George Hesekiel
Faust und Don Juan
Aus den weitesten Kreisen unserer
Gesellschaft

[Motto]

»Quid rides? mutato nomine de te

fabula narratur.«

Erster Theil

1. Unter dem Aegnator
[6] I. Unter dem Aegnator.
[6][8]

Der Schlaf flieht den Aufgeregten, es ist drei Uhr Morgens, Don Juan d'Aurinia verläßt seine Hangmatte, öffnet den Laden und schaut hinaus in die ernste, dunkle Nacht.

Die Sterne blitzen ihm feierlich entgegen, der Strom glänzt im Wiederschein des untergehenden Mondes, geheimnißvoll und still Alles ringsum.

Don Juan ergreift eine Laterne, er zündet sie an und wir sehen einen Moment das edle, feine Antlitz eines alten Mannes, der unbezweifelt ein Europäer ist, aber nur einen Augenblick sehen wir dieses Antlitz, denn Don Juan schlägt die Klappen der Laterne fast ganz zu und verläßt das Zimmer. Draußen in der Vorhalle schreitet er still über einige dunkle Gestalten schlafender Sclaven und tritt hochaufathmend hinaus in die kühle Verandah. Don Juan öffnet seine Laterne weiter und betrachtet mit dem ernsten Blick seiner sammetschwarzen Augen sinnend die Bäume und Gesträuche, die Nachbaren seiner Wohnung. Manche derselben schlafen mit zusammengelegten Blättern, Andere ragen ruhig ausgebreitet hinein in die stille Nacht, aber mit ihrem feinen Wohlgeruch grüßet die Paulinienhecke den langsam umherwandelnden Mann und leise rauschen zum Gruß die Blätter der hohen, düstern Manga. Gespensterhaft flattern riesige Nachtschmetterlinge um das verlockende Licht der Laterne. Immer stärker durchnäßt der Thau die Gräser und Kräuter, immer feuchter legt sich die Luft um Don Juans Glieder, das Gezirpe einer Cicade scheint zu locken zurück in das Haus.

Mit einem tiefen Seufzer und einem langen Blick, in dem vielleicht eine kleine Thräne funkelt, tritt Don Juan aus der Verandah zurück in sein Haus, er erreicht sein Zimmer, er löscht seine Laterne und nimmt dann am offenen Fenster Platz in einem bequemen Lehnstuhl. In einen glücklichen Halbtraum versunken erwartet er den Tag unter dem Gesumse der Mosquito's, unter den Pauken ähnlichen Schlägen des Ochsenfrosches und dem klagenden Rufe des Ziegenmelkers.

Stunden vergehen, es wird heller draußen; ein feines Grau, mit Morgenroth verschmolzen, umzieht [8] den Himmel – Don Juan erhebt sich von seinem Sitz und schaut hinaus. Die Formen der Bäume treten näher und näher, der Landwind, der im Osten aufsteht, bewegt sie langsam; schon schimmern rosenrothe Lichter und Reflexe um die Kuppeln der domartig gewölbten Caryocar-, Bertholetia- und Symphoriastämme. Die Zweige, die Blätter regen sich, die Träumer wachen auf und baden in der frischen Morgenluft; Käfer fliegen, Mücken summen, Vögel rufen, Affen klettern schreiend ins Dickigt zurück, die Nachtschmetterlinge suchen, lichtscheu taumelnd, die Waldnacht wieder. Immer heller wird's in der Luft – der Tag bricht an – siehe da – wie rothe Blitze leuchtet der Sonnenrand, jetzt steigt sie empor – in einem Nu ist sie ganz über dem Horizonte, auftauchend aus feurigen Wogen und wirft glühende Strahlen über die Erde hin.

Kein Wölkchen, über der Erde prangt ein ungetrübtes Gewölbe.

Eine feine schmale Hand aber legt sich auf Don Juan's Schulter und eine liebliche Stimme fragt spanisch: »Wollt Ihr wirklich von uns gehen Don Juan? seht hier, seht hin! Senhor, das Bild wird Euch halten in unserm Wunderlande!«

[9] Don Juan wendet sich um, langsam, und schaut mit freundlichem Blick in das dunkle Gesicht eines noch sehr jugendlichen, weiblichen Wesens, dessen Augen unter den düstern Wimpern wie Blitze funkeln unter Wetterwolken.

Ein seltsam Paar.

Don Juan hat schon weißes Haar, weiß sind seine Augenbrauen, weiß der kriegerische, starke Schnurrbart, aber hell blitzen die Augen, rosig ist die volle Wange geröthet, erhaben ist die Haltung, elastisch, zierlich und geschmeidig die Bewegungen, die ganze Gestalt imponirt durch Kraft und Fülle.

Das braune Mädchen ist schlank und mager, wild funkeln die Augen, wild zucken die Leidenschaften über das dunkelfarbige Antlitz und diese kleinen, feinen Hände wissen gewiß eben so heißzärtlich zu schmeicheln, als wildzornig den blanken Stahl zu schwingen.

Don Juan trägt ein weites, Schlafrock ähnliches, Gewand von blauem Seidenstoff, das vom Halse bis zu den Fersen weitfaltig herabfällt und nur um die Taille von einem weißen Gürtel zusammengehalten wird, auf der linken Brust des Greises glänzt eine in Gold gestickte Ordensdecoration.

[10] Das braune Mädchen ist nur mit einem orangefarbenen Kleidchen bekleidet, das sie in ihren blitzschnellen Bewegungen nicht hindert, Hals, Schultern und Brust aber eben so bloß läßt, als das zierliche Knie, den feinen Knöchel und einen Fuß von so idealer Schönheit, wie ihn nur die keusche Natur uncultivirter Zonen erzeugt.

Wir sagten, Don Juan schaute lächelnd in das dunkle Gesicht des Mädchens, das ungeduldig mit forschenden Blicken die Antwort auf ihre Frage herauszulesen suchte aus den feinen, edeln Zügen des Greises.

»Incarnacion,« sprach Don Juan endlich mit lauter, volltönender Stimme, »Du weißt, daß ich nicht gehen würde, wenn ich nicht müßte!«

»Müßte!« wiederholte Incarnacion, hastig aus ihrer gebückten Stellung in eine gerade, stolze, emporschnellend; »müßte? seid Ihr nicht ein freier Edelmann, Senhor, wer wagt es Euch Befehle zu geben?«

»Die allerheiligste Jungfrau, meine Blume!« entgegnete der alte Edelmann ernst.

Das blitzende Auge Incarnacions senkte sich im Moment, die runden Arme kreuzten sich über der jugendlichen [11] Brust und fromm murmelten die Lippen: »heilige Jungfrau, bitte für uns!« Eine Secunde später aber legte Incarnacion ihre schmale Hand sinnend an die Stirn, dann strich sie stolz das lange Haar, das im Nacken nur lose durch einen Knoten zusammengehalten wurde, zurück und fragte mit ihrer klingenden Stimme: »Was meint Ihr, Don Juan, nähme santissima madre wohl ihren Befehl zurück, wenn ich sie darum bäte, Ihr wißt, Senhor, daß ich ihre besondre Gunst habe?«

Diese anscheinend sehr kindische Frage that Incarnacion mit solchem Ernst, daß Jeder, der nicht vertraut mit dem Geist und Bildung der Gegend, gelacht haben würde; Don Juan lächelte mild und entgegnete: »Incarnacion, meine Blume, bitte die heiligste Jungfrau, daß sie mich beschützt auf dem Meer!«

»Die Sonne da,« rief Incarnacion durch das Fenster zeigend, »die Sonne da stirbt im Meer, aber meine Sonne nimmermehr!«

»Meine Blume!« versetzte Don Juan sanft.

»Deine Blume,« fuhr Incarnacion mit steigender Bewegung fort, »wird welken, wie kann sie blühen ohne Sonnenschein? und sie wird zu viel begossen[12] Deine Blume, Thränen sind nicht gut zum Begießen für Blumen, Senhor!«

Don Juan schloß das Mädchen in seine Arme und trocknete mit seiner umgekehrten Hand die Thränen, die in großen Tropfen, wie Perlen, über Incarnacions braune Wange rollten.

Ein Neger, einen Generalhut mit Gold gestickt und befederbuscht auf dem wolligen Haar, im Uebrigen aber ganz unbekleidet, trat in die Thür des Gemachs und verbeugte sich dreimal mit lächerlicher Gravität. Don Juan nickte, ohne Incarnacion, die noch immer heftig schluchzte, aus seinen Armen zu lassen.

Jetzt erschienen vier Neger, je zwei und zwei eine silberne Platte tragend, auf welcher Don Juan's und Incarnacion's Frühstück stand; schweigend setzten die schwarzen Diener ihre Platten in die dazu bestimmten Ahornholzgestelle, rückten die Stühle zurecht und blieben dann lautlos in einer Reihe hinter ihrem schon erwähnten Aufseher stehen, den sie den »doppelten Kopf« nannten, weil er, als Abzeichen seiner Würde, einen alten Generalhut Don Juan's sehr selbstgefällig trug. Die Neger hatten schwere, goldene Ringe mit Don Juan's Wappen an Armen und Füßen, das [13] war ihr Schmuck und auch, ein schmales Tuch von blauem Kaliko um die Hüften ausgenommen, ihre einzige Kleidung.

Endlich war es dem alten Edelmann gelungen die Thränen Incarnacion's zu trocknen und nicht ohne innerlich tief ergriffen zu sein, setzte er sich heute zum letzten Male an den Tisch, an dem er jeden Morgen seit funfzehn Jahren gesessen. Heute war der Tag, an welchem Don Juan Pará verlassen wollte, um nach seinem europäischen Stammlande zurückzukehren; die Bewegung des Edelmanns war sichtlich, aber ein langes Leben hatte ihn gelehrt seiner selbst Herr zu bleiben, mäßig, wie gewöhnlich, genoß er von den Speisen, tröpfelte den süßen Saft der Mangole in seine Chocolade, sprach aber weniger als sonst mit der lieblichen Incarnacion, die, Thränen im blitzenden Auge, das weiche Cassavebrot mit den schmalen Fingern krümelte, ohne es zu genießen.

»Sind meine Aufträge besorgt?« fragte Don Juan, sich nach seinen Dienern umwendend und sein Glas füllend.

»Die Herren werden um Mittag hier sein, Senhor!« erwiederte der »Doppelkopf,« sich verneigend.

[14] »Die Koffer sind an Bord des großen Kahnes, Senhor!« sprach Einer der Schwarzen.

»Der Herr des schwimmenden Hauses grüßt Dich, Senhor, und wünscht Dich zu sehen, ehe heute der Frosch das Ohr belügt!« 1 meldete der zweite Neger.

»Die Körbe mit Früchten sind bereit, Senhor!« der Dritte.

»Die Mutter von Senhora Incarnacion wird kommen, um Abschied von Dir zu nehmen!« sagte der Vierte.

»Es ist gut!« erwiederte der Edelmann und erhob sich von seinem Sessel; während er, von seltsamen Gedanken bestürmt, an das Fenster trat, warf sich Incarnacion, aufs Neue heftig weinend, in Don Juan's Hangmatte, räumten die schwarzen Diener die Reste des Frühstücks hinaus, entfaltete sich der Tag immer glänzender draußen.

Die sammetschwarzen Augen Don Juan's wandeln langsam von Gegenstand zu Gegenstand in dem wunderbar schönen Rundgemälde, das vor ihm liegt, heut sieht er's ja zum letzten Mal für lange Zeit, vielleicht für immer und ist ihm doch so lieb und [15] theuer, seiner letzten funfzehn Lebensjahre Erinnerungen haften ja daran!

Die Sonne steigt schnell und senkrecht am klaren, durchsichtigblauen Himmel auf, nur niedrig am westlichen Horizonte bilden sich kleine, weißflockige Wolken, die sich gegen die Sonne zu allmählich spitzen und sich verlängern weithin am Firmamente. Trocken von allem Thau sind bereits die Wiesen, die Wälder stehen in dem metallischen Glanze der Lobeerblätter, die Wohlgerüche wechseln, denn diese Blüthen hat schneller Liebesgenuß bereits hingerafft, während Andere erst erwachen im Feuerkuß der Sonne. Hier und da wölben sich Wolken hoch auf im Westen, sie gestalten sich zu breitern, dichtern Massen und ziehen bisweilen kühlend und verdunkelnd unter der Sonne hin, die mit leuchtender Fülle die Landschaft übergießt. Die Pflanzen zucken unter dem sengenden Sonnenstrahl, der mächtige Reiz scheint sie durch einen wollüstigen Schmerz ins Leben rufen zu wollen. Goldgeflügelte Carabeen und prächtig gefärbte Kolibris schwirren lustig näher, im lebendigsten Farbenspiele gaukeln bunte Schmetterlinge und Libellen durcheinander, die Wege vor dem Hause wimmeln von Ameisen, die in langen Zügen Blätter zusammenschleppen [16] zu ihren Bauwerken. Die Hitze wird immer mächtiger, die trägsten Thiere empfinden den gewaltigen Sonnenreiz; sieh, was hebt sich dort aus dem feuchten Schlamm? ein unförmliches Haupt, ein Krokodil steigt vom untern Flußufer weiter herauf und lagert sich behaglich im heißen Sande; Schildkröten und Eidechsen werden hervorgelockt aus dem feuchten Schatten, buntschillernde und düsterfarbige Schlangen ringeln sich in den warm beleuchteten Fußwegen vor der Verandah.

Don Juan's Auge erfaßt den zauberischen Reiz dieses üppigen, lebenswarmen Bildes und sein Herz wird schwer, wenn er daran denkt, daß er es morgen nicht mehr sehen soll.

Incarnacion ist unter Thränen entschlummert in der Hangmatte, der Mittag naht schnell und mit ihm die Nachbarn und Freunde Don Juan's, die heute kommen, um Abschied zu nehmen von ihm.

Lächelnd grüßte Don Juan aus dem Fenster, denn langsam auf seinem Maulthier, den Sonnenschirm über sich, die Cigarre in dem Munde, kommt der alte Don José Gusmann de Tormas y San Lucar y Todos Lestos angeritten und bleibt gemüthlich auf [17] seinem Thier sitzen, das von selbst vor Don Juan's Verandah still steht, bis der »doppelte Kopf« ihm aus dem Sattel geholfen und den beiden Negern Don José's befohlen, ihre und ihres Herrn Thiere in den Stall zu führen. Erst als das geschehen, wirft der Spanier seine Cigarre weg und tritt, geführt vom »doppelten Kopf« in das Haus und förmlich angemeldet von ihm, in das Gemach seines Freundes Don Juan von Aurinia.

Mit steifer Grandezza wechseln die beiden Edelleute die herzlichsten und wohlgemeintesten Freundschaftsversicherungen, sie lassen sich nieder auf den an Bastseilen frei schwebenden, von Binsen geflochtenen und mit Kissen belegten Matten. Die indeß erwachte Incarnacion schließt die Jalousieen der immer drückender werdenden Hitze halber, und eine kühle, liebliche Dämmerung herrscht in dem hohen, luftigen Gemache.

Der »doppelte Kopf« präsentirt in einem Körbchen von Limastroh kleine, goldgelbe Cigarren und auf einem silbernen Teller kleine Paquetchen des feinsten Kautabaks. Ein aromatischer, blauer, feiner Nebel hüllt bald die Edelleute ein; Incarnacion bereitet Eislimonade und erwiedert laut lachend die gravitätischen[18] Scherze des witzigen Don José, das heitere, leichtsinnige Kind der glühenden Sonne vergißt für den Moment ganz, daß es scheiden soll, heute noch, von dem Manne, den es mit der Gluth ihres Geburtslandes liebt.

Don Juan allein war ernst und stiller als gewöhnlich.

Nach und nach kamen mehrere Gäste, theils erschienen sie bequem auf dem Maulthier, unter dem Sonnenschirm, wie Don José, bald kamen sie hoch zu Roß, mit Windeseile daherjagend, bald mit großem Troß, bald allein, Alle aber waren bequem und leicht, dabei aber doch mit der ausgesuchtesten Pracht, gekleidet.

In einem kühlen Saale, nach Mitternacht gelegen, mit Gold und Blumen, mit Porcellain und Marmor prächtig geschmückt, war das Mittagsmahl bereitet; wohl zwanzig ältere und jüngere Männer, alle spanischer Abkunft, saßen an Don Juan's Tische, nahmen Theil an Don Juan's Abschiedsmahl und der »doppelte Kopf« stand stolz an der Spitze einer ganzen Armee von schwarzen Sclaven mit weißen, reich in Gold und Silber gestickten, Servietten unter dem Arm.

[19] Ueberfluß herrschte an der Tafel, aber nur mäßig genoß man sowohl Speisen, als Wein, denn die Spanier sind ein mäßiges Geschlecht – aber feuriger blitzten die Augen der Don's, als die Musik unsichtbar zu klingen begann, als die Töne des Bolero's rauschten; dichtere Dampfwolken wirbelten auf aus den Cigarren und häufiger netzte eine liebliche Mischung von Limoniensaft und Eiswasser die heißen Lippen der stolzen Spanier, als Incarnacion mit vier andern Mädchen eintrat, als die Schellen klangen, der Tambourin jauchzte und die Pauke wirbelte in die üppigen Windungen des rasenden Drehens der jungen, schönen Tänzerinnen.

Immer wilder klang der Tambourin, immer mächtiger hallten die Schläge der Pauke, immer üppiger, immer glühender, immer verlangender wurden die Stellungen, die Bewegungen Incarnacions und ihrer Begleiterinnen, immer höher klopften die Herzen der Spanier; die Cigarren löschten aus, die Hände lagen am Eisbecher und vergaßen ihn zu den durstigen Lippen zu führen, die dunkeln Augen der Zuschauer folgten mit zitternden, wollustzitternden, Blicken den schlangenglatten, räthselhaften, rasenden und doch so harmonischen Bewegungen der Tänzerinnen. Immer toller und lauter [20] brauste die Musik, immer wahnsinniger wurde der Tanz, die Sinne der Zuschauer wirbelten, Mehrere konnten diesen Zustand der entsetzlichsten Aufregung nicht mehr ertragen, sie sprangen auf – Ha! plötzlich, ein Blitzstrahl erhellt flammend das Gemach, ein heller Aufschrei, die Mädchen liegen auf den Knieen und das furchtbare Rollen des Donners verschlingt ein vielstimmiges: »Allerheiligste Jungfrau, bitte für uns!«

Don Juan öffnet ein Fenster, ein fahles Licht fällt auf die, von Schreck verzerrten, Züge der Sclaven, halbtod, jede Nerve von furchtbarer Anstrengung zuckend, mit Schweiß übergossen, liegt Incarnacion am Boden. Don Juan küßt die glühende Stirn des Mädchens und befiehlt den zitternden Sclavinnen, sie in ihre Hangmatte zu bringen.

Ein zweiter Blitzstrahl, ein zweiter furchtbarer Donnerschlag, ein entsetzliches Angstgeheul der schwarzen Sclaven; die ernsten Spanier zünden ihre Cigarren wieder an, trinken Sorbet und erholen sich langsam von der gewaltigen Aufregung, in die sie durch Incarnacions Tanz versetzt. Das Gewitter mit seinen Schauern und Schrecken ist nicht da für sie, nur Don [21] Juan tritt ans Fenster, er will ein Gewitter sehen noch einmal unter dem Aequator.

Der ganze Himmel ist umzogen, die Sonne ist verhüllt, um so heißer liegt die Gluth des Tages auf der Landschaft, eine mächtige Spannung ist da, die furchtbare Krise kündet sich mit gewaltigen Blitzen und finster grollendem Donner an; die Luft erkältet sich unglaublich schnell, die Winde fahren wild gegeneinander, erst wühlen sie den Wald auf, dann das Meer, das immer schwärzer einherwogt, und den Fluß, der dunkle Wellen und zwar, weil vom Windesrauschen übertönt, lautlos dem Meere zuzuwälzen scheint. Der Sturm ist da – wieder ein Blitz, zwei, dreimal reißt er fahl durch die Wolken, zwei, dreimal rollt der Donner, ruhig, langsam, mächtig erschütternd.

