur unsern Feinden lieb sind, hervorziehe. In dem Qualm des Parteiwesens, von welcher Seite er aufsteigt, können wir nicht athmen. Wollen wir in Ruhe und Frieden arbeiten, so werden wir doch Niemand unbefugt an uns rütteln lassen. Daß eine harmlose, von reiner Gesinnung der Studirenden ausgegangene Ehrenbezeugung muthwillig so verdorben wird, ist nicht blos von uns, sondern von Allen, denen die Fortdauer deutscher Universitäten am Herzen liegt, lebhaft zu beklagen.


Jacob Grimm. Wilhelm Grimm.‹


Ich war sehr überrascht und schmerzlich berührt, daß mir so etwas widerfahren konnte von zwei Männern, die ich so sehr liebte und verehrte, wie ich es bei allen Gelegenheiten mündlich und schriftlich gegen sie und Andere kund gethan hatte. Eben deshalb nahm ich mir vor, nichts in dieser Angelegenheit gegen sie zu veröffentlichen, sondern mich nur gegen meine Freunde und Bekannten auf die einfache mündliche Erzählung alles dessen zu beschränken wodurch diese traurige Erklärung hervorgerufen war, und der Presse meine Vertheidigung zu überlassen. Ich hätte denn auch wirklich nicht nöthig gehabt, mich zu verantworten; die Presse übernahm dies Amt mit einer bis dahin nie vorgekommenen Einstimmigkeit: das berühmte Bruderpaar hatte das Gericht der öffentlichen Meinung hervorgerufen, und – die öffentliche Meinung entschied. 17

Die Wirkung der Grimm'fchen Erklärung war in Bezug auf [357] mich keine sonderlich nachtheilige: allerdings nahmen einige Geheime Räthe und Akademiker gegen mich Partei, die bisher gleichgültig zugeschaut hatten, dagegen aber gewann ich auch wieder viele für mich, und es erwuchs auch für mich noch ein materieller Vortheil. Die Beisteuern für mich kamen auf's Neue zur Sprache und wieder in Gang, und das Motto, womit an einem Orte eine Sendung für mich begleitet war: ›Bei uns kein Grimm gegen Hoffmann‹, war auch au anderen Orten maßgebend. Am meisten leid that mir, daß Andere um meinetwillen in Untersuchung und Strafe geriethen. Der Studiosus Albert Tiede, der, wie er selbst erklärte, ›das Hoch lediglich aus eigenem Antriebe ausgebracht‹ hatte, wurde consiliiert, und der Dr. Eduard Meyen 18 mußte eine zweimonatliche Gefängnißstrafe absitzen.

Den 10. März des Abends verließ ich Oranienburg und reiste nach Meklenburg. Um 8 Uhr Abends den 12. März traf ich in Schwerin ein. Auf der Hausflur des Postgebäudes war das Reisegepäck ausgelegt. Während ich nach dem meinigen suchte, trat mir ein Mann entgegen, der mich suchte. Es war Rudolf Müller. Hoch erfreut hieß er mich herzlich willkommen, erst heute habe er meinen Brief erhalten, sein Fuhrwerk hätte drei Tage in Güstrow vergeblich auf mich gewartet. Nachts fuhren wir nach Holdorf. Das war die dritte Nacht unterwegs. Um 4 Uhr Morgens kamen wir an.

Wie es einem geht bei Persönlichkeiten, die einem lieb und werth sind, die man aber noch nie gesehen hat, so ging es auch mir in Bezug auf Müller. Ich hatte mir ein ganz anderes Bild von meinem neuen Freunde gemacht, der mir sein Herz und Haus öffnete: ich hielt ihn für einen ältlichen, stillen, bedächtigen und gemüthlichen Herrn. Ich fand einen Mann in der Blüthe des Mannesalters, jugendlich frisch und munter, lebenslustig, kräftig, theilnehmend, empfänglich für alles Gute und Schöne. Als ich ihn näher kennen lernte, freute ich mich seines freundschaftlichen und offenen Wesens. Seine Aufmerksamkeit und gastliche Fürsorge war so groß, daß ich oft verlegen und ängstlich wurde. Er konnte in Gesellschaften sehr liebenswürdig sein; er wußte, wenn er bei guter [358] Laune war, die trockenste Gesellschaft zu beleben und zu erheitern. Er war dann unerschöpflich in Erzählung meklenburgischer Geschichten, Schwänke und Schnurren. Er hatte viel Sinn für Musik und Poesie, und beides kam mir sehr zu statten. Er konnte auf dem Clavier so viel spielen, daß ich durch ihn eine Menge Volksweisen aus meiner Sammlung kennen lernte und dann benutzen konnte. An Politik nahm er großen Antheil, und es gab für uns täglich Gelegenheit zu politisieren, da ja nun auch endlich das patriarchalische Meklenburg in die politische Bewegung mit hineingerathen war. Er hatte zwar nicht Gelegenheit wie andere seine politischen Ansichten auf den Landtagen zu vertreten – er war nur Pächter seines Schwiegervaters –, aber er nahm an allen Bestrebungen der bürgerlichen Ritter lebendigen Antheil.

Die erste Zeit war ich sehr viel durch Besuche und Reisen in Anspruch genommen. Dann später gestaltete sich mein hiesiges Leben ganz nach Wunsch in dem stillen ländlichen Holdorf. Des Morgens stand ich sehr früh auf, und wenn ich gefrühstückt hatte, begab ich mich auf mein Zimmer und arbeitete. Nach Tische pflegte ich einen Spaziergang zu machen, gewöhnlich in das Gehölz. Das Wetter war nicht immer einladend. Bei den scharfen, oft heftigen Nordwestwinden konnte ich mich ohne Nachtheil für meine Gesundheit nicht hinauswagen. Überhaupt fand ich das Klima nicht eben angenehm. Es dauerte lange bis es Frühling wurde. Den 30. April sah ich die erste Kirschblüthe, den 4. Mai die ersten Maikäfer und den 9. Mai hörte ich die erste Nachtigall, doch hatte sich der Storch schon den 4. April eingefunden; ihm zu Ehren dichtete ich mein Storchlied. 19

Die Abende wurden im Kreise der Familie verbracht: wir plauderten, musicierten, politisierten. Die Zeitungen und die kleine Hausbibliothek boten uns mancherlei Stoff. Wenn wir in unseren Gesprächen auf Dinge geriethen, die wir gar nicht oder nicht recht wußten, so mußte uns Pierer aus der Noth helfen, sein großes Universallexikon ließ uns selten im Stich.

Unser Gut gränzte an Buchholz, das Gut des Dr. Schnelle. Ich war gleich die ersten Tage dahin eingeladen. Ich wurde sehr herzlich empfangen. Es schmerzte mich nur, daß Müller mich nicht [359] begleiten konnte, er lebte mit Schnelle sehr gespannt, beide hatten seit längerer Zeit schon gar keinen Verkehr mit einander. Meine Bemühungen, das frühere Verhältniß wieder herzustellen, blieben vorläufig erfolglos.

Schnelle stand damals an der Spitze der bürgerlichen Rittergutsbesitzer, deren nächstes Ziel dahin ging, gleiche Rechte mit den adelichen zu erlangen. Daraus entwickelte sich dann später eine Opposition gegen die adelichen Ritter und die Regierung. Schnelle konnte mit Recht diese Stellung einnehmen, niemand war so vertraut mit der meklenburgischen Verfassung und den dortigen Zuständen und den Wünschen und Bedürfnissen des Volks. Dabei war er ganz erfüllt von der Idee des Rechts und durchdrungen von der Nothwendigkeit der Beseitigung aller Hindernisse gegen das Erstreben besserer Zustände, rücksichtslos in seiner Unabhängigkeit, und unabhängig in seinem Wollen und Können, ein fester, ehrenwerther Charakter, ein wahrer Ritter ohne Furcht und Tadel. Durch Alles das und das Wohlwollen, das er jederzeit gegen mich bewies, stand ich ihm sehr nahe, und ich verkehrte viel und gern mit ihm. Dazu kam nun noch, daß seine treffliche, liebenswürdige Frau mich als ein Mitglied der Familie betrachtete und ich in ihrer Gesellschaft und unter den vielen fröhlichen Kindern meine Heimatlosigkeit vergaß und auch fröhlich wurde.

Ich muß nun noch erzählen von den mancherlei Aufmerksamkeiten und Ehren, die mir hie und da im Lande erwiesen wurden. Es erfolgten viele mündliche und schriftliche Einladungen. Mochte auch viel Neugier mit Veranlassung dazu sein, so war doch größer noch die Theilnahme an meinem Leben und Schicksal.

27. März Fahrt nach Wismar. Die Wismarsche Zeitung vom 21. enthielt unter ihren Vermischten Anzeigen folgende:


›Zu Ehren des Herrn Professor Hoffmann von Fallersleben versammelt sich am Mittwoch den 27. d.M. Mittags 2 Uhr, bei dessen Anwesenheit, eine frohe Gesellschaft in meinem Hause. Mit deren Genehmigung lade ich zur Theilnahme ein, jeden, der sich dazu geneigt und berufen fühlt.

Böckel, Gastgeber zur Stadt Hamburg.‹


Also eine frohe Gesellschaft, und es ist wirklich eine sehr frohe. Nachdem Rector Crain ein Hoch auf den Großherzog ausgebracht [360] hat, folgt eines in Versen auf mich. Ich danke mit: ›Ich bin Professor gewesen –.‹ Es ist von Wirkung, so daß Crain bemerkt, er habe nicht geglaubt, daß das lebendige Wort eine so gewaltige Wirkung machen könne. In allgemeiner Heiterkeit endet spät Abends das Mittagsmal, es bleiben nur noch zurück ganze Batterien leerer Flaschen auf der langen Tafel.

29. März schon wieder eine ›Kunstreise.‹ so nannten wir scherzhaft von jetzt an meine Ausflüge zu denen, die mir eine Ehre erweisen wollten.

2. April in Holdorf Feier meines Geburtstages. Müller's Freunde und Verwandte haben sich eingefunden. An einem Bogen von Wachholder prangt mein Name, davor ein Altar mit einer Flamme und im Transparente: DEM FREIEN MANNE. Die Thür öffnet sich und ein Gesang ertönt: ›Der guten Sache!‹; dann folgt ein Hoch. – Diese einfache, aber herzliche Feier freute mich sehr.

7. April, Ostersonntag, großes Gastmal in Gerdshagen bei Kröpelin, wozu auch Pastor Vortisch von Satow geladen ist. Er hatte schon lange den Wunsch gehegt, mich persönlich kennen zu lernen. Dieser Wunsch geht nun bei einer so feierlichen Gelegenheit in Erfüllung. Der Herr Pastor sitzt bei Tische neben mir und weiß gar nicht in seiner Herzensfreude was er mir alles Liebes und Schönes sagen soll. Er hat die unpolitischen Lieder nicht allein gelesen, sondern auch erläutert, und weiß die meisten auswendig. Nach aufgehobener Tafel kommt er mit seiner Gemalin auf mich zu und überreicht mir freudestrahlend seine goldene Repetieruhr: ›Nehmen Sie das zum Andenken!‹ – ›Lieber Herr Pastor, ein Andenken nehme ich schon an, nur nicht ein so kostbares!‹ – ›Wir bitten inständigst. Es ist kein Gedanke von heute. Wir haben schon lange daran gedacht, meine Frau und ich, Ihnen ein Zeichen unserer Liebe und Verehrung zu geben.‹

19. April Fahrt nach Hohenfelde zu Otto Wien, Schnelle's Freund. Große Gesellschaft: drei Geistliche, darunter Pastor Fuchs, Wien's Verwandter, dann die Nachbaren, Mitglieder der Familie Pogge und Christian Klockman. Ein heiteres Festmal, das mir mehr als Ehre, das mir die Liebe trefflicher Menschen einbrachte und eine freundliche Erinnerung blieb.

[361] 20. April mit Otto Wien nach Scharpzow zu Karl Müller, Rudolfs Bruder. Ich lernte ihn jetzt erst näher kennen. Ein offener, biederer Charakter, ein Freund heiteren geselligen Verkehrs, übte er nach edler meklenburger Art die liebenswürdigste Gastfreundschaft. Schon unterwegs hatten wir erfahren, daß Karl Nauwerck zum Besuche dort sei. Wir feierten ein fröhliches Wiedersehen in Kreise gleichgesinnter Männer. Nauwerck hatte seine ›Berliner Blätter‹ mitgebracht, worin er allerlei Zeitfragen behandelt. Er las uns mehreres daraus vor, und vermehrte somit den Stoff zu interessanter Unterhaltung. – Den zweiten Abend fand sich Fritz Reuter ein. Er erzählte uns stundenlang von seinem siebenjährigen Gefängnißleben so lebendig, so humoristisch, daß wir uns gar nicht satt hören konnten. Ich bat ihn mehrmals dringend, Alles aufzuzeichnen und gerade so, wie er es eben erzählt hatte. Ich versprach mir den größten Erfolg davon.

23. April mit Wien zu Herrn Pogge auf Roggow. Große Gesellschaft. Bei Tische bringe ich ein Hoch auf die deutschen Frauen aus, es waren mehrere Frauen und Fräulein zugegen. Es ging sehr heiter zu. Ich sang mehrere meiner neuesten Lieder. Erst Abends spät fuhren wir heim.

Zu diesen mancherlei Beweisen der Theilnahme in Meklenburg kamen während meines dortigen Aufenthalts auch welche von auswärts, so sendete mir die ›Germania‹ in Christiania durch Vermittelung Itzstein's eine mein Streben anerkennende Zuschrift mit einem Wechsel von 204 Mark Banco. An dieser Summe hatten sich nicht allein die Mitglieder des Vereins, meist deutsche Handwerker betheiligt, sondern auch einige in Bergen, Malmö und Lund wohnende deutsche und nichtdeutsche Volksfreunde. In dem Schreiben wird erwähnt, daß meine Lieder in der Ursprache mit großem Beifall gelesen würden und daß der Staatsarchivar Wergeland, der reichbegabteste unter den norwegischen Dichtern einige ins Norwegische übersetzt habe.

In Holdorf hatte ich viele Lieder gedichtet, die ich dann bei verschiedenen Gelegenheiten hie und da sang. Da sie sehr beifällig aufgenommen wurden, so wollte ich sie gerne meinen Freunden und Bekannten als Andenken zurücklassen. Das konnte nur durch den Druck ausgeführt werden. Aber wo drucken lassen? Der größte Theil der Lieder wäre von der Censur gestrichen. Es blieb also nur [362] Ein Weg übrig: sie ohne Censur drucken zu lassen. Ein Freund war bereit, die Sache auszuführen. Eines schönen Maitages, den 24. war mein Manuscript in seinen Händen, und bald darauf erschien ein Heft in 16°, 52 Seiten mit 31 Liedern und den Melodien in Steindruck: ›Maitrank. Neue Lieder von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Mit Melodieen. Paris. Verlag von Renardier. 1844.) 20 Drucker und Verleger wurden nie, auch mir nicht einmal, bekannt. Es waren übrigens nicht lauter politische, sondern auch Kinderlieder darunter.

Endlich stand meine Abreise fest. Den 18. Juni nach Oranienburg. Einige Tage mit meinen Freunden zusammen. Dr. Rutenberg kam zu mir auf einen Tag von Berlin herüber. Den 23. fuhr ich bis vor's Oranienburger Thor. Ich bestieg dort eine Droschke und kutschierte um Berlin herum. Rutenberg erwartete mich schon. Nauwerck und Sander fanden sich bei uns ein. Letzterer erzählte, Bettina sei um eine Pension für mich beim Könige eingekommen!

25.–28. Juni in Leipzig. In einigen vornehmen Buchhändlerkreisen nimmt man entschieden Partei für die Grimm's. Ich thue nichts dagegen, als daß ich das Thatsächliche vom 24. Februar erzähle. Mit Engelmann abgeschlossen wegen der ›Spenden‹ und Pars VII. der Horae belgicae.

Den Abend vor meiner Abreise brachten mir die Studenten ein Ständchen vor dem Hôtel de Bavière unter großer Betheiligung des Publicums. Es schien dazu keine polizeiliche Erlaubniß gegeben, auch wol keine erbeten zu sein. Als der Gesang gesungen und ein Hoch ausgebracht war und ich gedankt hatte, war Alles wie verflogen. Ein Polizist erschien darauf und fragte den Portier: ›Wer ist denn das, dem sie hier eben ein Ständchen gebracht haben?‹ – und der Portier fand nichts darauf zu erwiedern nöthig als: ›Das ist ein deutscher Mann.‹

Den 30. Juni traf ich Karl Dresel in Frankfurt und fuhr mit ihm nach Geisenheim. Dort ruhte ich mich etwas aus, und besprach mich mit dem alten Dresel über meine Badereise. Den 3. Juli reiste ich nach Mannheim. Ich blieb einige Stunden in Mainz. Bei Victor von Zabern traf ich Freiligrath. Ich war nicht eben angenehm überrascht. Die Rhein- und Mosel-Zeitung hatte auf eine [363] mich sehr beleidigende Weise sich über unser Zusammentreffen in Coblenz ausgesprochen. Da von Freiligrath keine Widerlegung erschien, so nahmen meine Freunde an, daß er diesen Artikel verfaßt habe oder doch zu ihm in Beziehung stehe. Er erklärte mir nun, daß beides nicht der Fall sei, und ich würde mich bald von seiner Gesinnung überzeugen, er lasse jetzt Gedichte drucken, wol 20 Bogen, die solle ich abwarten. Daß ich unter obigen Umständen bis zu diesem Augenblicke mißtrauisch gegen Freiligrath war, ist erklärlich und verzeihlich. Den 3. Mai noch verfaßte ich in Holdorf ein ›Lied eines pensionierten Poeten.‹ 21

In Mannheim wollte ich mir für das zweite Heft meiner Kinderlieder mit Clavierbegleitung einen Verleger verschaffen. Die Bassermann'sche Buchhandlung, mit der ich schon im Verkehr stand, schien mir die geeignetste dafür zu sein. Als ich die Herren Bassermann und Mathy nicht fand – sie waren beide Abgeordnete –, so fuhr ich mit des letztern Bruder nach Carlsruhe. Hier traf ich mit Bassermann und Mathy zusammen. Nach kurzer Verhandelung war der Vertrag abgeschlossen. Welcker lud mich ein nach Heidelberg in seine neue Wohnung. Um 7 Uhr Abends fuhren wir heim.

5. Juli – 2. August in Soden.

Soden liegt in einer lieblichen Gegend am Fuße des Taunus. Es hat viele Mineralquellen, die zum Baden und Trinken benutzt werden. Ich ließ mich nur auf das Trinken ein und beobachtete pünktlich die üblichen Verhaltungsregeln.

Nach einigen Tagen befand ich mich sehr schlecht und mußte zu einer minder starken Quelle übergehen. Aber auch danach wurde mir nicht besser, und weil ich doch nun einmal eine vierwöchentliche Brunnencur mir vorgenommen hatte, so hielt ich mich nur Curhalber auf wie viele Studenten nur Studierenshalber Universitäten besuchen. Überdem trat in der Mitte des Monats so schlechtes Wetter ein, fortwährend Regen und Kälte, daß schon dadurch alles Brunnentrinken von selbst aufhören mußte. Bei allem Langweiligen, welches am Ende jeder Badeort hat, war es doch für mich hier meist angenehm und mitunter sehr kurzweilig. Einige Männer besuchten [364] ihre Frauen, andere ihre Verwandten und Freunde, noch andere kamen um diesen oder jenen Badegast kennen zu lernen. Und so machte ich denn manche Bekanntschaft.

Gutzkow war zum Besuche seiner Frau herübergekommen. Ich traf ihn auf einem Spaziergange und war eben nicht angenehm überrascht: er hatte für mich etwas Kaltes, Unheimliches in seinem Gesichte. Wir gingen lange neben einander, bis er sich zu einem Gespräche mit mir herabließ. Als einmal die Unterhaltung angebahnt war, da konnte ich es denn doch nicht unterlassen, ihn wegen seiner Schandartikel gegen mich zur Rede zu stellen. ›Sagen Sie, wie kamen Sie eigentlich dazu gegen mich zu schreiben?‹ – Zögernd kam er dann mit der Entschuldigung heraus: ›Campe wünschte es, ich möchte gegen Sie schreiben.‹ – Also darum! jede andere Erklärung wäre mir lieber gewesen als dies Geständniß eigener Erbärmlichkeit. – Nachher saßen wir noch zusammen; Gutzkow war gesprächiger, als er merkte, daß ich nicht wieder aus seine Telegraphendienste für Campe zurückkommen mochte. Seine Frau war zugegen und wie immer so jetzt vor ihrer bevorstehenden Abreise recht freundlich. ›Sie sind so oft in Frankfurt gewesen und uns immer vorbeigegangen, jetzt dürfen wir doch wol hoffen, daß Sie uns besuchen!‹

Mendelssohn war zum Besuche seiner Frau eingetroffen. Ich besuchte ihn und war sehr erfreut: diese seine, vielseitige Bildung, dies milde, liebenswürdige, dies bescheidene Wesen des hochgefeierten Künstlers – eine seltene Erscheinung in der Tonkünstlerwelt! Wir sprachen über Breslau und das dortige Gelehrten- und Künstlertreiben, über deutsche Litteratur, Volkslieder, Choräle u. dgl. Er dankte mir herzlich für die großen Freuden, die ich ihm durch meine Lieder bereitet hätte. Er erzählte, daß ›der Blümlein Tauz‹ 22 mit englischer Übersetzung in London von ihm herausgegeben sei mit noch 5 anderen Liedern von mir.

Eines Tages spazierten wir gegen Abend die Anhöhe hinauf ›zu den drei Linden.‹ Als mir dort angelangt waren, setzte sich Mendelssohn in eine Vertiefung, holte seine Mappe hervor und zeichnete eine jener zwei Linden, die dritte ist nämlich nicht mehr vorhanden. Unterdessen pflückte ich Blumen und wand ein Sträußchen, das ich auf die Bank legte. Ich ging dann wieder nach Blumen zu einem [365] zweiten Sträußchen. Wie ich damit fertig und mein erstes wiederholen wollte, konnte ich es nicht finden. Ein Frankfurter Madamchen auf der Bank reichte es mir: ›Iß des das Ihnen Ihrige?‹ Mein Sträußchen war zu schön für diese Frankfurter Schönheit, ich nahm es als mein Eigenthum zurück. Es ist meine alte Liebhaberei, Blumensträuße zu winden und besonders ganz kleine. Ich wetteiferte darin mit Frau Mendelssohn, die aber dabei auf eine andere Art verfuhr sowol in der Form der Sträußchen als in der Wahl und Zusammenstellung der Farben.

In der ersten Hälfte Julis war auch Ferdinand Hiller einige Male in Soden. Ich war zweimal sein Tischgast. Hiller war meist ernst und still, mehr mit sich als anderen beschäftigt. Während Mendelssohn ein Centrum war, das seine Strahlen ausströmte, schien mir Hiller eins, das alle in sich auffing; was sich ihm näherte, schien nur um seinetwillen da zu sein. Er kam mir vor wie sein großes Album mit den vielen gefeierten Namen, das er mehr zu seiner, als ihrer Verherrlichung zu zeigen schien.

Freiligrath wohnte mit seiner Frau in Kronthal, einer kleinen stillen Badeanstalt in einem waldigen Thale, die erst vor 10 Jahren ins Leben trat. Wir besuchten uns wechselseitig, doch war ich öfter in Kronthal als er in Soden. Die letzten Tage vor meiner Abreise war unser Verkehr besonders lebhaft. Wir sahen uns täglich. Den 29. Juli las ich ihm die ›Hoffmannschen Tropfen‹ vor, die erst im September gedruckt wurden. Obschon es seinerseits keiner Erklärung mehr bedurfte, daß er ganz zu unserer Partei gehörte, so hielt ich es doch nicht für überflüssig, ihn als einen Gleichgesinnten zu begrüßen, zumal ich voreiliger Weise mein Mißtrauen früher in einem Liede ausgesprochen hatte. Den 2. August kam er mit seiner Frau nach Soden herüber und ich sang ihm zum Abschiede das Lied: ›Willkommen im Freien!‹ 23

Wir nahmen von einander Abschied ohne die tröstende Hoffnung, uns bald wiederzusehen. Der Druck seiner neuesten Gedichte ward noch in diesem Monate vollendet, aber erst im folgenden (September) dem Buchhandel übergeben. Sie erschienen unter dem Titel: ›Ein Glaubensbekenntniß, Zeitgedichte von Ferdinand Freiligrath. Mainz. Verlag von Victor von Zabern. 1844.‹ (8°. XVI. 324 SS.).


[366] Nach seiner rückhaltlosen Erklärung im Vorworte des ›Glaubensbekenntnisses‹ durfte sich die Presse gar nicht erst den Kopf zerbrechen, warum und wie Freiligrath in den Freisinn hineingerathen war. Das Ereigniß war aber zu bedeutend und mußte besprochen werden, und da dies nur in regierungsfreundlichem Sinne geschehen konnte, so waren die Stimmen natürlich mehr wider ihn als für ihn. Ja, man trauete Freiligrath so wenig Selbstständigkeit zu, daß man ihn als einen zu seiner neuen politischen Richtung von mir Verführten hinstellte, und diese Albernheiten gingen dann später in die Geschichten der neuesten deutschen Litteratur über.

Das Unangenehmste dabei für Freiligrath und mich war unstreitig, daß seine Verwandten und viele seiner Freunde ihn als den Verführten und mich als den Verführer ansahen. In ihrer philisterhaften Lebensanschauung hielten sie es für ein Unglück, daß Freiligrath eine Pension von 300 Rb. aufgab, wodurch er zu nichts verpflichtet gewesen war; so etwas konnte nach ihrer Ansicht nicht aus eigenem Antriebe kommen, das mußte durch fremden Einfluß bewirkt sein. Freiligrath ahndete das, und sendete einem Freunde schon den 18. August von Mainz aus sein ›Glaubensbekenntniß‹ mit einigen Zeilen. 24 Es ist mir lieb, daß ich dieselben in der Urschrift besitze – der Mann, an den sie gerichtet sind, hat sie mir verehrt.


[367] Den 3. August verließ ich Soden. Ich folgte einer Einladung Karl Dresels nach Geisenheim. Sehr angenehm lebte ich vier Wochen in dem mir so lieb gewordenen Rheingau. Ich benutzte jede Zeit zum Arbeiten oder Spazierengehen, wenn ich nicht gesellig in Anspruch genommen wurde. Freilich gab es der Zerstreuungen sehr viele: Fremde, Freunde, Verwandte kamen und gingen, hierhin, dorthin ward ein Ausflug unternommen, dieser und jener benachbarte Freund besucht, auch fehlte es nicht an größeren Abend- oder Mittagsessen bei uns oder anderen, bei Itzstein in Hallgarten, Schultz und August Reuter in Rüdesheim. Eines Tages fuhren wir im Omnibus nach Kreuznach und blieben dort zwei Tage. Wir besuchten Abraham Voß. Er zeigte mir das Hainbundsbuch und wünschte, daß ich es herausgeben möchte; auch sah ich viele Briefe berühmter Männer aus dem Nachlasse seines Vaters J.H. Voß.

1. September großes Zweckessen im weißen Roß zu Bingen. Es finden sich ein Rheingauer, Rheinhessen, Rheinbaiern und Rheinpreußen. Ich treffe viele Bekannte: Itzstein, von Soiron, den alten Hofmann von Langenwinkel u.a. Vor mir sitzt der Grafschaftsbesitzer Tenge von Barkhausen, Karl Dresel's Schwiegervater. Mein Itzstein-Lied 25 wird vertheilt und mit Begeisterung gesungen. In allgemeiner Heiterkeit endet das Fest, jeder kehrt befriedigt heim.

Dem Grafschaftsbesitzer hatte mein frisches, munteres Wesen gefallen, er glaubte in mir einen angenehmen Begleiter und Gesellschafter zu finden für seine Vergnügungsreise, die er dieser Tage antreten wollte. Selbst wagte er jedoch nicht, mir einen Antrag zu machen; er beauftragte demnach seinen Schwiegersohn, mich zu fragen, ob ich wol geneigt wäre ihn zu begleiten. Karl kam lächelnd an mich heran: ›Du, mein Schwiegervater möchte gern mit Dir eine Reise nach Italien machen.‹ – ›So? fragte ich ganz bedenklich – das ist weit hin, und ich bin auch nicht im Mindesten dazu vorbereitet.‹ – ›O, meinte er, das wird sich schon machen – komm nur, sprich selbst mit ihm!‹ Herr Tenge wiederholte, was Karl mir gesagt hatte. Ich machte allerlei Einwendungen. Ich wußte recht gut, wie mißlich es ist, mit jemandem den man nicht weiter kennt eine so weite Reise zu machen, daß eines reichen Mannes Neigungen und Bedürfnisse von den meinen gar zu verschieden sein könnten, [368] daß vielleicht seine etwaigen Launen mir jeden Genuß verleiden möchten u. dgl. Doch dachte ich dann wieder: du bist ein freier Mann, darfst niemanden um Urlaub bitten, versäumst nichts und lernst mit guter Gelegenheit ein fremdes Land kennen, eine gemeinschaftliche Reise ist immer ein Wagniß, also wag' es nur! Und ich wagte es: ich ging auf das freundliche Anerbieten ein.

Da die Reise in den nächsten Tagen vor sich gehen sollte, so nahm ich den folgenden Tag, den 2. September Abschied von Geisenheim und ging nach Frankfurt. Dort kaufe ich mir einen Reiseanzug und schicke meinen Paß an den österreichischen und den preußischen Gesandten zum Visieren ins Ausland. Der letztere weigert sich, er nimmt Ausland für deutsche Bundesstaaten, ich muß selbst hingehen und erklären, daß ich nicht in das inländische, sondern ausländische Ausland reisen will. Dann nach Wiesbaden. Tenge ist auch noch den nächsten Tag von Familiengeschäften in Anspruch genommen. Als ich am Cursaale allein an einem Tische sitze, setzt sich Herr von Bauer, Tenge's Schwager zu mir. ›Sie wollen also mit Tenge eine Reise machen?‹ – ›Ja wol.‹ – ›Da bedauere ich Sie –‹ – ›Wie so?‹ – ›O das ist ein unruhiger Mensch, Pitschaft der unaufhaltsame! Sie werden es erleben!‹

Am 5. September treten wir die Reise an. Mit Adolf Follen, den ich unterwegs treffe, mache ich einen Abstecher nach Lahr, wo die Bürger mir zu Ehren ein Festessen geben. Dann mit Tenge nach Freiburg.

8. September. Nachdem wir den Freiburger Münster mit seinem stattlichen Thurme, dem reichverzierten Hauptportale und den schönen Glasmalereien bewundert haben, setzen wir unsere Reise im Einspänner fort. Durch's Höllenthal zu Fuß. Großartige Natur, besonders der oft abgebildete Hirschsprung. Im Gasthause zum Rößli speisen wir zu Mittag. Wir kommen am Titisee vorbei, dann durch Lenzkirch und erreichen des Abends Bonndorf.

9. September. Im Einspänner weiter nach Schaffhausen. Um 12 im Hôtel Weber. Prachtvolle Aussicht auf den Rheinfall. Gegen 3 Uhr fahren wir nach Schaffhausen, treffen aber für die Post zu spät ein, sie ist ganz besetzt und wir müssen mit einem Verdeckplatz vorlieb nehmen. Der Sitz bequem und die Aussicht recht frei. Leider kommen uns drei Gewitter entgegen und wir werden sehr naß. Auf der letzten Station hört es auf zu regnen, und da will ein Engländer[369] mit mir den Platz tauschen. Welche Großmuth! Wir freuen uns nun an der herrlichen Aussicht auf die Glarner Alpen, die von der Abendsonne beleuchtet vor uns liegen. Naß, aber mit Humor erreichen wir Zürich.

10. September bis Chur. Während ich die hohen Berge bewundere und mich über das ganze Thal freue, erstaunt und ärgert sich Tenge über die vielen versumpften Wiesen.

11. September. Des Morgens mit der Post weiter an Felsberg vorbei nach Reichenau am Zusammenfluß des Vorder- und Hinterrheins, und dann nach dem Marktflecken Thusis. Wenige Minuten jenseits beginnt die merkwürdige Felsschluchtstraße, die unter dem Namen Via mala weltbekannt ist. Der Weg bietet dann noch viel Sehenswerthes dar bis Splügen, das bereits 4034' ü.d.M. liegt. Wir speisen hier zu Mittag. Zum ersten Male Wein als Gemeingut bei Tische. Die Straße nimmt von hier aus eine immer höhere Steigung und erreicht auf dem Gipfel des Splügenpasses eine Höhe von 6500' ü.d.M. Uns begegnet kein lebendes Wesen, nur einige Postpferde ohne Führer. An der österreichischen Gränze werden wir von den Mauthbeamten untersucht und nach Einsicht unserer Pässe nicht weiter behelligt. Die neue Straße, die erst 1818–23 von der Bündtner und der österreichischen Regierung gebaut wurde, ist wirklich eine Kunststraße, lauter Schlangenwege über einander so wie mehrere überwölbte Gänge, die sogenannten Gallerien. Die Schutzgeländer am Wege sind jedoch nur von Holz, zwei Stangen durch einen Pfahl verbunden, und sehr niedrig. Da kann einem schon angst und bange werden, wenn man daran vorbeitrabt und neben sich in einen Abgrund von oft 2000' hinabsieht. Die Postillone fahren immer im starken Trabe hinab, selbst da wo sie wenden müssen. Die Pferde gehen freilich mit merkwürdiger Sicherheit. – Wir sehen dann noch den herrlichen Wasserfall des Madesimo, der nicht weit von der Straße 700' herabstürzt. Um 9 Uhr Abends treffen wir in Chiavenna ein. Es regnet und nebelt immerfort.

12. September. Mit der Post an den Comer-See. Wir sitzen im Cabriolet und hätten die schönste Aussicht vor uns haben müssen, der Regen aber dauert fort. Stark strömende Bergwasser ergießen sich hie und da über die Straße. Wir fahren am Lago Mezzola vorüber, dann durch zwei Felsengallerien. Hier die ersten echten [370] Italiener, braune Gesichter, barfuß und barbeinig, mit Sandalen, spitzen Hüten, Regenmänteln und Schirmen. Nach unserer Ankunft in Colico eilen wir sofort in vollem Regen auf's Dampfschiff. Wir fahren quer über den See nach Gravedona. Nach Tische klärt sich das Wetter auf und wir machen einen Spaziergang auf eine Anhöhe. Hinter einer Mauer sind mehrere Männer versammelt, die eifrig einem Stegreifdichter zuhören, der mit einem einsaitigen Instrumente seine Verse begleitet. Wir treten unter sie; einer der französisch kann und sich als einen Napoleonischen Krieger in Rußland darstellt, sucht uns auszukundschaften, und als er glaubt, genug über uns erfahren zu haben, theilt er es seinen neugierigen Kameraden mit. Es dauert auch nicht lange und der Improvisatore besingt uns; so viel ich verstehen kann, sagt er: das sind vornehme Signori, die kommen aus dem hohen Norden und wollen unser schönes Italien kennen lernen etc. – Wir steigen höher hinauf und werden durch eine wunderschöne Aussicht belohnt. Um uns Maulbeerbäume, Weinreben, laubenartig gezogen, darunter und daneben Mais, höher hinauf Kastanien. Wir spazieren hinab nach der Seeseite und besehen den Palazzo, den zu Ende des 16. Jahrhunderts ein Cardinal Galli bauen ließ. Armuth und Edelsinn: große Zimmer und nichts Ordentliches darin.

13. September. Wir fahren den See entlang bis Como. Die Ufer der Südseite sind sehr reizend: zwischen den Kastanien, Maulbeer- und Obstbäumen und Weinstöcken überall Villen, hie und da Cypressen, Feigen- und Olivenbäume. Als wir anlanden, eröffnet sich uns ein Bild des echten dolce far niete: eine Gesellschaft junger Männer sitzt, zum Theil das Haupt gestützt, auf der Mauer unbeweglich und blickt in großer Selbstbehaglichkeit in die Welt hinein. Tenge außer sich, daß die Kerle so faul da sitzen, er kann sich nicht genug wundern. ›Nun, sage ich, glauben Sie nicht, daß die Kerle sich noch mehr über Sie wundern würden, wenn sie erführen, daß Sie ein Grafschaftsbesitzer sind, der sich so viele Sorgen macht und sich mitunter so sehr plagt?‹

In Como speisen wir zu Mittag und fahren mit dem Corriere nach Mailand. Wir kommen bald in die lombardische Ebene. An den Straßen junge Maulbeerbäume, rechts und links Mais- und Reisfelder. Es ist einem oft, als ob man durch eine fruchtbare Gegend Norddeutschlands reist. Wir erreichen erst spät Mailand.

[371] 14. September. Unser erster Gang in den Dom und auf den Dom. Das Massenartige des gewaltigen Baues von lauter blendend weißem Marmor macht großen Eindruck. Die viele Kunstarbeit aus verschiedenen Jahrhunderten ist bewundernswerth. Der Bau ward 1386 begonnen, im 16. Jahrhundert weiter fortgeführt, ruhte dann lange, bis er endlich unter Napoleon und Franz I. vollendet wurde. Schon nach dieser kurzen Geschichte läßt sich keine Einheit des Stils erwarten, und sie ist denn auch wirklich nicht vorhanden. Überhaupt scheint mir von Anfang an ein Mißverstehen der deutschen Baukunst obzuwalten; später hat man diese noch durch französische Einfügsel verhunzt: die Vorderseite mit ihren neufranzösischen Fenstern und Thüren hat für ein deutsches Auge etwas Störendes, ja Beleidigendes. Von hier zum Arco della Pace. Darauf besehen wir die Gemäldesammlung imPalazzo del Duca Litta und die Kunstausstellung in der Brera. Um 4 Uhr erst zu Hause, von allem Wandeln und Sehen völlig erschöpft.

15. September. Am Morgen zur Polizei. Viel Gedränge. Nach dreimaligem Versuche, unsere Pässe zurückzuerhalten, gehen wir fort. Wir besuchen wieder die Brera, spazieren durch die Stadt und speisen um 3 Uhr zu Mittag.

16. September. Um 1 Uhr mit der Courierpost nach Genua.

17. September. Morgens um 8 Uhr in Genua. Wir spazieren in der Stadt umher. Die Straßen meist eng und dunkel, steil und schmutzig. Im Palazzo d'Andrea Doria schöne Aussicht.

18. September. Wir setzen unsere Spaziergänge fort. Während ich nach Tische in einem Kaffeehause mit Landsleuten ruhig plaudere, findet Tenge nirgend Ruhe; er will einen Berg besteigen, geräth in die Festungswerke, wird von dem Wachtposten zurückgewiesen und tritt schweißtriefend und unbefriedigt den Rückweg an. Unsere Abreise ist beschlossen. Für das Visieren unserer Pässe müssen wir 32 Francs bezahlen. Ich singe: ›Und es lohnt sich ein Deutscher zu sein!‹ 26

Wir fahren gegen Abend mit dem Lombardo, einem neapolitanischen Dampfschiffe nach Livorno. Genua, das sich am Abhange des Gebirges ausdehnt, gewährt von der Seeseite einen herrlichen Anblick. Wir machen Bekanntschaft mit Anton Fahne und seiner Frau.


[372] Er ist ein Alterthumsforscher und Kunstfreund und Kenner. Sein Reisezweck stimmt zu dem unsrigen: wir finden es bald wechselseitig passend und angenehm, die Reise gemeinschaftlich fortzusetzen. Bei Tenge's Unruhe und Hast, so schnell als möglich Alles zu sehen und so schnell als möglich weiter zu kommen, ist es mir ganz lieb, daß er sich künftig in seiner Selbstherrschaft beschränken wird und die Wünsche Anderer zu den seinigen macht.

19. September. Um 8 Uhr Morgens wohl und munter in Livorno. Wir lassen uns durch den Freihafen fahren, und gehen dann nach Pisa. Wir besuchen den Dom, das Battisterio, Campo santo, einige Kirchen und öffentliche Plätze. Im Battisterio wurden wir auf eine wunderliche Weise erschreckt. Der Custode macht uns eben aufmerksam auf den schönen Wiederhall und begleitet in theatralischer Stellung mit einer zierlichen Handbewegung seine Stimme. Wir blicken nach oben und lauschen. In demselben Augenblicke klappert es sehr stark mit einer Blechbüchse hinter uns. Wir sehen uns um, Tenge schreit: ›Das ist der Teufel!‹ Ein Büßer in schwarzem Gewande mit einer Capuze über dem Kopfe, worin nur zwei Öffnungen für die Augen, bettelt uns an. Schrecken, Staunen und Gelächter bewillkommnen den ungebetenen Gast.

Um 5 Nachmittags auf dem Dampfschiffe Ercolano nach Civita-Vecchia. Das Meer stark bewegt. Beim Nachtessen fehlen schon viele Reisende. Ich gehe zu Bette, kann aber nicht schlafen. Es stürmt gewaltig, besonders als wir zwischen Elba und dem Festlande sind. Das Schiff schwankt sehr, die Kanonen rollen hin und her, die Wellen schlagen oft auf das Verdeck. Es ist Mitternacht. Ich werde seekrank und muß viel leiden. Das dauert bis der Tag anbricht. Tenge ist verschont geblieben.

20. September. Am Morgen in Civita-Vecchia. Als ich ans Land steige, fühle ich erst recht, wie elend ich bin. Nachdem wir die Plackerei mit der Paßpolizei und der Dogana überwunden haben, nehmen wir mit Fahne einen Vetturino bis Rom. Bei Sonnenuntergang erreichen wir die traurige Romagna. In Palo halten wir an und kehren ein. Es ist eine schauderhafte Kneipe. Unter den unheimlichen Gästen wird es uns ganz unheimlich. Nach dem langen Fasten verspüre ich etwas Eßlust. Ich bestelle mir Salat. [373] Der Wirth bringt mir Lattichstengel und begießt sie mit dem Öle der brenneuden Lampe. Da fehlt nicht viel und ich werde wieder seekrank.

21. September. Um 10 Uhr Morgens in Rom. Obschon unsere Koffer plombiert sind, so müssen wir doch noch zur Dogana, damit wir ja nicht auf den Gedanken gerathen, man könnte zum Vergnügen in Italien reisen. Wir besprechen was wir Alles sehen müssen, und wenn uns Zeit und Lust übrig bleibt, sehen wollen. Fahne ist mit mir der Meinung, daß wir nicht sehen wollen um zu sehen, sondern um sehend zu genießen, und uns dieses Genusses noch in der Erinnerung zu erfreuen.

Wir gehen in den Caffe greco. Wir finden dort Andreas Achenbach und spazieren mit ihm. Dann treffe ich Maler Siegert von Breslau und Professor Karl Witte. Jener ist erst aus Sicilien zurückgekehrt und bleibt den Winter hier, dieser geht schon heute nach Deutschland. Witte wie immer der überschwängliche Italiener. Er erzählt, er habe von Capris Myrthen eine Ruthe für seine Kinder gewunden. 27

22. September. Wir besuchen die Peterskirche. Ein Colossal- und Prachtbau. Wer an einem Bauwerke großartige Verhältnisse und unermeßliche Räume bewundert, kommt hier aus der Bewunderung gar nicht heraus. Wir gehen auf und ab, ich spüre gar nicht, daß jemand von uns den gewaltigen Eindruck spürt, von welchem unsere Schriftgelehrten so voll sind. Wir setzen zu Wagen unsere Denkmalschau fort: wir besuchen das Colosseum, die Triumphbogen, das Pantheon (Rotunda). Um 5 Uhr zum Quirinal. Die Schweizer in ihrer alten blaurothgelben Landsknechtstracht und mit ihren Hellebarden umstellen den Hof. Eine Procession kommt langsam hereingeschritten und macht in der Mitte Halt. Der Papst erscheint auf dem Balcon, umgeben von einigen Cardinälen, und ertheilt ihr seinen Segen. Einem glücklichen Zufalle verdankten wir dies seltene Ereigniß. Der Hunger treibt uns nun in den Lepre, eine echt römische Osteria, mehr malerisch als reinlich. Man reicht uns den Speisezettel: es ist ein ganzer auf einer Seite bedruckter Foliobogen, und dennoch hatten wir unsere liebe Noth, etwas zu finden das uns schmeckte.


[374] 23. September. Am Morgen zur Kirche San Giovanni in Laterano, nach der Inschrift Ecclesia Lateranensis vrbis et orbis caput, die Cathedrale des Papstes. Viel Sehenswerthes, besonders die alten Mosaiken. Daneben Überreste eines Klosterhofs mit einem Bogengange von theils gewundenen, theils schlichten Säulen mit verzierten Knäufen. Die italienischen Alterthumsforscher sprechen von diesem Werke altdeutschen Stils gar nicht, die Deutschen nur beiläufig. Von hier zu den Thermen des Caracalla. Am Nachmittag ins Capitol. Links die antiken Bildwerke und Mosaiken, rechts zwei Säle mit Gemälden. Die italienische Walhalla mit Büsten berühmter Künstler und Gelehrten, meist auf Canova's Kosten.

24. September. Fahne kommt zu uns. Wir entwerfen eine Tagesordnung, die denn auch bald in Vollzug gesetzt wird. Um 10 zum Palazzo Borghese: Gemäldesammlung. Um 12 zum Forum romanum. Wir umgehen und besehen es von allen Seiten. In glühender Hitze besteigen wir dann die Paläste der Kaiser. Gewaltige Trümmer. Oben Weinstöcke und Granaten mit reifen Früchten, Öel- und Feigenbäume. Tenge hat noch gar nicht genug gesehen, er will noch zurCloaca maxima. Wir haben nicht die mindeste Lust dahin, der Weg ist weit und die Hitze unerträglich, doch müssen wir ihm schon den Gefallen thun, er hat ja noch einen practischen Zweck dabei, er will danach auf seinen Gütern etwas Ähnliches anlegen. Wir bequemen uns also, und nachdem wir die rechte Richtung eingeschlagen, erreichen wir endlich durch Fragen unser Ziel. Und was finden wir? Ein hohes nach der Stadtmauer hin offenes Gewölbe, unten spärliches Wasser und ein Weib, das eben daran mit Waschen beschäftigt ist. Tenge steht sehr überrascht da und muß selbst lachen, als ich ihm zurufe: ›Du hast's erreicht, Ottavio!‹ – Nach Tische zur Villa Borghese: spärliches Grün, dünne Bäume, Akazien, Platanen, Cypressen, umsonst suchen wir Schatten.

25. September. Wir haben uns einen Wagen auf mehrere Tage gemiethet, um uns das Sehen zu erleichtern. Wir fahren zum Vatican. Hoher Genuß in der Gemäldesammlung: wir verweilen am längsten vor Rafael's Werken. Nachher lassen wir uns die Zimmer des Papstes zeigen. Darauf zum Monte testacceo. Oben auf dem Scherbenberge eine weite Aussicht. Nach Tische zu den Bädern des Titus. Durch die alten Fresken ward einst Rafael [375] angeregt, Ähnliches zu malen. Wir halten uns nicht lange auf, die Ausdünstung der Erde ist nach Sonnenuntergang sehr unangenehm.

26. September. Am Morgen wieder zum Vatican: wir widmen einige Stunden der Sammlung der herrlichen Bildwerke. – Um 12 in der Umgegend einige Grabmäler besucht. Nach Tische in der Villa Albani, die mich lebhaft an Winckelmann erinnert. Wir freuen uns der Kunstwerke, aber nicht der Gartenanlagen: die regelmäßig beschnittenen Baumwände haben für mich etwas Unerquickliches; es ist ein Verkennen aller lebendigen Natur, wenn Bäume, Sträuchen und Blumen verwendet werden, um mit den Gebäuden ein architektonisches Ganzes zu bilden. Erklären läßt sich am Ende Alles, aber darum noch nicht rechtfertigen.

27. September. Abermals zum Vatican. Wir besehen die etruskischen Sammlungen. Von da zur vaticanischen Bibliothek. Der Custode zeigt die alten Heidelberger Kataloge. Er thut sehr ängstlich. Ein Bibliotheks-Diener legt uns einige alte Handschriften mit Miniaturen vor. Wir spazieren durch mehrere Säle: alte Fresken, altitalienische Malereien etc. Nach Tische fahren wir auf den Monte ianiculo, dann in dieVilla Pamfili: geschmacklose Anlagen.

28. September. Tengen wird es nachgerade langweilig: er will immer sehen, Tag und Nacht sehen, seine Neugier ist unersättlich, bei unseren Wanderungen in der Stadt rennt er in jede Kirche, die sich in der Nähe zeigt. Um ihn zu beschäftigen, ziehen wir den Förster zu Rathe, und wenn uns noch etwas Sehenswerthes begegnet, so empfehlen wir es unserm sehlustigen Freunde, und er eilt von hinnen und sieht es sich an. Ich bleibe den Morgen zu Hause und dichte. Ich bin froh, daß ich den großen Schatz des Gesehenen nicht noch mehr anhäufen und einen Eindruck mit dem anderen beseitigen muß. Erst nach Tische unternehmen wir eine gemeinschaftliche Wanderung.

29. September. Es ist Sonntag. Wir fahren um 8 Uhr nach Albano. Von der alten Via Appia sahen wir neulich ein Stück, wie es erst vor kurzer Zeit zum Vorschein gebracht war, es hatte 15 Fuß unter dem Schutt gelegen. Dieser alte Weg ist sehr schmal gewesen und das Pflaster aus Polygonen zusammengefügt. Die neue Via Appia, auf der wir jetzt fahren, ist breit und schön gepflastert, [376] aber welch ein trauriger Weg! Die Gegend öde, kein Baum, keine Bank, kein Haus am Wege, nur eine einzige erbärmliche Hütte für Fuhrleute und Eselstreiber. Die Felder verwildert, hie und da Wiesen und gepflügtes Land, worauf aber hohes Unkraut, Tenge ärgerlich über die schlechte Landwirthschaft; er meint, ein einziger Morgen könnte bei guter Bearbeitung so viel geben als jetzt zehn. Am Abhange des Gebirges Reben, Ölbäume und Rohr. Albano ein freundliches Städtchen. Um 2 nach Frascati durch die sogenannte Gallerie. Das ist ein vielgerühmter Weg, an dessen beiden Seiten alte Rüstern stehen, die aber eben nicht stattlich aussehn, sie sind oft mit Steinschaften gestützt oder untermauert. Unterwegs ein Wäldchen. Ich bemerke keinen graden Baum, und unter den Weibern, die noch nach Albano ziehen, auch nicht ein einzig hübsches Gesicht. Von Frascati sieht man in eine öde Gegend, durch die wir dann nach Rom zurückkehren.

1. October. Des Morgens um 6 Uhr mit dem Vetturino aus Rom. Selten wol hat jemand in so kurzer Zeit so viel gesehen, wir können in dieser Beziehung sehr zufrieden sein. Wenn ich aber an diese Tage des freilich unruhigen, aber doch großen Genusses zurückdenke, so kann ich eine Stimmung nicht unerwähnt lassen, die ich in Rom nie zu bewältigen vermochte. In einer Stadt immer unter Trümmern alter Herrlichkeit wandeln, bei jedem Genusse, den die Gegenwart beut, sich nie des Gedankens an die Hinfälligkeit aller irdischen Dinge erwehren können, hat für mich auf die Dauer etwas Drückendes, Peinliches, das bei allen herrlichen Schätzen des Alterthums wol gemildert, aber nie beseitigt wird. Die Gegenwart begnügt sich nicht mit dem was war, ihr Streben und Ringen will etwas schaffen, ihr Gebiet ist die Zukunft, darin ruht ihre Hoffnung, ihr Trost und der Lohn für all ihr Trachten und Dichten.

Um 5 Abends sind wir bereits in Civita Castellana. Erstes gutes italienisches Gasthaus. Die Gegend im Abendrothscheine reizend: so müssen italienische Landschaften gemalt werden.

2. October bis Spoleto. Die Gegend sehr gebirgig, der Weg mitunter beschwerlich. Wir gehen eine weite Strecke durch einen Wald. Es begegnen uns viele Menschen, die uns alle anbetteln. Da ich weit voran gehe, so verweise ich sie an meine Nachfolger, die aber [377] ebenfalls mit einem via, va via, via via die unheimlichen Gäste abspeisen. Da sagt denn einer mit mitleidiger Miene: ›Die armen Signori, sie haben nichts für uns als ein Via.‹

3. October. Um 5 ausgefahren. In Foligno wird angehalten. Wir frühstücken in der Post. Im Speisesaale auf dem Tische vor dem Spiegel steht ein ausgestopfter zweibeiniger Esel. 28

Unterwegs herrliche Aussicht nach Assisi. Wir kommen noch so zeitig nach Perugia, daß wir einen Spaziergang machen können. Nachdem wir uns etwas erquickt, gehen wir in die Akademie der schönen Künste: eine sehenswerthe Sammlung etruskischer Alterthümer und altitalienischer Bilder.

Auch unser Wirth hat eine Kunstsammlung oder eigentlich einen Kunsthandel. Wir sehen sie an: lauter zusammengeraffter Kram. Fahne kaust ein etruskisches Rauchgefäß, von dessen Unechtheit er sich erst später überzeugt. Während er mit dem Wirthe handelt, hält dessen Frau das Gefäß in den Händen. Das langweilt Tengen und er schreit ihr zu: ›Alter Drache, setz doch das Ding endlich hin!‹ Sie erwiedert ganz freundlich mit dem Kopfe nickend: ›Si, Signore, si, si!‹ und wir lachen laut auf.

4. October. Um 4 Uhr Morgens nach Arezzo. Der Trasimener See, jetzt Lago di Perugia, in Morgenbeleuchtung, blaugrün, die Anhöhen blau mit rosigem Anfluge. Zu Mittag in Camuscia. Angenehmer Weg, auf den Kornfeldern Ulmen mit Reben. Allmählich hört dann der Weinbau auf.

5. October. Erst um 6 Uhr aufgebrochen. Mittags in Incisa. Weinlese an den Wegen. Wir kaufen Trauben. Abends um 7 in Florenz.

6. October. Der Dom großartig, aber geschmacklos. Im Battisterio besehen wir die berühmten ehernen Thüren und die Fresken. Nach Tische im Garten desPalazzo Pitti, das schönste daran die Aussicht auf Florenz.

7. October. Den Vormittag in den Sammlungen des Palazzo degli uffizi und des Palazzo Pitti.

Den 9. October setzen wir unsere Reise fort mit dem Vetturino über Pisa nach Livorno, von da mit dem Vesuvio nach Genua und [378] dann, 11. October mit dem Corriere nach Mailand. Weil wir alle sehr angegriffen sind, so bleiben wir noch den folgenden Tag.

13. October. Um 4 aufgestanden. Mit der Post nach Sesto Calende. Zwei Carabiniers begleiten uns, als ob wir Staatsgefangene wären. Wenn uns ja Räuber anfallen sollten, so sind gewiß unsere Schutzmänner die ersten, die Reißaus nehmen. – Nachmittags von 1–6 Uhr auf dem Lago maggiore. Wir landen in Magadino und fahren sofort weiter nach Bellinzona.

14. October. Mit einem Vetturino nach Airolo. Von Faido ab wird die Gegend wilder und unfruchtbar, und der Ticino braust in einem sehr engen Felsenbette. Bald sind wir in einer großartigen Alpenwelt. Wir fahren auf der neuen Straße.

Tenge, der schon seit einigen Tagen unwohl war, ist krank – kein Wunder! er reist als Courier und weiß mit seinen Kräften nicht Haus zu halten; ein solches Travellern ist mir noch nie vorgekommen. Sein Schwager von Bauer hat Recht gehabt. Wir sind besorgt um ihn und sehr verstimmt; als wir ihn aber an seinem Bette besuchen und aus seinem Munde hören, daß ihm besser ist, da sind wir wieder vergnügt, wir lassen ihn Camillen trinken und nehmen mit Champagner vorlieb.

15. October. Wir fahren zeitig aus im dichten Nebel, der lange anhält, und kommen um Mittag oben auf dem Gotthard an. Im Hospiz (6750' ü.d.M.) freuen wir uns wieder deutsch zu hören. Das Wetter war etwas besser. Wunderbares Thal der Reuß. Als wir zur Teufelsbrücke kommen, steigen wir aus und gehen hinüber. Es ist mir nicht möglich, an die Brückeneinfassung zu treten, um hinabzuschauen, ich muß hinankriechen, und selbst dann noch wird mir so eigen zu Muthe, als ich den tiefen Abgrund mit der tobenden Reuß vor mir erblicke.

Um 5 sind wir in Flüelen und eine Stunde nachher besteigen wir das Dampfschiff, das uns nach Luzern fährt. Den anderen Tag nehme ich Abschied von meinen Reisegefährten. Tenge und Fahne mit Frau gehen nach Basel, ich nach Zürich.

16. October – 10 November in Zürich.

Ich kehrte wieder in Sonneck bei Adolf Follen ein. Gleich nach meiner Ankunft überraschte er mich mit einer kleinen Liedersammlung, die während meiner Abwesenheit im Literarischen Comptoir [379] erschienen war: ›Hoffmann'sche Tropfen‹ (Zürich und Winterthur. 1844. 16°. 78 SS. mit 35 Liedern). 29

Meine eben vollendete italienische Reise gab uns reichen Stoff zur Unterhaltung: ich erzählte meine Erlebnisse und Stimmungen, meine Freude an Allem was Natur und Kunst mir geboten, aber auch meinen Ärger über die überschwänglichen Lobpreisungen unserer Landsleute von Dingen, die weder schön noch merkwürdig, ja oft nicht einmal des Erwähnens werth sind. Bei solchen Gelegenheiten pflegte ich dann eins und das andere meiner italienischen Lieder mitzutheilen. Follen war sehr erfreut darüber und meinte, das gäbe einen hübschen Beitrag zu dem ›Deutschen Taschenbuche‹, das sie herauszugeben beabsichtigten. Da mir nun auch noch von Anderen zugeredet wurde, diese Gedichte zu veröffentlichen, so dichtete ich noch einige dazu. Als nun meine Sammlung sich von 18 auf 40 Gedichte vermehrt hatte, ordnete ich sie und legte sie Fröbel und Follen vor. Wir versahen sie nun mit Überschriften und lachten bei diesem Geschäfte dermaßen, daß einmal Follen von der Anstrengung Seitenstiche bekam. Der Titel Diavolini, den ich vorgeschlagen hatte, fand Beifall. Diavolini, kleine Teufelchen, sind Gewürzplätzchen, womit sich besonders beim Carneval die Masken zu werfen pflegen. 30 Nach einigen Tagen waren meine Diavolini gedruckt. Sie erschienen in dem ›Deutschen Taschenbuche‹. 31

Die Morgenstunden war ich zu Hause und arbeitete. Nachmittags ging ich mit einigen Bekannten spazieren, am See oder auf den Anhöhen. Das Wetter war mitunter noch sehr angenehm.

Der October war zu Ende gegangen. Da ich nun ernstlich daran dachte, die Schweiz zu verlassen, so wollte ich doch zuvor noch nach Winterthur, um mit dem Literarischen Comptoir abzurechnen. Fröbel hatte mich zu dem Zwecke schon früher eingeladen. Den 30. October fuhr ich hinüber. Es war uns beiden lieb, daß wir zusammen kamen, um das Geschäftliche zwischen uns abzumachen und Manches für die Zukunft zu besprechen. Fröbel gab mir folgende Auskunft:


[380] Im Januar 1844 verließen die Salonlieder die Presse, wurden nur auf Verlangen versandt

3000
Im September desselben Jahres wurde ein neuer Abdruck veranstaltet, ebenfalls nur auf Verlangen
2000

Hievon wurden in Blumenfeld 500 confisciert und am 25. October 645 auf Verlangen an Buchhändler expediert.

Im September 1844 erschienen die Hoffmann'schen Tropfen

3000
Im gleichen Monat wurden neue Ausgaben von den Gassenliedern
10000
und von den Deutschen Liedern veranstaltet
2000.

Die aufgestellte Rechnung vom Februar 1843 bis September 1844 ergab für mich ein Guthaben von 786 fl. 40 Kreuzer. Ich war sehr angenehm überrascht. Leider ist es dabei geblieben, denn ich habe nie einen baaren Kreuzer zu Gesicht bekommen, da die Mittel des Literarischen Comptoirs erschöpft waren. Allerdings hatte ich 320 Exemplare von den Deutschen Liedern, 1050 von den Gassenliedern und 500 von den Salonliedern nach und nach erhalten, die mir als Honorar angerechnet wurden. Da ich dieselben aber für Freunde und Bekannte bestellte und diese von Anderen nicht immer

Geld erhielten, auch mitunter von der Polizei die Exemplare weggenommen wurden, so war der Reinertrag für mich nur ein geringer. Unser Geschäft war bald abgemacht und wir gingen zu angenehmerer. Unterhaltung über. Ich verlebte einige recht frohe Tage in Fröbel's Hause. Den 4. November kehrte ich nach Zürich zurück.

Den 11. November reiste ich über Basel, St. Louis, Mühlhaufen und Straßburg nach Offenburg, wo ich den folgenden Abend um 8 ankam. Dort trafen am 15. Abgeordnete von Lahr ein, die mich dahin abholen wollten. Ehe wir die Wagen bestiegen, sollte mir noch zu Gemüth geführt werden, daß ich mich wieder in Deutschland befände. Der Herr Oberamtmann hatte drei Gendarmen in den Gasthof geschickt, zwei blieben draußen vor der Thür, der eine trat in den Speisesaal um zu untersuchen, ob mein Paß in Ordnung wäre. Der Gendarm überzeugte sich von der Richtigkeit, und wir fuhren mit einem lauten Hurrah zum Hause hinaus. In Lahr werde ich herzlich bewillkommnet. Man erzählt mir, in wie gutem Andenken ich stehe, wie von Jung und Alt meine Lieder gesungen würden etc. Nachdem wir im Rappen eine Zeitlang verweilt, gehen wir in die [381] Sonne zum Abendessen. Große Gesellschaft. Die Kinder begrüßen mich mit dem Gesange meines ›Hohenliedes vom Censor.‹ 32 Der Bürgermeister Baum bringt ein Hoch auf mich aus. Ich danke mit dem Liede: ›Der Bürgermeister von Seckenheim,‹ 33 das ich erst gestern Morgen verfaßt habe. Es ist von großer Wirkung, besonders mit dadurch, daß es auf einer Thatsache beruht. Viele kommen zu mir, reichen mir die Hand und erklären, ich sollte Bürger werden, nicht Ehrenbürger, sondern activer; wenn ich des Bürgerrechts bedürftig wäre, so sollte es meinerseits nur ein Wort kosten.

19. November in Mannheim. Eben ist die zweite Sammlung meiner Kinderlieder angekommen: ›Funfzig neue Kinderlieder von Hoffmann von Fallersleben. Nach Original- und bekannten Weisen mit Clavierbegleitung von Ernst Richter. Mit Beiträgen von Marx, Felix Mendelssohn-Barthold, Otto Nicolai, C.G. Reißiger, Robert Schumann und Louis Spohr.‹ (Mannheim. 1845. Verlag von Friedrich Bassermann).

20. November in Heidelberg. Abendessen im Hôtel de Bavière: Welcker u.a. Ich singe mehrere Lieder. Es geht sehr munter her. Später findet sich noch der ›Liederkranz‹ ein und begrüßt mich. Welcker knüpft an meine Anwesenheit den Vorschlag zur Bildung eines allgemeinen Unterstützungsvereins für Politisch-Verfolgte. Die Mannheimer Abendzeitung berichtete über diesen ›einen Abend, wie wir ich sobald wieder erleben werden‹: ›Man muß Hoffmann seine Gedichte selbst singen hören, man muß selbst den Eindruck beobachten können, den die göttliche Gabe des Sängers, seine Lebendigkeit, sein Vortrag, die Kraft seiner Begeisterung, die Schärfe seines Spottes und Hohnes auf die Zuhörer macht, dies Alles muß man selbst mitgemacht haben, um ein vollständiges Bild von dem Dichter sich entwerfen zu können.‹ Der Artikel enthält trotz der Censurlücke des Lobes noch mehr, unter anderem ›wahrhaftig, ein Lied von Hoffmann wirkt mehr als hundert Zeitungsartikel.‹

Kein Wunder, daß so etwas von Seiten der Regierung nicht unbeachtet blieb. Schon den 26. November erfolgte ein Ministerial-Erlaß, ›wonach dem Professor Hoffmann auf den Grund seiner Reden (?) und Gedichte aufregenden und verdächtigenden Inhalts das Gastrecht [382] im Großherzogthum gekündigt werden soll.‹ Die Ausführung dieses Beschlusses unterblieb natürlich, weil ich damals schon nicht mehr in Baden war.

Von Heidelberg ging ich nach Mannheim und dann mit dem Dampfschiffe nach Geisenheim und blieb dort 22. November bis 6. December.

Ich wohnte wieder bei Karl Dresel. Ich verlebte einige stille Tage, da ich mich wenig an den geselligen Vergnügungen der Familie betheiligte, auch oft sehr unwohl war. Ich saß meist auf meinem Zimmer, schrieb Briefe, las, dichtete und vollendete eine neue Sammlung Lieder, der ich den Titel gab ›Geräuschlose Zündhölzer.‹ 34 Ich schickte sie an Follen, um sie im Verlage des Literarischen Comptoirs erscheinen zu lassen. Dieses war aber seiner Auflösung nahe, und daher unterblieb die Veröffentlichung.

7. December nach Frankfurt, den Abend bin ich bei Gutzkow. Dann eilte ich nach Leipzig. Mein erster Gang zu Engelmann. Er überreicht mir die erst vor einiger Zeit fertig gewordenen ›Spenden zur deutschen Litteraturgeschichte von Hoffmann von Fallersleben. Erstes Bändchen: Aphorismen und Sprichwörter aus dem 16. und 17. Jahrhundert, meist politischen Inhalts. Zweites Bändchen: Adam Puschmann, Bartholomäus Ringwaldt, Martin Opitz, Benjamin Schmolck, Johann Christian Günther, Daniel Stoppe, Einige Vor-Opitzianer‹. (Leipzig. W. Engelmann. 1844. 8° I. 154 SS. II. 240 SS.).

Im Hôtel de Bavière treffe ich Herrn Moorcommissär Wehner. Er erzählt mir, er habe mit Pertz wegen meiner Bibliothek verhandelt und überreicht einen Brief. Pertz schreibt mir, nachdem er meine Preise ermäßigt hat, ›und halte ich mich daher nicht berechtigt, mehr als 1400 bis 1500 Rb. für das Ganze in Anschlag zu bringen.‹ Das veranlaßt mich nach Berlin zu gehen, das mir freilich von Polizeiwegen verboten ist. Den 20. December kehre ich bei Dr. Rutenberg ein. Es ist 2 Uhr. Wir fahren in die Stadt. Pertz nicht zu Hause. Ich wiederhole um 4 Uhr meinen Besuch und treffe ihn. Er ist sehr freundlich, aber sehr verlegen. Wir gehen aus seinem [383] Zimmer in die Bibliothek und besprechen uns über den Kauf meiner Handschriften. Wir einigen uns über 1600 Rb. Ich eile zu Rutenberg, der in der Nähe auf mich wartet. Ich gehe mit ihm zur Post und fahre bald darauf ab. Um 9 in Oranienburg.

Den folgenden Tag nach Meklenburg. Eine Nacht in Scharpzow. Von da in einer schönen Kutsche mit vier Pferden zum alten Müller in Gerdshagen bei Güstrow, der hier Pächter ist, während er sein Rittergut Holdorf an seinen Neffen und Schwiegersohn Rudolf Müller verpachtet hat. Den Tag vor Weihnachten kommen die Holdorfer. Freudiges Wiedersehen und frohe Feiertage. Den 29. fahren wir nach Holdorf. Den 30. besuche ich die Buchholzer. Am Silvestertage bin ich wieder in Holdorf. Hier begrüßen wir in heiterster Stimmung das Neue Jahr mit meinem Liede:


So singen wir, so trinken wir
Uns froh hinein ins Neue Jahr! 35

Daß ich als Preuße sehr leicht in einen Preßprozeß verwickelt und der Majestätsbeleidigung angeklagt und verurtheilt werden könnte – diese Besorgniß quälte mich sehr und trieb mich, Alles aufzubieten, um so bald als möglich mein preußisches Heimats-und Staatsbürgerrecht mit einem andern zu vertauschen. Nach einigen vergeblichen Bemühungen versuchte ich es mit unserm nächsten Städtchen Brüel. Durch Vermittelung unsers freundlichen Nachbars, des Pastors Zarncke in Zahrenstorf verhandelte ich mit dem Bürgermeister Born. Alles ging gut. Als ich aber eine günstige Entscheidung erhalten sollte, erfolgte plötzlich aus Brüel der Bescheid, daß das Bürgerrecht mir nicht ertheilt werden könne. Wir waren sehr überrascht. Am 18. April hatte ich mit Rudolf Müller den Herrn Bürgermeister besucht und ihm meine Eingabe überreicht; er fand Alles in bester Ordnung, lud uns zum Abendessen ein und wir waren sehr vergnügt und kehrten des Erfolgs sicher im herrlichen Mondenschein heim. Herr Born hatte dem Herrn Pastor Zarncke auf dreimalige Anfragen, ob nichts dem Antrage entgegen stehe, erklärt: ›Nein! Unbedenklich!‹ Aber der Herr Bürgermeister war in Schwerin gewesen und hatte von seinem Herrn Schwager, einem Manne der Regierung, die Mahnung erhalten: ›Wenn er einen solchen Menschen zum Brüeler Bürger mache, so würde er sich das Allerhöchste Mißfallen zuziehen.‹


[384] Die Sache machte etwas Aufsehen, aber dabei blieb es. Es hätte übrigens gar nicht so vieler Umstände bedurft, um mich zum Ziele gelangen zu lassen. Ein eigentliches meklenburgisches Staatsbürgerrecht gab es nicht, aber jede Stadt und jedes Domanium oder jeder Ritter hatte das Recht, jemandem das Heimatsrecht zu ertheilen. Nachdem dies meinen Freunden klar geworden, war die Angelegenheit schnell erledigt. Dr. Samuel Schnelle, nahm mich bald darauf als Insassen seines Gutes auf und ertheilte mir als Guts-und Gerichtsherr das Einwohner- und Heimatsrecht in Buchholz. Ich schickte eine durch einen Notar beglaubigte Abschrift an die Regierung in Breslau, dieselbige entließ mich darauf hin aus dem preußischen Unterthanen-Verbande.

Weit und breit war große Freude, daß durch ein so einfaches Mittel den polizeilichen Verfolgungen vorgebeugt war. – Die Nachricht ging in viele deutsche Zeitungen über und wurde als ein erfreuliches Ereigniß begrüßt. Nur einige Standesgenossen des Dr. Schnelle konnten nicht begreifen, wie derselbe dazu gekommen, einen Menschen in sein Gut aufzunehmen, den er doch zu nichts gebrauchen könnte, ja sogar noch unterhalten müßte, wenn er in seinem Nichtsthun alt und hinfällig würde etc. Auf solche Bedenken erwiederte ein Witzkopf: ›Der etc. Hoffmann ist Kuhhirt, hat aber im Sommer einen Stellvertreter.‹ Das mochte Glaßbrenner zu Ohren gekommen sein und er versah es mit einer andern Pointe in seinem Büchlein: ›1845 im Berliner Guckkasten‹:


Guckkästner. Nanu weiter! Rrrrr, ein andres Bild: Hür, meine Herrschaften, präsentiert sich Ihnen der wendische Kuhhirte Hoffmann von Fallersleben, wie er eben uf Doctor Schnelle's Jut bläst, deß es in Meklenburg Morgen wird.

Bücke. Wenn Sie entschuldjen wollen, ich denke – –

Guckkästner. Ja, ich dhu' des, aber überall wird des nich entschuldigt.

Bücke. Ich wollte sagen: ich denke, Hoffmann von Fallersleben is en deutscher Dichter?

Guckkästner. Ja, aber um in Deutschland bleiben zu können, is er Kuhhirte jeworden.

Erster Junge. Na, aber versteht er denn des aber ooch?

[385] Guckkästner. O ja, er hat schon früher des Rindvieh recht jut behandelt. Rrrrr .....


Den Januar und Februar war ich meist immer in Holdorf. Unser stilles ländliches Winterleben blieb sich ziemlich gleich. Es kamen zwar Besuche, aber sie störten mich eben so wenig wie die Besuche, welche ich dann und wann in der Nachbarschaft machte: ich fand immer Zeit und Lust zum Arbeiten und Dichten. Der gute Erfolg meiner beiden Sammlungen Kinderlieder mit Clavierbegleitung ermunterte mich zu einer dritten Sammlung. Schon gegen Ende des Monats waren über 25 Liedertexte gedichtet, meist zu Volksweisen. Es handelte sich nur darum, diese Weisen mit einer entsprechenden Begleitung zu versehen. Da war mir denn der Organist Theodor Friese in Wismar empfohlen, ein tüchtiger Musiker, der sich dieser Arbeit gern unterziehen und Alles zu meiner Zufriedenheit ausführen würde. Ich schickte ihm mehrere Texte und Melodien; bald darauf besuchte er mich. Er spielte uns seine Compositionen meiner Kinderlieder vor, und wir waren über die meisten sehr erfreut. Er spielte uns dann auch die Begleitungen zu einigen Volksweisen mit meinen Texten. Da kam es denn allerdings vor, daß wir Manches anders wünschten. Friese, der gewiß sein Fach gut verstand und auch etwas Tüchtiges leisten konnte, hatte jedoch mit vielen Künstlern den Fehler gemein, daß sie, zu sehr von der Vortrefflichkeit ihrer Leistungen überzeugt, nur schwer auf die Ansichten Anderer eingehen. Ich pflegte in solchen Fällen nicht weiter in ihn zu dringen, dies oder jenes zu ändern, er war empfindlich und wurde bei wiederholtem Bitten nur noch eigensinniger. Viele Lieder legte ich lieber zurück. Dadurch ward nun freilich mein Werk nicht sonderlich gefördert. Wenn wir merkten, daß er verstimmt wurde, so suchten wir ihn bald wieder in gute Laune zu bringen, und da er sehr gutmüthig und gefällig war, so wurde er leicht immer wieder für meinen Zweck gewonnen. Er blieb einige Tage bei uns, und bei allen Neckereien, womit ihn Rudolf zugleich bewirthete, gefiel ihm unser Landleben sehr, es war doch etwas anderes als Orgel spielen und Stunden geben müssen.

