An Arnold Böcklin in Florenz

Als ich in Rom nur eine Nacht geschlafen,
An die Ripetta zog es mich hinab,
Zu jenem Hause, wo wir oft uns trafen.
Heut sahn die Fenster fremd auf mich herab.
Stumm schlichen hin des alten Stromes Wellen,
Und niemand war, der mir Willkommen gab.
Wo sind sie nun, die fröhlichen Gesellen,
Die Bienen gleich hier schwärmten aus und ein,
Der Künste Honig tragend in die Zellen?
Ich überwand mich nicht und trat hinein.
Ich stand in alter Tage Traum verloren
Und glaubte wieder jung und froh zu sein.
Von neuem klang der Lärm vor meinen Ohren,
Wie jenen Morgen, da an diesem Haus
Der Wagen hielt, den wir zur Fahrt erkoren
Zum Haine der Egeria hinaus,
Wo Jahr um Jahr das lustige Gelichter
Zu halten pflegte den Oktoberschmaus.
Nun stiegen ein sechs lachende Gesichter,
Bildhauer drei, zwei Maler außer dir
Und auf den Bock ein grüner junger Dichter.
Den großen Korb zu hüten gab man mir
Mit unserm Vorrat, dem gewalt'gen Braten
Und allem, was gehört zur Tafelzier;
Dazu die Aschenurne voll Pataten,
Ein Fläschchen goldnen Öls war auch zur Hand
Und was an Früchten ließ der Herbst geraten.
So sausten wir durch Rom. Die Sonne stand
Klar am Oktoberhimmel; jede Linie
Des Horizontes scharf und rein gespannt.
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Und wo dem Tore nah die alte Pinie
Herüberwinkend ihren Wipfel hob,
Hielt das Gefährt vor einer schlichten Vigne.
Der Vignerol, ein zottiger Cyklop,
Lud uns ein Fäßlein Roten auf den Wagen,
Der mit der neuen Last von dannen stob.
So auf der Gräberstraße hingetragen,
Sah ich die Wüste Roms zum erstenmal
Und bald auch der Oase Wäldchen ragen.
Du sagumklungen quellenkühles Tal,
Dem zwei Jahrtausende vorübergingen,
Seit Numa sich zu seiner Nymphe stahl,
Nie sahst du schönre Glut zum Himmel dringen,
Als wir entfacht im Eichenschatten dort,
Wo wir uns lagernd unser Fest begingen.
Du aber zogst, o Freund, den Neuling fort,
Ihm erst der Grotte Heiligtum zu zeigen,
Versteckt im Hochgras, sommerlich verdorrt.
Rings die Campagna lag im Mittagsschweigen,
Und wie wir traten aus der feuchten Nacht,
Sahn wir den Rauch in stiller Wolke steigen
Aus immergrünen Wipfeln, wie gemacht
Zum Tempel, drin ein Opfer zu entflammen
Den alten Göttern, deren ew'ge Macht
Die klugen Nachgebornen kühl verdammen.
Wir aber schlangen wucherndes Gerank
Des Efeulaubs zu Kränzen leicht zusammen.
Die fanden bei den andern lauten Dank,
Und so bekränzt nun überm stillen Tale
Erhoben wir die Hand zu Speis' und Trank.
Gedenkst du noch, wie Franz mit voller Schale
In Priesterandacht unsres Herdes Glut
Umschritt, den Göttern spendend vor dem Mahle?
Und hoch und höher stieg der Übermut.
Bacchantisch überschwoll die Festeslaune,
Genährt von des Velletri dunkler Flut;
Bis unser Däne dann, der Bärt'ge, Braune,
Die Kleider abwarf und ums Feuer nackt
Mit Jauchzen sprang gleich einem ries'gen Faune.
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Drei taten's nach von gleichem Rausch gepackt,
Und an den Schultern festlich sich umschlingend,
Den Boden stampften sie im Reigentakt,
Im Vierklang eine nordische Weise singend,
Die hell und wild die Wipfel überflog,
Mit dunklem Heimweh uns das Herz bezwingend.
Da rauscht's im Busch, und auseinanderbog
Die Zweige scheu ein strupp'ger Campagnuole,
Den der Gesang aus seiner Hütte zog.
Er fuhr zurück und floh mit hast'ger Sohle,
Als er den nackten Satyrntanz erschaut,
In blinder Angst, daß ihn der Teufel hole.
Wir aber eilten nach und lachten laut,
Ihm Mut einsprechend, und ein voller Becher
Aus unserm Fäßchen macht' ihn bald vertraut.
Dann wieder ehrbar lagerten die Zecher
Und brieten plaudernd der Kastanie Frucht;
Der Abend sank, die Flamme brannte schwächer.
Doch meine Augen hatten Franz gesucht,
Der von den andern still sich weggeschlichen,
Und bald entdeckt' ich ihn am Rand der Schlucht.
Ich dacht', er sei des Weines Macht gewichen
