An N.N.

Gymnasialprofessor in X.


Meine Hexameter tadelst du mir und schüttelst bedenklich
Dein skandierendes Haupt, so oft ein schnöder Trochäus
Oder ein Daktylus dir, ein schwerhinwandelnder, aufstößt.
Ehmals hätt' ich es besser gekonnt, zu der seligen Thekla
Zeit; wie sei ich seitdem vom rechten Pfade gewichen?
Und nun hättst du das Beste gehofft und gefleht zu den Göttern,
Mir in südlichen Lüften das Band vom Ohre zu lösen.
Hätt' ich doch Capri gesehn und des felsenumgürteten Eilands
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Schroffes Gestad von neuem besucht und wüßte, wie selten
Dorten ein Rettungsport für scheiternde Verse zu spähn sei,
Wo einst Platen geweilt, der Moses unsrer Prosodik,
Der in steinerne Tafeln die zehn Gebote des Wohlklangs
Grub und nicht sie grollend zerschmetterte, weil noch der Pöbel
Töricht das goldene Kalb umtanzt der gelinderen Praxis.
Sei das alles verloren an mir, dem einige Verskunst
Selbst die gestrenge Kritik, die verdammensselige, nachrühmt?
Weh des verlorenen Sohns! Es weinten um ihn auf des Pindus
Höh'n die Schwestern, die neun, und auf der Asphodeloswiese
Werd' ein Seufzen vernommen, ein einziger banger Hiatus;
Platen verhülle das Haupt und stöhn' in geflügelten Rhythmen
Über das undankbare Geschlecht nachstümpernder Enkel,
Dem umsonst er gelebt, umsonst sein ehern Gesetz gab.
Ja, nicht darf ich es leugnen, o Freund: ich fühle mich schuldig,
Doch weit anderer Sünden. Mit meinen Hexametern wär' ich
Selbst wohl besser zufrieden, – dafern sie schlechter gerieten.
Hab' ich doch einst mit saurem Bemühn die geduldige Thekla
Sanft zu befreien gesucht vom lähmenden Zwang der Korrektheit,
Froh um jeden bequemeren Fuß, auf welchem die Rede
Mit treuherzig behaglichem Gang hinschlenderte, nicht mehr
Künstlich die Zehen gespreizt und die römischen Pas nachzirkelnd.
Manches geriet mir zu Dank, doch anderes fügte sich nimmer.
Denn was Hänschen nicht lernt, – vielmehr, was Hänschen gelernt hat,
Kann mit steiferen Gliedern ein Hans nicht wieder verlernen.
Warum ward uns Knaben die Platensche Zucht auf der Schulbank
Fest in die Ohren geschmiedet und ein harmloser Trochäus,
Ein zweisilbiges Wort, als doppelte Kürze gemessen,
Ein daktylisches »Vaterland« gar mit röterer Tinte,
Als ein Ut mit dem Indikativ, am Rande gebrandmarkt!
Damals konntst du an mir viel Ehr' und Freuden erleben.
Doch mir ward auf immer im Schnürleib klassischer Hoffahrt
Meines Hexameters fröhlicher Wuchs unheilbar zerrüttet.
Sah ich doch achselzuckend herab selbst auf den gewalt'gen,
Den schon früh mit der Glut des freiauflodernden Herzens
Ich vor allen verehrt. Nur zum Hexameter, wähnt' ich,
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Hab' ihm ein feindlich Geschick den gültigen Stempel verweigert,
Daß er falsch ihn geprägt und sein gediegenes Gold nun
Leider in solcher Gestalt nicht Vollwert habe dem Kenner.
O ich pfuschender Knabe! Zu spät erst fielen die Schuppen
Mir vom Aug'; ich erkannte, wie blind an ihm ich gefrevelt,
Wie sein Genius ihn auch hier weit sichrer geleitet
Mit nur tastendem Schritt, als unsern prosodischen Grafen
Seine Gelehrsamkeit und alexandrinischer Kunsttrieb.
Doch fern sei's, den Toten zu schmähn, der wahrlich vollauf schon
Leid im Leben erfuhr, Mißurteil, Hohn und des Unglücks
Lähmenden Druck. Denn arm und ein Graf, Poet und ein Deutscher,
Heimischem Ruhm nachtrachtend in selbsterwählter Verbannung,
Statt des lebendigen Lebens ein Wolkengebild umarmend,
Wandelt' er unter den Fremden dahin und lauschte begierig,
Ob ihm über die Alpen ein Laut nachfolge des Beifalls,
Dem er stolz zu entsagen sich rühmt', um nur von der Nachwelt
Späte Genugtuung zu empfahn und sühnenden Lorbeer.
Doch nie soll ein Dichter sich selbst entfremden der Heimat,
Die, wie immer gescholten und scheltenswert, mit den frühsten
Säften der Seele genährt, und der zu entwachsen so wenig
Glückt und geziemt, wie je ein Sohn von der Mutter sich losmacht.