Nach Buchholz wanderte ich oft und gern hinüber, zu Wagen, zu Roß, zu Fuß. Es war für mich eine angenehme Zerstreuung und Anregung. Wenn ich mich mit Schnelle über die Tagesbegebenheiten [386] und Zeitfragen genug unterhalten hatte, dann eilte ich zu den Kindern, scherzte, spielte und sang mit ihnen.

Im Februar war ich einige Tage bei Otto Wien in Hohenfelde. Durch die unbeschränkte, bewundernswerthe Gastfreundschaft, die ich überall wohin ich kam kennen lernte, war besonders in hiesiger Gegend der Verkehr sehr erleichtert, Freunde und Nachbaren sahen sich oft, und als bürgerliche Ritter hielten sie zu einander, da sie mit ihren adelichen Standesgenossen keinen Umgang pflegten. Der bedeutendste unter ihnen war Herr Pogge auf Roggow. Wir kannten uns schon vom vorigen Jahre her und so kam ich als alter Bekannter zu ihm und seiner Familie. Ich stand noch in gutem Andenken. Die Kinder hatten fleißig meine Lieder gesungen und Sophie bewahrte noch das Veilchen, das ich ihr im vorigen Jahre geschenkt hatte.

So oft wir beisammen waren, kamen wir bald auf die meklenburgischen Zustände zu sprechen, zumal wenn sich auch die Nachbaren eingefunden hatten. Das geschah denn auch bei unserm ersten Wiedersehen, als Christian Klockmann erschien, diese naturwüchsige, derbe Natur. Bei seinem Mutterwitz und manchen gesunden Ansichten glaubte er den Gegensatz gegen die adelichen Ritter glücklich darstellen zu können. Obschon er manchen guten Witz machte und durch sein meklenburgisches Platt, was er gewöhnlich sprach, seine Unterhaltung anziehend zu machen wußte, so konnte er doch auch mitunter recht platt und gewöhnlich werden. Es war mir unvergeßlich geblieben, wie im vorigen Jahre Klockmann so maßlos auf den Zollverein schimpfte. Das hatte mich nun neulich zu einem Liede 36 veranlaßt. Jetzt traf es sich prächtig es zum Besten zu geben. Die ganze Gesellschaft lachte sehr, und ich sang nun gleich hinterdrein ›Old-Mecklenburg for ever!‹ 37 nach der Melodie ›Vom hoh'n Olymp herab.‹

Beide Lieder fanden so großen Beifall, daß ich nur auf einen passenden Stoff wartete, um meinem Liederpaare noch ein meklenburgisches Lied hinzuzufügen. Der Stoff fand sich. Pogge erzählte [387] mir den Rangstreit der neulichen Wegebesichtigungs-Commission und beschrieb mir die drei dabei betheiligten Personen. Schon den folgenden Tag war mein Lied fertig, und so oft ich es vortrug, war es immer von erheiternder Wirkung. 38 Als ich der Frau Wien mein Scherzgedicht vorgelesen hatte, war sie ganz entzückt darüber und bat mich um eine Abschrift. ›Ja, recht gerne, aber – fügte ich scherzhaft hinzu – was ist denn mein Honorar? Wenn ich noch einen neuen Rock bekäme!‹ – Sie ging auf den Handel ein: sie erhielt eine Abschrift und ich einen neuen Rock, für eine Hundegeschichte immer ein anständigeres Honorar als die seidene Weste, welche Klopstock für seinen Messias erhielt.

Unter den Frauen, mit denen ich in Gesellschaft war, nahm am meisten meine Theilnahme in Anspruch Frau Auguste Pogge, die zweite Gattin des Zierstorfer Pogge, dessen Wesen und Wirken noch in dankbarem Andenken fortlebt. Frau Pogge war bei tiefem Gemüthe und hellem Verstande fein gebildet, freisinnig, opferwillig, und von inniger Theilnahme beseelt an dem Entwickelungskampfe des Vaterlandes und den großen Ideen der Zeit. Es schien ihr ein Bedürfniß, sich über religiöse und politische Dinge zu unterhalten und auszusprechen, und ich muß gestehen, daß ich mich jedesmal freute über dies schöne Streben sich und Anderen klar zu werden, und daß jedesmal meine Verehrung für sie zunahm, wie ich es denn auch meinen Freunden nicht verhehlte und ihr selbst auf mancherlei Weise kennen gab. – Als wir am Geburtstagsfeste ihrer Schwägerin uns viel über Religion und Freiheit unterhielten, wurden wir unterbrochen, und sie fragte nur noch: ›Was verstehen Sie denn unter Freiheit?‹ Ich blieb die Antwort nicht schuldig, den anderen Tag überreichte ich ihr das Lied ›Freiheit‹ 39.

Im März war ich viel unterwegs. Ich sehnte mich nach ruhigen Tagen und ich fand sie in Holdorf, wohin ich am 26. März zurückkehrte. Hatte in der Winterzeit mein Herz am liebsten in der Kinderwelt gelebt und für sie gedichtet, so sollte jetzt mein Geist für die Männerwelt etwas schaffen, das gute Früchte in schlechter Zeit trüge. Ich wollte ein Buch verfassen, das eine Zeugniß-Sammlung [388] aus der Vergangenheit für die Gegenwart enthalten sollte, eine politische Blumenlese: ›Unsere Zeitfragen, besprochen von den deutschen Schriftstellern 1750–1830.‹ Ich hatte bereits damit im vorigen Sommer begonnen.

›Ich will das politische Wissen, was uns heute noth thut, das zeitgemäße, zusammenfassen in einer chronologischen Reihe von Aussprüchen, Ansichten, Meinungen und Ueberzeugungen, Ergebnissen der Erfahrung und des Nachdenkens von Männern in den verschiedenartigsten Verhältnissen seit 1740 bis heute. Ich will den Fortschritt in der Entwickelung des Staatslebens beweisen, ich will den Weg zum Wahren, Guten und Rechten zeigen, und die Gesinnung dafür kräftigen. Das Buch muß wirken. Vetter Michel hat einen gewaltigen Respect vor Autoritäten. Es darf etwas noch so wahr und richtig sein, er betrachtet es mit Schüchternheit, wenn es nicht aus dem Munde eines hochgestellten oder anerkannt gelehrten Mannes kommt; der Respect wächst, wenn der Mann längst todt ist, ihm also kein Ehrgeiz, kein Eigennutz in der heutigen Welt zugeschrieben werden kann.‹ 40

Aus den Bibliotheken meiner Freunde und durch deren Vermittelung hatte ich reichen Stoff erhalten. Ich arbeitete recht fleißig, ich las und schrieb aus. So gerne ich bei dieser Arbeit weilte und zu ihr immer wieder zurückkehrte, so war doch der Gedanke an die Censur für mich sehr störend, ja niederschlagend. Wie willkürlich sie gegen Alles einschritt, welches ihr irgend staatsgefährlich schien, bewies sie täglich, ja stündlich; selbst die Sprüche der heiligen Schrift waren ihr nicht heilig – es konnte Alles gestrichen werden.

Im Mai besuchte ich die Freunde in Oranienburg, um meine Bücher, die dort eine Herberge gefunden hatten, abzuholen. Nachdem ich meine Bücherkisten gepackt und vernagelt und Alles bereit hatte was ich mitnehmen wollte, reiste ich nach Hohenfelde zurück und verweilte hier nur noch einige Tage.

Den 30. Mai wieder in Holdorf. Den folgenden Tag eilte ich nach Buchholz hinüber. Ich wunderte mich nicht wenig, daß man noch nichts wußte von der Ausweisung Itzstein's und Hecker's aus Berlin, die doch schon am 23. Morgens um 6 Uhr erfolgte. Ich war sehr [389] froh, daß ich meine Reise nicht bis Berlin ausgedehnt hatte, man hätte gewiß einen Zusammenhang aufgefunden. Schon am Abend des 23. erhielt ich Briefe von Nauwerck und Rutenberg, worin sie mir meldeten, Itzstein sei im strengsten Incognito in Berlin, oder komme dorthin. Und denselben Tag hatte der neue Bürgermeister von Oranienburg bei Herrn von Puttkammer angefragt, ob meine Ausweisung aus Berlin noch in Kraft sei.

Kaum war ich wieder in Holdorf, so lockte mich das schöne Sommerwetter abermals hinaus, den 12. Juni trat ich eine Rundreise in Meklenburg an. Ueberall die alten Freunde und Bekannten, die alten Wege und die alten Gegenden. Den 26. wieder in Holdorf.

Um die oft wiederkehrenden rheumatischen Schmerzen zu beseitigen, oder doch wenigstens zu lindern, schien mir ein Seebad am erfolgreichsten zu sein, und so entschloß ich mich endlich dazu, ich wollte es mit Cuxhaven versuchen.

Den 14. Juli reiste ich ab; in Hamburg verweilte ich nur wenige Tage und beschränkte mich in meinem Verkehr meist nur auf Dr. Wille und meinen Vetter Wiede. Der Besitzer des Alster-Pavillons, Herr Dürst, hatte mich gebeten, für ihn ein Gedicht zu verfassen, womit er Zschokke, der hier jetzt anwesend sei und ihm gegenüber wohne, begrüßen könnte. Ich that ihm den Gefallen. Als ich eines Abends vorbeispazierte, prangte über dem Eingange zum Pavillon ein Transparent, farbig und schön erleuchtet mit meinen Versen. 41

Den 22. Juli fuhr ich mit dem Dampfschiffe Henriette nach Cuxhaven. Ich benachrichtigte meine Freunde in Otterndorf von meiner Ankunft und ich erhielt sofort Antwort: ›Wir kommen morgen.‹

Dr. Johannes Minckwitz besuchte mich. Ich weiß nicht, wie ich zu der Ehre kam, wahrscheinlich langweilte er sich und suchte Unterhaltung. Er hatte eigentlich nach Helgoland gewollt, der neuliche Sturm hielt ihn hier zurück. Ein eigenes Schicksal, daß ich nun, wieder mit einem zusammenkam, der eine königlich preußische Pension bezieht. Wie ich das erfuhr, bemerkte ich scherzhaft: ›Ich bitte. Sie um Gotteswillen, geben Sie dieselbe nicht auf, sonst heißt es [390] wieder, ich sei Schuld daran.‹ Der Mann macht gar nicht den widerwärtigen Eindruck, den er als Schriftsteller zu machen versteht, denn es giebt wol nicht leicht auf dem ganzen ›illustrierten neuhochdeutschen Parnaß‹ einen Menschen, der so eingebildet, so anmaßend und einseitig ist wie dieser Plat(en)ierte Dr. Johannes Minckwitz.

Aus meinem Baden wollte nicht viel werden; nichts gefiel mir, weder Bad noch Gesellschaft noch Gegend. Bei Tische war mir erst recht unbehaglich, lauter Kinder und alte Weiber, ich sprach kein Wort. Endlich besuchten mich einige Otterndorfer und brachten etwas Leben in mein eintöniges Dasein. Den fünften Tag holte mich Christian Schmoldt zu sich ab. Ich war nun im Lande Hadeln zu Otterndorf-Westerende. Schmoldt mit seinen Freunden war eifrig bemüht für Unterhaltung und Zeitvertreib zu sorgen. Er ließ mir am Strande eine Bretterbude aufrichten, damit ich bequem baden konnte. Ich badete denn auch die ersten Tage, das Wetter aber wurde bald so schlecht, daß ich alles Baden aufgeben mußte.

Den 7. August waren wir mit unseren Freunden auf dem Vogelschießen. Weil wir glaubten, daß wir beobachtet würden, so zogen wir uns in ein kleines Zimmer zurück, und waren unter uns und ganz vergnügt. Als wir auf den Deichen heimfuhren, äußerte ich mich gegen Schmoldt: ›Es freut mich recht, daß ich gar nicht von der Polizei behelligt bin und nun morgen ruhig abreisen kann.‹ Den andern Morgen weckte mich mein Freund und zeigte mir an, ein Gendarm wollte mich sprechen: ›Nun, so mag er kommen!‹ – ›Was wünschen Sie?‹ – ›Ich habe Ihnen im Auftrage der Landdrostei anzuzeigen, daß Sie sofort das Königreich zu verlassen haben.‹ – ›Wer sind Sie denn?‹ – ›Das können Sie an meiner Uniform sehen: ich bin der Landgendarm Debör, und das muß Ihnen genügen.‹ – ›Nun, erwiederte ich, ich werde gleich so frei sein.‹

Große Betrübniß im ganzen Hause, Frau und Kinder weinten, ich aber packte ruhig ein und Schmoldt fuhr mich in seinem hübschen Cabriolet zum Lande hinaus. Hochlöbliche Landesdrostei hätte sich ihre gehässige Maßregel sparen können, wenn sie nur noch einige Stunden gewartet. Herr Schöne hatte mich als Gast des Hamburgischen Quartettvereines zum Itzehoer Sängerfeste eingeladen und ich stand eben im Begriffe dieser Einladung zu folgen. In Cuxhaven wartete ich das Helgolander Dampfschiff ab. Nachdem ich mit meinem Freunde [391] noch gemüthlich gefrühstückt, ihm für seine freundliche Theilnahme innig gedankt und alle herzlich hatte grüßen lassen, nahm mich der Patriot an Bord.

Im Lande Hadeln war man empört über diese landesväterliche Willkür. Schon am 11. August sendeten mir 43 Hadeler, meist Hofbesitzer, eine Adresse und versicherten mich ›der innigsten Theilnahme und der vollkommensten Hochachtung, und daß mein Name stets mit Vertrauen und Stolz unter ihnen genannt werden würde.‹ Auch im übrigen Deutschland machte die Sache großes Aufsehn, ein Aufsehn das zu dem Erfolge, den die Regierung Ernst Augusts zu erzielen gedachte, in gar keinem Verhältnisse stand.

Auf dem Verdecke spaziert ein großer, stattlicher Herr mit einem jugendlichen, heitern Gesichte, umspielt von braunen Locken. Es soll ein Hamburger Kaufmann sein, und das scheint mir gar nicht so, ich merke doch gar nicht so etwas Philisterhaftes an ihm. Sein freundlicher Blick flößt mir Vertrauen ein, ich wage es ihn anzureden. Da erfahre ich denn, daß er zum Hamburger Quartett-Verein gehört und ebenfalls zum Sängerfeste geht. Er heißt Konrad Wolff, stammt aus Crefeld und ist Kaufmann in Hamburg.

›Also zum Sängerfeste? Ei, bemerke ich, das ist ja hübsch, da können wir ja die Reise zusammen machen, wenn es Ihnen recht ist!‹ – Und es ist ihm ganz recht. Wir kehren in Glückstadt ein und nehmen uns Extrapost. Auf einem langen offenen Körwagen gerüttelt und geschüttelt, aber doch fortwährend in angenehmer Unterhaltung, erreichen wir unser Ziel. Wir kehren in die Stadt Hamburg ein.

9. August. Bei anbrechender Dunkelheit wird die Stadt erleuchtet. Um 9 gehen wir in die Festhalle. Viele Kieler Studenten sitzen in ziemlicher Entfernung von uns und commersieren. Als sie von meiner Anwesenheit hören, eilen sie zu mir und begrüßen mich mit einem Hoch. Ich danke ihnen mit einem Liede. Darauf reden Dr. Lorentzen und Advocat A.F. Schröder von Glückstadt. Es wird mir wieder ein Hoch gebracht und Alles drängt sich nach unserm Tische zu. Da sage ich zu meinem Reisegefährten: ›Jetzt wird es mir zu bunt – es ist Zeit – wir wollen gehen.‹ Ein großer Schwarm giebt uns das Geleit zur Stadt Hamburg, bleibt dann draußen im Kreise stehen und bringt mir ein Ständchen.


[392] [An den Festlichkeiten der nächsten beiden Tage betheiligte Hoffmann sich nur so weit, daß er die Festzüge sich ansah und einige Vorträge der Sänger gemeinsam mit Wolff anhörte. Er wurde nicht wieder Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit.]


Ich war nur von Anfang bis zu Ende ein harmloser Zuschauer und Zuhörer gewesen und hatte weder die Gastfreundschaft der Itzehoer in Anspruch genommen noch irgend eine Aufmerksamkeit erwartet. Daß ich den ersten Abend begrüßt wurde, hatte ich weder veranlaßt noch gewünscht. Trotzdem wurde in dem Festberichte des Itzehoer Wochenblatts vom 14. August meiner in einer recht gehässigen Weise gedacht, woraus sich nur der Aerger erklärt, daß etwas wider das polizeilich festgestellte Programm geschehen konnte. Es war vorauszusehen, daß solche Aeußerungen Entgegnungen hervorrufen würden. Das geschah denn auch bald, und das ›königliche privilegierte Itzehoer Wochenblatt‹ wurde von allen Seiten angegriffen wegen seiner Charakterlosigkeit und Erbärmlichkeit, und hatte am Ende, statt mir zu schaden, nur sich geschadet.

Acht vergnügte Tage in Hamburg. Mit Konrad Wolff viel spaziert, Dr. Wienbarg näher kennen gelernt, und das Thaliatheater besucht. Eines Nachmittags sitze ich mit Wolff auf dem Balcon in London Tavern. Wir freuen uns der schönen Aussicht auf den Spiegel der Elbe, die durch hinauf- und hinabsegelnde Schiffe belebt ist. Da hören wir Jubelgeschrei: ein Schiff mit den bunten Flaggen aller seefahrenden Völker wird vom Stapel gelassen und segelt stattlich an uns vorüber. Dann ist es wieder still. Da kommt den Strom herab ein großer Dampfer, die Flagge sieht aus wie eine Trauerflagge, sie ist vom Dampfe so geschwärzt, daß sich kaum eine Farbe erkennen läßt. Auf dem Verdecke sind viele Menschen, sie sitzen ruhig und still – ein Auswandererschiff. Uns kommen die Thränen in die Augen. In wenigen Augenblicken ein solcher Wechsel von Freud' und Leid!

Mein Vetter F. Wiede machte mir den Vorschlag, mit ihm nach Schleswig-Holstein zu reisen. Ich ging darauf ein und lernte so auch diesen deutschen Volksstamm kennen. Die lange Trennung von Deutschland hat den Schleswigern meist nichts von uns als unsere Sprache gelassen. Das Dänenwesen steckt sehr tief in ihnen und tritt überall hervor. In Rendsburg waren wir eines Abends im Rathskeller. [393] In einem kleinen unterirdischen Zimmer sitzen etwa 30 Menschen vor ihrem Glas Grog. Feierliche Stille, die ich nur einmal durch ein Lied zu unterbrechen wage. Selbst als später einige Mitglieder der Liedertafel kommen und singen ›Schleswig-Holstein meerumschlungen‹, fährt man fort ruhig zu sitzen. Diese Kälte, diese stumme Nüchternheit im Weinkeller!

Das politische Bewußtsein scheint darin zu bestehen, daß man eine dreifarbige Flagge flattern läßt, Reden hält und Lieder singt, so lange es nämlich noch polizeilich erlaubt ist. Die Leute, die an der Spitze der Bewegung stehen, kennen sich unter einander nur wenig und wissen auch von uns nur wenig oder gar nichts.

Vierzehn Tage verweilte ich nach meiner Rückkehr noch in Hamburg, das gerade im Herbste am allerschönsten ist. Ich spazierte viel umher, und war mit Freunden und Bekannten oft zusammen. Wolff machte mich mit seinen Verwandten bekannt, Schöne ging mit mir die neue Sammlung meiner Kinderlieder durch, und mit Wienbarg und Wille unterhielt ich mich viel über Schleswig-Holstein. Ich erwartete meinen Freund Resch, der in Helgoland badete, sonst hätte ich meinen Aufenthalt nicht so lange ausgedehnt. Endlich kam Resch. Wir verwendeten noch zwei Tage auf Hamburgs Sehens- und Merkwürdigkeiten. Dann nahm ich ihn mit nach Meklenburg.

Kaum hatten wir das Land betreten, so mußte Resch über die meklenburgische Gastfreundschaft erstaunen. So etwas hatte er noch nie erlebt, wie er denn als Dresdener überhaupt von Gastfreundschaft keine Ahndung hatte. Ueberall wohin wir kamen wurden wir nicht wie Fremde, sondern wie alte liebe Freunde und Bekannte angesehen: in Boitzenburg, Schwerin, Holdorf, Gerdshagen bei Kröpelin, Doberan, Rostock. Hier begleite ich Resch zur Post. Er ist außer sich über diese 14tägige Reise, es ist ihm Alles wie ein Traum, und da er in der Geographie ein Franzose ist, so wird er bald gar nicht mehr wissen, wo er gewesen ist.

Vom 1. October an bleibe ich einige Tage bei Wien in Hohenfelde und mache von hier aus Besuche in Zierstorf, Roggow und Warnkenhagen. Ich will abreisen, Wien aber bittet mich zu bleiben bis PastorFuchs kommt. Dieser hat seine Stellung als Pastor von Kölzow aufgegeben und wandert nach Texas aus. Den 9. October spät Abends kommen die Auswanderer an, Fuchs mit seinem Vetter [394] und Franck. Wir unterhalten uns lebhaft über Texas. Fuchs singt mit seiner lieblichen Stimme mehrere meiner Lieder, die alle auf seine Auswanderung Bezug haben. Uns kommen die Thränen in die Augen. Den folgenden Tag unterhalten wir uns fast nur über Auswanderung und Deutschlands Gegenwart und Zukunft. Auch ich in meiner Lage müßte auswandern, aber was ich später einst dichtete:


Ich bleib' in meinem Vaterlande,
Sein Loos soll auch das meine sein,
Sein Leid und seine Schmach und Schande,
So wie sein Ruhm und Glück ist mein.
In meinem Vaterlande will ich bleiben,
Und keine Macht der Welt soll mich vertreiben! 42

– dies Gefühl siegte über alle augenblicklichen Verstimmungen und leidenschaftlichen Wünsche. Und doch konnte ich dem Drange nicht widerstehen, Wünsche und Hoffnungen auszusprechen, deren Verwirklichung Anderen eine Rechtfertigung und ein Trost sein konnte. Und so dichtete ich denn meinem lieben Fuchs ein Abschiedslied: ›Der Stern von Texas‹. 43

Den 11. begleite ich die Auswanderer nach Güstrow. Wir singen noch Einmal: ›Hin nach Texas!‹ Es ist ein schwerer Abschied. Ich fahre dann betrübt weiter nach meinem vorläufigen Texas, nach Holdorf. Es folgen stille Tage. Ich bin ernst und dabei sehr unruhig. Den Tag, als das Auswandererschiff nach Texas geht, bin ich sehr traurig gestimmt, ich habe viel weinen müssen. Ich ordne den Briefwechsel meines Bruders und fange an, ihn durchzulesen Wie viel Freud' und Leid in Einer Familie!

Die nächste Zeit war ich nun wieder ruhig in Holdorf und wußte mich litterarisch und poetisch zu beschäftigen. Nebenbei gewährte es uns ein besonderes Vergnügen, Zeitungsartikel zu verfassen. Wir brachten allerlei Ereignisse zur Sprache, und damit niemand glauben konnte, Alles käme aus Einer und derselben Quelle, so wurden unsere Berichte bald mit diesem, bald mit jenem beliebigen Orte versehen [395] Alle Welt wunderte sich: ›Nun schreiben sie gar aus Kriewitz, aus Gnoien etc.!‹ Freilich kam uns dabei sehr zu statten, daß wir die persönlichen und örtlichen Verhältnisse oft sehr genau kannten. Die Hamburger Neue Zeitung nahm Alles sehr gern auf und hatte ihren Leserkreis bei uns eben wegen dieser meklenburgischen Berichte sehr erweitert. Einen Artikel nahm aber die Regierung sehr übel, in der Mitte Decembers wurde die Hamburger Neue Zeitung verboten. Nur durch persönliche Verwendung des Redacteurs und Besitzers des Blattes wurde das Verbot aufgehoben, aber uns war nun das vergnügliche Zeitungswerk für immer gelegt.

Die winterliche Stille in Holdorf wirkt beruhigend und ladet auch im neuen Jahre (1846) zum Arbeiten ein, doch bin ich zum Dichten noch gar nicht gesammelt genug und in gehöriger Stimmung. So eben schreibe ich deshalb an Erk, daß ich zur Pestalozzi-Feier in Berlin (P's 100jähriger Geburtstag 12. Januar) kein Lied machen könne, und kaum habe ich es geschrieben, so entsteht auch ein Lied, 44 dem es denn wol ergehen wird wie den meisten Gelegenheitsgedichten, die mehr oder weniger Zeit und Mühe kosten: es wird Einmal gesungen und dann vergessen werden.

Das dritte Heft meiner Kinderlieder mit Clavierbegleitung liegt mir sehr am Herzen. Da mir kein tüchtiger Musiker zur Seite steht, so kann ich es immer noch nicht zum Abschlusse bringen. Ich lasse mir viele Singweisen mit der Begleitung immer wieder vorspielen, es entstehen neue Bedenken, und so muß ich denn wol auf eine Vollendung hier vorläufig verzichten. Unterdessen kommt mir wie gerufen ein neues Unternehmen in den Sinn. Es erscheint mir angenehm in der Ausführung und zeitgemäß: ›Deutsches Volksliederbuch‹, etwa 200 Lieder mit eingedruckten Singweisen. Ich bin für diese neue Arbeit so eingenommen, daß ich sie sofort in Angriff nehme.

Es schien mir immer nothwendiger, jetzt meine Bibliothek in der Nähe zu haben. Sie stand in Kisten eingepackt in Birkenwerder, wohin sie mein Freund Hempel zur Aufbewahrung von Oranienburg mitgenommen hatte. Ich entschloß mich daher, dorthin zu reisen und meine Bücher flott zu machen. Sie wurden nach Brüel geschafft. So lieb mir immer meine Bibliothek gewesen war, so fing sie jetzt [396] an mir zur Last zu werden. Ich hatte sie mit großen Kosten von Breslau über Leipzig und Berlin mir nachkommen lassen. Jetzt mußte ich für sie in Brüel ein Zimmer miethen und noch nebenbei 7 Thaler 10 Schillinge Versicherungsgelder bezahlen. Ich ging ernstlich damit um, sie zu verkaufen. Die Handschriften und vielen Bruchstücke machten mir viel Arbeit, aber trotzdem war ich Mitte März mit dem Verzeichnen fertig.

Während dieser nicht eben immer erquicklichen Beschäftigung kam doch zuweilen eine poetische Stimmung, und so entstanden dann mehrere Kinderlieder, auch mein Geleitslied: ›Nun zu guter Letzt‹, welches Mendelssohn 45 so schön componiert hat.

Wie ich am 18. April die angekommenen Briefe lese, erschüttert mich tief die Trauerbotschaft: Henriette todt! Ich suche meinen Schmerz zu unterdrücken. Als ich aber allein auf meinem Zimmer bin, da weihe ich dem Andenken der treuen Freundin manche Thräne, bis endlich die stille Mitternacht meine müden Augen schließt.

In Zahrenstorf treffe ich den Stud. Friedrich Zarncke. Später besucht er mich zweimal in Holdorf. Wir sprechen viel über deutsche Philologie und ich wünsche sehr, daß er von meinem Buche gleiches Namens eine neue Ausgabe veranstalten möge, da ich wol schwerlich wieder in eine Lage kommen würde, eine solche Arbeit wieder aufzunehmen. Wie ich sehe, daß er von der Wichtigkeit eines solchen Werkes überzeugt ist und Lust zeigt, sich damit ernstlich zu befassen, so hole ich aus meiner Bibliothek in Brüel die Hinrichsschen Kataloge, meine Hefte über deutsche Philologie und meine Nachträge und eile damit nach Zahrenstof. Nachdem ich ihm nochmals die Sache ans Herz lege, übergebe ich ihm meine ganze dazu gehörige Sammlung. In der frohen Hoffnung auf glücklichen Erfolg nehmen wir Abschied.

6. Mai begleitet mich Rudolf nach Schwerin und ich reise noch die Nacht weiter nach Hamburg. Dr. Wille wie immer der erste der mir begegnet. Mit ihm zur Kunstausstellung in den Arkaden der Börse. Viele Bilder, aber kein einziges, das einen neuen großartigen Gedanken bildlich darstellte. Es ist als ob unsere Künstler [397] an Herz und Geist Bankerott gemacht hätten. Vor den Bildern, deren Verkaufspreis sehr hoch angegeben ist, stehen immer Beschauer und Bewunderer – echt hamburgisch: das Geld bestimmt auch den Kunstwerth. Im Laufe des Tages treffe ich auch den Syndicus Sieveking. Ich erzähle ihm von meiner Bibliothek und bin der Meinung, es wäre doch hübsch, wenn selbige vom Staate Hamburg erworben würde, ich wollte mich mit einer Leibrente begnügen. Da lacht der Hamburger Staatsmann: ›Leibrente! Sie leben ewig!‹

Den folgenden Tag spaziere ich nach Wandsbeck. Es handelt sich um den Druck meiner texanischen Lieder. Ich hatte meinem ausgewanderten Freunde versprochen, ich wollte ihm diese Lieder gedruckt nachsenden, zugleich auch die Melodien dazu, damit er dann beides in der neuen Welt später einmal nachdrucken lassen könnte. Die Lieder waren schon Ende Aprils druckfertig. Ich hatte mich bei meinen wenigen Hilfsmitteln doch so in Texas hineingelebt, daß ich ganz heimisch darin war und dafür und daraus dichten konnte. Noch während meines Hamburger Aufenthalts ist die kleine Sammlung gedruckt, 46 Seiten in 8° mit dem Titel: ›TEXANISCHE LIEDER. Aus mündlicher und schriftlicher Mittheilung deutscher Texaner.‹ (Mit Singweisen. San Felipe de Austin bei Adolf Fuchs & Co.) 46 Die Auflage war sehr klein und so ist denn bald das Büchlein eine große Seltenheit geworden, ich besitze selbst nur noch zwei Exemplare.

Mein Volksliederbuch war so weit gediehen, daß ich deshalb mit einem Verleger in Unterhandlung treten konnte. Man hatte mir Herrn C.M. Ed, den Verleger und Drucker der Eisenbahn-Zeitung empfohlen. Er war geneigt den Verlag zu übernehmen. Einige Tage später hatte er jedoch sich anders besonnen, er schickte eine Druckprobe und Berechnung der Druckkosten und meinte, daß, wenn er nur als Drucker ›figuriere‹, dies für mich viel vortheilhafter wäre etc. Kurzum, es war nichts. Das einzige Angenehme dabei, daß ich mit Schloenbach Bergedorf und Schuselka kennen lernte und mit diesem später noch öfter zusammen war.

Am 22. Mai fahre ich, um meine Hadelnschen Freunde zu sehen, nach Cuxhaven und bleibe dort einige Tage.


[398] Ende Mai kehre ich nach Meklenburg zurück. Doch schon am 13. Juni trete ich eine neue Reise an und besuche Philipp Nathusius zu Alt-Haldensleben. Ich fühle mich sofort wieder heimisch, es scheint mir mein jetziger Aufenthalt nur eine unmittelbare Fortsetzung des früheren, im Frühling 1843: dieselbe Häuslichkeit, dieselben Menschen, dieselben Beschäftigungen, Neigungen und Liebhabereien.

Und wenn die ganze Familie, besonders Philipp damals auch schon in politischen und religiösen Dingen eine Schwenkung gemacht haben mochte, so war letztere doch für mich nicht vorhanden, weil ich eben nicht daran glauben konnte und wollte. Als Philipp glaubte, ich wundere mich, daß Geibel nächstens auch hieher kommen würde, und er erklärte: ›Hier ist neutrales Gebiet‹, dachte ich nicht daran, wie ernstlich das gemeint war. Ich sprach mich nach wie vor sehr unbefangen aus über die verschiedenen Zeitfragen und Richtungen und über Schriftstellerei.

Maria hatte mich gleich nach meiner Ankunft mit zwei neuen Compositionen meiner Lieder bewillkommnet. Ich war sehr erfreut darüber, sie ähnelten in Einfachheit und Lieblichkeit unseren schönsten Volksweisen. Ich bat die Componistin dringend, doch so fortzufahren, und damit auch Andere sich daran erfreuen könnten, eine kleine Sammlung drucken zu lassen. Meine Bitte sah ich bald erfüllt. Maria wählte sechs Lieder aus, ließ sie noch von einem benachbarten Musiker durchsehen und übergab mir die Reinschrift.

Da ich noch immer nicht die dritte Sammlung meiner Kinderlieder zum Abschluß gebracht hatte, so war es mir sehr lieb, daß sich Maria dabei noch betheiligen konnte. Sie steuerte vier Compositionen bei 47 und vier Begleitungen. Ihre Freude war groß, meine vielleicht noch größer, denn diese Beisteuer entsprach so ganz meinen Wünschen.

Maria hatte ›Bilder aus der Kinderwelt‹ gedichtet. Wir wünschten, daß sie in weiteren Kreisen bekannt würden. Ich besorgte deshalb eine Abschrift für den Druck und erklärte mich bereit, mich nach einem Verleger umzusehen.

Die Morgenstunden und die Nachmittage, wenn ich nicht gesellig in Anspruch genommen wurde, konnte ich ganz ungestört für mich [399] verwenden. Ich war denn auch ziemlich fleißig, ich las und sammelte für meine politische Blumenlese so wie für das Volksliederbuch und machte eine Abschrift meines Bücherverzeichnisses, das ich in der Haenelschen Hofbuchdruckerei in Magdeburg drucken ließ.

Zum Dichten fühlte ich mich selten gestimmt: es entstanden nur drei Kinderlieder. Es war aber auch kein Bedürfniß, es dichtete für mich genug der ganze Park mit seinen mancherlei herrlichen Bäumen und Sträuchen, seinen lieblichen Blumen, Schmetterlingen und Vogelgesang.

Große Freude hatte ich an den herrlichen Blumen, die unter der Pflege des Gärtners Alvensleben eine wahre Zierde des Parks waren. Nicht weit vom Eingange war ein Beet mit Levkojen von solcher Pracht wie ich noch nie gesehen hatte. Der Duft war so lieblich, daß Maria sich des Abends dorthin einen Stuhl bringen ließ und lange dort weilen konnte. Unvergeßlich ist mir auch die prachtvolle duftende Blume desCactus grandiflorus, der Königin der Nacht, die eigentlich die Sonne der Nacht heißen sollte, denn sie ist wie mit gelben Strahlen umgeben und blüht um Mitternacht auf.

Den 25. Juli verließ ich Althaldensleben und folgte einer Einladung Wilh. Nathusius nach seinem Gute Königsborn. Wilhelm war ein echter Sportsman: der Kreis seiner Liebhabereien und Geschäfte begann mit Hunden und Pferden, dann folgten Viehzucht, Landbau, Garten- und Parkanlagen, und dann erst kamen Politik, Litteratur und Kunst. Seine Frau nahm an allen diesen Dingen Antheil, aber nicht mehr wie eine deutsche Hausfrau, die ihrem Manne diese Aufmerksamkeit schuldig zu sein glaubt. Sie fand mehr Freude an Litteratur und Kunst. Sie hatte ein zartes Gemüth, das von Anderen mehr verkannt als erkannt wurde. Sie erfreute sich eben damals des Besuchs von einer Jugendfreundin und schien dadurch noch ganz besonders heiter angeregt zu sein, obschon sie jetzt mit derselben gewiß nicht immer übereinstimmte, denn Elvira – so hieß die Freundin war sehr freisinnig und hatte mit ihren Brüdern in Königsberg und Magdeburg zu dem Kreise gehört, worin Jacoby geliebt und verehrt wurde. Elvira, sehr hübsch und jugendlich frisch, heiteren Gemüthes und voll lebendiger Theilnahme für die höchsten Angelegenheiten des Lebens, war für mich eine liebliche Erscheinung, ich war sehr bewegt und träumte wieder einmal von schöneren Tagen.

[400] Die Morgenstunden saß ich auf meinem Zimmer und arbeitete. Zunächst beschäftigten mich die Diavolini. Ich las manche italienische Reisebeschreibung. Dann sammelte ich auch für die politische Blumenlese. Mein Katalog war noch immer nicht vollendet. Endlich kam der letzte Viertelbogen zur Correctur, und nach acht Tagen schickte mir Hänel 200 Exemplare. Der Herr Hofbuchdrucker hatte es billig einrichten wollen, mir den Bogen ohne Papier zu 71/2 Rb. berechnet und ich mußte 56 Rb. 26 Rb. zahlen.BIBLIOTHECA HOFFMANNI FALLERSLEBENSIS. LEIPZIG 1846. Im Selbstverlage des Verfassers. (93 SS. mit 1101 Nummern.)

Elvira 48 war bereits den 30. Juli abgereist, kam aber den andern Tag von Herrn Crelinger begleitet zurück, jedoch nur auf einige Stunden. Ich entschloß mich sie zu begleiten und blieb zwei Tage als Gast ihres Bruders in Magdeburg. Den folgenden Tag nahm ich mit ihr Theil an einer Wasserfahrt nach dem Herrenkruge in großer Gesellschaft von lauter Lichtfreunden, dabei auch Uhlich, den ich schon früher kennen gelernt hatte. Wir waren ziemlich vergnügt, nur wurden wir sehr geplagt von den unzähligen Schnaken (Gnatten), die uns fortwährend umschwärmten, als ob wir lauter Lichter wären. So nahm ich denn Abschied von Elvira. Ich unterhielt noch eine Zeit lang einen Briefwechsel mit ihr, und als sie endlich kein Brief mehr erreichen konnte, da blieb mir noch ihr Bild und lebte in der frohen Erinnerung fort.

Ich erlebte dann noch ein großes Familienessen in Königsborn. Die letzten Tage war ich krank, und als ich mich kaum wieder erholt hatte, nahm ich Abschied von dem freundlichen gastfreien Königsborn und von aller der lieben Theilnahme, die noch den Scheidenden begleitete: Frau Maria hatte noch heimlich ein halb Dutzend gestrickter Strümpfe zu den meinigen gelegt, eine sehr willkommene Gabe für jeden Wanderer, zumal für einen der keine gewirkten tragen kann.

12.–15. August in Leipzig. Engelmann übernimmt den Verkauf meines Katalogs und den Verlag meiner Kinderlieder.

13. August. Mendelssohn ist krank. Frau M. empfängt mich sehr freundlich. Ich übergebe ihr Marias Lieder für ihren Mann zu gefälliger Durchsicht. Gegen Abend wiederhole ich meinen Besuch.


[401] M. liegt im Bette. – Mit Zarncke zu CapellmeisterLortzing. Auf mein Anliegen, meine Kinderlieder durchzusehen, geht er bereitwillig ein. Morgen soll ich Näheres erfahren.

14. August. Lortzing hat die Durchsicht meiner Lieder vollendet und drei Compositionen umgeschrieben, Nr. 7. 16. 33. Ich bin sehr erfreut über diese große Gefälligkeit und danke ihm herzlich. Da er nächstens als Capellmeister des Theaters an der Wien nach Wien geht, so unterhalten wir uns viel über österreichische Zustände. Mendelssohn treffe ich kurz vor seiner Abreise. Er hat Marias Compositionen durchgesehen und schimpft auf seinen Neuhaldensleber ›Collegen‹, der noch weniger von der Sache verstände als Maria. Seine Aenderungen betreffen nur so zu sagen grammatische Schnitzer. Er freut sich sehr, daß wir uns im Winter auf länger sehen.

15. August. Bussenius nimmt die ›Bilder aus der Kinderwelt‹ von Maria Nathusius in Verlag. – Whistling's Compagnon spielt sich Marias Compositionen durch und bringt sie mir wieder; er meint, es sei zu wenig etc. Dann gehe ich damit zu Hofmeister. Der sieht sie sich an und wickelt sie wieder ein: ›Ein Verleger kann nicht gegen den Strom schwimmen. Gehen Sie zu Breitkopf's! Wenn die hören, daß die Lieder Mendelssohn gefallen haben, nehmen sie sie gleich – die bücken sich tief vor Allem was Mendelssohn ist und heißt, und sind Leute die mit vielem Gelde arbeiten.‹ – Ich gehe nun auch zu Härtel. Sehr freundlich, aber – es ist auch weiter nichts.

17.–21. August in Braunschweig. Den einen Tag mit meinen Verwandten zusammen, darunter auch Ida (meine nachherige Frau), ›die mich noch nie gesehen hat.‹

22. August nach Holzminden. Ich wohne beim Conrector Dauber, einem Göttinger Studienfreunde. Seit 26 Jahren haben wir uns nicht gesehen. Große Freude bei ihm und seinem Schwager Steinacker, der auch noch unser Göttinger Studiengenosse war. Im Fremdenbuche lese ich meinen Namen von meiner Hand mit dem Datum: 22. April 1820.

Spät Abends bringt mir die Liedertafel ein Ständchen. Die Sänger mit farbigen Stocklaternen stellen sich im Halbkreise auf und singen drei meiner Lieder. Nach dem ersten (Deutschland, Deutschland über Alles!) bringt mir Steinacker, der Vorsteher, ein Hoch aus. Ich danke mit den Worten: ›Gott gebe, daß das deutsche Lied bald [402] eine Wahrheit werde und deutsche Gesinnung zur That!‹ – Es waren acht frohe Tage, die ich hier verlebte mit Dauber und Steinacker und ihren Familien und Freunden.

Im September reiste ich durch Westfalen und kam über Wetter nach Hove. In diesem stillen, in Bäumen und Büschen versteckten Landsitze verlebte ich drei Wochen bei meinem Freunde, dem HauptmannVoerster. Ich fand wonach ich mich lange gesehnt hatte, ein angenehmes, ruhiges Landleben. Ich las und dichtete, beschäftigte mich im Garten, spazierte im Walde, auf den Bergen, im Thale, überall begegneten mir liebe Jugenderinnerungen, ich fühlte mich recht heimisch in dem freundlichen Ruhrthale.

Den 11. October zu Fahne nach Schloß Roland bei Düsseldorf. Ich war ein lange schon erwarteter Gast und wurde sehr herzlich empfangen. Die ländliche Stille, die freundliche Umgebung, die Nähe litterarischer Hülfsmittel, die schöne Gelegenheit zu anregender und belehrender Unterhaltung, die liebreiche Gastfreundschaft – Alles war einladend, dichterisch und wissenschaftlich sich zu beschäftigen. Und das that ich denn auch mit Lust und Liebe. Zunächst nahm ich wieder die Diavolini in Angriff. Ich las vieles über Italien und sammelte mir Belegstellen aus wohlmeinenden Schriftstellern.

Sehr angenehm war mir das mehrmalige Zusammensein mit Karl Lessing. Ich hatte von seiner Leonore an ihn nie mehr aus den Augen verloren und jede seiner neuen Schöpfungen mit Freuden begrüßt, mich innig daran erquickt, und ihn früh schon als Menschen lieb gewonnen und verehrt. Ich besuchte ihn, er war sehr erfreut und gegen seine sonstige Art sehr gesprächig.

Der Verkehr mit den Düsseldorfer Künstlern hatte mich vielfach angeregt. Fahne meinte, sie würden sich gerne betheiligen, wenn ich etwas Größeres ihnen darbieten könnte. Da gerieth ich denn auf einen herrlichen Stoff für dichterische und bildliche Darstellung: das deutsche Volksleben. Zu meinen früheren Liedern, die hieher paßten, wollte ich neue dichten, und wenn ich einige Maler dafür gewonnen hätte, sollte später einmal dies Werk erscheinen unter dem Titel: ›Des deutschen Volkes Freud' und Leid in Liedern und Bildern.‹

Lessing's Berufung nach Frankfurt hatte überall viel Aufsehen gemacht, noch mehr aber seine Ablehnung. Daß Lessing fortan wieder in Düsseldorf blieb, war für seine Freunde und Verehrer und [403] ganz Düsseldorf ein freudiges Ereigniß. Den letzten October sollte deshalb ihm zu Ehren ein großes Festmal gegeben werden. Auch meinerseits wollte ich etwas dafür thun und sendete ein Lessing-Lied 49 ein, das freundlich auf- und angenommen, gedruckt, vertheilt und gesungen wurde.

Obschon ich mich ganz ruhig verhalten und der Polizei nicht den mindesten Anlaß gegeben hatte, mir ihre Aufmerksamkeit zu schenken, so sorgte doch der ›Rheinische Beobachter‹ nachträglich dafür, auf mich aufmerksam zu machen. Am 29. October beginnt er seinen Lügenartikel also: ›Hoffmann von Fallersleben weilt fortwährend bei einem in der Nähe wohnenden Gutsbesitzer, von wo aus er bei den Freunden desselben die Runde macht, und ihm zu Ehren fast täglich Feste statt finden, zu denen aus der Stadt Gesinnungsgenossen geladen werden.‹ Fahne war empört darüber und erließ in der Kölner Zeitung Nr. 311 einen langen Rechenschaftsbericht über mein Thun und Treiben. Seit Jahr und Tag waren viel ärgere Artikel gegen mich losgelassen. Ich fühlte mich nie veranlaßt, dawider aufzutreten. Gegen alle Schmäh- und Schandartikel der armseligen Lohnschreiber, litterarischen Lumpe und Wegelagerer in ihrem sicheren Versteck – niemand wagte es sich je zu nennen! – hatte ich nur den schönen Wahlspruch Georg von Frundsberg's bei der Hand: ›Viel Feind, viel Ehr!‹ Eins nur betrübte mich! Die völlige Verdorbenheit der Tagespresse. Blätter, welche für freisinnig gelten wollten, (z.B. die Trier'sche Zeitung!) und heute meines Lobes und Ruhmes überströmten, schütteten morgen das Füllhorn ihrer Gemeinheiten und Niederträchtigkeiten über mich aus.

Vom 2. November an in Geisenheim. Ich war wieder ein Gast Karl Dresel's und lebte wieder sehr angenehme Tage in geselliger und litterarischer Beziehung und fühlte mich wieder recht heimisch in dem schönen Rheingau.

Gleich nach meiner Ankunft kam die Auswanderung nach Texas zur Sprache. Gustav Dresel hatte die Absicht, im künftigen Frühjahr abermals dahin zu gehen. Er stand in Unterhandlung mit dem fürstlichen ›Verein zum Schutz vaterländischer Auswanderer in Mainz.‹ Es lag diesem daran, bessere Erfolge zu erzielen und Männer zu [404] gewinnen, die dazu beitrügen, das Unternehmen in der Gunst des Volkes zu heben.

Der Verein, der nur aus lauter Fürsten und Grafen bestand, erwarb sich kein Vertrauen im Volke, und die neuesten Nachrichten aus Neubraunfels, der Schöpfung des Vereins, waren gar nicht der Art, das Vertrauen zu heben. Die Ansiedler beklagten sich, daß sie im Lande der Freiheit und Selbstregierung als Unterthanen behandelt würden und daß man die Ansiedelung nicht sich selbst überlassen wollte, sondern sie in ihrer Entwickelung stets bevormunde und dgl.

Um eine günstigere Stimmung für den Verein herbeizuführen, ward die gute Presse in Thätigkeit gesetzt, und sonst noch manches Mittel aufgeboten. Dahin rechne ich denn auch, daß der Verein auch mich zu gewinnen suchte. Schon früher hatte er mir durch Gustav Dresel ein Blockhaus und hinreichendes Land anbieten lassen. Daß ich zur Annahme bereit sein würde, glaubte man vorauszusetzen. Stand doch schon vor Jahr und Tag in der Bremer Zeitung: ›Es rüstet sich wieder eine Anzahl Deutscher, nach Texas auszuwandern. Man will einer dortigen deutschen Niederlassung den Namen Fallersleben geben; der, dem dieser Name gilt, wird bald nachfolgen.‹ Eines Tages wurde mir die vom Vicepräsidenten des Vereins, Grafen von Castell, eigenhändig abgefaßte und unterzeichnete Schenkungsurkunde über 300 Acres vom 6. November 1846 überbracht.

Für die politische Blumenlese war ich fortwährend sehr thätig. Ich fand Stoff genug in Karls Bibliothek und in der öffentlichen zu Wiesbaden. Ich war eben mit Kant fertig geworden und wollte meine Auszüge drucken lassen. Herr Könitzer (Jägersche Buchhandlung) hatte den Verlag übernommen. Nach einiger Zeit gab er mir das Manuscript wieder zurück, der Censor habe das Imprimatur verweigert. Ich wendete mich nun an Leske, die Darmstädter Censur war vernünftiger, das Büchlein erschien: ›Immanuel Kant über die religiösen und politischen Fragen der Gegenwart.‹ (Darmstadt. 1847. 8° 48 SS.) Uebrigens hatte ich meinen Namen weggelassen, sonst würde vielleicht der Darmstädter Censor gerade daran Anstoß genommen und ebenfalls die Druckerlaubniß verweigert haben.

So sehr es für mich ein Bedürfniß war zu arbeiten, so schien mir doch auch eine Nothwendigkeit, dadurch zugleich Geld zu verdienen. Auf große wissenschaftliche Werke konnte ich mich bei meinem Wanderleben [405] nicht einlassen; auch würde der Aufwand von Zeit und Kräften und das Herbeischaffen von Hülfsmitteln in gar keinem Verhältnisse gewesen sein zu dem etwaigen Geldgewinne. Bei Arbeiten von minderem Umfange und zeitgemäßem Inhalte würde mir, sobald sie nur irgend die Politik berührten, Censur und Polizei immer hindernd in den Weg treten. Letzteres würde noch mehr der Fall sein, wenn ich mich nur mit Publicistik befaßte. Da dachte ich nun einen andern zwar mühsamen, aber sicherer zum Ziele führenden Weg einzuschlagen. Ich wollte eine Geschichte der deutschen Litteratur ausarbeiten, die sollte den Sommer 47 vollendet sein. Dann wollte ich in Frankfurt Vorlesungen halten, und im Jahre 1848 in London und Newyork. Zu letzterem Zwecke wollte ich dann noch recht tüchtig englisch lernen. Ich theilte brieflich diesen Plan Freiligrath mit (29. November), und besprach ihn auch mit meinen Freunden, aber – weiter kam ich nicht damit. Es gehörte dazu auch wieder ein ruhiges, sorgenfreies Leben und eben dazu ließen mich ›die großmüthigen Unterstützungen des deutschen Volkes‹, die nur die Kölner Zeitung kannte, nicht gelangen.

Um in meinen Aufenthalt etwas Abwechselung zu bringen, und auch um mich zu entschädigen für die Tage wo ich krank war, unternahm ich einige Ausflüge nach Hallgarten, Bingen, Kreuznach und Wiesbaden. Das Wetter hielt sich lange recht schön. Noch am 11. November fand ich bei Itzstein im Garten blühende Rosen, Nelken, Fuchsien, Reseden und reise Erdbeeren. In dem nahen Rüdesheim war ich natürlich öfter. Das Weihnachtsfest über blieb ich in Geisenheim. Die liebste Christbescherung war für mich einige Tage nach dem Feste die dritte Sammlung meiner Kinderlieder: ›Vierzig Kinderlieder von Hoffmann von Fallersleben. Nach Original- und Volksweisen mit Clavierbegleitung. Nebst einem alphabetischen Inhaltsverzeichnisse aller drei Sammlungen.‹ (Leipzig. 1847. Wilhelm Engelmann. Qu. 4°. 47 SS.)

Daß meine Bibliothek zu Kauf stände, war wol in öffentlichen Blättern angezeigt, auch wol näher besprochen worden. Dann war es wieder still: ich bekam keine Anfragen, keine Angebote. Da erfuhr ich denn aus Briefen von Philipp Nathusius, daß sich FrauBettina von Arnim der Sache annähme.


[Hoffmann hatte als Kaufpreis für seine Bibliothek 2000 Rb. festgesetzt. Damit diese werthvolle Büchersammlung im [406] Preise nicht herabgedrückt würde, faßte Bettina den Plan, ein Buch herauszugeben, von dessen Erlös die Hoffmannsche Bibliothek angekauft werden sollte. Auch wollte sie möglichst ihren Einfluß (wohl durch Humboldt beim König Friedrich Wilhelm IV.) geltend machen, daß dann die Königliche Bibliothek zu Berlin die Hoffmannsche Sammlung übernähme. Durch Ph. Nathusius setzte Bettina sich Ende des Jahres 1846 bezüglich dieses Planes mit Hoffmann in Verbindung, der seine Zustimmung erklärte. Bettina hatte ihr Buch schon vollendet, so daß sie bereit war, es drucken zu lassen.]


Auch im neuen Jahre (1847) war mir der Aufenthalt in Geisenheim ein sehr angenehmer: ich konnte frei über meine Zeit verfügen und hatte Anlaß und Stoff genug, mich geistig zu beschäftigen. Meine heitere Stimmung wurde nur dann getrübt, wenn mich rheumatische Schmerzen zu sehr plagten, so daß ich unfrei wurde, weder arbeiten noch ausgehen konnte. An den üblichen Wintervergnügungen, woran sich die jüngeren Mitglieder der Familie gerne betheiligten, fand ich keine Freude. Obschon ich Ehrenmitglied des Rheingauer Carnevals-Vereins war, so fand ich mich doch nur Einmal dazu in Winkel ein.

Nachdem Gustav Dresel's Verhältniß zum Texasverein geordnet war, stand seine Abreise bevor. Er kam den 21. Februar von Wiesbaden. Wir waren noch einmal im Dreselschen Hause heiter zusammen. Den andern Tag begleiteten wir Gustav auf dem Dampfschiffe bis St. Goar. Der Abschied ward allen schwer, kein Auge blieb trocken. Gustav war mir von Karls Brüdern der liebste. Sein lebendiges, entschlossenes und entschiedenes Wesen, seine unverwüstliche gute Laune, seine redliche Gesinnung erwarben ihm allgemein Achtung und Liebe. Jung an Lebensjahren, aber alt an Erfahrungen ging er mit Vertrauen der Zukunft entgegen, er war ein rechter Hinterwäldler voll Thatkraft und Ausdauer. Zum Abschiede gab ich ihm noch ein Lied mit. 50 Ob er die Kunde von des deutschen Volkes Hoffnungen noch vernommen? Er sah seine Heimat nicht wieder: er starb auf dem Wege von Galveston nach Neubraunfels in Morris Farm 14. September 1848.

Schon lange hatte ich meine Abreise beschlossen, aber auf Karls [407] und seiner Frau Elise dringendes Bitten noch aufgeschoben, bis auch Gustav abreisen würde. Ich war sehr gerührt von aller liebevollen Theilnahme und sprach mich in einigen Ghaselen 51 aus, die ich in Elises Stammbuch einschrieb.

Am 23. Februar reise ich von Geisenheim ab und bleibe einige Tage in Mannheim im engsten Verkehre mit den badischen Volksfreunden.

2. März. Mit Itzstein nach Heidelberg. Ich lerneJohanna 52 kennen.

4. März. Meine ersten Ghaselen an Johanna.

10. März nach Stuttgart. Gustav Schwab, jetzt Ober-Consistorialrath, wohnt unglaublich hoch. Er kennt mich kaum wieder, ist sehr freundlich und kann sich nicht genug wundern über Freiligrath's Ça ira, ›das sind Gedichte, die wird selber ein H.v.F. nicht billigen.‹ – Wolfgang Menzel wundert sich: ›Kerl, Du bist ja noch ganz jung, Du hast ja noch nicht einmal graue Haare!‹ – ›Nun, ich soll auch wol noch den Leuten den Gefallen thun, alt zu werden?‹

12. März in Tübingen. Heiterer Himmel, scharfer Wind, 14° unter 0, ein unglaubliches Wetter kurz vor Frühlingsanfang! Ich besuche den Oberbibliothecar Professor Keller. Er findet den Preis meiner Bibliothek zu hoch. Ich setze ihm aus einander, 2000Rb. sei nur ein Ausgebot, darüber könne man wol gehen, aber nicht darunter. Ich merke schon an seiner Miene, daß aus unserm Handel nichts wird. Die Thaler fallen ihm zu schwer auf's Herz, wenn es noch Gulden wären!

Sehr erfreulich ist mir die persönliche Bekanntschaft mit F. Silcher. Er war mir immer einer der liebsten Componisten meiner wieder gewesen. Durch seine einfache schöne Melodie zu ›Morgen müssen wir verreisen‹ 53 ist mein Lied erst recht zum Volksliede geworden. Wir sprechen viel über Volksweisen. Bei einem späteren Besuche frage ich ihn, ob sich Ghaselen wol componieren lassen? Er will's versuchen, und ich besorge ihm die Abschrift einiger meiner Ghaselen.

Noch am Vormittage besuche ich auch Uhland. Wir sprechen von unseren Reisen und seinen Studien. Er hat die deutschen Volkslieder [408] bei Seite gelegt und beschäftigt sich mit Sagenforschungen. Nach Tische besuchen mich Keller und Uhland. Letzterer ist schon vorher einmal dagewesen und hat mir die beiden Bände seiner deutschen Volkslieder gebracht – ein mir sehr liebes willkommenes Geschenk! Er holt mich ab, ich soll bei ihm einen Kalbsbraten verzehren helfen. Ein sehr gemüthliches Abendessen. Uhland sehr heiter und gesprächig wie auch seine Frau. Während wir traulich mit einander plaudern und ich gar nichts ahnde, ertönt Gesang: die Studenten bringen mir ein Ständchen. Uhland führt mich auf den Balcon seines Hauses. Nachdem mir ein Hoch ausgebracht ist, bringe ich als Dank ein Hoch dem ›Vorwärts.‹ 54 Ich spreche laut und so deutlich, daß jedes Wort verstanden wird, und wenn ich durch Beifallrufen unterbrochen werde, so warte ich, bis Alles wieder ruhig ist. Großer Jubel. Dann singen sie: ›Wenn heut' ein Geist hernieder stiege‹, und bringen dem Dichter des Liedes ein dreimaliges Hoch!

Wir bleiben bis 11 Uhr in heiterster Stimmung beisammen. Uhland erzählt mir noch eine hübsche Geschichte. Handwerksburschen sangen einst: ›Ich hatt' einen Kameraden.‹ Als sie näher kamen, sang der eine, mit Bewegung des Armes nach Uhland hindeutend: ›Als wär's ein Stück von dir!‹

13. März wieder in Stuttgart. Dingelstedt war damals allgemein sehr unbeliebt und den Kreisen, worin ich mich bewegte, sogar verhaßt. Es war wol mehr daran Schuld sein hochfahrendes Wesen als der Glaube, er übe bei Hofe einen den Volksinteressen nachtheiligen Einfluß aus. Auch außerhalb Wirtenberg hatte sich damals die Ansicht über Dingelstedt sehr geändert. Der Verfasser des Artikels Dingelstedt im Meyerschen Conversations-Lexicon (1846) ist ganz voll überschwänglichen Lobes der Gedichte des Nachtwächters, aber wenig erbaut von den späteren Lebensverhältnissen des Dichters und seinen Poesien.

Meine beiden Scherzgedichte über den ›Seligen Kosmopolitischen Nachtwächter,‹ die in jenen Tagen entstanden sind, finden großen Beifall, jeder möchte sie haben, und so entschließe ich mich denn sie drucken zu lassen. Sie sollen im Beobachter erscheinen, die Censur aber streicht von dem einen die drei letzten Strophen. Sie werden [409] also ohne Censur gedruckt und zwar auf schlechtem Papiere und ganz nach der Art der Lieder ›Gedruckt in diesem Jahr.‹ 55

22. März. Ich nehme Abschied. Mehrere meiner neuen Freunde begleiten mich zum Postwagen. Gerührt von den vielen Beweisen der Theilnahme verlasse ich Stuttgart. Ich übernachte in Heilbronn, und gehe den andern Tag mit dem Dampfschiffe nach Heidelberg. Ich lebte nun bis in die Mitte des Mais meist in Heidelberg als Welcker's Gast. Ich hatte oft Gelegenheit, Johanna zu sehen und zu sprechen, der Frühling im Neckarthale ward für mich ein Liebesfrühling. Eine Anzahl Ghaselen 56 entstand in den Tagen kurz nachher als ich Johanna das erste Mal sah. Während ich in Stuttgart war, hatte einer meiner Freunde Gelegenheit, diese Gedichte Johanna zu überreichen. Als ich nach einigen Wochen nach Heidelberg zurückgekehrt war, sendete sie mir ebenfalls einige Ghaselen.

Unser öfteres Zusammensein, ihre innige Theilnahme an meinem Leben, ihre Freude über jedes Lied, jeden Blumenstrauß, jeden Blüthenzweig, über Alles womit ich sie zu erfreuen hoffte, erhöhte meine Liebe zu ihr und stimmte mich heiter und poetisch.

An meinem Geburtstage (2. April) hatte auch Johanna meiner gedacht: sie überreichte mir eine Brieftasche mit meinem Namenszuge, von ihrer Hand gestickt, und einem Gedichte:


Wohl danken möcht' ich ohne Ende
Dir für den duft'gen Minnesang,
Für Deine süße Blumenspende,
Die wie ein Frühling zu mir drang.
Der frische Athem Deiner Lieder
Hat mich gar heimlich angeweht,
Sie klingen tief im Herzen wieder,
Das ja zu lieben auch versteht.
[410]
Den Frühling trag' ich längst im Herzen,
Die Liebe läßt ihn nimmer zieh'n;
Sie hält ihn fest in Glück und Schmerzen
Und heißt ihn täglich mir erblüh'n.
Und hat der Lenz nicht aller Orten
Die junge Erde ausgeschmückt?
Ist nicht auch Frühling Dir geworden,
Und hat er Dich nicht auch beglückt?
Ich muß mich Deiner Liebe freuen,
Sie ist so wunderschön und rein!
Dir kann ein Frühling sich erneuen,
Doch – Freunde laß uns immer sein!

Als ich den Schluß las, da kamen mir Uhland's schöne Worte entgegen:

Ja, Schicksal! ich verstehe dich:
Mein Glück ist nicht von dieser Welt,
Es blüht im Traum der Dichtung nur:
Du sendest mir der Schmerzen viel
Und giebst für jedes Leid ein Lied. –

und ich liebte, litt und dichtete.


Welcker wohnte auf einem Landsitze am Ende von Neuenheim, einer ehemaligen Besitzung des Professors Gervinus. Das Haus war nicht sehr groß, aber bequem eingerichtet, ausreichend für eine kleine Familie. Durch seine prachtvolle Aussicht und die freundlichen Gartenanlagen daneben mußte es, obschon es wegen seiner Entfernung von der Stadt für den geselligen Verkehr nicht günstig, doch seinen Bewohnern lieb und werth sein, und seinen Gästen es werden. Ich wohnte im obern Stocke und genoß einer weiten Aussicht: mir gegenüber lag Heidelberg mit seinem Neckar, seinem Schlosse und seinen Bergen. Fast jede Tageszeit bot mir ein neues Bild der schönen Landschaft. Wohlthuend und erheiternd wie die ländliche Stille und die freundliche Umgebung wirkte auf mein Gemüth auch das Familienleben, dem ich nicht wie ein gern gesehener Gast, sondern wie ein alter Freund angehörte.

[411] Welcker machte mich nach und nach mit vielen seiner Freunde und Collegen bekannt. Gelegenheit ergab sich täglich durch die Harmonie, welche wir fleißig besuchten, dann auch die Mittags- und Abendessen, wozu auch ich immer mit eingeladen wurde. Einen sehr angenehmen traulichen Verkehr unterhielt ich mit der Familie des Hofraths Kapp.

Während ich bisher meist heiter gestimmt die Zeit verlebte, berührten mich sehr schmerzlich zwei traurige Ereignisse.

Am 7. April hatte ich einen Ausflug nach Geisenheim gemacht. Als ich dort eintraf, erzählte mirKarl Dresel den Anlaß und die Entwickelung seines kaufmännischen Unglücks. Obschon noch Verhandlungen im Gange waren, so überzeugte ich mich doch bald, daß das Haus Dresel seiner Auflösung entgegen gehen würde. Tief bewegt nahmen wir den andern Tag Abschied von einander, es war zugleich ein Abschied von allen den frohen Tagen, deren wir uns hier erfreuten und sich hier für uns wol nie wieder erneuen würden.

Als ich am 9. April nach Heidelberg zurückkehrte, traf die Nachricht von Steinacker's Tode ein: er war an meinem Geburtstage, den 2. April gestorben. So tief mich die Trauerbotschaft erschütterte, so war doch sofort mein Gedanke, etwas für die Familie zu thun. Steinacker hatte eine Frau und fünf unversorgte Kinder hinterlassen und statt eines Vermögens nur Schulden. Ich besprach mich mit Welcker und ging dann zu Gervinus, um ihn für eine Steinacker-Stiftung zu gewinnen. Darauf begab ich mich in derselben Angelegenheit nach Mannheim und fand von Soiron bereitwillig, einen Aufruf zu erlassen.

Obschon mir Liebe und Frühling jetzt mehr waren als alle Politik, so konnte ich mich doch der letzten nicht fern halten. Der tägliche Verkehr mit Welcker und seinen Freunden gab mir immer Anlaß und Anregung zu politischer Betheiligung, und während Andere durch Gespräche und Reden für Entscheidung irgend einer Tagesfrage im liberalen Sinne zu wirken suchten, mußte ich durch Trinksprüche und Lieder die Stimmung beleben. Dies war namentlich der Fall bei dem großen Welcker'schen Deputierten-Essen am 1. Mai. Nachdem manches Hoch ausgebracht und der Champagner die Heiterkeit erhöht hatte, bat man mich zu singen, und ich sang und hatte ein dankbares Publicum. Itzstein schrieb den andern Tag: ›Wir kamen vergnügt von Heidelberg hier an, was wir Welcker's Einladung und [412] Deinen Liedern verdanken – Aber singen kann sie Niemand wie Du, mit dieser Kraft, mit dieser Mimik und diesem Accent.‹

Schon in den ersten Tagen nach meiner Ankunft in Heidelberg bat mich Welcker, ich möchte doch für das Staatslexikon mein Leben schreiben. So angenehm mir sonst ein solcher Antrag gewesen wäre, so war er es mir im Augenblicke nicht; um etwas mehr als das gewöhnliche Skizzenartige zu liefern, fehlten mir meine Aufzeichnungen und manche Vorarbeiten, die mir nothwendig schienen. Da es sich aber hier hauptsächlich um eine Seite meines Lebens, um die politische handelte, so verstand ich mich endlich dazu und begann meine Arbeit, die trotz allen Unterbrechungen doch schon nach vier Wochen vollendet war. Am 3. Mai überreichte ich sie Welcker'n, der sie dann dem Staatslexikon einverleibte.

Den 5. Mai verließ ich Heidelberg. Welcker's Töchter überreichten mir einen schönen Blumenstrauß. Ich war sehr ernst und schweigsam. In Mannheim empfing mich Itzstein auf dem Bahnhofe und führte mich in sein gastliches Haus. Bei dem schönen Frühlingswetter war ich wenig in Mannheim, ich machte einen Ausflug nach der Hard, dann nach Heidelberg zu Ottilie Welcker's Geburtstag und später nach Schwetzingen.

Den 15. Mai ging ich mit Itzstein auf sein Gut in Hallgarten. Es fanden sich bald noch mehrere Gäste ein. Den ersten Pfingsttag (28. Mai) war gerade der Jahrestag von Itzstein's Ausweisung aus Berlin. Wir feierten diesen für uns doppelt festlichen Tag. Es war wundervolles Wetter. Auf dem Hause flatterte die schwarzrothgoldene Fahne. Als der Maitrank auf die Tafel gesetzt und jedes Glas gefüllt war, brachte ich ein Hoch 57 auf Itzstein aus. Alle erhoben sich und stimmten jubelnd ein, und unter dem hellen Klange der Gläser erscholl ein herzliches Hoch dem edlen unermüdlichen Volksvertreter, unserm Vater Itzstein! Unter den Gästen in Hallgarten war auch Frau Directorin Schröder von Mannheim. Sie spielte die Bergzitter und sang dazu und hatte viel zur Erheiterung unserer Gesellschaft beigetragen. Als sie uns plötzlich verlassen wollte, richtete ich eine Ghasele 58 an sie.


[413] Obschon ich mich der Gesellschaft nicht entzog, so ergab sich doch oft Gelegenheit allein zu sein. Ich saß dann auf meinem stillen Zimmer und dichtete, oder ich wanderte hinaus in die freie Natur und freute mich des Frühlings und meiner Liebe. Ich war damals einige Tage recht unwohl, trotzdem aber nicht traurig oder gar muthlos. Auch hätte ich es mit Gleichmuth aufgenommen, wenn ich es damals erfahren, was mir das großherzoglich badische Ministerium am 25. Mai zugedacht hatte: ich sollte nämlich aus Mannheim und drei benachbarten Aemtern ausgewiesen werden. Itzstein war zum Abgeordneten Ausschuß in Carlsruhe einberufen und reiste den 29. Mai ab. Den 1. Juni verließ auch ich Hallgarten und war einige Tage in Bieberich. Erfreulich waren mir die mehrmaligen Spaziergänge im Schloßgarten, der sich vor vielen anderen durch die großartige Einfachheit in seinen Anlagen auszeichnet. Selten findet man so riesige Platanen, Tulpen- und Kastanienbäume. Der Rasen war überall schön gehalten und die Teiche waren von allerlei Schwimmvögeln belebt. Sehenswerth waren auch die Gewächshäuser, die unter der Aufsicht und Pflege des tüchtigen Garteninspectors Tellemann sehr emporgekommen.

Den 5. Juni reiste ich über Frankfurt, Fulda, Gotha und Magdeburg nach Althaldensleben. Philipp Nathusius beschäftigte sich wieder viel mit Politik, das Religiöse war bei ihm in den Hintergrund getreten. Das Ergebniß seiner damaligen Arbeit erschien unter dem Titel: ›Statistische Uebersichten über die Verhältnisse und wichtigsten Abstimmungen beider Kurien und über die künftigen ständischen Ausschüsse.‹ (Berlin. Dümmler. 1847.)

Maria gab mir ihren Roman ›die Kunstreiter‹ zum Lesen. Ich war sehr überrascht und sprach ihr meine Freude und Verwunderung aus. Ich las ihr meine Johannalieder vor. Sie war sehr erfreut, daß ich so etwas wieder dichtete. Ich gab ihr zum Componieren Abschrift von acht Liedern. Noch während meiner Anwesenheit hatte sie bereits drei componiert.

Nach fünftägigem Aufenthalt setzte ich meine Reise fort und war am 13. Juni wieder in Holdorf. Nachdem ich mich von einem längeren Unwohlsein erholt hatte, folgte ich einer Einladung des Hamburger Quartett-Vereines zum Sängerfeste nach Lübeck. Es war das schönste und großartigste Fest dieser Art, welches ich je erlebt [414] habe (26.–30. Juni). Dann verweile ich einige Tage in Hamburg in angenehmem Verkehre mit Freunden und Verwandten. Sehr erfreut mich, hier Prutz zu treffen. Er ist Dramaturg am Hamburger Stadttheater und hofft in dieser Stellung viel zu wirken und eine angenehme Zukunft sich zu schaffen.

In Schwerin treffe ich mit Rudolf Müller zusammen. Er will mit seiner Frau eine Vergnügungsreise nach Hamburg machen, woher ich eben komme. Er läßt nicht nach, ich muß mitreisen, und so bin ich denn wieder 7. Juli in Hamburg. Den folgenden Tag fahren wir auf dem Patrioten nach Cuxhaven. Christian Schmoldt, durch den Telegraphen benachrichtigt, holt Müller's ab, ich bleibe zurück. 10. Juli kommen unsere Otterndorfer Freunde herüber. Großes Abendessen. Zuletzt müssen noch die Stadtmusicanten zum Tanz aufspielen. Ich wurde um Mitternacht ins Land Hadeln eingeschmuggelt.

12. Juli. Wir setzen über die Elbe nach Glückstadt, bleiben den Tag in Hamburg und kehren den folgenden nach Holdorf zurück. Zwei musicalische Gäste finden sich ein, erst Hermann Hauer, Organist der St. Jacobi-Kirche in Berlin, dann Ludwig Erk. Es wird vielmusiciert, componiert und gesungen, für mich eine heitere Anregung zum Arbeiten und Dichten. Sehr willkommen ist mir besonders Erk's Besuch. Wir besprechen eine Sammlung Schullieder, hundert nach dem Alter und den Fähigkeiten der Kinder auf drei Hefte vertheilt. Erk ist sehr fleißig, die Melodien sind alle fertig und es bleibt mir nur noch übrig, die Texte hinzuzufügen.

