Zwei Weise

1. Seeräuber

Herzogstochter:

Hilfe! Hilfe! Allvater! Allvater!
Seeräuber:

Ist der für Weiber da? Lästere nicht!
Herzogstochter (lauter):

All–va–ter.
[83] Seeräuber:

Daß ich nicht lache.
Was willst du denn mehr?
Denn sieh, der Schrecken der Meere kommt zu dir,
Dich in seine Klippenarme zu nehmen,
Die – Wotan sei Dank – noch jeden Feind mir erwürgt haben,
Daß seine Wangen blau wurden,
Wie der lachende Himmel der Heerfahrt.
Sieh, ich komme dich nehmen,
Wie du dastehst
Ohne Mahlschatz.
Denn du berauschest wie haßaufdampfendes Männerblut auf scharfer Wehr,
Wie Wogenschaum jauchzend in blendender Sonne.
Flutende Krone.
Herzogstochter:

Vater! Hakko, Hakko
Bruder! Eddo!
Seeräuber (zeigt lachend auf sein Schwert):

Hier sitzen sie daran,
Sie hören dich bloß nicht.
(Sie anfassend.)

Aber Täubchen bin ich dir nicht mehr als alle zusammen?
Komm!

2. Page und Prinzeß

Page:

O, Prinzessin,
Eine Flamme
Eine bange Flamme,
Steigt mein Herz
Auf zu dir.
Sieh, ich weiß
Das wird nicht lange dauern,
Es muß ja sein,
Dann, dann – o ich sterbe gern für dich.
Sieh, dann betest du
Aus dem schönen, schönen Buche,
Das dir der Mönch gemalt hat –
[84]
Denn du kannst ja lesen
Und ich bin so glücklich,
Wenn ich das nur weiß.
Sieh mal, liebe Prinzessin,
Wie du nun die Hand mir auf die Locken legst
Das macht mich – so stolz.
Denn wie du nun sanft mir tust,
Daß mich alles durchrieselt,
Ja da greift dann der Henker hinein,
Wenn er so weit ausholt
Und einen Streich zieht, der dann
Ganz von Blut wird.
Und nun liege ich da auf der Heide,
Wie lauter Blumen,
Die ich früher mal weggenommen habe.
Und du, du Prinzessin,
Mußt die Stelle gut merken,
Weißt du!
Die Blumen, die ich dir da brach,
Die mußt du dir dann selbst wohl brechen.
Nicht?
Das tust du doch.
Siehst du, ich habe sie ja alle
So recht von Herzen
Mit meinem Blute getränkt
Für dich.
Man erfüllt ja einen letzten Wunsch.
Nicht erst in den Kerker,
In das dumpfe Grab meines jungen Lebens:
Ach nein, sogleich hinaus
In die eben erst erwachte Sonne,
Die golden lächelt,
Wie der Kronreif, der so fein dein Haupt umhegt,
Hin in den klaren Morgenwind
Unter die arglosen Lieder der Vögel,
Denen wir früher zusammen so gerne zugehört
[85]
Und dann für dich in den Tod.
Du brauchst mich nicht so traurig anzusehen,
Glaub' mir nur, ich sterbe sehr gern.
Ich sehe ja in seinem Gesicht
Deine Augen.
Und so kann ich hinüber gehen.
Ist das nicht schön?
Prinzessin (weinend, küssend und immer wieder streichelnd):

Liebster.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Hille, Peter. Zwei Weise. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-69B9-7