Und schlummre nun, in sel'gen Traum versenkt.
Doch er, das Blondhaar von der Stirn gestrichen,
Die Hand zum Willkomm überm Haupt geschwenkt,
Rief mich heran, daß ich sein Lager teile,
Den Blick ins stille Land hinausgelenkt.
So ruhten wir und schwiegen eine Weile
Und sahn im Abendduft die Berge glühn
Und rot des Aquäduktes Bogenzeile
Auftauchen aus der Wiesen tiefem Grün.
Er aber blickt' empor, wo eben leise
Des Mondes Silberlilie wollt' erblühn.
Und plötzlich fing er wunderlicherweise
Zu reden an, wie mit dem eignen Ich
Ein Träumer spricht, einfältiglich und weise.
Es klang so tief und rein und feierlich,
Daß Worte kaum die Flut der Stimmung faßten
Und atemloses Staunen mich beschlich.
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Wie wenn ein Meister auf den elfen Tasten
Die Finger gleiten läßt, daß unbewußt
Die Seele sich in Tönen kann entlasten:
So drang hervor aus dieser jungen Brust
In regem Spiel geheimste Lebensfülle,
Die Rätsel dieser Welt in Leid und Lust,
Der Schmerz, der in der Tollheit bunter Hülle
Die Stacheln birgt, wenn uns das Wort der Kunst
Zweideutig klingt wie Sprüche der Sibylle.
Denn ach, wie launisch gönnt sie ihre Gunst!
Wie läßt sie oft den Lechzenden versiechen
Und kühlt mit keinem Tropfen seine Brunst!
Bis er, empört, am Boden hinzukriechen,
Zum eignen Flug sich aufschwingt frech und froh
Und dünkt sich gleich den Göttern oder Griechen.
Was soll's? Was mühet sich die Seele so?
Ist denn Natur nicht aus sich selbst vollkommen?
Harrt sie auf uns, daß irgendwie und wo
Der blinden Schöpfung wir zu Hilfe kommen?
Kann dort die Abendglut erst selig sein,
Wenn von der Leinwand sie zurückerglommen? – –
Genug! Laß mich Erinnrung nicht entweihn,
Nachstammelnd jene gottverworrnen Worte,
Die mir das Blut erregt wie heißer Wein.
Ihm lauschend lag ich am geweihten Orte
Wohl eine Stunde lang, indessen er
Stets neues Gold mir bot von seinem Horte.
Wie war er reich! Wie schien er die Gewähr
Des höchsten Kranzes in der Brust zu tragen!
Und dennoch gab er seiner Zeit nicht mehr.
Natur, die weich auf Händen ihn getragen,
Ihm Aug' und Seele mütterlich gefeit,
Was mußte sie dem Liebling eins versagen,
Wodurch allein sie Herrschgewalt verleiht:
Die süße Dumpfheit, jedes Höchsten Quelle,
Die seine Wurzeln tränkt mit Lauterkeit!
Sein Auge war zu scharf, sein Geist zu schnelle;
Er ward zu klug aus allem, was er schuf;
Der Baum erkrankt bei steter Lampenhelle.
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Zu willig folgte Weisheit seinem Ruf
Und lehrte sinnend ihn das All umfassen,
Da Schranken heischt des Schaffenden Beruf.
So hat er manch ein Werk zurückgelassen,
Beseelt von seines Wesens edlem Hauch,
Doch nicht erklingt sein Namen auf den Gassen.
Und damals, wie er schwieg und endlich auch
Zurück sich wandte nach der Feuerstätte,
Erblickt' ich dich bei einem Ginsterstrauch.
Du hattest mit den andern um die Wette
Kastanien in der Asche dir geglüht,
Als ob die Welt nicht höh're Freuden hätte.
Kein schwärmend Wort war deinem Mund entsprüht,
Doch tief im Innern sammelnd alle Gluten
Des schönsten Abends, brannte dein Gemüt.
Indes auf Farb' und Form die Augen ruhten,
Sog still der Geist das Mark der Schöpfung ein
Und stählte sich im Bad der Schönheitsfluten.
Kunst ist ein Schatz, und Geister hüten sein.
Wer glaubt und schweigt, kann ihn heraufbeschwören;
Wer spricht, dem wird der Zauber nicht gedeihn.
Und ob sie deine Zirkel wollten stören,
Dich meisternd locken aus dir selbst heraus,
Du lerntest früh dir schweigend angehören.
So wuchsest du in stolzer Kraft dich aus,
Da unser Freund so früh dahingegangen;
Ich aber dachte beim Ripettahaus
Des Herrlichen, was wir von dir empfangen.

Rom, 20. Dezember 1877


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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Heyse, Paul. An Arnold Böcklin in Florenz. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-65C1-6