Leider fällt mitten in unsern heitern Verkehr ein sehr trauriges Ereigniß: am 16. Juli starb Frau Elise Schnelle, geb. Stumpe. Ein unersetzlicher Verlust für den braven Dr. Schnelle und seine neun Kinder! Allgemein war die Theilnahme, denn sie war als Gattin, Mutter, Hausfrau und Freundin allgemein geliebt und verehrt; manches Auge hat ihr nachgeweint, manches Herz bewahrt ihr ein liebevolles Andenken. Mein Beileid konnte ich persönlich nicht aussprechen, aus Rücksicht für unser Haus mußte ich mich fern halten, mehrere Kinder lagen dort nämlich an den Masern danieder. Otto Wien, der treue Freund der Schnelle'schen Familie, der mich besuchte, [415] mußte der Ueberbringer meiner innigen Theilnahme sein. Ich widmete der verehrten Todten ein Lied. 59

28. Juli – 9. August in Hohenfelde. Ich war in dieser Zeit auch öfter in Zierstorf. Es war wohlthuend für mich, daß ich Gelegenheit fand mich über Vieles, auch über mich auszusprechen. Frau Auguste Pogge nahm innigen Antheil an meinem Schicksal und wünschte gar sehr, daß ich der Welt gegenüber eine unabhängige Stellung einnähme. Der Wunsch war schön, aber die Erfüllung nur möglich durch Beseitigung von Dingen, über die wir keine Macht haben und deren günstigere Gestaltung nur abgewartet werden kann. Viele meiner Freunde machten mir Vorschläge, dies oder jenes zu beginnen, um mir ein selbstständiges sorgloses Leben zu gründen. Sie verkannten völlig meine Eigenthümlichkeit und meinen Freiheitssinn, die Grundbedingungen meines ganzen geistigen und leiblichen Lebens. Hätte ich ihren Rath befolgt, so wäre ich höchstens in einem verlorenen Winkel Deutschlands ein anständiger Philister unter Philistern geworden, ganz nach dem Willen einer hochlöblichen Polizei und wäre mit ihnen selig im Herren entschlafen. Meine Freunde dachten nicht daran, daß das was ihnen als Glück erschien, niemein Glück sein noch werden konnte. So unangenehm mir oft Unterhaltungen über mein jetziges Wanderleben waren, so konnte es mich doch nur freuen, wenn sie aus so inniger Theilnahme wie hier hervorgingen. Sie endeten denn auch wie hier zu beiderseitiger Ergötzung. Und so mußte denn auch Frau Pogge sich und mir scherzhaft gestehen: ›Ich sehe wol, Sie sind unverbesserlich!‹ – Ich fing nun an fleißig zu arbeiten: nach einigen Tagen hatte ich die Abschrift der 100 Schullieder vollendet.

Die letzte Hälfte Augusts verlebte ich in Holdorf.

Der erste Besuch bei Dr. Schnelle nach dem Tode seiner Frau war für mich ein sehr wehmüthiger. Wenn ich sonst kam, fand ich nur frohe Gesichter, die Kinder sprangen mir jubelnd entgegen. Jetzt Alles still. Vor Weinen konnte ich nicht sprechen, stumm reichte ich Schnelle und seiner Tochter Emilie die Hand und zeigte ihnen, was Itzstein über den Tod der Frau Schnelle geschrieben. Während die Erndte in vollem Gange war und es draußen sehr lebendig herging, beschäftigte ich mich auf meinem stillen Zimmer viel mit dem [416] Ordnen meiner Papiere. Besuch gab es wenig, Studiosus Zarncke kam zweimal zu mir herüber.

Den 28. August ging ich wieder auf Reisen. 1. September in Leipzig. Engelmann übernimmt den Verlag der 100 Schullieder.

2. September. Ruge hatte damals mit Fröbel sich geeinigt und setzte das Züricher ›Literarische Comptoir‹ als ›Verlagsbureau‹ in Leipzig fort. Die Polizei sah es auch so an: sie hatte deshalb drittehalb Stunden im Verlagsbureau nach dem Verlage des literarischen Comptoirs gefahndet, besonders nach meinen Liedern, dann die Maculaturkammer versiegelt und war eben abmarschiert, als ich eintrat.

Um 9 Uhr Abends wird mir gemeldet, daß mir ein Ständchen gebracht werden würde. Ich gehe nach Haus. Auf der Hausflur des Hôtel de Bavière versammeln sich Studenten und Turner. Sie singen drei Lieder, darunter auch ›Zwischen Frankreich und dem Böhmerwald.‹ Dann wird ein Hoch auf mich ausgebracht. Ich danke mit einem auf ›die Männer des Fortschritts‹ 60, das dreimal von den Anwesenden wiederholt wird. Darauf begiebt sich der Zug heim unter dem Singen des Liedes:


›Wie könnt' ich dein vergessen,
Ich weiß was du mir bist!‹

3. September. Schon lange hatte ich eine Sammlung einiger meiner Lieder veranstaltet, die ein- oder vierstimmig gesetzt unter dem Titel ›Deutschland‹ erscheinen sollten. Ich gehe damit zu Breitkopf und Härtel. Wir einigen uns, sie übernehmen den Verlag, erhalten mein Manuscript und zahlen mir 50 Thlr. Honorar.

4. September nach Köthen. Ich erfahre, daß der alte Meusebach am 22. August gestorben ist.

7. September in Althaldensleben. Heinrich Nathusius, der jüngste Bruder von Philipp, hatte Hochzeit. Nach derselben folgten für mich einige ruhige Tage. Wilhelm Nathusius hatte mich zu sich auf sein Gut Königsborn eingeladen. Ich lebte auch jetzt wieder ebenso angenehm wie früher. Ich wohnte auf demselben geräumigen Zimmer im oberen Stock mit der freundlichen Aussicht auf den Park. Wenn Wilhelm mit seiner Landwirthschaft und seinen Sportsangelegenheiten sich beschäftigte, so saß ich oben und arbeitete, oder ich ging spazieren.


[417] Da gegen meine immer wiederkehrenden rheumatischen Schmerzen die bisherigen Mittel nicht angeschlagen hatten, so wollte ich es jetzt einmal mit der Traubenkur versuchen, und es war mir sehr lieb, daß ich sie hier beginnen konnte. Die ganze Südseite des Schafstalls war mit Reben bezogen und die frühreifen Trauben waren vollkommen reif und schmeckten sehr lieblich. Ich aß zu verschiedenen Tageszeiten je einen Teller voll, und befand mich sehr wohl dabei.

Abends unterhielten wie uns sehr traulich, und wenn wir aus dem Scherz in den Ernst kamen, so wandte sich unser Gespräch gewöhnlich dem Religiösen zu. So sprach ich mich denn eines Abends über Philipps religiöse Richtung aus und seine Hinneigung zum Pietismus. Wilhelm erklärte das für rein wissenschaftlich.

Schon lange hegte ich die Absicht, wieder einmal mit Frau Bettina zusammen zu kommen. Da mich der Buchhändler Otto Janke, den ich kurz vorher kennen gelernt, nach Potsdam eingeladen hatte, so glaubte ich von dort aus schnell Berlin erreichen und unbemerkt darin einige Stunden weilen zu können, ich durfte bekanntlich seit meiner Ausweisung im Februar 1844 nicht mehr nach Berlin kommen. Am 20. September traf ich in Potsdam ein und wurde von Janke sehr freundlich aufgenommen. Ich mußte noch erst zu Mittag essen, dann spazierten wir nach Sanssouci. Als wir zurückkehrten, besuchte ich Frau von Meusebach.

21. September um 10 nach Berlin. Bettinas Wohnung ist nicht weit vom Bahnhof, noch außerhalb der Ringmauer. Als ich eben zuversichtlich die Treppe hinaufsteige, da bedeutet mich die Haushofmeisterin, die alte Appel, daß ich nicht vorgelassen werden könnte. Ich setze ihr auseinander, daß ich nur gekommen, um Frau von Arnim zu sprechen. Sie geht hinein und fragt an. Sie kommt wieder und giebt mir ungenügenden Bescheid. Ich ärgerlich die Treppe hinunter. Da ruft mich Bettina zurück: ›Nur rasch, rasch! Aber sagen Sie niemandem, daß Sie bei mir waren – gleich kommt mein Advocat.‹ – Sie erzählt mir von ihrem Prozesse mit dem Magistrate, findet einen Zusammenhang zwischen ihrem Buche für mich und diesem Prozesse u.s.w. Da kommt der Advokat. Ich muß eiligst zur Hinterthür hinaus durch die Küche in den Hof hinab zur großen Belustigung der alten Appel. Um 3 soll ich zu Tische kommen. Ich fahre in einer Droschke zu Erk. Es ist 12 Uhr Mittags, er ist [418] noch nicht aus dem Seminar zurück. Ich unterhalte mich mit seiner Frau. Nach einer Weile tritt er ein, freudig überrascht. Ich theile ihm meinen Plan mit, 1000 Volkslieder der Deutschen mit Singstimme und Clavierbegleitung herauszugeben, und lade ihn ein zu gemeinschaftlicher Herausgabe. Er ist gern bereit. Wir besprechen das Unternehmen nach allen Seiten. Ich muß mit ihm zu Mittag essen. Um 3 in einer Droschke zu Bettina. Sie führt mich zu Tische. Lebhafte Unterhaltung. Sie erzählt mir Alles was sich nach der Grimmschen Geschichte für sie begeben hat, von den Ränken gegen sie und mich, von dem kläglichen Benehmen ihrer Freunde etc. Um 5 wollte ich mich empfehlen. Daran sogar gar nicht zu denken. Sie theilt mir die Aushängebogen ihres neuesten Buches mit, 61 sie zeigt mir die handschriftliche Fortsetzung dieses Briefwechsels mit Philipp Nathusius, sie spricht von der Vorrede, 62 was selbige Alles enthalten soll etc. Dann kommen wir auf meine Bibliothek, auf ihren Prozeß mit den Magistrate, sie liest mir darauf bezügliche Actenstücke vor etc. Endlich besprechen wir, was für Meusebach's Bibliothek zu thun sei, damit selbige zur Ehre und zum Besten des Vaterlandes erhalten und zugleich für die Familie ein dem hohen Werthe entsprechender Preis erzielt werde. Sie liest mir den darauf bezüglichen Brief an den König. Ich soll dazu noch Notizen geben. Wir verabreden eine Zusammenkunft in Potsdam auf morgen 3 Uhr, wir wollen dann nach Baumgartenbrück hinausfahren. Ich nehme Abschied und kehre mit dem 7 Uhrzuge nach Potsdam zurück.

22. September. Frühmorgens zu Karl von Meusebach. Wir frühstücken zusammen und plaudern bis 12 Uhr. Er erzählt von dem Tode seines Vaters und daß die Grimms nicht die mindeste Theilnahme bewiesen hätten. Um 12 gehen wir zu Lehmann und speisen zu Mittag. Karl macht mir manche Mittheilungen aus dem Leben seines Vaters, dessen Äußerungen über mich u. dgl. Ich erkläre wie schon am Morgen abermals, daß ich in Betreff der Bibliothek zu [419] Rath und That bereit sei. Um 2 gehen wir auf den Bahnhof, begegnen Bettina, unterhalten uns mit ihr, und fahren dann zu Frau von Witzleben, 63 Karls Schwester. Die arme Frau liegt seit langer Zeit von der Gicht gelähmt danieder – ein erbarmenswerther Anblick! Daß ich sie so wiedersehen mußte! Ich bin furchtbar ergriffen und vermag kaum zu reden. Wehmüthig nehme ich Abschied. – Mit Karl fahre ich dann nach Baumgartenbrück. Als ich die Bibliothek wiedersehe, wird mir eigen zu Muthe: wie manche Erinnerungen für mich hangen an vielen dieser Bücher und ihrem unermüdlichen Sammler! Dem unruhigen Tage folgt ein stiller Abend. Um 9 Uhr treffen wir in Potsdam ein.

Den andern Tag kehrte ich nach Königsborn zurück. Mein erstes Geschäft war ein Bericht über die Meusebach'sche Bibliothek, den ich denn auch sofort an Frau Bettina einsendete. Eines Abends fingen wir an ihr Buch zu lesen: das gab Anlaß und Stoff zu lebhafter Unterhaltung. Ich sprach mich aus über die seltene Ehrlichkeit bei Beurtheilung von litterarischen Werken und Kunstsachen, über Unklarheit in Darstellung unserer Gedanken und Gefühle, über Gefühlsschwelgerei und dergleichen. Es gäbe Bücher, worin hochklingende Sätze vorkämen, die einen neuen großartigen Gedanken zu enthalten schienen, und wenn man die Sache näher untersuchte, so wäre es nur glänzender Unsinn. Da meinte Wilhelm: ›Dergleichen Bücher lese ich in Einem Zuge. Was ich nicht verstehe, kümmert mich nicht. Finde ich dann etwas Schönes, so freut es mich.‹

Maria Nathusius (geb. von Meibom) war ein poetisches Gemüth und pflegte auch wol selbst zu dichten. Sie hatte große Freude an meinen Johannaliedern, ich verehrte ihr einige. Noch mehr erfreute es sie, daß ich für ihre kleine Elsbeth, ein allerliebstes Kind, einige kleine Lieder dichtete und zum Andenken in das Elsbeth-Album einschrieb. 64

Das Wetter war mitunter unausstehlich, trotzdem spazierte ich viel umher und ergötzte mich an jedem Blümchen, das es gewagt hatte dem Winter entgegen zu blühen: ich pflückte noch Rosen, Reseda und Heliotrop im Freien und wand täglich ein Sträußchen.


[420] In den letzten Tagen des Septembers reiste ich durch Thüringen über Frankfurt in den Rheingau. Wie ich Itzstein auf seinem Gute nicht traf, ging ich zu ihm nach Mannheim. Den 4. October begrüßte ich ihn, blieb aber vorläufig im Weinberg. Als ich am 7. October in die Stadt zu Itzstein zurückgekehrt war, fand ich ein Schreiben des großherzoglichen Stadtamts vor, wonach mir aufgegeben ward, ›innerhalb 24 Stunden bei Zwangsvermeidung das Großherzogthum Baden zu verlassen.‹ Das Schreiben berief sich auf einen Erlaß des Ministeriums des Innern vom 25. Mai und eine Verfügung der großherzoglichen Kreisregierung (Schaaff!) vom 27. Mai d.J. – Ich berieth mich sofort mit meinen Freunden. Itzstein war sehr betrübt, zumal so etwas unter dem Ministerium Bekk, seines Freundes geschehen konnte. Er war sofort bereit, mich nach Carlsruhe zu begleiten. – Den folgenden Tag fuhren wir hinüber. Unser erster Weg war zu Bekk. Es hieß, Excellenz wäre krank. Itzstein wurde jedoch vorgelassen und kam voll Hoffnung zurück. Er machte dann eine schriftliche Eingabe, worin er als Zweck meines dortigen Aufenthalts die Traubenkur angab. Es erfolgte bald darauf an das Stadtamt ein Bescheid, mit welchem wir Abends spät ganz vergnügt nach Mannheim zurückkehrten. Ich konnte nun vorläufig in Mannheim mit polizeilicher Erlaubniß weilen. Ich machte öfter Besuche in Heidelberg. Johanna zu sehen und zu sprechen war für mich ein Bedürfniß meines Herzens. Obschon längst meine Hoffnung, ihr jemals mehr als ein Freund werden zu können, verschwunden war, so mußte mich doch der Augenblick, als sie mir das Geheimniß ihres Herzens gestand, tief bewegen. Mehrere Tage war ich traurig und voll Unruhe. Erst als ich mein Leid in Liedern ausgesprochen hatte und mit Johanna öfter zusammen gewesen war, wurde ich wieder ruhig und heiter. –

Noch immer dachte ich an eine Traubenkur und ich machte deshalb einen Ausflug in die Rheinpfalz, um zu sehen, an welchem Orte dazu die beste Gelegenheit wäre. Von Neustadt ging ich eines Tages nach Dürkheim. In den ›Vier Jahreszeiten‹ besuchte ich den Professor Sylvester Jordan. Hocherfreut umarmte er mich. Ich traf ihn als er eben aus den Trauben den Saft auspreßte um ihn zu trinken, statt die Beeren zu essen, denn selbst die besten waren ziemlich herbe. Nachdem er diese Traubenkur für den Morgen beendet hatte, blieb ich mit ihm und seinen Freunden zusammen. Da [421] merkte ich recht, wie der einst so kräftige, klare Mann durch die lange Gefangenschaft geistig und leiblich gelitten hatte; es war ein wehmüthiges Gefühl, aus diesen Gesprächen, die wir hören mußten, keinen Jordan wieder zu erkennen. Den andern Tag kehrte ich nach Mannheim zurück.

Dieser Traubenkurversuch hätte mir sehr schlecht bekommen können, ich durfte nur noch ein Stündchen in Dürkheim bleiben. Gleich, nachdem ich das Gasthaus verlassen, war ein Polizist mit einem Gendarmen gekommen und hatten auf mich gefahndet. Der Wirth sollte durchaus wissen, wohin ich mich gewendet hätte; aber wenn er es wirklich gewußt, der brave Mann würde es nicht gesagt haben. Wenn zu der Ausweisung aus Hannover nun auch Baden mit 280, und Baiern mit 1400 ± Meilen gekommen wären, so würden mir 2380 ± Meilen vom deutschen Vaterlande verboten gewesen sein!

Obschon ich in Mannheim mit polizeilicher Erlaubniß weilen durfte, so war mir doch der Aufenthalt jetzt sehr verleidet. Die Hetzereien des Mannheimer Morgenblattes dauerten fort. Itzstein fand sich deshalb veranlaßt, an Bekk zu schreiben, daß dies Schandblatt Lügen über mich verbreite. Das war zu viel Ehre für das Morgenblatt und seine Partei. Itzstein aber wollte, daß seinem Gaste nicht von neuem eine Unbill widerführe. Ueber die Bülletins, welche über mich erschienen, konnte ich nur lachen. So heißt es am 20. October: ›Wir sahen ihn 12 Schoppen Bier im rothen Schaaf genießen und hören heute, daß ihm die Arznei gut bekommen sei. Dies zur Beruhigung aller jener, welche für die Gesundheit des gefeierten deutschen Mannes fürchteten.‹ – Die Leute wußten recht gut, wie selten ich Bier trank, und wenn es ja einmal geschah, wie wenig ich trank.

Den 4. October reiste ich mit Itzstein nach Hallgarten. Ich arbeitete von jetzt an fleißig an seinem Leben, benutzte seine mündlichen und schriftlichen Mittheilungen und was hie und da über ihn gedruckt war. Den 8. November überbrachte ich Meidinger das Manuscript. Es erschien dann in Eduard Duller's Werk: ›Die Männer des Volks dargestellt von Freunden des Volks.‹ (5. Band. 1848. S. 75–184).

Meine Abreise von Hallgarten war beschlossen. Täglich wartete ich auf gutes Wetter, aber jeden Morgen war der Rhein in Nebel [422] gehüllt und es kam kein Dampfschiff. Den 13. November fand sich der alte Dresel mit seinen Söhnen Karl und Julius zu Wagen ein. Sie nahmen mich mit nach Geisenheim und ich war nun dem Rhein näher.

Den folgenden Tag blieb ich dort und den 15. November bestieg ich das Kölner Dampfboot ›Beethoven‹. Wir hatten trotz dem sehr niedrigen Wasserstande eine angenehme und ziemlich schnelle Fahrt. Anderthalb Stunden unterhalb Engers, in der Gegend von Sebastian-Engers, wollte unser Boot einem Segelschiffe ausweichen, stieß auf einen versteckt liegenden Felsen, ›die Bretzel‹, und erhielt einen Leck, das Wasser drang in Masse hinein und der Capitän sah sich genöthigt, sein Fahrzeug auf eine Sandbank auflaufen zu lassen. Bald stand das Wasser 4 Fuß hoch im Schiffsraum. Sämmtliche Passagiere warteten auf dem Verdecke, bis ein Nachen nach und nach uns aufnahm und ans Land setzte. Von Engers aus ging ich mit dem Düsseldorf Boote ›Concordia‹ bis Bonn. Das war das einzige Mal in meinem Leben, daß ich Schiffbruch litt.

Von Bonn ging ich dann über Köln nach Düsseldorf und so zu Fahne auf seinen Landsitz Schloß Roland. Es war für mich eine angenehme Ueberraschung, daß Fahne sehr fleißig an der Vorrede zu meinen ›Diavolini‹ arbeitete und sie auch noch während meiner Anwesenheit vollendete. Es gab reichlichen Stoff über Kunst und Litteratur uns auszusprechen. Die Aushängebogen der Diavolini waren bereits in Fahne's Händen und nach einigen Wochen erschien das Büchlein mit seiner Vorrede unter dem Titel: ›Diavolini. Von Hoffmann von Fallersleben. Zweite vermehrte Auflage. Cum Notis Variorum in usum Delphini.‹ (Darmstadt. Druck und Verlag von C.W. Leske. 1848. 8°. XXI. 100 SS.). 65

Das Buch konnte in keiner ungünstigeren Zeit erscheinen, es konnte nicht einmal vergessen werden, weil es gar nicht bekannt geworden war.

Den 22. November setzte ich meine Reise fort und kehrte auf einige Tage in Königsborn und Althaldensleben vor. Bei Philipp Nathusius konnte es mich nicht überraschen, daß er auf der Bahn des Rückschrittes Fortschritte machen würde; wol aber war es für [423] mich überraschend, daß er so rasche gemacht hatte. Als wir den ersten Abend auf die Schweizer Zerwürfnisse zu sprechen kamen, nahm er die Jesuiten in Schutz. Er las keine Zeitungen und wußte nicht was seit 14 Tagen sich ereignet hatte. Seine politische Weisheit schöpfte er aus dem ›Volksblatt für Stadt und Land.‹

Dann kehrte ich nach Holdorf zurück. Den heiligen Abend vor Weihnachten feierte ich in der Schnelle'schen Familie zu Buchholz. Im großen Saale war die Bescherung, für jedes Kind ein Tischchen, im Hintergrunde ein großer Tannenbaum mit hellglänzenden Lichtern etc. Auch ich war bedacht: ein Verkleideter brachte mir ein großes Packet mit einer schön gestickten Reisetasche. Die jüngeren Kinder waren sehr lustig, die älteren ernst und still: der Schmerz über den Verlust der Mutter mußte bei einem solchen heiteren Kinderfeste erst wieder recht lebendig werden.

Sehr angenehm war mir, daß sich Dr. Zarncke von Berlin aus zum Besuch seiner Eltern eingefunden hatte. Wir sahen uns öfter. Er erzählte mir viel von den Grimm's, Lachmann, Maßmann u.a., von seinen Studien und dergleichen. Da er sich gerne mit Handschriftenkunde befassen möchte und keine Gelegenheit dazu hatte, so erbot ich mich, ihn in dies Studien einzuführen und schenkte ihm meinen ganzen Apparat. Später war er mir behülflich beim Ordnen und Umpacken meiner Bücher. Den ersten Weihnachtstag waren wir sehr vergnügt beisammen in seiner Familie zu Zahrenstorf.

Fußnoten

1 Ges. W. Bd. I. S. 57. 58.

2 Hoffmann dankte mit einem Liede: Ges. W. Bd. VI. S. 31.

3 ›Und wieder hatt' es mich getrieben‹ – Ges. W. Bd. I. S. 58. 59. – In Musik gesetzt von ›E. H. z. S.‹ (Ernst Herzog zu Sachsen-Coburg.) Lpz. Breitkopf u. Härtel.

H.

4 Ges. W. Bd. IV. S. 285–296.

5 Sie sind gedruckt Bd. 3 (1843) S. 368 ff. 460 ff.

6 Ges. W. Bd. VI. S. 32.

7 Ges. W. Bd. III. S. 234 und Bd. IV. S. 310–313.

G.

8 Henriette von Schwachenberg; siehe Nachträge.

G.

9 Ges. W. Bd. IV. S. 301.

10 Ein Glaubensbekenntniß. Zeitgedichte von Ferdinand Freiligrath, Mainz, Victor von Zabern. 1844. S. 307–314.

H.

Ueber H.v.F. und Freiligrath vgl. Ges. W. Bd. VI. S. 352.

G.

11 Vgl. das Gedicht ›Zu Badens Verfassungsfeier.‹ Ges. W. Bd. IV. S. 309. 310.

12 Ges. W. Bd. I. S. 57. 58. Bd. IV. S. 252. 253. – Das letztgenannte Lied ist in die Ges. W. nicht aufgenommen. Es steht in den ›Deutschen Gassenliedern‹. S. 16.

G.

13 Ges. W. Bd. I. S. 57. 58. Bd. IV. S. 252. 253. – Das letztgenannte Lied ist in die Ges. W. nicht aufgenommen. Es steht in den ›Deutschen Gassenliedern‹. S. 16.

G.

14 Ges. W. Bd. I. S. 57. 58. Bd. IV. S. 252. 253. – Das letztgenannte Lied ist in die Ges. W. nicht aufgenommen. Es steht in den ›Deutschen Gassenliedern‹. S. 16.

G.

15 Henriette von Schwachenberg; siehe Nachträge.

G.

16 4. Bd. S. 284–317.

17 Hoffmann läßt hier eine Anzahl Aeußerungen der Presse aus jenen Tagen (besonders der Kölnischen Zeitung) folgen: fast überall wurde das Verfahren der Gebrüder Grimm gemißbilligt und besonders im Hinblick auf die eigene Vergangenheit beider mit mehr oder weniger scharfen Worten verurteilt.

G.

18 Meyen erzählt die nähere Veranlassung seiner Bestrafung, in der Berliner Reform vom 11. Januar 1862.

H.

19 Ges. W. Bd. II. S. 325.

20 Vgl. Ges. W. Bd. IV. S. 317–331 und S. 366. Anm. 75.

G.

21 Ges. W. Bd. IV. S. 320.

G.

22 ›Maiglockchen läutet in dem Thal‹. – Ges. W. Bd. II, S. 329.

G.

23 Ges. W. Bd. IV. S. 347. 348.

G.

24

Verehrter Herr!

Nehmen Sie gütigst das beikommende Buch als späte, wenn auch hoffentlich nicht zu späte, Antwort auf den freundlichen Brief an, den Sie mit vor zwei Jahren zu schreiben die Gewogenheit hatten. Ich denke, daß er sich seinem ganzen Inhalte nach durch das ›Glaubensbekenntniß‹ erledigt findet, und unterlasse drum alle weiteren Auseinandersetzungen und Commentare. Ich denke, wir verstehen uns!

Eine Bitte hab' ich Ihnen aber noch vorzutragen.Die nämlich, daß Sie sich veranlaßt finden möchten, meiner guten Schwiegermutter einige Worte der Erläuterung und des Trostes zu sagen, wenn sie sich, wie ich vermuthe, über diese meine jüngsten Gedichte mehr oder weniger entsetzen sollte. Suchen Sie ihr die Überzeugung mitzutheilen, daß das Volk mehr zu bedeuten hat, als die Fürsten; daß das ›Glaubensbekenntniß‹ ein aus innerem Drange hervorgegangenes Werk, daß es eine Nothwendigkeit ist, der ich ohne Widerstreben folgen mußte. Ein klares, verständiges Wort eines dritten wird hier mehr und besser wirken, als alle directe schriftliche Auseinandersetzung von meiner eignen Hand. Ich verlasse mich drum vertrauensvoll auf Ihre Güte, und danke Ihnen im Voraus herzlich für Alles!

Mit den freundschaftlichsten Grüßen, auch von meiner Frau,

treu ergeben

F. Freiligrath.

Mainz, 18. August 1844.

H.

25 Ges. W. Bd. VI. S. 33. 34.

G.

26 Refrain des Liedes ›Ja, ihr habt es denn endlich vollendet‹ – Ges. W. Bd. IV. S. 297. 298.

G.

27 Diesem Anlaß entstammt das Gedicht: ›Lorbeern, Myrthen und Oliven‹. – Ges. W. Bd. V. S. 49. 50.

G.

28 Vgl. das Gedicht: Ges. W. Bd. V. S. 57.

G.

29 Vgl. Ges. W. Bd. IV. S. 332–349 und S. 367. Anm. 77.

G.

30 Valentini giebt folgende Erklärung: Spezie di zuccherini, di sapore acutissimo, composti principalmente collo spirito di canella, garofano e simili detti diavolini.

H.

31 Vgl. Ges. W. Bd. V. S. 40–72 und S. 330 ff. Anm. 9.

G.

32 Ges. W. Bd. IV. S. 310–313. Bd. V. S. 21. 22.

G.

33 Ges. W. Bd. IV. S. 310–313. Bd. V. S. 21. 22.

G.

34 Eine Sammlung Gedichte unter diesem Titel ist weder im Druck erschienen, noch handschriftlich im Nachlasse erhalten.

G.

35 Ges. W. Bd. III. S. 88.

G.

36 ›Eine ritterschaftliche Stimme beim Rothspon‹, gedruckt im Meklenburgischen Vollsbuch für 1846. S. 3, – Ges. W. Bd. V. S. 108. 109; doch vgl. ebenda S. 346. Anm. 26.

G.

37 Meklenb. Volksbuch S. 1. – Ges. W. Bd. V. S. 107. 108.

G.

38 Meklenb. Volksbuch S. 172–174 – Ges. W. Bd. V. S. 109–111.

G.

39 Ges. W. Bd. V. S. 111. 112.

G.

40 Aus einem Briefe vom 27. August 1844 an Rudolf Müller.

G.

41 Ges. W. Bd. VI. S. 34. 35.

G.

42 Ges. W. Bd. III. S. 249. 250.

G.

43 Ges. W. Bd. V. S. 3.

G.

44 Ges. W. Bd. VI. S. 35. 36.

G.

45 ›Letztes Lied für Männerchor, componiert Ende des Sommers 1847‹, Op. 76. H. – Ges. W. Bd. III. S. 138. 139.

G.

46 Ges. W. Bd. V. S. 3–19 und S. 327. Anm. 1.

G.

47 ›Vierzig Kinderlieder‹ Nr. 12. 17. 18. und 30.

H.

48 Elvira Detroit; siehe Nachträge.

G.

49 Ges. W. Bd. VI. S. 36. 37.

G.

50 Ges. W. Bd. VI. S. 38. 39.

G.

51 Ges. W. Bd. VI. S. 40–42.

G.

52 Johanna Kapp; siehe Nachträge.

G.

53 Ges. W. Bd. III. S. 104.

G.

54 Ges. W. Bd. VI. S. 42. 43.

G.

55 Ges. W. Bd. V. S. 117–119 und S. 346. Anm. 29. Diese Gedichte sind auch Dingelstedt anonym zugeschickt worden; vgl. Rodenberg: Franz Dingelstedt. Blätter aus seinem Nachlaß. Berlin. 1891. Bd. II. S. 1. 2.

G.

56 Vgl. Johannalieder. Ges. W. Bd. I. S. 323 ff. und S. 403. Anm. 71.

G.

57 Ges. W. Bd. VI. S. 45. 46.

G.

58 Ges. W. Bd. VI. 44. 45.

G.

59 Ges. W. Bd. II. S. 180. 181.

G.

60 Ges. W. Bd. VI. S. 46.

G.

61 Es erschien unter dem Titel:

›Ilius Pamphilius und die Ambrosia. Von Bettina Arnim. 1. 2. Bd. Berlin. 1848. Expedition des v. Arnim'schen Verlags.‹

Es fand nicht den Beifall im Publicum, welchen Bettinas Freunde erwartet hatten. Vgl. Blätter für lit. Unterhaltung 1849. S. 14. 15. und daselbst 1848. S. 1331. den Auszug aus dem Athenaeum.

H.

62 Die Vorrede ist nie gedruckt und auch wol nie geschrieben worden.

H.

63 Arlikona.

G.

64 Ges. W. Bd. II. S. 182–184.

G.

65 Ges. W. Bd. V. S. 40–72 und S. 330–342. Anm. 9.

G.

Zweiter Teil

5. Band
[3] Fünfter Band.
(1848 bis Frühling 1854.)
Zufriedenheit ist ein Vergnügen,
Das kann Philistern nur genügen –
Ich lieb' auf Erden Kampf und Streit.
Zufriedenheit ist Wunsch der stillen
Spießbürger ohne Kraft und Willen –
Ich lieb' auf Erden Kampf und Streit.
Zufriedenheit ist nur für Sklaven,
Die glücklich sind nur wenn sie schlafen –
Ich lieb' auf Erden Kampf und Streit.
Zufriedenheit ist Tod des Strebens
Und Stillstand alles freien Lebens –
Ich lieb' auf Erden Kampf und Streit.
Drum will ich bleiben unzufrieden,
Will kämpfen, kämpfen stets hienieden,
Ich kämpfe mit dem Tode noch! 1

So sang ich mich hinein in das Neue Jahr 1848 und ahndete nicht, daß alle Welt unzufrieden mit ihren alten Zuständen sich anschickte, neue bessere zu erkämpfen. Ich lebte die winterliche Zeit [3] jedoch sehr friedlich und sehr zufrieden mit den Verhältnissen, welche mir durch die gütige Fürsorge meines lieben Freundes Rudolf Müller lieb und werth geworden waren. Ich konnte fleißig arbeiten. Der Besuch von Verwandten, Freunden und Nachbaren, der auf allen Gütern üblich ist zu jeder Jahreszeit, hörte auch bei uns nicht auf, aber er störte mich wenig, mitunter war er mir sogar angenehm.

Das Durchsuchen und Ordnen meiner Bücher machte mir viel Arbeit und ich konnte damals schon mit Recht darüber anmerken: ›Eine Geschichte meiner Bibliothek wäre zugleich eine Geschichte einer langen unnützen Quälerei.‹ Und doch mußte ich einmal wieder ans Ordnen gehen, wenn ich die vielen Bücher, Flugblätter, schriftlichen Sammlungen und Musicalien für mich nutzbar machen wollte. Sehr angenehm war mir die Beschäftigung mit den Volsliedern und meinen Aphorismen, die ich aus den Acten und Drucksachen der Zwecklosen Gesellschaft ausschrieb und zusammenstellte. Noch angenehmer jedoch, daß ich neue Lust am Dichten hatte, ich dichtete aber nur – Kinderlieder zu schönen Volksweisen. Sie erschienen nachher unter dem Titel: ›37 Lieder für das junge Deutschland. Vom Verfasser der »Unpolitischen Lieder«.‹ (Leipzig. W. Engelmann. 1848. 8°. 37 SS. mit eingedruckten Melodien).

Dr. Zarncke hatte seine Eltern besucht. Wir waren öfter beisammen und hatten Vieles besprochen. Er reiste den 12. Januar wieder nach Berlin.


[Dort trat er mit Bettina in Verbindung, welche noch immer mit dem Plane umging, den Erlös ihres Buches ›Ilius Pamphilius und Ambrosia‹ dazu zu verwenden, um die von Hoffmann für seine Bibliothek geforderte Kaufsumme von 2000 Rb. demselben sicher zu stellen. In seinem Briefe an Hoffmann vom 30. Januar 1848 spricht Zarncke die zuversichtliche Hoffnung aus, daß Ostern 1849, wenn die Buchhändlerzahlungen eingegangen sind, die 200 Rb. für Hoffmanns Bibliothek zur Verfügung stehen. In demselben Briefe theilt Zarncke mit, daß Bettina den zweiten Theil ihres Buches mit einem Aufsatz über Hoffmann beginnen wolle, und bittet daher den Dichter um nähere Angaben für diese Arbeit.]


Ich suchte nun Alles, was mir für Zarncke's Zwecke geeignet schien, zusammen und schickte es ihm schon den 3. Februar mit einem [4] langen Briefe, worin ich auf dieses und jenes noch aufmerksam machte. Daß ich damals schon damit umging, mein Leben zu schreiben, erhellt aus folgender Stelle: ›Beifolgende Sammlung theile ich Ihnen unter der Bedingung mit, daß ich nach nicht zu langer Zeit, also spätestens Anfang Aprils, Alles wieder erhalte, jedes Blättchen, jedes Zettelchen. Sie wissen, daß ich seit Jahren damit umgehe, selbst meine Erlebnisse zu schreiben. Da ich jetzt nicht weiß, was ich Alles dazu brauche, so muß ich das Gesammelte vollständig beisammen halten.‹

Da in dem Zarnckeschen Anliegen von meiner Poesie gar nicht die Rede war, so hatte ich mich darüber zunächst ausgesprochen und zwar also: ›In der ersten Zeit meines dichterischen Auftreten (1821) haschte ich nach jeder öffentlichen Aeußerung, ohne mich jedoch weiter dadurch bestimmen zu lassen. Das zeigt die Sammlung meiner Gedichte vom Jahre 1827. Da ich mich nie um die Journalistik kümmerte und früh schon eine amtliche Stellung einnahm, so war das schon Anlaß genug für die Tagesschriftsteller, mich als einen Unzünftigen schlecht zu machen und bei jeder Gelegenheit zu necken und zu zausen. Trotzdem hatte sich nach und nach die Journalistik zur Anerkennung bequemt und ließ sich im Jahre 1834, als meine Gedichte in einer neuen zweitheiligen Sammlung erschienen, zu einer Besprechung und Würdigung herab und beehrte mich sogar hie und da mit Lob.‹

›Meine ganze Poesie mußte damals und muß auch noch jetzt den Leuten wunderlich erscheinen. Sie istreine Lyrik und dazu rein deutsche und will auch weiter nichts sein, unzertrennlich vom Gesang; sie hat sich allen Beziehungen auf das Ausland und das classische Alterthum von jeher fern gehalten, und verschmäht allen rhetorischen Prunk und allen sententiösen Wortschwall; sie knüpft historisch da an, wo die alte Volkspoesie in ihrer Blüthe war (16. Jahrhundert). 2

[5] Meine Poesie in ihrer ganzen Eigenthümlichkeit hat noch niemand zum Gegenstande besonderer Betrachtung gemacht und daran ist auch wol lange nicht zu denken. Vilmar wäre vielleicht am besten dazu geeignet, wenn ihn nicht seine politische und religiöse Richtung zu befangen machte. Einige Recensenten und Kritiker der neueren Zeit waren auf der rechten Fährte, lenkten aber da ab wo sie weiter gehen sollten, Rosenkranz und Hillebrand z.B. hätten leicht etwas Besseres, Treffenderes sagen können; andere ließen sich durch politische Ansichten gänzlich verblenden.‹


[Schon am 11. Februar meldet Zarncke, daß Bettina im zweiten Theil ihres Buches ausführlich über Hoffmann handeln und das Ganze dann dem König vorlegen will, um seine Theilnahme für den Dichter zu erwecken. Endlich liegt im Nachlaß noch ein dritter Brief Zarnckes vom 2. März 1848 über diese Angelegenheit vor. Hier zeigt sich bereits ein Umschwung, Zarncke klagt, daß auf Bettina gar zu wenig Verlaß sei, daß sie lieber in stündlich neuen Entwürfen herumvagiere, als etwas Bestimmtes energisch wolle. Weiter liegt über die Sache im Nachlaß nichts vor, und offenbar ist auch nichts erfolgt. Bei Bettina war vermuthlich das Feuer der Begeisterung schnell verflogen, und ihr Plan, wie so mancher andere, wurde nicht in die That umgesetzt. Vielleicht machte es auch der buchhändlerische Mißerfolg ihres Buches der Bettina unmöglich, Hoffmann in der angedeuteten Weise zu unterstützen.]


In der Mitte Februars machte ich einen Ausflug nach Wismar auf einige Tage, die ich im Kreise von Freunden und Bekannten sehr angenehm verlebte. Ich wohnte auch einer Sitzung des ›geselligwissenschaftlichen Vereines‹ bei. Dr. Haupt hielt einen Vortrag über die Reformbestrebungen auf dem meklenburgischen Landtag, worauf denn ein gemeinschaftliches Abendessen mit Trinksprüchen und Liedern folgte. Es ging nun einmal nicht anders: bei solchen Gelegenheiten mußte ich singen, einerlei ob gern oder nicht. Meine drei Lieder wurden mit Beifall aufgenommen, daß sie aber je zur Wahrheit werden würden, daran dachte niemand. So sang ich denn auch:


Der Sommer ist gekommen
Für das deutsche Vaterland.
[6]
Frisch auf drum, deutscher Michel,
Jetzt nimm die Sens' und die Sichel!
Alle Welt fort ins Feld,
Frisch und froh wie ein Held!
Nimm die Sichel :|: :|: in die Hand,
Und schneide, schneid' und erndte! 3

und es war ein altes Lied, schon vom Jahre 1843, paßte aber als ob es eben frisch gemacht wäre. Denn daß dies harmlose politische Leben seine Endschaft erreicht hatte, war vorauszusehen. Noch in Wismar erfuhr ich aus den Zeitungen schon von den Münchener Studenten-Unruhen und dem Umschwung der Dinge in Neapel.

Den 19. Februar war ich wieder in Holdorf. Mit wachsender Theilnahme verfolgten wir den Gang der Begebenheiten. Schon Ende Februars erfuhren wir von den Unruhen in Paris und den 1. März, daß der König der Franzosen fortgejagt und die Republik ausgerufen sei.

Die politische Aufregung war bei uns sehr groß und wurde durch die wichtigen Berichte der Zeitungen täglich gesteigert. Was bisher in Meklenburg geschah, schien uns zu wenig; wir wollten eine raschere, selbst mäßigen Wünschen genügendere Entwickelung. Leider waren damit unsere Freunde nicht einverstanden und einer meinte sogar, man müsse die Bewegung dämpfen. Am 14. März reiste ich nach Hamburg. Zunächst trieb mich dorthin der Wunsch, den politischen Nachrichten näher zu sein und auch die Volksstimmung kennen zu lernen. Ich fand Gelegenheit mit und bei meinen Freunden und Bekannten viel Neues zu erfahren, von Augenzeugen und aus Zeitungen. Am 19. März Mittags hörte ich zuerst von den Berliner Ereignissen und Abends nach 10. Uhr auf dem Bahnhofe die Bestätigung. Am 21. las ich den preußischen Amnestieerlaß und beschloß sofort meine Abreise. Den 22. besuchte ich noch Julius Campe. Er schenkte mir ein Exemplar meiner Unpolitischen Lieder und bemerkte dabei mit jener ihm eigenen unnachahmlichen wohlwollend lächelnden Miene: ›Die Unpolitischen Lieder sind jetzt Maculatur!‹

[7] Ich ging dann über Hagenow und Schwerin nach Holdorf. Ich fand einen Brief von Erk vor, der unter den frischen Eindrücken der Ereignisse vom 18. und 19. März geschrieben war. Darin heißt es denn unter anderm: ›Es ist eine schöne Zeit, in der wir leben. Kommen Sie zu uns und helfen mit Ihrem Rath und mit Ihrer Gesinnung, um das Vaterland zu stärken. Die Ruhe in Holdorf ist zwar schön, aber sie wird aufgewogen durch andere und viel wichtigere Rücksichten gegen das Vaterland. In Preußen sitzen jetzt viele Männer am Ruder, die Ihnen wohlwollen. Bedenken Sie, daß Sie noch eine Fülle von Kraft besitzen, die dem Vaterlande geopfert werden muß. Für Männer Ihrer Gesinnung ist es nicht mehr an der Zeit, sich als müßige Zuschauer zu geberden. Vereinigt müssen sie wirken, weil es noch Tag ist. Also heran, werther Freund, und gezeigt, daß Sie noch immer der Alte geblieben sind! Ein »grimmiges« Vivat steht Ihnen nicht mehr zu erwarten.‹

Bald darauf schrieb mir Diesterweg und lud mich ein, an der Nationalzeitung mitzuarbeiten. Den Tag nach meinem Geburtstage trat ich meine Reise nach Berlin an und traf am 5. April dort ein. Ich wunderte mich nicht wenig, daß Berlin, welches sonst durch sein buntes wühliges Leben und Treiben an eine Weltstadt erinnerte, so still und ruhig war, daß sich nirgend Soldaten, nirgend Polizisten und Gendarmen blicken ließen. Ich war bei Erk eingekehrt. Wir machten einen Spaziergang durch die Stadt. Ich glaubte noch Spuren von dem Straßenkampfe zu finden, es war aber wenig mehr zu sehen, hie und da Kugellöcher in den Wänden der Häuser. Der auch in den Zeitungen besprochene Brunnenpfeiler auf der Breiten Straße stand noch. Oben hatte eine Kanonenkugel eingeschlagen und unter der Oeffnung war aufgeklebt die Ansprache des Königs ›An meine lieben Berliner.‹

Ich blieb vier Tage, die mir aber in dem weitläufigen zeitraubenden Berlin wie Ein Tag vergingen. Ich besuchte Nauwerck und die Redacteure der Nationalzeitung Rutenberg und Zabel, und mit Erk Frau Bettina, die uns die lange Verfolgungsgeschichte ihres letzten Buches erzählte. Nachdem ich mit Erk die Herausgabe des Volksgesangbuchs gehörig besprochen und dann beschlossen hatte, reiste ich den 9. April ab und kam den 13. in Breslau an. Abends ging ich in den Löwenkeller. Wie war ich überrascht, als ich unter diese [8] Kellergäste gerieth! Ich dachte wirklich einen Augenblick, ich wäre in einen Revolutionsconvent gerathen. Junge und alte Leute von verschiedenen Lebensberufen, Bürgerwehrmänner mit Schlepp- und anderen Säbeln sprachen lärmend und laut ihre politischen Ansichten aus, keiner ließ den anderen recht zu Worte kommen. War das ein Lärm, ein Getöse! Ich kannte meine ›guttmittigen‹ Breslauer nicht wieder.

Am 15. April kam ich beim Staatsministerium ein um Wiedereinsetzung in meine Professur, in Folge des königlichen Amnestieerlasses vom 20. März, worin es ausdrücklich heißt: ›– und weil Ich die neu anbrechende große Zukunft Unseres Vaterlandes nicht durch schmerzliche Rückblicke getrübt wissen will, verkünde Ich hiermit: Vergebung allen denen, die wegen politischer oder durch die Presse verübter Vergehen und Verbrechen angeklagt oder verurtheilt worden sind.‹ – Den Tag über hielt ich mich sehr zurückgezogen, den Abend besuchte ich mit Resch den Annakeller. Viele in der Gesellschaft, die sich plötzlich zu tapferen Fortschrittsmännern hinauf geschwindelt hatten, blickten auf mich in ihrem stolzen Selbstbewußtsein mitleidig herab.

In diesen Tagen sah man in Breslau an mehreren Straßenecken einen großen gelben Bogen angeklebt: ›Der Minister in der Hölle‹, 4 illustriert. Ich war nicht wenig überrascht: das Gedicht war von mir, ich hatte aber an dieser Art von Veröffentlichung und noch dazu in jetziger Zeit nicht den mindesten Antheil. In Berlin hingegen glaubte man, das Gedicht sei jetzt erst von mir verfaßt und das Bild dazu von mir veranlaßt. Man konnte sich nicht denken, daß in einer Zeit, wo Wort und Bild erst wieder frei geworden waren, selbst die harmlosesten Menschen einen Kitzel verspürten, auch einmal etwas auszuführen was früher sehr strafbar gewesen wäre. Das Gedicht ist allerdings von mir in Breslau verfaßt, aber schon im Jahre 1842, und steht zuerst gedruckt in den ›Deutschen Liedern aus der Schweiz‹ 1842. S. 146, fällt also unter die Amnestie vom 20. März 1848. Aus sicherer Quelle habe ich später erfahren, daß gerade dieser Eckenanschlag ein Hauptgrund gewesen ist, mich nicht wieder anzustellen. Einem Minister in Amt und Würden sollte [9] es doch gleichgültig sein, ob sein früherer College in der Hölle oder sonstwo ist.

Abends besuchte ich den ›demokratischen Club.‹ Wie sehr Mancher von der Macht und dem Einflusse der Demokraten überzeugt war, das konnte ich aus manchen Aeußerungen abnehmen. So bemerkte mir einer, als ich sagte, ich hätte mich an das Staatsministerium wegen Wiederanstellung gewendet: ›Was? an das Ministerium? wozu? Besteigen Sie morgen das Katheder, lesen Sie, das ist eine vollendete Thatsache, und – Sie sind wieder Professor in Amt und Würden!‹

Denselben Abend wurden noch mehrere Katzenmusiken gebracht. Den folgenden Abend begnügte sich das Volk nicht mehr mit diesen zeitgemäßen Kunstleistungen, es tobte lärmend auf den Straßen umher und fing in seinem Uebermuth an, mehrere Bäckerläden zu stürmen und zu plündern. Erst um 12 Uhr ward es ruhig und um 1 wurden erst Soldaten sichtbar. Das was ich bis jetzt gehört und gesehen, war durchaus nicht geeignet, Vertrauen zu erwecken auf die Fähigkeit derjenigen, welche sich an die Spitze der Volksbewegung gedrängt hatten. Verstimmt über die schon jetzt von mancherlei Seiten gefährdete politische Entwickelung verließ ich Breslau.

Am 18. April war ich in Görlitz. Man beabsichtigte mir einen Fackelzug zu bringen. Das unterblieb, weil man erfahren hatte, daß ich dergleichen Kundgebungen, wie gut sie auch gemeint, doch in jetziger Zeit für unpassend hielt. Trotzdem fanden sich einige Sänger vor unserem Hause ein – ich wohnte bei Leopold Haupt – und brachten mir ein Ständchen.

Den andern Tag begab ich mich nach Berlin, kehrte bei Erk wieder ein, besprach mit ihm das Volksgesangbuch und setzte dann am 20. April meine Reise fort. Ich blieb nur wenige Tage in Holdorf, den 6. Mai war ich wieder bei Erk. Wir arbeiteten nun sehr fleißig an dem Volksgesangbuch, ich hatte keine Zeit mich um andere Dinge viel zu bekümmern. HofrathFeiler, den ich zuweilen sah, gab mir Nachricht über den Stand meiner Anstellungs-Angelegenheit. Den 11. Mai erzählte er mir, der neue Cultusminister Graf Schwerin habe drei Räthen meine Sache übergeben und gesagt: ›Es versteht sich von selbst, daß er wieder angestellt wird.‹ [10] Mit Herrn Jellinghaus von Magdeburg war ich öfter zusammen. Mit ihm ging ich in die Versammlung im Opernhause, wo unter dem Vorsitze von Prutz die Wahlcandidaten für Frankfurt aufgestellt werden sollten. Man bestürmte mich, doch auch aufzutreten, ich würde gewiß gewählt etc. Nachdem ich einige Augenblicke zugehört hatte, war meine Neugier befriedigt und wir gingen weiter.

Unser gemeinschaftlich begonnenes Buch war fertig. Am Tage der Eröffnung des deutschen Parlaments, 18. Mai, schrieb ich mein Vorwort. Erk wollte nicht auf dem Titel stehen. Ich konnte aber doch seinen Antheil nicht verschweigen und suchte seinen Verdiensten in der Vorrede gerecht zu werden. Das Buch erschien in kleinem Formate unter dem Titel: ›Deutsches Volksgesangbuch von Hoffmann von Fallersleben. Mit 175 eingedruckten Singweisen, und Nachrichten über die Dichter und Tonsetzer.‹ (Leipzig. Verlag von Wilh. Engelmann. 1848. SS.).

Den 20. Mai verließ ich Berlin. Vier Wochen war ich dann wieder in Meklenburg, meist in Holdorf. Schnelle erzählte mir viel vom Vorparlamente und von dem Funfzigerausschuß, dessen Mitglied er gewesen war. Ich kam öfter wieder nach Buchholz, und machte einen mehrtägigen Ausflug nach Hohenfelde. Sonst lebte ich in ländlicher Stille und arbeitete fleißig. Schon lange hatte ich daran gedacht, das deutsche Volksleben in Liedern darzustellen. Jetzt ging ich an die Ausführung. Ich suchte aus meinen gedruckten und handschriftlichen Liedern Alles hervor was in diesen Rahmen paßte. Ich ordnete dann die ganze Ausbeute nach den Jahreszeiten und suchte durch neue Lieder die Lücken auszufüllen. Es war für mich eine wohlthuende Beschäftigung, daß in diesen Tagen der Aufregung und Ermattung, während sich Andere mit der politischen Seite unseres Volkes abmühten, ich mich an seiner poetischen freuen und erquicken konnte.

Nach einem kurzen Aufenthalt in Berlin traf ich am 2. Juli in Fallersleben ein, hocherfreut daß ich endlich unangefochten meine Heimat und mein Geburtshaus wieder betreten durfte. Als ich eben angekommen war, führte man mich in eine Volksversammlung. Ich war nicht wenig erstaunt über die völlig verwandelten ehrsamen Spießbürger. Wenn sie sonst zusammen kamen und sich über das Wetter und ihre Tagesbeschäftigungen ausgesprochen hatten, setzten sie sich[11] an den Spieltisch und ihre ganze Unterhaltung drehte sich um's Spiel, und wenn das letzte Spiel gemacht, die Pfeife ausgeraucht und das Glas ausgetrunken war, ging jeder sehr befriedigt nach Haus. Jetzt hatte sich eine lebendige Theilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten aller Gemüther bemächtigt, man kam zusammen, las Zeitungen und besprach sich über die Tagesfragen und Neuigkeiten, es war eine Bürgerwehr und ein politischer Club entstanden, und der bisherige Gesangverein zu frischem Leben erwacht.

Am 15. Juli ging ich über Braunschweig nach Hannover. Um 10. Uhr brachten mir die Turner mit Fahne und Fackeln ein Ständchen, begleitet von einer großen Volksmenge. Ich freute mich sehr: es war eine öffentliche Antwort des Volkes auf die geheimen Umtriebe der hannoverschen Regierung gegen mich, aber freilich kein Schutzmittel gegen spätere Unbill. Ich dankte mit einem zeitgemäßen Spruche. Ich sprach sehr laut und deutlich, jedes Wort hallte wieder auf dem weiten Platze. Die Ruhe und Stille der vielen Hörer war so groß, daß ich selbst feierlich gestimmt und innig bewegt wurde. – Ich war dann auf einige Tage bei meinen Verwandten in Bothfeld, hierauf in Braunschweig, endlich abermals in Fallersleben. Den nächsten Sonntag (30. Juli) ging ich in die Kirche. Der Pastor nahm in seiner Predigt Bezug auf die Zeitverhältnisse und schloß mit einem alle Herzen sehr ergreifenden Gebete. Als ich heim kam, hatte sich eben die Bürgerwehr vor unserm Hause aufgestellt und begrüßte mich mit einem Hoch. Es war ihr Dank für das Wehrmannslied, das ich für sie gedichtet und gedruckt ihr verehrt hatte. 5 Trotz dem vielen Erfreulichen, was ich erlebte, wurde die Erinnerung an meine Ausweisung immer wieder wach, die fünf Jahre der Verbannung aus meiner Heimat konnte ich noch immer nicht vergessen. 6

Den 5. August nahm ich Abschied von den Meinigen. Die nächste Zeit bis zu Anfang Octobers war ich wieder in Meklenburg, meist in Holdorf. Nach so vieler Aufregung und Anstrengung suchte ich Ruhe und Stille, und ich fand beides. Auch glaubte ich hier die Entwickelung meiner Wiederanstellungssache besser abwarten zu können.

[12] Obschon ich der politischen Entwickelung Meklenburgs bisher viele Theilnahme gewidmet hatte, so hielt ich doch jetzt eine weitere Mitwirkung für übrig, meine Freunde nahmen sich der Sache eifrig an und erzielten an den meisten Orten ganz ihren Wünschen entsprechende Erfolge. Ueberdem betrachtete ich mich seit Erlaß der Amnestie wieder als einen Angehörigen des preußischen Staats und mein meklenburgisches Hintersassenrecht als erloschen. Dennoch betheiligte ich mich noch bei den Wahlen der Wahlmänner und der Abgeordneten.

Den 9. October reiste ich nach Berlin, um an Ort und Stelle meine Angelegenheiten besser zu betreiben. Am 10. gehe ich zu Ladenberg; obschon seine Sprechstunde ist, werde ich – nicht angenommen. Daraufhin überreicht am 11. October ein Freund meine Eingabe wegen Wiederanstellung dem Ministerpräsidenten von Pfuel. Noch denselben Abend erzählt mir Feiler aus den ministeriellen Verhandlungen, daß ich Wartegeld, wahrscheinlich mit Abzug von 100. Thlr., bekommen würde.

Am 20. October begab ich mich nun nach Meklenburg. In der Freude, daß ich doch etwas für mich erreicht hatte, kehrte ich nach Holdorf zurück, um es bald für immer zu verlassen. Nach einigen Tagen erhielt ich ein Schreiben des Cultusministers vom 20. October, wonach mir ein Wartegeld von 375 Thlr. zugesichert ward. Weil zur Erhebung dieses Geldes ein fester Wohnsitz in Preußen nothwendig war, so bereitete ich Alles vor zu meiner Uebersiedelung. Nach zehn Tagen hatte ich meine Sachen geordnet und eingepackt und am 30. October nahm ich von Rudolf Abschied.

31. October bis 27. November in Berlin. Auf der Bibliothek bin ich häufig und sehe die Liedersammlungen durch, außerdem vollende ich zu Hause das Verzeichniß der Compositionen meiner Lieder, welches in der ›musikalischen Zeitung‹ erscheinen soll.

9. November. Große Aufregung in der Stadt. Die National-Versammlung, vom König aufgelöst, tagt weiter. Um 12 Nachts besuche ich in Begleitung einiger Abgeordneten den Saal der National-Versammlung und setze mich auf den Präsidentenstuhl. Ringsum Alles still und leer. Sic transit gloria mundi.

10. November. Ich gehe erst nach 11. Uhr aus, als eben die Bürgerwehr zusammen getrommelt wird. Bald darauf ist von ihr das Schauspielhaus ringsum besetzt. Auf die Kunde: ›die Soldaten [13] kommen!‹, eile ich unter die Linden und sehe dann vom Opernplatze aus mir den Einmarsch der Truppen an. Darauf eile ich nach dem Gendarmenmarkt und finde einen Platz unter der Bürgerwehr oben auf der Treppe des Schauspielhauses. Drinnen tagt die National-Versammlung, draußen haben sich neben der Bürgerwehr Soldaten aufgestellt. Ein seltsames Schauspiel! Es finden Verhandlungen statt zwischen Wrangel und Rimpler, dem Bürgerwehr-Commandanten. Ich bleibe bis nach Sonnenuntergang, besuche die National-Zeitung und als ich von da zurückkehre, ist auf dem Gendarmenmarkte keine Bürgerwehr und kein Wrangel mehr.

18. November. Um 10 Uhr Morgens zur Civil-Pensions-Casse in der Hausvogtei. Aus dem Finanzministerium ist noch kein Anweisungs-Rescript eingelaufen. Ich gehe ins Finanzministerium, Soldaten wehren mir den Eingang. Nachdem ich nachgewiesen, was ich will, darf ich eintreten. Nach langem Warten wird mir die Anweisung zugestellt. Ich kehre zur Casse zurück. Man macht mir viele Schwierigkeiten, ich soll z.B. nachweisen, daß ich seit dem 20 März in Preußen gewohnt habe und dergleichen. Nach stundenlangem Hin- und Hergeschicke und Fragen werden mir endlich die 250 Thlr. ausgezahlt.

Es war mir jetzt unheimlich geworden: überall wo man ging, wohin man kam, Soldaten, Constabler und Gendarmen, überall Unmuth, Niedergeschlagenheit, Furcht und Angst. Ich sah mir noch einige Tage die Sache an und reiste ab, zunächst nach Köthen.

Den 27. November ging ich nach Leipzig und verweilte dort einige Tage, wozu ich mancherlei Anlaß hatte. Bussenius wünschte, daß ich eine neue Ausgabe meiner politischen Gedichte veranstaltete unter dem Titel: ›Zeitlieder.‹ Ob er den Verlag für sich oder für das Verlagsbureau (Arnold Ruge) übernehmen wollte, weiß ich nicht mehr. Ich ging darauf ein, meinte jedoch, daß ich nur in Holdorf, wo noch meine sämmtlichen Schriften zurückgeblieben wären, ein solches Unternehmen jetzt ausführen könnte.

Ueber Köthen begab ich mich nach Braunschweig (5. December). Der Ort hatte damals eine ganz besondere Anziehungskraft für mich. Er war mir freilich immer lieb durch die Erinnerungen an meine Jugend, und in den letzten Jahren lieb geworden durch die freundliche Anerkennung meiner Gesinnung und Dichtung. Was mich aber[14] jetzt mehr freute als alles das, war meine Nichte Ida zum Berge, die hier lebte. Sie wollte sich zur Clavierspielerin und Lehrerein ausbilden lassen, wohnte in der Pensionsanstalt von Fräulein Luise Grünert und ertheilte dort und in einigen Familien Clavierunterricht, während sie vom Herrn braun selbst Unterricht empfing. Ida war in diesem Lebensberuf auf eigene Neigung, mehr aber noch auf den innigen Wunsch und durch die Unterstützung der Frau Sturtevant gelangt, die sich durch liebevolle Theilnahme seit Jahren als eine Freundin von Idas Familie bewiesen hatte.

Vor zwei Jahren sah ich hier Ida zuerst. Durch ihr anmuthiges Wesen und ihr treffliches Clavierspiel erregte sie meine Aufmerksamkeit. Sie war ein junges hübsches liebenswürdiges Mädchen, das wie so manches andere mich im Augenblicke freute, dann aber, wenn auch nicht vergessen, doch nicht Sehnsucht in meinem Herzen hinterließ, sie durchaus wiedersehen zu müssen. Am 1. Juli dieses Jahres sah ich sie wie der. Sie sah in unendlicher Freude mir entgegen, eine Jungfrau in der Fülle der Jungend und mit einer lieblichen Anmuth und Selbstständigkeit in ihrem Wesen, dass ich erstaunt und entzückt war. Kein Wunder dass ich seitdem eine stille Sehnsucht nach ihr hegte.

Und so kam ich denn jetzt mitten im Winter nach Braunschweig und blieb hier sechs Tage. Wie sehr ich durch gegenseitige Besuche und Einladungen in Anspruche genommen war, so musste ich doch Ida jeden Tag sehen und sprechen. Ich fühlte, dass sie mehr geworden war als meine Nichte und ich schied endlich von ihr in dem frohen Gedanken, dass ich durch sie und mit ihr endlich ein Glück erreichen könnte, das ich oft gesucht, aber nie gefunden hatte.

Darum dachte ich jetzt ernstlicher denn je daran, eine Stellung zu gewinnen, die es mir möglich machte, einen häuslichen Heerd zu gründen. Ich ergriff jede Gelegenheit, welche mir Hoffnung dazu bot. Ich hatte aus guter Quelle vernommen, der Wolfenbüttler Bibliothecar Dr. Schönemann wolle seinen Abschied nehmen, weil er jetzt völlig erblindet seinem Amte nicht mehr vorstehen könne. Ich begab mich deshalb zum Minister von Genso und bat ihn, mich zu brücksichtigen, wenn es wirklich einmal dazu käme, dem Dr. Schönemann einen Nachfolger zu geben. Wir sprachen wol eine Stunde mit einander. Der Herr Minister war sehr freundlich, er meinte,[15] wenn einmal die Stelle in Wolfenbüttel erledigt wäre, so würde er meiner gedenken, und sagte zuletzt: ›Ich werde das also, was Sie mir mitgetheilt haben, als amtlich betrachten; es bedarf Ihrerseits weiter keiner Eingabe.‹

Den 11. Dezember kehrte ich nach Berlin zurück, um dort meinen bleibenden Wohnsitz zu nehmen. Daselbst erhielt ich aber sofort von der Polizei den Befehl, die Residenz binnen 24 Stunden bei Vermeidung der Verhaftung zu verlassen. So war ich am 14. wieder in Holdorf, ebenso zu meiner wie aller übrigen Überraschung. Ich lebte nun sehr still und zurückgezogen, arbeitete fleißig und wurde durch niemanden gestört: Rudolf war meist in Schwerin als Abgeordneter und seine Frau auf Reisen. Zu meinem Leidwesen war das Wetter fast unaufhörlich sehr unfreundlich, kalt stürmisch und an Spazierengehen in Feld und Wald war wenig zu denken.

Im neuen Jahre (1849) war meine wehmütige Stimmung eine nachhaltige, denn unsere Zustände wurden täglich trostloser. Obschon ich wenig Hoffnung mir machte, dass meine Ausweisung aus Berlin zurückgenommen würde, so schien es mir doch Pflicht, Alles dafür zu versuchen. Am 5. Januar wendete ich mich mit einem Gesuch an das Ministerium des Innern, ich drang jedoch nicht durch.

Ich arbeitete nun ruhig weiter, meist an der ›Walhalla‹, den 1000 deutschen Liedern mit Melodien, las Mancherlei, schrieb Briefe und dichtete. Nach dem lebendigen, freilich oft mehr auf-, als anregenden Verkehr des vorigen Jahres hatte ich mich nach Ruhe gesehnt, bald aber wurde es mir hier zu ruhig, zu einsam: bei dem steten Wechsel von Kälte, Schneegestöber und Stürmen war ich auf mein Zimmer beschränkt und hatte niemanden, dem ich mich hätte mittheilen können. Wie Ovidius (libr. trist. 3) konnte auch ich sagen:


Nullus in hac terra, recitem si carmina, cuius
Intellecturis auribus utar, adest.

Wie nothwenig mir zu meinem Dichten Theilnahme Anderer schien, geht aus meinen damaligen Aufzeichnungen hervor. Den 21. Januar schrieb ich: ›Wie anders, wenn nur ein einziges Wesen um mich, in meiner Nähe, das an meinen Freuden und Leiden, prosaischen und poetischen, leidlichen Antheil nähme! Ferner ist es ein wahres Bedürfnis für mich, singen zu hören. Es wird mir oft schwer, diesen Mangel zu ersetzen, ich verfalle dann in ein ordentliches[16] Singefieber, trommle und tanze dazu, daß jemand, der den Grund nicht weiß, und das alles auch nur aus der Ferne anhört, mich für verrückt hält.‹

Mit Ida unterhielt ich einen lebhaften Briefwechsel. Ich hatte ihr meinen Wunsch öfter schon mündlich ausgesprochen, sie möchte sich doch jetzt auch mit der Theorie der Musik beschäftigen, damit sie befähigt würde, selbst componieren zu können, auch empfahl ich ihr das Studium der Volksweisen.

Am letzten Januar schrieb ich ihr einen langen Brief und schloß: ›Ich entbehre es jetzt schmerzlicher als je, daß ich nicht selbst so viel spielen kann, daß es mir möglich wird, den Werth jeder Melodie sofort zu ermitteln. Meine Studien bringen mich nun einmal fortwährend ins Gebiet der Musik, ohne Musik kann ich nicht mehr leben. Wärst Du nur etwas in der Nähe, ich würde das schlechteste Wetter nicht scheuen, zu Dir eilen und Du müßtest dann mit Deinen langen Virtuosenfingern mir in einer Stunde viele hundert Melodien vorspielen! Ja, ich bin sehr allein und, wie ich gestern einer Freundin schrieb, nur auf eine Person beschränkt, mit deren Verkehr ich mich schon seit vielen Jahren begnügen muß, der ich jedoch immer neue Seiten abzugewinnen weiß, so daß mir meine Einsamkeit erheitert wird. Und diese Person ist meine Wenigkeit.

Die Poesie hat mich unter diesen traurigen Verhältnissen gerettet. Sie hat mich getröstet, erquickt, gestärkt und erhoben, daß ich am Ende doch noch kein Philister geworden. Nun, das wirst Du auch an meinem Briefe sehn.

Ich bin auch durchaus nicht niedergeschlagen durch den Umschwung, den auf Einmal die politische Entwickelung genommen hat. Die Idee der Freiheit wird trotz aller Reaction doch zur Verwirklichung kommen. Die Philister, die ihr bis jetzt noch entgegen sind und durch Masse, Geld und Aemter herrschen, sind doch auch nur von dieser Welt und der Teufel wird schon so gütig sein und sie gelegentlich holen.

Also Muth, meine Geliebte, und Geduld! Unser wird der Sieg und wenn auch nicht heute und morgen, so doch einmal.

Wann schreibst Du nun? Jetzt will ich doch mal sehn, ob Du Deine neue Würde als Dichtergeliebte behaupten, ob Du meine glühende Sehnsucht nach Dir mit wenigstens 8 Seiten erwiedern wirst!‹

Den andern Tag packte ich meine Bibliothek ein. Zwölf Kisten [17] wurden gefüllt, zugenagelt und mit Adresse und Nummern versehen. Erst am 3. Februar war ich mit diesem lästigen Geschäfte fertig. Ich nahm Abschied von Holdorf mit den Worten des Lamennais: ›L'exilé partout est seul.

Ida war durch meine Briefe in Verlegenheit gekommen und wußte nicht was sie darauf antworten sollte. Sie wendete sich deshalb an ihre ältere Schwester Alwine und diese schrieb ihr am 9. Februar:

›Daß Du Onkels Briefe mitgeschickt hast, hast Du sehr gut gemacht, und wenn er es wüßte, würde er gewiß nichts dagegen haben, daß wir sie auch gelesen, denn sie enthalten weder Sinn noch Worte, die auch nicht für einen Dritten wären. Ich habe Onkels Brief gleich verstanden, und es ist mir auch gar kein anderer Gedanke dabei gekommen, als daß er auf eine sehr liebenswürdige und trauliche Weise nach Dichterart darin scherzt, es liegt durchaus nichts darin was sowol Dein Herz als Dein ferneres Benehmen gegen ihn in Verlegenheit setzen könnte, es ist die Sprache einer reichen und schönen Dichterseele, die einen Gegenstand gefunden hat, wovon sie glaubt mit sich im Einklange zu sein und gleich ihr die zarte Sprache schöner Gefühle empfindet und versteht. Du kannst ihm ganz in einem solchen Tone antworten, wie er an Dich schreibt, schreib Dir das Motto »Scherz« ins Herz und schreib Alles was Dir Herz, Scherz, Witz und Schmerz eingiebt, hülle Alles in zarte Worte ein und Du wirst gewiß die richtige Antwort treffen.‹

Ida war unterdessen von mir benachrichtigt, daß ich sie abholen und mit ihr ihre Eltern besuchen wolle. Den 12. Februar traf ich in Braunschweig ein und den 14. kam ich mit ihr in Bothfeld an. Das Wetter war fortwährend schlecht, bald Regen, bald Sturm, bald Schneegestöber. Wir aber waren frohen Muthes und am Tage vor meiner Abreise war Idas Herzmein Herz geworden, und wenn wir auch nicht vor der Welt Braut und Bräutigam, so waren wir es doch für uns. Ida zu Liebe blieb ich noch zehen Tage in Braunschweig. Wir sahen uns täglich und es war mir erquicklicher bei ihr als sonstwo.

Ueberall wohin ich kam nichts als Politik und wieder Politik. Obschon noch Mancher in Hoffnungen auf eine schöne Entwicklung unserer traurigen Verwickelungen schwelgte, so konnte ich es doch nicht, ich war längst enttäuscht und sprach meine Verstimmung unverholen aus. Wie ich schon voriges Jahr ›Zwölf Zeitlieder‹ hier [18] bei F.M. Meinecke hatte drucken lassen, so ließ ich jetzt wieder ein ›Neues Dutzend‹ 7 nachfolgen. Es waren meist ältere Lieder, die mir aber jetzt erst recht zeitgemäß schienen. Ich war nicht mehr in Zweifel über unsere nächste Zukunft, ich sah schon vorher Alles zu klar, und sprach es am 1. März in meinem ›Trompeterstückchen‹ 8 aus. Ich dichtete seitdem sehr wenig: wie konnte man auch damals dichten? Vor der grauenhaften Prosa jener Tage mußte alle Poesie, aller Scherz und Humor verstummen.

Den 3. März begab ich mich nach Leipzig. Ich ging gleich nach meiner Ankunft zu Härtel (Firma: Breitkopf und Härtel). 9 Ich erschrak nicht wenig, als mir Härtel das Heft meiner Lieder zeigte so ganz in demselben Zustande, wie ich es ihm übergeben hatte vor einigen Monaten. Dreimal, sagte ich, bin ich nun um dieses Heftes wegen hier! und die Sache ist noch nicht weiter gediehen u.s.w. Er versprach mir, er wolle noch heute mit Zöllner sprechen. Den folgenden Tag ging ich zu diesem. Was war da weiter zu sagen? Zöllner hatte auf Härtel und dieser auf Zöllner gewartet und so lag die ganze Arbeit in gutem Frieden. Er versprach, jetzt die Sache in Angriff zu nehmen. Wir einigten uns dann, daß unter dem Titel: ›Deutschland. Zwölf Lieder von H.v.F.‹ etc. 12. Compositionen für den vierstimmigen Männergesang erscheinen sollten: ›Den drei Männergesang-Vereinen Braunschweigs vom Dichter gewidmet.‹

Ich mußte jetzt wegen meines Wartegeldes nach Potsdam. Justizrath Pfeiffer in Berlin besorgte es mir. Dann zog es mich wieder nach Braunschweig. Ich miethete mir eine Wohnung bei einem Bekannten und wartete auf besseres Wetter. Auf einige Tage besuchte ich dann meine Heimat und meinen Freund Grete in dem benachbarten Vorsfelde, und fand mich zu Idas Geburtstage, den 11. April wieder in Braunschweig ein. Wenn auch der meinige dies Jahr ohne Feier vorüber ging, so sollte es doch nicht für mich der ihrige. Sie war auch recht erfreut, als ob sie ahndete, daß wir unsere beiden nächsten Geburtstage nicht mehr heimatlos, sondern glücklich vereint an einem eigenen Heerde feiern würden.

[19] Den anderen Tag reiste ich ab. Ich wendete mich denm Rhein zu, um auf seiner preußischen Seite einen Wohnsitz mir zu wählen. In Köln traf ich mit Freiligrath zusammen. Er hatte sich mit seiner Familie hier niedergelassen. Ich verlebte mit ihm hier und in Düsseldorf einige frohe Tage.

Die Rheinische Zeitung war als ›Neue Rheinische Zeitung‹ wieder ins Leben getreten, sie hatte aber eine Richtung eingeschlagen, die ich unter allen Verhältnissen nicht allein bisher bekämpft hatte, sondern immer zu bekämpfen für Pflicht und Ehre hielt. Ich gerieth mit Engels in heftigen Streit, wie er behauptete: ›Wir sind sehr weit, sind keine Deutsche, wollen keine Deutsche sein, wir sind Franzosen, unsere Arbeiter verstehen alle französisch, wir haben den Code Napoléon, wissen nichts von Feudalismus etc.‹ Dergleichen lächerlichen, wahnwitzigen Behauptungen konnte man damals leider oft begegnen. Viele die sich berufen fühlten einzugreifen in die Volksbewegung, waren außer Rand und Band gegangen, und statt aufzuklären, verwirrten sie sich und andere, als ob wir nicht schnell genug da wieder ankommen könnten, von wo wir ausgegangen waren.

