Mädchenlieder

1.

Auf die Nacht in den Spinnstuben
Da singen die Mädchen,
Da lachen die Dorfbuben,
Wie flink gehn die Rädchen!
Spinnt jedes am Brautschatz,
Daß der Liebste sich freut.
Nicht lange, so gibt es
Ein Hochzeitsgeläut.
Kein Mensch, der mir gut ist,
Will nach mir fragen.
Wie bang mir zumut ist,
Wem soll ich's klagen?
Die Tränen rinnen
Mir übers Gesicht –
Wofür ich soll spinnen,
Ich weiß es nicht!

[155] 2.

Und wie sie kam zur Hexe,
Dornröschen hold, Dornröschen gut,
Die stach sie in ihr Fingerlein,
Da floß das rote Blut.
Sie schloß die lichten Augen,
Vom Spindelstich das Mägdlein schlief,
Bis um das graue Königsschloß
Eine Rosenhecke lief.
Und nach dreihundert Jahren
Da kam ein schöner Rittersmann,
Mit blankem Schwert er hieb sich durch,
Bis er die Maid gewann. –
Ich wollt', ich läge schlafen
Dreihundert Jahr' im Rosenhag,
Bis daß der Eine gegangen käm',
Der mich gewinnen mag!

3.

Drunten auf der Gassen
Stand ich, sein zu passen;
Schlugen Nachtigallen
An den Fenstern allen,
Und ich blieb alleine
Bei der Blitze Scheine,
Bis die Nacht gewichen,
Und da bin ich frierend heimgeschlichen.
Über meine Wangen
Ist der Tau gegangen,
Und nun lös' ich stille
Meiner Locken Fülle.
Daß ein Sturm erginge,
Sich darin verfinge,
Mich zum Himmel trüge –
Weit hinweg aus dieser Welt der Lüge!

[156] 4.

Es ist ein Mond verblichen
Am hohen Himmelszelt,
Seit er von mir gewichen
In die tiefe, tiefe Welt.
Viel schöne Augen ihm winken,
Da wird das Herz mir bang.
Die meinen von Tränen blinken,
Die lachten, wenn er sang.
Ich möcht' ihm nach mich schwingen
Und lauschen wohl über Feld,
Bis ich ihn hörte singen
In der tiefen, tiefen Welt!

5.

Soll ich ihn lieben,
Soll ich ihn hassen,
Dem sich mein Herz schon heimlich ergab?
Soll ich mich üben,
Recht ihn zu hassen?
Rate mir gut, doch rate nicht ab!
Wild ist er freilich,
Heftig von Sitten,
Keiner begreift es, wie lieb ich ihn hab'.
Aber so heilig
Kann er auch bitten –
Rate mir gut, doch rate nicht ab!
Reichere könnt' ich,
Weisere haben;
Gut ist im Leben ein sicherer Stab.
Keiner doch gönnt' ich
Den wilden Knaben –
Rate mir gut, doch rate nicht ab!
[157]
Laß ich von schlimmer
Wahl mich betören,
Besser, ich legte mich gleich ins Grab.
Klug ist es immer,
Auf Rat zu hören –
Rate mir gut, doch rate nicht ab!

6.

Ach, wie so gerne
Bleib' ich euch ferne,
Schimmernde Säle, von Kerzen erhellt!
Daß mir im Dunkeln
Zwei Augen funkeln,
Ist meine Wonne, ist meine Welt!
Sucht' ich doch allen
Einst zu gefallen,
Habe verstohlen die Netze gestellt.
Einem mich schmücken,
Einen beglücken,
Ward meine Wonne, ward meine Welt!
Einsam im stillen
Um seinetwillen
Pocht mir das Herz, von Sehnsucht geschwellt:
Ihn zu umfangen,
An ihm zu hangen,
Bis mir in Wonnen schwindet die Welt!

7.

O könnt' ich dir gefallen,
Du meiner Seele Traum!
Ich wählte dich von allen,
Du aber kennst mich kaum.
Viel holde Fraun auf Erden gehn,
Ich bin nicht schmuck, ich bin nicht schön –
Wie könnt' ich dir gefallen,
Du meiner Seele Traum!
[158]
Zum kühlen Grund ich gehe,
Da steht eine Linde grün.
Am Stamm wohl in die Höhe
Die wilden Rosen blühn.
In Schattennacht vereint die Zwei –
Ich denke dein und mein dabei!
Zum kühlen Grund ich gehe,
Da steht eine Linde grün.
Zusammen blühn und sterben,
Was kann wohl süßer sein?
Dürft' ich dies Los erwerben,
Ich lachte jeder Pein.
Und träfe dich ein Wetterstrahl,
Verloderten wir Zwei zumal –
Zusammen blühn und sterben,
Was kann wohl süßer sein!

8.

Die Sterne blinken und gleißen,
Die Nacht ist stille, der Mond steht tief.
Wer war's, der meinen Namen rief
Bei den Hagerosen, den weißen?
Ob sich im Garten der Hans verlief?
Was bleib' ich nun aber hangen
Im Sternendämmer am Rosenstrauch?
Wie sanft es flüstert mit süßem Hauch
Und küßt mir Mund und Wangen!
Das ist doch nimmer der Dornen Brauch.
Mein ganz Gesicht in Gluten –
Da ruft von ferne mein Mütterlein.
Geschwind nur wieder ins Haus hinein,
Und wenn meine Lippen bluten,
Die Dornen müssen's gewesen sein!

[159] 9.

Gerne sitz' ich so im Dunkeln,
Wenn die goldnen Sterne funkeln,
Kreisend in der stillen Rund',
So mich niemand kann erschauen,
Denk' ich dran mit süßem Grauen,
Was ich trag' in Herzensgrund.
Ward ein Liebes dir zu eigen,
Mußt dich nicht den Leuten zeigen,
Sehn dir's an den Wangen an.
Ach, und wissen's erst die Leute,
Wirst du falscher Zungen Beute,
Und dann ist's darum getan.
Doch wenn nachts die Sterne schießen,
Magst du einsam dich verschließen,
Bis dich ruft des Liebsten Mund.
Dem nur zeig es ohne Bangen,
Wie dir brennt auf Stirn und Wangen,
Was du trägst in Herzensgrund!

10.

Das sind die stillen Wasser,
Das ist die laute Welt.
Ich möcht' das Leben lassen,
Die Lieb' ist mir vergällt.
»Willst in die Wellen tauchen,
Laß dich nicht reun dein Kleid.
Da unten fällt vom Herzen,
Was dich beschwert zur Zeit.
Da werden stumm die Seufzer,
Wie Fischlein auf dem Grund.
Das sind die stillen Wasser,
Die machen dich ganz gesund.«

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TextGrid Repository (2012). Heyse, Paul. Mädchenlieder. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-68A7-8