Tropfen fallen, groß, schwer, einzeln erst.

Ein neuer Donner, die Natur scheint aufzuathmen und nicht Regen, nein Wasserströme gießt der erschütterte Himmel aus. Der nahe Wald erseufzt, das lispelnde Plätschern der Blätter schwillt an zum Rauschen, endlich zum lauten, hallenden Getrommel.

Die Blumen fallen, morsche Stämme stürzen, die Inga kräuselt ihre entleerten Staubfäden zusammen,[22] die Banisterie läßt sie fallen ihre zarten, goldgelben Blättchen, der Aronschaft schwankt fruchtschwer im Sturme. Entsetzt flieht das Gethier, die Vögel flattern ängstlich am Boden, aber Frösche und Unken erheben tausendstimmig einen monotonen Triumpfgesang. In Bächen rauscht das Wasser durch die Fußwege um Don Juan's Haus.

»Gieb mir ein Glas!« wendete sich Don Juan plötzlich um von dem Fenster, von dem aus er bis jetzt den Siegergang des Gewitters beobachtet hatte.

Der »doppelte Kopf« eilte mit dem Fernglase herbei, Don Juan schaute sich aufmerksam um eine Weile, dann sagte er, so hastig es die ruhige Würde des Spaniers zuließ: »Eile, nimm drei, vier mit Dir, nimm Maulthiere, Jaquita kommt, sie ist mitten im Wetter mit ihren Dienern!«

Der »doppelte Kopf« eilte hinaus, Don Juan aber nahm wieder Platz bei seinen Gästen, die sich sehr behaglich in der Kühlung fühlten, die durch die geöffneten Fenster hereindrang.

»Ich möchte ein Wort mit Euch reden, edle Freunde, liebe Nachbarn!« sagte Don Juan, nachdem [23] er eine Weile still gesessen, und legte seine Cigarre bei Seite.

»Sprecht Don Juan!« antwortete man ihm.

»Hört mich an, edler Visconde und Ihr Hidalgo's und Caballero's! ich habe oft mit Euch geredet und Ihr habt meine Stimme gehört! Ihr habt sie gehört und habt gesagt, daß es gut war, was ich redete, ich bin ein alter Mann, vielleicht rede ich heute zum letzten Male zu Euch, also hört mich und sehet zu, ob das gut ist, was ich rede. Antwortet mir, Senhores, wann war unser Vaterland am mächtigsten, am glücklichsten? Vor der Zeit des ersten Karl, der auch die Kaiserkrone trug, warum? Weil Spanien nur zwei Geschlechter besaß, deren Eines den Himmel, deren Anderes die Erde zu einem Eigenthum Spaniens machte: die Heiligen und die Ritter sind es, die ein Land groß machen und mächtig. Wir nun, edle Herren, sind Abkömmlinge jener Heiligen und Ritter, laßt uns ihrer würdig sein, die Zeit hat sich geändert, es giebt nur wenige Ritter noch im theuern Vaterland, gar keine Heilige, nicht die Ehre und die Treue gebieten dem aufgeregten Volke unseres Vaterlandes, ein thörichter, wilder Fiebertraum von Freiheit läßt Spanier gegen Spanier wüthen, nichts [24] gilt die Heiligkeit des Mönchsgewandes, nichts mehr das blaue Blut, der Grande ist geworden wie ein anderer Mann und der Caballero ist gleich dem Juden, oder dem Moro.«

Ein Murmeln des höchsten Unwillens unterbrach den Redner einen Augenblick.

»Traurig sieht es aus im Vaterlande, ja, aber mache Euch das nicht muthlos, Senhores; nicht da ist Spanien, wo eine schlechte Horde von Juden, Moro's und Freimaurern unspanisch sich gebärdet, sondern Spanien ist in der Brust jedes edeln Spaniers von reinem Blut, y cierra España! Edle Spanier, Gothensöhne von reinem Blut, Christen, haltet fest an den Rittern und an den Heiligen, sie sind es, welche die Völker groß und glücklich machen. In diesem prachtvollen Wunderlande seid Ihr wenig zahlreich, aber haltet zusammen, wie ich Euch gelehrt und Ihr werdet ewig freie Herrn sein; laßt Euch nicht verführen die Sclaven in Masse frei zu lassen, Ihr schafft Euch nur einen Feind mehr dadurch, gebt die Freiheit Einzelnen, als höchste Belohnung, traut keinem Farbigen, aber stützt Euch fest auf die heilige Mutter Kirche, die Kirche weiß die Völker in Gehorsam zu halten. Die Heiligen und die Ritter haben nur ein [25] Interesse! – Ich habe geredet, Ihr habt gehört, Senhores, seht zu ob es gut ist, was ich geredet habe!«

Don Juan legte sich langsam in seinen Sessel zurück und zündete seine Cigarre wieder an. Die ernsten Spanier schienen tief ergriffen von dem Gesagten, das für sie unumstößliche Wahrheiten enthielt.

Ein noch junger Mann, durch seinen Rang als Visconde vor den Uebrigen dazu berechtigt, erhob sich nach einer kleinen Pause und sprach: »Wir haben Euch gehört heute, Don Juan, wie wir Euch seit vielen Jahren gehört haben, wenn Ihr wiederkehrt, sollt Ihr das alte Spanien, das Spanien der Heiligen und Ritter wieder finden bei uns, die heiligste Jungfrau schütze Euch bis dahin, Don Juan!«

»Und Euch!« erwiederte der alte Edelmann sich bekreuzend.

Das Mahl war beendet, mit ernster Würde empfahl sich ein Gast nach dem andern, nur Don José blieb zuletzt.

»Kommt Don José, werther Freund,« bat jetzt Don Juan mit gepreßter Stimme, »kommt hinüber, [26] daß ich Euch die Frauen übergebe, die ich Euerer Freundschaft anvertraue!«

In Incarnacions Gemach war Jaquita, des Mädchens Mutter, ein weibliches Wesen, dessen broncefarbne Züge eine wunderbare Ebenmäßigkeit zeigten, mit den klassischen Proportionen der Glieder und des Baues wetteiferten und dabei ein so jugendliches Gepräge trugen, daß man Jaquita schwerlich für Incarnacions Mutter, ja kaum für eine ältere Schwester derselben gehalten haben würde. Wie sich Schlangen in einander winden, sich gegenseitig umwickeln, so fest, so glatt in einander geschlungen, in einander gewunden, standen Incarnacion und ihre Mutter. Incarnacions Thräne war versiegt, Incarnacions braune Wange war trocken und ein kindlich-muthwilliges Lächeln zuckte öfter verrätherisch um den granatfarb'nen Mund der Geliebten Don Juans.

Mit einigem Erstaunen, aber doch gern, sah Don Juan diese Veränderung, die ihm den schweren Abschied von Incarnacion sehr erleichtern mußte. Der alte Edelmann nahm Abschied von Jaquita, er sagte ihr, sie werde Herrin dieses Hauses und seiner Umgebung sein, Don José werde sie schützen; Jaquita dankte und küßte mit Thränen die weiße Hand des[27] Spaniers, der zu der Mahlzeit ein reiches, altspanisches Hofkleid, mit vielen Orden decorirt, angelegt hatte.

»Lebewohl, meine Blume, für lange Zeit viel leicht!« wendete sich Don Juan an Incarnacion und küßte das braune Mädchen hastig auf den halboffenen, weichen Mund. Incarnacion erwiederte zwar leidenschaftlich diese Liebkosung, aber von Rührung keine Spur. Mit Gewalt mußte der Spanier seine eigene Bewegung bemeistern und darum bemerkte er auch Incarnacions befremdende Standhaftigkeit nicht.

Die Männer gingen, als sie aber vor der Verandah die Maulthiere bestiegen hatten, weinte nur Jaquita dem gütigen Don Juan eine Thräne nach, Incarnacion dagegen lachte, wie eine Närrin, warf sich um den Hals ihrer Mutter, küßte sie heftig, begann dann doch zu weinen und eilte endlich windschnell hinaus.

»Santissima madre segne, segne mein gutes, frommes Kind,« betete Jaquita auf den Knieen liegend. Es war das längste Gebet, das Jaquita wußte, ihr Herz war so erschüttert, daß sie ihr längstes Gebet betete und das hat immer etwas zu bedeuten bei einer farbigen Christin.

[28] Als sie aufstand wieder und aus dem Zimmer trat, hatte der »doppelte Kopf« mit den Maulthieren die Verandah bereits verlassen, schmeichelnd neigten sich die Sclaven vor der neuen Senhora, Incarnacion war nirgends zu sehen.

Es war gegen Abend, als Don Juan von seinem Freunde Don José begleitet und von dem »doppelten Kopf« mit einem schwerbepackten Maulthiere und Don José's Dienern gefolgt auf der Rhede von Belem eintraf. Verächtliche Blicke warfen die beiden Spanier auf die brasilianische Flagge mit der goldenen Sphäre und dem Christusordenskreuz, denn durch eine tiefe Kluft sind in diesem Theile Brasiliens die stolzen, adeligen Spanier geschieden von den brasilianischen Portugiesen. Die Spanier in Pará, ihre Zahl ist sehr gering, bildeten eine schweigende, wegen ihres Reichthums aber angesehene, Opposition gegen das kaiserliche Gouvernement, das sie ausdrücklich niemals anerkannt haben. Don Juan war seit funfzehn Jahren das Haupt dieser Opposition gewesen.

Die beiden Spanier hielten auf der Rhede von Belem, sie sahen ernst in die Wellen des Amazonenstroms, der sich zu eilen schien in seinem majestätischen Gange zum Meere.

[29] »Oho, zur Jungfrau von Hamburg, Capitain Förster?« schrie plötzlich ein Bootsmann, sich im Kahn aufrichtend, der von den Wogen des Amazonenstroms, wie eine Nußschaale, geschaukelt wurde.

»Capitain Förster von Hamburg!« entgegnete Don Juan deutsch. Der kräftige blauäugige Hanseat legte sich rückwärts, ließ seine beiden Ruder klatschend auf das Wasser fallen und der Kahn schoß mit großer Schnelligkeit dem Ufer zu.

»Listad a la banda!« rief Don José, murmelte etwas von der santissima madre, drückte Don Juan's Hand, sprang auf sein Maulthier und trabte davon, vermuthlich konnte er seine Rührung nicht mehr beherrschen. Trüb lächelnd sah ihm Don Juan nach.

Don Juan's Sclaven halfen dem »doppelten Kopf« seine großen Körbe voll Südfrüchte in den Kahn tragen, der Hamburger drängte zur Eile, die Sclaven entfernten sich und Don Juan schwamm mit dem »doppelten Kopf« der »Jungfrau von Hamburg« zu.

In Zeit von einer kleinen Viertelstunde war Alles an Bord und Capitain Förster kam, sein Sprachrohr in der Hand, dem Spanier entgegen. Wir bemerken, daß Don Juan in sehr geläufigem Deutsch [30] dem Capitain einige glatte Complimente sagt über die edle Haltung, den weichen, eleganten Bau und die zierliche Takellage seiner Brigantine. Capitain Förster dreht sich sehr geschmeichelt den Schnurrbart von dem Niemand zu sagen vermochte ob er grau, oder roth, er reckt seine kurze Figur und schiebt sein kleines Schiffmützchen vergnügt hin und her auf dem kahlen Scheitel; des nicht mehr ganz jungen Seemanns klare Augen funkelten nämlich niemals freundlicher, als wenn man seine Jungfrau, seine Brigantine, lobte, dann war der geizige Capitain Förster sogar der schwersten Aufopferungen fähig und gleich jetzt gab er eine Probe davon, denn er lud Don Juan ein, sich während der Ueberfahrt seines Tabaks zu bedienen. Das war die höchste Gunst, die Capitain Förster einem Passagier erzeigte und er staunte nicht wenig, als Don Juan ihm eine Cigarre präsentirte und sein Anerbieten höflich dankend ablehnte.

Die Sonne ist hinunter, das letzte Ankertau windet sich knarrend, die Landbrise legt sich frisch in die weißen Segel der Jungfrau von Hamburg, Capitain Förster läßt seine lange Kanone auf dem Vordercastell abfeuern und langsam steuert die schlanke Brigantine hinaus dem hohen Meer zu. Ein zweiter Kanonenschuß [31] donnert und die Flagge der freien Stadt Hamburg, die der Capitain am Fockmast aufziehen läßt, wird von einem lauten dreifachen Hurrah der Equipage begrüßt.

Don Juan steht auf der Gallerie, während der »doppelte Kopf« seine Kajüte in Ordnung bringt; schon ist Amerika's Küste im Dunkel verschwunden, rechts und links wird die Jungfrau von Hamburg von den Hurrahs der verschiedenen Schiffe, an denen sie vorüber segelt, begrüßt. Ja, die hanseatischen Landsleute von Bremen grüßen Hamburgs Flagge sogar mit drei Salutschüssen und ein brittischer Kutter donnert dem Hamburger durchs Sprachrohr zu: »nach Hamburg, ein Strich?« »Nach Hamburg, ein Strich!« antwortet der Capitain Förster freudig durchs Sprachrohr, denn es war ihm höchst angenehm einen wohlbewaffneten brittischen Kutter von 16 Kanonen zum Begleiter zu haben. Bald war die Jungfrau von Hamburg heraus aus dem Gewühl von Schiffen und Kähnen, die Landbrise fiel stärker ein und die Segel schwellten sich mächtiger.

»Braßt die Schönfahrsegel, setzt bei, Nachtsegel auf!« donnerte das Sprachrohr des Capitains; »Westnordwest, vier Strich, alle Mann auf!«

[32] Mit großer Geschwindigkeit wurden die Befehle des Capitains erecutirt, dieser warf einen letzten prüfenden Blick auf sein Schiff, dann zündete er seine Pfeife wieder an, trank ein halbes Bierglas Rum und schritt bald, in eine dichte Wolke gehüllt, auf dem Vorderdeck auf und ab.

Die Jungfrau von Hamburg näherte sich mit bedeutender Schnelligkeit der Stelle, wo das brasilianische Fort, das die Rhede von Belem vertheidigt, seine finstern Schatten auf den glatten Wasserspiegel wirft.

»Nehmt halbe Ladung zu den Salutschüssen, Jungens!« sagte Capitain Förster, »braucht mir's Pulver nicht unnütz zu verplatzen, kostet dies Jahr so einen Schilling mehr als vergangenes!«

Don Juan trat in seine, durch den »doppelten Kopf« bereits nach seinen Wünschen eingerichtete Cajüte.

Die drei Salutschüsse krachten über ihm.

»Adien, Amerika, lebt wohl ihr duftigen Wälder, ihr Gegenden voll Licht, voll Pracht, voll Farbe,« murmelte Don Juan, »eintöniges, farbloses Europa, o wenn ich nicht müßte! Europa mit deinen Geldhelden und deinen bleichen, farblosen, geistig und leiblich[33] schon vor der Geburt farblosen Weibern, Europa, tolles Reich des Widerspruchs, hast du deine Edelleute blos deßhalb proscribirt, um dich von gemeinen Kaufleuten und Speculanten tyrannisiren zu lassen? O, mir wird es unendlich schwer zurückzukehren in ein Land, in dem man die Natur nur im Käfig zu sehen bekommt, o Incarnacion!«

Also sprach Don Juan de Aurinia in seiner Kajüte an Bord der Brigantine »die Jungfrau von Hamburg« und tief seufzend nahm er die Cigarre aus der Hand des »doppelten Kopfs,« hüllte sich ein in eine dichte, blaue Wolke, schloß die Augen und versuchte sich einzuwiegen in seine liebsten Erinnerungen.

Monoton klatschten die Wellen draußen an die Planken des Schiffes, das Rad des Steuerruders knarrte, der Landwind pfiff im Tauwerk und nach einer Weile war Don Juan, behaglich geschaukelt in seiner Hangmatte, entschlafen. Der »doppelte Kopf« öffnete leise den Deckel eines großen Korbes voll Südfrüchte, der lieblich duftete und an der einen Wand der Kajüte festgebunden war, dann schlich er mit pfiffigem Lächeln, leise, wie ein Dieb, hinaus.

[34] Don Juan schlief, im Korbe aber begannen sich die Orangen zu regen, die Limonen und die Granatäpfel, die Ananas und die andern Früchte und ihrer viele rollten aus dem Korbe auf den Teppich der Cajüte.

Don Juan schlief, zwischen den goldgelben Orangen im Korbe aber erhob sich ein dunkellockiges Haupt und Incarnacions Blitzaugen funkelten über den Limonien.

Don Juan schlief, Incarnacions Hals wird blos, ihr Arm, ihre Figur, mit einer glatten, geräuschlosen Bewegung hat sich das junge Mädchen aus dem Korbe gehoben, es setzt seinen nackten Fuß auf den Teppich zwischen die lustig umherrollenden Früchte.

Incarnacion lauscht, Don Juan schläft; mit den unhörbaren Tritten der Tigerkatze schleicht das Mädchen nach der Hangmatte des geliebten Mannes, fest drückt sie ihre schmalen Finger auf die mächtig klopfende Brust, wie helle Lichter funkeln ihre Augen, die sie ängstlich auf des schlafenden Don Juans Antlitz richtet.

Man hört nicht die Athemzüge Incarnacions, ihr Athem stockt vor gewaltiger Aufregung.

[35] »Incarnacion!« ruft Don Juan im Traum. Ein heller, unartikulirter Aufschrei Incarnacios antwortet ihm, Incarnacion liegt an Don Juan's Brust, Incarnacion küßt Don Juan's Mund.

Die Jungfrau von Hamburg ist auf hoher See!

Fußnoten

1 Der Ochsenfrosch ist eine ganz kleine Art, schreit aber so laut, daß man einen Ochsen zu hören glaubt!

2. Der unbekannte Leichnam
II. Der unbekannte Leichnam.
[37][39]

Unfern der Fabrikstadt Mühlhausen im französischen Elsaß liegt ein hübsches, wenn auch kleines, Haus, in welchem Herr Bletry mit seiner Freundin Franziska Lallemand wohnt, welche junge Dame unter Herrn Bletry's Namen eine Art von Schenkwirthschaft für Personen niederer Stände hält und zur Bedienung ihrer Gäste Herrn Bletry's Diener, Fritz, mit benutzt, der eine gute, ehrliche Haut, ein Deutscher von Geburt ist und nur das Unglück hat dem Wein nicht widerstehen zu können.

Es war im Jahre 1844 in der Woche vor Pfingsten, so viel wir uns erinnern an einem ganz angenehmen Montagabend, als Herr Bletry und Franziska Lallemand spatzieren gingen und ihr Haus unter der Obhut des treuen Fritz verließen und einer Magd, die eben nicht treu war, sondern gerade am andern Tage verschiedener kleiner, doch unerwiesener Diebereien wegen abziehen sollte.

[39] Bletry und Franziska waren fort, Fritz saß bei der Flasche, die Magd trieb sich mürrisch im Hause herum, als plötzlich ein Wagen heranrollte und vor Bletry's Hause still hielt. Die Magd, welche neugierig war, eilte sogleich an die Thür, Fritz, welcher Wein trank, rührte sich nicht von der Stelle.