Noch den letzten Tag war ich bei Freiligrath. Ich las ihm und seiner Frau meine Distichen vor, die unter dem Namen ›Spitzkugeln‹ erscheinen sollten. Beide waren sehr erfreut und meinten, ich dürfe aber ja keine zurücklassen.

Den 20. April setzte ich meine Reise fort und traf den 22. in Frankfurt ein. Der Zweck meiner Reise war, Itzstein zu sprechen und das Parlament kennen zu lernen. Beides erreichte ich. Der Eindruck, den die ganze Parlamentsgeschichte auf mich machte, war kein erfreulicher: es kam mir immer vor, als ob ein anfangs blühendes Geschäft jetzt in allmählicher Auflösung sich befände und die Firma würde nur noch eine Zeitlang so fortgeführt. Es ist manches schöne, aber mehr noch manches übrige Wort für die deutsche Einheit und Freiheit gesprochen, manches Lied gesungen, manches Seidel und mancher Schoppen darauf getrunken, und es hat doch nichts geholfen.

Am 30. April wanderte ich weiter. Ich hatte an dem achttägigen Stück Parlamentsgeschichte nicht schwerer zu tragen als an meinem Gepäck, nach drei Stunden war ich zu Mannheim in Itzstein's Wohnung. Hier wollte ich es abwarten, bis die Nationalversammlung[20] zu Frankfurt und der Landtag zu Carlsruhe geschlossen wären und Itzstein frei würde – er war an beiden Orten Abgeordneter –, um dann mit ihm auf sein Gut in Hallgarten zu gehen und dort den Frühling zuzubringen. Da trat die Badische Bewegung ein; es fing an unheimlich zu werden. Am 13. Mai spazierte ich bei sehr schönem Wetter in die Rheinschanze. Unterwegs viel Getümmel: Freischärler in wunderlicher Tracht und Bewaffnung, und neugierige Wanderer, Alles bunt durch einander. Ich ging dann in das Hauptquartier und traf die Leiter der kriegerischen Bewegung: Blenker, Diepenbrock, Doll. So ernst der Anlaß zu diesen Rüstungen war und so schrecklich die Folgen sein konnten, so erinnerte mich doch das ganze Thun und Treiben zu sehr an unsere Schützengildenfeste und Carnevalsaufzüge. Ich sah Leute in ärmlicher Ausrüstung mit alten Schleppsäbeln und ausgemusterten Gewehren, aber mit einer Würde einherschreiten, daß ich mich des Lachens nicht enthalten konnte. Die Aufregung war groß, aber keine Klarheit über ein einziges, gemeinsames Ziel. Dieselben Leute, die am Morgen Einheit und Freiheit, Grundrechte, Reichsverfassung schrieen, ließen Mittags das Kaiserreich, Nachmittags den Bundesstaat und Abends die Republik leben. Dennoch galt ich bei denselben für einen ihrer Parteigenossen und auf dem heutigen Spaziergange mußte ich es erleben, daß ich überall, wo man mich erkannte, mit einem Hoch begrüßt wurde.

Am 14. Mai war ganz Baden im Aufstande. Schon den Abend vorher war der Großherzog aus seiner Residenz geflohen, die Regierung beseitigt, das Heer abtrünnig geworden, der Landesausschuß hatte die Regierungsgewalt an sich gerissen und einen Aufruf erlassen. In Mannheim war große Aufregung. Die Soldaten schlossen sich der Volksbewegung an, und eine Bürgerwehr trat ins Leben.

Ich hatte genug an diesen gewaltigen Anstrengungen aller Parteien, Alles in Verwirrung zu bringen, um schließlich weder für sich noch für das Vaterland etwas zu erreichen. Es wurde ein schreckliches Trauerspiel vorbereitet. Ich mochte nicht als müßiger Zuschauer warten, bis es in Scene gesetzt war, und wie hätte ich mich betheiligen sollen? Meine Waffe war das Lied, und diese Waffe galt bei dem großen Haufen und seinen Führern, die nur mit roher Gewalt noch etwas auszurichten hofften, gar nichts mehr. Den [21] 15. Mai ging ich nach Darmstadt und blieb dort acht Tage. Bei Leske wurden meine Distichen gedruckt. Die Auflage war nur 700 Exemplare. ›Spitzkugeln. Zeit-Distichen von Hoffmann von Fallersleben‹. ^Selbst-Verlag des Verfassers. Darmstadt. 1849. In Commission bei C.W. Leske. 8°. 33 SS. 262 Nummern.) 10

Vom 25. Mai bis 2. Juli in Geisenheim. Es that mir wohl, nicht mehr in unmittelbarer Nähe den Kriegslärm zu hören und in fortwährender Angst und Aufregung leben zu müssen. Auf den kleinen Kreis lieber Freunde und Bekannten beschränkt, hatte ich wenigstens Ruhe zu arbeiten und es blieb mir auch Zeit, in dem friedlichen schönen Rheingau allein umher zu wandeln und mir wieder gehören zu können. Freilich gab es denn immer noch Stunden, ja Tage, an denen die Aufregung groß war, wenn bedeutende Nachrichten einliefen aus Frankfurt, Stuttgart, Berlin, Wien und vom Kriegsschauplatze. Aber auch außerdem hatte sich meiner eine Unruhe bemächtigt, die wie ein schleichendes Fieber mich quälte und täglich zu wachsen schien. Ich studierte fortwährend die Landkarte, aber ich wußte nicht wohin ich mich wenden sollte, es sah überall trostlos aus. Den 14. Juni schrieb ich an Ida: ›Ich bin noch immer hier und weiß auch in der That nicht für den Augenblick wohin. In den alten preußischen Provinzen, wo das barbarische Landrecht gilt, ist es jetzt für keinen nur leidlich Freisinnigen geheuer. Das Wenigste was ich zu befürchten habe, wäre ein Preßprozeß ... Ich werde also unter solchen Umständen so lange auf dem preußischen Gebiete, wo das rheinische Recht gilt, bleiben und die Entwickelung unserer verworrenen, und sich täglich mehr verwirrenden höchst traurigen Zustände abwarten ...‹

Denselben Tag ging ich mit dem Weinhändler Schultz von Rüdesheim hinüber nach Bingerbrück zum Weinhändler Euler, um dort eine Wohnung für mich zu miethen. Euler hatte in seinem Hause noch 28. Zimmer frei und wollte mir um ein Billiges den ganzen Stock ablassen, über den Miethpreis würden wir uns später schon einigen. Acht Tage später besuchte ich den Lehrer Weidenbach in Bingen. Ich las ihm meine neuesten Spitzkugeln vor und wir bestimmten, was davon einer zweiten Auflage einverleibt werden [22] könnte. Ende Juni war der Miethvertrag mit Euler abgeschlossen. Den 3. Juli verließ ich Geisenheim nnd hoffte eine Zeitlang bei Itzstein weilen zu können. Als ich von Oestrich aus schon den halben Weg nach Hallgarten hinauf zurückgelegt hatte, erfuhr ich, daß Itzstein noch nicht zurückgekommen sei. Ich ging aber doch hinauf, packte meine Sachen um, nahm das Nothwendigste mit und fuhr um 7 mit dem Localboot nach Bingen. Bei aller schönen Gelegenheit, ein angenehmes Bummlerleben zu führen, fand ich es hier denn doch sehr bald sehr langweilig. Ich wollte wieder mir ganz gehören und litterarisch thätig sein. Nachdem meine Wartegeldsquittung amtlich bescheinigt war, schickte ich sie an einen Freund in Berlin, um für mich das Geld zu erheben. Den 16. Juli ging ich abermals nach Hallgarten.

Ich war nun, wie ich es gewünscht hatte, wieder allein. Ich dichtete, las Mancherlei und machte Auszüge. Ich hegte noch immer die Hoffnung, daß dieser Tage Itzstein heimkehren würde, und seine Leute konnten es sich auch nicht anders denken, als daß ihr Herr täglich zu erwarten sei. Leider aber war Itzstein nach Auflösung der Nationalversammlung geflohen, ganz ohne Noth. Da las ich denn in der ›Freien Zeitung‹: ›Itzstein, dessen Geist gebeugt ist unter der Schmach des Vaterlandes, weilt am Genfersee – das alte weiße Haupt in der Fremde, von Deutschen ver trieben!‹

Erschrocken über diese traurige Nachricht, beschloß ich sofort meine Abreise. Ich ordnete nun meine Sachen, schrieb noch mehrere Briefe und ging den 26. Juli nach Bingen, blieb die Nacht dort und fuhr den folgenden Tag mit der Concordia nach Köln. Dort besuchte ich sofort Freiligrath und bewog ihn, mich nach Düsseldorf zu begleiten. Wir waren den Abend bei Schmitz mit einigen Bekannten und trotz Belagerungszustand recht vergnügt. Am andern Morgen ging ich nach Bielefeld und den 29. Juli kam ich in Bothfeld an. Ich trat in das Pfarrhaus ein mit der festen Absicht, Ida zu heiraten. Ich war heiter und voll Zuversicht, daß ich mein Ziel erreichen würde. Die Zustimmung der Eltern schien mir gesichert, nur hatte der Vater als Geistlicher Bedenken: nach den hannoverschen Kirchengesetzen durfte er eine eheliche Verbindung zwischen so nahen Verwandten nicht begünstigen, ja es war vielmehr Pflicht für ihn, dagegen zu[23] wirken, er mußte deshalb auch das Aufgebot und die Trauung ablehnen.

Es handelte sich also für mich nur noch um Ida. Ich betrachtete sie seit ihrer Zusage im letzten Frühjahre als meine Verlobte. Nach den Erforschungen, die ich jetzt hier anstellte, mußte ich leider schließen, daßsie sich nicht als Verlobte betrachtete und daß es überhaupt noch sehr fraglich sei, ob sie sich je zu einer Heirat mit mir verstehen würde. Ich eilte nun zu ihr selbst nach Braunschweig, und war vom 1.–4. August oft mit ihr zusammen.

Wie der Frühling nie ohne Kampf zu seiner Herrschaft gelangt, so sollte auch der Frühling meiner Liebe erst nach manchem Sturme in mein Herz einziehen. Ida konnte sich nicht finden in ein Verhältniß, das gar nicht mit ihren Jugendträumen und Wünschen übereinstimmte. Kein Wunder! sie noch so jung, ich so alt, sie voll berechtigter Ansprüche an das Leben, ich vielfach enttäuscht und nach dem Glauben der Menschen einer der abgeschlossen haben, schon fertig sein muß mit sich und der Welt. Sie dauerte mich – es war ein heftiger Kampf in ihrem Herzen um Ja und Nein, sie war traurig, aufgeregt und endlich sehr leidend. Noch ehe ich kam, hatte sie schon diesen Kampf begonnen und sich um Rath und Trost au ihre Schwester Alwine gewendet. Diese hatte denn auch versucht sie zu trösten, aber ihr auch zugerufen – und das war noch am 3. August: ›–Bedenke deshalb wol, was Du thust, indem Du ein Herz von Dir weisest, dessen ganzes Glück und Streben nur dahin geht, Dich glücklich zu machen. Ich kann nicht ohne Schmerz an Onkel denken. Du bist sein Anker, woran das ganze Glück seines Lebens hangt. Zerreiß ihn nicht so schnell diesen schwachen Faden, der Dein Herz noch an das seine fesselt!‹

Auch ich war heftig bewegt, es war mir oft als ob mir das Herz zerspringen wollte. Nachdem ich mich mündlich und schriftlich gegen sie ausgesprochen und sie mich von einem Tag auf den anderen vertröstet hatte, entschloß ich mich weiter zu reisen. Ich ging nach Fallersleben. Zwei Stunden nach meiner Abreise hatte sich Idas Herz mir wieder ganz zugewendet. Erst am folgenden Tage erhielt ich ihr Schreiben und am 7. August kam sie selbst und begrüßte als glückliche Braut den glücklichen Bräutigam. Im Kreise unserer Familie verlebten wir frohe Tage. Mein Leben war zur [24] Dichtung 11 geworden und Ida ›war mein Taggedanke, war mein Traum.‹

Den 17. August verließ ich mit Ida meine Heimat. Wir blieben einen Tag in Braunschweig, packten ihre Sachen ein und fuhren den folgenden Tag nach Hannover. Unsere Sachen wurden auf einen Wagen geladen und wir traten unsere Wanderung zu Fuß an. Wir waren beide sehr heiter. Als mich zwei Handwerksburschen um eine Gabe ansprachen, sagte ich zu ihnen in halbernstem Tone: ›Was! ihr werdet doch von Euresgleichen nichts nehmen?‹ – Betroffen entschuldigten sie sich: ›Ach nein! ach nein!‹ – ›Nun, sagte ich lachend, es ist so böse nicht gemeint!‹ und beschenkte sie reichlich.

Im elterlichen Hause wurden wir froh empfangen und wir fühlten uns wohl und glücklich. Obschon meine Zeit sehr in Anspruch genommen wurde durch den Familienverkehr, durch Spaziergänge und Besuche, so blieb mir doch noch manche Stunde zu ruhigem Arbeiten. Schon lange hatte ich daran gedacht, die vielen Geschichten, Schnurren und Witze, womit ich mich und Andere zu ergötzen pflegte, in eine Form zu bringen, worin sie meinen Freunden und Bekannten wieder lieb und werth würden. Ich dachte mir eine Gesellschaft von Stammgästen, die sich jetzt, nachdem es gefährlich geworden, sich über Politik frei auszusprechen, auf harmlosere Weise unterhielten. Jedem besonderen Charakter sollten eben die demselben entsprechenden Geschichten in den Mund gelegt werden. Ich vertheilte den Stoff auf eine Woche, also sieben Sitzungen. Die Sache gedieh. So wie eine Sitzung fertig war, las ich sie des Abends vor. Die Theilnahme der Meinigen begünstigte mein Unternehmen und bald waren die sieben Sitzungen vollendet.

Nebenbei machte ich Studien zu einem ›Geburts-und Sterbekalender verdienstvoller Deutschen‹. Obschon ich später noch viel Fleiß und Mühe darauf verwendete, so konnte ich doch nie zum Abschlusse damit kommen, weil ich nur ganz sichere Nachrichten aufnehmen wollte. Ferner beschäftigte ich mich mit einem ›Hannoverschen Namenbüchlein‹, das ich aber erst später vollendete und drucken ließ.

[25] Jede litterarische Arbeit, die ins politische Gebiet hinüberstreifte und nicht mit der reactionären Richtung übereinstimmte, galt damals für regierungsfeindlich und konnte für ihren Verfasser von den schlimmsten Folgen sein. In Bingen wollte ich am 4. Juli mein fertiges Manuscript der 2. Auflage der Spitzkugeln dem Buchdrucker übergeben. Er kam von Rüdesheim herüber, mußte aber unverrichteter Sache heimkehren, denn kurz vor seiner Ankunft hatte ich das neue preußische Preßgesetz vom 20. Juni gelesen.

Meine angenehmste Thätigkeit war jedoch das Dichten. Ich suchte meine Liebe in Beziehung zu bringen zu den Jahreszeiten und der Gegend. Als ich zuerst in diesem Jahre wieder hier war, wollte es eben Frühling werden, und die Gegend hatte noch ihr altes Ansehn: überall Heidekraut, hie und da ein Busch, ein Baum. Jetzt war es Herbst und die Verkoppelung eingetreten, Alles war vertheilt und urbar gemacht, kein Busch, kein Baum, keine Heide mehr zu sehen bis an die stadthannoversche Gränze. Unter diesen Wandelungen entstanden meine ›Heidelieder‹. 12

Auf diese erquickliche Poesie folgte nun eine sehr unerquickliche Prosa. Um allen gesetzlichen Bestimmungen in Betreff meiner Heirat zu genügen, mußte ich mich unterziehen allerlei Schreibereien, Reisen, Besuchen und Verhandlungen. Da meine Braut als Braunschweigerin betrachtet wurde, und auf sie die braunschweigischen Gesetze Anwendung fanden, so war ein Haupthinderniß beseitigt, nämlich daß der Oheim nicht seine Nichte heiraten darf. Nach vielen Wochen Hin- und Herschreibens und Reisens zwischen Braunschweig, Hannover und Bothfeld hatte ich denn endlich eine ganze Sammlung von Scheinen herbeigeschafft, theils für mich, theils für meine Braut, als da waren: Geburts- und Confirmationsschein, Heimatsschein, Aufgebotsschein von Waldalgesheim, elterlicher Zustimmungsschein, Heiratsconsens vom Minister von Ladenberg, und braunschweigischer Magistrats-Erlaubnißschein zur Trauung. Endlich mußte ich auch um Dispens vom kirchlichen Aufgebote einkommen.

Den 26. October gingen Ida und ihre Schwester Adele nach Braunschweig, um noch Vorbereitungen zur Trauung zu treffen. Den andern Tag folgte ich nach.

[26] Am 28. October fuhren wir um 11 Uhr in die Martinikirche. Pastor Adolf Klügel hielt die Traurede. Er hatte zum Texte genommen Ruth 1, 16: ›Wo du hingehest, da will auch ich hingehen; wo du bleibest, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.‹ Er sprach sehr schön, er wußte durch die Beziehungen auf mein Leben, die freilich sehr nahe lagen, aller Herzen zu rühren. In feierlicher und bewegter Stimmung endete für uns die heilige Handlung.

Frau Sturtevant, Idas mütterliche Freundin, empfing uns dann zum Hochzeitsmale, wozu sie noch Georg Fein nebst Frau eingeladen hatte. Wir waren sehr heiter. Zweimal trug ich das Abschiedslied an Frau Sturtevant 13 vor.

Unter den Glückwünschen der Hochzeitsgäste nahmen wir Abschied und fuhren auf der Eisenbahn nach Hannover, wo ein Wagen bereit stand, der uns noch denselben Abend nach Bothfeld brachte. Frohe Herzen empfingen uns in dem festlich geschmückten Hause.

Das Wetter war für die Jahreszeit noch recht schön, und so beschlossen wir denn eine Reise nach Meklenburg zu meinen Freunden. Ida war ganz entzückt und gerührt über die freundliche Aufnahme, die wir dort überall fanden. Sie gewann sich aller Herzen durch ihr offenes, anspruchloses und heiteres Wesen und wußte dadurch und durch ihr Clavierspiel die Stimmung der Gesellschaft zu beleben und zu erheitern.

Am 19. November in Hamburg. Wir wohnten im Alsterhôtel. Obschon es recht unfreundliches Wetter war, so wanderten wir doch viel umher, besahen den Hafen, besuchten meinen Vetter F. Wiede in St. Paul und spazierten um das Alsterbecken. Das Leben und Weben einer Seestadt war neu für Ida und der wundervolle Anblick der Stadt, die sich in der Binnenalster spiegelt, machte einen gewaltigen Eindruck auf sie. Den andern Tag holte uns der Vetter ab. Wir besahen den Jungfernstieg, die Börse, fuhren durch den Hafen und speisten zu Mittag im Elbpavillon. Den dritten Tag waren wir wieder in Bothfeld. Wir dachten nun ernstlich an unsere Uebersiedelung nach Bingerbrück. Da unsere Wohnung dort noch [27] nicht eingerichtet war, so sollte ich vorher das Nöthige besorgen, Ida wollte dann mit ihrer älteren Schwester Alwine später nachkommen.

Am 30. November kam ich in Bingerbück an. Unser Wirth empfing mich sehr freundlich und führte mich in meine Wohnung ein. Ich dankte ihm, daß er mir meine Wünsche erfüllt und den allernöthigsten Hausrath und auch einige Wintervorräthe (Kartoffeln, Obst, Sauerkraut) und Feuerung besorgt hatte. Die nächste Zeit mußte ich nun noch manchen Weg machen für meine häuslichen und litterarischen Bedürfnisse. Ich gelangte wenig zur Ruhe. Als diese sich endlich einstellte, begann ich wieder geistig thätig zu sein. Ich holte mein Büchlein hervor, das ich den letzten Sommer vollendet hatte und arbeitete es um. Bei den vielen Geschichten, Schnurren und Witzen schien es, als ob ich das Unbehagliche meiner Lage vergessen hätte. Allerdings gab es Augenblicke, in denen ich mich recht freuen konnte, wenn ich im warmen Zimmer vor meinem Tische saß und hinausschaute in die schöne großartige Natur. Trotzdem wurde meine Unruhe und Sehnsucht täglich größer. In meiner winterlichen Einsamkeit schrieb ich mehrmals an Ida und bat sie flehentlich, sobald milderes Wetter einträte, sofort herüberzukommen. Während bei uns das Wetter ziemlich milde geworden, konnte ich nicht ahnden, daß bei Hannover die Kälte bis auf 20. gestiegen war.

Als die Dampfschiffahrt wieder eröffnet war, ging ich jeden Tag an den Rhein, um Ida zu empfangen. Am 22. December wurde wahr was auf Freiligrath's Petschaft: ein Amor unter Dornen ist mit der Umschrift umgeben: Après la peine le plaisir. Wie sich der Dampfer dem Strande näherte, winkten mir weiße Tücher zu, bald empfing ich freudevoll die Meinigen und führte sie nach Bingerbrück in unsere neue Wohnung.

Sie waren sehr überrascht von der prachtvollen und mannigfaltigen Aussicht aus unseren Fenstern. Da uns der ganze dritte Stock vermiethet war, so hatten wir nach allen Seiten hin etwas zu sehen: vor uns die Nahebrücke, der Scharlachberg, die Klopp, die Kirche mit einem Theil von Bingen, rechts die Straße nach Münster und die weite Ebene bis zum Donnersberge, links der Niederwald mit dem Ehrenfels, der Zusammenfluß des Rheins und der Nahe, und ganz links der Rupertsberg; hinter dem Hause der steile Bergweg nach [28] Weiler, daneben der Gießbach und rechts die Weinberge mit dem Rondel.

Ida erzählte viel von ihrer Reise, besonders von Köln, wie freundlich und liebenswürdig Freiligrath sich ihrer angenommen und sie zu allen Schönheiten und Merkwürdigkeiten geführt habe etc. Am zweiten Weihnachtstage machten wir einen Spaziergang zum Rondel. Der Weg führt auf der neuen Straße über den Rupertsberg hinauf. Ida und Alwine waren sehr entzückt über die prachtvolle Aussicht in den ganzen Rheingau bis Eltvill. Mit dem Troste, daß wenigstens die Gegend, die ich mir für unsern Aufenthalt ausgewählt hatte, den Meinigen lieb und werth war, trat ich in das Neue Jahr ein.

Am Neujahrstage 50 besuchte uns Freiherr von Reden. Seine gerade Haltung und der Ernst und die Ruhe in seinem Gesichte erinnerten mich mehr noch an einen Landsmann echt kalenbergischen Schlages als an einen Edelmann im Staatsdienste. Wir unterhielten uns über die Zeitereignisse und kamen dann auf das statistische Gebiet, womit er sich seit Jahren wissenschaftlich beschäftigt. Seine Mittheilungen über die Staatsschulden und die Kosten der stehenden Heere waren für mich sehr lehrreich.

Außer diesem Besuche hatten wir bis zu Ausgang des Frühlings weiter keinen, dessen ich noch besonders gedenken müßte. Wir suchten keinen Verkehr anzuknüpfen, wir waren uns selbst genug und hatten mit uns und unserm Hauswesen genug zu thun. Obschon Ida die ersten Wochen oft sehr leidend war, so suchte sie doch jeden gesunden Augenblick zu benutzen, die Haushaltung in allen ihren einzelnen Theilen unter der schwesterlichen Leitung kennen zu lernen. Es war sehr ergötzlich, sie in der Küche schalten und walten zu sehen, wie sie ihre ersten Versuche in der Kochkunst machte. Durch Lust und Fleiß brachte sie es bald zur Uebung und endlich zur Meisterschaft. Da wir doch nur wenig Hülfe von unserer Stundenfrau hatten, so entließen wir sie den letzten Februar und machten nun Alles selbst. Wir lebten wie die Hinterwäldler: wir holten uns die Milch vom Rupertsberge, trugen uns die Kohlen zu, ich hackte täglich Holz, und seit das Wasser auf dem Hofe schlecht geworden war und da das wilde Wasser im Postgarten sich nicht zum Trinken eignete, so spazierten wir täglich zur Quelle der Hildegard und schöpften uns dort zwei Krüge voll. Dies Wasser war so klar, daß Fremde, die es [29] schöpfen wollten, gewöhnlich zu tief mit dem Glase hinunter fuhren und sich dann den ganzen Arm benetzten. Auf den Wochenmärkten in Bingen kauften wir Gemüse und Fleisch. Schwarzbrot und Eier holten wir uns oft aus den benachbarten Dörfern. Semmelwecke bereiteten wir uns selbst und trugen sie zum Bäcker. Als ich eines Tages die beiden fertig gewordenen abholen wollte, machte die Frau Bäckerin ein bedenkliches Gesicht: ›Sie wollen sie also selbst tragen?‹ – ›Allerdings!‹ – ›Nun, meinte sie, das geniert einen großen Geist nicht.‹

So weit es meine Arbeiten erlaubten, nahm auch ich an diesen häuslichen Verrichtungen Theil. Eines Abends, als Ida und Alwine den ganzen Nachmittag gewaschen hatten, schloß ich alle Thüren ab, machte Feuer an, wusch auf, verlas Salat, schnitt Schinken auf, briet Kartoffeln, bereitete Spiegeleier, setzte Maitrank an und deckte den Tisch. Als Alles auf dem Tische stand, schloß ich die Thüren auf und ließ die hungrigen Wartenden ein und erquickte sie. Wir machten den americanischen Grundsatz ›Arbeit schändet nicht‹ zur deutschen Wahrheit. Bei Anderen wäre gewiß das Sprichwort zur Geltung gekommen: ›Hoffart muß Zwang leiden.‹

In den ersten Tagen des Januars war mein neuestes Buch fertig. Anfangs hatte ich ihm den Titel gegeben: ›Die lustige Gartengesellschaft‹, dann ›Der Nationalclub‹, und endlich ›Das Parlament zu Schnappel.‹ Ich wollte auch einmal Selbstverleger sein und die von Schriftstellern so sehr beneideten und so glänzend geschilderten Erfolge eines Verlags kennen lernen. Ich wendete mich an den Buchdrucker Dettmer in Rüdesheim. Nach kurzer Verhandlung wurden wir einig: für Satz und Druck zahlte ich ihm bei einer Auflage von 1000 Exemplaren 13 Fl., Papier lieferte ich. Schon in der Mitte Januars begann der Druck und den 29. März (am Charfreitag) war das große Werk vollendet: ›Das Parlament zu Schnappel. Nach stenographischen Berichten herausgegeben von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Bingerbrück. 1850. Selbstverlag. 8°. 256 SS.).

Freiligrath nahm großen Antheil an diesem meinem neuesten Büchlein. Da es mit dem Selbstverlag nicht recht gehen wollte, so bat ich ihn, doch bei seinem Verleger anzufragen, ob derselbe vielleicht geneigt [30] sei, den Vertrieb zu übernehmen. Im Juli schrieb mir Freiligrath und sendete zugleich ein Briefchen des Herrn W.H. Scheller (Schaub'sche Buchhandlung): ›Die gewöhnlichen Bedingungen sind folgende: Ich erhalte 50 Prozent vom Ladenpreise, dagegen trage ich alle Unkosten, wie Ankündigungen etc. Der Termin der Abrechnung würde Ostermesse 1851 sein.‹ Ich war damit einverstanden und schickte ihm in zwei neuen Kisten 1000 Exemplare. Noch ist keine Ostermesse für mich gekommen. Von den 1000 Exemplaren à 1/2 Rb. habe ich nie wieder etwas gehört oder gesehen. Das Einzige was ich von den mir zukommenden 333 Rb. 10 Sgr. hatte, waren einige Musicalien für Ida im Werthe von 4 Rb. 28 Sgr.!

Der Winter dauerte recht lange und schien uns hier fast noch schlimmer als in unserer Heimat: wir hatten Frost, Schnee, Sturm, endlich Thauwetter, Eisgang, Ueberschwemmung und Nachtfröste. In unserer großen dünnen Wohnung, die mit Thüren und Fenstern nur zu reichlich ausgestattet war, fühlten wir das Ungemach des Winters nur zu sehr und zu lange, so daß unser Humor oft nur unter Null stand. Während ich mich durch Dichten und Lesen zu erheitern wußte, fehlte Ida einer ihrer größten Lebensgenüsse: die Musik. Es hatte sich noch keine Gelegenheit ergeben, ein gutes Instrument zu kaufen, das zum Leihen angebotene entsprach nicht den bescheidensten Ansprüchen. Nun ward es aber Frühling und mit Sang und Klang, mit Duft und Blumen kam die Freude in unsere Herzen. Täglich, wenn es nur leidliches Wetter war, flogen wir ins Freie hinaus, überall fanden wir herrliche Aussichten, auf den Bergen, am Rhein, an der Nahe. Wir brachten immer die schönsten Blumen heim, auf unsern Tischen und vor den Fenstern standen immer frische Sträuße. Als das Wetter beständiger wurde, machten wir weitere Ausflüge nach dem Münsterkäppchen, Scharlachkopf, Niederwald, Rheinstein, Rüdesheim, Hallgarten, Johannisberg, Kreuznach.

Die Aussichten für den Verkauf meiner Bibliothek waren seit Bettinas Bemühungen nicht besser geworden, meine jetzige Lage aber forderte dringender wie damals dies theuere Besitzthum nutzbar zu machen. Den 1. März wendete ich mich an den Minister von Ladenberg mit der Bitte, den Ankauf meiner Bibliothek zu bewerkstelligen, für die Handschriften begehrte ich 1500 Rb., und die der Berliner Bibliothek fehlenden Werke wollte ich zu Preisen ablassen, [31] die ihrem Werthe und ihrer Seltenheit entsprächen. Zu Anfange Mais antwortete der Minister, der Herr Oberbibliothecar Pertz würde mit mir unterhandeln. Am 20. Mai traf dann von diesem ein Brief ein: er bot mir 1000 Rb. für die Handschriften und die niederländischen Bücher.

Ich war außer mir. Einem wohlhabenden, angesehenen, regierungsbeliebten und in seinen Augen anständigen Manne hätte der Herr Geh. Rath so etwas nie zu bieten gewagt, aber einem gemaßregelten, verfolgten, endlich wieder amnestierten armen Teufel wie mir konnte er mit vergnügter Aussicht auf Erfolg einen solchen Spottpreis bieten. Aergerlich über die vielen bisherigen zeitraubenden und kostspieligen und immer vergeblichen Bemühungen, meine Bibliothek zu verwerthen, entschloß ich mich endlich, dieser Quälerei ein Ende zu machen, zumal nun auch der letzte Versuch gescheitert war, ein höheres Gebot beim Herrn GR. Pertz zu erzielen, und schrieb ihm, daß ich sein Gebot annähme.

Unterdessen war unsere Sehnsucht sehr groß nach unseren Verwandten, und wir beschlossen eine Reise nach Bothfeld. Den 28. Juni gingen wir mit dem Dampfschiffe nach Köln und dann auf der Eisenbahn nach Hannover. Gegen Mittag waren wir in Bothfeld. Ich verweilte vierzehn Tage bei den Meinigen. So wenig die Natur bot, so gingen wir doch viel ins Freie und pflückten Blumen. Wenn wir zu Hause waren, wußten wir uns immer angenehm zu unterhalten: Ida sang und musicierte viel und ich beschäftigte mich mit litterarischen und sprachlichen Studien und dichtete. Oefter machten wir einen Spaziergang nach Hannover. Anlaß dazu gab es mehrmals die Woche: Ida hatte nämlich Unterricht im Generalbaß beim Musikdirector Anton Krollmann. Ich begleitete sie jedesmal und pflegte dann, während sie Unterricht hatte, Besuche zu machen.

Nachdem der Ankauf meiner Handschriften und niederländischen Bücher von Seiten der königlichen Bibliothek zu Berlin erfolgt war, mußte ich von Meklenburg aus die dort aufbewahrten in den Kauf begriffenen Bücher aussuchen, einpacken und nach Berlin senden.

Den 15. Juli trat ich meine Reise nach Meklenburg an. Den andern Tag war ich bereits in Holdorf. Meine elf Bücherkisten standen auf dem Kornboden. Ich ließ sie alle öffnen und begann dann meine Arbeit. Sie verursachte mir viel Kopfschmerzen, denn [32] der Raum war eng, dunkel und dumpfig. Nachdem ich die nach Berlin verkauften Bücher ausgesucht und wieder eingepackt hatte, wurden die übrigen neu verzeichnet und nachdem auch dies geschehen, ebenfalls wieder eingepackt. Den 22. Juli war ich mit diesem langweiligen Geschäfte fertig.

Den 8. August traf ich wieder in Bothfeld ein. Mehrere Tage konnte ich mich von den Strapazen der Reise nicht wieder erholen, und wurde schließlich noch recht unwohl und verstimmt. Obschon mich Ida durch Musik und Gesang zu erheitern suchte, so blieb doch bei mir wie bei den übrigen eine trübe Stimmung vorherrschend, die täglich durch traurige Nachrichten aus unserer Nachbarschaft genährt wurde: die Cholera wüthete im Göttingschen und Braunschweigschen und forderte noch täglich ihre Opfer. Endlich verstummte auch die Musik, Ida bekam einen schlimmen Finger und ward sehr leidend.

Ich suchte mich zu trösten in der Poesie, und so entstand denn in diesen trüben Tagen ›Des Sängers Trost.‹ 14 Wie wenig ich von der Gegenwart und nächsten Zukunft erwartete, darüber sprach ich mich klar aus, und mein letztes Lied 15 vor der Abreise aus Bingerbrück war ein Zeugniß dafür. Ich dichtete jetzt Kinderlieder, Lieder für ein neues Geschlecht, denn von dem jetzigen erwartete ich nichts mehr.

Als Ida wieder wohl war und nach lieber langer Zeit zum ersten Male wieder spielte und sang, waren wir hocherfreut. Sie spielte mir mehrmals eine wunderschöne Melodie von Friedrich Burchard Beneken, wozu ich noch denselben Tag einen neuen Text 16 dichtete.

Nachdem wir alle wieder wohl und munter waren und hätten abreisen können, war das Wetter hinderlich. So traten wir denn erst den 11. September unsere Heimreise an. In Bingerbrück fühlten wir uns bald wieder heimisch. Hatten wir im Frühling die Weinberge nur durchstrichen, um von dort aus neue schöne Aussichten zu gewinnen, so sollten sie uns jetzt noch andere Genüsse bereiten. Die [33] Trauben waren bereits reif und lachten uns überall an. Mit bewundernswerther Freigebigkeit führten uns unsere Nachbaren und guten Bekannten in ihre Weinberge nah und fern. Nicht allein, daß wir uns jedesmal satt aßen, wir wurden auch noch mit den schönsten Trauben beschenkt und brachten jedesmal in Taschen und Körben einen reichen Schatz heim. Dies Vergnügen wiederholte sich sehr oft bis zur Weinlese, wir besuchten wol an die zwanzig Weinberge, und hatten unsern Saal voll Trauben hangen bis in den December hinein.

... Mitte Decembers war ich mehrere Tage in Wiesbaden. Ich wohnte bei Dr. J. Schenckel. Wir und unsere Familien hatten sich schon im Sommer kennen gelernt und wechselseitig besucht. Schenckel war sehr wissenschaftlich strebsam und in mehreren Gebieten des Wissens gut bewandert und schriftstellerisch thätig. Er hatte seit Jahren an einer Blumenlese aus deutschen Dichtern des 19. Jahrhunderts gearbeitet, und biographische Nachrichten hinzugefügt, die ihm auf sein Ersuchen von mehreren Dichtern mitgetheilt waren. Sein Werk 17 erhielt dadurch vor vielen anderen einen besonderen Werth, leidet aber wie alle übrigen in Betreff der Auswahl an großer Einseitigkeit. Schenckel war zum Ernsten und Elegischen sehr geneigt und in dieser Gefühlsrichtung pflegte er auszuwählen. An Geschick und besonders an Fleiß fehlte es ihm nicht, wol aber muß ich bezweifeln, daß er im Besitze der nothwendigsten Hülfsmittel war: ich, der ich doch gar nicht im Besitze einer derartigen Bibliothek war, konnte ihm Manches mittheilen was ihm noch nie zu Gesichte gekommen war. Die meisten Blumenleser haben oft gar keine Sammlung der Gedichte eines einzelnen Dichters gesehen, schaffen sich auch keine an und begnügen sich mit dem was ihre Vorgänger aus Musenalmanachen und Zeitschriften geschöpft haben. Wollten die Blumensammler kaufen, so würden sie den Schaden, den sie den Verlegern der Originalausgaben der Dichter anrichten, reichlich wieder gut machen.

Schenckel war sehr gefällig und nahm innigen Antheil an mir und meiner geistigen Thätigkeit. Er wünschte sehr, daß das was ich [34] eben schrieb, nicht allein erschiene und auch Anderen Freude machte, sondern auch etwas Geld einbrächte. Er führte mich nach Mainz zu Johann Baptist Wirth (Firma: J.G. Wirth Sohn), dem ich meine ›Liebeslieder‹ antrug. Er machte eine Berechnung und wir einigten uns: 1000 Exemplare und für jede Auflage 100 fl. Der Vertrag wurde doppelt ausgefertigt und unterzeichnet. Am Nachmittag waren wir wieder in Wiesbaden. Später verhandelte ich an Wirth mein Rheinleben, jedes Lied mit der Melodie für 1 fl.

Am 19. December reiste ich mit der Post von Wiesbaden bis Reichardshausen und ging dann zu Fuß nach Hallgarten hinauf. Itzstein freute sich sehr, zumal ich bei so schlechtem Wetter ihm nicht vorbeigegangen war. Ich fand Itzstein viel wohler als das letzte Mal und wieder lebensfroher. Als er mich aber den andern Tag nach Oestrich begleitete, fand ich denn doch, daß sein Geist sehr gestört war, die Unterhaltung wurde für mich sehr peinlich und der Abschied schwerer als jemals.

Seit der Winter begonnen, hatten wir viel schlechtes Wetter, Frost und Schnee, und manchen Tag einen so undurchdringlichen Nebel, daß wir aus unseren Fenstern kaum die Brücke sehen konnten. Wir suchten uns in guter Stimmung zu erhalten. Ida musicierte viel und suchte so sich und uns zu erheitern; seit Anfang Octobers hatten wir ein eigenes Instrument und so war einer ihrer Lieblingswünsche erfüllt. Schlimmer aber als das Wetter wirkte auf unser Gemüth die immer näher rückende Kriegsgefahr. Das Trauerspiel in Kurhessen war noch nicht zu Ende gespielt. Wir hatten viele Durchmärsche und mußten uns, obschon wir nur zur Miethe wohnten, doch mehrmals Einquartierung gefallen lassen. Ob es zum Kriege kommen würde, gegen wen und wofür? wußte eigentlich niemand. Der Wunsch aber, daß unsere Truppen zum Schutze des kurhessischen Volkes aufgeboten wären, war bei uns ziemlich allgemein.

Ich suchte mich geistig und leiblich zu beschäftigen, um jede unangenehme Stimmung zu bewältigen. Den 14. November schrieb ich in mein Tagebuch: ›Diesen Morgen ist ein großes, großes Fuder Wurzelstöcke angelangt. Ich werde nun fleißig Holz hacken und nebenbei dichten. Ich weiß nicht, welche Beschäftigung von beiden die zeitgemäßere ist.‹ [35] Das Holzhacken war leider das Zeitgemäßere: denn die Rückwärtserei war wieder oben auf, nach allen Seiten hin thätig, und ließ es an Verdächtigungen, Verläumdungen, geheimen und öffentlichen Angebereien nicht fehlen; sie fand überall Freunde und Helfershelfer; alle Zeitungen, Zeitschriften, Wochen- und Flugblätter dienten bewußt und unbewußt der politischen Umkehr. Auch die Schreiber der Litteraturgeschichten stimmten plötzlich einen andern Ton an, als ob sie jetzt erst für Pflicht erkannt hätten, jeden Dichter schlecht machen zu müssen, der jemals ein freies Wort oder auch nur eine der herrschenden Partei mißliebige Ansicht ausgesprochen hatte. Daß auch ich diesen Herren jetzt ein willkommener Sündenbock war, läßt sich denken. Leute, die noch vor wenigen Jahren mir persönlich Achtung erwiesen, sich mir als meine Gesinnungsgenossen vorstellten, fielen über mich her wie über einen vogelfreien Sträfling.

Ich war oft sehr betrübt über so manche traurige Erscheinung der Gegenwart, dann aber auch wieder hoffnungsvoll und muthbeseelt, zumal wenn ich die vielen Soldaten über unsere Brücke hinüber und herüber ziehen sah. Da rief ich dann auch das Schillersche


Auf der Degenspitze die Welt jetzt liegt –
Drum wohl, wer den Degen jetzt führet!

und es war mir dann, als ob ich mich anschließen und mitmarschieren müßte, zumal eines Morgens, als ich mit Ida zum Fenster hinaus sah und ein ganzes Regiment in dem Augenblicke als es eben die Brücke betrat und gleichsam jenseits in Feindesland eindrang, mein Lied anstimmte: ›Morgen marschieren wir, ade, ade, ade, ade!‹ Diese kriegerische Stimmung kehrte oft wieder, und so dichtete ich denn Soldatenlieder, wozu ich Volksweisen benutzte oder auch eigene versuchte.

So kam das Weihnachtsfest heran und wir feierten es wie wir es seit unserer Kindheit nach heimischer Weise gewohnt waren: ein Weihnachtsbaum mit brennenden Lichtern, Flittern, vergoldeten Aepfeln und Nüssen beleuchtete die kleinen Geschenke, die wir uns einander bescherten, und wir aßen fröhlich zu unserm Kaffee den selbstgebackenen Kuchen.

Am Silvester-Abend sagten die Meinigen: ›Heute haben die Weiber die Herrschaft.‹ Gut. Da bereitete ich das Essen: ich kochte [36] Kartoffeln, machte einen schönen Puffer und sott dazu eine Frankfurter Wurst. Dann deckte ich den Tisch, brachte alle Gerichte herein und rief meines Erfolgs bewußt wie ein erfahrener Koch, der nicht erst Rumohr's Geist der Kochkunst zu kennen braucht: ›Es ist angerichtet!‹ Zum Nachtisch brachte ich noch Apfelschnitte, die ich in Butter, Mehl und Zucker gebraten hatte, und Alles war gut. Zu meiner größten Freude las ich in Idas Tagebuche: ›Silvester, dich habe ich immer sehr fröhlich gefeiert, aber nicht so innig ruhig, meines Glückes bewußt.‹

Das Neue Jahr (1851) begann für mich mit der Freude, daß nächstens meine Liebeslieder erscheinen würden. Diese Freude war um so größer als Ida seit Jahr und Tag diese Lieder so lieb gewonnen hatte.

Sie erschienen, die Johannalieder nebst einigen anderen, im Ganzen133, unter dem Titel: ›Liebeslieder. Von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Mainz. Verlag von J.G. Wirth Sohn. 1851. 16° 142 SS.) 18 Zu ihrem Geburtstage überreichte ich Ida ein Exemplar mit einer Zueignung. 19 Einige Wochen später folgten meine Rheinlieder: ›Rheinleben. Lieder von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Mainz. Verlag von J.G. Wirth Sohn. 1851. 8°. 35 SS.) 20 – 20 Lieder mit in den Text gedruckten Melodien.

Unterdessen war uns unser idyllisches Leben sehr verleidet worden, namentlich durch unsern Wirth, der sich täglich wunderlicher und alberner gegen uns benahm und zuletzt ganz feindselig auftrat. Er wollte uns kündigen, ich kam ihm aber zuvor und kündigte ihm den 1. Februar. Allerdings lebten wir ja ganz glücklich unter uns und mit uns, wir fühlten aber doch, daß es in der gewohnten Weise nicht fortgehen würde und könnte. Die Gegend war freilich wunderschön, aber zu einem edlen genußreichen Leben gehören Menschen, die vielseitig gebildet, geistig angeregt und anregend sind, und unsere Theilnahme zu erwiedern sich bestreben. Die Leute hier waren gegen uns[37] ganz freundlich und nett, das ist aber Alles was sich von ihnen sagen läßt. Sie waren eben wie die Rheinländer, die leichten Sinnes,. vergnügungssüchtig und eingenommen für sich, meinen, weil der Rhein so schön, herrlich und vortrefflich, wären sie es auch, und es wäre gar nicht nöthig weiter auf der Welt etwas zu sein als ein Rheinländer, und mehr zu wissen und zu können als was nöthig ist um als anständiger Mann am Rhein zu leben.

Trotzdem wollten wir den Rhein nicht verlassen, wenn wir nur einen Ort fänden, der einigermaßen unseren Bedürfnissen entspräche. Die Wahl war uns eben so schwer, wie sie im vorigen Frühjahre Freiligrath geworden war, als er Köln mit einem anderen rheinischen Orte vertauschen wollte. Nachdem wir über verschiedene Rheingegenden Nachrichten eingezogen hatten, wählten wir Neuwied. Den 19. Februar fuhr ich mit Ida hinüber. Wir besahen uns eine Wohnung beim Oberlehrer Henckell und einigten uns über den Preis und die Einziehzeit.

Zum 1. Mai war unsere Abreise festgesetzt. Wir hatten bis dahin Zeit genug, bequem unsere Uebersiedelung vorzubereiten. Ich machte einige Ausflüge und nahm Abschied von Freunden und Bekannten im Rheingau, in Wiesbaden, Mainz und Bingen. Einen Theil unsers Hausraths verkauften wir, den übrigen übergaben wir einem Fuhrmann, unser Clavier nahmen wir mit auf's Dampfschiff. Den 30. April trafen wir nach einer nicht eben sehr angenehmen Fahrt in Neuwied ein.

Wenn man auf dem Rhein mit dem Dampfschiffe an Neuwied vorüberfährt und in die breiten geraden Straßen mit den eben nicht hohen Häusern sieht, dann ist es ganz verzeihlich mit Simrock auszurufen: ›Das moderne, regelrecht-nüchterne Neuwied!‹ Hat man aber erst einige Tage dort gelebt, so vermißt man recht gerne was die Romantiker an den alten Rheinstädten ebenfalls schön und herrlich finden. Es thut einem recht wohl, in den breiten, geraden, reinlichen Straßen zu wandeln, wo Platz genug ist für Menschen, Wagen und Pferde, wo das Auge nicht alle Augenblicke finsteren Gesichtern, Lungerern und Tagedieben in schmieriger Tracht, oft sogar in Lumpen begegnet, wo man nicht alle Augenblicke von verwahrlosten Kindern, verkommenen Strolchen und scheinheiligen alten Weibern angebettelt wird.

[38] Wenn Neuwied durch sein Aeußeres und wol auch sonstwie einer nordamericanischen Stadt ähnelt, so ist es doch durch und durch eine deutsche Stadt, die sich unter den Rheinstädten einen ehrenvollen Rang errungen durch seine Bildung und seinen Gewerbfleiß und sich vor allen auszeichnet durch wahrhaft christlichen Sinn gegen Andersgläubige und Andersdenkende. Friedlich wohnen hier mit und neben einander Reformierte, Lutheraner, Katholiken, Herrnhuter, Mennoniten, Quäker, Freigemeindler und Juden, eifrig bemüht, ihre geistigen und leiblichen Fähigkeiten zu entwickeln und für sich und Andere geltend zu machen. Der Geist des Stifters und der erften Ansiedler hatte sich auf ihre Nachkommen fortgeerbt, und so mußte Neuwied allmählich das werden was es jetzt ist.

Nachdem wir uns wieder häuslich eingerichtet hatten, wollten wir Land und Leute kennen lernen: wir machten Besuche bei einigen Familien und unternahmen manchen Ausflug in die Umgegend. Das Thal dehnt sich sehr weit aus und das Gebirge ringsum ist ziemlich fern. So aus der ersten Hand wie in Bingerbrück hat man die schönen Aussichten nicht, dennoch ist jeder etwas weitere Spaziergang ein lohnender. Wir wanderten nach allen Richtungen hin und fanden uns ganz befriedigt in der Mannigfaltigkeit der Aussichten, die hier größer ist als sie Bingerbrück gewährt; übrigens beschränkten wir uns vorläufig nur auf die rechte Rheinseite.

Am Nachmittage nach unserer Ankunft besuchte ich Fahr in Gesellschaft des Oberlehrers Henckell und einiger anderer Herren. Wir kehrten bei Hechtmann ein und begaben uns in den ›verlorenen Sohn‹, so genannt nach den Kupferstichen, welche die Geschichte des verlorenen Sohns darstellten und der einzige Kunstzierrat des kleinen Zimmers waren. Auf dem Tische stand ein Becher mit Fidibus. Ich entfaltete einige und bemerkte sofort, daß sie zu einem Stammbuche gehörten. Ich fragte den Wirth, ob er noch das Buch habe, woraus die Fidibus gemacht wären. Er brachte es, ich war sehr überrascht in dem erhaltenen Theile noch so viele berühmte Namen zu finden: Joh. Albert Fabricius, Michael Richen, Christian Thomasius, J.P. von Ludewig, Joachim Lange, Christian Wolf u.a. Das Stammbuch hatte einem jungen Theologen Namens Langerhans gehört, der das Hamburger Gymnasium besucht und dann in Wittenberg und Halle studiert hatte. Herr Hechtmann [39] schenkte mir das Büchlein und ich verehrte es später Sr. kön. Hoheit dem Großherzog von Weimar, der es dann der bedeutenden Stammbuchsammlung der Weimarer Bibliothek einverleibte.

In den ersten Wochen hatten wir Besuche gemacht bei einigen Familien, deren Umgang uns als wünschenswerth empfohlen worden war. Wie es aber bei manchen Dingen im Leben geht, so auch in der Wahl unseres Umganges: so etwas läßt sich nicht suchen, sondern nur finden. Nach und nach gestaltete sich für uns ein wechselseitiger angenehmer geselliger Verkehr, wir waren glücklicher im Finden als im Suchen. Die Ansprüche der Meinigen waren sehr mäßig, und um so anspruchloser sie auftraten, um so angenehmer war ihnen die freundliche Begegnung und das zutrauliche Wesen, das sie überall fanden. Bald fühlten sie sich heimisch und ich mit ihnen in Kreisen, die uns bald lieb und werth wurden und auch blieben. Es waren besonders die Familien Otto Remy, Piel, Gilbert, Radermacher, Henckell, Major Wever, Colonius, Schadt, in Heddesdorf Wilhelm Buchholtz und Julius Ingenohl, und Ludovici auf der Aubach, ferner Rector Götz, Dr. Goldfuß, Karl Remy und Maler Gapp.

So sehr auch unsere Uebersiedelung meine gewöhnliche Beschäftigung unterbrochen hatte und wie zeitraubend auch anfangs unser neue gesellige Verkehr war, so machte sich doch bald der Trieb geltend nach geistiger Thätigkeit, und so war ich denn früh genug wieder mitten im Dichten und wissenschaftlichen Arbeiten. In freudiger Hoffnung begrüßte ich in den letzten Tagen des Mais meine dichterische Stimmung:


O tausend Dank auf's Neue,
Dank dir, du Sangeskunst,
Für deine Lieb' und Treue,
Für deine Gnad' und Gunst! 21

Den 20. Mai erhielt ich die Correctur der letzten Bogen meiner Heimatklänge. Bald darauf erschienen sie: ›Heimathklänge. Lieder von Hoffmann von Fallersleben‹. (Mainz. Verlag von J.G. Wirth Sohn. 1851. 8°. V. 52 SS.) 22 – 46 Lieder, denen ein [40] ›Nachweis einiger Melodien und Compositionen‹ beigefügt war. Anfang Julis sendete mir Brockhaus die Revision meiner Soldatenlieder. Auch sie erschienen bald nachher: ›Soldatenlieder von Hoffmann von Fallersleben. 20. Lieder mit Melodien, theils ein-, theils mehrstimmig.‹ (Mainz. Verlag von J.G. Wirth Sohn. 1851. kl. 8°. 36 SS.) 23. Unterdessen hatte ich eine neue Sammlung von Soldatenliedern vollendet und abermals meist Volksweisen dazu benutzt. Herr Gustav Flügel, Musikdirector am Seminar, war mir bei den Melodien behülflich und lieferte zu einem Liede eine eigene Composition.

Mehr als je fühlte ich in meiner jetzigen Lage die Nothwendigkeit, mir durch Schriftstellerei etwas zu verdienen, größer aber als je waren die Schwierigkeiten. Früher war ich im Besitze ausreichender Hülfsmittel, jetzt sah ich mich beschränkt auf einen kleinen Vorrath der nothwendigsten Bücher und es bot sich in der Nähe für meine Studien nichts dar als die Schulbibliothek in Coblenz und die Universitäts-Bibliothek in Bonn.

Eines schönen Tags machte ich einen Ausflug nach Bonn. Welcker erlaubte mir, nach Neuwied mitzunehmen was ich für meine Zwecke fände. Als ich den anderen Tag mich nach diesem und jenem Werke erkundigte, war es entweder gar nicht da, oder beim Buchbinder, oder ausgeliehen. Mit leeren Händen kehrte ich heim und hatte von meiner Reise nichts weiter als daß ich den Mittag bei Simrock speiste, den Abend bei Ritschl in seiner Gesellschaft mich befand und den andern Morgen mit Venedey frühstückte.

Den 31. Juli wurde ich auf dem Kreisgerichte als ›Zeuge‹ (wie es in der Vorladung hieß) vernommen. Es wurde mir ein ›Deutsches Liederbuch von Hoffmann von Fallersleben‹ in einer 2. Auflage: ›Leipzig. Verlagsbureau (Arnold Ruge) 1850‹ vorgelegt, und man fragte mich, ob ich dies Liederbuch herausgegeben. Ich erklärte, daß ich gar keinen Antheil daran hätte; die drei hier vereinigten Hefte wären im Literarischen Comptoir in Zürich gedruckt, als Eigenthum an Ruge übergegangen und schon im Jahre 1848 durch obigen Titel zu einer Sammlung vereinigt worden. Zum Beweise dafür konnte ich glücklicherweise die erste Auflage vorlegen, worin [41] die Gassenlieder, Salonlieder und Hoffmannschen Tropfen mit ihren ursprünglichen Titelblättern von Jahre 1845 vorkamen. Der Richter nahm das zu Protocoll, und ich war entlassen. Schwerlich galt diese richterliche Vernehmung dem neuen Verleger, es schien mehr auf mich dabei abgesehen zu sein. Schon in Bingerbrück hatte ich mich der besonderen väterlichen Huld des Herrn Oberpräsidenten von Kleist-Retzow zu erfreuen, die sich jetzt, seit ich ihm näher gerückt war, öfter und deutlicher kund gab.

Im August begann ich die neue Ausgabe des Reineke. Die Berliner Bibliothek sandte mir dazu meine Vergleichung des Dresdener Exemplars des Reineke vom Jahre 1517. Ich arbeitete sehr fleißig und war am 21. September fertig. Gegen Ende dieses Jahrs war der Druck vollendet: ›Reineke Vos. Nach der Lübecker Ausgabe vom Jahre 1498. Mit Einleitung, Anmerkungen und Wörterbuch von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Zweite Ausgabe. Breslau 1852. Grass, Barth & Comp. Verlagsbuchhandlung (C. Zaeschmar.) 8°. XXVI. 223 SS.)

Während ich auf diese Weise für unsern Haushalt, der jetzt kostspieliger geworden war, etwas zu erwerben suchte, wollte auch Ida ein Gleiches thun: sie fing an in befreundeten Familien Clavierunterricht zu ertheilen und freute sich, daß sie eine liebgewordene Kunstthätigkeit mit Erfolg wieder ausüben konnte.

Die Fortsetzung meiner Horae belgicae lag mir sehr am Herzen. Leider hatte ich mich alles Stoffes vor Jahren entäußern müssen und die Benutzung meiner ehemaligen Hülfsmittel, jetzt alle in der königlichen Bibliothek zu Berlin, war weitläufig und kostspielig. Dennoch kam ich jetzt in diesen ruhigeren Tagen immer wieder auf meine niederländischen Studien zurück, und so führte mich die Poesie hinein: ich fing nämlich an altniederländisch zu dichten. Die Freude über jedes gelungene Lied war immer wieder die Geburt eines neuen, und so entstanden ihrer 28, die ich dann wie alte Lieder behandelte und mit sprachlichen Anmerkungen versah. Am 10. October schrieb ich dazu eine Einleitung.

Um diese Zeit erschien die zweite Sammlung mei ner Soldatenlieder. Erk hatte mir einen Verleger besorgt und die Melodien redigiert. Um nicht gewisse Leute davon abzuschrecken, hatte ich meinen Namen weggelassen. ›Soldatenleben. Lauter schöne neue Lieder für Schützen und Musketiere, für Jäger und Canoniere, für Husaren, [42] Ulanen, Dragoner und Cürassiere, für den ganzen Wehrmannsstand in unserm lieben Vaterland. Mit Singweisen.‹ (Berlin. 1852. K.W. Krüger's Verlagsbuchhandlung. 16°. 34 SS. 22 Lieder.) 24

In den letzten Tagen des Novembers erhielt ich einen Brief aus Leipzig, der mich sehr überraschte.


[Der Advokat Schellwitz in Leipzig, dessen Hülfe Hoffmann im Jahre 1842 gegen Hoffmann und Campe in Anspruch hätte nehmen wollen (vgl. Ges. W. Bd. VII. S. 314) machte ihm das Anerbieten, ein Wörterbuch der deutschen Sprache herauszugeben, welches der leipziger Buchhändler J.J. Weber in seinem Verlage erscheinen zu lassen beabsichtigte. Die Uebernahme dieser Arbeit wäre für Hoffmann wohl eine lebenslängliche Versorgung gewesen. Doch stellte der Buchhändler zwei Bedingungen: 1. sollte der Herausgeber seinen Aufenthalt in Leipzig nehmen und 2. sollte er ein beigefügtes Programm und den von Weber bereits entworfenen Plan des Werkes in den wesentlichsten Punkten anerkennen und befolgen.]


Wenn ich zwanzig Jahre jünger gewesen wäre und genügende Fähigkeit, Lust und Ausdauer zu einem solchen weitschichtigen, schwierigen Werke mir zugetraut hätte, so würde ich, selbst in der drückendsten Lage, aus ein solches Anerbieten nie eingegangen sein, ich würde mir meine Freiheit in der Wahl meiner Arbeit behauptet und nie zu einem Lohnarbeiter selbst des anständigsten Buchhändlers mich verstanden haben. Jetzt war nun erst gar kein Gedanke daran, auch im Traume würde mir nicht eingefallen sein, jemals gegen die Grimms ein gleiches Werk zu unternehmen oder mich auch nur dabei zu betheiligen, im Gegentheil, ich hatte bisher zu Grimm's Wörterbuch gesammelt und hoffte auch ferner mein Scherflein dazu beizutragen. Ich lehnte sofort nach Ankunft des Briefes das Anerbieten dankend ab. Wenn ich mich recht erinnere, so bemerkte ich: ›Man kann den Grimms wol nach-, aber nicht vorarbeiten.‹

Große Freude war in Coblenz, als sich die Nachricht verbreitete, Gräfin Rossi würde ihre Vaterstadt besuchen. Die Freude steigerte [43] sich zum Jubel, als sie kam und ihre Mitwirkung zu einem Concerte von Seiten des Musik-Instituts zum Besten der Armen zusagte. Das Concert war am 16. December 1851. Leider konnte ich nicht zugegen sein. Es wäre auch für mich ein hoher, seltener Genuß gewesen. Mein Freund Justizrath Kopp, Vorsteher des Musik-In stituts, hatte mich gebeten, ein Lied zu Ehren der Künstlerin zu dichten. Ich hatte dazu eine Mendelssohnsche Melodie (zu: ›Wer hat dich, du schöner Wald‹) gewählt. Es wurde noch denselben Abend nach dem Concerte am Trierschen Hofe vom Männerchor des Musik-Instituts mit Instrumentalbegleitung gesungen. 25 Ein weithin schallendes Hoch, vom Oberbürgermeister ausgebracht, und der laute endlose Jubel des Volks zogen die hochgefeierte Sängerin aus Fenster; gerührt von diesen Huldigungen dankte sie herzlich ihren lieben guten Landsleuten.

Den folgenden Tag verweilte sie einige Stunden in Neuwied. Eingeladen von dem Vorstand der Kleinkinderschule sang sie hier in einem Concerte zum Besten dieser Anstalt zwei Lieder. Der Vorstand hatte mich gebeten, der Künstlerin zu Ehren ein Gedicht zu verfassen. Ich erfüllte diese Bitte. Das Gedicht 26 war einer schönen Melodie von Luise Reichardt unterlegt und sollte im Concerte selbst gesungen werden. Da sich aber niemand getraute es vorzutragen, so unterblieb es. Was ich, ohne je die Sängerin gehört zu haben, darin ausspreche, ward nachher meine innigste Ueberzeugung und bewährte sich auch mir das bekannte ›Der Sänger ein Seher.‹

Als die Gräfin den Saal verlassen wollte, wurde ich ihr vorgestellt. Freundlich und bewegt sagte sie: ›'Ich habe mich unendlich gefreut über Ihr schönes Lied gestern Abend in Mainz (sie meinte: Coblenz). Ich habe Ihnen schon selbst schreiben wollen.‹ – ›Es wird mich recht freuen, wenn ich ein Andenken von Ihnen habe, und wenn es auch bloß Ihr Name ist.‹ – ›Ich werde Ihnen jedenfalls noch schreiben.‹ – ›Nun, fuhr ich fort, so nehmen Sie denn auch dies zum Andenken an!‹ Und somit überreichte ich ihr ein Exemplar der eben mir zugekommenen ›Sontagsfeier.‹ 27 Eine Abschrift dieses [44] Liedes, zierlich geschrieben und von allen Mitgliedern des Vorstandes der Kleinkinderschule unterzeichnet – war ihr während des Concertes in einem Blumenkörbchen überreicht worden.

Die Heimatklänge waren spurlos vorüber gegangen, wie es bei der allgemeinen stumpfsinnartigen Stimmung nicht anders zu erwarten war. Ueberdem wurde nun noch eine öffentliche Besprechung von Seiten der Behörden verhindert. Der Verleger hatte ein Exemplar der Heimatklänge nebst dem Rheinleben an die Blätter für literarische Unterhaltung eingesendet. Die Besprechung war auch erfolgt am 20. December in Nr. 132. Brockhaus zeigte dies an, jedoch mit der Bemerkung: ›Betreffende Nummer ist mir leider nach erfolgter Ausgabe in den wenigen noch vorhandenen Exemplaren mit Beschlag belegt worden, so daß ich bedauern muß, sie augenblicklich als Beleg nicht beifügen zu können.‹ Die Beschlagnahme würde sicherlich nicht erfolgt sein, wenn der Dutzend-Re censent mich nur tüchtig heruntergemacht hätte; das aber that er nicht, sondern sprach sich (S. 1199) recht wohlwollend aus.

Das neue Jahr (1852) begann ich mit dem festen Entschlusse, eine neue Ausgabe meiner Geschichte des deutschen Kirchenliedes bis auf Luthers Zeit zu veranstalten. Bei den vielen Nachträgen, die ich selbst gesammelt hatte oder der Güte meiner Fachgenossen verdankte, hielt ich die Arbeit nicht für so schwierig. Bald aber stellte sich heraus, daß sie es war: eine völlige Umarbeitung schien mir nothwendig, und dazu war viel Zeit und Mühe erforderlich, so wie eine längere Benutzung einer großen Bibliothek. Trotzdem arbeitete ich ruhig weiter und dachte: kommt Zeit, kommt Rath.

Am 12. Januar nahm ich theil an der Liedertafel, die mich vor vier Wochen mit ihrer Ehrenmitgliedschaft beehrt hatte. Es wurde ein Chor eingeübt aus Kreutzer's Falschmünzern, die Solis sang Herr Tappenbeck sehr schön. Ich war recht angenehm angeregt und bekam wieder einmal Lust, eine Oper zu schreiben. Den andern Tag entwarf ich schon den Plan, meine Hoffnung auf guten Erfolg war jedoch nur gering, in meinem Tagebuche bemerkte ich: ›An der Ausführung wird die Sache wol scheitern. Hätte ich einen tüchtigen Componisten hier! Sicherer ich hacke Holz; da ist der Erfolg nie zweifelhaft, wenn auch noch so viel Mühe aufgewendet werden muß.‹

[45] Am 22. Januar war meine Oper fertig. Weil sie in Deutschland und Amerika spielt, so gab ich ihr den Titel: ›In beiden Welten.‹ Einige Tage nachher las ich sie vor in einer Abendgesellschaft. Man war recht erfreut darüber, meinte aber, was ich später immer wieder hören mußte, der Text sei für eine Oper zu gut, und warum? weil man sich einen Operntext nicht anders denken kann als unsinnig und gemein.

Während meiner Arbeit am Kirchenliede überzeugte ich mich täglich immer mehr von der Nothwendigkeit einer Reise nach Göttingen, und so entschloß ich mich denn bei dem ersten guten Tage dahin abzureisen. Das Wetter war wochenlang sehr schlecht, fortwährend Wind und Regen. Als nun der erste ruhige heitere Tag kam, trat ich meine Reise an. Den 6. Februar war ich bereits in Düsseldorf.


[Dort besuchte Hoffmann Robert Schu mann und überreichte ihm den Text seiner Oper, in der Hoffnung, daß dieser sich bereit finden würde, dieselbe zu componieren. Aber so sehr Schumann den Text lobte, so erklärte er doch, sich mit der Composition nicht befassen zu können. Einen ähnlichen Mißerfolg trugen Hoffmanns Versuche bei anderen Musikern davon.]


10. Februar – 2. März in Göttingen.

Schon den Tag nach meiner Ankunft bezog ich eine Studentenwohnung, die mir Adolf, Idas Bruder, verschafft hatte. Ich richtete mich sofort häuslich ein und begann zu arbeiten. Die Bibliothek bot mir reichlichen Stoff, zumal in einer hymnologischen Sammlung, die wenig bekannt auf der Gallerie im historischen Saale aufbewahrt wird. Mein Hauptaugenmerk war auf das Kirchenlied gerichtet, nebenbei berücksichtigte ich jedoch auch andere Dinge. Ich hatte meine altniederländischen Lieder mitgebracht und dachte daran, sie hier drucken zu lassen. Eines Tages bot ich sie Herrn Vogel (Dieterichsche Buchhandlung) an. Wir einigten uns und der Druck begann sofort, nachdem ich dafür eine neue saubere Abschrift gemacht hatte. Noch während ich hier war, erschien mein Büchlein als Pars VII der Horae belgicae und mit dem besonderen Titel: ›Loverkens. Altniederländische Lieder von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Göttingen. Dieterich. 1852. 8°. VI. 46 SS.) 28

[46] Den Tag vor meiner Abreise schrieb ich an Ida: ›Die Zwecke, meines Hierseins habe ich so ziemlich alle erreicht: ich habe litterarischen Verkehr angeknüpft, die Bibliothek ganz gehörig benutzt, ein ganzes Buch drucken lassen und eine ziemliche Anzahl Bände meines großen Büchervorraths verkauft. Ich reise mit einer gewissen Befriedigung weiter.‹ – Wetter und Wohnung waren überdem nicht geeignet, mir meinen Aufenthalt zu verlängern, und so reiste ich den 3. März mit der Post ab. Der Morgen war kalt, die Reisegesellschaft schweigsam. In Alfeld stieg ein Schulinspector ein. Wir unterhielten uns bald sehr lebhaft. Er hätte gerne gewußt, wer und was ich wäre. Ich gab mich nicht zu erkennen. Mich ergötzte sehr, daß er so bald nicht dahinter kam. ›Man weiß nicht recht, wohin man Sie bringen soll: bald scheinen Sie ein Landwirth, dann wieder ein Kaufmann zu sein, dann erzählen Sie so von der Göttinger Bibliothek, daß man Sie für einen Gelehrten halten muß etc.‹ Endlich hatte er das Räthsel gerathen. Auf dem Posthofe in Hannover trat der Herr Schulinspector an mich heran: ›Es giebt im Hannoverschen einen kleinen Ort, der heißt Fallersleben – kennen Sie den wol?‹ Ich reichte ihm lächelnd die Hand und sagte ihm Lebewohl.

3. März – 1. April in Bothfeld. Ueber meinen vierwöchentlichen Aufenthalt will ich Einiges aus meinem Tagebuche und der Erinnerung folgen lassen.

5. März. Nach Hannover. In der königlichen Bibliothek finde ich das älteste katholische Gesangbuch vom Jahre 1537 und leihe es mir. Ich besuche dannGödeke, den ich als ich das vorige Mal in Hannover war nur flüchtig kennen lernte. Er war anfangs etwas feierlich, dann aber wurde er allmählich traulich, und ich war sehr überrascht, als ich mich in mei nen bisherigen Ansichten über ihn sehr getäuscht fand. Er bot mir seine ganze Bibliothek zur Verfügung und diese Bibliothek war für meine Studien sehr bedeutend.

6. März. Wieder nach Hannover und nur bei Gödeke. Er empfiehlt mir den Buchhändler Rümpler zum Verleger; durch Unternehmungsgeist und geschmackvolle Ausstattung seiner Verlagswerke zeichne er sich aus vor vielen seiner Collegen, und rechne es sich zur Ehre an, auch gediegene wissenschaftliche Werke zu verlegen.

8. März. Ich besuche Rümpler und verhandle mit ihm über die zweite [47] Ausgabe der Geschichte des Kirchenlieds und eine Miniatur-Ausgabe meiner Gedichte. Den folgenden Tag verhandeln wir weiter, aber erst den 15. einigen wir uns über einen Vertrag. Unterdessen sind meine Bücher aus Meklenburg angekommen. Ich habe die nächsten Tage viel zu thun mit Aussuchen und Ordnen. Adolf hilft mir. Wir haben 1112 Nummern geschrieben und in die Bücher eingelegt. Manches habe ich in Göttingen und Hannover verkauft, Manches zurückbehalten, den Rest übergebe ich Rümpler und schicke ihm später den Preiskatalog.

Den 22. März nehme ich die neue Auflage der Gedichte in Angriff, den 31. vollende ich sie und überantworte sie Rümpler.

Am 6. April war ich wieder in Neuwied. Auf den ersten Ostertag (11. April) fiel Idas Geburtstag. Wir feierten ein Doppelfest. Ida, von uns und ihren neuen Freundinnen beglückwünscht und beschenkt, war sehr erfreut und gerührt. Zu den mancherlei Geschenken, womit ich sie überrascht hatte, fügte ich noch ein Gedicht: ›Neuer Frühling, neues Leben.‹ 29 Zu den Freuden des Tags kam für mich noch eine unerwartete. Noch ehe sich unsere Abendgesellschaft einfand, hatte ich die Grundzüge entworfen zu einer neuen Oper. Ich hatte diesmal meinen Stoff nicht aus der Gegenwart, sondern aus der Vergangenheit genommen und zwar nach einem alten Liede 30: ›Der Graf von Rom‹ oder ›Der Graf im Pfluge‹, und letztere Ueberschrift für meine Oper gewählt. In den nächsten Tagen ging ich an die Ausführung und am 17. April war meine Oper vollendet.

Schon in Bothfeld hatte ich fleißig an einem Hannoverschen Namenbüchlein gearbeit. Ich benutzte dazu drei auf einander folgende Jahrgänge des Hannoverschen Adreßbuches (1849. 50. 51.). Ich wollte jetzt das Büchlein vollenden. Die Arbeit war bei aller Ergötzlichkeit und Anregung doch mitunter sehr langweilig durch das oft wiederholte Durchlesen des Adreßbuches und das viele Nachschlagen in allerlei Wörterbüchern. Um dabei den guten Humor nicht zu verlieren, machte ich einige Namen-Hexameter und Namen-Lieder, z.B.:


[48] Schiweley. Brumm. Kuckuck. Laux. Hummel. Rummel. Sanitzka.
Jerasch. Benjamin. Kiek. Schnuphase. Spanier. Hurkuck.
Boedeker. Blievernicht. Schlu. Stock. Stille. Wanke. Tovote.
Klinck. Klapp. Klopp. Prasuhm. Pretzsch. Pampel. Nottes. Malortie.

Melodie: freut euch des Lebens


Meyrose. Kuemmel.
Finck. Geier. Stieglitz. Strauss.
Pfannkuche. Rindfleisch.
Specht. Elster. Gauss.
Kohl. Stuempel. Wurst. Pabst. Vette. Frass.
Bierschwale. Glaeser. Kanne. Maas.
Hengst. Wallach. Kracke. Bock. Schaaf. Wolf.
Hundt. Hase. Jaegers. Wehmuth.

Bald darauf erschien das Büchlein unter dem Titel: ›Hannoversches Namenbüchlein. Einwohner-Namen der Königlichen Haupt- und Residenzstadt Hannover, nach ihrer Bedeutung geordnet und erläutert von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Hannover. Carl Rümpler. 8°. XVII. 66 SS.) Wenn auch mein Büchlein nicht in so manchen Kreisen freundliche Aufnahme gefunden hätte, so würde ich mich doch getröstet haben, Einem Manne hatte es große Freude gemacht, nämlich dem es gewidmet war: ›Karl Gödeke zur Erinnerung an die Märztage 1852 in Hannover.‹


Neuwied, 21. Mai 1852.
Herrn Professor Tydeman
in Leiden.

Hochgeehrter Freund!

Ihre neuliche Anfrage durch Johannes Müller hat mich unendlich gefreut: ich sehe, daß Sie leben, wohl und munter sind und meiner noch gedenken.

Zehn Jahre (von 1840 an) habe ich ein sehr bewegtes Leben geführt. Die Sehnsucht und Hoffnungen des deutschen Volkes habe auch ich mit zu verwirklichen gestrebt, und dafür viel leiden und dulden [49] müssen. Aber selbst die jüngsten Ereignisse haben mich nur betrübt, nicht gebeugt, und ich bin meinem Vaterlande nie untreu geworden und kann es auch nie werden. Es steht höher als sein augenblickliches Geschick und ich glaube fest an seine schönere Zukunft, wie Sie ja aus meinen neulichen ›Heimathklängen‹ (Mainz bei Wirth) sehen können.