Wer gewaltsam lös't das Band der Natur, dem rächt sich's
Nicht am Leben allein, dem freud'- und friedeberaubten,
Auch an der Kunst. Und flöh' er zu jenem seligen Eiland,
Wo ihm Schönheit winkt vom lachenden Strand, aus den Hütten,
Wie aus hohen Palästen und herrlichen Meistergebilden,
Nie doch fänd er Ersatz des Wünschenswertesten: Einklang
Mit sich selbst und dem eigenen Volk. Ja, selber die Sprache
Wird ihm ein leblos Wesen, geschickt zu manchem Gebrauch wohl,
Doch ein künstlich Phantom, nicht mehr aus Kinder- und Ammen-
Mund mit rührender Macht uns Ohr und Seele bewegend,
Wie es der Dichter bedarf, auf daß im Busen die Kraft ihm
Nicht verdorre, das Herz verbrüderter Menschen zu rühren.
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Sieh im Bauer den Vogel; man lehrt ihn künstliche Weisen,
Und er flötet gelehrig sie nach; doch bleibt es ein seltsam,
Schier unheimlich Getön, und nicht wie schlichter Naturlaut
Harmlos munterer Sänger erquickt sein Trillern das Herz dir.
So entfremdet' auch er sich der echt anheimelnden Tonart,
Nicht vom warnenden Beispiel belehrt des schweifenden Helden,
Der mit Wachs sich die Ohren verwahrt, um an der Sirenen
Klippen vorüberzuschiffen. Zu Haus wohl deuchte das Grunzen
In des göttlichen Sauhirts Pferch ihm trauterer Wohlklang,
Als im purpurnen Meer der gefährlichen Jungfraun Lockruf.
Platen jedoch umstrickte die feinaufhorchende Seele
Griechischer Rhythmen Gewalt; er vergaß, daß anderen Völkern
Andere Kraft und Sitte verliehn und andres Bedürfnis.
Nicht goldwägerisch mißt nach Gran und Skrupel den Lautwert
Unser germanisches Ohr; den Sinnwert wägt es vor allem.
Wo sich der Verstakt feindlich entgegenstemmet dem Wortton,
Gönnen wir diesem den Sieg; es soll statt ruhigenAufbaus
Kein Aufbau uns begegnen und nicht Freiheit statt der Freiheit,
Ob auch, streng auf der Wage des sinnlichen Lautes gewogen,
Ein Diphthong gleich wuchtet dem anderen. Sind doch die Quellen
Noch nicht völlig versiegt, daraus vor manchem Jahrhundert
Unsere Dichtung sog ihr frisch aufsprossendes Leben.
Walthers und Wolframs Deutsch – wohl ist's verklungen; wir lernen
Fast wie Fremde den Ton des Kürenbergers. Und gleichwohl
Schlägt noch immer der Puls, der blutsverwandte, mit freier
Hebung und Senkung, mächtig im Verse des Faust und des Volkslieds.
Traun, wohl glückt' es ihm noch im leichteren epischen Versmaß,
Als er die Fischer von Capri sang. Doch in Zuckungen förmlich
Fällt ihm in Oden und Hymnen die gliederverrenkende Muse,
Daß dem geneigtesten Leser, entwöhnt seit Jahren der Schulbank,
Will er im Verstakt bleiben, der Angstschweiß strömend hervorbricht.
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Hat ein hellenisches Ohr in Pindars Klanglabyrinthen
Leicht, wie in blühenden Gärten ein Kind, zurecht sich gefunden,
Uns hilft nimmer der Faden des Schemas aus dem verschlungnen
Irrgang künstlicher Rhythmen, wo hinter verschnörkelten fremden
Redeblumen der Sinn sich verbirgt. Wir lieben den freien
Rüstigen Schritt auf ebenem Pfad und die offene Fernsicht;
Ob durch Markt und Gassen und mondlichtschimmernden Meinberg
Herrmann schreitet, am Arm die hohe Gestalt der Geliebten,
Ob uns Reineke führt die geschlängelten Pfade des Märchens,
Oder Mörikes sicherer Mann und am Ufer des Boden-
Sees der listige Fischer mit weitausgreifenden Schritten.
Doch er schläft am sizilischen Strand, und es rauscht ihm die Meerflut
Sanft in den ewigen Traum ein Grablied griechischen Wohllauts.
Mög' er sich freuen der Zweige des Lorbeers, die ihm in frommer
Ehrfurcht manch ein Jünger geweiht, der ähnlich dem Meister
Auch in der Kunst nur suchte die Kunst und jenen bestaunte,
Weil ihm ein Äußerstes glückte, wie oft auch drüber die Sprache
Außer sich kam. Und wahrlich: er tat das Seine, mit tapfer
Gläubigem Mut, auf Gold nicht bedacht und das Lob des gemeinen
Haufens. Er diente dem Gott, der ihm der wahre geschienen.
Sag, was kann ein Sterblicher mehr? Drum mag es auch mir nun,
Den zu anderem Glauben das Herz hindrängte, vergönnt sein,
Meinen Göttern getreu hinfort mein Wesen zu treiben,
Wie ich muß und vermag. Du aber vergib mir den lehrhaft
Trockenen Brief und die schlechten Hexameter, die dir ein Greul sind!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Heyse, Paul. Gedichte. Gedichte. Reisebriefe. An N.N.. An N.N.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-6764-8