Der vor der Thür haltende Wagen war ein ziemlich dürftiges Cabriolet, doch war es mit einem starken Pferde bespannt und die Gesichter der beiden Insassen gehörten sichtlich Personen aus den höhern Ständen zu. Diese beiden Insassen, ein Mann und eine Frau, oder wenn man lieber will, ein Herr und eine Dame, waren so gekleidet, daß sie zu Fuß sicher die Aufmerksamkeit der Policeimannschaften erregt haben würden, denn der Anzug beider bestand aus einem seltsamen Gemisch von Kleidungsstücken. So trug der junge Herr mit dem blassen Gesicht, den schwarzen Augen und der kühn gebogenen Nase eine graue Arbeiterblouse, aber seine Hand, die wieder eine schmierige Fuhrmannspeitsche hielt, war mit einem feinen Glacéehandschuh bedeckt. Der junge Mann gehörte, trotz seiner schmierigen Kleidung, sicher den höhern Ständen an, der sorgfältig gepflegte Bart, das zierlich verschnittene, seidenweiche Haar würden es allein [40] verrathen haben. Die Dame hatte das Ensemble ihrer Kleidung besser zu behaupten gewußt, der schwarze Hut, gebraucht aber noch brauchbar, paßte ganz gut zu den schwarzen Filethandschuhen, zu dem abgetragenen schwarzen Kleide, zu dem großen Strickbeutel und einem schwarzwollenen Umschlagetuche. Die Dame konnte man recht gut für eine Bürgerfrau in Trauer halten.

Herrn Bletry's Magd brachte dem jungen Mann ein Glas Liqueur an den Wagen und da die Dame auf ihrer Seite, auf der Seite nach dem Hause zu, saß, so hatte sie Gelegenheit beim Hinreichen des Glases das Gesicht einer schon ältern Person weiblichen Geschlechts zu sehen, das die Spuren einer ehemaligen hohen Schönheit trug, sich namentlich auch jetzt noch durch den Glanz der Augen auszeichnete. Als die Magd das geleerte Glas zurücknahm, sah sie mit einigem Staunen, daß die Dame weißseidene Strümpfe und moderne zierliche Schuhe trug.

Eben wollte der junge Mann sein Pferd wieder antreiben, als ihm etwas einzufallen schien, er wendete sich an die Magd, die mit dem leeren Glase in der Hand neugierig dastand, und fragte französisch, ob sie ihm nicht eine größere, hölzerne Kiste verkaufen[41] könne, er wolle sie gut bezahlen, denn er habe dann nicht nöthig nach Mühlhausen hinein zu fahren und könne einen nähern Weg einschlagen. Die Magd zögerte nicht lange, sie entsann sich einer Kiste, die ihrer Herrschaft, der Franziska Lallemand, gehörte und ungebraucht auf dem Boden stand. Die Kiste wurde geholt, der junge Mann fand sie passend für seine Zwecke und stellte sie vor sich in den Wagen hin. Es war eine ziemlich große, mehr lange, als hohe Kiste von gelblichem Holze. Nachdem sie der junge Mann mit einem Fünffrankenthaler bezahlt, fuhr er von dannen.

Sehr vergnügt über ihren Handel, kam die Magd ins Haus zurück, wo sie Herrn Fritz zwischen Glas und Flasche entschlummert fand. Es versteht sich von selbst, daß die Magd es nicht für passend erachtete, Herrn Bletry, oder Franziska Lallemand, von dem Besuche des Fremden und seinem Kauf zu unterrichten, sie behielt klüglich sowohl den Fünffrankenthaler für die Kiste, als auch das Zehnsousstück für den Liqueur für sich und begab sich am andern Tage auf den Weg nach dem Departement Côte d'or, wo sie her war.

Weder Fritz, noch Herr Bletry, weder Franziska[42] Lallemand, noch das Dienstmädchen, das am andern Tage anzog und sich Marguerite Dinicher nannte, wußten also das mindeste von dem Besuche und dem Kistenkaufe des fremden Paares.

An dem folgenden Morgen erschien auf der Eisenbahnstation Dornach ein robustes, anscheinend den niedern Ständen angehöriges, Frauenzimmer, das unter dem Druck einer schweren Kiste, die es auf dem Rücken trug, gewaltig schwitzte und ein Fahrbillet nach der nächsten Station lösete; zufällig war dieses Frauenzimmer die einzige Person, die diesen Dampfwagenzug benutzte.

Der Zug ging ab, aber auf der nächsten Station hatte Niemand eine Frau das Perron verlassen sehen und überdem blieb im Packhause eine Kiste stehen, die keine Adresse hatte und auch von Niemandem in Anspruch genommen wurde. Da der Eisenbahnbeamte, dem die Kiste im Wege war, doch auf dem halbzerkratzten Zettel noch den Namen der Station Dornach ziemlich deutlich lesen konnte, so wurde die Kiste, die sehr schwer war, reglementmäßig, am zweiten Tage nach Dornach zurückspedirt, dort fiel den Abladern der entsetzliche Gestank auf, der aus der Kiste drang, die Beamten ließen sie sogleich öffnen und schauderten [43] zurück vor dem Anblick eines gräßlich verstümmelten, weiblichen Leichnams.

Der Leichnam war der einer ältern Person weiblichen Geschlechts, die Züge waren, so viel man sie noch erkennen konnte, edel, das Haar reich und weich, die Augen geschlossen und der Hals quer durchschnitten. Eine schlechte Haube bedeckte den Kopf, ein D. A. gezeichnetes sehr schlechtes Hemd den Körper, von dem beide Beine abgeschnitten waren.

Die Gerichte erschienen und nahmen den Thatbestand zu Protocoll, während der Gerichtsarzt erklärte, die Art der Halswunde lasse auf einen augenblicklichen Tod der Frau schließen, die Beine seien von einem Sachkundigen und nach allen Regeln der Kunst aus den Gelenken gelöst.

Man kann sich denken, welche Aufregung unter der Bevölkerung Mühlhausens und der umliegenden Gegend entstand, als sich die Nachricht von dem Funde dieses unbekannten Leichnams verbreitete. Mit Angst eilte man anfänglich herbei, Jeder fürchtete eine Verwandte oder eine Bekannte zu finden, aber Niemand kannte die Leiche, Niemand konnte eine Auskunft geben über sie.

[44] Aller Orten wurde gesprochen von der unbekannten Leiche auf der Eisenbahn und die seltsamsten Gerüchte wurden laut und lauter, namentlich als man einige Tage später in einem Steinbruch zwei nackende Beine fand, die auf einem Kissen lagen und mit einem schlechten Strohhut bedeckt waren. Ein medicinisches Gutachten stellte fest, daß diese beiden Beine zu dem, auf der Eisenbahn entdeckten, Körper gehörten, aber das war auch Alles, was in den nächsten Tagen, bis zum Pfingstfeste, ermittelt werden konnte. Mit ziemlicher Gewißheit war anzunehmen, daß der Mörder sein Opfer, vermittelst der Eisenbahn, möglichst weit von dem Schauplatze der Mordthat habe entfernen wollen.

Da Niemand erschien, der über Namen, Herkunft u.s.w. der Gemordeten irgend einen Aufschluß hätte geben können, so mußten sich die Nachforschungen der Behörden darauf beschränken, die Frau ausfindig zu machen, welche am 5. Mai die Kiste aufgegeben und, nach Angabe der Eisenbahnbeamten, selbst mit gefahren war. Nun besaß man leider von dieser Frau nur ein höchst unvollkommenes Signalement, die Beamten hatten, wie natürlich, wenig auf sie geachtet, ihre Aussagen widersprachen sich sehr, allenfalls konnte man [45] annehmen, daß die Frau, welche die Kiste gebracht, sehr stark gewesen sei und die Kleidung der untern Volksklassen dortiger Gegend getragen habe.

Einer der Beamten behauptete sogar, es seien zwei Personen weiblichen Geschlechts mit der Kiste erschienen, man wird nachher sehen, warum er das behauptete.

Am Sonnabende vor Pfingsten, also erst nachdem viele Menschen den Leichnam der Ermordeten gesehen, sagte ein, dem Dienste der öffentlichen Venus geweihetes, Weibsbild, Namens Neuschwander, aus, am Montage sei ihr eine Person, weiblichen Geschlechtes, in schwarzer Kleidung und einer Warze an der linken Wange begegnet, welche nach dem Hause Herrn Bletry's gefragt habe und von ihr zurecht gewiesen worden sei.

Auf diese Spur hin forschte man weiter und nun hatten plötzlich eine ziemliche Anzahl von Personen der niedern Volksklasse ebenfalls ein Frauenzimmer gesehen, das sich an mehrern Orten nach Herrn Bletry erkundigt hatte und von mehrern ebenfalls zurecht gewiesen worden war.

Das fiel auf, Herr Bletry, mit dessen Vermögensumständen es damals etwas mißlich stand, hatte [46] mehr Feinde, als Freunde in der Umgegend – das Gerücht begann ihn als Mörder der unbekannten Weibsperson, deren Leiche man auf der Eisenbahn gefunden, zu bezeichnen.

Wer die wunderbare, man möchte sagen diabolische, Gewalt kennt, die ein derartiges Gerücht auf die Gemüther ungebildeter Menschen übt, wer es weiß, wie ansteckend ein solcher Verdacht selbst vorurtheilsfreiere Herzen ergreift, der wird sich nicht wundern, daß, nachdem der Verdacht erst einmal auf Bletry gelenkt war, auch sogleich mit Bestimmtheit seine Thäterschaft behauptet wurde.

Obgleich die Person, die nach Bletry in Mühlhausen gefragt haben sollte, von allen Zeugen beinahe anders geschildert wurde, obgleich sie nach den Zeitangaben, fast zwei Stunden in dem kleinen Mühlhausen nach Bletry herumgefragt haben müßte, was an und für sich schon höchst unwahrscheinlich war, so wurden doch, der Natur der Sache nach, die Gerüchte und mit den Gerüchten auch die Zeugenaussagen immer bestimmter. Ein Zeuge hatte nun die besagte Person, deren Identität mit der Leiche übrigens keineswegs erwiesen war, wirklich in Bletry's Haus eintreten sehen; ein anderer Zeuge sah sie in [47] Bletry's Garten spatzieren gehen und eine goldene Kette tragen.

Das Gerücht bemeisterte sich aller Köpfe, Bletrymußte der Mörder der unbekannten Weibsperson sein, seine Freundin Franziska Lallemand, sein Knecht Fritz, seine Dienstmagd Marguerite Dinichermußten seine Mitschuldigen sein. Man hatte die arme Person ermordet und beraubt und ihre Leiche dann auf der Eisenbahn zu entfernen versucht. Nun, als das Gerücht einen Raubmord angenommen, hatten sogleich mehrere Zeugen bedeutende Schmucksachen und endlich auch einen wohlgefüllten Geldbeutel bei der Person gesehen, die nach Bletry gefragt haben sollte. Das Gerücht wuchs der öffentlichen Sicherheitsbehörde über den Kopf und fortgerissen von dem beinahe allgemeinen Verdachte wurde von ihr am zweiten Pfingstfeiertage die Verhaftung Bletry's und seiner, durch das Gerücht bezeichneten, Mitschuldigen verfügt.

Wir sagten schon, daß Bletry's Haus etwas entfernt von der Stadt an der Straße belegen war; ob nun wohl im Bletry'schen Hause die Gerüchte nicht in ihrem ganzen Umfange bekannt waren, so konnte es doch nicht fehlen, daß auch dort, in einer öffentlichen Schenke, der unbekannte Leichnam besprochen wurde. [48] Bletry lachte, als man ihm sagte, daß das Gerücht ihn als Mörder bezeichne, aber er wurde todtenbleich, als man ihm am zweiten Pfingstfeiertage mit seiner Freundin und seinen Dienern verhaftete. In den Augen des Volks galt dieses Erblassen Bletry's natürlich für ein unfreiwilliges Eingeständniß seiner Schuld – Keiner dachte daran, daß auch der Muthigste, daß auch der Unschuldigste erblassen würde, wenn er sich ernstlich als Raubmörder in Anspruch genommen und von der Gerechtigkeit verhaftet sieht.

Wohl kann ein Mann, im Gefühl seiner Unschuld, lachen, wenn er hört, daß ein albernes Gerücht ihn Mörder nenne, ein ganz anderes aber ist es, wenn er sieht, daß das Gericht unter dem Einflusse jenes Gerüchtes steht und ihn, als wirklich angeklagt, verhaftet.

Die Haussuchung begann und wenn man von der vorgefaßten Meinung ausging, daß Bletry der Mörder der unbekannten Person sei, so wie die Beamten, welche die Haussuchung leiteten, von dieser Meinung ausgingen, so fanden sich allerdings eine Menge von Dingen, die einen einmal bestehenden Verdacht verstärken mußten. Erstlich fand man in Bletry's Zimmer eine Menge von größern und kleinern Blutflecken, die mit [49] großer Sorgfalt vertilgt waren, gleichzeitig durch Waschen und durch Schaben; wie nun aber, nach Mephistopheles, das Blut ein gar besonderer Saft ist, so läßt es sich schwer vertilgen, man konnte wohl über die Blutspuren hinweg sehen, wenn man aber nach Blutspuren suchte, so mußte man sie finden. Unter dem großen Sopha fand man sogar sehr große Blutflecken, die gar nicht aufgewaschen waren, vermuthlich weil man sie durch das Sopha selbst hinlänglich versteckt hielt; ferner fand man Blutflecke in dem Ueberzug des Sopha's und kleine Blutspuren an der ganzen Wand hin über der Rückenlehne.

Entsetzlich, das unglückliche Weib, das, nach dem Urtheil der Aerzte, den Todesstoß stehend empfangen haben und sogleich daran gestorben sein mußte, war auf das Sopha zurückgefallen und sein Blut war in dem ganzen Zimmer umhergespritzt. So mußte Jeder urtheilen, der von Bletry's Thäterschaft von vornherein überzeugt war, so urtheilte man in Mühlhausen. Bei weitern Forschungen entdeckte man an dem Geländer der Treppe, die in das obere Stockwerk führt, den Abdruck einer blutigen Hand, ja einer blutigen Hand, dafür erklärte es die Untersuchungscommission, weil – weil sie Bletry für den Mörder hielt, sonst hätte sie [50] den Fleck schwerlich für den Abdruck einer Hand halten können. Im Keller sollte Bletry, dem Gerücht nach, über Nacht den Leichnam aufbewahrt haben, was war natürlicher, als daß die feine Nase eines Policeiofficianten in einer Ecke eine Stelle fand, die feuchter als ihre Umgebungen war und einen starken Leichengeruch von sich gab.

Nun war die öffentliche Meinung zufrieden gestellt; man hatte eine Person weiblichen Geschlechts in Mühlhausen nach Bletry fragen hören, man hatte sie in sein Haus gehen sehen, man hatte sie in seinem Garten (der übrigens überall offen war) bemerkt, diese Person hatte Bletry's Haus nicht wieder verlassen und einige Tage später fand man den gräßlich verstümmelten Leichnam dieses unglücklichen Wesens in einem Kasten, der in Dornach, der nächsten Eisenbahnstation, ganz in der Nähe des Bletry'schen Hauses, aufgegeben worden war. Ja, Bletry ist der Mörder, die Blutflecken in seinem Zimmer, der Leichengeruch in seinem Keller sind eherne Ankläger.

In demselben Maße, in dem sich dieses Gerücht befestigte, mehrten sich die Indicien und wenige Tage später fand der Eisenbahnbeamte, daß die Frau, die ihm den Kasten übergeben, Niemand anderes sei, als[51] Margarethe Dinicher, Magd der Franziska Lallemand und ein zweiter Beamter, der zwei Frauenzimmer gesehen, erkannte in Franziska Lallemand die Begleiterin der Frau, die den Kasten getragen.

Was wollte man mehr? War Bletry's Thäterschaft nunmehr nicht bewiesen? In den Augen der Menge war sie bewiesen, aber vor dem Gesetz, glücklicher Weise, noch nicht. Es war natürlich, daß die Untersuchung unter der Einwirkung des Vorurtheils gegen Bletry geführt wurde, alle Aussagen standen unter der Einwirkung, ja unter der despotischen Herrschaft dieses Vorurtheils.

Vergebens suchten Bletry und seine Freundin einAlibi zu beweisen, sie waren nämlich an dem Tage, an welchem die Kiste in Dornach aufgegeben war, nach Basel gefahren. Sie riefen Zeugen auf, aber Keiner derselben konnte oder wollte die Stunde ihrer Abreise bestimmt angeben, das herrschende Vorurtheil hatte sich aller Köpfe bemächtigt. Margaretha Dinicher, eine derbe, offene, etwas beschränkte Person, betheuerte, gleich allen Uebrigen, ihre Unschuld; kurz nach und kurz vor der Zeit, in der sie die Kiste nach Dornach gebracht haben sollte, war sie in Bletry's Hause bestimmt gesehen worden, nach Aussage der Eisenbahnbeamten [52] aber war sie mit dem Zuge abgegangen. Wie vereinigte man das? »Sie ist auf der einen Seite eingestiegen in den Waggon und auf der andern herausgesprungen,« sagte man. Obgleich nun auf der andern Seite kein Perron war, obgleich es, namentlich für eine Frau, beinahe unmöglich war heraus zu springen, so bezeugten die Eisenbahnbeamten doch, es sei, wenn auch schwierig, so doch möglich. Sie ließen dabei außer Acht, daß sie alle mit Blindheit hätten geschlagen sein müssen, wenn das am hellen Tage, in ihrem Beisein, unbemerkt hätte geschehen können.

Von dem Blut und dem Leichengeruch wußten die beiden männlichen Angeklagten nichts, die beiden weiblichen aber erklärten es auf eine Weise, die zu natürlich war, als daß sie hätte Glauben finden können bei der Stimmung der Menge, die durchaus in Bletry einen Mörder und in seinen Hausgenossen Mordgenossen sehen wollte. Um Himmelfahrt nämlich war die Schwester der Franziska Lallemand zum Besuche im Bletry'schen Hause gewesen, ein unangenehmer, aber natürlicher, weiblicher Zustand trat bei ihr, mit heftigen Zahnschmerzen verbunden, ein; Margaretha Dinicher rieth dem jungen Mädchen, Blutegel an das Zahnfleich zu legen, es geschah, es half, Alles hatte seinen natürlichen [53] Verlauf, aber nicht nur Sopha und Fußboden waren mit Blut befleckt, Franziska's Schwester spritzte auch das Blut aus dem Zahnfleisch durch die Zähne an die Wand.

Sehr natürlich wird man es finden, daß ein junges Mädchen, das in einem fremden, wenn auch befreundeten, Hause zum Besuch ist, alles mögliche anwendet, um die blutigen Zeugen eines Zustandes zu entfernen, den jedes weibliche Wesen schmahaft verbirgt. Margaretha Dinicher half dem jungen Mädchen gutmüthig das Blut aufwaschen und lachte, wie sie erzählte, recht herzlich, als Franziska's Schwester auch die letzten Spuren mit einem Glasscherben zu vertilgen trachtete. Das Blut dagegen, welches das junge Mädchen aus den Zähnen an die Wand gespritzt hatte, konnte man, ohne die Tapete zu zerreißen, nicht entfernen, überdem, wozu auch? Bletry bemerkte es vielleicht nicht und dann war es ja eine Folge der Blutegel und das junge Mädchen hatte hier nicht Ursache, sich zu schämen.

Bletry wußte davon nichts.

Kein Mensch glaubte an diese natürliche Erklärung, obgleich der Apotheker selbst das Holen der Blutegel für Bletry's Rechnung bezeugte.

[54] Man hatte aber auch noch andre Argumente gegen Bletry in Bereitschaft. Seine Vermögensumstände waren nämlich sehr zerrüttet, er hatte notorisch bedeutende Schulden und kurz vor dem präsumirten Morde war er in der ängstlichsten Geldverlegenheit, während kurz nachher eine Art von Wohlstand in seinem Hauswesen sichtbar wurde. Er erklärte diese Thatsache sehr einfach durch einen Vorschuß, den ihm seine Freundin Franziska Lallemand gemacht, die noch ein Capital besessen, von dem er nichts gewußt – man maß dieser Angabe öffentlich wenig Glauben bei, zumal da sich gerade ein neues sehr schweres Indicium fand. Man hatte in Erfahrung gebracht, daß einige alte Wäsche, die Bletry von einer Tante ererbt hatte, mit A. D. gezeichnet sei, gerade wie das alte Hemde, mit dem der unbekannte Leichnam bekleidet gewesen und dann erklärte eine Schwester desjenigen Erziehungshauses, in welchem Franziska Lallemand erzogen worden war, die Kiste, in der man den unbekannten Leichnam gefunden, habe der Franziska, während ihres Aufenthaltes im Erziehungshause, zugehört. Bletry erschrak, als man ihm das Hemd vorhielt, aber meinte nach wenigem Besinnen, daß nicht er allein mit A. D. bezeichnete Wäsche habe. Franziska Lallemand leugnete [55] je im Besitz der fraglichen Kiste gewesen zu sein. Was half ihnen das der Menge gegenüber? Die öffentliche Stimme hatte sie bereits verdammt.

