[Die ästhetische Teegesellschaft]

»Der Zufall«, begann Ottmar, »oder vielmehr eine gutgemeinte Empfehlung führte mich in jenen ästhetischen Tee, und gewisse Verhältnisse geboten mir, so sehr mich darin auch Langeweile und Überdruß quälten, wenigstens eine Zeitlang nicht davonzubleiben. Ich ärgerte mich, daß, als einst ein wahrhaft geistreicher Mann eine Kleinigkeit vorlas, die, voll echten ergötzlichen Witzes, recht zu solcher Mitteilung sich eignete, alles gähnte und sich langweilte, daß dagegen die saft- und kraftlosen Machwerke eines jungen eitlen Dichters alles entzückten. Dieser Mensch war stark im Gemütlichen und Überschwenglichen, hielt aber dabei auch gar viel auf seine Epigramme. Da diesen nun immer nichts weiter fehlte, als die Spitze, so gab er jedesmal selbst das Zeichen zum Lachen durch das Gelächter, was er aufschlug, und in das nun alles einstimmte. – An einem Abend fragte ich ganz bescheiden an, ob es mir vielleicht vergönnt sein dürfte, ein paar kleine Gedichte mitzuteilen, die mir in einer Stunde der Begeistrung zu Sinn gekommen. Man tat mir die Ehre an, mich für genial zu halten, und so wurde mir mit Jubel verstattet, warum ich gebeten. Ich nahm mein Blättlein und las mit feierlichem Ton:

›Italiens Wunder

Wenn ich mich nach Morgen wende,
Scheint die liebe Abendsonne
Mir gerade in den Rücken.
Dreh' ich mich denn um nach Abend,
Fallen mir die goldnen Strahlen
Gradezu ins Angesicht –
Heilig Land, wo solche Wunder,
[548]
Andacht ganz und Lieb' zu schauen,
Die Natur den Menschen würdigt!‹

›O herrlich, göttlich, mein lieber Ottmar, und so tief gefühlt, so empfunden in der bewegten Brust!‹ So rief die Dame vom Hause, und mehrere weiße Damen und schwarze Jünglinge (ich meine nur schwarzgekleidete mit vortrefflichen Herzen unterm Jabot) riefen nach: ›Herrlich – Göttlich.‹ – Ein junges Fräulein seufzte aber tief auf und drückte eine Träne aus dem Auge. Auf Verlangen las ich weiter, indem ich meiner Stimme den Ausdruck eines tief bewegten Gemüts zu geben mich bemühte:

›Lebenstiefe

Der kleine Junker Matz
Hatt' einen bunten Spatz,
Den ließ er gestern fliegen,
Konnt' ihn nicht wieder kriegen.
Jetzt hat der Junker Matz
Nicht mehr den bunten Spatz!‹

Neuer Tumult des Beifalls, neue Lobeserhebungen! Man wollte mehr hören, ich versicherte dagegen bescheidnerweise, wie ich wohl einsehe, daß solche Strophen, die mit Allgewalt das ganze Leben in allen seinen Tendenzen erfaßten, auf die Länge das Gemüt zarter Frauen zu schmerzhaft ergriffen, ich würde es deshalb vorziehen, noch zwei Epigramme mitzuteilen, in denen man die eigentliche Bedeutung des Epigramms, die auf dem plötzlichen Hervorspringen der funkelnden Spitze beruhe, wohl nicht verkennen würde. Ich las:

›Schlagender Witz

Der dicke Meister Schrein
Trank manches Gläschen Wein,
Bis ihn erfaßt die Todesnot.
Da sprach der Nachbar Grau,
[549]
Ein feiner Kunde, listig, schlau:
'Der dicke Meister Schrein,
Der trank manch Gläschen Wein,
Der ist nun wirklich tot!' –‹

Nachdem der funkelnde Witz dieses schelmischen Epigramms gehörig bewundert worden, gab ich noch folgendes Epigramm zum besten:

›Beißende Replik

»Von Hansens Buch macht man ja großes Wesen,
Hast du das Wunderding denn schon gelesen?«
So Humm zu Hamm, – doch Spötter Hamm, der spricht:
»Nein, guter Humm, gelesen hab' ich's nicht!« –‹

Alles lachte sehr, aber die Dame vom Hause rief mir, mit dem Finger drohend, zu: ›Spötter, schalkischer Spötter, muß denn der Witz so beißend, so durchbohrend sein?‹ – Der geistreiche Mann drückte mir, da sich nun alles erhoben, im Vorübergehen die Hand und sprach: ›Gut getroffen! – Ich danke Ihnen!‹ Der junge Dichter drehte mir verächtlich den Rücken. Dagegen nahte sich das junge Fräulein, das erst über Italiens Wunder Tränen vergossen und versicherte, indem sie errötend die Augen niederschlug, die jungfräuliche Brust erschließe sich mehr dem Gefühl süßer Wehmut als dem Scherz, sie bäte mich daher um das erste Gedicht, das ich gelesen, es wär' ihr dabei so seltsam wohlig, schaurig zumute geworden! Ich versprach das, indem ich dem artigen und dabei genugsam hübschen Fräulein mit dem höchsten Entzücken des von einem Mädchen gepriesenen Dichters die kleine Hand küßte, bloß um den Poeten noch mehr zu ärgern, der mir Blicke zuwarf, wie ein ergrimmter Basilisk.«

»Merkwürdig,« nahm Vinzenz das Wort, »merkwürdig genug scheint es, daß du, lieber Freund Ottmar, ohne es zu ahnen, soeben einen guten Goldschmieds-Prolog zu [550] meinem Märlein gegeben hast. Du merkst, daß ich zierlich auf jenen Ausspruch Hamlets anspiele: ›Ist dies ein Prolog oder ein Denkspruch auf einem Ringe?‹ Ich meine nämlich, daß dein Prolog nur in den paar Worten besteht, die du über den ergrimmten Poeten gesagt hast. Denn irren müßte ich mich sehr, wenn solch ein überschwenglicher Poet nicht ein Hauptheld sein sollte in meinem Märchen, das ich nun ohne weiteres beginnen und nicht eher nachlassen will, bis das letzte Wort, das ebenso schwer zu schaffen als das erste, glücklich heraus ist.« – Vinzenz las:

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TextGrid Repository (2012). Hoffmann, E. T. A.. Erzählungen, Märchen und Schriften. Die Serapionsbrüder. Vierter Band. Achter Abschnitt. [Die ästhetische Teegesellschaft]. [Die ästhetische Teegesellschaft]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-6A99-7