Resignation

Ich hab' es nur zu spät als Wahn erkannt,
Daß Brüder ich in allen Menschen fand.
Wohl zeigte mir ihr Antlitz selten nur
Von meines Vaters Bild die fernste Spur.
Sie starrten mich als einen Irren an,
Sprach ich die Muttersprache dann und wann,
Und was an Gab' und Gütern dankeswert
Geist und Natur zum Erbteil mir beschert,
Wenn brüderlich davon ich andern gab,
Mit Achselzucken wandten sie sich ab,
Daß eine Trauer staunend mich beschlich,
Und weil ich jung war, weint' ich bitterlich.
Nun aber ward ich alt und still und klug
Und weiß, wie selten der Familienzug,
Wie mit des Vaters Adel, Mild' und Macht
Ein Hirsch, ein Vogel reichlicher bedacht,
Und von der Mutter Schönheit, Füll' und Art
Ein Blatt, ein Blumenkelch mehr offenbart,
Als eine Larve weiß und rot geschminkt,
Die sich ein Ebenbild des Höchsten dünkt.
Seitdem wie unter Fremden geh' ich stumm
In dieser buntgemischten Welt herum.
Doch wo ein echter Bruderblick mir glänzt,
Ein Schwesterohr mein stammelnd Wort ergänzt
Und zu den Meinen mich geführt mein Sehnen,
Umflort sich auch mein Blick, doch süß sind diese Tränen.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Heyse, Paul. Resignation. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-64DF-E