Plötzlich änderte sich die öffentliche Meinung, sie theilte sich, nicht in Bezug auf die Schuld der Angeklagten, diese stand fest, sondern in Ansehung des Opfers; der auf der Eisenbahn gefundene Leichnam war kein unbekannter mehr, sondern ein bekannter, es war der Leichnam der vorigen Dienstmagd Bletry's, der Adele Bulart, nicht der Habsucht, nein, der Rachsucht Bletry's war ein Opfer gefallen.

Der alte Strohhut, der über die abgehauenen Füße der Ermordeten gedeckt gefunden, gehörte unbezweifelt der ehemaligen Dienstmagd Bletry's. Kaum war das bekannt, so erkannten mehrere Personen den ganz verwes'ten Kopf als den der Adele Bulart, früher, da das Gesicht noch kenntlicher gewesen, hatte es niemand erkannt, das Gerücht wirkte Wunder. Nun war also entweder die Frau mit der goldenen Kette, die nach Bletry gefragt haben und die er ermordet haben sollte, eine Fiction, oder der Leichnam war nicht der der Adele Bulart.

Die Sache schien sich immer mehr zu verwickeln, die Untersuchung brachte statt Aufklärungen nur neue [56] und immer seltsamere Räthsel zum Vorschein. Niemand wußte einen Ausweg aus diesem Labyrinth.

Bletry behauptete, Adele Bulart sei in ihre Heimath zurückgekehrt, da er aber leider nicht wußte, wo diese Heimath sei, so mußte man sich begnügen, einen öffentlichen Aufruf an das Mädchen in alle möglichen Zeitungen einzurücken. Der Erfolg dieses Aufrufs konnte kein augenblicklicher sein, Bletry und seine Unglücksgenossen blieben gefangen und in der öffentlichen Meinung – Mörder.

Einige Zeit nachdem der Aufruf an Adele Bulart in französischen und deutschen Zeitungen erschienen war, sah man eine elegante Postchaise in das Dörfchen Sorante, Departement Côte d'or, rollen. Ein Postzug von vier Pferden trabte vor dem leichten Fuhrwerk, an dessen Schlägen ein gekröntes Wappen blitzte, unter dessen rothen Rädern der Staub aufwirbelte. Der Postllion, der auf dem Sattelpferd saß, klatschte und unter dem lauten Halloh der müßigen Jugend hielt die Chaise endlich vor der, eben nicht sehr einladend aussehenden, Schenke. Der Wirth sprang herbei, um den Schlag zu öffnen, wurde aber von einem riesengroßen, reichgallonirten Jäger, der auf dem Bock gesessen, zurückgestoßen. Als dieser[57] Jäger den Schlag geöffnet hatte, erhob sich von dem Rücksitze ein junger Mann aus seiner halbliegenden Stellung, warf seinen Mantel zurück und befahl dem Wirth näher zu treten.

Mit einiger Verwunderung starrte der alte, ehrliche Mann, der Soldat gewesen unter dem großen Kaiser, in ein blasses, feines Gesicht, in dem ein paar schwarze Augen schier unheimlich funkelten.

»Heißen Sie Bulart?« fragte der fremde Herr im reinsten Salonfranzösisch.

»Etienne Bulart, ehemals Soldat, hundert und viertes Regiment, verwundet bei Ligny!« entgegnete der alte Mann, sich militärisch aufrichtend.

»Gut, mein Braver, Sie haben eine Tochter?«

»Vier Töchter, mein Herr, und vier Söhne!«

»Eine Ihrer Töchter heißt Adele?«

»Adele Napoléone, nach ihrer Mutter und dem großen Kaiser!« erwiederte der Soldat, seine Hand salutirend an die Stirn legend.

»Adele Bulart, ihre Tochter, ist gegenwärtig bei Ihnen, mein Braver?«

»Ja, mein Herr!«

[58] »Sie würden mich sehr verbinden, wenn Sie mir erlaubten einige Worte mit Ihrer Tochter zu sprechen, bringen Sie dem Postillon und meinem Jäger eine Flasche Wein!«

»Sehr wohl, ich werde mit meiner Tochter und dem Wein sogleich wieder hier sein!«

Nach einigen Minuten stand der alte Soldat mit der Flasche bei dem Postillon und dem Jäger, Adele Bulart aber am Wagen vor dem jungen Herrn.

»Grand dieu!« rief Adele im Nähertreten, »ich sah es Ihnen schon damals an, mein Herr, daß Sie etwas sehr vornehmes sein müßten, als Sie den ...«

Der junge Mann zuckte, unangenehm berührt, zusammen und sagte hastig: »Schweigen Sie, meine Gute, ich denke wir kennen uns: haben Sie nicht in vorvoriger Woche ein Zeitungsblatt erhalten?«

»Ja, mit der Post, aber –«

»Was stand darin?«

»Der gute Pfarrer hat mir gesagt, denn ich selbst kann nicht lesen, man habe meinen ehemaligen Herrn, Bletry, in Mühlhausen eingesperrt und wolle ihm den Prozeß machen, weil er mich ermordet habe.«

[59] Das Mädchen lachte unwillkührlich bei dem Gedanken, daß sie in Mühlhausen ermordet sein solle, während sie gesund in Sorante stand. Auch über das bleiche Antlitz des jungen Mannes zog eine Art von Lächeln.

»Haben Sie etwas in dieser Sache gethan, mein Kind?«

»Wie? ja, der gute Pfarrer hat nach Mühlhausen geschrieben, daß ich gesund hier bei meinem Vater sei, also unmöglich von Bletry ermordet sein könne, aber am Sonntag hat man ihm geantwortet, das sei nicht möglich, er irre sich, die ermordete Adele Bulart und ich würden wohl zwei verschiedene Personen sein.«

Man sieht, wie hartnäckig das Vorurtheil trotzte.

»Meine Gute, werden Sie nun nicht nach Mühlhausen gehn und ihren ehemaligen Herrn durch Ihre Erscheinung von dem furchtbaren Verdachte, der auf ihm lastet, befreien?«

»Der gute Pfarrer rieth mir dasselbe, mein Herr,« entgegnete Adele »und gewiß würde ich es thun, obgleich Herr Bletry niemals mein Freund war, aber sagen Sie selbst, wie kann ich ohne Geld nach Mühlhausen reisen, mein Vater ist arm, ich bin arm, wir sind hier alle arm in unserm Dorfe.«

[60] »Sie haben Recht, Adele, ich werde Ihnen das Geld zur Reise geben, Sie werden nach Mühlhausen fahren mit einem Certificat ihres Pfarrers, dort aber werden Sie weiter nichts thun, als durch Ihre persönliche Erscheinung Ihr Leben beweisen, das genügt um Bletry zu retten, hier find hundert Louis, Sie versprechen mir aber in Mühlhausen nichts zu sagen von meinen Besuchen,« der junge Mann betonte die Mehrheit, »daß sie von dem Kauf der – nun Sie wissen wohl, was ich meine, schweigen müssen, Ihrer eigenen Sicherheit wegen, das werden Sie einsehen?«

»Ich verstehe Sie, mein Herr,« erwiederte Adele und nahm mit einem tiefen Knicks eine schwere Geldrolle aus der Hand des jungen Mannes, der nun dem alten Soldaten seinen Wein bezahlte, sich in seinen Mantel wickelte und nachlässig seine frühere Stellung wieder einnahm. Der Schlag wurde geschlossen, der Jäger bestieg den Bock, der Postillon sein Pferd, »leben Sie wohl Adele, ich verlasse mich ganz auf Sie!« rief der Fremde noch einmal hastig. »Sie können es, mein Herr!« lautete Adelens Antwort; die Rosse zogen an, die Peitsche flog und bald bezeichneten wirbelnde Staubwolken allein noch den Weg, den der Wagen des Fremden genommen.

[61] An diesem Tage landete Don Juan von Aurinia zu Hamburg, er nahm Abschied vom alten Capitain Förster und seiner Brigantine und bezog mit Incarnacion und dem »doppelten Kopf« ein Hôtel am Jungfernstieg, das sein Correspondent bereit gehalten für ihn.

[62]
3. Im Hôtel de Bavière zu Leipzig
III. Im Hôtel de Bavière zu Leipzig.
[63][65]

»Faust? Doctor Faust?« fragte der dicke Commerzienrath von Goldstein, »höchst verwundert eine sehr einfache Karte zwischen seinen beringten Fingern haltend, Doctor Johann Faust, ich bin nicht krank, Georges, ich bin niemals krank, ich brauche keinen Doctor, es ist abscheulich mich für krank zu halten,« und das volle, burgunderrothe Gesicht des königlich preußischen Commerzienrathes und Ritters des rothen Adlerordens vierter Classe glühte vor Unwillen.

»Verzeihen Sie, Herr Commerzienrath,« entgegnete der schlanke Georges mit dem mühsam gebürsteten Touppée, der schöne Georges, der sich schmeichelte Oberkellner im Hôtel de Bavière zu sein, wie er sich auszudrücken pflegte; »verzeihen Sie, Herr Commerzienrath, der Herr Doctor sind kein Krankendoctor, sondern ein Schriftsteller.«

»Ein Schriftsteller!« schrie Herr von Goldstein und knöpfte ängstlich seinen superfeinen, braunen [65] Ueberrock zu, »mein Gott, er will gewiß Geld von mir borgen? Vor drei Jahren in Berlin borgte mir auch ein Schriftsteller zehn Louisd'or ab, noch heute habe ich sie nicht wieder!«

»Bedaure sehr, Herr Commerzienrath,« erklärte Georges mit hinreißendem Lächeln, »aber der Herr Doctor Faust wird nicht bei Ihnen borgen, denn er ist bei Cammerrath Frege accreditirt und war neulich sogar daselbst zum Souper!« »Das wäre, i, nicht möglich,« brummte Herr von Goldstein und spielte mit dem rothen Adlerorden im Knopfloch.

»Was befehlen Sie, das ich dem Herrn Doctor sagen soll?« drängte Georges mit gracieuser Eile und wedelte mit der Serviette.

»Nun, was werden Sie sagen sollen? Georges, daß ich den Herrn Doctor erwarte, daß ich mich nach der Ehre sehne mit ihm bekannt zu werden!« antwortete der kleine, dicke Commerzienrath und setzte sich gravitätisch in einen Lehnstuhl.

Georges verschwand mit geisterhafter Geschwindigkeit.

»Was kann ein Schriftsteller von mir wollen?« murmelte der reiche, westphälische Fabrikherr, der in[66] Geschäften nach Leipzig gekommen war, und sah mit einiger Ungeduld dem angemeldeten Besuche entgegen. Er brauchte nicht lange zu warten, die Thür öffnete sich und Georges Stimme rief: »Herr Doctor Faust!« Der Commerzienrath erhob sich etwas schwerfällig und und stand vor einem langgewachsenen, schmächtigen, jungen Manne, dessen sanfte, einnehmende Züge Nachdenken und Ernst verriethen, dessen blaue Augen hell und durchdringend auf dem Fabrikherrn ruhten, dessen Lippen in frischem Roth prangten zwischen dem dichten, weichen, blonden Schnurrbart und der obern Reihe blendend weißen Zähne. Der Doctor Johann Faust trug sein schlichtes, dunkelblondes Haar kurz verschnitten, hatte in dem obersten Knopfloch seines braunen Leibrocks kein Ordensband, sondern eine Maiblume, seine Lorgnette hing an einem feinen Goldkettchen und die mit Glacéehandschuhen bedeckten Hände hielten einen eleganten Hut.

Doctor Faust verneigte sich anständig vor dem Commerzienrath und dieser, die Verneigung leicht erwiedernd, fragte kurz; »Was wünschen Sie von mir, Herr Doctor?« Der reiche Fabrikherr glaubte bei einem jungen Schriftsteller der Complimente eben nicht nöthig zu haben, er beging die Ungezogenheit seinen [67] Besuch nicht zum Sitzen einzuladen, während er doch selbst ruhig auf seinem Lehnstuhl wieder Platz nahm.

Doctor Faust gerieth durch diese Ungezogenheit des Geldmenschen keineswegs in Verwirrung, er legte seinen Hut ab, zog ruhig einen Stuhl an den Tisch, vor dem der Plutokrat saß, setzte sich nieder und sagte ganz gelassen und mit freundlichem Gesicht: »Da ich Ihnen so mancherlei zu sagen habe, mein Herr, so werden Sie mir erlauben mich zu setzen!«

»Herr!« rief der Commerzienrath in vollster Verwirrung, »Herr, ich bin der königlich preußische Commerzienrath von Goldstein, auch Ritter des rothen Adlerordens ...«

»Vierter Classe,« setzte Doctor Faust mit leichtem Spott hinzu, »ich habe die Ehre das bereits zu wissen, ich komme, um mit Ihnen in Geschäften zu reden.«

»In Geschäften?« stammelte der reiche Mann halb außer sich, denn nichts konnte ihn mehr ärgern, als wenn man seinen Titel und seinen theuer erkauften Adelsbrief ignorirte.

»Ja, in Geschäften!« fuhr Doctor Faust, der den Aerger des Commerzienrathes gar nicht zu bemerken schien, unbefangen fort; »ich bereis'te vor Kurzem[68] Westphalen und lernte eine bedeutende Anzahl der unglücklichen Menschen kennen, die für Sie arbeiten, die sich zu Tode arbeiten für Sie, mein Herr!«

»Nun, was soll das? was wollen Sie damit sagen?« polterte der Commerzienrath, hochroth vor Zorn.

»Mein Herr,« sprach Faust ganz gelassen, »es ist ein ganz abscheuliches, immoralisches und ungesetzliches System, das Sie bei Bezahlung Ihrer Arbeiter befolgen –«

»Sie beleidigen mich, ich rufe Hülfe, was geht Sie mein System und meine Arbeiter an?« tobte der Fabrikherr.

Doctor Faust lächelte auf eine seltsame Weise, dann warf er einen so durchdringenden Blick auf den reichen Mann, daß dieser die Augen niederschlug und sagte gelassen: »Mein Herr, ich eile zu Hülfe, wenn ich sehe, daß ein Mörder im Begriff ist einen Wehrlosen zu überfallen, soll ich ruhig zusehen, wenn ich einen Mann hunderte von Wehrlosen, ganze Familien mitleidlos zertreten, vernichten, leiblich und geistig morden sehe?«

»Was wollen Sie mit dieser Vergleichung?« fragte Herr von Goldstein mit einem komisch-ängstlichen Gesichte. [69] Der reiche Mann war nicht mehr zornig, die Sprache, das Wesen Faust's imponirten ihm.

»Sie, mein Herr,« entgegnete Faust kurz, »Sie sind der Mörder und Ihre armen Fabrikarbeiter sind die unglücklichen Opfer Ihrer Geldsucht, Ihrer Eigensucht, Ihrer Eitelkeit!«

»Mein Herr!« rief der Commerzienrath beinahe bittend.

»Ja, Ihrer Eitelkeit, Ihrer lächerlichen Eitelkeit!« fuhr Doctor Faust immer wärmer werdend fort, »Sie haben sich ein lächerliches Adelsdiplom gekauft, womit? mit den Schweiß- und den Blutstropfen Ihrer elenden Fabrikarbeiter, mit den Kummerthränen von Wittwen und Kindern; Sie tragen einen Orden; Ihr König hat Ihnen denselben für die Dauerbarkeit und Schönheit Ihrer Fabrikate verliehen – wem verdanken Sie den Orden, auf den Ihre Eitelkeit ein solches Gewicht legt? Ihren Arbeitern, denselben Arbeitern, denen Sie nicht einmal den erbärmlichen Lohn zahlen, für den sie sich Ihnen verkauft haben – was sagen Sie dazu?«

»Mein Herr!« rief der Commerzienrath in tödtlicher Angst, »ich bezahle meine Arbeiter, wer giebt Ihnen ein Recht so mit mir zu sprechen?«

[70] »Mein Recht?« erwiederte Doctor Faust stolz, »mein Recht ist von Gottes Gnaden, die Menschheit bevollmächtigt mich zu dieser Sprache.«

»Alle Achtung vor diesem Constituenten, aber –« stammelte der reiche Mann, der in der Verlegenheit witzig wurde.

»Sie lügen, Sie lügen übrigens ganz unverschämt, wenn Sie sagen, daß Sie Ihre Arbeiter bezahlen –«

»Mein Herr, Sie sagen mir Injurien, mir –«

»Und Sie der Menschheit, sehen Sie hier,« der Doctor zog eine Brieftasche hervor, nahm einen Bogen heraus, entfaltete ihn und las: »Der Arbeiter F. G., Vater von sechs Kindern, verdiente durch seinen beinahe übermenschlichen Fleiß im vorigen Jahre hundert und zehn Thaler, haben Sie dieselben bezahlt?«

Der Commerzienrath antwortete nicht.