Meine Errungenschaft vom Jahre 1848 ist meine Rehabilitation mit einem mäßigen Wartegelde. Seit dem lebe ich verheirathet an dem schönen Rhein in stiller Zurückgezogenheit den Meinigen und der Poesie und Wissenschaft: ich singe und dichte, forsche, schreibe Bücher, spaziere, hacke Holz und pflücke Blumen. Unser Leben ist sehr einfach und doch ganz nach Wunsch: wir erfreuen uns einer wunderschönen Gegend und eines angenehmen geselligen Verkehrs. Neuwied zeichnet sich vor fast allen kleinen Rheinstädten durch seine Bildung aus. Für meine Studien gewährt es freilich wenig, ich habe aber Bücher genug und kann von Bonn und Coblenz Manches bekommen. Zu wissenschaftlichen Werken fehlt mir freilich Vieles, denn leider war ich gezwungen, meine bedeutende Bibliothek nach und nach zu verkaufen. Ich kann jedoch das Beste und Seltenste daraus immer benutzen: ein großer Theil ist in die königliche Bibliothek zu Berlin gewandert und Vieles auch in die Göttinger. Zur Vollendung größerer wissenschaftlicher Arbeiten muß ich gewöhnlich eine Reise machen und so war ich denn zum Behufe einer zweiten Ausgabe meiner ›Geschichte des deutschen Kirchenliedes‹ noch neulich (Februar und März) vier Wochen in Göttingen und vier in Hannover. Die Ausbeute war so lohnend, daß ich den Entschluß faßte, sobald es meine Familienverhältnisse nur gestatteten, abermals auf vier Wochen nach Göttingen zu gehen und die wunderbar reiche Bibliothek, die jetzt jedes Jahr bloß für Bücheranschaffen 8000 Thaler zu verwenden hat, mit Muße zu benutzen.

Daß ich der niederländischen Sprache und Litteratur fortwährend meine Aufmerksamkeit zugewendet habe, beweisen die beiden letzten Theile meinerHorae belgicae: die P. VII. erschien 1845, die P. VII. 1852. Ich hätte gern den seit vielen Jahren vergriffenen ersten Theil neu herausgegeben, dazu wäre aber eine Reise nach Holland und Belgien unerläßlich nothwendig, und dazu habe ich keine Mittel. Das Reisen in beiden Landen ist zu kostspielig und[50] auf eine so gastliche Aufnahme wie früher darf ich jetzt nicht mehr rechnen, denn die meisten meiner alten lieben Freunde sind wol längst heimgegangen. Ich werde jedoch an meiner Sammlung altniederländischer Volkslieder ruhig fortarbeiten; sie ist viel reicher und bedeutender als die von Willems und wird allen Freunden des Volksgesangs eine sehr willkommene Gabe sein. An eine Unterstützung von Seiten des Auslandes denke ich nicht. Meine neuesten Erfahrungen haben mich wieder belehrt, daß Deutschland immer noch das Land alles wissenschaftlichen Bücherverlags ist. Während man in Belgien die Pars VII. nicht einmal umsonst drucken wollte, erhielt ich in Göttingen dafür soviel Honorar, daß ich damit meine ganze bisherige Reise bestreiten konnte.

Den Rest meiner früheren Bibliothek habe ich aus Meklenburg nach Hannover kommen lassen, 11. Centner! Ich hätte gern Vieles daraus behalten, theils aber ist der Transport zu kostspielig, theils weiß ich die Bücher nicht unterzubringen. Ich habe mich deshalb entschließen müssen, sie an den Meistbietenden zu überlassen. Ich sende Ihnen heute zugleich das Verzeichniß und wünsche, daß die Maatsch. van nederl. letterkunde ihren reichen Schatz daraus noch vervollständigt.

Grüßen Sie alle meine alten Freunde wo Sie deren noch finden recht herzlich! und senden Sie mirrecht bald Ihre verheißenen Mittheilungen ...

In alter Liebe und Treue

Ihr H.v.F.


Unterdessen war es Frühling geworden und das anmuthige Wetter lockte uns hinaus, wir lustwandelten viel im Freien. Trotzdem verließen mich meine rheumatischen Schmerzen nicht, ich war sehr leidend und mitunter so verstimmt, daß ich zum Arbeiten völlig unfähig war. Dazu kam nun noch ein stiller Kummer, den ich nicht auszusprechen wagte. Ida erwartete täglich ihre Niederkunft. Der Tag der Entbindung (30. Mai) kam. Sie mußte viel ausstehen, kämpfte aber ritterlich. Als sie hörte: ›Das Kind ist da!‹ küßte sie mich und rief. ›Nun ist eine neue Welt für mich aufgegangen!‹ [51] Unter Freudenthränen ging ich in mein Kämmerlein und suchte meine Gefühle in einem Gedichte 31 auszusprechen.

Leider wurde unsere Freude nur zu früh getrübt: unser Kind hatte ein Leiden mit auf die Welt gebracht, das unheilbar war und ihm nur ein kurzes Leben noch gönnen ließ. Die Teilnahme aller uns befreundeten Familien war groß und blieb uns unvergeßlich. Unser armes Kind! es schwebte immer zwischen Tod und Leben. Mit Angst und Betrübniß gingen wir dem Sommer entgegen. Was mich sonst hätte erfreuen müssen, ließ mich gleichgültig. Wenn ich sonst an einem schönen Tage draußen im Freien wandelte, wie war mein Herz froh, als ob alle Blumen und Vögel mich begrüßten und die blauen Berge mir freundlich winkten. Jetzt weinte ich und sprach leise die Worte Calderon's so vor mir hin:


Was ist Leben? Hohler Schaum,
Ein Gedicht, ein Schatten kaum!
Wenig kann das Glück uns geben;
Denn ein Traum ist alles Leben,
Und die Träume selbst ein Traum.

Ich hätte so gerne fleißig gearbeitet, aber ich war zu wenig gesammelt und zu oft gestört; ich konnte mich nur mit Dingen befassen, wozu keine geistige Anstrengung erforderlich: ich schrieb die von mir gesammelten Wörter ab, ordnete sie alphabetisch und klebte sie auf. Daraus wählte ich dann für die Grimms einige zu den Buchstaben A und B gehörige aus und schickte sie ein. Ich hatte es nicht gewagt, einen Brief beizulegen, sondern nur ein Blättchen mit den Worten aus ›Markus Hüpfinsholz (von Meusebach), Geist aus meinen Schriften‹ S. 57.

›Wie aller Stillstand im Guten Rückgang ist, also auch in der Liebe, aber (nach einer von mir nicht zuerst gemachten Bemerkung) nicht nur in der Liebe, sondern auch im Hasse. »Nicht bloß die Liebe, sondern auch der Haß ist veränderlich und beide sterben, wenn sie nicht wachsen.« Da nun aber einer menschlichen Seele der Nachtgedanke, daß ihr Groll ewiglich wachsen solle, (wir dürfen es hoffen) gewiß unmöglich ist; so sollte auch keine dergleichen sich vornehmen, [52] auch nur auf einen Monat, auf eine Woche, auf einen Tag, auf eine Stunde zu zürnen und hassen.‹

Am 24. Juni antwortete Jacob Grimm auf meine Zusendung:


Lieber Hoffmann.


Die schriftzüge der adresse waren von bekannter hand, Ihr brief und die zusendung bewegte und rührte mich, ich habe keinen groll auf Sie, und was zwischen uns getreten war hat mir oft leid gethan. Ihr herz wird noch so sein wie es war als Sie mich zur zeit des glorreichen studentenauszugs nach Witzenhausen in Cassel zuerst aufsuchten. was nun übel oder unrecht war wollen wir vergessen sein lassen. mich freut, daß Ihnen nach so mancher bedrängnis der mut und die arbeitslust nicht sinkt und daß nachdem Sie die meisten gesammelten bücher verkaufen mußten, Sie von neuem sammeln und Sich daran freuen können. die geschickten auszüge sind willkommen und brauchbar, einige darunter kamen schon zu spät, da das zweite heft bereits gedruckt ist; die beiträge für die nächsten buchstaben werden Sie schon etwas früher zufertigen. Dank auch für Reinecke und das liederheft, und Gott befohlen. –


Um diese Zeit war denn endlich der Druck meiner Kinderliedersammlung vollendet worden: ›Die Kinderwelt in Liedern. Von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Mainz. J.G. Wirth Sohn. 1853. 16°. 224 SS.)

Ich war mit der Ausstattung wenig zufrieden, Papier und Lettern ließen viel zu wünschen übrig und doch sollten letztere Jungferlettern sein! Wie stattlich nahm sich dagegen die neue Ausgabe meiner Gedichte aus, von der ich schon 20 Aushängebogen in Händen hatte!

In den letzten Tagen Junis trat mir meine neue Oper wieder sehr nahe. Ich wollte gern einmal das Urtheil einer Sängerin darüber hören und wendete mich deshalb an Frau Gräfin Rossi, die eben zur Cur in Ems sich aufhielt.


[Am 2. Juli besuchte Hoffmann sie in Ems und las ihr seine neue Oper ›Der Graf im Pfluge‹ vor. Die ganze Entwickelung derselben gefiel ihr sehr gut, und sie meinte, wenn das Stück gut componirt wäre, so würde es von großer [53] Wirkung sein. Einen Componisten konnte sie dem Dichter aber nicht verschaffen, und daher erreichte Hoffmann auch bei ihr seine Absicht nicht.]


Den 6. Juli wurde unser Töchterchen getauft. Gevatterinnen waren Johanna Henriette Gräfin Rossi, Fräulein Maria Radermacher und Frau Friederike Sturtevant. Die Taufe verrichtete der Pastor Reck. Es war für mich sehr rührend wie der alte würdige Mann so herzlich sprach und so viel Schönes an die Namen Johanna Maria Friederike knüpfte. Mir war sehr traurig zu Muthe. Gegen Abend schrieb ich in mein Tagebuch: ›Wenn ich das Kind so sehe mit seinem lieben Gesichte, worauf der Frieden des Himmels ruht, und ich muß denn doch wünschen, daß es bald stirbt, damit es von seinen Leiden erlöst und vor größeren bewahrt wird, – dann will mir das Herz brechen und ich fühle so recht tief, daß ich ein armer schwacher Mensch bin. Nun, wie Gott will!‹

Den 30. Juli zum Sängerfeste nach Düsseldorf. Unter anderen treffe ich den Musikdirector Dr. Gotthard Wöhler von Greifswald; ich lese ihm meine Oper vor. Er ist geneigt, sie zu componieren, er wünscht nur, daß ich vorher noch Einiges darin ändere. Ich bin dazu bereit. Er verspricht mir, mich in den ersten Tagen der nächsten Woche zu besuchen, wir wollen dann Rücksprache nehmen in Betreff der Oper, ich soll bis dahin nur den Text mit den neuen Aenderungen in Ordnung bringen.

Auf der Rückreise treffe ich in Bonn an der Landungsbrücke viele Studenten und eine Musikbande. Mit klingendem Spiele und entfalteten Bannern marschiert der Zug aufs Dampfschiff. Jubel und Böllerschüsse vom Ufer und vom Schiffe. Ich sitze am Vordertheile und kümmere mich wenig um das was um uns vorgeht. Nach einer Weile werde ich abgeholt und unter lautem Jubel in die Mitte der Studenten geführt. Man reicht mir ein großes Trinkhorn und ich muß den Willkomm trinkend erwiedern. Alles bestürmt mich, mit nach Rolandseck zu gehen und den 25-jährigen Stiftungscommers mitzufeiern. Ich sage endlich ja und mache nun Alles mit. Oberhalb Rolandseck steigen wir aus und ziehen feierlich mit Musik zu Groyen. Wir nehmen Platz in den Rebenlauben und freuen uns der wunderbar schönen Aussicht. Nach einiger Zeit ertönt der [54] Ruf: ›Der Kaffee wird serviert!‹ Ei, Donnerwetter! denk' ich, serviert! hier geht's fein her, und – so war's auch.

Bei Anbruch der Dämmerung ladet ein Trompetentusch zur Festtafel ein. Der Saal ist hübsch geschmückt mit Blumen- und Laubgewinden und grünweißschwarzen Fahnen, vor jedem Gedecke stehen zwei Flaschen Wein, worauf Fähnchen mit den westfälischen Farben. Das Ganze macht einen freundlichen Eindruck. Es folgt die Begrüßung der Mitglieder, ein Hoch auf alle Anwesenden, auf die Westfalia etc. Musik, Reden und Lieder wechseln mit einander, dazwischen manches Hoch. Ungeheuere Heiterkeit. Endlich kommt nach altem Brauch der Landesvater dran. Ich glaubte, meine Mütze gut geborgen, bald aber bemerke ich sie auf dem Haupte meines Nachbars und dann auf dem Schläger aufgespießt. Erst gegen 3 Uhr kommen wir zu Bette, und obschon ich nicht schlafe, so bin ich doch um 6 frisch und munter im Garten. Nachdem wir gefrühstückt stegreifern wir eine Musikbande: ich spiele den Triangel, andere folgen nach mit Geige, Baß, Trompete, Waldhorn etc., und so ziehen wir hinab und bringen der Wasserheilanstalt ein Ständchen. Dann muß ich noch einen Abschiedstrunk trinken. So wie das Dampfschiff in Sicht ist, eile ich an den Rhein. Ich erreiche es zu rechter Zeit, sage meinen Begleitern Lebewohl und segele wohlgemuth nach Neuwied.

Die nächsten Tage beschäftigte ich mich mit mei ner Oper ›In beiden Welten‹. Ich arbeitete sie um, um sie zeitgemäßer d.h. hofbühnengerechter zu machen. Täglich erwartete ich Wöhler, er kam nicht, und ich habe auch später nie wieder etwas von ihm gehört und gesehen.

Dagegen war mir am 10. August eine andere große Freude beschieden. Als wir Abends von einem Spaziergange heimgekehrt waren, besuchte uns ProfessorM. de Bries von Groningen Die Meinigen waren nicht wenig überrascht, einen so lebendigen jugendfrischen Holländer und noch dazu einen so liebenswürdigen holländischen Gelehrten vor sich zu sehen. De Vries war eigens hier ausgestiegen, um mich zu begrüßen. Er erzählte viel von Holland, von meinen alten Freunden, dem jetzigen Zustande der niederländischen Sprachwissenschaft und in wie gutem Andenken ich dort stehe. Es war in Berlin bei den Grimms gewesen, um sich mit ihnen näher zu [55] besprechen über das große holländische Wörterbuch, das von ihm unter Mitwirkung von holländischen und belgischen Gelehrten herausgegeben werden sollte. Wir verplauderten bei einem Glase Rheinwein einige Stunden sehr angenehm. Ich schenkte ihm ›Zur Erinnerung an Neuwied‹ die zweite Ausgabe meines Reineke und wünschte ihm ein herzliches Lebewohl.

Seit Jahr und Tag hatte ich mich schon mit dem Theophilus beschäftigt, ich war ziemlich weit gediehen, konnte mich aber zu einem Abschluß meiner Arbeit noch nicht verstehen, ich wollte noch erst die Urschrift vergleichen. Ich wendete mich nach Trier, erhielt aber zur Antwort, daß keine Handschriften ausgeliehen würden. Ich reiste daher selbst nach Trier und vollendete in wenigen Stunden die Vergleichung des Theophilus. Den folgenden Tag (21. August) mache ich einen Spaziergang um die halbe Stadt. Als ich zurückkehre, sagt man mir, ich solle zur Polizei kommen. Ich gehe sofort hin. Herr Polizeidirector Zillgen fragt mich nach allem Möglichen, Vor-, Zunamen, Alter, Religion, ob verheirathet, wieviel Kinder, wen ich kenne, u. dgl. Endlich frage ich ihn, ob meinem Hierbleiben etwas entgegenstehe? Er antwortet: nein, und ich empfehle mich.

Sonntag 22. August. Ich bleibe auf meinem Zimmer. Um 11 tritt der Polizeicommissar Bergmann ein mit noch einem Polizisten: ›Ich muß Ihnen anzeigen, daß Sie aus Mangel einer Legitimation binnen. 24 Stunden die Stadt zu verlassen haben.‹ Ich speise zu Mittag, zahle und gehe mit leichtem Gepäck zum Thore hinaus. Draußen setze ich mich in einen Omnibus, fahre für 1 Sgr. eine weite Strecke und gehe dann an der linken Moselseite zu Fuß weiter. Im Fährhause Schweich gegenüber übernachte ich.

Montag 23. August. Früh munter, um das Dampfschiff nicht zu versäumen. Kaum bin ich reisefertig, so erscheint der Herr Bergmann mit dem Bürgermeister von Schweich. Der arme Mann hat mich die ganze Nacht gesucht, während ich in süßem Schlafe lag. ›Ich habe den Auftrag, Sie nach politischen Schriften zu untersuchen.‹ Gut. Ich öffne meine Reisetasche und hole ein Stück nach dem anderen hervor: Hemd, Jacke, Strümpfe, dann die vor 32 Jahren in Trier genommene Abschrift des Theophilus und die Abbildung der Porta nigra. ›Sie haben auch eine Brieftasche.‹ Auch die lege ich vor mit allen einzelnen Zettelchen. Die ›politischen Schriften‹ sind einige[56] preußische Cassenanweisungen, einige Reisenotizen, einige Kinderlieder, ein paar bezahlte Rechnungen und ein Postschein. Endlich findet er noch einen angefangenen Brief, der mit folgenden Worten endigt: ›Das Thal lag wunderschön beleuchtet vor mir und ich sang eben so froh wie vor 32. Jahren:


Auf den Bergen lebt man frei,
Da giebt's keine Polizei.‹

Das große Werk ist vollendet und ich kann frei meiner Wege gehen. Ich besteige das Dampfschiff, welches eben ankommt. Es hat sich um eine Stunde verspätet, weil es wegen der Fahndung auf mich eine Stunde später abfahren mußte. Ich werde von allen Seiten freundlich begrüßt.

Ueber die mir zugefügte Unbill führte ich weiter keine Beschwerde – was hätte ich auch von einem Kleist-Retzow erwarten können? Dennoch blieb ich eine Antwort nicht schuldig, sie erfolgte schon am 25. August in dem Gedichte:


›Ich bleib' in meinem Vaterlande.‹ 32


Wir hatten wieder recht trübe Tage: unser Kind sehr krank, wir in Angst und Kümmerniß und selbst sehr leidend. Unsere Freunde boten Alles auf, uns zu zerstreuen. Wie an trüben Tagen ein Sonnenblick uns erfreut, so kam zuweilen ein freudiges Ereigniß mitten in unser Leid. Den 21. September trafen die ersten gebundenen Exemplare der neuen Auflage meiner Gedichte ein, sehr schön ausgestattet: ›Gedichte von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Hannover. Carl Rümpler. 1835. 16°. 446. SS.).

Ich war wieder recht fleißig: den 1. October vollendete ich den Theophilus, die nächste Zeit machte ich Studien zur Geschichte des Kirchenliedes und zur Fortsetzung meiner Horae belgicae. Die Trierer Ausweisung konnte mich nicht weiter verstimmen: die ganze deutsche Presse hatte sich mißbilligend darüber ausgesprochen. Mit größerer Lust schrieb ich jetzt die gesammelten Beiträge zum Grimmschen Wörterbuche ab, ich war sehr froh, daß endlich zwischen den Grimms und mir ein freundliches Verhältniß angebahnt war, Jacob hatte sich ja in seinem Schreiben sehr freundschaftlich ausgesprochen. Ich setzte voraus, daß Wilhelm wenn nicht von derselben doch von[57] ähnlicher Gesinnung beseelt war. Das war aber ein Irrthum. Ich erhielt folgende Zuschrift:

›Von der Rümplerschen Buchhandlung ist mir in diesen Tagen das Hannöversche Namenbüchlein im Auftrag des Verfassers zugeschickt worden: ich bitte Herrn Professor Hoffmann solche Zusendungen nicht weiter zu veranlassen. Für mich ist die Erinnerung an die Vergangenheit zu herb, als daß ich in das erste ungestörte Verhältnis zurückkehren könnte.

Berlin 30. September 1852.

Wilhelm Grimm.‹


Diese Erklärung mußte mich um so mehr schmerzen, als ich an der Veranlassung ganz unschuldig war. Ich hatte allerdings Herrn Rümpler gebeten, das Namenbüchlein an die Grimms einzuschicken aber nurEin Exemplar. Nachdem mir Wilhelm Grimm nicht wie Jacob geschrieben hatte, würde ich es nie gewagt haben, an jenen je eine Zeile zu richten oder etwas einzusenden. Bei solchen unangenehmen Ueberraschungen pflegte ich dann wol ins Freie zu gehen und Blumen zu pflücken, oder ich nahm die Axt, spazierte hinab auf meinen Gartenfleck, den ich von meinem Nachbar gemiethet hatte, und hackte Holz, bis ich in Schweiß gerieth. In meinem Tagebuche heißt es denn auch wol: ›Holz gehackt und die Welt verachtet.‹

Am 9. December besuchte ich die Bonner Bibliothek, lieferte einige Bücher ab und sah die deutsche Litteratur und das Fach der Hymnologie durch. Ich traf mit Dr. Oscar Schade zusammen, den ich schon von Berlin her kannte. Er lud mich zu sich ein und wir unterhielten uns mehrere Stunden. Er erzählte von seinen deutschen Studien, zunächst wollte er den Veldeke herausgeben, dann nach Wien gehen und magyarisch und slavisch treiben etc.

Den 18. und 19. December in Hallgarten. So groß erst meine Freude war, als ich Itzstein wiedersah, so wurde sie doch bald getrübt. Er schien mir allerdings wohler und ruhiger als bei meinem letzten Besuche, bald aber erfuhr ich, daß seine Geistesschwachheit seitdem nur noch zugenommen hatte. Innig gerührt und weinend nahm ich Abschied von dem Manne, dem ich für so viele Beweise wahrhaft väterlicher Theilnahme dankbar bin, und mit Wehmuth verließ ich den Ort, der mir durch so manche Freude lieb und unvergeßlich ward und geblieben ist. Erst bei meinen Freunden in [58] Rüdesheim, Schultz und Reuter, fand ich meine heitere Stimmung wieder und verlebte mit ihnen zwei frohe Tage, die sich würdig anreihten an meine alten frohen Rheingauer Tage. Den 22. December war ich wieder in Neuwied.

Bei meiner Ankunft wurde ich angenehm überrascht durch den Theophilus, den mir in einigen Exemplaren Herr Rümpler geschickt hatte. Die viele Mühe, die ich dem Buche zugewendet, war nun durch eine nachhaltige Freude belohnt worden: ›Theophilus. Niederdeutsches Schauspiel aus einer Trierer Handschrift des XV. Jahrhunderts. Mit Einleitung, Anmerkungen und Wörterbuch von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Erster Druck. Hannover. Carl Rümpler. 1853. 8°. XIV. 86 SS).

Den anderen Tag traf ein Brief von Jacob Grimm ein. Nachdem mir Wilhelm Grimm erst neulich einen Absagebrief geschrieben und sich jede Zusendung meinerseits verbeten hatte, dankte sein Bruder Jacob für die neuliche und erfreute mich mit einer freundlichen Zuschrift und einer werthvollen Beilage ›Ueber den Ursprung der Sprache.‹ Seinen Wunsch: ›Treten Sie frohgemuth ins Neue Jahr!‹ suchte ich bestens zu erfüllen.

Zum neuen Jahre (1853) hatten wir Besuch: HerrDr. Schade war von Bonn herübergekommen. Er schien sich bei uns und in unsrer kleinen Wohnung zu gefallen, er war vergnügt und unterhielt sich gerne, er sprach sich sehr freimüthig über Alles ans und suchte sich angenehm zu machen, er war nie verlegen um schöne Redensarten und Schmeicheleien. Als ich ihm meine neuesten Gedichte vorgelesen hatte, sagte er: ›Solche kann keiner aller lebenden Dichter machen.‹ Wenn wir auch keinen Werth auf dergleichen Artigkeiten und Lobspenden legten, so glaubten wir doch, daß sie Aeußerungen einer gutmüthigen Natur wären. Am Neujahrsabend wurden wir aber schon einer anderen Ansicht. Wir waren zu einer Gesellschaft eingeladen, wohin uns auch später Schade nachfolgte. Er gerieth hier bald mit einem der Anwesenden so heftig an einander, daß eine sehr langweilige unerquickliche Streiterei entstand, wodurch die vorher heitere Stimmung der Gesellschaft auf längere Zeit getrübt wurde.

Den ganzen Januar arbeitete ich sehr fleißig an der Geschichte des Kirchenliedes und der Fortsetzung der Horae belgicae. Von [59] Berlin hatte ich mir meine beiden früheren niederländischen Liederhandschriften kommen lassen und eine Abschrift des wichtigsten Theils derselben vollendet. Ich hoffte jetzt für meine hymnologischen Studien noch Manches von Bonn und Köln. Den 30. Januar trat ich meine Reise an.

1–13. Februar in Köln. Dort besuchte ich Dr. Eberhard von Groote und wurde sehr freundlich empfangen; er lud mich ein, bei ihm zu bleiben. Ich entschloß mich schnell und blieb, und so verlebte ich denn mit ihm und seiner Familie vierzehn sehr angenehme Tage.

Groote freute sich sehr, daß wir uns in demselben Fache litterarischer Thätigkeit begegneten. Er war ein begeisterter Verehrer der alten lateinischen Lieder seiner Kirche, er pflegte die ihm besonders lieb und werth gewordenen in stillen Stunden früh Morgens und Abends zu singen, und widmete dieser ganzen kirchlichen Dichtung große Aufmerksamkeit. Er hatte sich eine alte Sammlung geliehen, eine prachtvolle Handschrift vom J. 1358 ›ecclesiae Mariae ad gradus‹ und die schönsten Lieder daraus abgeschrieben. Als er sah, wie eifrig ich mich mit der Hymnologie befaßte, verehrte er mir seine Abschrift. Er war überhaupt sehr mittheilend, alle seine Handschriften und Bücher stellte er mir zu beliebiger Benutzung. Einen noch größeren Dienst erwies er mir aber dadurch, daß er mir die Wallrafschen Bücher zugänglich machte.

Der Carneval war um die Zeit in vollem Gange, aber ich kann nicht sagen, daß ich an Allem was ich sah und hörte einen sonderlichen Geschmack hätte finden können. Die hanswurstliche Hochzeit, die am Faschingsmontag durch einen großen Wagenzug dargestellt wurde, war so matt, daß auch nicht die bescheidensten Ansprüche Befriedigung hätten finden können. Der einzige Witz war noch, daß Louis Napoleon erschien. Er fuhr aber kaum hundert Schritte, da hieß ihn die Polizei seinen kaiserlichen Schnurbart abnehmen und mit seinem Zettel heimfahren.

Am 14. Februar nahm ich Abschied vom Grooteschen Hause. Ueber den Erfolg meiner Reise und die genußreichen Stunden war ich sehr erfreut und dankerfüllt. Um einen Beweis dieser Stimmung Herrn von Groote zu geben, widmete ich ihm eine kleine Schrift, die mir besonders zur Kenntniß der Latinität des Mittelalters nicht [60] unwichtig schien: ›Epistola Adami Balsamiensis ad Anselmum. Ex codice Coloniensi edidit Hoffmannus Fallerslebensis. Neowidae.‹

Nach meiner Rückkehr traf ich Ida wohl, aber still und betrübt: unser Kind war sehr krank. Den 17. Nachmittags athmete es nur noch leise, der Tod lag ihm schon auf dem Gesichte. Am Abend spät wurde es an den Gliedern nach und nach kalt. Ich saß au meinem Tische und schrieb meine zweite Oper ab. Bei den Worten:


Dann, o Tod, mag's morgen sein,
Ruhig, ruhig harr' ich dein –

hörte ich auf. Ida mußte mir versprechen, zu Bette zu gehn. Wir gingen. Kurz vorher hörten wir nur noch, wie unser armes Kind einige Klagetöne ausstieß, es waren seine letzten. Um 1 Uhr war es sanft auf Agnes Schoß entschlafen.

Den 18. in der Dämmerung standen wir auf. Ida hatte schon lange gewacht. Sie wollte in die Küche, wo eben Agnes war. Da hörte ich einen lauten Schrei. Ida! Ida! schrie ich. Endlich kam sie, das Blut strömte ihr aus der Nase hervor. Es war ein schrecklicher Augenblick. Wir gingen in mein Zimmer und weinten uns aus. Vergebens versuchte ich zu arbeiten. Später besorgte ich das Begräbniß. 33 Den andern Morgen in aller Frühe geleitete ich unser Kind zu Grabe. Merkwürdig, bald nachher starben alle drei Pathinnen Marias, Gräfin Rossi in Mexico, Frau Friederike Sturtevant in Braunschweig und Maria Radermacher, erst seit Kurzem verheirathet, in Coblenz.

In diesen trüben Tagen sehnten wir uns beide, Ida und ich, fort aus unserm häuslichen Elende in die Heimat zu unseren Verwandten. Da aber das Wetter noch sehr unbeständig und unfreundlich war, so wollten wir unsre Reise erst im Mai antreten.

Da machte ich nun allein noch einen Ausflug zu meinem Freunde Conrad Wolff, der mich so oft und dringend zu sich nach Crefeld eingeladen hatte. Den 26. März traf ich dort ein und verlebte vierzehn sehr angenehme Tage. Ich fühlte mich bald recht heimisch unter Conrads vielen Verwandten und Freunden.

Zu meinem Geburtstage wurde ich beglückwünscht und beschenkt.

[61] Auch die löbliche Polizei wollte diesen für mich wichtigen Tag nicht vorübergehen lassen ohne ein Zeichen ihrer Aufmerksamkeit: sie fragte nach meiner Legitimation und erhielt meine Paßkarte, die mir dann nach einer halben Stunde wieder zugeschickt wurde. Leider konnte ich Idas Geburtstag (11. April) nicht daheim feiern und so sendete ich ihr denn noch von hier aus einige erfreuliche Geschenke und ein Lied. 34 Bald darauf kehrte ich nach Hause zurück.

Den 12. Mai traten wir die langersehnte Heimatreise an und noch denselben Tag spät Abends erreichten wir Bothfeld.

Sobald ich mich von der Reise erholt, fing ich an zu arbeiten. Hannover gewährte mir wider Erwarten reiche Ausbeute für meine hymnologischen Studien: durch die Gute des Dr. Gödecke und des Senators Culemann und aus der königlichen Bibliothek wurden mir Quellen zugänglich, die bisher wenig oder gar nicht benutzt waren. Als ich so glücklich war des ältesten katholischen Gesangbuchs von Vehe habhaft zu werden, faßte ich den Entschluß, es noch während meines Bothfelder Aufenthalts herauszugeben. Herr Rümpler war sofort zum Verlegen bereit, wie er sich denn auch geneigt zeigte, den Verlag der neuen Ausgabe meiner Geschichte des Kirchenliedes zu übernehmen. Schon den 19. Mai begann der Druck. Ich mußte nun wegen der Correctur und der Benutzung der Bibliothek oft nach Hannover, und wenn ich mich dort auch bei Rümpler und Gödeke einige Stunden erholte, so wurde mir doch der Weg, zumal bei schlechtem Wetter, meist immer sehr beschwerlich.

Zum Weiterforschen auf dem hymnologischen Gebiete schien mir ein längerer Aufenthalt in Göttingen nothwendig. Mein Entschluß war schnell gefaßt und ausgeführt. Noch vor meiner Abreise aus Bothfeld erschien mein Buch: ›Michael Vehe's Gesangbüchlin vom Jahre 1537. Das älteste katholische Gesangbuch. Nach dem Exemplar der königlichen Bibliothek zu Hannover herausgegeben von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Hannover. Carl Rümpler. 1853. 8°. 117 SS. mit einer Nachrede S. 122–138).

1. Juli – 2. August in Göttingen.

Dem Dr. Ellissen, Professor Höck und Professor Schweiger bin ich zu vielem Danke verpflichtet; sie gestatteten mir die freieste Benutzung der Bibliothek und durch ihre gütige Vermittelung[62] wurde mir die Einsicht der Helmstedter Handschrift des Theophilus ermöglicht. Ich war nun sehr fleißig, manchen Tag arbeitete ich zwölf Stunden. So anstrengend das Suchen, Ausschreiben, Nachsehen und Ausarbeiten war, so lohnend wurde es doch von Tage zu Tage, und nach vier Wochen hatte ich die Hälfte der neuen Ausgabe meiner Geschichte des Kirchenliedes vollendet und zur zweiten Hälfte umfangreiche Vorarbeiten gemacht.

Ich erfreute mich daneben eines angenehmen, anregenden und lehrreichen geselligen Verkehrs mit alten Freunden und Bekannten; Höck, Wilhelm Müller, Unger, Wehner; sie ließen es nicht an Aufmerksamkeiten fehlen, sie luden mich zu Spaziergängen und Abendessen ein und es ging immer recht traulich her. Bei und mit Wilhelm Müller verlebte ich manche angenehme Stunde, schon durch unsere gemeinschaftlichen Studien standen wir uns nahe; er nahm großen Antheil an meinen Arbeiten. Gieseler und Redepenning besuchte ich zuweilen; die Nothwendigkeit, in kirchengeschichtlichen und liturgischen Dingen mich Raths zu erholen, führte mich zu ihnen.

Eines Abends begegneten mir auf dem Heimwege von einer Gesellschaft' einige Studenten. Ich wich ihnen aus und steuerte auf mein Haus zu. Da rief einer: ›H.v.F.! den müssen wir haben!‹ und sofort faßten mich zwei unter und schleppten mich in ihre Kneipe. Es waren Braunschweiger und Hannoveraner. Sie kamen von einer fröhlichen Sitzung, hatten jeder eine Flasche Rheinwein in der Hand und wollten nun die Sitzung fortsetzen. ›Nein, ich bin auch heute gar zu glücklich, sagte der Studiosus Leo Meyer, daß ich Sie nun persönlich kennen lerne! Nein, wahrhaftig, ich bin zu glücklich!, Meyer erzählte mir nun, daß er am Donnerstag mir einen Blumenstrauß auf dem Rohns geplündert habe, um eben zwei Fräuleins ein Andenken an mich zu verschaffen. – Die Leute waren recht nett und ich konnte mir schon diese nächtliche Beehrung gefallen lassen. Meyer ist ein fleißiger Schüler Müller's und ein hoffnungsvollerdeutscher Philologe.‹ 35

Am vorletzten Tage Julis kündigte mir Ellissen an, einige meiner Freunde und Verehrer wollten mir ein Abendessen geben und er lüde mich dazu ein. So gut gemeint das war, so schien mir doch [63] die Sache mißlich; ich äußerte meine Bedenken, ich sähe es lieber, davon abzustehen, man könnte sich und mir Unannehmlichkeiten bereiten. Ellissen erklärte: ›Wir sind ganz unter uns, es soll ja gar kein Festessen sein, es betheiligen sich nur gleichgesinnte Männer der Universität und Bürger der Stadt.‹ So nahm ich denn die Einladung an.

Am 1. August Abends 7 Uhr holte ich Höck ab und ging mit ihm nach der Landwehrschenke hinaus. Nach und nach fanden sich die Theilnehmer ein, es mochten ihrer 50 sein, viele Bürger, die meisten Mitglieder des Magistrats, mehrere Professoren und andere Universitätsangehörige, als Gast der Obergerichts-Assessor Planck, der zum Besuche seiner Eltern in Göttingen verweilte. Gegen 9 Uhr gingen wir zu Tische. Gute Musik, gutes Essen, freundliche Gesichter. Das Hoch auf mich erwiederte ich mit einem auf Deutschlands schönere Zukunft. Dann erfolgte ein Hoch auf Planck, wofür er mit einem Hoch auf die hannoversche Verfassung dankte. Ich brachte dann ein Hoch aus auf Höck und die Göttinger Bibliothek. Höck ließ die Bürgerschaft und Universität hoch leben, Ellissen die Frauen, worauf ich dem Mann! ein Hoch brachte und noch viele Lebehochs folgen ließ. In heiterster Stimmung endete das Abendessen und wir traten befriedigt um 2 Uhr den Heimweg an. Die Nacht war heiter wie wir.

Den 3. August reiste ich ab. Ich hatte die Absicht, nur noch wenige Tage in Bothfeld zu bleiben, um die Durchsicht meines Manuscripts der Geschichte des Kirchenlieds zu vollenden.

5. August. Ich stehe um 5 auf und arbeite. Um 8 Uhr tritt der Regierungsrath Hagemann mit dem Ober-Polizei-Controleur Duve in mein Zimmer und kündigt mir an, daß er auf höheren Befehl meine Pariere untersuchen und mir meine sofortige Ausweisung aus dem Königreiche Hannover anzeigen müsse. Jetzt beginnt die Untersuchung und dauert wol eine Stunde: Alles wird besehen, durchwühlt, gelesen, nichts bleibt unverschont, sogar mein freundschaftlicher und Familienbriefwechsel, mein Tagebuch, mein Ausgabe- und Einnahmebüchlein, meine Brieftasche und das Verzeichniß meiner Briefe. Letzteres wird als verdächtig zurückbehalten, es findet sich darin mehrmals der Name Wirth (als ob das der schon 1848 gestorbene J.G.A. Wirth sein könnte!).

[64] Während der Untersuchung fragt meine Frau: ›Bin ich denn nun auch ausgewiesen?‹ – ›Nein, Sie nicht, Sie können so lange bleiben als Sie wollen.‹ – ›Von dieser Erlaubniß werde ich durchaus keinen Gebrauch machen, Herr RR., ich werde, sobald ich meine Sachen gepackt habe, das Land verlassen und meinen. Manne folgen.‹ – Als der Herr RR. einen ihrer Briefe lesen will, sagt sie: ›Erlauben Sie, der Brief gehört mir: bei mir ist ja keine Haussuchung,‹ und nimmt den Brief an sich.

Ich packe schnell meine Sachen zusammen und spaziere mit meinem Schwager nach Hannover. Rümpler ist sehr erstaunt: ich überreiche ihm das Manuskript, wir speisen zusammen, und um 2 Uhr fahre ich mit dem Courierzuge nach Bückeburg. Herr Duve begrüßt mich als ich eben einsteige und wünscht mir eine glückliche Reise, worauf ich nur erwiedere: ›Gleichfalls.‹ 36 Am folgenden Nachmittag empfing ich Ida mit ihrer Schwester am Bahnhof. Noch vor Mitternacht reisten wir ab und kamen den 7. August in Neuwied an. Die bückeburger Regierung hatte also nicht nöthig den Wunsch ihrer hannoverschen Collegin zu erfüllen, mich doch auch aus Bückeburg auszuweisen.

Schon den 9. August begab ich mich zum Herrn Landrath von Runkel, um mich über das Verfahren der hannoverschen Regierung zu beschweren. Er meinte, das Beste würde sein, wenn ich ihm in einer schriftlichen Eingabe meine Erzählung wiederholte, er würde dann dieselbe an den Herrn Oberpräsidenten von Kleist-Retzow einschicken. Noch denselben Tag machte ich die Eingabe. Und was war der Erfolg derselben? Der Herr Landrath von Runkel mußte die mir von ihm ausgestellte Paßkarte mir durch den Bürgermeister abfordern lassen. Herr Polizeidirector Wermuth in Hannover behielt Recht.

In den ersten Tagen Septembers hatten wir den Besuch des Herrn Brahms. Es war schon Dämmerung als er eintrat. Meine Frau war sehr verwundert, als sie die kleine, schmächtige, jungenhafte Gestalt mit der seinen Kinderstimme vor sich sah und sich ihr Herr Johannes Brahms, der talentvolle 20jährige Tonkünstler von Hamburg [65] vorstellte. Vor einiger Zeit war er erst in der ›Neuen Zeitschrift für Musik‹ in die Musikwelt eingeführt durch Robert Schumann, der von ihm wie von einem Messias sprach, welcher der Kunst ein neues Heil bringen und das vollenden würde was er (Schumann) angestrebt hätte. – Den andern Tag machten wir mit ihm einen hübschen Ausflug nach Rheineck und Brohl. Wir waren alle sehr lustig. Brahms erzählte uns viel aus seinem Leben und von seinen musicalischen Studien und wie es gekommen, daß er körperlich so unentwickelt geblieben sei. Er hatte viele Lieder von mir componirt, ich weiß nicht, ob er etwas davon veröffentlicht hat.

Im October hatte ich bereits die Freude, die ersten 15 Bogen meiner Geschichte des Kirchenliedes im Druck vollendet zu sehen. Für die Mischpoesie (die lateinisch-deutsche Dichtung) hatte sich der Stoff so angehäuft, daß ich beschloß, daraus ein besonderes Büchlein zu machen. Unterdessen war auch die Fortsetzung des Theophilus fertig geworden und bald gedruckt. Sie erschien unter dem Titel: ›Theophilus. Niederdeutsches Schauspiel in zwei Fortsetzungen aus einer Stockholmer und einer Helmstädter Handschrift. Mit Anmerkungen von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Hannover. Carl Rümpler. 1854. 8°. IV. 93 SS.)


[Ende October erhielt Hoffmann von einem Freunde, dem Bonner Privatdocenten Dr. Schauenburg die Nachricht, daß Bettina vieles eingeleitet habe, um Hoffmann die Stelle eines Oberbibliothecars in Weimar zu verschaffen; sie beabsichtige, sich persönlich an den Großherzog zu wenden. Diese Kunde bestätigte ihm bald darauf Dr. Schade, der ihm mit beredten Worten das Angenehme einer derartigen Stellung schilderte und seiner Freude Ausdruck gab, gemeinsam mit dem Dichter dort wirken zu können. Denn Schade hoffte, ebenfalls in weimarschen Diensten ein Unterkommen zu finden.]


›Die Botschaft hör' ich wol, allein mir fehlt der Glaube.‹ Mit diesem Gedanken kam ich nach Bonn. Ich unterhielt mich viel mit den Briefstellern und bedauerte ihre Leichtgläubigkeit, eine Bibliothekstelle wäre in Weimar gar nicht erledigt und das Ganze käme mir vor wie eine Erfindung, wie sie nur in dem wohlwollenden Herzen einer Bettina grünen und blühen könnte. – Da kam sie [66] eines Tages selbst. Wir sprachen viel über Weimar. Schade griff die Sache auf und verfolgte sie weiter, ich kümmerte mich nicht weiter drum.


[Bettina reiste dann selbst nach Weimar und wandte sich persönlich an den Großherzog. Wie Schade am 3. December meldete, stand die Sache ausgezeichnet. Schade wartete nur auf eine Antwort der Bettina, um selbst nach Weimar zu reisen und durch seine Gegenwart die Angelegenheit zu fördern und womöglich zum befriedigenden Abschluß zu bringen. In der Freude seines Herzens widmete Hoffmann ihm seine Schrift ›In dolci jubilo Nun singet und seid froh‹. Mitte December reiste Schade nach Weimar. Gleichzeitig erhielt jedoch Hoffmann von anderer Seite weniger günstig lautende Nachrichten.]


Den 20. December schrieb ich in mein Tagebuch: ›Die schönen Tage von Weimar sind nun vorüber und – es bleibt wahrscheinlich beim Alten.‹ Trotzdem hatte ich den festen Entschluß gefaßt, Neuwied zu verlassen. Die Gründe dazu waren eben keine neuen. Schriftstellern mußte ich, das war mein Beruf, meine Neigung, leider aber auch mein Nebenerwerb; dazu gehörten viele Hülfsmittel, die ich mir hier nur durch Reisen und Briefwechsel verschaffen konnte, und beides war mühsam und kostspielig. Ich dachte also an einen Ort, der mir in dieser Beziehung Erleichterung gewährte, und weil ich eben keinen andern wußte, so war mir Weimar schon recht, und in einer Beziehung wünschenswerth. Ich hoffte dort nicht weiter so wie hier polizeilich beaufsichtigt zu werden und schwachen Leuten einen Vorwand zu geben, mich zu meiden. Daß in Coblenz über mein hiesiges Thun und Treiben Buch geführt wurde, stand mir außer allem Zweifel und wurde mir auch später aus sicherer Quelle bestätigt.

Der Christabend war heuer kein fröhlicher für uns. Als Ida mich in Thränen fand, fragte sie: ›Was weinst Du?‹ – ›Lies!‹ und sie las das Gedicht an unser Kind, 37 das ich eben niedergeschrieben hatte.

[67] Mit wenig Hoffnung, aber viel Muth und Arbeit trat ich das neue Jahr (1854) an. In den nächsten Tagen hatte ich die zweite Hälfte meiner Geschichte des Kirchenliedes vollendet. Am 11. Januar brachte ich mein Manuskript zur Post, ging dann an den Rhein und wartete so lange bis der Postbote glücklich am drübigen Ufer angelangt war; im Rhein trieb noch immer viel Eis und die Ueberfahrt war sehr erschwert.

Schade hatte mir bisher noch keine Mittheilung zukommen lassen über den Erfolg seiner Weimarischen Reise. Den 13. Januar schrieb er mir von Bonn:

›... Ich hatte, auf des Großherzogs Pläne eingehend, die Proposition gemacht, wir wollten beide zusammen, Sie und ich, die geplante Zeitschrift für Deutsche Sprache und Literatur in Weimar arbeiten, daneben noch ein literarhistorisches Taschenbuch und einen Musenalmanach ins Werk setzen. Zur Unterstützung, damit wir nicht zu hohes Redactionsgehalt zu nehmen brauchten um das Werk leichter ausführbar zu machen, sollte der Großherzog einem Jeden von uns ein Jahrgehalt von 500 Rb. zusichern, vorausgesetzt daß Sie Ihr preußisches Wartegeld behielten. Sie hätten also gegen 900 Rb. gehabt und konnten dafür gut leben. Es war für Sie keinerlei Stelle offen und Sie würden dann noch Großherzogl. Weimarischer Hofrath geworden sein. Der Großherzog war geneigt, sehr geneigt aus den Plan einzugehen und ich habe Alles aufgeboten, etwaige Besorgnisse zu zerstreuen, die man in Bezug auf Sie haben könnte wegen Ihrer politischen Vergangenheit. Sie hätten keinen besseren Fürsprecher haben können ....‹

Ich war sehr erstaunt, daß der Herr Doctor so ohne Weiteres für mich und über mich und am Ende mich selbst verhandelt hatte. Ich hatte ihm durchaus keinen Auftrag gegeben, ja sogar mich noch in einem Briefe am 15. December gegen alle derartigen Bemühungen für mich entschieden ausgesprochen, freilich hatte dieser Brief ihn nicht mehr in Bonn getroffen.

Unterdessen arbeitete ich rüstig fort. Den 18. Januar vollendete ich mein 13. Neuwieder Buch, die Pars X. der Horae belgicae und am 22. erhielt ich die letzte Correctur der Pars IX., die auch unter dem Titel erschien: ›Altniederländische Sprichwörter nach der älteste Sammlung. Gesprächbüchlein, romanisch und flämisch. [68] Herausgegeben von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Hannover. Carl Rümpler. 1854. 8°. 99 SS.) Den folgenden Tag sendete ich das Manuscript der Pars X. an Herrn Rümpler. Nebenbei vollendete ich die Abschrift der Sprichwörter des Antonius Tunnicius v.J. 1513.

Am 22. Januar erhielt ich aus Bonn die besten Nachrichten über die Weimarische Angelegenheit. Ich entschloß mich hinüberzureisen. Schade sprach mit großer Freude und Selbstzufriedenheit über seine Weimarische Reise und die glänzenden Erfolge seiner Bemühungen. Er legte mir dann das Schreiben des Herrn von Schober aus Weimar vor.


[In demselben war ausgesprochen, daß der Großherzog es gern sehen würde, wenn Schade in Weimar im Anschluß an die Göthestiftung, welche in Weimar ins Leben gerufen werden sollte, eine litterarische Zeitschrift begründe. Der Großherzog wollte diese durch eine Summe von tausend Thalern jährlich unterstützen. Hoffmann wurde in diesem Schreiben von Schobers nur als Mitarbeiter Schade's an dieser Zeitschrift in Betracht gezogen; seiner Uebersiedelung nach Weimar wurden Bedenken wegen seiner Vergangenheit entgegengesetzt.]


Ich las und erklärte, daß ich daraus nicht eingehen könnte: von mir wäre ja nur nebenbei die Rede, zu einer Zeitschrift würde ich mich nur schwer verstehen, ich hätte an meiner ›Monatschrift von und für Schlesien‹ für das ganze Leben genug, auch wünsche man nicht einmal, daß ich in Weimar wohne etc. Da wurde Schade stutzig, er gab mir die Versicherung, er habe Sr. königl. Hoheit erklärt, er würde nie ohne mich nach Weimar gehen, auch habe er Herrn von Schober geantwortet, er müsse erst mit mir Rücksprache nehmen und würde dann selbst an den Großherzog schreiben. Dadurch freilich bekam die Sache für mich eine andere Wendung, und da ich das Schreiben des Herrn von Schober nicht als endgültige Entscheidung Sr. königl. Hoheit betrachtete, so erklärte ich mich vorläufig zur Theilnahme bereit.

Daß Schade die Bettinasche Idee für sich ausgebeutet und sich selbst zum Knotenpunkte dieser Weimarischen Beförderungsaussichten gemacht hatte, wurde mir immer klarer. In Folge des Schoberschen Briefes hatte er sich sofort verlobt, und noch den 22. Januar einen [69] Artikel in der Kölnischen Zeitung veranlaßt, in dem nur von seiner Berufung nach Weimar die Rede war.

In den nächsten Tagen benutzten wir die Morgenstunden zu Besprechungen über das was wir gemeinschaftlich für die Göthestiftung in Weimar leisten wollten. Diese Stiftung schien eine Lieblingsidee des Großherzogs zu sein, aber was königl. Hoheit Alles damit beabsichtigte und hineinzuziehen wünschte, war uns nicht klar. Auch kannten wir nicht, was Liszt vor einigen Jahren darüber veröffentlicht hatte. 38 Wir dachten uns also selbst eine solche Stiftung und empfahlen unsere Ansichten in einigen Protokollen dem hohen Ermessen Sr. königl. Hoheit. Vorläufig verpflichteten wir uns, jährlich drei verschiedene Werke herauszugeben:

1. Weimarische Zeitschrift für deutsche Sprache und Litteraturgeschichte,
2. Weimarisches Taschenbuch für deutsche Litteraturgeschichte, und
3. Weimarischer Musenalmanach.

In den letzten Tagen des Januars schickte Schade unsere Vorschläge auf drei Bogen ein nebst einem acht Quartseiten langen Briefe, Alles sehr sauber geschrieben. Auch ich fügte noch einen Brief hinzu, worin ich Se. königl. Hoheit bat um die Genehmigung, Hochdenselben die Geschichte meines Kirchenliedes widmen zu dürfen.

Um diese Zeit erhielt ich zwei Briefe von Bettina aus Berlin.


[Sie forderte Hoffmann aus, eine Eingabe an den König zu richten und um die Erlaubniß zu bitten, sein Wartegeld in Weimar oder Wolfenbüttel 39 verzehren zu dürfen. Sie sprach sich ferner darüber offen aus, daß sie früher und auch jetzt noch beim Großherzog von Sachsen nur darauf hinzuwirken suche, daß Hoffmann eine Stellung an der weimarischen Bibliothek erhalte, woraus offenbar hervorging, daß der Plan einer litterarischen Zeitschrift erst von Schade in diese Verhandlungen hineingetragen worden war. In diese neue Angelegenheit sich einzumischen, wies Bettina zurück, da sie von einem Litteraturblatt nichts verstände.]


[70] Schon den 6. Februar erfüllte ich Bettinas Wunsch und schrieb an den König, war aber fest überzeugt, daß ich abschlägig beschieden werden würde. 40 Da ich in Bonn keine Antwort von Weimar abwarten mochte, so beschloß ich abzureisen. Am 8. Februar kehrte ich zurück in den Frieden meiner Häuslichkeit und zu meinen stillen erfreulichen Arbeiten. Gleich nach meiner Ankunft kündigte ich meine Wohnung. Wir waren dadurch der Nothwendigkeit, uns nach einem andern Wohnorte umzusehen, näher gerückt. Jetzt wurde aber die Ungewißheit, worein wir versetzt waren, von Tage zu Tage peinigender. Von Weimar kam weiter keine Nachricht als die Anzeige des Herrn von Schober vom 15. Februar, daß der Großherzog die Widmung meines Buches ›mit Vergnügen genehmige.‹ Da verschloß ich mich nach Bonn zu gehen, um Schaden zu bestimmen mit mir zusammen nach Weimar zu reisen und so eine Entscheidung herbeizuführen.

Schade war bereit, nach einigen Tagen aber schrieb er mir auf. Ich trat nun allein die Reise au, den 4. März traf ich in Weimar ein. Bald nach meiner Ankunft im Erbprinzen zum Hofrath Sauppe, Direktor des Gymnasiums. Er bittet seine Freunde Preller und Schöll herüber zu kommen. Da alle drei Hofräthe sind und Beziehungen zum Hofe haben müssen, so spreche ich von meinen Angelegenheiten und erbitte mir ihren Rath. Sie meinen, es sei wol das Beste, wenn ich etwas Schriftliches von Sr. königl. Hoheit erlangen könnte. Wir bleiben bis 1 Uhr ganz heiter beisammen.

5. März. Audienz beim Minister von Watzdorf. Ich trage ihm offen mein Anliegen vor. Er äußert sich sehr wohlwollend, wünscht aber ganz aus dem Spiele zu bleiben, er betrachtet die Sache als eine rein persönliche des Großherzogs. Wir kommen auf mein Verhältniß zu Preußen. Der Minister hat in Berlin angefragt und zur Antwort erhalten, man habe nichts gegen meine Uebersiedelung nach Weimar, übrigens warnt er mich vor einer Theilnahme an politischen Dingen.

Des Nachmittags führt Sauppe mich auf den Weg nach der [71] Altenburg zu Liszt. Als wir vor der steinernen Treppe am Wäldchen Abschied nehmen, ist mir so eigen zu Muthe, als ob ich von allen Weimarischen Hofräthen schiede, denn daß Liszt näher dem Großherzoge stand als jene, wußte ich bereits. Liszt empfing mich wie einen alten Freund. Wir sprachen uns über die Göthestiftung aus und unsere daraus bezüglichen Vorschläge an den Großherzog, die dieser nur Liszt mitgetheilt hatte. Ich lese einige Gedichte vor zum Champagner. Die Fürstin von Wittgenstein erscheint; auch sie ist sehr erfreut über meine Lieder. Liszt wird den Großherzog um eine Audienz für mich ersuchen und vorher noch selbst mit ihm sprechen.

6. März. Um 12 Uhr auf der Bibliothek. Preller legt mir die Handschriften- und Incunabeln-Verzeichnisse vor. Ich finde ein handschriftliches Liederbuch vom J. 1537, worin nebst einigen deutschen herrliche niederländische Volkslieder, wie ich's sehr bald herausfinde, trotzdem daß die Handschrift sehr schlecht geschrieben ist.

Um 5 zur Tafel bei der Fürstin von Wittgenstein. – Um 7 fahre ich mit Liszt ins Schloß. Der Großherzog erst etwas ernst, dann heiter, gesprächig, theilnehmend. Wir sprechen über litterarische Dinge, die Göthestiftung, unsere Zeitschrift u. dgl. Als ich des Weimarischen Musenalmanachs erwähne, ist er begierig, einige dafür bestimmte Gedichte zu hören. Ich lese mehrere meiner Lieder. Er ist sehr erfreut und thut seinen Beifall in Einem fort kund: ›Vortrefflich, herrlich, schön, wunderschön!‹ oder sich an Liszt wendend:›Charmant, très-beau, superbe!‹ ›Noch einige!‹ Und ich fahre wieder fort. Zuletzt übersetze ich noch mein altniederländisches Scheidelied 41 und überreiche ihm die Loverkens (Pars VIII. der Horae belgicae), nachdem ich die Entstehung derselben erzählt habe. – Nach einer Stunde fahren wir zur Altenburg zurück. Ich bin mit Liszt allein und wir besprechen meine Angelegenheit. Um 12 begleitet er mich nach Haus.

7. März. Ich miethe mir eine Wohnung und schreibe an Ida. Mittags bei Schöll, nachher mit ihm spaziert. Später besucht mich Liszt. Den Abend bin ich bei Sauppe.

8. März. Liszt erzählt mir, wie sich der Großherzog über mich geäußert habe und daß er uns beide morgen um 9 erwarte. –

[72] Mittagsessen auf der Altenburg: Frau von Schorn mit ihrem Sohne, er französische Gesandte Graf Talleyrand, Prediger Steinacker, Musiker Peter Cornelius. Nach Tische lese ich meine Oper, dann spielt Liszt drei Stücke, später lese ich noch einige Lieder. Viele Schüler Liszt's haben sich nach und nach eingefunden. Alles in heiterer und dankbarer Stimmung. Um 11 Uhr heim.

9. März. Kurz vor 9 kommt Liszt und holt mich ab ins Schloß. Der Großherzog empfängt uns sehr freundlich. Er spricht sich über sein Verhältniß zu der beabsichtigten Zeitschrift ganz bestimmt aus; er bewilligt dem Unternehmen 1000 Rb. jährliche Unterstützung. Nach einer Stunde entläßt er uns. Er recht die Hand mit den Worten: ›Ich vertraue Ihnen, und das ist viel gesagt.‹ – Befriedigt eile ich in den Gasthof, mache mich reisefertig und fahre zum Bahnhof hinaus. Den Abend spät komme ich in Mainz an, den andern Tag erreiche ich Neuwied.

Ida war hocherfreut, daß sich die Weimarische Angelegenheit endlich so entwickelt hatte, daß wir getrost unsere Uebersiedelung ausführen konnten. Besonders lieb war ihr Liszt's große Theilnahme, an ihm hoffte sie mit mir würden wir eine gute Stütze haben; sie hatte mir schon nach Bonn geschrieben, daß ihn Freiligrath ›einen edelen Menschen und unsern vielfach gebildetsten Künstler‹ genannt habe.

Den 16. März kam Schade. Wir einigten uns über alles auf unsere Zeitschrift Bezügliche, auch über den Inhalt des ersten Heftes und über einen Verlagsvertrag, den ich dann Herrn Rümpler mittheilte. Schon nach einigen Tagen erfolgte eine zustimmende Antwort. Die Zeitschrift sollte jedes Jahr in vier Heften oder zwei Bänden erscheinen unter dem Titel: ›Weimarisches Jahrbuch für deutsche Sprache, Litteratur und Kunst.‹

Den 1. April wiederholte Schade seinen Besuch. Wir besprachen die Richtung des Jahrbuchs. Wenn ich glaubte mit ihm völlig im Reinen zu sein, so fühlte ich mich plötzlich weiter vom Ziele ab als je. Als wir am dritten Tage von einem Spaziergange zurückgekehrt waren, äußerte er sich dermaßen, daß ich ihm erklärte, wenn er bei solchen Ansichten beharrte, so wollte ich mit dem Jahrbuche nichts zu thun haben. Wir geriethen heftig an einander. Nach einiger Weile lenkte er ein und der Friede war wieder hergestellt.

[73] Als ich am Abend allein zu Hause war, lebten alle Gespräche mit Schade wieder auf. Es war mir, als ob solch ein litterarisches Compagnie-Geschäft mit ihm unmöglich wäre. Ich beschloß, vom Jahrbuche zurückzutreten und ihm morgen (4. April) brieflich meinen Beschluß mitzutheilen, denn, dachte ich, besser wir scheiden jetzt in Frieden und Liebe als daß wir später in Zank und Haß mit einander brechen. Schon am dritten Tage erhielt ich ein langes Schreiben von Schade voll von Vorwürfen, Betheuerungen, Versprechungen, Vorsätzen und Vorschlägen. Da durch letztere eine gemeinschaftliche Wirksamkeit ermöglicht war, so nahm ich sie an und sendete ihm einige Gegenvorschläge ohne auf den übrigen Inhalt seines Briefes einzugehen, weil ich doch von jeder näheren Erörterung nichts Ersprießliches erwartete.

Die Unklarheit, die mit unserer Weimarischen Angelegenheit verwachsen war und blieb, war die Quelle aller Streitigkeiten unter uns und schließlich unseres Zerwürfnisses; sie gab den Mißgünstigen steten Anlaß und Gelegenheit, feindselig und hindernd zu wirken gegen uns und gegen Alles was wir wollten und thaten. Unklar war und blieb die Göthestiftung, unklar unser Verhältniß zum Großherzog und zum Jahrbuch. Daß unter solchen Umständen überhaupt noch etwas zu Stande kam, ist ein Wunder, und ein größeres, daß ich bei dem vielen Aerger und Verdruß meinen guten Humor behielt und nie die Lust verlor zum Arbeiten und Dichten.

Den Tag vor Ostern (15. April) ward mir eine große Festfreude: ich erhielt die letzten Correcturbogen meiner beiden letzten Neuwieder Bücher, die noch vor Ende dieses Monats erschienen, Pars X derHorae belgicae, auch unter dem Titel: ›Niederländische geistliche Lieder des XV. Jahrhunderts. Aus gleichzeitigen Handschriften herausgegeben von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Hannover. Carl Rümpler. 1854. 8°. 256 SS.) – ferner: ›Geschichte des deutschen Kirchenliedes bis auf Luthers Zeit. Von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Zweite Ausgabe. Hannover. Carl Rümpler. 1854. 8°. XI. 540 SS.) 42 Hiemit schloß meine litterarische Thätigkeit in [74] Neuwied. Ob auch davon der Herr Oberpräsident von Kleist-Retzow Notiz genommen? Schwerlich! es dürfte eher in den Coblenzer Präsidialacten bemerkt sein, daß ich das 15. Seidel Bier bei Gieser getrunken als daß ich das 15. Buch in Neuwied vollendet hätte. Statt einer Fortsetzung der Horae belgicae lag mir jetzt mehr am Herzen, die vergriffenen Theile (P. I. II. und VII.) neu herauszugeben. In Deutschland war das nicht ausführbar, zumal in Betreff des ersten Theiles, ich entschloß mich also zu einer Reise in die Niederlande, um an Ort und Stelle umfassende Studien zu machen.

Den 22. April verließ ich Neuwied. Ich fuhr mit einem niederländischen Dampfboot bis Rotterdam. Den 24. traf ich in Leiden ein. Es war mir höchst angenehm, daß ich bei de Vries wohnte: ich konnte ungestört arbeiten, seine treffliche Bibliothek benutzen uns hatte Gelegenheit mich öfter als es sonst möglich gewesen wäre mit ihm zu unterhalten. Den Tag über pflegte ich zu arbeiten, Abends war ich dann immer in Gesellschaft alter Freunde und neuer Bekannten.

Den 1. Mai in Amsterdam. Den Nachmittag bin ich zu Alberdingk Thijm eingeladen. Nachdem ich seine Bücher durchmustert, gehen wir zu Tische. Zugegen sind seine Schwester und der Dichter W.J. Hofdijk. Wir unterhalten uns viel über Volkslieder und Volksweisen. Da ich höre, daß die Schwester musicalisch ist, so bitte ich sie uns etwas vorzutragen. Wie erstaune ich, als sie ein altes Lied singt, und ich erstaune noch mehr, als ich endlich merke, daß es eins meiner altniederländischen Lieder ist. Es folgen noch drei, alle vier im alten Volksstile componiert von ihrem zweiten Bruder. Ich bin hocherfreut und wünsche den Componisten kennen zu lernen. Es wird sofort zu ihm geschickt, er kommt und ich danke ihm für den Genuß, den er mir und uns allen bereitet hat. Jos. Alb. Alberdingk Thijm hat später sehr hübsch unsere erste Maitagsfreude erzählt und die vier Lieder mit den Melodien in Steindruck beigefügt. 43

2. Mai um 7 Uhr zur Familie Kemper. Mevrouw K. mit ihren beiden Töchtern empfängt mich sehr herzlich. Ein Wiedersehen nach 33 Jahren! Ich bin tief bewegt, mir ist als ob mir eine Geisterstimme zuflüstert Göthe's Zueignung zum Faust: ›Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten!‹ Ich suche meine wehmüthige Stimmung [75] zu verbergen, aber es will mir nicht gelingen. Wir nehmen wieder Abschied, und wol jetzt für immer. Meielis Bild, wie es lebendig vor mir stand, so begleitete es mich auf meiner Reise. Und wie ich heimgekommen war, da widmete ich ihr, der ich so manches Lied gesungen, noch einen letzten Liederkranz 44.

3. Mai. nach Leiden zurück.

4. Mai. Fleißig gearbeitet: ich mache Auszüge aus dem Haarlemer Liederbuche, das mir ein Antiquar geliehen hat, und bereite mich vor zu meinem Vortrage in der Matschappij der nederl. Letterkunde. – Rümpler schickt die fertig gewordenen Theile der Horae belgicae, Pars IX. und X. Beide überreiche ich de Vries, erstere ist ihm gewidmet. Er ist sehr erfreut.

5. Mai. Um 8 Uhr Abends in die Vergadering der Maatschappij. Die Mitglieder der Gesellschaft haben sich zahlreich eingefunden. Unter ihrer großen Theilnahme halte ich einen Vortrag über die Weimarische Handschrift der niederländischen Lieder.

Am 6. Mai reise ich von Leiden ab; am 7. in Gent. Nachdem ich mich etwas erquickt, besuche ich Prudens van Duyse. Der Mann ist sehr freundlich und gefällig, wie er es mehrmals mir in früherer Zeit schon bewies. Man hält ihn für einen großen Dichter; ob er sich selbst dafür hält, weiß ich nicht, ich weiß nur, daß er der fruchtbarste vlämische ist: er zeigt mir einen ganzen Schrank voll seiner eigenen Gedichte.

8. Mai. Gut geschlafen, aber doch sehr angegriffen, die gestrige Reise war zu anstrengend. – Van Duyse holt mich ab. Wir besuchen die Bibliothek und dannSnellaert. Der treue Freund unsers Willems ist sehr erfreut und bietet mir bereitwilligst seine Liedersammlung zur Benutzung an. Ich sehe sie denn auch gleich durch, leider ist meine Ausbeute wider Erwarten unbedeutend. Nach Tische besuchen wir Blommaert, den fleißigen Herausgeber altniederländischer Dichtungen. Er verehrt mir viele seiner Werke.

9. Mai. Mit Snellaert nach Brüssel. Ich besuche die königliche Bibliothek. Im Lesecabinet stelle ich zwei Scheine über Handschriften aus, ich bekomme nichts und auch die Scheine nicht einmal zurück. Man weist mich in die Handschriftenabtheilung. Ich sehe mir Einiges [76] an. Unterdessen finden sich ein Snellaert, David, Bormans, de Ram. Ich freue mich schon, im Laufe des Tags mit ihnen zusammen sein zu können. Umsonst. Sie gehen zu einer Sitzung, um über die Herausgabe der Werke Jac. van Maerlant's zu verhandeln. Sie empfehlen sich und überlassen mich meinem Schicksale.

Wenn in der Fremde ein Deutscher nicht weiß, was er für den Augenblick beginnen soll, so thut er wohl daran, in die erste beste deutsche Buchhandlung zu gehen. So mache ich es denn auch jetzt: die Herren Kießling, Schnee und Comp. sind sehr freundlich und einer von ihnen führt mich in angenehme Gesellschaft. Unter den Landsleuten ist auch der Dr. Adam Pfaff, ein jugendfrischer, geistreicher, freiheitsliebender echter Deutscher. Er ist sehr erfreut mich persönlich kennen zu lernen und möchte so gern etwas thun, um mir Brüssel recht angenehm zu machen; er bittet mich, morgen doch noch zu bleiben, er wolle mir den ganzen Tag widmen. So lieb wie sonst ein solches Anerbieten gewesen wäre, so muß ich es doch ausschlagen, ich habe für dies Mal genug, meine Unruhe ist zu groß und mein Gasthof zu unerquicklich, so daß ich singe wie jener gefangene Geselle:


ic en wil der niet meer nae Groenendal gaen
ende horen den nachtegael singen,
und den andern Tag abreise. 45
Fußnoten

1 Gedruckt in: Deutsches Volksgesangbuch von H.v.F. (Lpz. Engelmann. 1848) Nr. 177 mit der Volksweise eines Liedes, das also beginnt: ›Zufriedenheit ist mein Vergnügen.‹

2 Niemals habe ich geglaubt, es noch zu erleben, daß ein Litterarhistoriker diese Ansicht oder auch nur eine ähnliche in Bezug auf meine Poesie aussprechen würde. Um so mehr muß es mich überraschen, daß sich jetzt nach vielen Jahren Vilmar, dem die Kritik gründlich selbständige Studien, seinen Blick, geistvolle Auffassung und frische, lebendige Darstellung zugesteht, und den man bei seinem religiösen und politischen Standpunkte doch gewiß nicht einer Parteilichkeit für mich zeihen kann, daß sich derselbe Vilmar in seinem neuesten Buche: ›Handbüchlein für Freunde des deutschen Volksliedes‹ (Marburg 1867) S. 81 ff. über meine Landsknechtslieder in diesem Sinne ausspricht.

3 Gedichtet zu Mannheim am 25. August 1843; in die Ges. W. nicht aufgenommen; es findet sich u.a. im ›Deutschen Volksgesangbuch von H.v.F.‹ (Leipzig. 1848. Nr. 35).

4 Ges. W. Bd. IV. S. 254. 255.

5 Ges. W. Bd. V. S. 73. 74.

6 Dieser Empfindung entstammt das Lied: ›So muß' ich fliehn aus meiner Heimat.‹ Ges. W. Bd. I. S. 61. 62.

7 Vgl. Ges. W. Bd. V. S. 73–81 und S. 343. Anm. 13.

8 Ges. W. Bd. V. S. 77. 78.

9 Das Folgende aus einem Briefe an Ida vom 10. März 1849. – Das Liederheft ›Deutschland‹ ist trotz wiederholter Zusagen Härtels überhaupt nicht erschienen.

10 Die ›Spitzkugeln‹ sind in die Ges. W. noch nicht aufgenommen, sondern für einen beabsichtigten 9. Band zurückgelegt.

11 Damals entstanden die ›Idalieder‹. Ges. W. Bd. II. S. 3–5 und S. 394. Anm. 1.

12 Ges. W. Bd. II. S. 6–8 und S. 394. Anm. 2.

13 Ges. W. Bd. VI. S. 49.

14 Ges. W. Bd. I. S. 171.

15 ›Wie Nachtigallen sangen‹ – Ges. W. Bd. V. S. 141. 145.

16 ›Nur ein Wandern ist das Leben‹ – Ges. W. Bd. I. S. 84.

17 Es erschien unter dem Titel: ›Deutsche Dichterhalle des neunzehnten Jahrhunderts‹. 1–3. Bd. Mainz. Kunze. 1850. 1851. ›Zweite umgearbeitete und vermehrte Auflage, herausgegeben von Dr. F.C. Paldamus‹ erschien 1855. 56.

18 Die Johannalieder stehen nach einer neuen, vom Dichter später getroffenen Anordnung in Ges. W. Bd. I. S. 323–388 (vgl. ebenda S. 403. Anm. 71.)

19 ›Wenn dich mein Arm so fest umschlungen hält‹ – Ges. W. Bd. I. S. 104.

20 Ges. W. Bd. III. S. 60–68 und S. 285 Anm. 12.

21 Ges. W. Bd. I. SS. 66. 67.

22 Ges. W. Bd. V. S. 129–138 und S. 348. Anm. 33.

23 Diese und die folgende Sammlung Soldatenlieder (unten S. 42. 43.) finden sich neben anderen in den Ges. W. Bd. III. S. 163–197 (vgl. S. 289. Anm. 32.)

24 Vgl. oben S. 41. Anm.

25 ›Sei gegrüßt mit Sang und Schall!‹ – Ges. W. Bd. VI. S. 52.

26 ›Wie singst du so süß und lieblich‹ – Ges. W. Bd. VI. S. 52. 53.

27 Sontagsfeier von Hoffmann von Fallersleben. Musik von Luise Reichardt. Neuwied. Verlag von F.J. Steiner.

28 Bisher in die Fes. W. noch nicht aufgenommen, sondern für einen neunten Band zurückgelegt.

29 Ges. W. Bd. I. S. 105

30 Uhland's Volkslieder. 1. Bd. S. 784–794.

31 ›Kein König gab mir einen Orden‹ – Ges. W. Bd. I. S. 106.

32 Ges. W. Bd. III. S. 249. 250.

33 Von demselben Tage stammt das Gedicht: ›Dein Leben war Ein Leiden‹ – Ges. W. Bd. I S. 109.

34 ›Wie lächelst du so froh mir zu!‹ – Ges. W. Bd. I. S. 109, 110.

35 Aus einem Briefe an Ida.

36 Diese Auswetsung gab H. Veranlassung zu dem Gedicht. ›In des Sommers milden Tagen‹ – Ges. W. Bd. V. S. 153.

37 ›Kein Christbaum wird ihr mehr beschieden‹ – Ges. W. Bd. I. S. 110.

38 De la Fondation-Goethe à Weimar. Lpz. Brockhaus 1851. 162 SS. Vgl. Blätter für lit. Unterhaltung 1851. S. 497–501.

39 Vgl. oben S. 15. 16.

40 Das geschah denn auch nach vier Wochen. Der Minister von Raumer zeigte mir den 6. März an, daß der König meine Immediat-Vorstellung vom 6. Februar ›ohne Allerhöchste Genehmigung‹ an ihn habe abgeben zu lassen geruhet.

41 ›Vaer wel, vaer wel, mijn soete lief‹ – Horae belgicae. P. II. 1833. S. 155. 156.

