Von Lacerten

1.

Eine fand ich, eine fette,
Die vor ihrem Schlupfloch saß,
Ehrbar, sauber und behaglich
Und die Augen hell wie Glas.
An dem warmbesonnten Steine
Putzte sie das Näschen blank,
Fing sich dann und wann ein Mückchen,
Das sich ihr zu nahe schwang.
Rechts und links durch alle Ritzen
Raschelte die junge Brut.
Sie allein blieb stattlich sitzen,
Wie gereifte Weisheit tut.
Nur zuweilen mit dem Schwänzchen
Zuckte sie bedeutungsvoll,
Trieben es die jungen Leute
In den Kammern gar zu toll.
So in innres Schaun versunken
Und Genuß des Sonnenlichts,
Nicht erschrak sie, da ich nahte,
Denn der Weise fürchtet nichts.
Wie der Philosoph der Tonne
Sah sie mich gelassen an:
Geh mir etwas aus der Sonne,
Unbekannter, junger Mann!

[299] 2.

In Gedanken an die Ferne
Und der Nähe wenig froh,
Senkt man wohl die Augen gerne,
Und auch heut geschah mir so.
Da in weichen Lüften schwanken
Sah ich einen Schmetterling,
Daß sein Schatten auf dem blanken
Gartenweg spazieren ging.
Hell in Sonne lag das Gärtchen,
Die durch zarte Zweige brach,
Und ein törichtes Lazertchen
Lief dem Falterschatten nach.
Dacht' ihn jetzt der Wicht zu haschen,
War er wieder weit voraus,
Und fast ging ihm bei der raschen
Jagd Geduld und Atem aus.
Zwischen Lachen und Erbauung
Sah ich zu dem holden Trug
Idealer Weltanschauung,
Doch – wer wird durch Schaden klug!

3.

Euch beneid' ich, ihr Lacerten,
Die ihr an der Mauer tänzelt,
Durch die lichten Rebengärten
Sorglos in der Sonne schwänzelt.
Euer lustiges Gelichter
Achtet nicht der Lorbeerhecken
Dort im Garten, die den Dichter
Aus der süßen Ruhe schrecken.
Nicht der dunkelgrünen Predigt
Jener stattlichen Zypressen,
Die die Seele, kurzbeseligt,
Mit den bangen Schauern pressen.
[300]
Ach, und nicht der Myrtenbäume,
Deren Zweige mir verkünden,
Wie viel Wonnen ich versäume,
Bis sie Ihr das Haar umwinden.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Heyse, Paul. Von Lacerten. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-64BF-5