»Nein, Sie haben nicht einen Pfennig bezahlt, Sie haben dem armen Manne für hundert und einundzwanzig Thaler Waaren aufgezwungen, Waaren, die er zum größten Theil nicht brauchen konnte, an denen er beim Wiederverkauf gewöhnlich zwei Drittel verlor, oft auch mehr und jetzt haben Sie den treuen, fleißigen Arbeiter, der in einem ganzen Jahre auch [71] keinen Heller von Ihnen erhielt, jetzt haben Sie ihm der eilf Thaler wegen, die er Ihnen scheinbar für die ihm aufgedrungene, schlechte Waare schuldete, sein geringes Hausgeräth pfänden lassen. – Mann, wissen Sie, daß der arme Mensch sich verzweifelt den Tod gegeben hat? Wissen Sie, daß Sie sein Mörder sind? Wissen Sie, daß Sie durch Ihr nichtswürdiges Handeln gegen diesen Mann, eine kranke Frau und sechs Kinder dem Hungertode überliefert haben?«

Dem Commerzienrath standen helle Schweißtropfen auf der Stirn, er sagte nichts und Faust fuhr fort: »Der Arbeiter L. J. wollte heirathen, er hatte nichts, das Mädchen hatte nichts, aber er war ein tüchtiger Arbeiter und das Gesetz ist verständig genug, den unglücklichen Sclaven des Geldwuchers wenigstens die Heirath zu gestatten; die Gesetzgeber haben begriffen, daß es gefährlich sei, das letzte Band zu zerreißen, was die unglücklichen, weißen Sclaven noch an die Menschheit bindet, sie haben begriffen, daß mit einem Verbot der Ehe der letzte, sittliche Halt der Besitzlosen fallen würde. Der Arbeiter L. J. bat Sie um einen Vorschuß zu seiner Einrichtung, Sie versprachen ihm achtzig Thaler, wenn er dafür ein Jahr lang, zehn Stunden täglich, in Ihrer Fabrik arbeiten wolle; was[72] haben Sie gethan? Mensch, Sie haben den Mann, der auf Ihr Versprechen hin heirathete, statt der achtzig Thaler, Tuch, Colonialwaaren, Eau de Cologne, Siegellack, Oblaten und Papier gegeben. War es ein teuflischer Hohn, der Sie antrieb gerade dergleichen Waaren auszusuchen? Wissen Sie, was er dafür bekommen hat? Denn verkaufen mußte er die Waare doch, da er durchaus keinen Gebrauch davon machen konnte, wissen Sie, daß er sechzehn Thaler zwölf Groschen dafür erhielt? Sie wußten es und ließen ihn für sechzehn Thaler zwölf Groschen ein ganzes Jahr lang arbeiten; Sie wußten es und warfen ihm ein Viergroschenstück großprahlerisch hin, als er in Verzweiflung zu Ihren Füßen sank und um Brod bettelte, nicht für sich, nein, für seine Frau und das noch nicht geborne Kind. Mann, haben Sie denn kein Herz? Tragen Sie denn an der Stelle, wo bei andern Menschen ein Herz klopft, tragen Sie denn einen Geldsack in der Brust? Weiter – die Wittwe eines Arbeiters, der vor Entkräftung gestorben war in Ihrem Dienst, trat zu Ihnen und bat Sie höflich um einige Thaler, die ihr verstorbener Mann noch gut hatte, sie brauchte das Geld, sie wollte ihren unglücklichen Gatten damit beerdigen lassen – aber Sie, was thaten Sie? Nun, [73] reden Sie doch! Ich will es Ihnen sagen, der vornehme Mann hatte gerade keine Zeit, oder keine Lust, er wies das arme Weib grollend ab und beschied sie zum nächsten Zahltage wieder. In stummen Schmerz entfernte sich die Wittwe, sie versetzte alle ihre Haabe, um ihren Mann begraben zu können, aber der schmutzige Pfandjude übertraf Sie, Sie, der Sie sich des Adels rühmen, freilich eines papiernen, der Pfandjude gab der armen Arbeiterwittwe das Geld zum Begräbniß ohne Zinsen. Und was weiter? Am nächsten Zahltage, bezahlten Sie da? O wie großartig! Zwanzig Groschen gaben Sie dem armen Weibe und für vier Thaler mußte sie englische Nähnadeln annehmen, die Sie billig angekauft hatten, aber ihr hoch genug anrechneten. Einen Thaler bot man der armen Frau dafür, hören Sie, der schmutzige Pfandjude war noch einmal größer als Sie, er schenkte dem Weibe die geliehenen vier Thaler, denn er nahm ihre Nähnadeln dafür. Giebt Ihnen nicht jede dieser Nähnadeln einen Stich ins Herz? Ach so, Sie haben ja kein Herz! Weiter –«

»Hören Sie auf, Herr, ich kann nicht mehr –« bat der Commerzienrath mit erlöschender Stimme.

»Mensch! hast Du nicht einmal Muth genug um[74] das zu hören, was Du den Muth hattest zu thun?« fragte Faust verächtlich.

»Herr, ich bitte Sie, hören Sie auf, was wollen Sie? Andre machen es eben so –«

»Gott im Himmel, sieh darein!« rief Faust höchst aufgeregt und sein Gesicht glühte in edelm Unwillen. »Mensch bedenke, daß es Menschen sind, die Du zu Tode quälst mit deiner Arbeit, die Du verhungern läßt für Deine Arbeit, die Du betrügst um den magern Hungersold, den Du ihnen versprichst. Nein keine Schonung mehr mit euch hartnäckigen Sündern! Mein Herr, Sie werden ein Capital aussetzen für die Kinder des Mannes, den Sie zum Selbstmörder gemacht haben, Sie werden dem armen L. J. sein Arbeitslohn bezahlen, baar bezahlen, Sie werden von nun an überhaupt das schändliche Trucksystem verlassen und den jämmerlichen Hungerlohn, den Sie Ihren Arbeitern versprechen, baar auszahlen, sie nicht mit Waaren, seien sie nützlich oder nicht, betrügen – haben Sie mich veestanden? Wehe Ihnen, wenn Sie es nicht thun; Sie sehen, ich bin gut unterrichtet.«

»Herr Doctor,« entgegnete der Commerzienrath, der sich indeß wieder etwas gesammelt hatte, »zwingen [75] lasse ich mich nicht, ich verachte Ihre Drohungen, das Gesetz wird mich schützen –«

»Provocire nur auf Dein armes Gesetz, Mensch Du, ich werde Dich zwingen meinen Willen zu thun, wisse, daß ich eine Macht für mich habe, die mächtiger als Dein Gesetz ist, die Oeffentlichkeit; wisse, daß ich Dir drei Tage Bedenkzeit gebe – hast Du nach drei Tagen nicht schriftlich erklärt, meinen Willen thun zu wollen, so brandmarke ich Deinen Namen vor ganz Deutschland, indem ich Dein Thun und Treiben in Zeitungsartikeln, in Büchern, in zahllosen Brochüren enthülle, oder durch meine Freunde enthüllen lasse. Ich klage Dich an vor dem Richterstuhl der Menschheit, öffentlich ohne Scheu und daß Du verdammt werden wirst, daß Du schon verdammt bist, das weißt Du. Man wird Dir Deinen papiernen Adel nehmen, auf den Du so eitel bist, denn der Adel duldet, und mit Recht, keinen offenkundigen Schuft in seinen, im Zeitensturm wankenden, Reihen, Schande über den Bürger, daß er einem solchen Verbrecher nicht auch seinen bürgerlichen Namen nimmt 1 – das Ehrenzeichen [76] wird man Dir abreißen, denn der König, der es Dir gegeben, ist zu menschlich, als daß er seinen Orden einem solchen Unmenschen lassen sollte – Du wirst nichts behalten als den Fluch der Menschheit, Dein Geld und die ewige Verdammniß!«

Faust hatte sich erhitzt, er nahm seinen Hut und ging ohne zu grüßen hinaus. Verzweiflungsvoll, die Hände ineinander gepreßt, lag der Commerzienrath in seinem Stuhl.

»Werden der Herr Commerzienrath auf dem Zimmer speisen, oder unten im Saal?« fragte Georges zur Thür herein.

»Ich, ich komme hinunter, Georges!« stammelte der reiche Fabrikherr und stand auf.

Ungefähr eine halbe Stunde nach der eben geschilderten Scene hörte man das dumpfe Rollen eines Wagens auf dem Holzpflaster des Flurganges, die Klingel des Portiers wurde heftig gezogen und von allen Seiten eilte die Dienerschaft des Hôtels herbei, um dem Reisenden aus dem Wagen zu helfen. Die Berline [77] war schwer bepackt und mit vier Postpferden bespannt, ein reich gekleideter Neger saß mit einer weißen, schon ältlichen Dienerin, auf dem Bock.

Der schöne Georges half zuerst einer verschleierten Dame, dann aber einem stattlichen, alten Herrn in Civil aus dem Wagen und führte beide nach den Zimmern, die schon Tags vorher für sie bestellt worden waren.

»Ist der Doctor, Herr Faust, schon hier, oder sind Zimmer für ihn bestellt?« fragte Don Juan von Aurinia, denn dieser ist der Ankommende, den Oberkellner.

»Der Herr Doctor sind schon seit voriger Woche hier;« antwortete Georges mit tiefer Verneigung und öffnete die Thür des Zimmers.

»So lassen Sie ihm wissen, daß der General Aurinia angekommen ist und senden Sie mir meinen schwarzen Diener herauf.«

»Zu Befehl, Excellenz!« entgegnete Georges verschwindend.

»Wie heißt diese Stadt, Senhor?« fragte Incarnacion, indem sie den Hut von sich warf und in einem dunkeln, seidenen Reiseüberrock mit weißem Spitzenkragen [78] stand sie vor Don Juan, der ein leises Lächeln nicht zu unterdrücken vermochte.

In der That, Incarnacion bot einen ganz eigenthümlichen, seltsamen, wenn auch keineswegs unschönen, Anblick in europäischer Kleidung; sie war ihr nicht natürlich diese Kleidung, man sah, daß sich das Kind der Sonne und der Freiheit belästigt fühlte durch die langen Gewänder, aber sie trug diese Fesseln mit einer so unnachahmlichen Grazie der Verlegenheit, daß ihr Anblick höchst pikant wurde.

»Diese Stadt heißt Leipzig, meine Blume!« antwortete Don Juan lächelnd und bat sie, der ältlichen Duenna zu folgen, die er in Hamburg für sie angenommen. Diese Dame trat soeben mit dem »doppelten Kopf« ein, den sie mit einer Unzahl von Schachteln und Beuteln beladen hatte.

»Geh mit der Duenna mein Kind!« bat Don Juan, »mache ein wenig Toilette und komm dann wieder zu mir.«

Incarnacion trat mit ihrer Dienerin in ein, für sie bestimmtes Nebenzimmer und der »doppelte Kopf« entfernte sich, um bald nachher mit den Koffer tragenden [79] Genien des Hôtels, den Hausknechten, wieder zu erscheinen.

Don Juan ließ seine Zimmer nach seiner Bequemlichkeit einrichten und gab eben seine letzten Befehle als die Thür hastig geöffnet wurde und Doctor Faust eilig eintrat.

»Willkommen, willkommen in Europa, Don Juan!« rief der junge Mann freudig und eilte in Don Juan's Arme, der ihn herzlich an seine Brust drückte.

»Bin ich Dir willkommen, wirklich, Faust?« fragte Don Juan mit unverhehlter Rührung.

»Willkommen, gewiß, noch viel willkommener als das letzte Mal, ich habe sehnlichst Deiner Ankunft geharrt.«

»Glaubtest wohl schon, ich käme nicht, he!«

»Nein, Don Juan, ich weiß, daß Du stets Dein Wort hältst, aber ich weiß auch, daß Du immer etwas später kommst, wenn Du den Süden verläßt, das letzte Mal warst Du mehr als pünktlich hier, weil Du kein amerikanisches Wunderland, sondern Rußland zu verlassen hattest.«

»Ja, ich weiß,« antwortete Don Juan trüb lächelnd, »der Mann, der zu gut war, um groß sein zu können, Alexander Paulowitsch, lebte noch.«

[80] »Sind wir hier allein, Don Juan?« fragte Faust sich umsehend.

»Mein Neger versteht nicht deutsch, aber komm hier herein.«

Don Juan zog den Doctor in ein Nebenzimmer, schloß die Thür hinter sich und setzte sich mit Faust auf einen Sopha, dann sagte er: »Nun das Wichtigste zuerst, lieber Freund, was ist geschehen seit Deiner letzten Botschaft, die ich am Amazonenstrom erhielt?«

Faust sah sinnend eine Weile in Don Juan's Antlitz, dann antwortete er: »Ich weiß, meine Nachrichten werden Dich nicht heiter stimmen, aber Du bist seit Jahrhunderten auf sie vorbereitet, so wie Dir Frankreich verloren ging in dem Sturme, der das letzte Jahrhundert zu Grabe sang, so ist Dir nun auch Portugal verloren und auch Dein Spanien –«

»Wie? ohne Hoffnung?«

»Ja, Don Juan, Preußen und Oestreich sind bereit die constitutionelle Königin anzuerkennen, sie zögern nur, weil sie im Concert mit Rußland handeln wollen, was sich bisher noch weigert.«

[81] Don Juan kreuzte die Arme und fragte dann ruhig: »Und die Art der Bewegung?«

»Ist in beiden Staaten französisch –«

»Also keine Hoffnung! Fahrt hin ihr Ritter und ihr Heiligen, die ihr der Welt einst Gebote gabt!« rief Don Juan mit tiefer Wehmuth.

»Don Juan, lieber Freund, wollt Ihr denn in Ewigkeit der alte Träumer bleiben, lehrt Euch denn die Geschichte nicht endlich, daß die hierarchisch-aristocratischen Institutionen nur ein Mittel-, aber nicht das Endglied der Kette sind.«

»Laßt mich, Faust, wir haben so oft disputirt über dieses Thema gerade, wir können es nicht mehr variiren, aber soll ich nicht traurig sein, wenn ich das untergehen sehe, was ein Theil meines Wesens ist?«

»Nein, Don Juan, Ihr dürft trauern bei dem Untergange einer mächtigen, riesenhaften Institution, Ihr dürft klagen bei dem Tode dessen, was Ihr geliebt, aber Ihr sollt den Leichnam nicht unbegraben liegen lassen, sondern Ihr sollt ihn beerdigen und Euch dann freuen über das neue Leben, das lustig aufblüht auf dem Grabe des alten. Deine Monarchie [82] von Gottes Gnaden, edler Freund, mit ihren Rittern und Heiligen, war schön und herrlich als – als sie jung und lebensvoll war, jetzt ruht sie, da, wo man sie noch nicht begraben hat, todesröchelnd auf dem Siechbett.«

»Wenn dem so ist, Faust, so ist meine Mission beendet.«

»Das ist sie nicht, Don Juan, die Völker Europa's sind Männer geworden, zum Theil wenigstens, es giebt aber außer Europa noch viele Völker, die Kinder sind; laß Dich nicht täuschen, ein Volk, ein Staat, kann keine Sprünge machen. Deine amerikanischen Staaten z.B. können jetzt noch weder Republiken, noch constitutionelle Monarchien sein. Sie müssen sich erst beugen lernen unter die schwere Hand der hierarchisch-aristocratischen Form, ehe sie das nicht thun, werden sie nicht frei, wenn sie es niemals thun, werden sie niemals frei. Zum Republikaner gehört ein antikes Selbst- und Weltbewußtsein, was unmöglich ist, unsere Civilisation vernichtet es; zum constitutionellen Staat aber führt kein Sprung, sondern der einzige Weg dazu geht durch die aristocratisch-hierarchi sche Monarchie. Das ist Deine Aufgabe, Freund, Du und die Deinigen, Ihr sollt die kindischen Völker [83] zu Jünglingen machen, jetzt wollen die Kinder Männer sein, sie vermögen es aber nicht. Sieh! Rußland sollte, nach Peters Riesenwillen, die Kinderschuhe ausziehen und ein Mann werden über Nacht – es ist anders gekommen, Rußland wurde um seine Jugend betrogen und mit ihr um seine Mannheit, Rußland ist ein ungeheures, entnervtes Scheinwesen, auf dem Schein allein beruht seine Macht, der große eherne Koloß hat thönerne Füße und einen hohlen Kopf, er wird zusammenbrechen und verschwinden ganz von selbst, ohne fremdes Zuthun. Rußlands Geschichte giebt eine große politische Lehre. Deine Mission ist nicht erfüllt, Freund, erziehe die Völker zu Jünglingen, das ist Deine schöne und große Aufgabe!«

»Gut,« erwiederte Don Juan ernst, »aber warum warest Du so dringend? warum mußte ich meine Ankunft so beschleunigen?«

»Theurer Freund, es droht uns eine große Gefahr, alle Früchte unseres beiderseitigen Strebens stehen auf dem Spiel, Du hast die Völker umsonst zu Jünglingen erzogen, ich habe mich umsonst bemüht, sie der Freiheit würdig zu machen, sie stehen jetzt an einer gefährlichen Klippe, es ist zu fürchten, daß sie[84] Sclaven werden, Sclaven des fürchterlichsten Tyrannen, des Geldes.«

»Ha, meine Ahnung!« murmelte Don Juan.

In diesem Augenblick öffnete sich die Thür und Incarnacion stand in einer eleganten, europäischen Kleidung auf der Schwelle. Faust erhob sich.

»Meine Freundin Incarnacion, mein Freund Faust!« sprach Don Juan spanisch.

»O wie ist er schön!« lispelte Incarnacion und ihre funkelnden Augen hefteten sich auf Faust.

Die beiden Männer lächelten und Faust ergriff Incarnacion's Hand, um sie nach dem Sopha zu führen; das schöne Mädchen aber schlang ihren Arm um Faust's Nacken, zog seinen Kopf sanft nieder und drückte einen glühenden Kuß auf die frischen Lippen des Deutschen. Don Juan lachte laut.

»Was lacht Ihr, Senhor,« fragte die Schöne, »soll ich ihn nicht küssen, da er so helle Augen und so rothe Lippen hat?«

»Senhora,« sprach Faust sanft, »ich danke Euch für Euern herzlichen Kuß, aber in Deutschland ist es[85] nicht Sitte, daß man jeden Mann küßt, der rothe Lippen hat!«

»Nicht?« fragte Incarnacion naiv, »ich glaubte es sei wie bei uns, dort küßt man Alles, was schön ist!«

»Nun, warum hast Du denn niemals meinen alten, würdigen Freund Don José geküßt,« fragte Don Juan lachend.

»O, weil er alt ist und häßlich!«

»Ich bin doch auch alt, meine Blume?«

»Du bist nicht alt und nicht jung, Du bist ewig, wie die Sonne!« rief Incarnacion und zärtlich lehnte sie ihr braunes Antlitz an Don Juan's Schulter.

»Was willst Du Freund,« fragte Faust deutsch, »mit dieser prächtigen exotischen Wunderblume in Europa, in Deutschland? Willst Du sie für Geld sehen, verwelken lassen in den unzüchtigen Blicken unserer dreißigjährigen Greise?«

»Redet weiter, Senhor!« bat Incarnacion mit geschlossenen Augen.

»Warum, meine Blume, verstehst Du, was unser Freund sagt?« fragte Don Juan.

[86] »O nein, ich verstehe nichts, aber die vollen, kräftigen Töne der Sprache dieses Landes, sie dringen an mein Herz, wie das laute Rauschen des Maranhon, es träumt sich so schön dabei.«

»Sie ist ganz Blume, ganz Gedicht, Faust; es lag nicht in meiner Absicht sie herüber zu führen in das alte, kluge Europa, aber mit der eigensinnigen List der Liebe setzte sie es durch, sie war in einem Korbe Orangen versteckt und kam erst zum Vorschein, als an ein Zurückschicken nicht mehr zu denken war.«

Doctor Faust warf einen ausdrucksvollen Blick auf das Mädchen, das zu schlafen schien.

»Reden wir weiter Don Juan, was meinst Du, welche Macht stellen wir dem Gelde entgegen, damit der constitutionelle Staat nicht eine Gelddespotie werde, eine Despotie, in welcher der Reiche schwelgt und der Arme verhungert?«

»Gewalt!« entgegnete Don Juan nach kurzem Besinnen, »laß die hungernden Massen los gegen die Geldtirannen, laß sie sich nehmen, was sie gar nicht und jene im Ueberfluß haben. Ihr constitutionellen Menschen habt ja nicht gezaudert die hungernde Menge loszulassen gegen uns Edelleute –«

[87] »Still, still, Don Juan,« rief Faust, »wir haben gezögert Jahrhunderte lang, aber Ihr war't versteint in Euren Institutionen, wir mußten jeden Stein derselben lockern und dann das alte, stolze Gebäude noch mit Gewalt zertrümmern. Euere Adelsgewalt, Freund, war eine wirkliche, reale Gewalt und bei ihr hieß es: Gewalt gegen Gewalt, aber hier, die Macht des Geldes, ist nur eine scheinbare und eben darum so gefährliche und schwer angreifbare, ich weiß nur einen Weg das Geld zu besiegen, nur eine Kraft, die das Geld von seinem Herrscherthron herabzuwerfen vermag und diese Kraft ist der Geist

»Der Geist?« fragte Don Juan zweifelnd.