42 Als Beilage dazu kann betrachtet werden das schon früher fertig gewordene Büchlein: In dulci iubilo nun singet und seid froh. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Poesie von Hoffmann von Fallersleben. Mit einer Musikbeil. von L. Erk. Hannover. Carl Rümpler. 1854. 8°. IV. 128 SS.

43 De Dietsche Warande 1. jaarg. blz. 269. 270.

44 Vgl. die Sammlung ›Leiden und Liebe‹ – Ges. W. Bd. II. S. 16–19 und S. 395. Anm. 5.

45 Hoffmann veröffentlicht am Schlusse des 5. Bandes der Lebensgeschichte seine beiden Opern: ›In beiden Welten‹ und ›Der Graf im Pfluge‹, deren Entstehung er in diesem Bande erzählt hat.

6. Band
[77] [79]Sechster Band.
(Weimar, Frühling 1854 bis Frühling 1860.)

Am 10. Mai des Morgens um 7 verließ ich Brüssel und traf gegen Abend in Crefeld ein. Ich verlebte hier einige frohe Tage mit Conrad Wolff und seinen Verwandten und Freunden. Den 13. über nachtete ich in Cassel und den folgenden Nachmittag erreichte ich Weimar. 1

Ich begab mich sofort in unsere Wohnung, Schützengasse G 84. Ich fand nichts vor als unsere vielen Listen, Kasten, Körbe und Ballen; unsere sämmtlichen Möbeln und unsern ganzen Hausrath hatten wir in Neuwied versteigern lassen. Unsere Wirthin, die gute Frau Graff, war so freundlich mich mit dem Allernothwendigsten zu versehen, sie besorgte einige Stühle und Tische und ließ mir ein Bette ausschlagen. In dieser Armseligkeit lebte ich vierzehn Tage lang bis zur Ankunft der Meinigen, mit denen ich dann die Einrichtung unserer Wohnung und Haushaltung in Angriff nahm.

Weimar sah ich zuerst als Student im Jahre 1818 und dann nach einem langen Zeitraume im Jahre 1842. Es machte jedesmal und so auch jetzt wieder aus mich den Eindruck eines thüringischen Landstädtchens. Die öffentlichen Gebäude, selbst die mancherlei Neubauten haben nichts Großartiges, nichts Ansprechendes, ja nicht einmal einen Stil. Anspruchlos jedoch in der anspruchlosen Umgebung fand ich mich bald heimisch, und die Residenzstadt mit ihrer Bevölkerung ward mir lieb und werth. Es wandelt sich ganz gut auf dem leidlichen, aber reinlichen Pflaster, man wird nirgend behelligt vom Pferdegetrappel und Wagengerassel und von einem wühligen [79] Menschengedränge; auch vermißt man recht gern so Manches, was einen in anderen Städten oft unangenehm berührt oder belästigt. Ich habe nie einen leer stehenden Wagen auf der Straße bemerkt, an dem nicht bei Eintritt der Dunkelheit eine Laterne hing, habe nie einen betrunkenen Menschen, nie eine Schlägerei oder Rauferei gesehen, nie einen pöbelhaften Lärm gehört, nicht einmal den sonst pflichtmäßigen Ruf des Nachtwächters oder sein schreckenerregendes Horn und bin in der Stadt nie einem Leichenzuge begegnet. Vornehm und Gering ging anständig seines Weges, war fast immer freundlich, artig und höflich, und schien Wohlgefallen zu haben an der schönen Natur und Kunst und sich gern im Freien zu ergötzen. Es machte einen wohlthuenden Eindruck, wenn man sah, wie alle öffentlichen Anlagen geschont wurden, wie jede Blume, jeder Strauch und Baum vor Frevel sicher war, und wie sogar die Vögel bei Schnee und Kälte sich der liebenden Theil nahme unserer Nachbaren zu erfreuen hatten und täglich ihr Mittagsmal empfingen.

Daneben war nun freilich viel Philisterei und Residenzlerei, und im Bürgerstande viel Zopf: der Zunftzwang und das Privilegium hemmten alle freie Bewegung und allen Mitbewerb im Handel und Verkehr und hielten allen Unternehmungsgeist nieder.

Obschon ich mehrere Tage in einer uneingerichteten Wohnung und noch dazu allein hausen mußte, so hatte ich mich doch in diesen vorläufigen, wenn auch unangenehmen, doch leidlichen Zustand gefunden. Auch ich hätte mich nicht viel anders aussprechen können wie Schiller in einer ähnlichen Lage. Als er nämlich 1787 in Weimar seinen Aufenthalt genommen hatte, äußerte er sich in den ersten Tagen also:

›Wenn ich aufrichtig sein soll, so kann ich nicht anders sagen, als daß es mir ungemein gefällt und der Grund davon ist leicht einzusehen. Die möglichste bürgerliche Freiheit und Unangefochtenheit, eine leidliche Menschenart, wenig Zwang im Umgang, ein ausgesuchter Zirkel interessanter Menschen und denkender Köpfe, die Achtung, die auf die litterarische Thätigkeit gelegt wird, dazu der wenige Aufwand, den ich an einem Orte wie Weimar zu machen habe, warum sollte ich nicht zufrieden sein?‹

Etwas aber ließ mich zu solchen Betrachtungen nicht gelangen: immer trat wie ein heimtückisches Gespenst die Jahrbuchsangelegenheit [80] vor mich hin und trübte mir die Gegenwart und hüllte in noch größeres Dunkel die Zukunft.

Unsere Zeitschrift sollte bald erscheinen. Ich machte bereits meine Vorbereitungen. Da kam eines TagesDr. Schade mit der Nachricht: der Großherzog habe zur Bedingung gemacht, daß das Jahrbuch in Weimar gedruckt und verlegt werden müsse, und zwar bei Herrn Böhlau. Ich war sehr betroffen: es galt unter uns bisher als eine ausgemachte Sache, schon seit dem Frühjahr, daß Herr Rümpler das Jahrbuch verlegen würde; nach den darüber gepflogenen Verhandlungen war Alles bis zum wechselseitigen Unterzeichnen gediehen. Ich war trotzdem schwach genug, dieser Nachricht vollen Glauben zu schenken und ging mit Schade zu Böhlau. Wir besprachen die Sache und einigten uns. Jetzt also war plötzlich Herr Böhlau Verleger des Jahrbuchs.

Zwei Tage nachher besuchte mich Herr Rümpler (17. Mai). Ich empfing ihn am Bahnhof. Er kam von der Leipziger Messe. Wir gingen zusammen in den Erbprinzen. Ich erzählte ihm von meiner Reise, meinen hiesigen Verhältnissen und – vom Jahrbuche. Es war für mich ein peinigendes Gefühl es auszusprechen, daß er nicht, wie sich jetzt die Sache gestaltet habe, Verleger des Jahrbuchs sein könne. Rümpler, der so etwas gar nicht ahnden konnte, war natürlich sehr unangenehm berührt, wußte sich aber als erfahrener Geschäftsmann schnell in das Unangenehme zu finden und ging auf etwas anderes über. ›Nun, begann er, wir wollen auf etwas Erfreuliches kommen: was machen Ihre neuen Lieder?‹ Wir gingen nach meiner Wohnung und im Gartenhause las ich ihm alle vor. Er übernahm den Verlag und versprach mir zum 24. Juni, dem Geburtstage des Großherzogs ein gedrucktes Exemplar. Den folgenden Tag reiste er wieder ab.

Die Jahrbuchsangelegenheit war mir durch diesen Zwischenfall wieder recht unangenehm geworden. Ich erklärte Dr. Schade mündlich und schriftlich, daß ich weiter nichts damit zu thun haben wolle.

Den 26. Mai holte mich Liszt des Morgens ab zur Audienz beim Großherzog. Ich überreichte das Zueignungsexemplar meiner Geschichte des deutschen Kirchenliedes. Der Großherzog dankte recht freundlich, unterhielt sich über den Inhalt und äußerte, er wolle sich näher damit bekannt machen etc. Endlich kamen wir auf das Jahrbuch. [81] Der Großherzog meinte, ich könnte ja mitarbeiten und möchte die mir zukommenden Aufsätze der Zeitschrift zuwenden, er sähe wol ein, daß mir meine Freiheit in Bezug auf geistige Thätigkeit nothwendig sei, ›denn, fuhr er fort, Sie sind ein Dichter.‹

Nach und nach stellte sich heraus, daß der Großherzog gar keine Bedingung an die Art des Erscheinens des Jahrbuchs geknüpft, auch neulich Herrn Böhlau keine Zusicherung in Betreff des Verlags gegeben hatte. Böhlau, der von meinem Rücktritte gehört, kam nun zu mir und ich erzählte ihm den ganzen Hergang unserer Verhandlung mit Rümpler. Er begriff nun erst meinen Rücktritt und den Unwillen Rümpler's. Den andern Tag kam Schade und meldete mir, daß Böhlau auf den Verlag verzichte. Dadurch kam die Sache auf ihren alten Stand. Wir beriethen nun einen neuen Vertrag mit Rümpler, und um ihn geneigter dafür zu stimmen, verzichteten wir auf alles Honorar. Noch denselben Tag (14. Juni) schrieb ich an Rümpler. Der Vertrag kam zu Stande. In Rümpler's Namen frug ich bei Böhlau an, ob er geneigt sei das Jahrbuch zu drucken, worauf denn eine bejahende Antwort erfolgte.

Es war wirklich ein Wunder, daß das Jahrbuch endlich doch noch ins Leben trat. Die adeliche und die bürgerliche Camarilla hatte sich wirklich alle mögliche Mühe gegeben, den Großherzog zu bewegen, seine guten Absichten in Bezug auf mich rückgängig zu machen, ja es wurde meine ganze Vergangenheit ausgebeutet, um meine etwaige litterarische Thätigkeit und am Ende mich selbst zu beseitigen. Alles wurde benutzt, den Großherzog gegen mich zu stimmen, so daß er den Wunsch gegen Herrn Hofrath Sauppe aussprach, mein Name möchte nicht auf dem Titel stehen.

Gewiß hat sich damals manche Stimme bei Hofegegen mich erhoben, und es mag der Großherzog, wenn auch nicht umgestimmt, doch oft verstimmt gewesen sein. So fragte er eines Tags einen Mann, der in amtlicher Beziehung zum Hofe stand, als das Gespräch auf mich kam: ›Sind Sie auch einer von denen, die einen Stein auf ihn werfen?‹ – ›Im Gegentheil, königliche Hoheit!‹

Um dieselbe Zeit fragte der Großherzog einen meiner Freunde: ›Ich weiß, Sie kennen Hoffmann genauer, was halten Sie von ihm?‹ – ›Königliche Hoheit, ich liebe und verehre Hoffmann in jeder Weise.‹ – ›Was halten Sie von seinen politischen Ansichten?‹ – ›Königliche [82] Hoheit, wir sprechen fast nie über Politik, doch habe ich die Ueberzeugung, daß seine Ansicht keinem Menschen eine schlaflose Nacht bereitet.‹ –

Nach dieser höchst unerquicklichen Geschichte der Gründung des Weimarischen Jahrbuchs kehre ich nun zurück auf unser häusliches und geselliges Leben und Treiben.

Den 23. Mai kam meine Frau mit ihrer Schwester Agnes, den Tag vorher hatte sich ihr Bruder, der in Leipzig studierte, zum Besuch eingefunden. Unser erstes Geschäft war die Einrichtung unserer Wohnung und unsers Haushalts. Wir kauften sofort das Nothwendigste. Da uns das hiesige Möbelmagazin nur wenig für uns Passendes darbot und das was uns gefiel oft zu theuer war, so wendeten wir uns nach Erfurt und fanden dort Möbeln und Hausrath in größerer Auswahl und besser und billiger. Nach einigen Tagen waren unsere Zimmer bereits wohnlich eingerichtet, so daß wir Besuche darin empfangen konnten.

Die schönen Maitage lockten uns ins Freie hinaus. Wir machten Ausflüge nach Belvedere, den. Felsenkeller, dem Ettersberge, nach Tiefurt etc. und spazierten viel im Park. Nachdem wir so die Gegend kennen gelernt, wollten wir nun auch die Menschen kennen lernen. Wir machten zunächst Besuche bei der Fürstin Wittgenstein, den Hofräthen Schöll, Sauppe und Preller, dem Kirchenrath Dittenberger, dem Obermedicinalrath Froriep u.a.

20. Juni. Rosalie Spohr, Idas Freundin, ist gestern mit ihrem Vater und ihrer Schwester angekommen. Wir besuchen sie, nachher kommen sie mitLiszt zu uns. Am Nachmittag besehen wir unter Liszt's Leitung das Schloß. Am Abend ist große Gesellschaft auf der Altenburg. Es wird viel musiciert.Rubinstein, der uns neulich einige russische und moldauische Lieder so schön vortrug, spielt wieder sehr schön. Mehr noch erfreut mich Rosaliens Spiel auf der Harfe. Erst um 12 kommen wir heim.

23. Juni besuchen uns die Fürstin Wittgenstein und Liszt. Wir werden auf morgen zum Mittagsessen 4 Uhr eingeladen. Beim Abschied sage ich: ›Morgen erfolgt eine Ueberraschung.‹ Ich konnte das mit Recht sagen, denn einige Stunden vorher hatte ich mein neues Büchlein erhalten, schön gedruckt und geschmackvoll gebunden: ›Lieder aus Weimar. Von Hoffmann von Fallersleben‹. (Hannover. [83] Carl Rümpler. 1854. 16°. 106 SS. mit der Zueignung ›Freundesgabe für Franz Liszt.‹)

24. Juni. Das Mittagsmal beginnt. Außer uns nur noch drei Gäste: Rubinstein, Cornelius und C.F. Brendel aus Leipzig. Wie gewöhnlich lebhafte Unterhaltung und heitere Stimmung. Die Tafel glänzt in Silber- und Blumenschmuck; den feinen Gerichten folgen noch feinere, den edelen Weinen immer noch edlere. Als der Champagner umher gereicht wird, bringen wir ein Hoch dem Großherzog, dessen Geburtstag heute ist. Nach einer Weile heißt es dann: ›Wann kommt die Ueberraschung?‹ Und sie kommt. Ich überreiche der Fürstin ein Exemplar meiner ›Lieder aus Weimar‹ und lese dann das dazu gehörige Gedicht. 2 Die Fürstin ist sehr gerührt, bis zu Thränen gerührt und sagt mir herzlichen Dank. Nach einer Pause überreiche ich der Prinzeß Maria das zweite Exemplar und lese das an sie gerichtete Gedicht. 3 Das dritte Exemplar empfängt Liszt: freudigste Ueberraschung, die sich noch steigert, als ich meinen Trinkspruch auf ihn ausbringe. 4 Meine Absicht war erreicht, die Ueberraschung gelungen, die Freude, die ich Anderen bereitet hatte, war meine größte Freude.

Den folgenden Tag meldet mir Liszt, der Großherzog wolle mich um 1/22 Uhr sprechen. Ich stelle mich rechtzeitig ein. Der Großherzog empfängt mich sehr huldreich. Ich überreiche ihm meine ›Lieder aus Weimar‹ und bemerke, daß es meine Absicht gewesen, gestern Abend dasselbe zu thun und zugleich meinen Glückwunsch zum Geburtstage darzubringen. Ich erzähle, daß wir gestern bei einem heitern Male Ihm ein Hoch ausgebracht hätten etc. Der Großherzog ist sehr erfreut, reicht mir die Hand und dankt. Schließlich muß ich noch meinen Trinkspruch auf Liszt lesen.

17.–20. Juli in Schulpforta. Ich gehe mit ProfessorSteinhart nach Almerich amtlich Altenburg geschrieben), besuche den Ortsvorsteher, melde mich als künftiges Gemeindemitglied und überreiche ihm meine Papiere. Darauf miethe ich eine Wohnung. Den andere Tag mache ich Herrn Landrath Geh. RathDanneilin Naumburg meine Aufwartung als künftiger Kreisinsasse. Auf die Weise ist [84] also meine Wartegeldsangelegenheit kurz erledigt. 5 – Den letzten Tag bin ich noch stundenlang bei Koberstein. Wir unterhalten uns viel über deutsche Philologie und stimmen in unseren Ansichten dermaßen überein, als ob wir uns vorher verabredet hätten.

28. August großes Mittagsmal auf der Altenburg um 6 Uhr. Gäste: die französischen Diplomaten, der Engländer G.H. Lewes, Professor Preller, Hofrath Sauppe, Dr. Schade, Joachim Raff u.a. Es ist der Jahrestag der Landeshuldigung. Ich bringe ein Hoch dem Großherzog. 6 Er muß über diesen Trinkspruch sehr erfreut gewesen sein: noch später (28. September) hat er in Bezug darauf von Stuttgart aus an Liszt geschrieben: ›Sagen Sie ihm, daß ich ihm mit der Freude danke, die uns das Erkennen unserer Bestrebungen bereitet und dieser Dank ist gewiß der herzlichste.‹

22. October. Liszt's Geburtstag. Wir bringen ihm unsere Glückwünsche und allerlei kleine Geschenke. Er ist sehr erfreut über unsere Theilnahme. – Bei dem Herrenessen, das am Nachmittag erfolgt, überreiche ich ihm ein Album mit allen Trinksprüchen und Gedichten, die Bezug auf ihn und die festlichen Anlässe auf der Altenburg haben. Dies Album wurde nachher fortgesetzt und kann als ein Stück Hauschronik betrachtet werden. 7

Unsere Wohnung auf ebener Erde in einer engen Gasse war trübe, feucht und kalt; das Haus gegenüber versperrte jede Aussicht, nur wenn die Sonne hoch stand, drang ein Sonnenstrahl zu uns. Für eine Familienwohnung war sie nicht ursprünglich eingerichtet und durch ihre 15 Thüren wurde sie nicht eben wohnlicher und bequemer. So lang es Sommer war, spürten wir weniger das Unangenehme und Unbequeme, an sonnigen Tagen waren wir viel im Garten oder auf Spaziergängen in der Umgegend und die Abende oft in Gesellschaft. Ida schaltete und waltete wie eine Hausfrau, [85] und wenn sie eben nicht krank war, wußte sie sich und mich zu erheitern. Das Weimarische Leben sagte ihr von Tage zu Tage mehr zu. Sie erfreute sich bald sehr angenehmen Familienverkehrs mit der Altenburg, Professor Preller's, Steinacker's und Rank's. Anspruchlos, heitern Sinns und lebendig in ihrer Unterhaltung war sie überall gern gesehen. Der Besuch ihrer Mutter, die einige Wochen bei uns war, wirkte sehr wohlthuend auf ihre Stimmung, und so mancher Kunstgenuß, den ihr das Theater gewähre oder womit uns Liszt und seine Schüler erfreuten, machte ihr Weimar bald lieb und werth.

Als nun die Vorboten des Winters, Kälte, Stürme und Regenschauer sich einstellten, da fühlten wir die Nothwendigkeit, unsere Wohnung aufzugeben. Wir suchten im ganzen classischen Weimar umher, jede Wohnung, die sich für uns geeignet hätte, war besetzt. Endlich fanden wir eine am Casernenberge, aber sie war schlecht im Stande und da die Besitzerin, eine arme Wittwe, nichts dafür aufwenden konnte, so mußten wir sie erst auf unsere Kosten einrichten. Das geschah denn, und in sehr unfreundlicher Zeit war endlich Alles so weit gediehen, daß wir am 21. November einziehen konnten in B. 134, an der Wilhelms-Allee, 790' ü.d.M.

Auch diese Wohnung war sehr unzweckmäßig eingerichtet: die Hauptzimmer lagen nach Norden, die Küche und Hausflur nach Süden, zwei Zimmer konnten wir gar nicht benutzen. Trotzdem fanden wir uns bald zurecht und machten uns die wenigen Räume wohnlich. Wir hatten doch nun eine Aussicht, vorn in die Gärten, wohinter der Sommersitz der Erholung, und hinten wieder den Blick in unser Gärtchen und in die Nachbargärten. Kurz nach unserm Einzuge hatte ich mein Arbeitszimmer mit dem Notwendigsten versehen und meine kleine Bibliothek aufgestellt. Ich begann sofort meine Muß-Arbeit, das war das Jahrbuch. Da der Inhalt unterhaltend und mannigfaltig zugleich sein sollte, so war ich gezwungen, meine wissenschaftliche Thätigkeit auf Dinge zu leiten, die weder zu meinen Berufs- noch Lieblingsarbeiten gehörten. Dennoch konnte ich es nicht unterlassen, mich auch mit diesen zu beschäftigen. Die Geschichte des deutschen Kirchenliedes war mir zu lieb und zu frisch, als daß ich nicht an eine Fortsetzung hätte denken sollen. Ich machte deshalb nebenbei viele Vorarbeiten und fand den Sommer über hier [86] und anderswo manchen Stoff dazu. Ich benutzte sehr fleißig die Weimarische Bibliothek. Die Beamten waren alle sehr freundlich und gefällig und immer bereit im Nachweisen und Aufsuchen für mich. Zur Verfolgung meiner literarischen Zwecke beschränkte ich mich jedoch nicht auf Weimar, ich besuchte auch die Bibliotheken der Nachbarschaft. In der Kirche zu Arnstadt sah ich mir näher an die Sammlung Lutherscher Autotypen, ein Vermächtniß des J.C. Olearius. Leider fehlt daran wol die Hälfte. Ich lieh mir zwei Ausgaben des Liber vagatorum. In Gotha fand ich Mancherlei; durch die Güte des Archivraths Beck verschaffte ich mir eine Abschrift des handschriftlichen Ballets Aug. Buchner's. In Merseburg besuchte ich die Dom- und die Schulbibliothek. In letzterer fand ich eine schätzbare Sammlung deutscher Dichter des 17. Jahrhunderts, woraus ich mir einige lieh. Viele kannte ich schon durch Meusebach, der sie bis an seinen Tod behalten hatte. Aus Naumburg erhielt ich durch Roberstein's Vermittlung Medler's handschriftliche Kirchenordnung vom Jahre 1537.

Am Jahrbuche wurde fleißig gearbeitet und gedruckt. Wir hatten uns verpflichtet, jedes Jahr 2 Bände oder 4 Hefte, im Ganzen 60 Bogen zu liefern. Wir konnten für dies Jahr nur 11/2 Bände zu Stande bringen. Wie unvorbereitet wir für dies Unternehmen waren, zeigt der Inhalt der ersten drei Hefte. Zum 1. Bande lieferte Schade nur einen einzigen Artikel (57 Seiten), zum 2. Bande 4 (144 Seiten). Was aber noch schlimmer war: er dachte sich für das Jahrbuch ein Publicum von hochgelehrten Germanisten, die Alles mit Kußhand aufnehmen würden was nur irgend in den Bereich deutsch-philologischer Studien gehörte; schon der Abdruck der unbedeutendsten Sachen, wenn sie nur alt waren, schien ihm genügend und von folgenreicher Bedeutung für die Wissenschaft. Kein eigenwilligerer und einseitigerer Mitarbeiter konnte mir beigesellt werden. Ich konnte unmöglich für Alles was er von sich und anderen lieferte, irgend eine Verantwortung übernehmen, und dachte sehr ernstlich daran, eine Einrichtung zu treffen, wonach künftig die Beiträge des einen wie des andern Herausgebers gesondert, etwa heftweise erschienen.

Der erste Band mit der Zueignung: ›ZUM 28. AUGUST 1854‹ war Sr. königl. Hoheit dem Großherzog überreicht worden und [87] daraus empfingen wir 500 Rb. , welche der Großherzog durch Liszt uns übermitteln ließ. Allerdings ein schönes Honorar, für den Bogen 16 Rb. Sgr.! Wenn wir aber in Betracht zogen, daß wir vom Verleger kein Honorar bekamen, und da wir nicht Alles selbst beschaffen und umsonst doch nicht jeden Beitrag erhalten konnten, also Honorar zahlen mußten, daß wir litterarische Reisen unternehmen und einen kostspieligen Briefwechsel unterhielten, so wurde unser großherzogliches Honorar sehr ermäßigt. Leider wurden wir sonst nicht weiter unterstützt. Hätten wir, wie es in Aussicht stand und halb und halb versprochen wurde, den Briefwechsel Carl August's mit Goethe mittheilen dürfen, so würde unserm Jahrbuche von Anfang an eine größere Theilnahme sich zugewendet haben, freilich durfte dann dieser Briefwechsel nicht so verstümmelt und gleichsam in usum Delphini das Licht der Welt erblicken, wie es mehrere Jahre nachher geschehen ist 8.

So sehr die Jahrbuchsarbeiten, deren Correctur fürmein Heft mir auch noch zur Last fiel, meine Zeit in Anspruch nahmen, so wußte ich doch noch Muße für die Fortsetzung der Horae belgicae. Ich wollte alsPars XI einen treuen Abdruck des Antwerpener Liederbuchs geben. Die Benutzung der Wolfenbütteler Handschrift wurde mir auf 8 Wochen in der großherzoglichen Bibliothek zu Weimar gestattet. Den 12. August begann ich meine Abschrift, und obschon ich schon früher von vielen Liedern Abschrift genommen hatte, so mußte ich doch noch von den 221 jetzt 147 abschreiben. In meinem Zimmer wäre ich bald damit fertig geworden, aber täglich an eine bestimmte Zeit gebunden, manchen Tag durch Unwohlsein oder Besuche u. dgl. gehindert, konnte ich nicht schnell zum Ziele gelangen. Als die 8 Wochen verstrichen waren, wurde ich gemahnt. Der Druck war unterdessen begonnen und die Correctur sorgfältig nach dem Originale besorgt. Nur durch die Verwendung Preller's des Oberbibliothecars erlangte ich eine Verlängerung der bewilligten Frist und so konnte ich denn doch noch meinen Zweck erreichen. Dieser neue Theil der Horae belgicae ist ›Der Maatschappij van Nederlandsche Letterkunde zu Leiden in dankbarer Erinnerung gewidmet.‹ Er erschien auch [88] unter dem Titel: ›Antwerpener Liederbuch vom Jahre 1544. Nach dem einzigen noch vorhandenen Exemplare herausgegeben von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Hannover. Carl Rümpler. 1855. 8°. VIII. 344 Seiten mit einem Facsimile des Titelblattes). Bald Darauf begann ich mit großem Eifer die zweite Auflage der Pars II. derHorae belgicae: ›Niederländische Volkslieder.‹

An Besuchen fehlte es uns nicht. Einheimische und Fremde fanden sich ein. Manche blieben zum Mittagsessen, zum Kaffee oder zum Thee bei uns. Es ging oft ganz lebhaft und munter her.

Sehr angenehm war uns der Besuch von Liszt und seinen Schülern Pruckner, Schreiber und von Bronsart, und Cornelius. Anfangs waren auch öfter da Schade und Raff. Später hatten wir innigen Verkehr mit den FamilienPreller und Rank. Mit allem was von irgend litterarischer oder künstlerischer Bedeutung nach Weimar gelangte oder daselbst lebte, pflegte ich in Berührung zu kommen.

Paul Trömel hatte sich bei mir schon eingeführt durch seine ›Litteratur der deutschen Mundarten‹, gewissermaßen eine neue vermehrte Auflage des darauf bezüglichen Abschnitts in meiner ›deutschen Philologie‹, denn es waren seitdem beinahe 20 Jahre vergangen, und gerade in dieser Zeit war auf diesem Gebiete viel gescheien. Wir machten einen Spaziergang nach Tiefurt und unterhielten uns über deutsche Bücherkunde. Der damals 22jährige junge Mann war sehr bewandert auf diesem Gebiete und obschon er mit fast jungfräulicher Schüchternheit von seinen Arbeiten sprach, so überzeugte ich mich doch bald, daß er umfassende und gründliche Studien gemacht hatte. Und ich irrte mich nicht: seine ›Schiller-Bibliothek‹ bestätigte meine Ansicht. – Wir standen nachher im Briefwechsel und ich verdankte ihm manche hübsche bibliographische Mittheilung.

Am 10. August besuchte mich Bussenius. Er hatte seine im Jahre 1852 begonnene Sammlung deutscher Schriftsteller eben erst mit dem 60. Bändchen beendet und wollte nun sein gleichzeitiges Werk: ›Die Componisten der neueren Zeit, in Biographien von W. Neumann‹ fortsetzen. Das vorletzte Heft, das 16., sollte Liszt's Leben enthalten. Um dafür noch zuverlässige Nachrichten einzuziehen von Liszt selbst und seinen Freunden, war er von Elgersburg, wo er als Badegast weilte, herüber gekommen. Liszt war für Bussenius [89] sehr eingenommen. Er hatte ihm versprochen, ihn nächstens zu besuchen. Und so bat mich denn Liszt, mit ihm nach Elgersburg zu fahren. Am 24. trafen wir dort ein. Die Badegesellschaft war sehr erfreut, Liszt als Gast begrüßen zu können. Bussenius stellte uns allen vor, auch seiner Braut und ihrer Mutter. Nachher machten wir einen Spaziergang auf die Alexandrinenhöhe, speisten dann zu Nacht und fuhren wieder heim.

Bald nachher erschien Liszt's Leben unter dem Titel: ›Franz Lißt. Eine Biographie.‹ (Mit Portrait. Cassel. Ernst Balde. 1855. 16°. 196 SS.)

J. van Vloten besuchte uns mit seiner Frau am 4. November. Er hatte erst kürzlich ein merkwürdiges holländisches Volksbuch herausgegeben, das nur noch in je einem Exemplare zweier alten von einander abweichenden Ausgaben vorhanden ist, und mir mit einer sehr anerkennenden Zueignung gewidmet:›Marieken van Nijmwegen; eene nederlandsche Volkslegende uit de 16e eeuw; met eene inleiding, woordverklaring, en aanteekeningen.‹ ('s Gravenhage, Martinus Nijhoff. 1854. 8°. 58 SS.)

Gegen Ende des Jahrs traten zwei Ereignisse ins Leben, die mir und meinen Freunden geistige Anregung und Genüsse, und Belebung des geselligen Verkehrs unter einander versprachen. Im November wurde der Neu-Weimar-Verein gestiftet. Die Idee dazu ging von mir aus. Ich hatte sie bereits im Laufe des Sommers Liszt mitgetheilt. Da ich damals meine guten Gründe hatte, daß es nicht aussehen sollte, als ob es von mir ausginge, setzte ich Herrn Dr. Richard Pohl in Kenntniß und bat ihn die passenden Leute, aus denen sich ein Verein, wie ich ihn im Sinn hatte, bilden ließe, einzuladen. Das Einladungsschreiben Pohl's, welches er ›im Auftrag Mehrerer‹ umher schickte, ist vom 17. November und beginnt also:

›Es ist von mehreren Seiten der Wunsch ausgesprochen worden, daß die, mit und durch Liszt näher Bekannten und Befreundeten einen Versammlungsort wählen möchten, an welchem sie zu bestimmten Zeiten sich zusammen fänden, um einer öfteren, regelmäßig wiederkehrenden Vereinigung sicher zu sein, und dadurch zugleich eine Centralisation gemeinsamer Bestrebungen zu erzielen.‹ – In Folge dieses Rundschreibens kamen wir den [90] 20. November zusammen. Den 27. fanden wir uns wieder ein. Es wurden viele Vorschläge gemacht, die mehr oder minder alle zu weit gingen; oft schien es, als wollten wir eine Akademie der Künste und Wissenschaften gründen. Schließlich kamen wir darin überein, daß wir als Verein zusammen kommen wollten, das Wie, Wo und Wann wurde künftigen Berathungen vorbehalten.

Das zweite Ereigniß war das Weimarische Sonntagsblatt, eine Unterhaltungszeitschrift, die unter Redaktion Jos. Rank's im Verlage von Böhlau erscheinen sollte. Auf die Einladung des Verlegers und des Herausgebers versprach ich mich dabei zu betheiligen.

Das Weihnachtsfest war unterdessen herangekommen und ich versuchte, wie ich immer gern zu Weihnachten gethan hatte, Anderen eine kleine Freude zu bereiten. Ich dichtete 12 lyrisch-dramatische Kindergedichte. 9

Den 23. December um 4 Uhr holte mich Liszt ab zum Großherzog. Ich überreichte ihm für seine Gemalin und seine Mutter je ein Exemplar meiner beiden Sammlungen der Kinderlieder mit Clavierbegleitung. Er nahm sie sehr freundlich an. Dann las ich ihm meine zwölf neuen Kindergedichte vor, worüber er sehr erfreut war. Zum Abschied sagte er: ›Nun erlauben Sie mir, daß ich Ihnen recht herzlich die Hand drücken darf.‹

Was würde jener Mann gesagt haben, der zum alten und neuen Weimarischen Hofe in naher Beziehung stand, wenn er das gehört und gesehen hätte! Hatte er doch neulich sich geäußert: ›Wenn ich gewußt hätte, daß der etc. in Weimar bleiben würde, so hätte ich einen Fußfall gethan vor der Frau Großfürstin und gebeten, Alles aufzubieten, dies Unglück ab zuwenden.‹ Als wir in die Wilhelms-Allee gezogen waren, hat er geweint. Wie würde er geweint haben, wenn er gesehen hätte, wie wir den heiligen Christabend mit ein paar Freunden feierten! Wir waren fröhlich wie die Kinder über die kleinen Geschenke, die wir uns wechselseitig bescherten, als der Christbaum mit seinen glänzenden Lichtern alle die schönen Erinnerungen an unsere Kindheit hervorzauberte.

[91] Den andern Tag war großes Gastmal auf der Altenburg. Wir statteten unsern Dank ab für die reiche Christbescherung, womit uns die Fürstin und Liszt Tags vorher erfreut hatten. Ich schenkte der Fürstin meine neuen Kindergedichte, die ich nachher vorlas.

Unser Verein hatte sich beim Beginn des neuen Jahres (1855) bereits so weit entwickelt, daß man ihm, wenn die Theilnahme seiner Mitglieder nur so blieb, ein erfreuliches Gedeihen vorhersagen konnte. Liszt hatte uns zum Silvester-Abend auf die Altenburg eingeladen. Oben im dritten Stock waren drei Zimmer für uns hergerichtet, im mittelsten stand eine lange gedeckte Tafel. Um 9 Uhr begann das Essen und zugleich eine große Heiterkeit. Nachdem mehrere Hochs ausgebracht waren, hielt ich eine Heerschau 10 über die Mitglieder des Vereins, die fast alle zugegen waren. Ich hatte durchaus nicht die Absicht, Lob zu spenden, vielmehr die Eigentümlichkeiten, absonderlichen Neigungen und kleinen Schwächen in dem Leben und Streben jedes Einzelnen, so weit sie mir kund geworden, auf eine scherzhafte Weise zur Sprache zu bringen. Mein Scherz gelang, Alles lachte, und in heiterster Stimmung begrüßten wir bald nachher das Neue Jahr.

Mitglieder des Vereins bei seiner Gründung waren: Dr. Franz Liszt, Hoffmann von Fallersleben, die Musikdirectoren Carl Stör und Carl Montag, die Mitglieder der Hofcapelle Edmund Singer, Bernhard Coßmann und Johann Walbrül, Hofschauspieler Eduard Genast, die Musiker Hans von Bronsart, Peter Cornelius, Dionysius Pruckner, Alexander Ritter, Ferdinand Schreiber und Eugen von Soupper, Dr. Richard Pohl,Dr. Josef Rank, Joachim Raff; bald darauf traten hinzu Dr. Oscar Schade und Professor Friedrich Preller, im folgenden Jahre noch Hofschauspieler Heinrich Grans, Maler Sixtus Thon und die Musiker Rudolf Viola und Alexander Winterberger.

Ueber die Statuten und den Namen des Vereins wurde viel hin und her gesprochen, endlich einigten wir uns über einige Punkte, die ich in folgende Distichen zusammenfaßte:

[92]
Die zwölf Gebote des Neu-Weimar-Vereins.
§. 1. Zweck des Vereins sind wir, wir wollen uns suchen und finden,
Und mit dem Einen Zweck haben wir Alles bezweckt.
§. 2. Weil an den Raum und die Zeit in der Welt ist Alles gebunden,
Binden wir billig uns auch wenigstens streng' an die Zeit.
§. 3. Montag-Abend um acht verpflichtet sich jeder zu kommen,
Ueber das Wo wird alljährlich gefaßt ein Beschluß.
§. 4. Und so wie Eine Sonne die Welt beleuchtet und wärmet,
Soll ein einziger Stern unsere Sonne nur sein.
§. 5. Aber die Sonne, genannt Vorsteher, vermag doch nicht Alles:
Darum steht ein Geschäftsführer zur Seit' ihr als Mond.
§. 6. Unsere Zahl soll sein wo möglich ohne Beschränkung,
Ausgeschlossen jedoch ist der Beschränkte mit Recht.
§. 7. Will man die Mitgliedschaft des Vereines erlangen, so soll das
Nur auf folgende Art künftig und immer geschehn.
§. 8. Melden kann man sich nie, für Jeden ist nöthig ein Vorschlag,
Ferner bedarf's dann zwei Drittel der Stimmen zum Ja.
§. 9. Vierzehn Tage hindurch wird reiflich erwogen die Sache,
Endlich erfolgt ein Nein oder ein freudiges Ja.
§. 10. Bleib' Alt-Weimar für sich, wir bleiben für uns und es ist uns
Jeglicher Heimische fremd, aber willkommen der Gast.
§. 11. Altes giebt es genug, wir hoffen was Neues in Weimar,
Darum haben wir Neu-Weimar-Verein uns genannt.
§. 12. Wenn wir's finden in uns, so wird es sich finden in Weimar,

Und frisch, fröhlich und frei können wir lange bestehn.


Unter den vielen Vorschlägen zu einer Benennung des Vereins wurde endlich der von mir gemachte angenommen: Neu-Weimar-Verein. Als Vereinstag stellten wir den Montag fest und als Zeit die siebente Stunde Abends. Zum Versammlungsort mietheten [93] wir ein Zimmer für unsern Abend im Stadthaus, der Betrag dafür wurde durch monatliche Geldbeiträge erhoben. Zum Präsidenten wurde Liszt erwählt, ich zum Vizepräsidenten und Schreiber zum Geschäftsführer.

Um die Mitglieder noch mehr an die Vereinsabende zu fesseln und ihnen zugleich Gelegenheit zu geben, selbst mitwirkend sich zu betheiligen, wurde der Vorschlag angenommen, ein handschriftliches Witz- und Scherzblatt zu gründen, das jeden Abend im Verein vorgelesen werden sollte. Raff wurde mit der Leitung betraut und nahm sich der Sache mit vielem Eifer und Geschick an. Die Laterne – so wurde unser Blatt getauft – ließ ihr Licht so glänzend leuchten durch ihre mancherlei treffenden Witzfunken und Blitze, daß große Heiterkeit und Wärme in die ganze Gesellschaft ausströmte.

Obschon meine Betheiligung an dem Vereine und mein Verkehr mit der Altenburg meine Zeit mitunter sehr in Anspruch nahm, so wirkte doch beides sehr anregend und erfreulich belebend auf mich. Ich verfaßte manchen Aufsatz für das Jahrbuch und schritt im Laufe des Januars sehr weit vor mit der neuen Ausgabe der niederländischen Volkslieder (Pars II. der Horae belgicae). Daß ich für so manche mühsame wissenschaftliche Arbeit, deren Honorar mir oft nicht einmal die damit verbundenen Kosten ersetzte, noch b steuert werden sollte, hätte mich überall anderswo weniger überrascht als hier in dem classischen geistesfreien Weimar. In den ersten Tagen des Januars nämlich erschien bei mir ein Rathsdiener mit einem Rundschreiben des Bürgermeisters Wilhelm Bock, worin auch ich aufgefordert wurde, meinen ›literarischen Erwerb für das laufende Jahr zuförderst einer Selbstschätzung behufs dessen Besteuerung zu unterwerfen.‹ Ich erklärte, daß ich mich darauf nie einlassen würde, da ich bereits als Gemeindebürger von Almerich Gemeinde-, Kreis- und Staatssteuern bezahle, ich schrieb mir aber das merkwürdige Actenstück ab, das mir zuerst den Beweis lieferte, daß die Schriftstellerei wenigstens in Weimar nicht als freies Gewerbe betrachtet wurde. Uebrigens war auch Liszt aufgefordert worden, sich über seinen litterarischen Erwerb auszuweisen, Liszt, dem seine Schriftstellerei nur Geld kostete.

In den Februar fielen die Geburtstage der Fürstinvon Wittgenstein und ihrer Tochter Maria. Beide Tage wurden immer [94] festlich gefeiert. Ehe ich weiter davon erzähle, will ich Näheres über die Altenburg mittheilen.

Jenseit der Ilm hinter einem hochgelegenen Tannenwäldchen an der Landstraße nach Jena steht ein dreistöckiges Haus, das sein früherer Besitzer seiner Gemalin zu Liebe ›die Altenburg‹ nannte. In diesem Hause, das später der Großherzog kaufte, wohnte damals die Fürstin 11 mit ihrer Tochter und deren Gesellschafterin Miß Anderson, und in dem Nebenbau Liszt. Die Fürstin hatte die Zimmer zum Theil fürstlich herrichten lassen, es waren darin kostbare, geschmackvolle Möbeln und Kunstsachen aller Art. 12 Sie waltete wahrhaft fürstlich durch ihre Gastfreundschaft und die Art und Weise, wie sie ihre Gäste empfing und zu beehren verstand. Sie war geistreich, vielseitig gebildet, belesen, eine Kunstkennerin, hatte in vielen Dingen ein richtiges Urtheil, war immer bereit, jedes edele Streben zu fördern, erwies sich gegen Andere freundlich theilnehmend, unterstützte Arme und Kranke, und wußte diejenigen, die sie ehrte und liebte, bei allen Gelegenheiten auszuzeichnen. Daß sie in letzter Beziehung oft einseitig sein konnte und auch dadurch wol ungerecht gegen Andere wurde, darf man wenigstens ihrem guten Herzen nicht zum Vorwurf machen. Trotz manchen Trübsalen, die sie schon früh erleben mußte, hatte sie sich einen heitern Sinn bewahrt, wenigstens konnte sie Anderen gegenüber recht heiter sein und sich bei freudigen Gelegenheiten den Anschein geben, als ob auch sie sich recht glücklich fühlte. Die Meinigen haben mit mir ihr immer ein liebevolles Andenken bewahrt und nie vergessen, wie viel Gutes sie uns erwiesen, wie viele frohe Stunden sie uns in Weimar bereitet hat.

Die Prinzeß Maria 13, jung, jugendlich schön, wie eine aufblühende Rose, jungfräulich schüchtern, harmlos und milden, heiteren [95] Sinnes, gewann durch ihr immer liebenswürdiges Wesen Aller Herzen. So zurückhaltend und still sie in größeren Gesellschaften war, so mittheilend und lustig konnte sie in kleinen Kreisen sein, wo sie sich behaglich und heimisch fühlte. Ein poetisches Gemüth, das die Prosa des Lebens noch nicht kannte. Sie hatte viel gelernt, und schien sich zu erholen, wenn sie lesen konnte was sie ansprach. Bewundernswerth war ihr Sprachentalent: sie sprach deutsch, französisch, englisch, italienisch und polnisch. Ihre Mutter hegte eine zärtliche, überschwängliche Liebe zu dieser ihrer einzigen Tochter, und jede Aufmerksamkeit, selbst die kleinste, die man dieser bewies, nahm die Mutter auf, als ob dieselbe zugleich ihr gälte. – Große Freude gewährte es mir, daß die Prinzessin mit meiner Frau in einem fast innigen Verkehre stand. Sie kam öfter in unser Haus und beide wußten sich dann so scherzhaft zu unterhalten, daß ich oft von fern das Lachen hörte.

Dr. Franz Liszt, der großherzogliche Hofcapellmeister, war immer der geistreiche, bedeutende Künstler, der liebenswürdige Gesellschafter, der theilnehmende Freund. Kein Wunder, daß bei diesen drei Persönlichkeiten ein Besuch auf der Altenburg sehr anziehend und angenehm sein mußte. Und wirklich, es war denn auch, als ob dort Hof gehalten würde für alle Geister im Gebiete des Könnens und Wissens.

8. Februar mit Professor Preller's auf der Altenburg. Wir beglückwünschen die Fürstin zu ihrem Geburtstage. Preller überreicht eine Jugendzeichnung Genelli's: ›Raub der Europa‹, und Ida zwei blühende Hyacinthen mit einem Gedichte von mir. 14 Bei der Mittagstafel bringe ich zwei Trinksprüche 15 aus, einen scherzhaften und einen ernsten. Beim letzten kommen allen die Thränen in die Augen.

12. Februar. In einem langen Briefe, von einer Handschrift Genelli's begleitet, bat mich die Fürstin, einen Trinkspruch auf Genelli zur Mittagstafel mitzubringen. Ich hatte erst neulich verschiedene Handzeichnungen dieses Künstlers in der Sammlung der Fürstin gesehen und bewundert, und so Manches über sein Leben gehört, [96] auch aus dem Munde seines Freundes Preller, daß es mir leicht ward, etwas Bezügliches, Treffendes sagen zu können. So schrecklich mir sonst alles Müssen ist, besonders aber das Dichten-Müssen, hier war es mir nicht allein leicht, sondern auch lieb. Zu rechter Zeit fand ich mich mit der bestellten Arbeit ein. Die Fürstin war fast eben so erfreut über meine Bereitwilligkeit, ihre Wünsche zu erfüllen, als über meinen Trinkspruch. 16

18. Februar waren wir eingeladen zum Geburtstage der Prinzeß. Ida überreichte ein japanisches Körbchen mit frischen Blumen. Beim Mittagsmale trug ich einen Trinkspruch auf die Prinzeß vor. 17 Zugegen waren außer uns Berlioz, Cornelius und die beiden Preller, der Hofrath und der Professor. Wir waren alle in so jugendlich heiterer Stimmung, daß ich nun auch noch die Jugend leben ließ. 18 Um 8 Uhr große musikalische Unterhaltung. Viele bekannte Männer und Frauen. Liszt spielte Mazeppa und dann mit Singer eine Raff'sche Symphonie. So endete der frohe genußreiche Tag.

20. Februar im Neu-Weimar-Verein Abendessen zu Ehren Hector Berlioz. Das Weimarer Sonntags-Blatt von Josef Rank 1855 enthält darüber einen ausführlichen Bericht. 19

Nachdem der Verein es nicht verschmäht hatte, in die Oeffentlichkeit zu treten, wurde im Vereine selbst viel gestritten über den Zweck desselben und seine künftige Wirksamkeit. Der Streit wurde oft sehr heftig, und es schien, als ob einer und der andere nicht eben geneigt wäre, zum Besten des Ganzen etwas von seinen Ansichten aufzugeben, ein Uebel, woran die meisten Vereine leiden und gewöhnlich allmählich zu Grunde gehen. Einige Mitglieder kamen so heftig an einander, daß ihnen kein anderer Weg übrig blieb als auszuscheiden. Den 5. März meldete Raff seinen Austritt, bald [97] darauf schieden auch Dr. Schade und Dr. Pohl aus. Es war zu beklagen, daß durch den Austritt dreier Litteraten – denn dazu gehörte auch der gelehrte frühere Oberlehrer Joachim Raff – die litterarische Seite des Vereins sehr einbüßte und die vorwiegende musikalische Richtung sich jetzt noch geltender machen konnte. Es war überhaupt vom Anfang an nicht eben ersprießlich, daß so viele junge Musiker ausgenommen wurden, sie waren fast alle Schüler Liszt's, die nur in ihm ihren einzigen Herrn und Meister anerkannten, liebten und verehrten und sich nie in Bezug auf den Verein als unabhängige Mitglieder kundgaben.

Es erfolgte eine große Verstimmung und einige Wochen fand keine Sitzung statt. Daß übrigens der Verein lebensfähig war, schien niemand weniger zu bezweifeln als unsere Feinde. Sie ergossen sich in allerlei schlechten Witzen in Panse's ›Deutschland‹, dem unentbehrlichen Käse- und Wurstblatt Weimars.

17. März. Preller war auf der Wartburg und ließ mir durch seinen Sohn Emil melden, daß er mich dort erwarte. Das Wetter war wunderschön, und so entschloß ich mich denn hinzureisen. Abends um 7 war ich in Eisenach. Ich spazierte zur Wartburg hinauf und kam in der Dunkelheit sehr ermattet oben an. Ich frage den Wachtposten: ›Ist der Herr Commandant zu Hause?‹ – ›Nein.‹ – ›Auch der Herr mit dem großen Barte nicht?‹ – ›Nein, der ist diesen Morgen mit seiner Reisetasche hinabgegangen.‹ – Angenehme Ueberraschung! Ich frage den Wirth, ob ich die Nacht hier bleiben könne. ›Lieber Herr, wir haben weder Gemach noch Betten.‹ – Endlich wende ich mich an den Baumeister, Herrn Dittmar, und der schafft Rath: er schickt den Bedienten hinab, um meine Ankunft zu melden. Wir gehen in die Gaststube. Es dauert nicht lange, da kommt Preller auf einem Maulthiere angetrabt und endlich von Arnswaldt zu Esel. Wir gehen in des Commandanten Wohnung, speisen zu Nacht und sind sehr vergnügt.

Den andern Tag besehen wir die Burg, das Fertige und im Bau Begriffene, die Rüstkammer, den Rittersaal, die Capelle etc. Als wir so recht gemüthlich bei Tische sitzen, scheint es mir eine gute Gelegenheit, Preller und seinem lieben Freunde Arnswaldt eine[98] freundliche Erinnerung an unser hiesiges Zusammensein zu bereiten, und ich bringe ein Hoch aus. 20

Später fahren wir nach dem Annathale und dann nach Eisenach. Hier feiern die Bürger das Lätarefest auf eigenthümliche Art. In einem Bezirke der Stadt, der eben an der Reihe ist, hat jeder freien Zutritt zum Kaffee mit Kuchen und einer Pfeife Tabak. Ich wünsche diese Art von alter Gastfreundschaft kennen zu lernen und in ein beliebiges Haus zu gehen. Preller will nicht recht, aber muß mit, und bald sitze ich mit der langen irdenen Pfeife vor meiner Tasse Kaffee unter lauter wildfremden Menschen. – Wir fahren zur Wartburg wieder hinauf und sind den Abend noch recht heiter mit unserm liebenswürdigen Wirthe zusammen. Den andern Morgen treten wir unsere Rückreise an.

19. März. Wieder Verein nach alter Art; die Laterne unter Cornelius' Leitung vortrefflich, die Stimmung gut. Weil es nun eben Josephstag war, so wollte ich auch eines Josephs freundlich gedenken und brachte einen Trinkspruch aus auf Joseph Rank. 21

20. März. Schon lange war es mir höchst unangenehm, daß die Beiträge meines Antheils zum Jahrbuche in einem und demselben Bande bunt durch einander liefen mit denen des Dr. Schade. Damit es nun künftig nicht wieder hieße, wie vom 1. Hefte des 1. Bandes in einer Beurtheilung: ›es bringt einige sehr werthvolle, doch auch einige höchst einseitige und langweilige Beiträge‹, so einigte ich mich mit Schade, daß vom 3. Bande an jedesmal er das 2. Heft, ich das 1. lieferte, niemand also für den andern eine Verantwortlichkeit zu übernehmen hätte.

23. und 24. März in Jena. Ich besuche Göttling, von Liliencron und Hettner. Den beiden letzten und noch einem dritten Professor, welche Jena verlassen, wird ein Abendessen gegeben. Ich möchte gern dabei sein, um bei der Gelegenheit noch einige Professoren kennen zu lernen. Da ich aber kein College bin, so geht es nicht und ich muß die Sonne, worin das Gastmal ist und ich wohne, den Abend verlassen und mich im Bären der Einsamkeit ergeben. Kurz vorher sendet mir Göttling ein Briefchen:


[99] ›Lieber Hoffmann!


Ich bin herumgelaufen und hab sondirt.

»Achselzucken, Kümmereien,
Und er hieß ein Patriot.«

Man sagte mir, daß, da es ein rein collegialisches Zusammenseyn heute Abend seyn solle, einen Fremden einzuführen nicht passend seyn würde. Da haben Sie es; ich mochte nicht mehrere weiter fragen, weil das Ihnen, der ohnehin nicht viel entbehren würde, unangenehm seyn könnte. Und damit nehmen Sie uns, wie wir es sind, als Philister unserer eigenen Art.

Ihr Goettling.‹


2. April. Auf der Altenburg wird zugleich Liszt's Namenstag und mein Geburtstag gefeiert. Ohne Trinksprüche geht es nicht mehr, und so bin ich denn auch diesmal vorbereitet. So mühsam es mir mitunter wurde, bei denselben öfter wiederkehrenden festlichen Anlässen etwas Neues zu sagen, so war es mir doch immer eine große Freude, Andere auf diese Weise zu erfreuen und ihnen ein Zeichen meiner Liebe und Verehrung kund zu thun. Dazu kam noch, daß die Fürstin eine besondere Liebhaberei daran hatte und eifrig Bedacht nahm, daß jeder Trinkspruch, jedes kleine Gedicht von mir, das dem Augenblicke geweiht und mit dem Augenblicke verloren gehen sollte, dennoch, wenn es irgend auf die Altenburg Beziehung hatte, von mir gebucht werden mußte. Es war dafür ein eigenes Album angelegt, und dies war bereits zu einem Buche gediehen, daß davon eine saubere Abschrift mit Randzeichnungen des Malers Sixtus Thon für die Prinzessin veranstaltet werden konnte. Das neue Album erhielt heute einen reichen Beitrag. 22

Ein heiteres Mittagsmal. Außer den Meinigen waren noch zugegen F. Preller und Cornelius und zwei musicalische Frauenzimmer, die gerne Schülerinnen Liszt's genannt werden möchten. Zum Schlusse brachte noch Cornelius mir ein Hoch aus:


Ihm, der Freiheit singt, und dem frei das Herz schlägt,
Ihm, der Liebe preist und in Liebe walter,
Der den Wein erhebt, und vom Wein erhoben
Freudiger singet;
[100]
Der nach Schätzen forscht in der Vorzeit Tagen,
Neues heute schafft, was da nie veraltet,
Stolz ein Ring sich fühlt in der ew'gen Kette
Geistigen Lebens;
Den ein klangreich Lied in dem Kreis der Seinen,
Den ein guter Fund auf des Forschers Pfaden,
Den ein Becher Wein, wie der Freund ihn bietet,
Glücklich und reich macht:
Ihm ein dreifach Hoch, dem der Rosen drei blüh'n,
Freiheit, Lieb' und Wein um den Kranz des Wissens,
Ihm dies Glas geleert, den in freiem Liebe
Froh wir verehren.

Der Großherzog hatte sich über meinen Trinkspruch auf seine Genesung 23 sehr gefreut, mir durch Liszt danken lassen und beim Abschiede diesem noch gesagt: ›Vergessen Sie in den Hoffmann nicht!‹ worauf Liszt entgegnet: ›Und königliche Hoheit, vergessen Sie auch den Hoffmann nicht!‹

14. Mai im Neu-Weimar-Verein mit Hackländer. Ich brachte ein Hoch auf ihn aus, das also endete:


Stoßt an! sagt Liszt der Tabakspender:
Hoch lebe der Hofrath – Hackländer! 24

Daß mir dieser Scherz noch ein Honorar einbringen würde, ahndete ich nicht. Am andern Morgen sendete Liszt zwei Kisten Cigarren.

19. Mai. Nachmittags um 6 kehrte ich von Belvedere zurück. Schon um 5 hatten sich bei Ida die Wehen eingestellt. Die Hebamme und Frau Preller warteten auf die Entbindung. Ich war in höchster Aufregung: ich gehe in den Garten, finde nirgend Ruhe, hacke Holz, begieße Blumen. Um 7 erschallt der Ruf: ›ein tüchtiger Junge!‹ Seit einem Vierteljahre hatte ich vor diesem Augenblicke große Angst gehabt – jetzt war Alles gut und ich verkündete sofort dies frohe Ereigniß der Altenburg und meinen Freunden.

[101] 8. Juni Mittagsmal auf der Altenburg. Ich treffe dort Ernst Rietschel und Ernst Förster. Beide kannte ich bisher noch nicht persönlich. Ich stelle mich ihnen vor und nehme Theil an ihrem Gespräche. Beide sind nicht sonderlich erbaut von der neuen Zeit; sie sehen in ihr eine gar zu materielle Richtung und keine sonderliche Begeisterung für das Schöne in Litteratur und Kunst. Ich kann ihnen nicht recht beistimmen, namentlich Rietschel'n nicht, der sehr trübe in die Zukunft sieht und wenig Gutes für die Kunst erwartet. Bald treten Liszt und Jos. Rank ein, dann die Fürstin mit ihrer Tochter, Prinzeß Maria. Wir begeben uns zu Tische und erfreuen uns einer lebhaften, vielseitigen und heiteren Unterhaltung. Jedem der beiden Gäste bringe ich ein Hoch aus. 25

Gegen Abend machte ich mit Rietschel einen Spaziergang nach Tiefurt, woran außer einigen anderen noch F. Preller, der langjährige Freund Rietschel's, und Secretär Schuchardt theilnahmen. Ich unterhielt mich lange mit Rietschel, wir sprachen uns wechselseitig aus über Gegenwart und Zukunft der jetzigen Bestrebungen und Richtungen auf dem Gebiete der zeichnenden und bildenden Künste.

Rietschel war nach Weimar gekommen, um sich nochmals den Platz für das Göthe-Schiller-Denkmal anzusehen, und mit dem Denkmal-Comité Rücksprache zu nehmen. Es verdroß mich, daß sich niemand vom Comité um den Künstler weiter bekümmerte. Da meinte ich, wir wollen ihm wenigstens ein Zeichen unserer Liebe und Verehrung geben. Meine Freunde waren einverstanden: der Neu-Weimar-Verein veranstaltete Rietschel'n zu Ehren ein Festessen, mehrere Nicht-Mitglieder betheiligten sich, und am 9. Juni fand unsere Festlichkeit statt, im russischen Hofe. Nachdem wir schon eine Zeitlang in heiterer Stimmung bei Tische gesessen, brachte ich einen neuen Trinkspruch 26 auf den Künstler aus. Rietschel war sehr überrascht und bis zu Thränen gerührt, und dankte mir herzlichst. ›Ja, sagte er, und das Bim bam bum erinnert mich lebhaft an meine Kindheit: wie manchmal habe ich als kleiner Junge für meinen Vater die Betglocke ziehen müssen!‹ Solche Anspielung hatte ich natürlich nicht beabsichtigen können, da ich eben jetzt erst erfuhr, daß R. der [102] Sohn eines Küsters war und seine Kindheit im elterlichen Hause auf dem Dorfe Pulsnitz bei Dresden verlebte.

Es war ein schöner Abend: der gefeierte Künstler mußte sich bald überzeugen, wie rein und innig unsere Liebe und Verehrung für ihn und seine Leistungen war. Er wollte Allen Dank sagen, er kam aber nicht dazu, denn er meinte, er könne nun einmal nicht öffentlich reden, und so übernahm ich es, in wenigen scherzhaften Versen für ihn zu danken. Rietschel verweilte noch einige Tage in Weimar. Ich hätte ihn gerne noch Einmal gesprochen, aber er war dermaßen in Anspruch genommen, daß mein Wunsch unerfüllt blieb.

Noch am Festabend hatte mich Joseph Rank gebeten, ihm meinen Trinkspruch für sein ›Sonntagsblatt‹ zu überlassen. Ich versprach's und er erhielt zu rechter Zeit eine Abschrift. Der Sonntag kam und mit ihm das Sonntagsblatt, aber ohne meinen Trinkspruch. Der Verleger, Herr Böhlau, hatte ihn anstößig gefunden und die Aufnahme verweigert, um jedoch meinen Wünschen zu entsprechen, einen besonderen Abdruck veranstaltet. Ich erklärte, daß mir das durchaus nicht genügen könnte, eine Staatscensur hätte ich leider oft genug erdulden müssen, eine Buchhändlercensur würde ich mir nie gefallen lassen und von jetzt an nie mehr eine Zeile zum Weimarischen Sonntagsblatt liefern. 27 Der unerwartete Reim auf Rietschel: das Gequietschel der materiellen Philister – war dem engherzigen Verleger zu stark gewesen.

Ich hatte meinem Trinkspruche eine größere Verbreitung gewünscht, mußte nun aber vorläufig darauf verzichten. Ich schickte an Rietschel einen Abdruck und scherzte über die unerhörte Anmaßung eines Buchhändlers, der mir gegenüber ein unfehlbarer, gediegener Kunstrichter sein wollte. Seitdem dachte ich oft au den lieben bescheidenen Künstler und wünschte sehnlichst ihn einmal wieder zu sehen und ihm ein Zeichen meiner Liebe und Verehrung als kleinen Dank darzubringen für all das Große, Schöne und Herrliche, dessen wir uns zu erfreuen hatten und noch erfreuen würden.

Sein letztes großes Werk: die Standbilder Göthe's und Schiller's [103] waren endlich vollendet. Sie kamen nach Weimar und der Künstler selbst. Den 3. September 1857 war die Grundsteinlegung zum Denkmal für Carl August. Da ich von aller näheren Betheiligung ausgeschlossen war, so fühlte ich mich nicht im mindesten veranlaßt theilzunehmen. Es war ein Hof- und Hofrathsfest. Man hatte nicht einmal daran gedacht, Rietschel'n einen Sitzplatz anzuweisen, er mußte in der Hofbibliothek auf eine Leiter klettern, um ein Treppenfenster zu erreichen und von dort aus die Feierlichkeit sich mit anzusehen. – Den zweiten Tag war die Enthüllung der Dichtergruppe. Nun erst gedachte man würdig des Künstlers: er wurde allergnädigst bewillkommnet und beehrt und vom Volke bejubelt, und dann dermaßen in Anspruch genommen, daß unser einer ihn nicht einmal zu sehen bekam. Ich hoffte noch immer irgendwo und wie mit ihm zusammen zu kommen. Vergebens. So blieb dann ungesprochen mein Trinkspruch, 28 den ich Ihm aus vollem Herzen bringen wollte, und der als ein Immergrünblättchen dem Eichenkranze beigefügt werden mag, womit seine unsterblichen Verdienste das dankbare Vaterland krönt!

14. Juni ward unser Kind getauft. Pathen: Franz Liszt, Friedrich Preller und der Pastor zum Berge, des Kindes Großvater. Er erhielt nach diesen dreien die Namen Franz Friedrich Hermann. Ein fröhliches Mal beschloß das Familienfest, woran außer den beiden Pathen auch noch Frau Preller und Ida's älteste Schwester Adele, die erst vor einigen Tagen angekommen war, theilnahmen.

2. Juli. Liszt fuhr mit mir um 11 Uhr nach dem Römerhaus. Der Großherzog empfing uns sehr huldvoll und bot uns eine Cigarre an. Ich überreichte das neue Heft des Jahrbuchs (das 1. des 3. Bandes) 29 und den Trinkspruch auf Rietschel. Wir unterhielten uns über allerlei. Nach 7 Viertelstunden war die Audienz zu Ende.

Im Laufe des Sommers hatte ich fortwährend an der neuen Ausgabe der niederländischen Volkslieder gearbeitet. Ich war, so weit meine Hülfsmittel reichten, jetzt im Juli damit fertig. Das [104] genügte mir aber nicht: eine Reise nach den Niederlanden schien mir nothwendig, um meinem Buche die möglichste Vollendung zu geben. So entschloß ich mich denn schnell zur Reise. In der Nacht auf den 1. August reiste ich ab, erreichte gegen Morgen Cassel, den Mittag Hamm. Da ich Crefeld nicht mehr erreichen konnte, blieb ich in Homberg. Den folgenden Morgen kehrte ich bei Conrad Wolff ein und verlebte mit ihm und den Seinigen einige angenehme Tage.

Den 6. August fuhr ich nach Lüttich, wo ich Professor Liebrecht besuchte. Wir waren eigentlich alte Bekannte, denn er erzählte mir, daß er in Breslau mein Zuhörer gewesen sei. Wir machten einen Spaziergang auf die Berge. Schöne Aussicht auf Lüttich, das leider in Rauch gehüllt war. Nach unserer Rückkehr blieb ich noch einige Stunden in seiner Familie. Wir unterhielten uns viel über deutsche Philologie und unsere persönlichen Beziehungen zu den Hauptvertretern derselben. Den andern Tag begleitete er mich zum Bahnhof.

Den 7. August nach Gent. Ich wohnte wieder im Hotel d'Allemagne. Da unten eine Bierstube war, die auch von den Gelehrten besucht wurde, so hatte ich eine bequeme Gelegenheit mit diesen zu verkehren und meine Wünsche gegen sie auszusprechen. Das mußte mir denn sehr willkommen sein. Die meisten waren durch Berufs- und andere Arbeiten sehr in Anspruch genommen, und an den Verkehr mit Fremden wenig gewöhnt, auch waren bei der großen Ausdehnung der Stadt die Wege zu ihnen sehr weit und raubten einem viel Zeit.

Mit Blommaert, Snellaert und Heremans verkehrte ich am meisten. Ihrer Gefälligkeit hatte ich es zu verdanken, daß ich meine nächsten Zwecke nach Wunsch erreichte. Sie legten mir Alles vor was sie wichtig für mich hielten, Bücher, Handschriften, Abschriften etc. und unterstützten mich mit Nachweisungen aller Art. Damit ich längere Zeit meinen Arbeiten widmen konnte, mußte ich mit ihnen zu Mittag speisen und setzte dann nach Tische meine Studien fort.

Eine sehr liebe Erinnerung sind mir die Stunden, die ich in der Familie Heremans verlebte. Heremans wie seine Frau und seine Schwägerin, die Wittwe des Dichters Ledeganck, wußten durch ihr[105] liebenswürdiges Wesen dazu beizutragen, daß ich mich recht heimisch in der Fremde fühlte. Das war besonders der Fall, als ich einen ganzen Sonntag mit ihnen draußen in ihrer Sommerwohnung zubrachte. Da wir nach Tische nicht mehr im Garten spazieren gehen konnten, weil es fortwährend regnete, so blieben wir im Zimmer sitzen und ich erzählte viel aus meinem Jugendleben, namentlich von meinem ersten Aufenthalt in Holland. Heremans und die Frauen hörten mir mit gespannter Aufmerksamkeit zu, und ich wunderte mich, daß ich selten um ein holländisches Wort verlegen war, sondern prächtig zu ›praten‹ verstand.

Frans Rens war auch während meines diesmaligen Aufenthalts wieder wie früher sehr theilnehmend und gefällig. Da er ein Stammgast des Hotels d'Allemagne war, so traf ich ihn jeden Abend, wenn ich mich dort einfand. Als einer der Hauptmänner der vlämischen Bewegung und sehr thätiger Schriftsteller konnte er mir manchen Aufschluß über das Streben und Wirken seiner Gesinnungsgenossen ertheilen. Oefter war ich auch zusammen mit Felix Alphons Boone, Herausgeber der ›Broedermin‹ ebenfalls ein eifriger Mitkämpfer für die vlämische Volksthümlichkeit: er hatte es zuerst gewagt, in einer öffentlichen Versammlung eine vlämische Rede zu halten.

So war mir denn Gent von neuem lieb und werth geworden, und ich schied nur mit dem einen schmerzlichen Gefühle, daß Willems für die Wissenschaft und auch für mich zu früh (1846) gestorben war.

Den 14. August kam ich nach Brüssel. Ich besuchte gegen Abend Herrn Schulte, einen hier ansässigen deutschen Kaufmann, den ich in Gent kennen gelernt hatte. Er erbot sich, da den folgenden Tag Mariä Himmelfahrt sei, mir den ganzen Tag zu widmen. Ich nahm das freundliche Anerbieten an. Am Morgen des anderen Tages fand sich Herr Schulte bei mir ein. Auf unserer Wanderung durch die Stadt kamen wir an die Magdalenen-Kaufhalle. Wir gingen hinein. In den oberen Räumen waren auch Buchläden. Ich trat in einen hinein und fragte nach vlämischen Büchern. Der Antiquar war überrascht und schüttelte mit dem Kopfe. Er hatte nur lauter französische Bücher feil. Ich sah den kleinen Vorrath schnell durch und fand zu meiner nicht geringen Ueberraschung eine Sammlung[106] französischer Lieder, 9 Bände mit etwa 1500, alle mit Musiknoten. ›Die muß ich haben,‹ sagte ich zu Schulte, ›aber der Kerl wird zu viel dafür haben wollen.‹ Ich fragte nach dem Preise und der schien mir zu hoch. Da meinte Schulte: ›Wir bekommen sie – wir wollen weiter gehen, er besinnt sich unterdessen und folgt uns bald nach.‹ Richtig. Kaum waren wir bei seinem Nachbar, da fand er sich ein. Er hatte seine Forderung ermäßigt, ich bot 16 Francs und der Handel war abgeschlossen. Wir packten unsern Schatz zusammen und trugen ihn heim. Schulte hatte mich zum Mittagsessen eingeladen. Bei Tische untersuchten wir die 9 Bände und sahen nun erst, welchen bedeutenden Fund ich gemacht hatte: lauter Lieder kurz vor und während der Revolution. Der Sammler muß in einer sehr glücklichen Lage gewesen sein: es war in jener Zeit oft lebensgefährlich etwas zu besitzen was der herrschenden Partei für Hochverrath galt und bestraft wurde.

Den 16. August war ich bei Dautzenberg zum Mittagessen. Ich lernte ihn schon im vorigen Jahre kennen. Seiner Gemüthsrichtung und wol seiner ganzen Bildung nach war er ein Deutscher, und das spricht sich auch in seinen vlämischen Gedichten aus. Es war ein hübscher Mittag, und obschon vlämisch, deutsch und französisch gesprochen wurde, so entwickelte sich doch trotz diesem Mischmasch viel reine Heiterkeit. Es macht übrigens doch einen eigenen Eindruck, wenn man sich unter den Männern der vlämischen Bewegung befindet und sieht und hört in ihren amtlichen und geselligen Beziehungen nichts Vlämisches und lieft dann ein vlämisches und noch dazu ›vaterländisches Lied‹ von ihnen, dessen zweite Strophe übersetzt also lautet:


Schätzt doch der Väter reine Sitten
Und ihren nie gebeugten Muth,
Erinnert euch wofür sie stritten
Und opferten ihr Gut und Blut.
Die Sprache, ihnen angeboren,
Die Sprache, unsrer Freiheit Wehr,
Geht Vlanderns Sprache einst verloren,
Dann lebt auch Vlanderns Volk nicht mehr.

[Von Brüssel aus wendete Hoffmann sich zunächst nach Antwerpen, [107] wo er Hendrik Con science aufsuchte und im Gedankenaustausch mit diesem eifrigen Vorkämpfer der vlämischen Bewegung einige genußreiche Tage verlebte. Dann berührte er Leiden, wo er seinen alten Freund und Gönner, den Dr. Salomon, wiedersah. Er fand den hochbetagten noch sehr rüstig und heiterer als im Jahre vorher. Hierauf folgte er einer Einladung des Oberbibliothekars Holtrop nach dem Haag. Von hier schrieb er an Ida:]


›Haag 3. September 55.

Es geht mir gut. Ich wohne in einem kleinen Zimmer in der königlichen Bibliothek mitten unter Büchern und Handschriften. Was nur von litterarischen Dingen vorhanden ist, steht mir zur Benutzung frei. Ich bin sehr fleißig und gehe oft gar nicht einmal vor die Thür. Obschon ich über acht Tage hier bin, so habe ich doch noch nicht Alles erschöpft; ich muß zuviel nachsehen und ausziehen. Ich werde wol noch diese Woche bleiben müssen ....

Sonntag 26. August. Abends die Familie Holtrop-Campbell bei uns im großen Saale. HerrNicolai, ein junger Musiker, spielte mehrere Lieder eigener Composition, so auch: »Ich muß hinaus, ich muß zu Dir«, von mir. Du wirst es kennen, er hat es mir durch Marshall zukommen lassen, es ist bei Breitkopf und Härtel gedruckt.

Dinstag fuhren wir ins Seebad Scheveningen, kamen aber um 11 schon wieder heim. Um 1 Uhr besuchte ich die Gräfin d'Agoult. Eine sehr interessante Frau. Sie hatte mich kennen zu lernen gewünscht und brieflich zu sich eingeladen ...

Freitag, den letzten August, war ich mit Holtrop und seinem Schwager zur Gräfin d'Agoult zum Mittagsessen (5 Uhr) eingeladen. Wir trafen dort noch einen französischen Schriftsteller Mr. Esquirol und einen holländischen Maler, Bosboom mit seiner Frau, einer bekannten holländischen Schriftstellerin, die unter dem Namen Bosboom-Toussaint schreibt. Alles ganz à la Altenburg, sehr fein; es fehlte nicht an Rheinwein und Champagner. Die Unterhaltung war sehr lebendig, französisch, deutsch und holländisch. Wir gingen um 8 Uhr ganz befriedigt heim ...

Ich habe in Gent, Brüssel und hier wieder mehrereLoverkens gedichtet. Sie haben ganz ungemein gefallen und so werde ich denn [108] von dem 8. Theile der Horae belgicae gelegentlich wieder eine neue Ausgabe veranstalten. 30 Daß die alten in 4000 Exemplaren in Gent nachgedruckt und um 15 Centimen verkauft wurden, weißt Du doch. Die Wirkung ist bedeutender als ich mir je gedacht hatte ...‹

Den 14. September reiste ich vom Haag ab. Drei Wochen hatte ich so zur Familie Holtrop gehört, daß sie mich wie einen alten Freund und Verwandten betrachteten. Gerührt über die vielen Beweise inniger Theilnahme und zugleich erfreut über die befriedigenden litterarischen Erfolge nahm ich Abschied.

In Crefeld kehrte ich bei Conrad Wolff wieder ein und verlebte mit ihm und seiner Familie in alter Gemüthlichkeit zehn sehr frohe Herbsttage.