»Ja, der Geist, Freund, es muß sich eine geistige Macht erheben, diese muß die Macht des Geldes beherrschen, muß nicht dulden, daß die Besitzlosen als Rechtlose behandelt werden, muß den Staat zwingen den Lohn nach der Arbeit zu bestimmen, das heißt, Lohn und Arbeit in ein gerechtes Verhältniß zu setzen.«

»Träume, Freund, Communismus!«

»Nein nicht Träume und nicht Communismus, es ist ein Unsinn eine Gleichheit der Güter zu erstreben im Staat, es ist ein Unsinn, ein verdammlicher Unsinn, [88] er zerreißt das Staatenleben gleichermaßen wie das Staatsleben, er wirft die Altäre nieder und vernichtet die Familie, er macht den Menschen, im besten Falle, zu einer großen Arbeitsbiene mit zwei Füßen. Nein, nicht Communismus, aber Humanismus, um auf deutsche Weise ein deutsches Streben mit einem fremden Worte zu bezeichnen. Höre mir zu, Freund, ich habe den Kampf mit der Geldherrschaft bereits begonnen, denn ich habe die Gefahr im Verzug erkannt. Der Geist schafft die Association, die Association schafft Kämpfer, Mittel zum Kampfe, die Association siegt und bleibt Sieger. Höre mich, dieses Leipzig ist ein wichtiger Ort für uns, ein Waffendepot, denn zahlreich ist hier die Klasse der sogenannten Schriftsteller, der Literaten, vertreten und gerade diese brauchen wir. Sieh, jeder Schriftsteller bekommt einen Kreis zugewiesen, einen Kreis, den er zu bewachen hat. Man wird dafür sorgen, daß er gut unterrichtet und zwar durch die Besitzlosen selbst unterrichtet wird, erfährt er nun, daß ein Reicher die Armen drückt, daß ein Fabrikherr die Arbeiter betrügt, so fordert er den Reichen, unter Androhung der Veröffentlichung seines Treibens, auf, die Unterdrückungen einzustellen, gerechten Anforderungen gerecht zu werden u.s.w. und stellt ihm dazu [89] schließlich einen Termin, nimmt der Geldmensch keine Notiz davon und trotzt auf seine Geldsäcke, so veröffentlicht der Literat die Erzählung eines Factums und sämmtliche Zeitungen und Blätter, an denen sich irgend Literaten, die Vereinsmitglieder sind, betheiligen können, nehmen diese Erzählung in ihre Spalten auf. Auf diese Weise ist der Geldmensch öffentlich gebrandmarkt und, Du glaubst es nicht Don Juan, welche Angst diese Geldtirannen vor der öffentlichen Meinung haben. Fruchtet, wider Erwarten, eine solche erste Lection noch nicht, so wird ein zweites Factum erzählt und so immer fort und immer fort, bis einem solchen Subject der Respect gegen die Menschenwürde, auch armer Arbeiter, eingepeitscht ist. Auf der andern Seite wird man aber auch öffentlich diejenigen Menschen beloben, die von ihrem Reichthum einen würdigen Gebrauch machen, man wird öffentlich ihre Namen nennen und aus Eitelkeit schon werden Viele eine humane Gesinnung bethätigen. Dieser Verein von Schriftstellern wird, unterstützt von allen wahrhaft Wohlmeinenden, gar bald eine höhere Macht sein, als die der reichen Tirannen, die Macht des Geistes wird die Macht des Geldes controlliren und sie hindern an Eingriffen in das Menschenrecht der Armen. Die Regierungen [90] können einer solchen Schriftstellerassociation nicht hinderlich sein, denn ihr Vortheil ist es ja, wenn sie, anstatt eine kleine Anzahl von Millionairen und Millionen von Gesindel zu beherrschen, ein Volk regieren, in welchem ein kräftiger, wohlhabender Mittelstand, den Reichen von dem zwar armen, aber doch sittlichen und nicht verhungernden, Theile trennt. Läßt man das Geld so fort regieren, wie es zu regieren begonnen, so wird der Mittelstand allgemach verschwinden und die Massenarmuth immer furchtbarer überhand nehmen und dann – welche Aussicht für die Zukunft?«

»Aber das ist nur eine Seite der Thätigkeit jener Schriftstellerassociation, die ich stiften will; die Literaten, die auf die eben angegebene Weise dafür zu sorgen haben, daß der Arbeiter, der Besitzlose, nicht gezwungen ist ewig zu arbeiten, daß er Zeit behält zum Nachdenken, zur Freude u.s.w. werden ebenfalls dafür sorgen, daß der Geist eines solchen Mannes Nahrung erhalte durch eine gute Lectüre. Jeder Literat wird in seinem Kreise Volksbibliotheken errichten, es giebt brave und geistig gesunde Menschen genug, die ihn unterstützen, gern unterstützen und die Association wird durch diese Mittel den Zustand des Besitzlosen, den sie leiblich zu bessern sich bemüht, auch geistig veredeln. [91] Nicht frömmelnde Tractätlein, oder hirnlose, politische Sudeleien wird eine solche Volksbibliothek enthalten, zuerst ist's auf leichte Unterhaltung abgesehen, damit es den armen, gedrückten Arbeitern nicht zu schwer werde, Lust an geistiger Beschäftigung zu finden. Freilich hat unsere Literatur wenig hierher passendes aufzuweisen, aber je mehr sich die Literaten mit dem Volk und seinem Elend beschäftigen, desto mehr werden sie auch einsehen, was ihm fehlt. Hat der arme Arbeiter einmal Geschmack daran gefunden, seine Mußestunde, denn er soll Mußestunden haben, mit geistiger Beschäftigung zu füllen, dann öffne man ihm den reichen Schatz der poetischen Literatur und man wird bald die Wirkungen erkennen. So, Freund Don Juan, wird die Association die Geldmacht controlliren, sie im Zaum halten und sie dahin stellen, wohin sie gehört.«

»Dein Plan scheint so einfach und leicht, Faust,« versetzte Don Juan nach einigem Bedenken, indem er Incarnacions Wange streichelte, »aber er bietet je mehr Schwierigkeiten, je mehr man ihn bedenkt.«

»Das weiß ich, Don Juan, aber Schwierigkeiten schrecken mich nicht, es muß gehen, weil es gehn kann, aber ich brauche Deine Hülfe.«

[92] »Ich bin bereit, ich weiß, was Du willst, meine Freunde werden Dich nach Kräften unterstützen, Du brauchst Geld, sehr viel Geld zum Anfang, denn Geld kann nur mit Geld angegriffen werden, nimm, was Du brauchst.«

Faust drückte Don Juan's Hand und sprach: »Ich kannte Deinen großmüthigen Sinn, Freund, aber ich brauche Deine persönliche Hülfe, der alte Klingsohr wird nur durch Dich bewogen werden können seine Hand zu dem großen Plane zu bieten und dann bedürfen wir Deiner Fürsprache beim Könige von R.; willst Du Freund, willst Du auf diese Weise einen Plan unterstützen, der das wahre Wohl der Menschheit bezweckt?«

»Gewiß, Faust, ich werde es, der wahre Edelmann vergißt nie, daß er ein Mensch ist, mein Edelmannswort, ich helfe Dir, so lange ich in Europa bleibe.«

»Ach, beinahe hätte ich es über meinen Plan vergessen, ich muß Dir die Ursache sagen, warum ich Dich so dringend, fast ein Jahr vor der Zeit, nach Europa gerufen. Ein Mann, der seinem Ende nahe zu sein glaubt, hat mich dringend darum gebeten, Dich[93] zu ihm zu senden, ich schrieb Dir nicht davon, mit Willen nicht, aber ich weiß, mein großherziger Don Juan wird ohne Groll an das Sterbebette vielleicht eines seiner Feinde treten.«

»Ich verzeihe allen meinen Feinden!« sagte Don Juan und heftete einen fragenden Blick auf Faust.

»Allen?«

»Ja, Allen, nur einen von ihnen kann ich nicht sehen, aber auch ihm verzeihe ich!«

»Das ist nur eine halbe Verzeihung, Don Juan, o Du solltest ihn sehen, er ist entsetzlich alt geworden –«

»Er ist es? ist er's?« rief Don Juan mit erhöhter Stimme, und sprang so hastig und aufgeregt auf von seinem Sitze, daß Incarnacion ihn mit verwunderten Blicken anstarrte.

»Er ist es,« bejahte Faust traurig, »Cornelius van der Valcke bittet Dich um Deinen Besuch!«

Don Juan sank leichenblaß in seine Sophaecke zurück, eine mächtige Aufregung war sichtbar in seinen regelmäßigen Zügen; ängstlich bewachte Incarnacion jede Bewegung ihres Freundes.

[94] »Sage mir Alles, Faust,« bat der alte Edelmann nach einer kleinen Pause mit matter Stimme, »er war Räuber?«

»Hast Du je daran gezweifelt, armer Freund?«

»Und sie, sie, lebt sie noch?«

»Sie ist todt, seit drei Jahren.«

»Todt, wohl ihr, daß sie todt ist!« sagte Don Juan leise und wischte sich den Schweiß von der Stirn, die Incarnacion tröstend küßte.

»Seit wie lange wußtest Du ihren Aufenthalt?«

»Seit zehn Jahren fast, Don Juan.«

»Ich danke Dir, mein Faust, daß Du erst heute, erst nach ihrem Tode, mir diese Mittheilung machst, ich will ihn sehen, ihr Tod versöhnt mich, gieb mir seine Adresse.«

Faust reichte dem Edelmann ein kleines Blatt und langsam las Don Juan: Graf Vavel de Versay, Eishausen bei Hildburghausen! »so,« setzte er hinzu, »hat der republikanische Geschäftsträger einer Republik bei der andern Republik, hat selbst der einen aristocratischen Titel nicht verschmäht?« dann steckte er die Karte zu sich und schüttelte Faust's Hand freundschaftlich; dieser, der sich empfahl, versprach gegen Abend wieder zu kommen.

[95] Incarnacion und Don Juan blieben allein. –

Faust aber fand auf seinem Zimmer ein Billet, welches unterzeichnet war: Lionel von Goldstein, königl. preuß. Commerzienrath und Ritter. Es lautete also: Auf Ihre gef., mir heute mündlich gemachte, Proposition, erwiedere ich Ihnen, daß ich mir jede Einmischung Ihrerseits in meine Verhältnisse durchaus verbitten muß. Ihre Drohungen betreffend, so kann ich sie verachten, denn ein bedeutender Schriftsteller hat mir versprochen mich, für ein Honorar, gegen Sie überall zu vertreten. Ich kann für mein Geld noch viele Vertheidiger finden und ich habe viel Geld; ich könnte, wenn ich wollte, Sie angreifen und blamiren lassen; da ich jedoch ein friedfertiger Mann bin, so will ich das nicht thun, ja ich will noch mehr thun, ich will Ihnen auf der Stelle 25 Stück neue Friedrichsd'or zahlen, wenn Sie versprechen, meiner in den Zeitungen nicht Erwähnung zu thun. Sollten Sie Lust haben meine Fabrikate öffentlich zu loben, oder meinen persönlichen Verdiensten Anerkennung zu verschaffen, so bin ich zu einem anständigen Honorar bereit. Ihr ergebener u.s.w.

Faust ließ das Billet auf den Tisch fallen und warf einen Blick der tiefsten, gründlichsten Verachtung[96] darauf; »arme Geldseele!« murmelte er endlich, »willst den Faust kaufen, o und wie einfältig! Mann des Geldes, hast du denn gar keine Nachgedanken, daß du mir ein solches Billet schreibst, fühlst du denn nicht, daß du dich selbst verdammst mit diesen Zeilen? Fort, an den Pranger mit dir!«

An diesem Tage erschien Adele Bulart in Mühlhausen und bewies so, daß der unbekannte Leichnam nicht der ihrige sein könne. Aber, weit entfernt, daß ihre Erscheinung dem armen Bletry und seinen Unglücksgefährten genützt hätte, sie diente nur dazu, das Gerücht von der vornehmen Dame mit der goldenen Kette wieder zu Ehren zu bringen und hartnäckiger noch, als vorher, beharrte man darauf in Bletry den Mörder der unbekannten Dame zu sehen.

Einige Tage später erschien in einer westphälischen Zeitung ein Artikel über das immoralische Verfahren der Fabrikbesitzer, ihren armen Arbeitern gegenüber, das Trucksystem wurde enthüllt und mit Factis belegt, Herr von Goldstein war zwar nicht genannt, aber doch so bezeichnet, daß er nicht zu verkennen war. Acht Tage später wurde sein Name in einem ausländischen Blatte der Erzählung hinzugefügt und mußte nun Spießruthen durch die gesammte deutsche Presse [97] laufen. Jeder, der nur einigermaßen ein menschliches Gefühl noch hatte, war empört und der Literat, der die Frechheit gehabt hatte, Herrn von Goldstein vertheidigen zu wollen, sah sich durch die Bekanntmachung des, Oben mitgetheilten, Billets Goldsteins an den Doctor Johann Faust öffentlich entehrt.

So begann Faust seinen Kampf mit der Plutokratie.

Fußnoten

1 Nichts als den Vornamen sollte ein Verbrecher behalten, NN. NNssohn, sollte man den Verbrecher nennen, damit Jeder wüßte, daß er ausgestoßen sei aus allen Klassen der Gesellschaft. So geschah es früher in Schweden und damit würde der Beschwerde der Nichtadeligen abgeholfen sein, die jetzt, wohl oder übel, entadelte Verbrecher in ihre Reihen aufnehmen müssen.

4. Ein Besuch bei Nacht
IV. Ein Besuch bei Nacht.
[99][101]

In einer kleinen Stadt, die wir hier nicht namhaft machen dürfen, liegt mitten auf dem Markte, gerade dem Rathhause gegenüber, ein Gebäude, dessen alterthümliche Bauart lebhaft absticht gegen das moderne, frische Ansehen der Häuser ringsum.

Es ist ein hohes, dreistöckiges Haus, zu dessen Thür eine sehr verfallene, durch ein eisernes Geländer geschützte Steintreppe von etwa vier Stufen führt. Dieses Gebäude war so lange ein Gegenstand der Neugierde der Bewohner des Städtchens gewesen, bis sie sich endlich daran gewöhnt hatten und nicht mehr davon sprachen. Das alte Haus hatte früher einem Bürgermeister der Stadt gehört und war nach dessen Tode seinem Neffen, dem ehemaligen Professor Klingsohr, zugefallen, der, man weiß nicht aus welcher Ursache, die Academie, an der er docirte, verlassen hatte und nach dem kleinen Städtchen gezogen war, in dem er das alte Haus geerbt hatte. Vierzig Jahre waren [101] verflossen seitdem, man wußte nichts vom Professor Klingsohr, als daß er noch lebe, denn nie sah man ihn selbst, immer nur seine alte Magd, oder höchstens seinen Bedienten, aber man wußte trotzdem, daß der Professor, so hieß er kurzweg in der ganzen Stadt, daß der Professor ungeheuer reich sei. Früher sollte er auch verheirathet gewesen sein und sollte Familie gehabt haben, aber man hatte nie Kin der in dem alten Hause gesehen und schloß daraus, daß sie gleich der Mutter gestorben sein müßten.

Seit vielen Jahren nun schon sahen die guten Kleinstädter ohne Neugierde das alte Haus an, dessen Bewohner sie sonst so sehr beschäftigt hatte, kein Mensch mehr suchte die alte Magd auszuforschen, denn Jeder wußte, daß es vergeblich sein würde und so hatte der Professor endlich erreicht, was er wünschte; die Neugierde seiner Mitbürger belästigte ihn nicht mehr.

Etwa acht Tage nach der Zusammenkunft Don Juan's mit Faust im Hôtel de Bavière zu Leipzig reichte der Postbote der Magd des Professors einen Brief in die halbgeöffnete Hausthür und nahm einen Dreier, als sein bescheidenes Briefträgertheil dahin, dabei aber fiel ihm auf, daß die alte Person beim Anblick der Schriftzüge auf dem Couvert zu zittern begann [102] und recht sehr blaß wurde. Natürlich war es an diesem Abend auf dem Keller die Hauptneuigkeit, daß Professors Magd beim Empfang eines Briefes blaß geworden sei und gezittert habe.

Da wir aber bei den guten Spießbürgern schwerlich erfahren werden, weßhalb die alte Magd Zeichen der Bestürzung sehen ließ, als sie die Handschrift Don Juan's erblickte, denn von diesem war der Brief, so folgen wir der alten Person selbst in das geheimnißvolle Haus des Professors. In dem dunkeln Flurgange bemerken wir nur undeutliche Umrisse von der Gestalt der Magd; aber sie steigt die Treppe empor ins erste Stockwerk und nun erkennen wir in ihr eine, zwar dienstmagdlich, aber sehr reinlich, gekleidete, alte, vielleicht sehr alte, Frau, denn ganz weißes, aber dichtes, Haar schaut unter dem enganliegenden, schwarzen Sammetmützchen hervor und nur mühsam ersteigt sie die steile, enge Treppe; das braune, einfache Gewand ist ihr zu weit geworden, es schlottert in plumpen Falten um einen, von der Last der Jahre gebeugten, Körper und schleppt schwerfällig nach auf den steinernen Stufen. Das Gesicht von Professors Magd ist beinahe hochgelb und nicht eben angenehm anzuschauen, aber das Auge von grauer Farbe verräth so viel Herzensgüte [103] und, in diesem Augenblick, so viel gutmüthiges Mitleid, daß im Ganzen der Eindruck des alten Gesichtes kein unangenehmer ist.

Bis in's zweite Stockwerk kletterte die Alte keuchend, dort trat ihr ein Mann entgegen, der nur wenig jünger sein konnte als sie.

Der alte Mann, der einen grünsammetnen Leibrock mit verschossener Stickerei, kurze Beinkleider von grauem Casimir, schwarze Strümpfe und Schuhe trug, betrachtete die Alte durch eine ungeheure Brille, deren grüne Gläser in schwarzes Horn gefaßt waren, und verrieth eine Art von Aufregung, indem sich zahllose Runzeln um seinen zahnlosen Mund bildeten; dennoch machte er ein kleines Compliment vor der Alten, was von dieser durch einen höflichen Knix erwiedert wurde.

»Was führt Sie so außer der Zeit herauf, Jungfer?« fragte der Mann mit leiser, gedämpfter Stimme.

»Ein Brief ist abgegeben, Musje Benndorf, an den Herrn, der Brief ist vom Herrn General!« entgegnete die Alte eben so leise und reichte dem Musje Benndorf den Brief.

»Ach Gott, der arme Herr!« seufzte der Bediente und man sah an den Gesichtszügen der beiden alten Leute, daß sie große Besorgniß hegten für ihren Herrn.

[104] »Trete Sie hier ein bei mir, Jungfer,« sagte Musje Benndorf nach einer Weile, »damit Sie zur Hand ist, wenn der Herr Sie etwa brauchen sollte, ich muß doch hinauf!«

»Sehr wohl, Musje!« erwiederte die Alte und trat in das große Zimmer, das der Bediente im zweiten Stock bewohnte, ihre Wohnung war in der ersten Etage. In dem Gemach des Bedienten ist nichts Auffallendes, außer etwa zwanzig Uhren von allen Größen, die an den Wänden hängen und in allen Tonarten picken. Musje Benndorf verfertigte Uhren zum Zeitvertreib, er war ein gelernter Uhrmacher. Jetzt sehen wir ihn zögernd und langsam die, mit einem dicken Teppich belegte, Treppe ins dritte Stockwerk hinaufsteigen, er tritt an eine Thüre und lauscht eine Weile, dann schüttelt er mit dem Kopfe, kehrt wieder um und sagt, ins Zimmer zu der Frau tretend: »Bleibe Sie nur immer hier, Jungfer, der Herr lies't Griechisch, da darf ich nicht eintreten, aber nach dem Griechischen kommt gewöhnlich eine asiatische Sprache und dann kann ich's allenfalls wagen!«

Ohne ein Wort zu reden saßen nun die beiden Alten sich gewiß eine halbe Stunde einander gegenüber; dann trat Musje Benndorf seinen Weg zum[105] zweiten Male an; zum zweiten Male sehen wir ihn an der Thür des Professors lauschen; »Gott sei Dank, Arabisch,« murmelt er und öffnet leise die Thüre.

Es ist ein kleines, vielleicht zwei Schritt langes und nicht breiteres, Vorzimmer, in welchem Musje Benndorf jetzt steht; an jeder Seite der Thür halten zwei mächtige Lehnstühle Wacht, aber nur der Eine von Beiden kann in Gebrauch sein, denn der Andere ist dick mit Staub bedeckt; die offene Thür dieses kleinen Zimmers läßt uns einen Blick thun in das große, saalartige Gemach, das Musje Benndorf jetzt betritt. Sein schüchterner Schritt ist unhörbar auf dem Teppich, der auch hier den Fußboden bedeckt, aber eine helle, klingende Stimme lies't laut eine Sure des Korans und müht sich, die tiefen Gutturallaute der arabischen Sprache mit möglichster Vollkommenheit auszusprechen. Das Gemach, von dem wir reden, hat sechs Fenster, die sämmtlich nach dem, durch eine Mauer von dem ebenfalls hochummauerten Garten getrennten, Hofe hinausgehen und mit ängstlicher Genauigkeit gerade bis zur Hälfte durch Rouleaux verhängt sind. Jedes Fenster, nebst dem dazu gehörigen Raum des Gemachs, ist durch ein Bücherreposttorium von dem andern geschieden und wird durch eine Bücherleiter[106] bewacht. Nur ein schmaler Gang ist an der, den Fenstern gegenüber liegenden, Wand frei geblieben. Die Nischen, die auf diese Weise von den Reposttorien gebildet werden, sind leer und geräuschlos schleicht Musje Benndorf an ihnen vorüber, an der fünften Nische aber bleibt er stehen und wirft einen trüben Blick hinein. Drei moderne Stühle mit Strohgeflecht stehen darin, ein größerer Tisch mit einer Sinumbralampe, ein Nähtischchen mit einer angefangenen Arbeit, ein Fußbänkchen, kurz lauter Gegenstände, die auf einen weiblichen Insassen der Nische deuten. »Allah, akbar!« tönt es in der sechsten Nische, leise tritt Musje Benndorf hervor und steht vor seinem Herrn.

Da sitzt der gelehrte Professor vor einem großen, mit Papieren gehäuft bedeckten, Tische, rechts hat er das Fenster, im Rücken einen Kamin mit glimmendem Feuer; er wendet sich nach links, als Musje Benndorf am Eingang der Nische erscheint, legt den Koran nieder und fragt mit lauter, klingender Stimme: »Was bringt er, famule? es muß etwas Wichtiges sein, da er während der Lesestunden erscheint, was ich nicht besonders liebe.«

Wir treten näher mit dem alten Diener und erkennen nun, daß der Professor Klingsohr ein sehr kleiner[107] und sehr alter Mann ist, der in einem ungeheuren, mit Kissen belegten, Lehnstuhl und mit einem sehr weiten Schlafrock bekleidet mehr zu schwimmen, als zu sitzen scheint. Die Augen des alten Gelehrten blitzen, wir würden sagen wie Diamanten, wenn es schwarze Diamanten gäbe und rechts und links neben seinem, ehrwürdig weißen und mit einem silbernen Kamm im Nacken befestigten, Haar funkeln die grünlichen Augen von zwei grauen Katzen, die gewohnt sind auf seinen Schultern zu sitzen, so lange er laut lies't.

»Ein Brief!« spricht Musje Benndorf leise.

Einen Moment lodert es wie eine Zornflamme im Auge des Gelehrten und zuckt über sein blendend weißes, altes Gesicht, aber sogleich ist dieser Zorn wieder verschwunden; »Brutum!« murmeln seine schmalen, kaum sichtbaren Lippen – dennoch steht der alte Diener, aber er zittert heftig.

»Famule,« sagt der Professor nun, »nimm Deinen Brief wieder mit Dir, Du weißt, daß ich nur von fünf bis sechs Uhr Morgens Briefe annehme.«

Bei dem letzten Wort nahm der Gelehrte seine frühere Stellung wieder ein und den Koran wieder auf, um weiter zu lesen.

[108] »Vom Herrn General!« stammelte der alte Diener jetzt und trat noch einen Schritt näher. Der Professor legte seinen Koran noch einmal hin, düstere Falten zogen sich zusammen auf seiner Stirn und bildeten ein Hufeisen, das sich düster abschattete gegen die Glätte der andern Theile des Gesichtes; mit einem Ruck schleuderte er die beiden Katzenthiere von seinen Schultern, er richtete sich hoch auf in seinen Kissen und schrie mit dämonisch blitzenden Augen, während sich sein Mund entsetzlich verzerrte: »Leg' den Brief hin und geh', wenn Dir dein Leben lieb ist!«

Musje Benndorf legte eilig den Brief auf eine Ecke des Tisches und eilte davon, so schnell ihn seine alten Beine zu tragen vermochten. Ein fürchterliches Geheul schallte hinter ihm her, dann ein Ohren zerreißendes Trompetengeschmetter und in Schweiß gebadet, Thränen in den Augen, sank der alte Diener erschöpft in einen der beiden Lehnstühle, die an der Thür des kleinen Vorzimmerchens standen. Drinnen aber im großen Saal stand der alte Professor mit verzerrtem Gesicht und trieb allerlei seltsame Dinge, bald brüllte er in eine gewaltige Riesenmuschel, bald stieß er schmetternd in eine eherne römische Schlachttrompete, bald wälzte er sich unter convulsivischen Zuckungen am [109] Boden und schauerlich blickten die beiden großen Katzen herab auf ihn, sie hatten sich auf die höchste Spitze des Repositoriums gerettet; der Professor aber bemerkte sie, kletterte mit einer entsetzlichen Behendigkeit hinauf auf der Leiter und schleuderte die Thiere, sie bei den Schwänzen fassend, unsanft zur Erde, dann verfolgte er sie unter einem höllischen Gelächter, bis er wieder dumpfheulend zu Boden sank.

Zitternd und aufmerksam lauschte Musje Benndorf, erst als Alles still geworden war, klingelte er, die Alte trat ein.

»Der Herr ist still, Jungfer!« sagte er leise und ging nun mit ihr eilig nach der Nische. Der Professor lag dumpfröchelnd am Boden; die beiden Alten hoben ihn auf, brachten den Bewußtlosen in seinen Stuhl, trockneten ihm den Schweiß von der Stirn, stellten ein großes Glas Wasser, mit Wein gemischt und mit Zucker versüßt, zu seiner Rechten, legten ein reines Taschentuch zu seiner Linken und den Brief gerade vor ihn, dann räumten sie Trompete und Muschel bei Seite, stellten die Ordnung geräuschlos wieder her und schlichen sich hastig davon.

Der Professor begann immer ruhiger zu athmen, die vorige Ruhe seiner Züge kehrte wieder, das Hufeisen[110] verschwand von seiner Stirn und leise schnurrend nahmen die beiden Katzen Platz neben ihm auf seinem Tisch. Nach einer kleinen Viertelstunde etwa seufzte der Gelehrte tief auf, öffnete blinzelnd die Augen, faßte mechanisch nach dem Glase und leerte es auf einen Zug, dann erhob er sich ganz, schaute sich verwundert um, fächelte sich Luft zu mit dem reinen Taschentuch und seine blassen Züge trugen den Stempel des tiefsten Schmerzes und einer Art seltsamer Schaam.

»Die Guten glauben,« murmelte er, »die Guten glauben, ich wüßte es nicht, daß ich verrückt bin, darum bringen sie Alles in Ordnung, was ich in der Raserei verderbe. Gute Leute!«

Der Professor griff nach dem Briefe und lächelte matt: »ach ja, so war's, Benndorf brachte mir einen Brief meines Juan; ach, was soll ich sagen, was wird er sagen? Wie, Leipzig? Mein Gott, mein Gott, Juan in Europa! Er wird kommen, er muß kommen und ich, ich stehe als ein Lügner, als ein Sünder da!«

Jetzt erbrach der alte Mann den Brief, er las, er las lange – seufzend faltete er ihn zusammen und sah länger nachsinnend vor sich nieder; »ich habe so viel ertragen in einem langen Leben,« sprach er weich,[111] »auch das muß ich noch ertragen, wehe!« Thränen rollten über die bleiche Wange des Greises.

Es war Abend geworden draußen, im Zimmer des Professors wurde es dunkel, der alte Mann saß noch immer in trüben Sinnen, es wurde ganz dunkel und nur die Augen der Katzenthiere funkelten noch, endlich schellte der Professor und mit zwei Armleuchtern trat der treue Diener herein, der gewiß schon seit einer halben Stunde auf dieses Zeichen gewartet hatte.

Das Rouleaux rollte ganz nieder, das Feuer im Kamin, frisch genährt, prasselte hell auf und die Nische war behaglich erleuchtet.

»Wie steht's mit seiner neuen Uhr, Benndorf?« fragte der Professor gütig.

»Es will nicht gehn, Herr Professor, das Holz leiert sich aus!«

»Ich hab's Ihm vorher gesagt, Er verschwendet seine Zeit.«

»Es käme wohl nur darauf an, Herr Professor,« replicirte der alte Diener bescheiden, »einen Firniß zu finden, der das Holz schützte.«

»Da hat Er Recht, Alter! hm, gebe Er mir einmal das kleine Buch dort her.«

[112] Der Diener brachte das Verlangte, der Professor blätterte eine Weile, dann sagte er freudig: »Ich kann Ihm helfen, weiß Er wie die Römer ihre Lanzenschäfte unzerstörbar machten?«

»Nein, Herr Professor!«

»Nun sie bestrichen sie dick mit Oel und legten sie an einem trocknen Orte nieder, nicht in der Sonne, auch nicht am Ofen, Er wird mich verstehen; wenn nun das Oel eingetrocknet war, wurde das Experiment wiederholt, so drei Mal; kann Er das nicht auch so machen mit seiner hölzernen Scheibe?«

»Gewiß, Herr Professor, nur müßte ich wissen, welches Holzes sich die Griechen –«

»Die Römer, Benndorf!« verbesserte der Professor.

»Die Römer zu ihren Lanzenschäften bedient hätten.«

»Gut bemerkt, mein Alter!« sagte der Gelehrte und ließ sich ein neues Buch bringen, in dem er wieder eine Weile blätterte. Endlich sprach er: »Es giebt verschiedene Meinungen über diesen Gegenstand, Benndorf, die Ihm aber nichts nützen, ich glaube, daß man für gewöhnlich des Eschenholzes, und zwar nicht des ganz alten, sich bedient hat. Versuche Er's einmal mit Eschenholz.«

[113] »Sehr wohl, Herr Professor!«

»Benndorf, nach eilf Uhr wird Er heute die Gartenpforte öffnen, der General kommt; die Jungfer soll ein Paar Hühner braten und einige Flaschen von dem alten Wein ins Vorzimmer bringen; Er wird, wie in alten Zeiten, den Tisch hier nebenan decken – auch wird die Jungfer ein Bett bereit halten.«

»Sehr wohl, Herr Professor!«

»Benndorf, ferner wird Er der Jungfer ein Glas Wein geben und wird selbst drei Gläser trinken, versteht er mich?«

»Sehr wohl, Herr Professor!«

»Benndorf, hat Er Cigarren im Hause, der General raucht immer, wie Er weiß; hat Er Cigarren?«

»Ja, Herr Professor!«

»Benndorf, Er wird dem General nichts sagen von – Er versteht mich schon.«

»Ja, Herr Professor!«

»Jetzt geh' und besorge Er seine Sache gut, denn Er ist kein Kind mehr!«

Der Diener entfernte sich vergnügt, denn so viel hatte der Professor seit drei Monaten nicht mit ihm gesprochen. Der Gelehrte aber sah nach seiner Uhr, ergriff einen Stoß Zeitungen und Brochüren, setzte sich [114] zurecht und begann die Annalen der Tagesgeschichte mit einer Schnelligkeit zu durchfliegen, die eine große Uebung in dieser Art Beschäftigung verrieth. Häufig machte sich der Professor eine kurze Notiz und fuhr dann wieder eifrig fort zu lesen. Tiefe Stille herrschte in dem Zimmer des alten Mannes nur das Rauschen der riesenhaften Blätter englischer und franzöfischer Zeitungen war vernehmbar, Stunden vergingen, ohne von seiner Zeitung aufzusehen ließ der Greis seine Uhr repetiren, es war zehn Uhr vorüber.

»Ach!« sagte er endlich leise, »es war also nicht diese Adele Bulart, wer denn? Die fremde Dame ist eine Fiction, ersonnen von Schuften, dem Bletry feindlich Gesinnten, von müßigen Köpfen ausgeschmückt und von einer, nach Verbrechen hungrigen, Menge freudig adoptirt. Vielfach erinnert diese Geschichte an den Mord des Fualdes, auch dort wurde ein abgeschmacktes Mährchen von der aufgeregten Menge für wahr gehalten – wer es wüßte – ich möchte es wissen, wer die Ermordete gewesen – nun ich habe manches Räthsels Lösung erlebt, auch diese wird mir nicht entgehen.«

»Heute erst mein Brief angekommen?« fragte Don Juan's Stimme im Vorzimmer.

»Erst heute, Herr General!« antwortete Benndorf.

[115] »Du zitterst, Klingsohr, Du bist alt geworden!« sagte der Professor zu sich selbst und stand auf.

»Klingsohr, alter, lieber Getreuer!« rief Don Juan und schloß den Greis in seine Arme.

»Juan, Juan!« erwiederte dieser klagend, »Du bist noch immer ein Mann und ich ein Greis!«

»Mag das Haus alt werden, Theurer, wenn nur sein Bewohner jung bleibt und kräftig – aber –« Don Juan sah sich fragend um, »warum eilt Toska nicht in die Arme ihres Vaters? Wo ist meine Lieblingstochter?«

Klingsohr antwortete nicht, sondern sah den Fragenden mit stiller Trauer an.

»Toska ist todt!« schrie Don Juan, »Toska, meine Toska, ihrer Mutter Ebenbild todt?«

»Nein, Don Juan, todt ist Toska nicht, sie lebt.«

»Wo, wo ist sie?«

»Juan, beruhige Dich, ich bitte Dich, meine Nerven vertragen starke Erschütterungen nicht mehr; wie mich einst meine Tochter verließ, um Dir, dem Manne ihrer Liebe, zu folgen, so hat mich auch jetzt meine Enkeltochter verlassen, um dem Manne ihrer Liebe zu folgen.«

[116] »Alter Freund!« sprach Don Juan wehmüthig, »Du täuschest mich nicht, meine Toska ist todt, ich fühle es.«

»Juan, welche Schwachheit, wirst Du auch alt, Du Mann von Eisen? Du bist nicht der Juan mehr, den meine verklärte Toska liebte; siehe her, hier ist Deiner Toska Brief, – das Mädchen hat's gemacht, wie seine Mutter mit Dir, es ist mit dem Geliebten, ohne Jemanden ein Wort zu sagen, bei Nacht und Nebel davon gegangen. Es ist wahr, es hat mir sehr wehe gethan, weil ich beinahe nicht mehr leben konnte ohne meiner Toska Kind, aber sie wird schon wieder kommen.«

Don Juan starrte in den Brief seiner Tochter, aber er las nicht, ihn rührte die verbissene Traurigkeit des Greises, der seinen Schmerz nicht merken lassen wollte, um Juan's Schmerz nicht zu vergrößern. Er hatte mehr verloren als Don Juan, er hatte das einzige menschliche Wesen verloren, das ihn erfreute und erheiterte, das er von Kindheit auf um sich gehabt hatte, an das er sich in einem Zeitraum von fünf und dreißig Jahren gewöhnt hatte.

Die beiden Männer begaben sich jetzt in die andere Nische, in die, welche Don Juan's Tochter bewohnt[117] hatte, sie setzten sich an den wohlbesetzten Tisch, aber keiner von Beiden vermochte vor Wehmuth und Traurigkeit einen Bissen zu genießen. Don Juan trank hastig einige Gläser Wein und rauchte, der Professor erzählte endlich also: »Lieber Juan, unsere Toska war, wie gewöhnlich kurz vor Ostern nach Berlin gereis't, um die nöthigen Sommerbestellungen zu machen – nie blieb sie über fünf Tage aus, am sechsten Tage erhielt ich einen kurzen Zettel von ihr, in dem sie mir sagte, die Bestellungen seien gemacht, aber ich solle ihr nicht zürnen, sie könne jetzt nicht zurückkehren, sondern sie müsse dem Manne ihrer Liebe folgen, an Dich wolle sie selbst schreiben. Es war richtig, die Bestellungen waren gemacht; ich wäre dem Kinde gern nachgeeilt, aber ich kann mein Zimmer nicht einen Tag verlassen, wie Du weißt; meine Berliner Freunde sind alle todt. Ich konnte nichts als eine Aufforderung in die Zeitungen drucken lassen, die nur ihr verständlich war, ich bat sie darin, wenn sie nicht zurückkehren wolle, sie möge wenigstens nochmals Nachricht von sich geben. Etwa vor acht Tagen erhielt ich von Hamburg den Brief, den ich Dir gegeben habe, sie hat ihn am Tage vorher geschrieben, ehe sie mit ihrem Manne, dem Grafen Saportani, nach England abreisen wollte.«

[118] »Hamburg, acht Tage!« rief Don Juan und nahm den Brief, »ich war ja vor acht Tagen in Hamburg.«

»Du bist über Hamburg gekommen?« fragte der Professor.

»Ja!« schrie Don Juan außer sich, »der Brief ist eine verdammte Lüge, das sind wohl Toska's Züge, aber nicht Toska's Worte –«

»Das mußt Du besser wissen, als ich, Du hattest natürlich häufiger Gelegenheit von ihr Briefe zu empfangen.«

»Verdammte Lüge, Intrigue,« tobte Don Juan, »dieser Brief ist, nach dem Datum, vor meiner Ankunft geschrieben, am 11. October ist, nach diesem Briefe, Toska nach England gereis't und zwar auf der hamburgischen Brigantine ›die Jungfrau‹ Capitain Förster! merke wohl auf, Klingsohr, und ich bin auf der hamburgischen Brigantine ›die Jungfrau‹, commandirt von dem Capitain Förster, erst am 20. October von Amerika eingetroffen.«

»Mein Gott!« schrie der Professor entsetzt und sein Gesicht verzerrte sich krampfig, »Toska, wo bist Du?«

[119] »Meine Toska ist todt,« sprach Don Juan dumpf, »ich fühle, daß meine Toska todt ist!«

»Aber Juan,« stammelte Klingsohr, »es kann zwei Schiffe geben, die einen Namen haben.«

»Lieber Alter, belüge Dich nicht selbst, an einem Ort giebt es nicht zwei Schiffe gleichen Namens und wäre das, so würde sicher nicht auch der Name des Capitains stimmen – überhaupt hättest Du mir vor zwanzig Jahren gesagt, Toska habe sich von einem Nobile entführen lassen, so würde ich mich nicht gewundert haben, aber glaube mir, ein Mädchen, wie meine Toska, läßt sich nicht entführen, wenn sie ohne Liebschaft fünfunddreißig Jahre alt geworden ist.«

Der Professor sprach nichts, er lehnte todtenbleich in seinem Lehnstuhl; Don Juan bemerkte es nicht, er trank den schweren Wein, Glas auf Glas, und eine dichte Dampfwolke umwirbelte ihn, nur leise, ganz leise murmelte er von Zeit zu Zeit: »Meine Toska!«

Eine Stunde war so vergangen, als Musje Benndorf erschien, um abzuräumen, mit starken Essenzen mußte er seinen ohnmächtigen alten Herrn in's Leben rufen. Willenlos ließ sich auch Don Juan in's Bett führen. –

[120]
5. Die weissen Sclaven
V. Die weissen Sclaven.
[121][123]

Der Schauplatz ist das Innere einer der ärmlichsten Hütten des ärmlichen Fabrikdorfes Kayna, dessen Lage wir hier nicht näher geographisch angeben dürfen. Ein Wohnzimmer kann das elende Gemach wohl kaum genannt werden, denn ihm fehlt auch das Geringste jener Meubels, die, nicht die Cultur, nein, die schon die Natur des Menschen verlangt. Da ist nicht ein Tisch, nicht ein Stuhl, nicht einmal eine Bank. Der Heerd ohne Feuer und eine Schütte halbfaules Stroh in der Ecke – das ist das Ameublement der Wohnung eines ordentlichen, fleißigen Mannes, des Spinners Mensdorf; auf dem Heerde, rechts und links, neben dem Loche, in welchem das letzte Reisigfeuer brannte, liegen zwei halbnackte Knaben von acht und neun Jahren, die schauernd und zähnklappernd zusammenfahren, wenn der herbstliche Nachtsturm niederfährt und sich rasselnd in dem wankenden Kamine der Hütte fängt. Licht brennt keines in der Hütte und[123] doch ist es erst acht Uhr, ohne Licht müssen die Armen die Stunden hinbringen, bis der Schlaf so barmherzig ist, die Augenlider der Unglücklichen zuzudrücken, damit sie durch ihn gerade Kraft genug erhalten, um den andern Tag neues Elend, alte Noth, dulden zu können.