Den 25. September in Düsseldorf. Dort besuchte ich Ferdinand Lassalle. Offenbar ein geistreicher Mensch von vielseitigem Wissen, der durch seinen Geist, aber auch durch andere Dinge, die Aufmerksamkeit auf seine Person zu lenken versteht. Er lud mich ein, mit ihm aus einer dreiröhrigen türkischen Wasserpfeife zu rauchen. Ich begnügte mich mit einem Versuche, das Schmurgeln war mir denn doch zu eklich. Er ergötzte mich durch seine Unterhaltung, er sprach sehr anziehend über Paris und Heinrich Heine. Bei einem feinen Abendessen und einer Pfirsichbowle plauderten wir uns in die Nacht hinein.

27. September – 2. October in Neuwied. Ich war beim ›wilden Mann‹ eingekehrt. Piel gab es nicht zu, daß ich unter Wilden hauste, ich mußte bei ihm wohnen, und das war mir denn auch sehr angenehm. Wir unterhielten uns viel über Neuwied, das damalige und das heutige, und ich erzählte viel von Weimar und meinen Reisen. Ich sah die alten Freunde und Bekannten wieder, machte mit diesem und jenem einen Ausflug in die Umgegend und war des Abends mit ihnen immer im Casino, wo sich denn noch regelmäßig ›die alte Garde‹ einfand. Ich blieb nur noch drei Tage unterwegs, übernachtete in Coblenz, Castel und Gießen und traf den 5. October in Weimar ein.

Die Meinigen waren alle wohl und munter. Auf meinem Arbeitstische lagen viele Pakete und Briefe. Ich griff den ersten [109] besten heraus und las. Holtrop berichtete mir aus guter Quelle, daß mich der König von Holland zum Ritter des niederländischen Löwens ernannt habe. Ich packte nun meine Geschenke aus, Alles war sehr erfreut.

Schon den folgenden Tag fing ich wieder an zu arbeiten und war dann so fleißig, daß ich nach 14 Tagen das Manuskript der neuen Ausgabe der niederländischen Volkslieder für den Druck fertig hatte. Leider erkrankte ich dann und war fünf Wochen so leidend, daß ich an geistige Beschäftigung wenig, an Ausgehen und geselligen Verkehr gar nicht denken konnte. Da letzterer jetzt nach Jahr und Tag so ziemlich zum Abschluß für mich gekommen war, so will ich, ehe ich dies Jahr beschließe, noch etwas mittheilen über das Weimarische gesellige Leben.

Unter den vielen geschlossenen Gesellschaften Weimars war die größte und vornehmste ›die Erholung.‹ Sie hatte die Ehre, daß sogar der Großherzog Mitglied war. Obschon ich ein Feind aller geschlossenen Gesellschaften war und mich nie entschließen konnte, einer anzugehören, so bestimmten mich hier allerlei Gründe, auch schon die Rücksicht auf meine Familie, eine Ausnahme zu machen: schon seit August vorigen Jahres war ich ›admittiertes‹ Mitglied, wirkliche konnten nur hiesige Ansäßige sein.

Die Erholung hatte zwei Locale, eins für den Winter in der Stadt neben der Hauptkirche, eins für den Sommer draußen an der Jenaer Landstraße. Dies Sommerlocal war sehr freundlich und angenehm. Ein einstöckiges Haus mit einem großen Saale und mehreren Gesellschaftszimmern genügte vollkommen den Zwecken der Gesellschaft. Der davor liegende Garten, ehemals dem Professor Musäus gehörig und dann durch ein Geschenk Carl Augusts erweitert, hatte viele Spazierwege, Sträuche und schattenreiche Bäume und einige Blumenbeete. Dagegen war das Winterlokal ganz erbärmlich: in einem alten verbauten Hause waren drei niedrige Zimmer im zweiten Stocke von mäßigem Umfange für die Gesellschaft hergerichtet. Das erste war das Lesezimmer. In einem schmalen länglichen Raume stand eine lange Tafel, worauf einige Blätter, Zeitungen und Zeitschriften lagen; der Tisch war immer ziemlich besetzt, aber nicht zum stillen Lesen, sondern zum lauten Unterhalten. In einer Ecke stand noch ein runder Tisch, der Erbtisch der Staats- und sonstigen [110] Räthe, den ich mit dem Namen ›der Mandarinentisch‹ zu bezeichnen pflegte. – In dem daran stoßenden sogenannten Gesellschaftszimmer waren zwei oder höchstens drei Spieltische im Gange; an einem der beiden Tische am Eingange rechts oder links pflegte ich mit einigen zu sitzen, die sich so zusammen gefunden hatten und sich gern heiter unterhielten: Rank, Carl Gräf, Schulrath C.F. Lauckhard, Professor Lieberkühn, Geh. Finanzrath Schumann, Lehrer Weiskopf etc. – Im dritten Zimmer stand das Billard. Da waren die jüngern Leute, meist Beamte, die sich in die Nähe ihrer Vorgesetzten nicht wagten, um sich keinen Zwang anzuthun.

Der Besuch war ein sehr schwacher: durchschnittlich mochten zu gleicher Zeit 30–40 Mitglieder gegenwärtig sein. Viele kamen nie, einige höchst selten; mancher mochte durch den steifen, vornehmen Ton abgeschreckt werden, oder blieb weg, weil er das war es in der Erholung suchte, nämlich Erholung, am wenigsten fand. Mehrere, die zugleich Mitglieder anderer Vereine waren, gingen lieber dorthin, sie fanden da besseres Bier und mehr und angenehmere Unterhaltung. Die Restauration war schlecht und konnte auch nie gut werden: der Wirth gab zu viel Pacht und es wurde zu wenig verzehrt. Ein hoher Rath konnte den ganzen Abend vor seinem Glase Lichtenhainer sitzen und ließ sich höchstens noch einen Schnitt geben.

Im Sommerlocale schien die Erholung eine ganz andere Gesellschaft zu sein. Das schöne Wetter lockte die alten Herren ins Freie hinaus, ihre Familien, Frauen und Kinder belebten den Garten, und da derselbe Raum genug hatte, so kannte jeder Kreis hübsch für sich bleiben. An den Concerttagen war es recht belebt, zumal wenn hinterdrein noch ein Ball erfolgte. Wir hatten es von unserer Wohnung ab recht bequem, den Garten zu jeder Tageszeit zu besuchen, nur wenige Schritte und wir standen vor einem der vier Eingänge.

Die Mittwochsgesellschaft 31 war ein Verein zu wissenschaftlicher Unterhaltung, es wurden Vorträge gehalten, worauf denn ein Abendessen erfolgte. Ich kannte diese Gesellschaft nur dem Namen nach, [111] kam aber mit vielen Mitgliedern in Berührung. Wegen ihrer Beziehungen zum Hofe nannte ich die diesem Kreise der Gesellschaft Angehörigen und was sich daran auschloß ›die Hofräthe.‹ Dazu rechnete ich die Hofräthe Preller (Oberbibliothecar), Sauppe (Director des Gymnasiums), Schöll (Vorsteher der Kunstsammlungen), ferner Oberkirchenrath Dittenberger, Geh. Medicinal-Rath Dr. Robert Froriep, seit 1844 Besitzer des Landes-Industrie-Comptoirs, Secretär Christian Schuchardt, Dr. Karl Biedermann, seit 1. October 1855 Herausgeber der Weimarischen Zeitung, Hermann Böhlau, seit 1. September Hofbuchdrucker und Verleger, Staatsanwalt Wilh. Genast, Hofrath Marshall, Cabinetssecretär der Großherzogin, Hofrath Weber und Ludwig Kunze, Professoren am Gymnasium – alle mehr oder weniger Schriftsteller, denen sich noch hinzufügen lassen Frau von Schorn und Freifrau von Groß.

Neben diesen beiden geschlossenen Gesellschaften muß ich noch einer freien Vereinigung gedenken, die sich recht gut als Stadthaus-Gesellschaft bezeichnen läßt. Es war ein Kreis specifischer Weimaraner Kleinstaatler und Kleinstädter, die das Wohl und Wehe der Stadt und des Landes beim Biere besprachen, überzeugt von ihrer eigenen Tüchtigkeit vieles besser wußten und konnten als andere, und nebenbei sich ärgerten, daß die bedeutendsten Männer in Staat und Kirche keine Weimaraner, nicht einmal Thüringer waren. Sie fanden sich häufig ein des Abends im ›Traiteur-Stadthaus‹ und pflegten an einem bestimmten Tage in der Woche zum Lichtenhainer in Süßenborn zu spazieren. Ich traf sie zuweilen an beiden Orten. Dazu gehörten Bürgermeister Wilh. Bock, ›Vorstand der Großh. Residenzstadt‹, Dr. Richter, Advocat Fries, Heinrich Jäde der Schriftsteller und sein Bruder der Maler, Dr. Kräuter und seine beiden Verwandten Dr. Richard und Dr. Robert Keil, Dr. Brehme, später auch der Dramatiker Alexander Rost und Müller von der Werra.

Zu keiner dieser drei Gruppen schienen zu gehören einige, die sich auf sich beschränkend und bei ihrer Schriftstellerei keines Verkehrs mit anderen bedurften: Archivar Dr. Röse, Dr. Panse, Prof. Dr. Tröbst, Director der Realschule, Carl Eitner und Freih. von Biedenfeld. Die beiden letzten kannte ich schon von Breslau her, die anderen lernte ich erst hier, jedoch nur flüchtig kennen.

Unser gesellige Verkehr hatte sich ganz angenehm gestaltet. Die [112] freundschaftlichen Beziehungen zur Altenburg blieben dieselben, der Verkehr mit Preller's war lebhafter und inniger geworden, wir besuchten uns wechselseitig und öfter. Preller, der jeden Abend um sich seinen Kreis von Freundinnen und Freunden versammelt hatte und sich nur schwer davon trennen konnte, widmete uns zuweilen einen Abend.

Sehr angenehm war für uns der Besuch des Theaters, besonders für Ida. Sie verdankte ihm manchen genußreichen Abend, zumal wenn eine gute Oper gegeben und die Ausführung unter Liszt's Leitung nichts zu wünschen übrig ließ.

In der Erholung fand ich für mein Theil gewöhnlich gute Unterhaltung. Einige Male in der Woche ging ich in den Abendstunden hin. Der kleine Kreis, der sich um den runden Tisch einfand und sich danach ›der runde Tisch‹ scherzhaft zu nennen pflegte, hielt sich, ja er gewann mitunter an Ausdehnung, aus Neugier oder aus einem andern Grunde setzte sich dieser und jener zu uns. Das konnte uns nur lieb sein, es kam ein neues Element hinein und die Unterhaltung wurde vielseitiger.

Zu Anfang Januars (1856) gab Dawison einige Gastrollen. Ich war mit vielen anderen entzückt von seinem Spiele. Den 11. Januar lud Liszt den Verein auf die Altenburg ein. Dawison war Gast. Ich brachte ihm ein Hoch aus, in das alle freudig einstimmten. 32

Den 12. Januar fuhr ich mit Liszt zum Großherzog. Ich überreichte mein ›Kinderleben‹, das ich als Weihnachtsgabe hatte drucken lassen, und Rümpler's neuesten Verlag: Gengenbach, Sündenfall, Schiller's Jugendleben von Boas, alle prachtvoll gebunden. Der Großherzog war sehr erfreut. Ich las dann einige Lieder und Distichen und den Trinkspruch auf Dawison.

Im Februar besuchte uns Frau Hofräthin von Dessauer mit zwei Töchtern, die sich hier zu Sängerinnen ausbilden wollten. Wir verkehrten viel mit einander. Frau Hofräthin wußte sehr anziehend zu erzählen von dem Künstler- und Dichterleben Münchens.

Den 18. Februar feierten wir wieder auf der Altenburg ein heiteres Fest, den Geburtstag der Prinzeß Maria. Mit uns waren [113] zugleich Preller's eingeladen. Wir waren also so zu sagen unter uns, unter lauter poetisch gestimmten Gemüthern, und da konnte ich es um so eher wagen, schließlich noch eine Herzensergießung vorzutragen. 33

Berlioz war wieder in Weimar. Zum Geburtstage der Großherzogin-Mutter ward bei festlich beleuchtetem Hause sein Benvenuto Cellini aufgeführt. Den 25. Februar war ihm zu Ehren ein Abendessen in unserm Verein. Da er kein Deutsch versteht, so begrüßte ich ihn französisch. 34

Bei allen den mancherlei Zerstreuungen, die ja meist recht ergötzlich und belebend waren, lastete doch auf meiner Seele ein Alp, der mich noch mehr quälte als das Unwohlsein, welches mich so oft heimsuchte: das war die Arbeit, die ich zum Theil freiwillig übernommen hatte, seit langer Zeit aber zur Muß-Arbeit geworden war. Das Jahrbuch und die beiden neuen Bände der Horae belgicae nahmen meine Zeit und Kräfte fortwährend in Anspruch. In viertehalb Monaten hatte ich 51/8 Bogen drucken lassen, wovon ich den größten Theil selbst ausgearbeitet und jeden Bogen selbst corrigiert hatte. Wer es weiß, wie lästig jede Correctur, zumal bei schwierigem Satze ist, der weiß auch, was es heißt, drei bis vier Bogen an Einem Tage, wie es oft vorkam, corrigieren müssen. Dies mechanische Geschäft wurde noch dadurch sehr langweilig, daß ich mir nie genügte und manchen Bogen oft dreimal durchsah, ehe ich ihn zum Abdruck in die Druckerei schickte. Endlich am 3. März waren beide neuen Ausgaben der Pars II. und IV. der Horae belgicae vollendet, Pars II erschien auch unter dem Titel: ›Niederländische Volkslieder. Gesammelt und erläutert von Hoffmann von Fallersleben‹ (Zweite Ausgabe. Hannover. Carl Rümpler. 1856. 8°. LII. 368 SS.) – Pars VII. auch unter dem Titel: ›Glossarium belgicum. Herausgegeben von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Hanover. Carl Rümpler. 1856. 8°. XXVI. 127 SS.). Das erste Werk ist den königlichen Akademien der Wissenschaften zu Amsterdam und Brüssel, das andere ›Meinen mitforschenden Freunden Arie de Jager, Wilh. Müller, Matthias de Vries, Wilh. Wackernagel und Lambert Allard te Winkel gewidmet.‹

[114] Ich hätte nun wol eine Pause machen und mir etwas Erholung gönnen können, aber es lag mir die neue Ausgabe des 1. Theils der Horae belgicae sehr am Herzen. Bei den bedeutenden Fortschritten, die in diesem Zweige der deutschen Sprachforschung in Holland und Belgien gemacht waren, schien es mir ein Bedürfniß, eine Uebersicht des ganzen Bereichs der alten niederländischen Dichtung zu geben in allen Quellen und Ausgaben und den darauf bezüglichen Schriften.

Dennoch fand ich in diesen Tagen etwas Erholung und diesmal in der ›Erholung‹, und zwar am ›runden Tische.‹ Es hatte sich nämlich bei uns Dr. Widmann von Jena eingefunden, er war zum Besuch herübergekommen, ein geweckter Kopf, für Kritik und litterarische Dinge sehr empfänglich und selbst Dichter. Wir sprachen über Xenien und ich theilte ihm einige meiner neuesten mit und meinte es wäre doch hübsch, wenn man einen Xenienkampf eröffnete, man müsse dazu aber Verbündete haben. Er ging auf die Sache ein und versprach seine Mitwirkung. Wie das aber mit den meisten Versprechen zu gehen pflegt, so hier, sie bleiben Versprechen. Ich hatte schon früher in Rank's Sonntagsblatt einige Dutzend, freilich ziemlich zahme, zum Besten gegeben. Da ich nun jetzt wieder drin war, so setzte ich das Geschäft fort, und nachdem ich mich der Güte meiner Waare durch das Urtheil meiner Freunde versichert hatte, so trat ich damit zum Vorschein. 35 Da das Jahrbuch wenig verbreitet war und nächstens aufhörte, so gelangten die Xenien wenig an ihre Adresse.

Unterdessen war es Frühling geworden. An milden sonnigen Tagen pflegte ich nach Tische einen Spaziergang zu machen ins Webicht. Dies halb wilde Wäldchen, worin ich statt langweiliger Menschen nur munter singende Vögel, frisches Grün und freundlich blühende Blumen traf, war mir lieber als der viel besuchte und gerühmte Park. Ich wußte bald alle Stellen, wo Blumen wuchsen. Ich begnügte mich nicht, jedesmal einen Strauß zu pflücken, sondern [115] auch einige mit den Wurzeln auszuheben und zu Hause in Töpfe zu pflanzen. So machte ich es besonders mit den Schneeglöckchen (Leucoium vernum), womit eine Gegend besonders reich gesegnet war; wenn sie die Blüthe im Munde hatten, wie Ida sagte, nahm ich sie mit und sie mußten dann zu unserer Freude vor den Fenstern aufblühen. Ich machte hier auch die Bekanntschaft mit einem Blümchen, das ich sonst noch nirgend gesehen hatte: die Waldwicke (Orobus vernus).

Am 1. Mai erhielt ich mein Diplom als Mitglied des Neu-Weimar-Vereins, unterzeichnet von Liszt, mir und Ferdinand Schreiber. Es ist sehr hübsch ausgeführt in Holzschnitt von der Xylographischen Anstalt E. Kretzschmar's in Leipzig. Um einen Stabrahmen windet sich oben Immergrün, links eine Rebe mit Trauben und rechts ein Eichenzweig mit Eicheln, eine Illustration meines Gedichts, 36 das den obern Theil ausfüllt. Der mittlere Raum ist für die Schrift bestimmt. Darunter steht das Siegel des Vereins, die in einander verschlungenen schräg liegenden großen lateinischen Buchstaben NWV. Unten wie in einem Rahmen zeigt sich Weimar mit seinen drei Thürmen.

Auch den Ehrenmitgliedern wurden jetzt oder waren bereits ihre Diplome zugestellt: Hector Berlioz in Paris, Hans von Bülow in Berlin, Jos. Joachim in Hannover, Carl Klindworth in London und Richard Wagner. Es war also vorläufig nur Eine Kunst, die Musik, unsererseits beehrt worden. Dies Jahr wurden drei Musiker in den Verein aufgenommen: Leopold Damrosch, Dr. med., Louis Hartmann und Julius Reubke, und Hofopernregisseur Ernst Pasqué.

Die neue Ausgabe des 1. Theils meiner Horae belgicae war in Weimar so weit gediehen als sie bei meinen Hülfsmitteln gedeihen konnte. Das aber genügte mir nicht. Eine abermalige Reise in die Niederlande schien mir unumgänglich nothwendig. So kostspielig und mitunter beschwerlich eine solche Reise auch war, so glaubte ich doch dies Opfer der Wissenschaft bringen zu müssen. Da nun die Meinigen wohl und munter waren und ich mich selbst wohl fühlte, so entschloß ich mich gar schnell, und den 8. Mai des Nachmittags war ich bereits in Cassel, den folgenden Tag in Münster.

[116] Den 10. Mai setzte ich meine Reise fort. Ich war sehr traurig gestimmt. Von Weimar aus hatte ichConrad Wolff meinen baldigen Besuch gemeldet und dann von ihm eine betrübende Antwort erhalten: ›Ich bin krank, sehr krank, I.H., und Gott weiß wie lange ich noch unter euch wandle, ich glaube, nicht lange mehr.‹ – Als ich nach Oberhausen kam, hörte ich aus dem Munde eines Crefelders auf die Frage, wie es dem Conrad Wolff gehe? ›Ach, den habe ich erst dieser Tage spazieren gesehen.‹ Und wie wurde ich überrascht, als ich seine Frau begrüßte! ›Der Conrad ist mit seinen Brüdern zur Musikprobe nach Düsseldorf – er muß aber gleich zu Hause kommen.‹ Halt, dachte ich, den sollst du mal begrüßen. Als ich ihn schellen hörte, hatte ich mich versteckt. Er trat ein und fing auch gleich an zu jammern. Da überraschte ich ihn mit einigen schönen Redensarten und wußte ihn gar bald umzustimmen, daß wir noch alle einen heiteren Abend verlebten.

Ich merkte bald, daß es bei Conrad mehr eine geistige Verstimmung als körperliche Krankheit war, ich suchte ihn demnach zu zerstreuen und zu erheitern: wir gingen viel spazieren und waren viel in fröhlichen Gesellschaften. Seine Brüder, namentlich der Musikdirector Hermann, der wirklich krank gewesen und jetzt wieder hergestellt war, und sein Schwager, der Musikdirector Schmidt von Bremen, unterstützten eifrig meine Bemühungen. 37 Was ich gewollt, gelang mir. Den 17. Mai nahm ich befriedigt Abschied von dem gesunden Conrad und seinen Brüdern, und traf noch denselben Tag in Brüssel ein.

Weil der folgende Tag ein Sonntag war, so konnte ich erst den dritten Tag die königliche Bibliothek besuchen. Ich erhielt zwei Handschriften: den Willem van Hildegaersberch und den Reinaert, und arbeitete einige Tage, fand aber nichts von Bedeutung.

Die wenigen Tage, die ich nun noch auf Brüssel verwendete, verlebte ich sehr angenehm. Ich verkehrte nur mit Deutschen: in unserer Unterhaltung war immer der Hauptgegenstand Deutschland und die Niederlande in ihren jetzigen Zuständen, ihrer Entwickelung und ihren Beziehungen zu einander. Bei der Vorliebe der Belgier [117] für Frankreich erwartete niemand von uns weder eine staatliche Selbständigkeit noch eine volksthümliche Entwickelung auf dem Gebiete der Litteratur und Kunst.

Unter anderen lernte ich den weimarischen General-Consul Rahlenbeck kennen. Er besaß eine schöne Bibliothek und eine nicht unbedeutende Autographensammlung. Da ihm sein Amt viel Zeit übrig ließ, so konnte er auch viel auf seine Sammlungen und seine Schriftstellerei verwenden. Er beschäftigte sich viel mit der Geschichte der Protestanten in Frankreich und den Niederlanden. Er war sehr freundlich und gefällig gegen mich und steuerte Einiges bei für das Jahrbuch.

Er war so gütig, mich zum Minister des Innern, Herrn de Decker zu begleiten. Der Minister freute sich mich persönlich kennen zu lernen und rühmte meine Verdienste um die vlämische Litteratur. Rahlenbeck bat ihn dann, er möchte erlauben, daß ich vlämisch mit ihm spräche. Das geschah, und ich überreichte ihm für die Akademie der WissenschaftenPars II. und VII. der Horae belgicae. Wir kamen auf Willems zu sprechen, mit dem der Minister sehr befreundet gewesen war. Er freute sich, daß ich so vortrefflich vlämisch spräche u. dgl. Es war eine der freundlichsten Audienzen, die ich je gehabt hatte, und das mußte mir genügen: eine Antwort von Seiten der Akademie habe ich nie erhalten, und das stimmte ganz zu dem Benehmen aller übrigen vlämischen Fransquillons in Brüssel.

Zum Andenken schenkte ich Rahlenbeck eine Kleinigkeit: ›Die Kinderwelt in Liedern‹, und damit das Büchlein für ihn als Autographensammler doch auch noch einen Werth hätte, schrieb ich eine Widmung 38 hinein.

Professor Heremans hatte mich zu sich eingeladen. Den 26. Mai begab ich mich nach Gent, und nach zwei Stunden war ich schon in dem gastlichen Hause Sandberg 16. Herzlich bewillkommnet von Heremans und den Seinigen fühlte ich mich sofort recht heimisch und war sehr heiter; in dem Wechsel von angenehmem häuslichen Verkehre und erfreulichen Arbeiten gingen alle meine litterarischen Wünsche in Erfüllung. Heremans war bemüht, mich mit seinen Freunden und Bekannten zusammen zu bringen. Da gab es denn [118] Besuche und Gegenbesuche, und Einladungen aller Art. So verkehrte ich denn wieder wie früher viel mit Snellaert, Blommaert, Prudentius van Duyse, Rens, Boone und Serrure.

Am Abend führte mich Heremans ein in Het vlaemsch Gezelschap. Ich wurde freundlich bewillkommnet. Nach der Sitzung trug ich etwas vor. Als der Vorsteher mir seinen Dank ausgesprochen hatte, erfolgte ein dreimaliges tactmäßiges Händegeklatsche. Um mir nachträglich noch einen Beweis der Theilnahme zu geben, ernannte man mich zum correspondierenden Mitgliede.

Den 27. Mai besuchten wir Het taelminnend Studentengenootschap. Ich wurde beim Eintritt mit lautem Jubel bewillkommnet. Nachdem Vuylsteke's Lied: 't zal wel gaen, vier- und einstimmig gesungen war, trug ich einige deutsche Gedichte vor, und nachdem Heremans eine Einleitung gegeben, auch meinen Spruch von der vlämischen Bewegung. 39 Lauter anhaltender Jubel. Der Präsident hielt dann eine Anrede an mich und überreichte mir den Sudenten-Almanak voor 1856, in welchen sich alle Anwesenden eingeschrieben hatten. Dafür widmete ich ihnen später einen deutschen Trinkspruch und ein vlämisches Lied.

Am 29. Mai ward mir zu Ehren ein eigenthümliches Abendessen gegeben. Etwa ihrer zwanzig, Mitglieder verschiedener Vereine, versammelten sich inHet Motje, einer Gartenwirthschaft vor dem Brüggeschen Thore. Es war ein Fischessen, ein sogenanntesWaaterzoo (allerlei Fische in Salzwasser gekocht), wozu wir Uitzet und Rothwein tranken. Rens brachte ein Hoch auf mich aus, welchem nachher Snellaert noch einige Berichtigungen hinzufügte. Ich dankte mit einem vlämischen Liede, welches diesen Morgen erst entstanden war. 40

Wir lebten dann sehr ruhig, und das war mir lieb. Den Tag über arbeitete ich und des Abends gingen wir bei gutem Wetter nach der Sommerwohnung (het buîtentje) oder machten sonst einen Spaziergang. Ich war sehr fleißig. Zunächst suchte ich die neue Ausgabe der Pars I, der Horae belgicae zum Abschluß zu bringen. Snellaert erwies mir einen großen Dienst: durch seine gütige Vermittelung [119] erhielt ich die Brüsseler Handschrift des Willem van Hildegaersberch, die mich mehrere Tage beschäftigte.

Es war in neuester Zeit immer so viel die Rede gewesen von der vlämischen Bewegung. Jetzt wollte ich dieselbe gründlich kennen lernen von ihren Anfängen bis zur Gegenwart und zwar nach allen Seiten hin. Heremans war sehr bereitwillig, mich darin zu unterstützen. Da er selbst ein Betheiligter war, so konnte er mich auf das Wichtigste aufmerksam machen und mir aus seiner Bibliothek alles darauf Bezügliche vorlegen. Bald war ich im Besitze eines reichen Stoffes, so daß es mir schien, ich würde ihn kaum bewältigen können. Nach und nach gewann ich eine Uebersicht und Kenntniß des Wichtigsten. Ich konnte die Ausarbeitung beginnen, ich begann und vollendete sie. Jetzt wollte ich auch noch ein Verzeichniß der vorzüglichsten Schriftsteller seit 1834 hinzufügen mit kurzen bio- und bibliographischen Nachrichten. Dieser kleine Anhang machte wieder viele Arbeit: es mußten mündliche und briefliche Erkundigungen angestellt werden, um das Fehlende zu ergänzen und das Zweifelhafte zur Gewißheit zu bringen. Am 7. Juni vollendete ich mein Büchlein, im Bewußtsein, einer gerechten Sache das Wort geredet zu haben und in der Hoffnung, daß auch meine Arbeit nicht ganz vergeblich sein würde. An das Druckenlassen in Gent war nicht zu denken. Heremans bemerkte mir, dergleichen würde so schlecht gesetzt, daß er von einem Bogen oft 6 Correcturen verlangen müsse, und auch dann sei er noch nicht sicher, ob nicht noch Fehler stehen geblieben.

Den 11. Juni nahm ich Abschied. Es ward mir schwer, mich von der lieben guten Familie Heremans zu trennen. Halbelf Vormittags war ich schon in Antwerpen. Ich fuhr sofort zum holländischen Bahnhof, gab mein Gepäck ab und spazierte zu Conscience, der in der Nähe wohnt. Er war nicht zu Hause, wurde aber zu Mittag erwartet. Ich wollte nicht in die Stadt zurückkehren und blieb in einer Schenke am Beeldekensweg. Während ich nun so auf Conscience wartete, suchte ich mir mit Distichen die Zeit zu vertreiben. Das Wetter war wunderschön, ich lag auf einer harten Bank, die breitblättrigen Linden gaben mir Schatten, ich war ungestört, außer einem Hündlein ließ sich kein lebendes Wesen blicken:


Naest den beeldekens weg, daer zocht ik den vlaenderschen leeuw
lacy vergeefs, ik vond dan een hondeken maer.
[120] Was ich zunächst gewünscht hatte, war erreicht, aber ich war doch nicht zufrieden:
Wat ik zoo lang my gewenscht is even de rust en de vrede,
maer nu ben ik nog veel minder tevreden dan voor.

Ich erinnerte mich unserer früheren Gespräche, wie es nach meiner Ansicht nothwendig wäre, daß ein Dichter, namentlich ein Romanschreiber, reisen müsse, um sich vor Einseitigkeit zu bewahren, sich frisch zu erhalten und neue Anschauungen aus dem Leben für's Leben zu gewinnen:


Reizen toch moet gy, ofschoon gy er ook op den beeldekens weg woont;
reizen moet gy, het zyn anders de beeldekens weg.

Schon in Gent hatte ich derartige Versuche gemacht in der den Holländern ungewöhnlichen und unbeliebten Distichenform. Es geschah immer in Folge von Gesprächen, die ich mit Heremans führte über das Wesen der Poesie, über das was den Deutschen und den Niederländern für poetisch galt u. dgl. Ursprünglich waren diese Peperbolletjes, wie ich sie nannte, deutsch, sie wurden dann von uns übersetzt.

So sprach ich mich denn auch über die Art und Weise aus, wie man die Poesie in französischer Nachahmung durch Preisausschreiben und Wettkämpfe zu fördern strebte und dergleichen:


By pinten en kannen
zoo zitten de mannen
en praten fransch altemael
over vlaemsche zeden en vlaemsche tael,
hebben fransche gedachten en fransche gevoelen
om voor de vlaemsche zaek te woelen,
en gelooven aen elke kant
de litteratuer in hun vadetland,
gelyk als het de Franschen bedryven,
opteheffen dor prys uitschryven.
Maer de poëzy laet zich nooit dwingen,
men mag niet naer opdragt dichten en zingen.
Om goede gedichten en liederen te schryven,
moet men vry van buiten en binnen blyven,
[121]
en niet naer den loon der wereld trachen,
noch byval of prys van de wereld verwachten.
En een vlaemsche dichter moet begeven
het vreemde fransche wezen en leven,
moet zyn vaterland van buiten en binnen,
en heeft hy wedergewonnen zyn vaterland,
dam mag hy naer vlaemsche aerd en trant
zyn eigen volk bezielen en laven,
tot al het goede en schonne staven,
dan maekt hy de vlaemsche beweging waer,
dan zal ik zeggen over 't jaer:
Myne heeren, ik bid om vergeving!
uw vlaemsche beweging is de volksherleving.

Endlich kam Conscience. Er nahm mich gleich mit in sein Haus. Ich war sein Mittagsgast und verbrachte noch einige sehr angenehme Stunden mit ihm. Wir unterhielten uns viel über die vlämische Bewegung, er sprach sich über sein Verhältniß zu derselben aus.

Nachmittags fuhr ich nach Rotterdam. Dort begab ich mich zum Buchhändler Otto Petri. Ich erzählte ihm von meinem Büchlein. Er war geneigt es zu verlegen, wollte es sich aber morgen erst noch näher ansehen. Am andern Morgen fand er sich zeitig ein. Er meinte, das Büchlein müsse holländisch erscheinen. Ich war einverstanden, er wollte die Uebersetzung und das Weitere besorgen. Den Nachmittag um 1 traf ich im Haag ein und vollendete die Durchsicht der Haager Handschrift des W. van Hildegaersberch. Da ich nur wenig im Haag zu thun hatte, so eilte ich schon den dritten Tag weiter. Den 15. um Mittag traf ich in Leiden ein. Mein erster Besuch galt dem Prosessor de Vries. Wir unterhielten uns viel über sein niederländisches Wörterbuch und die Geschichte des Niederländischen. Er bat mich bis übermorgen noch zu bleiben und an einem Gastmale theilzunehmen, das er einigen seiner Schüler geben würde. Den anderen Tag 41 besuchte ich meinen alten Freund, den Dr. Salomon.

[122] Er ist 83 Jahre alt. Ich fand ihn noch ziemlich rüstig. Er freute sich meines Besuchs und war sehr liebenswürdig. Beim Abschiede sagte er: ›Wenn Sie der Wind einmal wieder hieher führt, so laufen Sie bei mir in diesen Hafen ein!‹ 42

Dinstag den 17. um 1/25 war nun das große Mittagsessen bei de Vries. Die Studenten hatten de Vries zeichnen und lithographieren lassen und um ihnen für diesen Beweis der Liebe und Verehrung einen Gegenbeweis zu geben, waren sie eingeladen worden und ich sollte dies Fest verherrlichen. Auch gut. Eine echt holländische Malzeit: anderthalb Stunden aßen und tranken wir, es ging sehr deftig, bedaard en fatsoenlijk zu. Dann wurde die Gesellschaft munter, endlich fast ausgelassen. De Vries sprach in einer langen Rede seinen Dank aus. Dann folgte ein neuer Trinkspruch von ihm: er besprach ausführlich meine großen Verdienste um niederländische Sprache und Litteratur, wie sehr ganz Niederland mir zu Danke verpflichtet sei u.s.w. Anhaltender Jubel und Gesang. Ich ließ dann die Jugend leben, nachdem ich einige holländische Worte vorausgeschickt hatte. Und so weiter – ich weiß nicht mehr, wen und was wir Alles leben ließen. Das nur weiß ich, daß der ganze Abend einen [123] gewaltigen Eindruck auf die jungen Gemüther machte und gewiß allen unvergeßlich bleiben wird. Das sagten sie mir wie auch de Vries noch den andern Tag.

Am Mittwoch reiste ich dann ab und war um 3 Uhr in Rotterdam. Petri empfing mich an der Eisenbahn. Wir besuchten Herrn Dr. de Jager. Dort traf ich einen Buchhändler, der eben viele alte Bücher auf dem Tische ausgebreitet hatte. Ich besah mir alle und fand zwei fliegende Blätter: den Grafen von Rom und Mariechen von Nymwegen. Ich las und erfreute mich an diesen Liedern. Herr Jacob, so hieß der Biedermann, erkannte meine geheimen Wünsche und schenkte mir die beiden Seltenheiten. Besonders merkwürdig ist das Mariechen, das alte Schauspiel ist hier als Lied behandelt. Von beiden Sachen wußte noch keine Seele etwas. Das heiß' ich Glück! Noch im Laufe des Sommers erschien mein Genter Büchlein:›De vlaamsche Beweging; door Hoffmann van Fallersleben, Ridder der Orde van den Nederlandschen Leeuw. Met een voorwoord van Dr. A. de Jager.‹ (Rotterdam, bij den Boekverkooper Otto Petri. 1858. 8°. 48 SS.).

Den 19. Juni übernachtete ich in Arnheim, den 20. im Homberg. Von hier aus schrieb ich sofort an Ida: ›So bin ich denn wieder auf deutschem Boden angelangt, und wenn ich auch nicht vor Freuden tanze und springe wie einer meiner Reisegesährten es that, der nach siebenjährigem Aufenthalt in der Fremde sein Vaterland erst wiedersah, so freue ich mich doch recht herzlich: meine Liebe zu meinem Vaterlande ist nach jeder Reise so auch nach dieser nur noch größer geworden.‹

Den 23. und 24. in Ems. Es ist nun zwar nicht meine Liebhaberei, Badeörter zu besuchen, hieher aber trieb mich Conrad Wolff, der die Cur gebrauchte. Wir verkehrten viel mit einander, spazierten auf die höchsten Punkte der Umgegend und machten auch einen Ausflug nach Nassau. Den ersten Abend lernte ich den Geh. Medicinal-Rath von Ibell kennen und den andern Abend war ich bei ihm eingeladen. Wir waren sehr heiter. Ich trug mehrere Trinksprüche vor, und da nun gerade der Geburtstag des Großherzogs von Weimar war, auch den jüngsten. 43 Damit ich eine noch fröhlichere Erinnerung an den schönen Abend behielte, begrüßte [124] mich, ehe ich Abschied nahm, die liebliche Tochter Ibell's, ein Mädchen von zwölf Jahren, eine lebendige Rose.

Den andern Tag setzte ich meine Reise fort und kam am 26. Juni nach Kitzingen. Ich war in das rothe Roß eingekehrt und benachrichtigte Dr. Schad von meiner Ankunft. Er fand sich sehr bald ein und freute sich, daß er mich als seinen Gast begrüßen könnte, diese Nacht möchte ich nur hier bleiben, der Wirth sei sein Oheim, aber von morgen ab müsse ich bei ihm wohnen. Das geschah denn auch und ich ließ mich bei ihm häuslich nieder. Mit Schad hatte ich schon lange im Briefwechsel gestanden und ihm manchen Beitrag beigesteuert zu seinem ›Deutschen Musenalmanach‹. Er hatte mich in Weimar besuchen wollen, aber nur die Meinigen getroffen. Jetzt lernten wir uns erst persönlich kennen. Ich war sehr heiter gestimmt und dichtete auch ›Junilieder‹, 44 beseelt von der Erinnerung an den schönen Abend in Ems. Schad war ganz entzückt davon und kaperte sie für seinen Musenalmanach.

Den 30. Juni fuhr ich weiter und traf den 1. Juli in München ein. Ich war jetzt meinem Ziele näher.: Frau Hofräthin von Dessauer hatte mich nämlich eingeladen, mit ihr nach ihrer Besitzung am Kochelsee hinüber zu reisen, ich sollte dort Kiefernadelbäder gebrauchen, Brunnen trinken und mich in der frischen Berglust erholen und stärken. Sie hatte mich lange erwartet und war dann vorgestern nach Kochel abgereist. Ihr Sohn Heinrich, der mich am Bahnhof empfing, wollte mich dorthin begleiten. Ich blieb den folgenden Tag noch in München und verlebte einige angenehme Stunden mit Bodenstedt.

Den 3. Juli fuhren wir mit dem Nachmittagszuge nach dem Starnberger See, dann mit dem Dampfschiffe nach Seeshaupt. Unser Kutscher hatte uns nicht mehr abwarten wollen und war heimgefahren. Wir mußten uns in unser Schicksal finden, blieben in Seeshaupt, spazierten viel umher und aßen Renken (Rheinanken), diesen edeln Fisch der baierischen Seen.

Da den folgenden Morgen der Kocheler Stellwagen nicht kam, so mußten wir uns zu dem landesüblichen Fuhrwerke bequemen: wir setzten uns auf ein Wägelchen mit hartem Brettersitz und kutschierten [125] auf schlechten Wegen nach Schlehdorf. So viel Hübsches dieser Weg darbot, so konnten wir doch vor lauter Erschütterung zu keinem Naturgenuß kommen. Mit heftigen Kopfschmerzen kam ich in Schlehdorf an. Hier nahm uns ein bequemer Nachen auf und wir fuhren über den See. Trotzdem daß die Fahrt sehr sauft war, so hatte ich mich doch nicht erholt, in einem elenden Zustande erreichte ich Kochel und es bedurfte erst dreier Stunden Schlafs, bis ich wieder wohl wurde.

4. Juli – 7. September in Kochel. Schon in den ersten Tagen schrieb ich an Ida:

›Eine prachtvolle, großartige Natur! Die hohen schroffen Berge, meist mit Fichten und Tannen bewachsen, die Vorberge mit ihrem Laubholz und ihren Matten, Alles gewährt einen immerwährenden Reiz, man sieht sich nie satt. Der Empfang war, wie ich nicht anders erwartete, ein sehr herzlicher .... Die Dessauer'sche Besitzung fand ich noch viel schöner und zweckmäßiger als sie uns beschrieben war, ja, ich möchte sie großartig nennen. Die Frau Hofräthin hat Alles nach ihren Entwürfen bauen und einrichten lassen. Sie ist ein wirkliches Baugenie. Die beiden Häuser stehen mit ihrer schmalen Seite nach dem See gerichtet, sie sind zwei Stockwerk hoch mit einem Giebelstock. Jeder Stock hat eine gegen Regen geschützte Bühne (Gallerie), die bei beiden Häusern nach dem See und nach dem Hofe geht .... Der Garten zieht sich bis an den See, parkartig angelegt, mit den schönsten Obstbäumen, Erdbeerfeldern, Johannis- und Stachelbeerpflanzungen, Blumen- und Gemüsebeeten. Rechts und links Hügel mit Matten und etwas Kornfeld, westlich ein ziemlich hoher Berg mit einem alten Hause, der Aspenstein. Es war ein ehemaliges Jagdschloß der Mönche von Benedictbeuern und wurde später zum Wohnhause eingerichtet, im Augenblicke steht es leer.‹

›Das Leben ist hier sehr einfach, ganz ländlich und sagt mir deshalb sehr zu. In der Stille der schönen Natur und bei der freundlichen Theilnahme aller Hausgenossen fühle ich mich recht wohl und hoffe den alten Feind meines Daseins, den verwünschten Rheumatismus, durch guten Humor und 12 Kiefernadelbäder mit Kochelbrunnen vollständig zu beseitigen. – Ich bewohne ein hübsches Zimmer im zweiten Hause mit einer Aussicht auf's Gebirge.‹

Die Frau Hofräthin hatte bis auf eine verheirathete Tochter [126] alle ihre Kinder um sich vereint: Heinrich, der sich zum Doctor der Medicin vorbereitete, nebst zwei jüngern Brüdern; die vier erwachsenen Töchter Emilie, Hildegarde, Mathilde, Beatrix, nebst zwei jüngern Schwestern und zwei Anverwandtinnen. Die Frau Hofräthin schaltete unter ihnen als zärtliche Mutter und tüchtige Hausfrau und war den Gästen gegenüber eine liebenswürdige Wirthin. Die Kinder waren alle sehr begabt, wohlerzogen, gebildet, freundlich und angenehm im geselligen Verkehre, und hatten sich alle unter einander recht lieb.

Schon durch diese große Familie war unser Haus sehr belebt, wurde es aber nun noch mehr durch den Zutritt von neuen Gästen. Einige Tage nach mir fanden sich ein Herr und Frau von Milde aus Weimar und Dr. Otto von Franqué aus München, jene ein ausgezeichnetes Sängerpaar, und dieser, der Mediciner, nebenbei ein tüchtiger Bergzitterspieler. Gegen Ende des Monats kam Dr. Adolf Wüllner und brachte einen photographischen Apparat mit.

Es entwickelte sich nun bald eine vielseitig heitere Geselligkeit, alle Künste wurden losgelassen: es wurde gezeichnet, gemalt, photographiert, gestickt, gedichtet, declamiert, gesungen, gejodelt, Clavier, Zitter, Schach und Dame, Blindekuh mit Kochlöffel oder mit Stimmen gespielt, Reis und Federball geschlagen, geturnt, getanzt, es wurden Blumenkränze und Laubgewinde gewunden. Den ganzen Juli hatten wir mit Ausnahme weniger Tage fortwährend schlechtes Wetter: Regen, Nebel und Kälte, und wenn es warm wurde, Gewitter, die denn auch Regen und Kälte brachten. Für mich war es dann immer höchst angenehm, daß ich auf der Bühne spazieren und so wenigstens im Freien sein konnte. Je schlechter das Wetter war, um so mehr wurden wir auf uns angewiesen, und da war es für mich eine Wohlthat, unter Menschen zu sein, die wie ich das Bedürfniß hatten, fröhlich zu sein.

Um durch ein geistiges Band die Einzelnen mehr zu einen und jedem Gelegenheit zu geben, sich auszusprechen, unternahm ich eine Kochelzeitung, die ganz eingerichtet wie jede andere Zeitung, Berichte und Besprechungen enthalten sollte über die bedeutende Begebnisse in unserm kleinen Kreise, Nachrichten und Anzeigen aller Art etc. Am 1. August las ich nach dem Abendessen die erste Nummer vor. [127] Die Idee fand Anklang, aber freilich wenig Unterstützung. Ich lieferte noch einige Nummern, und dabei blieb es.

Einige Tage vorher hatten wir eine Academia Louisiana gestiftet, die den 29. Juli ins Leben trat. Fräulein Beatrix sollte zu ihrem Namenstage zum Doctor creiert werden. Die Vorbereitungen waren Tags vorher gemacht, ich hatte ein lateinisches Diplom verfaßt und Dr. von Franqué eine Brottorte eingerührt. Um 12 Uhr begann der feierliche Actus. Wir Männer hatten alle unsere Feiertagskleider angezogen, sonst trugen wir immer die landesüblichen Juppen, die durch den Schneidermeister Huber in Kochel eine europäische Verbreitung gefunden haben. Der Zug beginnt, voran die Pedelle mit den Stäben, einer trägt das Diplom auf einem Küssen, dann folgen der Promovend, der Rector (ich), der Decan (Wüllner), der Secretär (H. von Dessauer), der Cantor (von Milde), der Pistor (von Franqué) und die übrigen. In der Mitte zwischen dem Promovenden und den Professoren nehme ich Platz auf einem großen Sessel. Ich halte eine Rede, worin ich Bedeutung und Zweck der neuen Akademie hervorhebe und also schließe:


Wir wollen vergessen nie, ja nie
Die berühmte Kochelsche Akademie,
Wo der Gedanke nicht ist verkannt und verbannt,
Sondern immer findet sein Vaterland,
Wo das Schöne, Gut' und Wahre lebt
Und die Geister zum Wirken und Schaffen erhebt,
Wo die Kunst ihren Preis und Ruhm behält,
Wenn sonst in der Welt nur gilt das Geld,
Wo Alles harmonisch sich strebt zu entfalten,
Und ein freies, heiteres Sein zu gestalten.
Drum ist es als süße Pflicht uns erschienen,
Der Kunst und der Wissenschaft so zu dienen,
Daß der Strebende findet bei uns sein Heil
Und jedem Verdienste wird sein Theil.
Damit die Welt des werde inne,
Anjetzo eine Promotio beginne
In optima forma wie es muß –
So spricht der Rector magnificus.

[128] Darauf liest der Decan die Vita, der Promovend die Quaestio. Dann beginnt das Examen: fünf Räthselfragen aus verschiedenen Gebieten des menschlichen Wissens. Der Candidat antwortet vortrefflich. Der Secretär liest die Eidesformel, der Promotus verspricht durch Handschlag Alles zu halten. Der Decan liest das Diplom und überreicht es dem neuen Doctor, dem dann Rector magnificus et. Senatus gratulieren. – Alles sehr gelungen. Nachher beginnt die Bescherung: eine Brottorte mit dem schön verzierten Namen BEATRICE, zwei Schalen mit Johannesbeeren, in Zucker candiert und drei Flaschen Champagner, mit der Etiquette: GIFT. Es folgt ein sehr heiteres Mittagsmal.

Vier Wochen später, am 25. August, war wieder ein Fest: der Namenstag der Frau Hofräthin. Gegen 9 Uhr Morgens gingen wir nach Kochel in die Kirche. Es wurde ein Meßamt gehalten, wozu die Unsrigen sehr schön sangen. Gegen Mittag kam Professor von Martius. Er war sehr erfreut, mich wieder zu sehen. Wir saßen lange allein in der Gartenlaube und erzählten uns unsere Lebensgeschichte seit wir zum letzten Male (1839) zusammen waren. Wir unterhielten uns dann noch viel über Deutschland, Schleiden, Schmeller, Endlicher. Nachdem wir uns dann an dem schönen Gesange der beiden Milde erfreut hatten, begaben wir uns in den schön geschmückten Saal und nahmen Platz an der Festtafel, die des Guten nur zu viel darbot. Heinrich hatte den Speisezettel gemacht und auch den Saalschmuck besorgt.

Schon am Morgen hatte ich der Frau Hofräthin einen Blumenstrauß mit einem Gedicht 45 überreicht. Sie mochte nicht ahnden, daß ich ihr noch etwas zugedacht hatte, ich überraschte sie und die ganze Gesellschaft bei Tische mit einem Trinkspruch. 46 Dann eine abermalige Ueberraschung: ich brachte unserm lieben Gaste von Schlehdorf ein Hoch aus. 47

Den 27. August reisten die Gäste ab. Ich dachte schon früher an meine Abreise: erst hielt mich der Ludwigstag zurück, dann das [129] schlechte Wetter, und so blieb ich denn noch etwas länger als die anderen. An guten Tagen ging ich nach wie vor viel im Freien umher und besuchte am liebsten das Joch. Es ist die Besitzung eines einzigen Bauern: ein großes Wohnhaus, eine Sägemühle, verschiedene Wirthschaftsgebäude und Ställe. Von Osten nach Süd und West ist es von so hohen Bergen umgeben, daß vom 29. September bis zum 1. Februar kein Sonnenstrahl hineinfällt. Es liegt ein Stündchen von Kochel. Seitdem mir unsere Bergfahrt auf die Rabenköpfe so schlecht bekommen war, verzichtete ich auf die Aussicht von den Bergen und begnügte mich im Thale mit der Ansicht der Berge. Auch ohne Alpenblumen wand ich täglich Blumensträußchen so eigenthümlich und zierlich, daß mich niemand übertraf.

Zweimal wiederholte ich noch meinen Ausflug nach Schlehdorf zu Martius. Am 8. September waren die schönen Tage von Kochel vorüber. Ich reiste mit der Frau Hofräthin nach München. Ich nahm mit eine liebe dankbare Erinnerung und eine Handvoll Lieder.

Am 4. September schrieb ich an Ida über mein jüngstes Gelegenheitsgedicht: ›Das ist nun wol das letzte, das ich hier für jemanden dichte. Zwar ist jedes gut aufgenommen, aber ich möchte doch nun weiter keins machen, denn jede Waare, selbst die beste, verliert an Werth, wenn sie zu oft dargeboten wird. Nun, meine Dichterei hier ist verzeihlich: einmal glaubte ich damit Freude zu bereiten – und Du weißt wie gerne ich das thue – und zweitens war es ein Bedürfniß für mich, geistig thätig zu sein und dies Bedürfniß wuchs mit dem Gefühle der Gesundheit. Was sollte ich nun auch anders treiben? Zu wissenschaftlichen Sachen fehlten mir Lust und Hülfsmittel. Das Gute was ich geschaffen habe hat bleibenden Werth, und so bin ich denn über meine Bummelei etwas getröstet,‹ – ich war nämlich am 8. September schon 127 Tage unterwegs. Meine Lieder, worauf ich hier anspielte, erschienen schon im Januar 1857 in ›Westermann's Illustrirten Deutschen Monatsheften.‹ 48

8. – 17. September zu München in der Familievon Dessauer. Dann nahm ich Abschied und wiederholte in Prosa meinen Dank, den ich in Versen so oft ausgesprochen hatte. Die [130] Frau Hofräthin und ihre Tochter Hildegard begleiteten mich zum Bahnhof. Wir waren alle sehr wehmüthig gestimmt Ich dachte an den Kochelsee:


Seele des Menschen,
Wie gleichst du dem Wasser!
Schicksal des Menschen,
Wie gleichst du dem Wind!

Ich übernachtete in Bamberg. Den andern Tag besuchte ich Herrn Martin von Reider. Sein ganzes Haus ist voll von fränkischen Alterthümern, Bildern und Büchern. Er zeigte mir gar vieles. Dann ging er mit mir in den Dom und machte mich auf Alles von Bedeutung aufmerksam.

Den 20. September traf ich in Weimar ein. Agnes empfing mich auf dem Posthofe, Ida mit Franz kam einige Tage später erst heim. Ich war 135 Tage unterwegs gewesen und hatte 200 Rb. verreist. Ich war bald wieder im Weimarischen Gleise: ich arbeitete fleißig, spazierte, ging in die Erholung und unsern Verein, dann verkehrten wir viel mit Preller's und Carl Gräf's, sahen die alten Freunde öfters bei uns und gaben auch wol mal ein Abendessen. Liszt war eben von einer Reise zurückgekehrt und trat mit der Fürstin eine neue an.

Am 1. October beschied mich der Großherzog zu sich ins Schloß. Ich mußte von meiner Reise erzählen, besonders von München. Er hörte Alles mit großem Interesse an.

Unser Verein hatte den ganzen Sommer gefeiert, er sollte jetzt wieder werkthätig werden. Ich lud zu einer Sitzung am 20. October ein. Ich erwartete nicht viel; der Magnet für die musicalischen Mitglieder, Liszt, fehlte. Die Theilnahme war denn auch wirklich sehr gering; je geringer sie aber bei anderen ward, desto größer ward sie bei mir. Ich übernahm die ›Laterne‹ und dichtete und sang allerlei Spott- und Scherzlieder auf die faulen Mitglieder, daß ich denn doch endlich ein Publicum herbeilockte. Coßmann aber ließ sich nicht blicken. Halt! dachte ich, der soll mir auch schon noch kommen. Ich hatte gehört, daß der ausgezeichnete Violoncellist in letzter Zeit nicht mehr so viel Zeit und Mühe seinem Instrumente widme. Das gab mir nun Anlaß, ein Quartett zu dichten, worin ihn seine Geliebte [131] der Untreue bezichtigt etc. Den Anfang las ich vor, Coßmann war nicht da. Ich dichtete eine Fortsetzung und las diese das nächste Mal. Coßmann war wieder nicht da. Nun arbeitete ich das Ganze um und gab es in dieser neuen Form auch ihm zum Besten. Bernhard Coßmann und Edmund Singer, die beiden besungenen Helden, freuten sich sehr, ich aber mich noch mehr, denn mit dieser kleinen Dichtung habe ich vielen große Freude bereitet und dadurch auch mir. 49

Am vorletzten Tage Septembers hatte ich das Manuscript zu meinem rückständigen Jahrbuchshefte des 5. Bandes in die Druckerei geliefert. Gegen Ende Novembers war es nun fertig geworden. Ich hatte aber vor dem Jahrbuche noch keine Ruhe: ich mußte noch ein Heft liefern, nämlich das eigentlich schon fällige des 6. Bandes. Um mir dazu und zu anderen Arbeiten noch allerlei Stoff zu verschaffen, unternahm ich eine Reise nach Berlin.

6.–21. December in Berlin. Herr von Zedlitz, der Polizeipräsident, hatte die mir von Hinckeldey früher ertheilte Erlaubniß, in Berlin weilen zu dürfen, anerkannt, und so betrat ich denn getrost das Gebiet der königlichen Haupt- und Residenzstadt. Ich hatte noch sehr viele beschwerliche Laufereien, ehe ich des Glückes theilhaftig wurde, mit einer Paßkarte frei in Berlin zu gehen und zu stehen. Ich wohnte bei Erk; damit es aber nicht hieße: der sehr mißliebige Mensch wohnt bei einem königlichen Musikdirector, so hatte ich mir eine Wohnung nicht weit von Erk gemiethet und auf der Polizei als meine Wohn- und Schlafstelle angegeben; ich hatte sie mir übrigens nur angesehen und den freundlichen Leuten den vollen Miethzins bezahlt.

Erk widmete mir seine ganze freie Zeit. Wir arbeiteten oft zusammen an ›Unseren volksthümlichen Liedern‹, einer Abhandlung, die ich jetzt für's Jahrbuch zum Abschluß bringen wollte. Erk hatte seit Jahren für denselben Zweck Bücher und Nachrichten gesammelt. Fast täglich besuchte ich die Bibliothek. Die Benutzung wurde mir sehr erleichtert durch die große Gefälligkeit des Dr. Schrader und Dehn. AuchPertz war ungewöhnlich freundlich gegen mich, er[132] gestattete mir die Benutzung der Meusebach'schen Handschriften und Autographa.

Den 2. traf ich wieder in Weimar ein und erhielt den 26., gewissermaßen als einzige Weihnachtsbescherung, die Correctur des 1. Bogens des letzten Heftes vom Jahrbuch.

Zu Anfang des Neuen Jahres (1857) ging ich nach Almerich. Meine Behörden lud ich wie gewöhnlich beim Beginne des Neuen Jahrs zum Abendessen ein: Richter, Schulze und Schöffe waren alle sehr vergnügt. Den andern Tag erhob ich in Naumburg mein Wartegeld, speiste bei Steinhart in Pforta zu Mittag und war den Abend wieder in Weimar.

Den 4. Januar gingen wir alle ins Theater. Es wurde Romeo und Julia gegeben und Fräulein Seebach trat darin als Julia auf. Sie spielte so vortrefflich, daß einen das mitunter schwache Spiel einiger anderen nicht weiter störte. Sehr befriedigt kehrten wir heim. Ich fand eine Einladung der Fürstin auf morgen Abend mit der Bitte, einen Trinkspruch auf Fräulein Seebach zu dichten. Die Einladung war mir schon recht, aber der Trinkspruch –? Ich überlegte mir jedoch die Sache und da ich überdem zu aufgeregt war und nicht einschlafen konnte, so dachte ich noch viel an die Erfüllung jener Bitte. Ich schlief darüber ein.

Am folgenden Morgen war mein Trinkspruch bald fertig, und mit dem Gefühle der Sicherheit betrat ich am Abend den Saal. Ich fand eine große Gesellschaft, wol über 30 Personen versammelt. Es begann eine musicalisch-declamatorische Unterhaltung. Frau von Milde sang ›Meine Ruh' ist hin‹, Fräulein Seebach declamierte zwei Balladen von Hebbel, wozu Rob. Schumann's Musik gespielt wurde. Nachher sang sie noch ein irisches Volkslied. Während dann an kleinen Tischen gespeist wurde, brachte ich meinen Trinkspruch 50 aus. Fräulein Seebach war sehr ergriffen und dankte. Sie erfuhr aber erst beim Nachhausegehen, wer der Spruchsprecher gewesen war. Erst einige Tage später besuchte sie uns, dankte nochmals für den ›schönen‹ Trinkspruch und bat mich um Abschrift. Da ich sehr unwohl war, so konnte ich ihr keinen Gegenbesuch machen. Ich schickte ihr das Gewünschte mit einem Briefchen, dessen Schluß also lautete: ›Die[133] Liebe und Verehrung verwandter Geister ist für den Künstler die unversiegbare Quelle seiner Begeisterung und seines Trostes für die vielen Mühen, von denen die große Menge nichts weiß, kaum etwas ahndet.‹

Der Geburtstag der Fürstin (8. Februar) wurde dies Jahr nicht gefeiert. Trotzdem beglückwünschte ich sie in zwei Gedichten und sie schien sich über diese kleine Aufmerksamkeit mehr zu freuen als wenn ich ihr in großer Gesellschaft ein Hoch ausgebracht. Dagegen wurde der Geburtstag der Prinzessin Maria (18. Februar) zwar in einem kleinen Kreise, aber in großer Heiterkeit gefeiert, wozu auch ich das Meine beitrug. 51

Wenige Tage vorher hatte ich den letzten Bogen meines letzten Antheils am Jahrbuche corrigiert (Heft 1 des 6. und letzten Bandes). Es war mir, als ob mir ein Stein vom Herzen gefallen wäre, ich fühlte mich so leicht, daß ich die Schmerzen des Hexenschusses, der mich so sehr plagte, oft darüber vergaß. Ich fing wieder an zu dichten, zunächst für unsern Franz, und vollendete manche wissenschaftlich Arbeit, die ich seit Jahren hatte liegen lassen müssen. Ich gab sofort das Manuscript der Pars I. der Horae belgicae in die Druckerei. Schon den 26. März war der Druck vollendet. Ich freute mich sehr daß mein Werk wieder einen Kopf bekommen hatte. Dieser erste Theil erschien jetzt in völliger Umarbeitung, mit Benutzung aller Hülfsmittel, die ich in Deutschland und auf meinen dreimaligen Reisen in den Niederlanden hatte bekommen können: Horae belgicae Pars I.ed. 2., auch unter dem Titel: ›Uebersicht der mittelniederländischen Dichtung von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Zweite Ausgabe. Hannover. Carl Rümpler. 1857. 8°. xij. 136 SS.)

So wichtig mir diese Arbeit auch für die Wissenschaft schien und so viele Freude sie mir auch gemacht hatte, so stand das Honorar doch in gar keinem Verhältnisse zu der unsäglichen und langen Mühe und den mancherlei Kosten, die außerdem damit verbunden waren. Ich mußte jetzt, da ich nicht mehr solche Opfer der Wissenschaft und meiner Liebhaberei bringen durfte, an eine Schriftstellerei denken, die nicht solche Vorstudien und Kosten erforderte, sondern leichter auszuführen war und etwas einbrachte. Ohne eine größere, sichere Einnahme, wie sie [134] das Jahrbuch gewährt hatte, ließ sich mein Weimarischer Hausstand nicht mehr durchführen. Wir hatten bisher sehr einfach, durchaus nicht in Herrlichkeit und Freuden gelebt, und doch jedes Jahr sehr viel ausgegeben: 1854 1353 Rb. und 1856 1042 Rb. . Es war mir deshalb erfreulich, daß mir ein litterarisches Unternehmen angetragen wurde, durch dessen Ausführung ich mir ein sicheres Einkommen auf mehrere Jahre ermöglichen könnte. Herr Theodor Oswald Weigel in Leipzig hatte nämlich die Idee, ein ›Handbuch der deutschen Bibliographie‹ zu verlegen und sich deshalb an mich gewendet. Da er durchaus noch nicht darüber im Klaren war, so bat er mich, nach Leipzig zu kommen und mit ihm die Sache zu besprechen. Er erwartete mich zu Fastnacht, Krankheit aber hielt mich zu Hause zurück. Erst im März konnte ich meine Reise ausführen. Unterdessen hatte ich, wie er wünsche, die Sache nach allen Seiten erwogen, und aufgeschrieben was ich für nothwendig und berücksichtigungswerth hielt.

Am 29. März ging ich nach Leipzig. Den andern Tag besuchte ich Herrn Weigel. Ich theilte ihm meine Ansichten mit und wir einigten uns: er übernahm den Verlag des bibliographischen Handbuchs und ich die Ausführung. Es handelte sich nur noch um Honorar und Vorschüsse auf 4 bis 5 Jahre. Wir zogen Professor Zarncke zu Rathe und dieser sprach sich sehr klar aus. Weigel wollte nun einen Vertrag entwerfen und das Weitere betreiben, während ich nach Weimar zurückkehrte.

Zu meinem Geburtstage überraschte mich Liszt mit einem Fäßchen Austern und sechs Flaschen Champagner. Auf der Altenburg feierten wir dann seinen Namens- und meinen Geburtstag noch weiter. Peter Cornelius, der das Essen versäumt hatte, brachte mir noch nachträglich ein Hoch aus:


Alt-Weimar ist eine große Stadt,
Die dreizehntausend Einwohner hat.
Neu-Weimar ist eine kleine Gemeinde,
Aber sie hat dreizehntausend Feinde.
Doch führen wir keine arge Beschwerde
Gegen den Bock und seine Heerde;
Nur dürfen auch sie nicht Klag' erheben,
[135]
Lassen wir unsre Meister leben.
Es lebe denn unser Vice-Bock,
Der Veteran im Studentenrock!
Hoch Hoffmann, den jeder Deutsche kennt,
Neu-Weimars Vicepräsident!

Ida erfreute ich den 11. April zu ihrem Geburtstage mit 8 Liedern: ›Springauf für unser liebes Fränzchen.‹

Um diese Zeit besuchte uns fleißig Bernhard Althaus, ein junger talentvoller Musiker. Er trug uns mit seiner angenehmen Stimme viele seiner Compositionen vor und componierte viele meiner Lieder; ich besitze zwei Hefte von seiner Hand, die meisten verdienten eher gedruckt zu werden als so manche, die sich durch weiter nichts empfehlen als durch einen viel genannten Namen. Althaus ging nach London. Von dort aus sendete er mir die Composition meines Liedes: ›Nimm diesen frischen Blumenkranz‹, 52 dem zugleich eine englische Uebersetzung beigefügt ist:›The Poet's bridal gift‹. Seitdem erfuhr ich nichts mehr von ihm.

Am 13. April überbrachte mir Liszt die letzte großherzogliche Unterstützungssumme für das Jahrbuch. ›Und, fragte ich, was hat der Großherzog gesagt?‹ – ›Er interessiere sich nicht mehr für das Unternehmen.‹ So endete das Jahrbuch und damit schienen alle Beziehungen zu Sr. königlichen Hoheit enden zu sollen.

Zu Anfange Mais theilte mir Zarncke die Hauptpunkte des Weigelschen Vertrages mit. Danach sollte ich drei Jahre nach einander jährlich 500 Rb. erhalten, im Laufe des Jahres 1860 das Manuscript zum Druck abliefern und für den Druckbogen mir 10 Rb. Honorar berechnen lassen. Ich erschrak – 1500 Thaler ist allerdings ein hübsches Stück Geld. Ich kannte aber meine Arbeit bereits in ihrem ganzen Umfange und mit allen ihren Schwierigkeiten. Wenn ich drei Jahre diesem Buche all meine Zeit und meine Kräfte gewidmet gehabt hätte, konnte es leicht kommen, daß ich noch fernere drei Jahre arbeiten und das bereits verzehrte Geld abverdienen mußte und nebenher nichts weiter beginnen konnte. Nein! lieber frei, selbst mit einer ungewissen Zukunft, als ein Sklav von Verpflichtungen, [136] deren Erfüllung mich geistig und leiblich zu Grunde richten müßte.

Also auf diese Weise geht es nicht, es muß ein anderer Weg gesucht und gefunden werden. Ich dachte mir, wenn man sich nur auf die deutsche Dichtung beschränkte und dann aus den Dichtungsarten Abtheilungen machte und während man die eine ausarbeitete, für alle übrigen fortsammelte, so ließe sich der große Stoff bewältigen und nach einem längeren Zeitraume doch das Ganze vollenden etc. Da ich nun für diesen Zweck früher in der Meusebach'schen und Berliner Bibliothek, dann in der Breslauer fleißig gesammelt hatte, also vor länger als 30 Jahren, so schien mir ein Fortsammeln für diesen Zweck, wobei sich doch noch mancher andere berücksichtigen ließ, des Versuches werth. Und so ging ich denn wieder auf Reisen.

Den 9. Mai in Köthen. Ich sah die Kataloge der Schloßbibliothek durch und fand viel für mich. Vierzehn Tage war ich dann in Wolfenbüttel. Ich wohnte bei meinem Vetter Voges. Mein Zimmer war immer voll von Büchern aus der herzoglichen Bibliothek, wozu nun noch viele aus den Resten der ehemaligen Riddagshausener kamen. Ich arbeitete sehr fleißig. Von hier aus machte ich einen Ausflug nach Braunschweig. Ich besuchte Franz Abt und las ihm meine Oper vor: ›Aus beiden Welten.‹ Ich ließ sie ihm zu näherer Ansicht. Nach einigen Tagen brachte er sie wieder: mit dem Componieren war es nichts Den 26. Mai folgte ich einer Einladung des Dr. Förstemann nach Wernigerode. Die Benutzung der Bibliothek wurde mir von meinem lieben Wirthe, der zugleich Bibliothecar war, sehr bequem gemacht. Ich konnte alle Bücher, die ich für meinen Zweck fand, zu Hause näher ansehen. Nach vier erfolgreichen Tagen kehrte ich nach Weimar zurück.

Als das Pfingstfest vorüber war, begab ich mich den 3. Juni wieder auf Reisen und wendete mich nach Rudolstadt und Saalfeld. Als ich am vierten Tage mit meinen Arbeiten fertig war, schrieb ich in mein Tagebuch: ›Meine Ausbeute ist doch ganz hübsch, aber wenn ich immer so viel Zeit und Mühe und Geld für wenige Notizen verwenden soll, dann wird es ein theueres Werk! Weigel hat gar keine Idee von der Sache, er wird sich wundern, wenn ich ihm erzähle, was ich seit 10 Wochen gethan habe.‹ Nach einigen Tagen besuchte ich ihn in Leipzig und erzählte ihm den Stand des bibliographischen [137] Handbuchs. Er war anfangs überrascht, ging dann aber auf meine neuen Pläne ein.

Ende Junis war ich einige Tage bei Steinhart in Pforta. Er war damals sehr beschäftigt, er verwendete seine ganze freie Zeit auf seine Einleitungen zu den Werken des Platons in der Uebersetzung des Hieronymus Müller. Wenn er dann auf seinem Zimmer in tiefem Studium saß und ich unten im kleinen niedlichen Garten auf und ab wandelte, da kam es denn wol vor, wenn die Sonne gar zu schön schien daß ich dem fleißigen Freunde die Worte Opitzens zurief:


Ich empfinde fast ein Grauen,
Daß ich, Plato, für und für
Bin gesessen über dir.
Es ist Zeit hinaus zu schauen
Und sich bei den frischen Quellen
In dem Grünen zu ergeh'n,
Wo die schönen Blumen steh'n
Und die Fischer Netze stellen.

Wir pflegten dann noch einen gemeinschaftlichen Abendspaziergang zu machen, wenn wir beide auch durchaus nicht einverstanden waren mit dem was Opitz weiter singt:


Worzu dienet das Studieren
Als zu lauter Ungemach?

Nachdem ich mein Wartegeld in Naumburg gehoben, kehrte ich aus dem Saalthale zurück.

Ich glaubte vorläufig nicht wieder dorthin zu müssen. Da hörte ich aber, daß der Minister von Raumer die Badecur in Kösen gebrauchte. Ich versuchte nun von Almerich aus, zur Audienz bei Sr. Excellenz zu gelangen. Am 14. Juli wurde mir dieselbe gewährt, nachdem ich ihm meine Geschichte des deutschen Kirchenliedes und eine Eingabe hatte überreichen lassen. Der Minister empfing mich sehr freundlich, dankte für mein Buch und meinte, auf meine Eingabe könne er nur amtlich antworten, versprechen wolle er mir nichts, ich könne ihn sonst morgen schon beim Worte halten etc. Ich sprach über meine litterarische Thätigkeit und bemerkte, daß es mir [138] eben nicht sonderlich ginge. Da meinte denn der Herr Minister: ›Nun, man sieht es Ihnen nicht an, daß es Ihnen traurig geht.‹ Er lächelte und ich mußte lachen: ›Excellenz, mit der Traurigkeit kommt man auch nicht weiter.‹

Als ich am 15. Juli von Almerich zurückgekehrt war, erzählte mir Ida, Liszt lasse mich bitten, ihm ein Lied für das Septemberfest zum Componieren zu dichten, er habe sich sehr ausführlich darüber ausgesprochen, Näheres erfuhr ich nicht. So ein Gedicht ins Blaue hinein, schien mir eine schwierige Aufgabe, der ich mich aber doch unterzog, um nicht ungefällig zu erscheinen. Schon am 18. Juli schickte ich es ihm nach Berlin, wo er eben weilte. Am 20. war er zurückgekehrt und wir sahen uns noch denselben Tag. Da mußte ich denn hören: ›Mit Deinem Liede ist es nichts: ich hatte etwas anders erwartet: ein God save the King für den hiesigen Meridian etc.‹ Auch gut. 53

Eines Abends in der Erholung blickte ich in das Frankfurter Journal. Ich wurde sehr überrascht, als ich las: ›J.G. Wirth hat sich mit Hinterlassung bedeuten der Schulden aus dem Staube gemacht.‹ So war also wieder ein Stück unsers ersparten Geldes dahin. Es ist schwerer Geld zu behaupten als Geld zu verdienen. Ich hatte Wirth Sohn in Mainz ein baares Darlehn anvertraut und noch Honorarforderungen an ihn. Ich mußte jetzt einen Versuch machen, zu retten was noch zu retten war. So drückend und anhaltend die Sommerhitze, so entschloß ich mich doch zur Reise (26. Juli). In Mainz fand ich leider Alles bestätigt. Ich bevollmächtigte den Dr. Röder, meine Forderungen geltend zu machen und übergab ihm meine Papiere.

Am 29. Juli fuhr ich mit dem Dampfschiffe nach Neuwied. Ich kehrte bei meinem Freunde Piel ein, der erst einige Tage später von einer Reise heim kam. Mein vierzehntägiger Anfenthalt in Neuwied war ein sehr erheiterter und erheiternder und bei aller Hitze, allem Schwitzen und Durste befand ich mich doch ungewöhnlich wohl. Ich hatte mir nun vorgenommen, in kurzen Tagereisen heimzukehren, [139] und so ging ich denn den ersten Tag (12. August) nur bis Coblenz, den zweiten bis Rüdesheim.

Als ich eben unter dem Eisenbahndamm durchging und dem Darmstädter Hofe zuwandern wollte, begegnete mir August Reuter Ich war nicht wenig überrascht. August, den ich nur immer als Junggesellen gekannt, hatte jetzt seine junge Frau am Arme. Ich wollte meinem Vorsatze treu bleiben und in den Gasthof einkehren – half nichts, ich mußte Augusts Gast sein. Den 19. August verließ ich heiter die heiteren Rüdesheimer, denn die Hoffnung auf ein gutes Weinjahr erheiterte alle Gemüther und Gesichter. Am 22. August traf ich wieder in Weimar ein.

Von dem Weimarischen Septemberfeste war viel die Rede, Näheres aber erfuhr ich erst in den letzten Tagen des Augusts, als mir zufällig an einem dritten Orte das Festprogramm in die Hände fiel. Da weiter keine Aufforderung oder Einladung irgend einer Art erfolgte, so sah ich darin die Absicht von Seiten des Comités, mich fern zu halten, und ich betheiligte mich nicht weiter als jeder der eine Erzählung davon oder einen Zeitungsbericht darüber liest. Den 2. September trafen unsere Gäste ein: Pastor Theodor Balzer und Idas Bruder, Dr. Adolf zum Berge, Redacteur des Hannov. Couriers. Den folgenden Tag begleitete ich sie in die Stadt, ich sah mir den Festzug an und ging heim, als er vorüber war. Ich habe weiter keine Festlichkeit gehört und gesehen und hielt mich fern. 54 Daß ich mich zu- oder eindrängen würde, konnte doch niemand von mir erwarten, noch weniger verlangen. Und wie sollte ich denn da noch teilnehmen? Ich konnte nicht einmal als Weimarischer Bürger mich dem Zuge anschließen, ich war ja nur ein Weimarischer Miethsmann, dem nur mit einer Aufenthaltskarte gestattet war, in der Haupt- und Residenzstadt zu leben.

Die vielen Berichterstatter, die ein großartiges, fröhliches Volksfest erwarteten, hatten sich alle sehr getäuscht und konnten für die ihnen bewilligten Reisekosten und Honorare keine Berichte liefern, die das Geld werth waren. Es war ein Hof- und Hofrathsfest. Darin stimmten die wohlmeinendsten Augenzeugen überein. Da ich nun [140] das Carl August- und Dichterfest als solches nicht feiern konnte, so feierte ich es nachher als Hofrathsfest und erstattete meinen Freunden in einer Anzahl Gedichte ›Weimar's 3. und 4. September.‹ 55 Bericht.

Da ich noch immer keine Antwort auf meine Eingabe wegen Wiederanstellung an die Minister von Manteuffel und von Raumer erhalten hatte, so hielt ich es für das Beste, mir selbst eine Antwort zu holen und nebenbei die Bibliothek zu benutzen. Den 7. October reiste ich ab, blieb die Nacht in Dessau und traf den andern Tag in Berlin ein. Gustav Eggers empfing mich am Bahnhofe und führte mich in die Wohnung, die er für mich gemiethet hatte. Ich besuchte nun die Bibliothek, einige Freunde und geheime Räthe. Während letztere mir die Unterstützung meines Gesuchs versprachen, ward mir ein Brief, der schon mit der Post abgesendet werden sollte, eingehändigt: Raumer schlug meine Bitte um Wiederanstellung ab.

Ich hatte also nur meine Autographensammlung um eine Nummer vermehrt, zugleich aber die Ueberzeugung gewonnen, daß ich unter dieser Regierung nie angestellt werden würde. Uebrigens war ich durchaus nicht niedergeschlagen: das Bewußtsein, Alles versucht zu haben, um einen meinen Wünschen entsprechenden Wirkungskreis wieder zu gewinnen und einer sorgenfreieren Zukunft mit den Meinigen entgegen gehen zu lönnen, dies Bewußtsein mußte mich trösten und beruhigen. Und so war ich denn im Verkehre mit Anderen recht heiter, das können diejenigen bestätigen, wenn sie sich dessen noch erinnern, mit denen ich öfter zusammen war: Gustav Eggers, Franz Commer, Otto Janke etc. Am 15. October trat ich meine Heimreise an. Erk, der erst verreist und dann amtlich verhindert war mich zu sehen, fand sich noch ein und begleitete mich zum Bahnhof. Da der Zug erst um 1 Uhr ging, so hatten wir noch Zeit, uns über unsere litterarischen Arbeiten gegenseitig auszusprechen.

Bei meiner Rückkehr fand ich die Meinigen sehr leidend und bald wurde ich es auch. Trotzdem arbeitete ich fleißig und machte einen neuen Versuch, vom Ministerium wenigstens eine Unterstützung [141] für ein größeres litterarisches Werk zu erlangen. Ich schickte dem Minister eine sauber abgeschriebene Probe der Bücherkunde der deutschen Dichtung bis zum Jahre 1700 und bat dies Werk zu unterstützen.

Für Liszt standen zwei Feste bevor: der Tag seiner zehnjährigen Wirksamkeit als großherzoglicher Hofcapellmeister und sein Geburtstag. Am 21. October war im Stadthause ein großes Abendessen, woran die Mitglieder des Theaters und viele Freunde Liszt's theilnahmen. Den folgenden Tag wurde auf der Altenburg der Geburtstag sehr glänzend gefeiert. Es wurde eine Vorstellung gegeben: des Meisters Bannerschaft, gedichtet von Steinacker und angeordnet von Dr. Pohl. Bei Tische brachte Steinacker ein Hoch aus, dem ich das meinige 56 folgen ließ.

Unser häuslicher Verkehr hatte dies Jahr eher zu-als abgenommen. Zu den uns lieb gewordenen Familien kamen noch von Milde, LandbaumeisterScheffer und Carl Gräf. Auch hatten wir gerade im Laufe dieses Jahrs häufigen Fremden-Besuch. Der Neu-Weimar-Verein war nach außen gewachsen, aber nicht nach innen, es waren aufgenommen worden: Hofopernsänger Feodor von Milde, Componist Eduard Lassen und Theaterintendant Franz Dingelstedt. Die Theilnahme der Mitglieder ließ viel zu wünschen übrig, viele kamen selten, einige gar nicht. Mehr und erfreuliche Unterhaltung gewährte mir der ›runde Tisch‹ in der Erholung.

Meine diesjährige Thätigkeit am Jahrbuch war eine mühsame und zeitraubende, aber auch die letzte: In dulci iubilo nun singet und seid froh (Zur Geschichte der lat.-deutschen Mischpoesie) 6, 43–56. – Unsere volksthümlichen Lieder. 6, 84–215. – Findlinge. 6, 216–240. – Meine wissenschaftliche Beschäftigung hatte seitdem nicht nachgelassen, sie war nur eine freiere und eben deshalb angenehmere geworden. Zunächst waren es wieder sprachliche Studien, die mich in Anspruch nahmen. Ich hatte die niederdeutschen Sprichwörter des Antonius Tunnicius v.J. 1514, 1362 an der Zahl, abgeschrieben, mit Anmerkungen versehen und übersetzt, und zum Druck vorbereitet. Ferner hatte ich Beiträge geliefert zu Pfeiffer's Germania und zu Frommann's Zeitschrift: Die deutschen Mundarten. In besonderen [142] Abdrücken erschienen: ›Beiträge zu einem schlesischen Wörterbuche.‹ (Nürnberg. 1857. 8°. 30 SS.) und ›Die Mundart in und um Fallersleben.‹ (Nürnberg. 1858. 8°. 46 SS.)

Dem hohen Ministerium gegenüber war mein ganzes litterarisches Thun und Treiben so gut wie gar nicht mehr vorhanden; ich durfte von dieser Seite keine Unterstützung, ja nicht einmal eine Aufmunterung erwarten. Am 7. December ließ mir Excellenz von Raumer durch Dr. J. Schulze kurz und bündig schreiben: ›daß ich Ihrem Gesuche um eine Unterstützung der von Ihnen unternommenen litterarischen Werke nicht willfahren kann.‹

Das Jahr endete mit einem frohen Ereignisse. Ida wurde von einem Knaben glücklich entbunden und trotz unseren Besorgnissen schien sich Alles gut zu gestalten.

Den 3. Januar (1858) ging ich nach Almerich. Da ich auf mein Wartegeld noch warten mußte, so machte ich einen Ausflug nach Merseburg. Die Bibliothek war leider nicht zugänglich und da konnte es mir nur sehr angenehm sein, daß mir Conrector Osterwald seine ganze freie Zeit widmete. Wir sprachen uns über Alles was uns am Herzen lag genügend aus. Ich erzählte ihm von unserm Weimarischen Leben, meinen Studien und vergeblichen Bemühungen wieder angestellt zu werden und was ich in letzter Beziehung vor einigen Wochen noch nachträglich gehört hatte, nämlich mein Gesuch sei bei dem Ministerpräsidenten von Manteuffel günstig aufgenommen worden und er habe Herrn von Raumer die Randbemerkung gemacht: ›Mit Vorsicht zu verwenden.‹

Ich blieb noch zwei Tage in Almerich, besuchte von hier aus Steinhart und Koberstein in Pforta, gab meinen Behörden das übliche Neujahrsessen und war den 7. Januar wieder in Weimar.

Am 16. Januar wurde unser Kind getauft. Pathen waren meine Freunde Eduard Kießling undConrad Wolff und die Prinzeß Maria von Wittgenstein. Nur letztere war anwesend und hielt das Kind über die Taufe. Der Diaconus Fiege sprach einfach, aber recht zum Herzen. Gerührt empfingen wir die Glückwünsche der Anwesenden. Leider sollten wir uns unsers Glückes nicht lange mehr freuen. Unser Edward erkrankte, und während wir uns der besten Hoffnung hingaben, daß es bald genesen würde, war es plötzlich verschieden.

[143] Am 26. Januar in der Morgendämmerung stürzt Ida auf mein Bette laut schluchzend: ›Unser Kind ist todt!‹ – Ich kann es mir nicht denken – noch gestern anscheinend so gesund – ich eile in die Kammer und sehe das liebe Kind bleich und kalt daliegen. – Wir weinen und weinen immer wieder. Ida hat zu viel gelitten und ich bin endlich von ihrem Schmerze so traurig und still geworden wie ich es fast noch nie war. Das liebe Kind mit seinen großen blauen Augen, unsere Hoffnung, unsere Freude, nun bald vom warmen Herzen der Mutter in der kalten Erde! Ich mußte ins Freie um mich auszuweinen. Als ich zurückkehrte, war unser Kind schon ins Leichenhaus abgeholt, ich habe es nicht wieder gesehen, aber sein Bild blieb vor meiner Seele. Die Theilnahme unserer Freunde und Freundinnen war groß, sie boten Alles auf uns zu trösten, zu zerstreuen, zu erfreuen und zu erheitern. Wir konnten nur sagen: Eine kurze Freude, ein desto längerer Schmerz! Nur Gott und die Zeit können trösten.

Zum 29. Januar war ich auf die Altenburg eingeladen. Tags vorher hatte uns Liszt besucht und mich dringend gebeten, doch ja zu kommen, ich müsse mich zerstreuen, und würde mich erheitern, wenn ich Andere erheiterte. Es war ein schwerer, schwerer Gang. Als ich die Fürstin, die Prinzeß und Miß Anderson wieder sah – da konnte ich vor Thränen kein Wort sagen. Ich kam mir so unendlich arm und elend vor. Es dauerte lange, ehe ich mich in der großen Gesellschaft zurecht fand. Zugegen waren Dingelstedt nebst Gemalin, Meißner, Rank, Lauckhard, von Bronsart. Es war heute anders als vor acht Tagen. Damals, als das Dingelstedtsche Ehepaar auch zugegen, hatte ich es unberücksichtigt gelassen, aber aus freien Stücken den ebenfalls anwesenden Alfred Meißner begrüßt. 57 Heute mußte ich nun auf Wunsch der Fürstin einen Trinkspruch auf Herrn und Frau Dingelstedt ausbringen. So kitzlich mir die Aufgabe gewesen war, so hatte ich es doch für angemessen gehalten, selbst als Gast der Fürstin einen andern ihrer Gäste gewissermaßen in ihrem Auftrage zu beehren. 58 Da es vor acht Tagen von der Fürstin gewünscht war, daß wir uns das nächste Mal beide besingen [144] sollten, so hatte nun auch Dingelstedt diesen Wunsch erfüllt und brachte mir ein Hoch 59 aus. Eine Abschrift wurde mir versprochen, aber dabei blieb es, ich hatte jedoch eine Abschrift meines Spruches gar nicht diplomatisch zurückgehalten.

Den 8. Februar feierte die Fürstin wieder ihren Geburtstag. Nach ihrer langen Krankheit war sie wieder recht wohl und munter, und theilnahmvoller und fast freudiger gestimmt als vorher. Wir waren alle zur Tafel geladen und gingen etwas früher hin. Wir brachten unsere Glückwünsche, Franz überreichte ihr ein Gedicht und einen Blumenstrauß. Die Fürstin war sehr erfreut, besonders daß nun auch Ida wieder da war.

Bei den traurigen Erinnerungen an den Verlust unsers Kindes und bei dem fortwährenden Kranksein der Meinigen und dem anhaltenden unfreundlichen Wetter war es für mich recht wohlthuend, wenn es einen Anlaß zum Dichten gab. Und so dichtete ich denn zum Geburtstage der Prinzessin einen Kreis Lieder. Wir waren alle eingeladen, aber die Meinigen wurden wie Preller's durch Unwohlsein verhindert. Als ich kam, sah ich mir die Festgeschenke an: viele Blumen auf den Tischen, schöne Handzeichnungen, ein Gedicht von Meißner und ein Heft meiner Lieder, componiert von E. Lassen, die später als Op. 4. im Druck erschienen. Bei Tische trug ich meine Festgabe vor: ›Mein Fasching am 18. Februar 1858. 60‹ Erfindung und Ausführung fanden Beifall.

Für meine Bücherkunde hatte ich im Laufe des Winters wenig thun können, nur der Opitz als Vorläufer und Probe war vollendet. Als es nun zum Frühling neigte und das Reisen bald wieder bequemer wurde, wollte ich erst sehen, ob meine Wünsche in Betreff meines Werkes sich verwirklichen würden. Den 15. März reiste ich nach Leipzig. Ich besuchte sofort T.O. Weigel. Er empfing mich ziemlich lau, sprach über Geldkrisis, schlechte Geschäfte u. dgl. Ich zeigte ihm den Opitz. Er meinte, so etwas würde nichts helfen, er wolle ein Lexikon von A-Z, keine einzelnen Abtheilungen. ›Nun, sagte ich, gedruckt wird er doch,‹ und empfahl mich. – Den dritten Tag besuchte mich Engelmann. Ich theilte ihm den Plan meines [145] Werkes mit und wir wurden schnell einig. Zuerst sollte der Opitz gedruckt werden, dann die dramatische Litteratur folgen. Zu meiner großen Freude übernahm auch Engelmann die zweite Ausgabe meines Buches über ›Unsere volksthümlichen Lieder.‹ Den vierten Tag war ich wieder in Weimar.

Den 25. März besuchte mich Bogumil Goltz. Ein fröhliches Wiedersehen seit so langer Zeit. Als wir uns zum letzten Male sahen, da gedachte ich also seiner: ›Goltz nimmt heute (23. Oct. 30) Abschied von mir – ich hatte mich auf ein langes, recht vielseitiges Gesprächspiel mit ihm gefreut, und nun ist Alles vorbei. Er wußte nicht oft genug sich zu äußern, wie sehr meine Aphorismen über die Liebe ihn angesprochen hätten, wie vieles daraus gleichsam aus seiner Seele geschrieben sei.‹

Preller war um diese Zeit oft sehr leidend. Wenn sich seine Kopfschmerzen einstellten, lag er oft fast bewußtlos darnieder. Am 25. April wollten wir ihn zu seinem Geburtstage beglückwünschen, aber wie erschraken wir! Er lag mit den heftigsten Kopfschmerzen auf dem Sopha und konnte kein Wort sprechen. Wir gingen traurig und schweigend heim, und er hörte und las nicht wie wir es so herzlich meinten. 61

Wir hatten seit Neujahr fleißig das Theater besucht und verdankten unserm Freibillet manchen Genuß; auch hatten wir in unserm geselligen Verkehre Zerstreuung und Erheiterung gefunden. Mir aber war ein stiller Schmerz geblieben, der nur in der freien Natur jetzt zur Frühlingszeit Linderung suchte und fand. War es mir doch, als ob jede Blume mir einen Gruß unseres lieben Edwards brächte. 62

Am 9. Mai, als wir noch bei Tische saßen, fragte ich Ida: ›Kennst Du Gödeke?‹ – Nein. – Da schellte es, und wer kam? Karl Gödeke. Drei Tage war ich nun fast immer mit ihm zusammen. Gödeke sah sich so ziemlich Alles an was für jemanden, der so tief eingeweiht ist in die Weimarische Glanzperiode, sehenswerth sein muß. Wir wanderten in und um Weimar umher, waren in Tiefurt und sogar in Ettersburg. Nur in die Erholung, die [146] doch auch ein Stück Glanzperiode ist, konnte ich ihn nicht bringen, bis er denn endlich auf langes Zureden sich bewegen ließ in das Haus einzutreten, ich durfte ihn aber nur als Dr. Meier vorstellen. Dagegen nahm er eine Einladung zur Altenburg an und er mußte es sich gefallen lassen, daß ich seiner als Dr. Gödeke gedachte. 63

Den 27. Mai tagte in Weimar die zehnte allgemeine deutsche Lehrerversammlung. Ich war angegangen worden, doch etwas für sie zu dichten. Schon am 13. überreichte ich dem Schulrath Lauckhard zwei Lieder, das eine zum Componieren für Liszt, das andere ein Tafellied, nach einer allgemein bekannten Melodie zu singen. Am 27. erhielt ich ein Danksagungsschreiben vom Vorstande und zugleich eine Einladung zum Festessen. Dies begann um 2 Uhr Die Seminaristen trugen vorher meine Cantate vor nach Liszt's Composition. Während des Essens sang die ganze Versammlung mein Tafellied. 64 Es wurden viele Hochs ausgebracht. In einem Berichte des Frankfurter Journals heißt es: ›Das gestrige Festessen war sehr zahlreich besucht und von classischem Hauche durchweht. Da saßen an Einer Tafel Franz Liszt, Hoffmann von Fallersleben, Dingelstedt, Joseph Rank und andere wohlbekannte Männer. Da fühlte man wieder einmal, daß das kleine Weimar doch eine Größe in Deutschland beanspruchen darf.‹ Schade, daß kaum ein Jahrzehent verging und von den genannten Männern war kein einziger mehr in Weimar, die ›anderen wohlbekannten‹ mögen noch da sein. – Unter den vielen Schulmännern lernte ich den Consistorial-Rath Hirsche von Wolfenbüttel näher kennen.

Im Mai besuchte mich Ernst Ortlepp. Er machte einen sehr traurigen Eindruck. Ich wußte nicht, was ihn zu mir herführte. Er war mit einer Gauklergesellschaft herübergekommen, der Vorsteher derselben hatte ihn zum Lehrer seiner Kinder angenommen und glaubte wirklich auf diese Weise den Tiefgesunkenen noch retten zu können. Ortlepp war durch diese Stellung vor Noth gesichert und behielt Zeit genug, um sich aus dem Bummlerleben an eine würdige Thätigkeit nach und nach zu gewöhnen. Ich stellte ihm vor, er möchte doch seine jetzige Muße darauf verwenden, seine Lebensgeschichte [147] zu schreiben. Er hörte sich Alles ruhig an, meinte dann aber, seine jetzige Lage sei der Art, daß sie ihn zu keiner litterarischen Thätigkeit kommen ließe. Er dankte für meine Theilnahme und schied nachdenklich und bewegt, so daß ich wirklich Hoffnung hatte, mein guter Rath könnte vielleicht von guter Wirkung sein. Meine Hoffnung war umsonst. Nach einigen Tagen traf ich ihn in der ›Sonne‹. Er war in einem seiner gewöhnlichen Zustände, sprach griechisch und allerlei Unsinn. Später hörte ich, daß er sein wüstes Bummlerleben beharrlich fortführe, sich im Herzogthum Sachsen herumtreibe und mitunter von Schulpforta unterstützt werde. Am 14. Juni 1864 fand man ihn in dem Wassergraben längs der Landstraße von Almerich nach Pforta ertrunken.

Schon zu Anfange Junis erschien mein Büchlein über Opitz, nachdem ich jeden Bogen zweimal sorgfältigst corrigiert hatte: ›Martin Opitz von Boberfeld. Vorläufer und Probe der Bücherkunde der deutschen Dichtung bis zum Jahre 1700. Von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Leipzig. Wilh. Engelmann. 1858. 8°. 32. SS.)

Mein Werk ist seitdem nicht über die Vorarbeiten hinausgekommen. Ueber das was ich damals wollte und heute noch will, giebt die Vorrede genügenden Aufschluß und eben deshalb mag einiges aus ihr hier eine Stelle finden.

›Vorliegende Zusammenstellung aller Ausgaben und Einzeldrucke der Opitzischen Gedichte soll zugleich eine Probe eines größern bibliographischen Werkes sein, zu dessen Ausarbeitung ich schon seit vielen Jahren geforscht und gesammelt habe. Dies Werk soll den ganzen poetischen Bücherschatz der deutschen Litteratur umfassen bis zum Jahre 1700 unter dem Titel:


Bücherkunde

der deutschen Dichtung

bis zum Jahre 1700,

und zwar in folgenden Abtheilungen:

I. Gedichte (lyrische, didactische, epische). Alphabetisch nach den Verfassern, die anonymen nach dem Hauptworte.

II. Schauspiele. Alphabetisch nach den Verfassern, die anonymen chronologisch.

III. Gesangbücher (Sammlungen geistlicher Lieder). Chronologisch.

[148] IV. Erzählungen (Volksbücher, Romane, Satyren). Nach dem Hauptworte oder dem Namen des Verfassers.

V. Sprichwörter. Räthsel. Chronologisch.‹–

Um dieselbe Zeit vollendete ich mein thüringisches Idiotikon, eine Arbeit, die mir seit Jahr und Tag viel Unterhaltung und Belehrung gewährt hatte. In Weimar sammelte ich selbst aus dem Volksmunde; für andere Gegenden hatte ich mich mancher bereitwilligen Unterstützung zu erfreuen, namentlich durch Carl Gräf, Dr. Sigismund in Rudolstadt, Pfarrer Andreä in Stotternheim und die Lehrer Peter in Weimar, A. Schauseil in Allstedt und K. Gräser in Mittelhausen. Ferner benutzte ich alle bisher gedruckten Mittheilungen über thüringische Mundart. Doch beschränkte ich mich nicht auf den Volksmund: ich suchte alle älteren thüringischen Verordnungen, Gesetze, Chroniken u. dgl. für meinen Zweck auszubeuten. Meine Sammlung bedurfte nur noch der Abschrift und sollte dann in Frommann's Zeitschrift: ›Die deutschen Mundarten‹ gedruckt werden, Leider hatte diese für deutsche Sprachkunde so gehaltreiche Zeitschrift schon mit dem sechsten Jahrgange (1859) ihre Endschaft erreicht. 65

Den 15. Juni traten wir unsere schon lange beschlossene Reise an. Ich begleitete die Meinigen nur bis Wolfenbüttel, da mir das Welfenreich immer noch verschlossen war. Ob ich mit ihnen in ihrer Heimat noch zusammenkommen würde, war noch sehr ungewiß, auf meine Eingabe an Herrn von Borries war noch keine Antwort erfolgt. So blieb ich denn vorläufig in Wolfenbüttel, wo ich die herzlichste Aufnahme fand bei Consistorial-Rath Hirsche Ich setzte nun die im Frühjahr unterbrochene Benutzung der Bibliothek fort. Während ich behaglich arbeitete, oder zur Erholung im Garten spazierte oder mit den Kindern spielte, und dann die Abende im traulichen Verkehre mit den Familien Hirsche, Voges, Strümpell, Bethmann heitere Stunden verlebte, quälte sich Ida um meinetwillen in Hannover. Endlich war sie am 17. Juli zum Minister von Borries durchgedrungen und theilte mir sofort Alles brieflich mit.


[Ida hatte selbst bei dem Minister eine Audienz, um für ihren Mann die Erlaubniß zu erwirken, im Königreich Hannover sich aufhalten zu dürfen. Als Grund für Hoffmann's Ausweisung [149] im Jahre 1853 gab der Minister an: seine Zusammenkunft mit dem größten Oppositionsmitgliede der Regierung, Planck, habe das damalige Ministerium sehr geärgert, und da er in dem Rufe stehe, Gemüther leicht zu erregen, so habe man ihn damals aus Hannover entfernt. Der Beredtsamkeit Ida's gelang es jedoch, Borries zu bewegen, daß er sich in dieser Angelegenheit an den König wendete, um eine Zurücknahme der damaligen Verfügung gegen Hoffmann zu erwirken. Darauf hin wurde dem Dichter, wie Borries in einem sehr freundlichen Schreiben Ida mittheilte, bis auf Weiteres der Aufenthalt in Both feld gestattet, zugleich aber wurde er ermahnt, in seinem Verkehre die empfehlenswerthe Vorsicht zu beobachten.]


Sofort war meine Abreise beschlossen. Ich war übrigens bis den letzten Augenblick noch recht fleißig gewesen. So hatte ich noch den 17. Juli 30 Bände aus der Bibliothek untersucht und verzeichnet. Meine litterarische Ausbeute hatte an Umfang sehr zugenommen Am 18. Juli reiste ich mit Hirsche's nach Braunschweig. Wir waren noch zu guter Letzt recht heiter zusammen. Den folgenden Tag traf ich in Bothfeld ein. Ida erzählte mir nun noch ausführlicher in ihrem liebenswürdigen Humor was sie für mich gethan und erlebt hatte. Wir waren hocherfreut und beruhigt.

Am 24. Juli meldete mir das königliche Amt Langenhagen oder der Reg. Rath Hagemann, ›daß das unter dem 7. August 1845 erlassene Verbot Ihres Aufenthalts im hiesigen Königreiche in seiner Allgemeinheit zur Zeit nicht aufgehoben werden könne, daß Ihnen indessen unter Allerhöchster Genehmigung bis auf Weiteres gestattet werde, in Bothfeld bei Ihren dortigen Verwandten, zu deren Besuche Sich aufzuhalten etc.‹ Ich konnte mir gar nicht denken, daß das so wörtlich gemeint sei. Ich ging am 27. Juli ohne irgend etwas Schlimmes zu ahnden nach Hannover. Ich blieb mehrere Stunden auf der königlichen Bibliothek, sah das ganze Fach der deutschen Litteratur durch und suchte die Bücher aus, die ich später näher ansehen wollte, dann machte ich einige Besuche und ging heim.

Den 29. Juli wiederholte ich meine Wanderung. Ich war wieder einige Stunden auf der Bibliothek und freute mich, daß ich für die nächste Zeit eine hübsche Ausbeute machen würde. Als ich eben [150] in einer Musikhandlung nach Compositionen meiner Lieder suchte, kam Ida mit einem Briefe des RR. Hagemann. Ich wurde gewarnt, wenn ich den mir durch die Gnade Sr. Majestät gestatteten Aufenthalt nochmals überschritte, so würde sofort die Ausweisung erfolgen.

Jetzt blieb mir weiter nichts übrig als mich ruhig zu verhalten. Wie ernstlich die Confinierung, diese sinnreiche Erfindung und berechtigte hannoversche Eigenthümlichkeit aus den Zeiten Ernst Augusts, gemeint war, wurde bald klar: zwei Gendarmen wurden auf dem angränzenden Gehöfte einquartiert, um mich zu überwachen. Daß sie um meinetwillen da waren, ist erst zur unumstößlichen Gewißheit geworden durch den eigenhändig von Sr. Majestät George V. unterzeichneten Cabinetsbefehl an den damaligen Chef der Gendarmerie E. Poten, der sich in seinem Nachlasse vorfand.

Was nun thun? Ich suchte mich bestens zu beschäftigen, ich las Allerlei, machte Abschriften, schrieb Briefe, dichtete, unterhielt mich mit den Meinigen, und spazierte auf und ab in dem Pfarrgärtchen, das nur einen einzigen Weg zwanzig Schritt lang hatte. Ich kam mir vor wie ein an einen Pflock getüdertes Pferd, das auf seinen kleinen Kreis beschränkt die sogar nur dürftige Weide vor sich sieht und nicht erlangen darf. Mein guter Humor erlosch nicht, ja er steigerte sich nur noch beim täglichen Anblick der Gendarmen, und das fröhliche Gesicht meines Franz, wenn er sich unter den Blumen und Schmetterlingen herumtummelte, oder die Hühner fütterte, oder die Katzen jagte, stimmte mich immer von neuem zur Heiterkeit und zum Dichten. Und so dichtete ich denn den größten Theil der Lieder, die nachher als ›Fränzchens Lieder‹ 66 erschienen.

Die Hitze war unerträglich und das Reisen deshalb nicht rathsam. Ich beschloß daher auszuharren und von der königlichen Gnade noch weiter Gebrauch zu machen. Endlich den 26. August, nachdem ich durch ein abermaliges Gesuch an den Herrn von Borries nichts erreichte, verließ ich mein St. Helena und begab mich in die Republik Hamburg.

Mein Vetter F. Wiede hatte mich schon lange erwartet. Er

[151] wohnte sehr weit von der Stadt und dadurch wurde mir die Benutzung der Bibliothek, und das war mein Hauptzweck, sehr erschwert. Doch war ich mit der Ausbeute auf der Stadtbibliothek sehr zufrieden, der Bibliothecar Dr. Petersen war sehr gefällig und von allen Seiten kam man mir hülfreich entgegen. Auch andere Bibliotheken sah ich. Zur Geschichte ›Unserer volksthümlichen Lieder‹ erhielt ich manchen hübschen Beitrag durch Friedrich August Cropp und Dr. Carl Rudolf Caspar. Letzterer, zwar Mediciner, beschäftigte sich gern mit der Volksdichtung und besaß eine große Sammlung seltener neuerer Liederbücher und fliegender Blätter, die ich näher kennen lernte. Dr. Johannes Geffcken, rühmlichst bekannt durch seine kirchengeschichtlichen Forschungen, war so freundlich, mir seine bedeutende Bibliothek zu zeigen, und ich mußte den andern Tag meinen Besuch wiederholen. Wäre mein Aufenthalt von längerer Dauer gewesen, so hätte ich wol noch manche Privatbibliothek zu sehen bekommen und etwas für meinen Zweck gefunden.

So zeitraubend auch täglich meine Arbeit war, so hatte ich doch noch immer Zeit übrig zu geselligem Verkehre: ich besuchte Dr. Friedrich Dörr, Otto Speckter und Siegmund und war einige Tage viel zusammen mit Resch, der eben von Helgoland kam. Siegmund hatte eine photographische Anstalt, er photographierte Resch und mich. Mein Bild ist Jahre lang im Bazar ausgestellt gewesen und alle, die es gesehen, haben behauptet, es wäre das beste das überhaupt von mir vorhanden. Ich wollte nun nach Berlin. Um aber nicht in die Bibliotheks-Ferien hinein zu gerathen, schien es mir besser, bis sie vorüber wären, unterwegs zu bleiben. So entschloß ich mich denn noch meine Freunde in Meklenburg zu besuchen, denen ich gewiß willkommen sein würde.

Den 8. October traf ich in Berlin ein. Ich wohnte wieder bei Erk. Das war mir für meine Liederforschung höchst willkommen. Ich konnte nun mit ihm in seinen freien Stunden gemeinschaftlich arbeiten und in seiner Abwesenheit seine reichen Sammlungen benutzen.

Mehrmals besuchte ich die königliche Bibliothek.Dr. Schrader unterstützte mich auch jetzt in alter liebenswürdiger Bereitwilligkeit und ich bereicherte meine Bücherkunde mit manchem hübschen Beitrag.[152] Ich beschränkte mich jedoch nicht auf die königliche Bibliothek, eine andere reiche Fundgrube eröffnete sich mir: Freiherr Wendelin von Maltzahn lud mich ein auf seine Schätze. Ich wiederholte öfter meinen Besuch und war jedesmal mehrere Stunden bei ihm. Er hatte seit Jahren für ältere und neuere deutsche Litteratur gesammelt und erstaunliches Glück gehabt. Mit dankenswerther Bereitwilligkeit legte er mir Alles vor was ihm für meinen Zweck wichtig schien, und seine Freude mitzutheilen war eben so groß als die meinige sein mußte zu empfangen. Diese Arbeiten und die weiten Wege raubten mir täglich viel Zeit, so daß mir zu Besuchen nur wenig übrig blieb. Ueberdem fand ich manchen Bekannten nicht zu Hause und so sah ich denn nur wenige.

Während meiner Anwesenheit gelangte die Regentschaftsfrage zur Entscheidung. Am 9. October enthielt die Volkszeitung in fetter Schrift die Nachricht, daß die Cabinetsordre zur Uebernahme der Regentschaft dem Prinzen von Preußen ausgefertigt sei. Ich knüpfte an dies Ereigniß auch für mich große Hoffnungen, die aber für mich nur Hoffnungen blieben.

Ehe ich noch an meine Abreise dachte, hatte ich meine große Sammlung französischer Lieder den Herren A. Cohn und D. Collin (Asher) übergeben und durfte erwarten, daß sie dieselbe für mich verwerthen würden. Sie hatte lange genug auf der königlichen Bibliothek gelegen, konnte aber um den Spottpreis, den Pertz dafür bot, ihr leider nicht einverleibt werden. Nach allen Seiten hin befriedigt trat ich meine Heimreise an. Am 21. October empfing mich Ida am Bahnhofe in Weimar. Die Meinigen waren alle wohl und munter. Nach einigen Tagen war ich wieder unterwegs: ich ging nach Leipzig und schloß mit Engelmann einen Vertrag ab über meine ›Findlinge‹ und ›Unsere volksthümlichen Lieder‹, 2. Ausgabe.

Die beiden letzten Monate des Jahres vergingen uns ziemlich still: wir machten und empfingen Besuche, gingen dann und wann ins Theater, und ich arbeitete sehr fleißig. Am 3. December besuchte mich Hofcapellmeister Kücken von Stuttgart. Er blieb viertehalb Stunden bei uns. Wir sprachen viel über volksthümliche Lieder, Opern u. dgl. Ich gab ihm meine Oper ›Der Graf im Pfluge‹ zum Lesen. – Als ich ihn den andern Tag besuchte, war er noch ganz entzückt von dem Texte, meinte aber, er entspreche nicht [153] den Anforderungen eines Operncomponisten, übrigens solle ich ihn doch ja drucken lassen.

Der Verein bestand noch, aber daß er bestand, erfuhren wir selbst nur, wenn Liszt nach Beendigung einer Oper oder eines Concertes einige Gäste mitbrachte. War er krank oder verreist, so erschienen auch die meisten unserer Musiker nicht. Früher wäre so etwas weniger von Einfluß gewesen. Seit 1856 hatten aber acht Mitglieder Weimar verlassen, einer war gestorben, einer ausgetreten. In diesem Jahre wurden nur zwei aufgenommen: Hofschauspieler Friedrich Caspari und Buchhändler Carl Voigt. Die Theilnahme der Mitglieder ließ viel zu wünschen übrig, einige kamen selten, andere gar nicht, Dingelstedt fast nie. Trotzdem glaubten wir durch eine größere Zahl eine größere Theilnahme zu erzielen und es wurden deshalb im nächsten Jahre noch sieben zu Mitgliedern aufgenommen und zwar außer Carl Gräf lauter Maler, die auch zugleich dem vorwaltenden musicalischen Elemente ein Gegengewicht sein sollten: Bonaventura Genelli, Hermann Wislicenus, Carl Hummel, Schuchardt, Bauer und James Marshall. Hiezu kamen noch im Januar 1860 A. von Wille und Dr. Reinhold Köhler. Dennoch entwickelte sich nichts was mir genügen konnte, und so habe ich denn z.B. mit Genelli angenehmere Abende außer als in dem Vereine verlebt.

Zu Weihnachten wurden wir alle erfreut durch eine reiche Christbescherung von der Altenburg, jedes war bedacht, auch unser kleine Franz, der auf seinem hübschen Schaukelpferde fröhlichen Muthes in das Neue Jahr hineinritt, während uns leider das schöne Fest sehr getrübt wurde, Ida war seit längerer Zeit schon recht krank.

So begann denn das Neue Jahr (1859) für uns recht traurig. Die Quelle, woraus ich sonst Erheiterung und Muth schöpfte, schien versiegt. Ich war recht fleißig, aber bei meinen wissenschaftlichen Arbeiten konnte ich wol meine trübe Stimmung vergessen, aber nicht gründlich beseitigen. Nur wenn sich ein äußerer Anlaß darbot, wobei das Gefühl der Dankbarkeit mitwirkte, begann ich wol wieder zu dichten. Und so begrüßte ich denn die Fürstin zu ihrem Geburtstage. 67

[154] Am 12. Februar, als ich eben von der Bibliothek gekommen und mit Dr. Köhler und Dr. Kräuter unten vor der Thür noch stand, kam der Großherzog, der eben von einem Spaziergange zurückkehrte, auf mich zu, reichte mir die Hand und erkundigte sich nach dem Befinden meiner Frau. Ich war sehr überrascht – seit länger als Jahr und Tag hatte ich den Großherzog nicht mehr gesehen, und meinerseits konnte ich keine Schritte thun, mir eine Audienz zu erbitten. Nach dieser freundlichen Begegnung glaubte ich es wagen zu dürfen, den Großherzog um eine Verwendung für mich in Berlin anzugehen. Schon einige Tage nachher schrieb mir Herr Rath Vent im höchsten Auftrage, ›daß Se. königl. Hoheit zusehen werde, was in fraglicher Angelegenheit zu thun sey.‹ Bei dieser zweifelhaften Aussicht dachte ich: Selbst ist der Mann! und entschloß mich zur Reise nach Berlin. Während ich mich dazu vorbereitete, konnte ich noch an zwei Festlichkeiten auf der Altenburg theilnehmen.

Den 18. Februar war der Geburtstag der Prinzessin. Außer mir war nur Lassen zur Tafel geladen. Wir waren sehr heiter, niemand ahndete, daß wir hier diesen Geburtstag und wol überhaupt nie wieder feiern würden. Mein Glückwunsch fand großen Anklang. 68 Den 25. Februar war Genelli zu Ehren große Abendgesellschaft auf der Altenburg. Er war erst Tags vorher in Weimar eingetroffen. Es waren meist nur Maler eingeladen: Preller, Wislicenus, Hummel, Schuchardt, Marshall, Fräulein Seidler und Frau Herwegh von Zürich. Ich sprach abermals meine Verehrung für den genialen, großartigen Künstler aus und diesmal vor seinen neuen Weimarischen Kunstgenossen. 69

Kurz vor meiner Abreise hatte ich noch eine Doppelfreude: das erste Heft meiner ›Findlinge‹ war erschienen, und Asher meldete, daß er mir meine französischen Lieder für 300 Rb. mit 15% Abzug abkaufen wolle.

Den 1. März trat ich meine Reise nach Berlin an, nicht ohne Hoffnung, da doch etwas von der neuen Regierung für mich geschehen war, freilich nur in meiner Ordensangelegenheit.

Die Sache verhielt sich so. Am 28. September 1855 hatte mich [155] der König der Niederlande zum ›Ridder der Orde van den Nederlandschen Leeuw‹ er nannt. Obschon ich nicht die Absicht hatte, den Orden in Preußen zu tragen, so wollte ich doch das Recht haben. Ich wendete mich deshalb den 20. November 1856 an Seine Majestät den König. Schon den 13. December forderte mich der Minister von Raumer auf, ›die Urkunde über die Verleihung des gedachten Ordens einzureichen.‹ Das geschah. Ich erfuhr weiter nichts. Als ich am 14. Juli 1857 dem Minister in Kösen meine Aufwartung machte, erinnerte ich zuletzt noch an meine Ordensangelegenheit. Excellenz bemerkte: ›Künftige Woche wird wol schon die Entscheidung erfolgen. Seine Majestät wußte nicht, daß Sie Preuße waren. Ich habe einen Bericht eingereicht, worin dargethan ist, daß Sie Heimatsrecht in Preußen haben und als Professor Wartegeld beziehen.‹ – Wieder ein Jahr verging und da hörte ich denn, als Herr von Raumer noch Minister gewesen, habe Seine Majestät bei Vorlegung des Berichts gesagt: ›Nicht nöthig, der ist in Weimar.‹ Den 26. October 1858 wendete ich mich an den Prinz-Regenten, und den 22. December erfolgte die Erlaubniß, den niederländischen Orden annehmen und tragen zu dürfen, wie mir amtlich durch den Minister von Bethmann-Hollweg am 24. Januar 1859 angezeigt wurde.

Das war also die Hoffnung, die mich bestimmte, bei der neuen Regierung mein Heil weiter zu versuchen. Geh. Regierungs-Rath Justus Olshau sen empfing mich recht herzlich. Ich setzte ihn in Kenntniß von meiner mißlichen Lage, sprach meine Wünsche aus und bat ihn, dieselben dem Minister vortragen und mir Bescheid geben zu wollen. Nach acht Tagen wiederholte ich meinen Besuch. Olshausen war wieder recht freundlich, es schien mir aber sein Gespräch mit dem Minister vorläufig erfolglos geblieben zu sein: ›Der Minister wollte sich die Sache noch überlegen.‹ Unterdessen machte ich meine Aufwartung dem Minister R. von Auerswald und dem Minister von Bethmann-Hollweg. Letzterer hörte mich ruhig an: ›Ich sage Ihnen vorläufig nichts, weil ich das halte was ich sage, ich muß mir die Sache in Erwägung nehmen.‹ Ich überreichte ihm meine Geschichte des Kirchenliedes und empfahl mich.

Es waren abermals acht Tage vergangen, da besuchte ich wieder GR. Olshausen. Er hatte mit dem Minister gesprochen, ich sollte jetzt nur einfach um eine Unterstützung meiner ›Bücherkunde‹ einkommen. [156] Den Tag vor meiner Abreise nahm ich Abschied von Olshausen. Er fragte mich, ob ich an den Minister bereits geschrieben hätte? Ich las ihm meine Eingabe vor, er war damit einverstanden. Ich bemerkte dann noch: ›An eine Professur darf ich wol nicht denken – nun, ich will mit einer Unterstützung zufrieden sein. Eine Professur würde zuviel Aufsehn machen und das Ministerium fürchtet sich davor.‹ Olshausen wollte das nicht recht zugeben, aber ich merkte ihm doch an, daß ich Recht hatte.

Für meine nächsten litterarischen Arbeiten war ich sehr thätig und glücklich: ich machte für meine ›Findlinge‹ manchen hübschen Fund. Auf der königlichen Bibliothek sah ich die Meusebach'schen Autographa durch, es waren 22 Mappen voll. Herr Geh. Rath Pertz war so gütig, mir die Benutzung derselben wie auch noch anderer handschriftlichen Sammlungen zu erlauben; ich erhielt dazu einen der besten Plätze im Lesezimmer angewiesen, zugleich eine Schublade zum Verschließen.

Den 27. März verließ ich Berlin, blieb noch zwei Tage in Leipzig, besuchte S. Hirzel und Hofrath Freytag und war den 29. wieder in Weimar.

In den Monaten April und Mai ging es bei uns recht still zu. Ich arbeitete wieder fleißig, spazierte, besuchte die Bibliothek, Abends zuweilen die Erholung oder das Stadthaus, Montag-Abends unsern Verein. Ida und ihre Schwester Adele hatten ihren früheren Verkehr und gingen abwechselnd ins Theater. Dann und wann fand sich Besuch ein.

Ida's Geburtstag, der 11. April, sonst immer ein so frohes Familienfest, wurde uns diesmal durch ihre Krankheit sehr getrübt. Wie sie sich aber über jede kleine Aufmerksamkeit wie ein Kind freuen konnte, so war es auch diesmal, als ich ihr mein Bild in sieben verschiedenen Photographien und ein kleines Lied 70 schenkte.

Den zweiten Ostertag, 25. April, feierten wir in unserm Verein durch ein Festessen F. Preller's Geburtstag. Er hatte vor einigen Wochen hier erst seine beiden Odyssee-Cartons: Polyphem und Circe, vollendet. Liszt war heute besonders heiter und suchte meinem[157] Hoch 71 durch Champapner eine größere Wirkung zu geben. Noch in diesem Jahre begab sich Preller wieder nach Italien. Den 11. September nahm er in einem rührenden Briefe an Ida von uns Abschied: ›So sehr viel Schönes die Reise verspricht, trübt mir der Gedanke doch Alles, daß ich Sie und Heinrich vielleicht hier nicht wiederfinden könnte ... Daß Sie, liebe Freundin, das Sichere mit dem Fraglichen zu vertauschen wenig Neigung fühlen, weiß ich, und daher neben der Liebe für Sie und Heinrich meine Theilnahme an dem, was Ihnen die nächste Zeit bringen kann. Möge, was auch komme, Ihnen angenehm sein, Anderes will ich nicht wünschen, wenngleich Ihr Weggehen von uns ein großer Verlust ist und immer sein wird!‹ – Den 25. September, während wir noch abwesend waren, trat er in Begleitung seiner Frau seine Reise an.

Der lange vorhergesehene Krieg Oesterreichs gegen Frankreich und Italien war endlich ausgebrochen, und gegen Ende Mais lasen wir schon Berichte über den ersten Zusammenstoß der feindlichen Heere. Oesterreich that auf einmal ganz gewaltig deutsch. Durch seine ultramontanen und absolutistischen Vorkämpfer und Anhänger ließ es überall verkünden, der jetzige Krieg sei kein österreichischer, sondern ein rein deutscher. Süddeutschland wurde bald für diese Ansicht gewonnen und auch bei uns fehlte es nicht an Freunden und Fürsprechern, aus Liebe zur Kleinstaaterei oder mehr noch aus Haß gegen Preußen. Es war einem ehrlichen Deutschen viel zugemuthet, sich für Oesterreich zu begeistern und mitzuhelfen, daß Deutsche ihm in seinem wohlverdienten Unglück das eigene Leben opfern sollten. War es doch dasselbe Oesterreich, das viertehalb hundert Jahre Alles aufgeboten hatte, jede freiheitliche Entwickelung zu unterdrücken oder mindestens zu hemmen, dies Oesterreich mit seinen Concordatlern, Jesuiten, Absolutisten, Windisch-Grätzlern und Haynau's! Sollte Deutschland sich etwa am Kriege gegen Frankreich betheiligen, so war dazu nur ein einziger Grund vorhanden, der voraussichtlich auch noch später vorhanden sein dürfte: Deutschland für sich selbst, nicht für Oesterreich. Daß ein solcher Krieg jetzt nicht aus dem Bereiche des Möglichen lag, gaben die Rüstungen Preußens und des deutschen Bundes zu erkennen, und da sich Alles rüstete, glaubte ich auch, [158] auf meine Weise mich rüsten zu müssen. Ich sammelte viele meiner früheren Lieder, die mir jetzt in Bezug auf Deutschland zeitgemäß schienen. Mit dem Abschreiben und Ordnen war ich bald fertig; am 10. Juni war mein Büchlein gedruckt: ›Deutschland über Alles. Zeitgemäße Lieder von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Leipzig. Voigt und Günther. 1859. kl. 8°. 63. SS.) 72

Mit der Schlacht von Solferino am 24. Juni wurde auch mein Buch geschlagen, das kaum das Licht der Welt erblickt hatte. Der bald darauf folgende Friede von Villafranca beruhigte die Gemüther und niemand wollte sich aufregen lassen, weder prosaisch noch poetisch. Mein Büchlein konnte nicht einmal vergessen werden, da es ja gar nicht bekannt geworden war. 73 Ich hatte nichts davon als die Freude, daß ich einen Liederstrauß in den Strauß der Parteien hatte werfen wollen; ich konnte mein Honorar nicht einmal verwenden zu den Kriegssteuern, die auch ich nachher bezahlen mußte, da ich keins empfing. Uebrigens hatte mein Gemüth gegen Ende Mais schon wieder eine friedliche Stimmung gewonnen, als ob ich geahndet hätte, daß der Weltfrieden bereits im Anzuge wäre. Ich dichtete an einem Kindergesangfeste: ›Die vier Jahreszeiten‹ und vollendete den Frühling.

In den ersten Tagen des Junis wurde ich sehr angenehm überrascht: das Ministerium hatte mir Behufs Ausführung meiner ›Bücherkunde‹ eine Unterstützung von 150 Rb. bewilligt. Ich entschloß mich nun sofort zum Reisen. Mein nächstes Ziel galt der Bibliothek zu Zwickau. Von den vielen deutschen Liederbüchern, meist aus dem 16. Jahrhundert, die noch im Jahre 1827 als vorhanden angegeben wurden, war nichts mehr vorhanden. Weder Uhland, der im Jahre 1843 die Bibliothek besuchte, noch ich fanden etwas vor. Sie scheinen für immer verschwunden zu sein. Trotzdem war ich mit meiner Ausbeute sehr zufrieden. Den 10. kehrte ich nach Weima zurück.

Den 15. Juni brachte ich Ida ins Bad nach Kösen und durchforschte dann die Bibliotheken zu Zeiz und Gera. Dann besuchte ich den Buchhändler Eberhard Hofmeister in Ronneburg. Er [159] empfing mich sehr freundlich, behielt mich als seinen Gast und gewährte mir die Benutzung seiner sehr bedeutenden Autographen-Sammlungen. Wir begannen sofort die Durchsicht und mit Erfolg. Den andern Tag fuhren wir damit fort. Einiges schrieb ich mir ab. Ich überzeugte mich bald, daß ich für dies Mal den reichen Schatz nicht heben könnte, und versprach bald wiederzukommen. So kehrte ich denn den 20. nach Weimar zurück.

Den 24. Juni begrüßte ich den Großherzog zu seinem Geburtstage mit einem Gedichte. 74 Tags vorher war die Großfürstin gestorben, am 27. ward sie beigesetzt. Ein höchst trauriges Ereigniß, das in allen Kreisen tief empfunden wurde, ein unersetzlicher Verlust für Weimar, namentlich für seine milden Stiftungen. Die Trauer war allgemein und es wurde gerade an dem Begräbnißtage viel über das segensreiche Wirken der edelen Fürstin gesprochen, auch in unserem Vereine, zu dem sich heute ungewöhnlich viel Mitglieder eingefunden hatten. Liszt, der bei seinen nahen Beziehungen zum Hofe, dies Ereigniß mehr als mancher andere in seinen Folgen erkannte, sprach es dreimal aus: ›Mit dem heutigen Sarge ist Alt-Weimar begraben.‹

Am 1. Juli ging ich abermals auf Reisen. In Kösen besuchte ich Ida. Sie war so wohl, frisch und heiter, gar nicht zum Wiedererkennen. Wir waren den anderen Tag noch sehr fröhlich bei Steinhart's in Pforta zusammen. Den 3. Juli kam ich in Ronneburg an. Ich war nun abermals Hofmeister's Gast und Findlingssucher. Die Durchsicht der Autographen machte mir wie ihrem Besitzer große Freude. Ich war sehr fleißig im Abschreiben und meine ›Findlinge‹ wurden durch manchen werthvollen Beitrag bereichert. Uebrigens beschränkte ich mich nicht auf meine ›Findlinge‹, ich dichtete auch mitunter, und so konnte ich denn am 8. Juli Ida melden: ›Gestern habe ich den Winter vollendet und bin jetzt beim Herbste. Dann sind alle vier Jahreszeiten des Kinder-Gesangfestes fertig.‹ 75

[160] Auch ließen mir hier die Correcturen keine Ruhe. In den letzten Tagen in Weimar hatten sie mich noch recht sehr geplagt: den einen Tag mußte ich 12 Stunden darauf verwenden. Hier erhielt ich nun den Schluß des einen am 18. Juni vollendeten Buches:›Unsere volksthümlichen Lieder. Von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Suum cuique. Zweite Auflage. Leipzig. Wilh. Engelmann. 1859. 8°. XL. 171 SS.).

Abends pflegten wir zu spazieren, gewöhnlich nach dem Brunnen und brachten dann wol einige Stunden zu im Club, der auch hier unter dem vielversprechenden Namen ›die Erholung‹ besteht. Die Unterhaltung drehte sich gewöhnlich um den österreichisch-französischen Krieg. Merkwürdig, ich bin kein politischer Seher, aber am 13. Juli schrieb ich die wenigen Worte in mein Tagebuch: ›Es ist also Friede! und was nun? Krieg gegen Oesterreich, Krieg für Deutschland!‹ – Am 19. Juli kehrte ich nach Weimar zurück, nachdem ich noch vorher zwei Tage mit Ida zusammen gewesen war in Kösen. Am 25. holte ich sie von dort heim.

Ich beschloß nun mit den Meinigen eine größere Reise: sie wollten zu den Eltern nach Bothfeld und dort verweilen, während ich Bibliotheken und Freunde in Schlesien besuchte. Ueber Leipzig, Dresden und Görlitz eilte ich ins schlesische Gebirge, zunächst nach Eichberg bei Hirschberg zu Eduard Kießling, der jetzt Rittergutsbesitzer war. Es that mir wohl, nach so mancher Anstrengung in den staubigen, dumpfen Bibliotheken als willkommener Gast hier zu leben, in der schönen Natur mich zu ergehen, und nach Belieben mich mit mir oder mit den lieben Freunden Eduard und Albert zu unterhalten. So vergingen gar schnell vierzehn genußreiche Sommertage. Ich mußte nun wieder ans Arbeiten denken und begab mich am 29. August nach Warmbrunn.

Der gräfliche Bibliothecar, Wilhelm Burghardt, verschaffte mir bereitwilligst Alles aus der Bibliothek was ich wünschte. Zunächst richtete ich mein Augenmerk auf die vom Grafen angekaufte Autographen-Sammlung des Geh. Raths Stenzel. Ich fand darin und auch noch sonstwo Manches für meinen Zweck. Wenn ich nicht zu Hause arbeitete, verkehrte ich mit einigen Badegästen, lustwandelte in den Umgebungen oder spazierte zur Villa Aderholz. Schon von Eichberg aus hatte ich Aderholz besucht. Wir waren dann oft zusammen [161] und freuten uns der schönen Natur und des alten Breslauer Verkehrs. Als ich am 4. September Warmbrunn verließ, mußte ich noch zwei Tage bei ihm zubringen.

Aderholz hatte sich an der Straße, die von Hirschberg nach Warmbrunn führt, etwa Mitte Wegs, einen hübschen Sommersitz geschaffen. Die Aussicht vom Balcon des Hauses nach dem Gebirge ist entzückend; die parkartige Umgebung genügte, wenn man sich im Freien ergehen wollte. Wir waren unter uns und mit anderen sehr heiter gewesen. Beim Abschiede mußte ich versprechen, nächsten Sommer längere Zeit bei ihm zu weilen.

7.–24. September in Breslau. Ich wohnte in Aderholzens Wohnung, sein Arbeitszimmer war jetzt das meinige.

Breslau war seit 48, als ich es zuletzt sah, wieder ein anderes geworden. Auf den Straßen war es noch wühliger, das Gedränge noch viel ärger. An Einwohnern und Häusern hatte es noch mehr zugenommen. Von meinen alten Freunden und Bekannten war mancher heimgegangen; manche Kunde mußte ich hören, die mich sehr schmerzlich berührte. Ich wandelte in den belebten Straßen wie ein Fremder, der nichts mehr findet in der Gegenwart was sich freudig an die Vergangenheit anreiht.

Da war es mir denn recht angenehm, daß ich einen bestimmten Zweck hatte, der mich herführte und hier festhielt: die Durchsicht der deutschen Litteratur in den Bibliotheken. In der königlichen und Universitäts-Bibliothek war mir die Benutzung sehr erleichtert, da ich wußte wo und wie ich zu suchen hatte, dagegen waren die Schwierigkeiten in den städtischen Bibliotheken immer noch die alten. Noch einer anderen Ausbeute konnte ich mich erfreuen: Herr Robert Weigelt bot mir seine reiche Autographensammlung zur Benutzung an und ich fand manchen werthvollen Beitrag für meine ›Findlinge.‹ Mein diesmaliger geselliger Verkehr war übrigens sonst ein angenehmerer, vielseitigerer als in den Tagen der Aufregung im Jahre 48.

Am 24. September schrieb ich an Ida: ›Meinen Zweck habe ich hier erreicht und ich reise heute höchst zufrieden ab. Ich bin fleißig gewesen bis zum letzten Augenblick und habe eben um Mittag aufgehört zu arbeiten. Ich habe hübsche Sachen gefunden, bin aber auch wieder [162] recht glücklich gewesen. In einem Buche entdeckte ich folgendes hübsche Sprüchlein:


Mein Herz in mir Theil' ich mit Dir;
Brech' ich's an Dir, Räch's Gott an mir;
Vergess' ich Dein, So vergess' Gott mein!
Dies soll unser beider Verbündniß sein.‹

Den 25. September trat ich meine Heimreise an. Um nicht denselben Weg wieder zu machen, ging ich über Berlin. Den folgenden Tag blieb ich in Liegnitz und hielt noch eine Nachlese in der Bibliothek der Ritterakademie, deren musicalische Sammlungen ich früher viel benutzt hatte.

Da ich nun einmal wieder in Berlin war, so wollte ich sehen, ob ich nichts für mich erreichen könnte. Zunächst besuchte ich GR. Olshausen. Er meinte, es sei kein Geld da, vorläufig dürfe ich auf nichts rechnen, ich möchte zu Anfange Februars einkommen um eine Wiederholung der Unterstützung. Den andern Tag ging ich zum GR. Lehnert: ›Gehen Sie zum Minister. Lassen Sie sich auf Redensarten nicht ein! Wenn er Ihnen sagt, ich will Sie anstellen, dann ist es gut.‹ – So ging ich denn zum Minister. Als ich ihm meinen Wunsch aussprach, wieder angestellt zu werden, sagte er: ›Das ist mir ganz neu, darüber habe ich noch nie nachgedacht.‹

Den 10. October verließ ich Berlin, blieb noch zwei Tage in Köthen und kam den 13. in Weimar an. Den 15. October war der Hochzeitstag der Prinzeß Maria von Wittgenstein-Sayn. Tags vorher hatte ich sie beglückwünscht und ihr einige Kleinigkeiten zum Andenken überreicht. 76 Daß dieser Tag auch für mich ein Glückstag sein sollte, konnte ich nicht ahnden: aus liebevoller Theilnahme für uns hatte mich die Prinzessin dem Herzog von Ratibor empfohlen und diese Empfehlung war von bestem Erfolge. Den 20. holte ich Ida und Franz auf ihrer Reise von Bothfeld in Kösen ab. Wir waren nun alle wieder beisammen und gingen mit neuen Hoffnungen ins Neue Jahr hinein.


1860.


Um noch einigen Stoff für meine ›Findlinge‹ zu holen, ging ich gleich nach Neujahr über Almerich und Zeiz nach Ronneburg. [163] Als Hofmeister's Gast erfreute ich mich wieder einer ziemlichen Ausbeute. Trotz der winterlichen Jahreszeit machten wir einige ergötzliche Ausflüge. Vom 17. Januar an war ich wieder in Weimar.

Der Herzog von Ratibor wollte mich erst persönlich kennen lernen und Rücksprache mit mir nehmen, ehe er mir die Stelle eines Bibliothecars in Corvey antrüge. Als ich die Anwesenheit des Herzogs in Berlin erfuhr, reiste ich hin. Ich erbat mir Audienz und schon auf den folgenden Morgen (11. Februar) wurde ich zu ihm beschieden. Der Herzog war sehr huldreich. Ich sprach meine Wünsche aus und wir waren bald einig, nur meinte der Herzog noch, ich möchte doch erst mir die Bibliothek ansehen und Bericht erstatten, er wisse ja auch nicht, ob mir die Sache genehm wäre etc.

Ich begab mich nun nach Corvey, machte meinen Bericht und kehrte den 2. März nach Berlin zurück. Den folgenden Tag empfing mich der Herzog. Nachdem wir Alles erwogen, meinte Durchlaucht, wir wollten nun jeder einen Vertrag aufsetzen, der bessere solle dann gelten. Ich machte den meinigen, konnte ihn aber erst den 5. März vorlegen, weil der Herzog immer verhindert war, mich zu empfangen. Er theilte mir nun den von ihm eigenhändig entworfenen und unterzeichneten Vertrag mit, und weil derselbe weit besser war als der meinige, so unterzeichnete ich ihn. Froh und dankbar nahm ich Abschied. Den Abend war ich schon in Halle, den andern Mittag (6. März) zu Hause, freudig von den Meinigen empfangen. Ich hatte nun viel mit Corrigieren zu thun. Bei meiner Ankunft fand ich 5 Bogen vor. Ein Buch war wenigstens wieder vollendet: ›Findlinge. Zur Geschichte deutscher Sprache und Dichtung von Hofmann von Fallersleben.‹ (Erster Band. Leipzig. W. Engelmann. 1860. 8°. VIII. 496 SS.)

An den Gesellschaftsliedern wurde fleißig gedruckt. Da sie eine Weimarische Arbeit noch sind, so mögen auch sie hier eine Stelle finden: ›Die deutschen Gesellschaftslieder des 16. und 17. Jahrhunderts. Aus gleichzeitigen Quellen gesammelt von Hoffmann von Fallersleben.‹ (1. u. 2. Theil. Zweite Auflage. Leipzig. W. Engelmann. 1860. 8°. I. XX. 376. II. 274 SS.)

Den 2. April wurde mein Geburtstag zunächst in unserm kleinen häuslichen Kreise gefeiert. Zu den Geschenken der Meinigen brachte noch Herr Hofmeister von Ronneburg mein Bildniß, gemalt [164] von Walther, im goldenen Rahmen, der von Ronneburger Fräulein mit einem Lorbeerkranze geschmückt war. – Zum Mittag war ich mit Ida auf die Altenburg eingeladen. – Von Genelli erhielt ich noch nachträglich ein sehr liebes Andenken: zwei schöne Handzeichnungen, die eine mit seinen Worten:


Ist man reich, so sei man ein Mensch!
Ist man arm, so sei man ein Mann!

Denselben Tag ward mir der Auftrag, sämmtliche Mitglieder des Neu-Weimar-Vereins zum Abendessen auf der Altenburg einzuladen: ›unser verehrter Präsident soll zu seinem Namenstage überrascht werden.‹ Die meisten Mitglieder waren zugegen, auch sonst noch Einheimische und Fremde hatten sich eingefunden. Es ging sehr heiter zu. Nachdem ich zweimal Liszt ein Hoch ausgebracht hatte, wurde auch mir eins zu Theil, welches ich mit einem Trinkspruch auf die einzelnen Maler beantwortete. Zuletzt sprach ich noch einen Wunsch und eine Hoffnung aus. 77

Am 9. April wohnte ich zum letzten Male dem Vereine bei. Es war ein Abendessen im Stadthause. Ich erwiederte das Hoch auf mich mit einem Spruch. 78 Der Abschied von allen den lieben Freunden und Bekannten ging mir sehr nahe, von niemandem mehr als von Liszt, denn es schien mir ein Abschied auf Nimmerwiedersehn. Was ich auch ihm aus vollem Herzen sagen konnte, sagte er mir im letzten Augenblicke unseres Scheidens: ›Die schönsten Stunden, die ich hier verlebt, habe ich Dir mit zu verdanken.‹

Wir hatten nun genug zu thuu mit unserer Uebersiedelung. Nachdem meine Bücher und Schriften eingepackt waren und ich überall Abschied genommen hatte, ging ich den Meinigen voran nach Corvey. Den 25. April traf ich ein, und den 1. Mai übernahm ich das Amt eines Bibliothecars Sr. Durchlaucht des Herzogs von Ratibor, Fürsten von Corvey.

Victor amandus Dux nobis haec otia fecit.

Fußnoten

1 Ueber das damalige Weimar vgl. Ges. W. Bd. VI. Vorwort. S. III-VIII.

2 Ges. W. Bd. VI. S. 59. 60.

3 Ges. W. Bd. VI. S. 211. 212 und S. 316. Anm. 98.

4 Ges. W. Bd. VI. S. 60. 61.

5 Von Weimar reiste Hoffmann alljährlich mehrmals nach Naumburg, um daselbst sein Wartegeld zu erheben. Fast regelmäßig besuchte er dann auch seinen Jugendfreund Carl Steinhart in Schulpforta.

6 Ges. W. Bd. VI. S. 63. 64.

7 Das Zueignungsgedicht im Altenburg-Album findet sich Ges. W. Bd. VI. S. 68. 69. (›Jeder Tag hat seine Plage‹); ein Trinkspruch auf Liszt von diesem Tage ebenda S. 69. 70. – Näheres über das Altenburg-Album vgl. Ges. W. Bd. VI. Vorwort S. VIII. Anmerk. **)

8 Briefwechsel des Großherzogs Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach mit Goethe in den Jahren 1775 bis 1828. 2 Bde. Lpz. 1863. VIII. 655 Seiten. Herausgeber geh. Hofrath Dr. Carl Vogel in Weimar.

9 H. faßte diese Sammlung unter dem Namen ›Kinderleben‹ zusammen. – Ges. W. Bd. II. S. 237–254.

10 Der Trinkspruch ist so voll persönlicher und lokaler Anspielungen, daß von seiner Aufnahme in die Ges. W. abgesehen ist. Einige Abschnitte desselben hat Hoffmann an dieser Stelle seiner Lebensgeschichte veröffentlich.

11 Fürstin Caroline Elisabeth von Sayn-Wittgenstein, geb. v. Iwanowska; näheres über sie Ges. W. Bd. VI. S. 373, 374.

12 ›Ein Besuch auf der Altenburg in Weimar‹ in der Illustrirten Zeitung 1855. Nr. 621. 622. von RP (Richard Pohl). S. 848 ›Bibliothek- und Musiksaal mit Beethoven's Flügel‹ und S. 364 ›Musiksalon mit dem Riesenflügel von Alexander und Sohn in Paris.‹ – Nach diesem Aufsatze kann man sich nur eine falsche Vorstellung von der Altenburg machen. Der Fürstin wird z.B. gar nicht gedacht, ihre Zimmer sind zugleich als Liszt'sche aufgeführt etc.

13 Prinzessin Maria von Wittgenstein, jetzige Fürstin Hohenlohe-Schillingsfürst zu Wien. Näheres Ges. W. Bd. VI. S. 374.

14 Ges. W. Bd. VI. S. 78. 79.

15 In die Ges. W. nicht aufgenommen.

16 Ges. W. Bd. VI. S. 79. 80

17 Ges. W. Bd. VI. S. 81. 82.

18 Ges. W. Bd. VI. S. 82. 83.

19 Ueber Berlioz's Anwesenheit in Weimar vgl. Ges. W. Bd. VI. S. 347. – Hoffmanns dichterischer Anteil an dem Berliozfeste besteht aus einem lateinischen Lied (Ges. W. Bd. VI. S. 83.) und einer stattlichen Reihe von Trinksprüchen, je einem auf den Gefeierten selbst, auf die Jugend, auf die Kunst zu schweigen und auf die wahre Kunst (Ges. W. Bd. VI. S. 80. 81. 84. 85).

20 Ges. W. Bd. VI. S. 85–87.

21 Ges. W. Bd. VI. S. 87. 88.

22 Ges. W. Bd. VI. S. 90–95.

23 Ausgebracht am 2. April auf der Altenburg; vgl. Ges. W. Bd. VI. S 93–95.

24 Ges. W. Bd. VI. S. 97. 98.; vgl. dazu ebenda S. 302. Anm. 40.

25 Ges. W. Bd. VI. S. 98–100.

26 Ges. W. Bd. VI. S. 100–102.

27 Dergleichen Geschichten kamen öfter vor, und mein liebenswürdiger Freund Rank hatte es am Ende satt und gab nach Jahr und Tag das Blatt, das er gegründet, auf, das nun unter der Leitung der Hofräthe nach zwei Jahren einem sicheren Schicksale entgegenging und für immer verschied.

28 Ges. W. Bd. VI. S. 156. 157.

29 Dieser Band wird mit der Zeit selten werden, er ist dem Verleger aus der Niederlage gestohlen worden.

30 Weil keine Aussicht dazu war, so nahm ich sie auf in Pars XII. p. 41–55.

31 auch wol der ›Schlüsselverein‹ genannt, weil die Herren über die Bürgerstunde hinaus zusammen blieben und ein guter Hausvater nie den Hausschlüssel vergißt.

32 Ges. W. Bd. VI. S. 109. 110.

33 Ges. W. Bd. VI. S. 111–113

34 Ges. W. Bd. VI. S. 114

35 Weimar. Jahrbuc 5. Bd. 1856. S. 1 ff. 106 Stück, vielleicht kaum ein Dutzend nicht von mir, doch war das genug, um die Ueberschrift: ›Von Verschiedenen‹ zu rechtfertigen.

Nicht von Hoffmann sind die Nummern: 3. 4. 15. 41–43. 62–65. 67–71. 77–79.

36 Ges. W. Bd. VI. S. 77.

37 Unter anderem erheiterte Hoffmann den Freund durch einen Trinkspruch Ges. W. Bd. VI. S 120–122.

38 Ges. W. Bd. II. S. 81.

39 Ges. W. Bd. VI. S. 122. 123.

40 ›Wel op! zoo laet ons streven‹ ist für den beabsichtigten IX. Band der Ges. W. zurückgelegt.

41 Die folgenden Schilderungen seiner Erlebnisse in Leiden stammen aus einem Briefe Hoffmanns an Ida vom Juni 1856.

42 Wir sahen uns nicht wieder, und darum mag denn hier seiner in Liebe und Dankbarkeit von mir gedacht werden.

Gottlieb Salomon, geb. 20. April 1774 zu Danzig, ältester Sohn eines israelitischen Kaufmanns, studierte zu Königsberg und ging, nachdem er Dr. med. geworden war, 1797 nach Holland und ließ sich in Leiden als practischer Arzt und Geburtshelfer nieder. Er starb den 7. August 1864. Eien Lebensabriß von ihm enthalten die Levensberichten der afgestorvene medeleden van de Maatsch der nederl. Letterkunde 1865. blz. 157–164. Darin heißt es:

›Salomon war stets gefällig und wohlwollend im Umgange, einfach in seiner Lebenswise, treu und herzlich für seine Freunde und Kranken, sehr empfänglich für jeden Beweis der Theilnahme und Dankbarkeit, in seiner Praxis pünktlich, eiferig und ziemlich ehrsüchtig; er war von gesunder und starker Leibesbeschaffenheit, für deren Pflege er, jedoch ohne es zu übertriben, sorgte. Solomon war in seinen alten Tagen seinlaudator temporis acti, wie es so viele alte Leute zu sein pflegen; bei Werthschätzung dessen was er den Vorfaren in wissenschaftlicher und socialer Beziehung gethan, anerkannte er den Fortschritt, dessen Zeuge er auf seinem langen Lebenswege sein konnte.‹

Sehr erfreulich in dem kurzen Lebensabrisse ist es für mich, daß auch meines Verhältnisses zu ihm gedacht wird: ›Heeft Salomon ditg daan uit sympathie voor zijnen landgenoot en voor de Maatschappij, onder wiens leden hij zelf sedert 1828 geteld werd, de beoefenaars der Nederlandsche Letterkunde zullen den gullen gastheer daarvoor erkentelijk blijven.‹

43 Ges. W. Bd. VI. S. 123. 124.

44 Ges. W. Bd. II. S. 20–22 u. S. 395. Anm. 7.

45 Ges. W. Bd. VI. S. 127.

46 An dieser Stelle in M.L. (VI, 169) mitgeteilt; in die Ges. W. nicht aufgenommen.

47 Ges. W. Bd. VI. S. 128. 129.

48 Es sind die ›Alpenröschen. Lieder vom Kochelse‹. Ges. W. Bd. II. S. 23–38 und395. Anm. 8. Außerdem entstand in Kochel ein anderer Kreis von Liedern: ›Am Kochelsee‹ – Ges. W. Bd. II. S. 39–43 u. 396. Anm. 12.

49 Diese scherzhafte Dichtung ›Cellinchen und Violinchen: Eine melodramatische in drei Abtheilungen.‹ fügt H. hier in seine Biographie ein; wir haben deren Veröffentlichung in den Ges. W. unterlassen.

50 Ges. W. Bd. VI. S. 136–138.

51 Ges. W. Bd. VI. S. 141. 142.

52 Ges. W. Bd. I. S. 236. 237.

53 Hoffmanns Lied ist mitgeteilt: Ges W. Bd. VI. S. 144. 145. – Liszt zog ihm das von Peter Cornelius gedichtete Lied ›Von der Wartburg Zinnen nieder‹ vor, das mit der Liszt'schen Composition die weimarische Landeshymne geworden ist.

54 Was später erfolgt, erfuhr ich nur von Augenzeugen und aus dem Berichte der Illustrirten Zeitung 29. Bd. S. 187–190, welcen 4 Abbildungen in der gewöhnlichen Bilderbogenmanier eingedruckt sind.

55 Ges. W. Bd. VI. S. 147–156 und S. 306–309. Anm. 62–67.

56 Ges. W. Bd. VI. S. 158. 159.

57 Ges. W. Bd. VI. S. 159. 160.

58 Ges. W. Bd. VI. S. 160–163.

59 Ges. W. Bd. VI. S. 309. Anm. 69.

60 Ges. W. Bd. VI. S. 164–171

61 ›So wünsch' ich wieder dir auch heute‹ – Ges. W. Bd. VI. S. 171.

62 ›So viele Blumen blühen nun‹ – Ges. W. Bd. I. S. 111.

63 Ges. W. Bd. VI. S. 172. 173. und S. 310. Anm. 74.

64 Ges. W. Bd. VI. S. 173–175.

65 Das Thüringische Idiotikon ist damals und später nicht erschienen. Im Jahre 1867 bot er es seinem Freunde Carl Gräf zum Verlegen an, der auf diesen Vorschlag nicht einging.

66 Lübeck, Dittmarsche Buchhandlung, 1859; aufgenommen in die Ges. W. Bd. II. S. 209–254.

67 Ges. W. Bd. VI. S. 179. 180.

68 Ges. W. Bd. VI. S. 180–182.

69 Ges. W. Bd. VI. S. 182. 183.

70 Ges. W. Bd. I. S. 112.

71 Ges. W. Bd. VI. S. 185.

72 Ges. W. Bd. V. S. 155–157 und S. 350. Anm. 42.

73 Vgl. das Gedicht: ›Deutschland, Deutschland über Alles!‹ – Ges. W. Bd. VI. S. 271. 272 und S. 324. Anm. 128.

74 Im Nachlasse nicht vorhanden.

75 Erschien erst im folgenden Jahre: ›Die vier Jahreszeiten. Vier Kinder-Gesangfeste von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Mit zweistimmigen Volks- und anderen Weisen. Berlin. 1860. Adolph Enslin. 92 SS. – Neue, mit einem Anhang verm. Ausg. 1864. 8°. VIII. 103 SS.)

76 Ges. W. Bd. VI. S. 186

77 In die Ges W. Bd. ist von den hier angeführten nur ein Gedicht aufgenommen. Bd. VI. S. 187.

78 Ges. W. Bd. VI. S. 188. 189.

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TextGrid Repository (2012). Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich. Autobiographisches. Mein Leben. Mein Leben. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-7242-A