Auf der Strohschütte im Winkel regt sich ein dunkler Knäuel von lebenden Gestalten, ein Vater ist's und eine Mutter ist's, die ein Kind, ein krankes Kind, zwischen sich genommen haben, um es mit ihren Leibern gegen die Kälte zu schützen. Die Mutter richtet sich auf mit halbem Leibe von dem Stroh, ein zerrissenes Tuch vermag nicht die welken Brüste des armen Weibes zu bedecken, ein dünner, kurzer, wollener Rock ist das Einzige, was dieses Kind des Elends der empfindlichen Nachtkühle entgegensetzen kann; die Mutter richtet sich halb auf, das bleiche Gesicht mit den hohlen Wangen und den halberloschenen Augen beugt sich ganz tief herab auf das Antlitz des schlafenden Kindes. »Es schläft, Mann!« sagt sie mit leiser Stimme; »ist Röschen noch nicht da?«

»Nein, Hannchen!« antwortet der Mann mit einer Stimme, in der der tiefste Schmerz zittert; »nein, Hannchen und sie wird auch schwerlich vor zehn kommen.«

[124] »Ich hungere sehr, Vater!« ruft der eine Knabe vom Heerd her. »Ich hungere und friere!« der Andere.

»Sie haben seit gestern Morgen nichts gegessen!« seufzt die arme Mutter leise.

Der Vater dreht sich um, er wendet sein Gesicht nach der Wand, er weint nicht, denn er hat so viel geweint, daß seine Thräne versiegt ist, er betet nicht, denn das Beten hat ihm tausendmal nichts geholfen, er kann es aber nicht ertragen das gräßliche: »Mich hungert, Vater!«

Ein armer Mann war Mensdorf von jeher gewesen, aber er hatte geschafft und gearbeitet und hatte sich und seine Kinder durchgebracht, selbst in der schwersten Zeit, denn er war ein Arbeiter so rüstig wie es keinen mehr gab in der ganzen Umgegend. Jetzt aber, seit drei Monaten, er hatte nicht weniger gearbeitet als sonst, eher noch mehr und dennoch war er in die entsetzliche Lage gerathen, in der wir ihn heute finden; in eine Lage, in der er täglich fürchten mußte, daß Frau und Kinder verhungern würden vor seinen Augen; in eine Lage, die so entsetzlich war, daß er nur durch den Tod aus ihr erlöst zu werden hoffen konnte.

[125] Wie kam das? Was hatte den Mann mit allen den Seinigen so namenlos, so über alle Beschreibung elend gemacht? Wir werden es sehen. –

»Mann!« sagte die Frau plötzlich, »Mann, hörst Du nicht? Es kommt Jemand.«

Das Herz des armen Mensdorf schlug hörbar, er stand auf und ging mit zitternden Knieen nach der Thür der Hütte; Furcht und Hoffnung, Mangel und Elend, Schwäche und Verzweiflung hatten den, einst so starken, Mann zum Schatten gemacht in wenigen Wochen. Zerrissen schlotterten die Fragmente eines ehemaligen Beinkleides um die entfleischte Gestalt des armen Menschen.

Es klopfte an die Hüttenthür. »Hast Du Brod, Röschen?« fragte der Vater ängstlich, indem er den hölzernen Riegel zurückschob.

»Ja, Vater!« antwortete eine, vielleicht funfzehnjährige, Dirne eintretend.

»Gott sei Dank!« lispelte der arme Mann und lehnte sich an die feuchte Wand.

»Hast Du Brod, Röschen?« fragten noch zwei Stimmen, nur die Mutter fragte nicht, ein grenzenloser Schmerz zerschnitt das Innere der unglücklichen Frau.

[126] »Hier, hier, hier!« sprach die Dirne und reichte den Brüdern und der Mutter Jedem ein Stück grobes, schwarzes Brod aus dem kleinen Korbe, den sie nebst einigen Reisigbündeln im Arm trug.

Dann machte sie Feuer an auf dem Heerde mit diesen Bündeln Reisholz; hellauf flackerte die Flamme und erhellte mit röthlichen und gelblichen Lichtern die Wohnstätte des Hungers und der Verzweiflung.

Da saßen die beiden ganz nackten Knaben auf dem Heerd und kaueten, die Knaben froren nicht mehr, denn sie konnten essen und damit begnügte sich ihre zufriedene Jugend; dort saß die unselige Mutter neben ihrem jüngsten Liebling, sie hielt ein Stück Brod in der Hand, aber sie aß nicht, sie kaute ihr Brod blos klein und bemühte sich nun die, in ihrem Munde erwärmte, schleimige Brodmasse dem armen Kinde einzuflößen.

»Vater, wollt Ihr nicht essen?« fragte die Dirne, sich nach dem Vater umsehend, der noch immer sprachlos an der Wand lehnte. »Kommt, kommt, Vater, Ihr müßt morgen zeitig an die Arbeit, hier ist auch ein Tropfen Schnaps für Euch!« Der arme Mann arbeitete schwer, schwer hob sich seine Brust und erst nachdem ihm Röschen einige Tropfen Schnaps eingeflöst [127] hatte, kam er wieder zu sich, sah sich um in seiner Hütte und schien verwundert, als er alle seine Kinder essen sah, mechanisch ergriff er das Stück Brod, das Röschen ihm reichte und verschlang es dann mit einer thierischen, nicht mehr menschlichen, Gier.

»Die alte Susanne hat mir ein kleines Töpfchen geborgt, Mutter, ich will der Kleinen einen Mehlbrei kochen und dann den Jungen, eines nach dem andern, werdet nicht ungeduldig.«

Bei der flackernden Flamme des Heerdfeuers haben wir Gelegenheit das junge Mädchen, das wir Röschen genannt haben, zu betrachten. Röschen ist erst funfzehn Jahre alt und dennoch schon vollständig erwachsen, ihr Wuchs ist schlank, elegant und dennoch üppig. Glänzend braunes Haar liegt schlicht an einer feinen Wange, deren Blässe von dem Hunger erzählt, den auch sie gelitten in der letzten Zeit, das braune Auge der jungen Dirne ist mild und hell, Mund und Kinn sind zierlich und die Hand, wenn auch nicht ohne Spuren der Arbeit, doch feingeformt. Die Kleidung Röschens besteht in einem kurzen, wollenen Rock, der nicht einmal lang genug ist, um ein grobes, baumwollenes Hemde, das die Wade kaum bedeckt, zu verbergen. [128] Ein schlechtes Tuch verhüllt den Hals und die junge Brust der Dirne.

Röschen würde schön sein, wenn sie besser gekleidet wäre, selbst so in ihrem Plunder, in ihrer ärmlichen Blöße, ist sie nicht ohne Reiz, ohne Anmuth. Emsig ist sie bemüht ein kleines, wie wir hörten geborgtes, Töpfchen zum Kochen zu bringen, sie scheint ganz mit dieser Angelegenheit beschäftigt, dennoch würde es einem aufmerksamen Beobachter nicht entgehen, daß tiefer Schmerz thront auf der tadellosen Stirn, in den hellen Augen des Mädchens, ja, er würde bemerken können, daß der Thränenweg über die Wange frisch betreten ist und daß der Mund, leicht zusammengedrückt, dem anmuthigen Gesicht einen Ausdruck von Entschlossenheit und Willensenergie giebt, den man sonst nicht sucht, auch wohl nicht liebt in den Gesichtern jugendlicher Mädchen.

»Röschen,« beginnt der Arbeiter sich schauernd und fröstelnd dem kleinen Feuer nähernd, »sage mir, haben Deine Bitten gefruchtet? will der Herr mir etwas geben?«

Das Mädchen nimmt hastig das Töpfchen vom Feuer, eine glühende Röthe fliegt über ihr Gesicht und erst, als sie das Töpfchen der Mutter gereicht,[129] antwortet sie fest: »Ja, Vater, er will Euch den Arbeitslohn auszahlen lassen, sechs Pfennige täglich und nur den siebenten will er einbehalten für seine Forderung, auch will er Dir drei Wochen vorauszahlen, damit Du Dir das Nöthige wieder anschaffen kannst.«

Mensdorf antwortete nicht, aber Thränen liefen über seine entfleischte Wange, krampfhaft falteten sich seine Hände, jetzt hatte er wieder Muth und Kraft zu beten.

Röschen seufzte und füllte das Töpfchen zum zweiten Male, um auch den hungernden Brüdern einen Mehlbrei zu kochen.

Welches Bild, hier stand ein Mensch, der Gott brünstig dafür dankte, daß er täglich mit zwölf Stunden Arbeit sechs Pfennige verdienen durfte, daß ihm sein hartherziger Fabrikherr nicht, wie bisher, das Ganze, sondern nur den siebenten Pfennig einbehalten wolle zur Bezahlung einer Forderung von vier Thalern – und dort –? –

Wir verlassen jetzt die Hütte, den Schauplatz des Elends, wir haben die Gewißheit, daß die unglückliche Familie in dieser Nacht noch nicht verhungern wird, wir begeben uns nach dem besten Zimmer jenes schmucken Hauses, das dicht an der großen Fabrik liegt.

[130] Das behaglich erwärmte und erleuchtete Zimmer ist mit allen den kleinen und kleinsten Erfordernissen des feinsten Comforts reichlich versehen – prächtige Meubles, kostbare Uhren, reiche Draperieen – es ist sehr angenehm leben, wenn man reich ist und der junge Mann dort im seidenen Schlafrock ist sehr reich, er besitzt mehrere einträgliche Fabriken und hat einige hundert Sclaven, weiße Sclaven, die er höflich seine »Fabrikarbeiter« nennt. Nachlässig streckt der junge Krösus seine Glieder auf den wollüstig schwellenden Kissen des Divans, nachlässig hält er ein Buch vor sein Gesicht, vor sein Gesicht, das ganz hübsch sein würde mit seinen dunkeln Augen und seinem kleinen Munde, wenn es nicht durch Züge des unleidlichsten Hochmuthes, so wie durch Spuren von sehr frühem und sehr raschem Lebensgenuß entstellt worden wäre. Der junge Mann warf gelangweilt sein Buch weg und eine Art von Freude schimmerte in seinen Augen, als sich die Thür leise öffnete und ein großer, hagerer, gelber Mann eintrat, den die Brille, in Stahl gefaßt, der lange, graue Rock, das große Buch unter dem Arme, die Feder hinter dem Ohr sogleich als die wichtige Person ankündigte, die den Posten eines ersten Buchhalters der Fabrik bekleidete.

[131] Diese Maschine verbeugte sich dreimal äußerst devot vor dem jungen Herrn, der sich nicht rührte, sondern nur einen Laut von sich gab, den man für einen »Guten Abend!« halten konnte, wenn man eben Lust hatte. Schweigend nahm der Buchhalter Platz an dem Tischchen vor dem Divan, öffnete sein Buch und begann mit heiserer, eintöniger Stimme zu lesen: »Hüll und Comp. bestellen 100 Stück Linnen Nr. 21., rathsam anzunehmen, kann in sechs Wochen erledigt sein.«

»Angenommen!« sagt der junge Herr und der Buchhalter macht ein Zeichen in sein Buch.

»Bernett bestellt hundert Stück, ist aber auf die letzte Bestellung noch eintausend siebenhundert Thaler und neun Pfennige schuldig.«

»Soll erst seinen Rest abmachen!« entscheidet der junge Herr.

»Von Berlin werden verschiedene kleine Bestellungen von kleinen Geschäften, aber guten Zahlern, für nächste Ostern gemacht, zusammen für neuntausend Thaler.«

»Angenommen!«

Der Buchhalter schlägt ein anderes Blatt seines Buchs auf.

»Eine Rechnung von 1300 Thalern für die neue Kutsche.«

[132] »Hundert Thaler abzuziehen und zu bezahlen!«

»Eine Weinrechnung von Clicquot Wittwe.«

»Wie viel?«

»Dreihundert Thaler!«

»Zu zahlen; eine neue Bestellung von 200 Bouteillen zu machen!«

Wieder schlägt der Buchhalter ein neues Blatt auf.

»Ein Brief von Major Klödwyn, er ladet zur Jagd für nächsten Freitag.«

»Die Einladung sehr höflich abzulehnen, ich muß nächsten Freitag nach Elberfeld.«

»Ein Brief vom Herrn von Goldstein, er ladet zum Diner auf übermorgen.«

»Kurz abzulehnen, denn man kann mit dem Menschen keinen Umgang mehr haben, seit er den öffentlichen Scandal in den Zeitungen gehabt hat; hätte auch klüger gethan, den Zeitungsschreibern mit ein paar Louisd'or das Maul zu stopfen.«

»Haben Sie noch etwas zu befehlen Herr Strobel?«

»Ja, erstlich bekömmt der Spinner Mensdorf von morgen an täglich sechs Pfennige baar und der siebente wird ihm gut geschrieben, er erhält auch drei Wochen praenumerando und zweitens werden seiner Tochter ein wollener Rock und ein Paar Schuhe verabreicht [133] und ihm nicht in Anrechnung gebracht. Drittens wird das Mädchen nicht zur Arbeit angehalten, sondern arbeitet so viel sie Lust hat, versteht sich Alles nur für jetzt und bis auf Weiteres.«

»Sehr wohl, Herr Strobel!« antwortete der Buchhalter, schloß sein Buch und stand auf.

»Sie können heute mit mir essen, Buchhalter, klingeln Sie einmal.«

Der Buchhalter erfüllte den Befehl seines Herrn und nach einigen Augenblicken stand ein feines Souper zwischen den beiden Männern, die es sich trefflich schmecken ließen und auch der Flasche eifrig zusprachen.

Als Herr Strobel satt war streckte er sich wieder bequem auf seinen Divan und fragte: »Nun, Buchhalterchen, was giebt's Neues? Haben Sie nichts für mich? Ich denke Sie kennen meinen Geschmack hinlänglich.«

»Gewiß, Herr Strobel,« antwortete der würdige Mann mit abscheulichem Grinsen, »habe auch wieder mancherlei, da ist die dicke Dorthe –«

»Nichts mit der, die ist mir zu plump, ich habe sie mir neulich angesehen.«

»Nun denn, die Cordelie von Hornberg's,« fuhr der Buchhalter fort, »die Mutter war heute bei mir [134] und läßt sie Ihnen anbieten, für einen Thaler, wie ich glaube, die Leute nagen entsetzlich am Hungertuche, der Mann soll aber nichts erfahren davon; Sie kennen das Mädchen?«

»Ja, das Mädchen ist hübsch, aber noch sehr jung, will für jetzt mit Röschen zufrieden sein.«

»Mit der haben Sie in der That ein Meisterstück gemacht, Herr Strobel,« versetzte der Buchhalter mit teuflischem Grinsen, »glaubte schon, der Kerl würde desperat genug sein, mit Frau und Kindern zu verhungern.«

»Er weiß auch nichts davon, Buchhalter, ich habe der Dirne versprechen müssen dem Vater nichts davon zu sagen.«

Der Buchhalter lachte diabolisch und sprach: »Ja, ja, ich glaub's schon, mag tüchtig gehungert haben der hochnäsige Kerl in der letzten Zeit, sah wie ein Schatten aus, weiß übrigens sicher Niemand besser um die Sache, als er.«

»Uebertreib' Er's nicht mit den Leuten, Buchhalter,« warnte Herr Strobel nachdenklich, »damit mir's nicht etwa geht, wie dem Narren, dem Goldstein, drüben.«

[135] »Hat gar nichts zu sagen, Herr Strobel, ich weiß, wie weit ich gehen kann, sorge ich doch nur für Dero Vergnügen und Vortheil.«

»Uebrigens, Buchhalter,« fuhr der Fabrikherr, indem er seinem würdigen Diener winkte und sich von ihm eine Cigarre reichen ließ, »hat Er hier jedenfalls Unrecht, Er hätte das Mädchen sehn sollen, wie hübsch es aussahe, wie großartig förmlich, als es mit seinen nackten, weißen Beinchen da vor mich hintrat und mich anblitzte mit seinen hellen, braunen Augen –«

»Ein Paar Ruthenhiebe hätten den Trotz der Dirne schon gebrochen!« murrte der Buchhalter.

»Schäm' Er sich, wer wird ein hübsches Mädchen schlagen!« verwies Herr Strobel und blies den blauen Rauch seiner Manilla von sich.

»Was sagte denn die Dirne, Herr Strobel, wenn ein alter, treuer Diener Ihres Hauses sich erdreisten darf danach zu fragen?«

»Hm!« sprach der reiche Herr, sich dehnend, »sie sagte: ›Herr, ich hungere, mein Vater hungert, meine Mutter hungert, meine Geschwister hungern, Sie sind unser Feind, Sie haben uns Alles genommen, weil mein Vater nicht in Ihr Begehren willigen wollte – meinetwegen aber soll Niemand verhungern, machen[136] Sie mit mir, was Sie mit mir machen wollen, ich will Alles dulden, nur geben Sie meinem Vater seinen Lohn und versprechen Sie mir, ihm nichts von meiner Schande zu sagen.‹ Das sagte das hübsche, trotzige Kind, wir wurden einig und sie ergab sich mir dann ohne alles Widerstreben.«

»Ja, ja, der Hunger ist gut,« erwiederte der Buchhalter, »und wie fanden der Herr Principal die Kleine?«

»Schön, über alle Erwartung!« rief Herr Strobel mit dem Tone der größten Genugthuung.

Während diese beiden Menschengestalten sich also mit einer teuflischen Leichtfertigkeit über das namenlose Elend unterhielten, das sie aus Sinnlichkeit, Habsucht und Gewohnheit über ihre ärmern Mitmenschen brachten, fand in einer ärmlichen Hütte eine ganz an dere Scene statt.

Auch diese Hütte ist, gleich der des armen Mensdorf, von allem Hausrath entblößt, doch lodert ein tüchtiges Feuer auf dem Heerde und einige schadhafte Stühle stehen um einen wackeligen Tisch.

Drei Männer sprechen an dem kleinen Fenster, dessen zerbrochene Scheiben mit geöltem Papier verklebt sind, leise aber eifrig, mit einander, an dem Heerde[137] sitzt eine Frau, die von Schmutz und Häßlichkeit starrt, sie blickt gedankenlos in das Heerdfeuer, an dem eine plumpe, aber sonst nicht unschöne, wenn auch sehr schmutzige, Dirne beschäftigt ist.

»Cordelie!« spricht die schmutzige Frau zu dem schmutzigen Mädchen, »Cordelie, brich doch die Lehne ab von dem Stuhl und wirf sie in's Feuer, damit wir wenigstens warm haben die Nacht, denn schlafen können wir doch nicht wegen der Mannsleute.«

Schweigend gehorchte das Mädchen, man sah sie mit großer Behendigkeit die beiden Stuhllehnen abreißen und dann die mürben Holzstücke, so leicht als wären es Strohhalme gewesen, über dem Knie zerbrechen.

»Es wird spät, Hornberg wird uns doch etwas Brod mitbringen?« fragte die Alte.

»Ich verhungere fast, Mutter!« antwortete die Tochter.

»Ich habe heute Deinetwegen mit dem Herrn Buchhalter gesprochen, Cordelie, er machte mir Hoffnung, er meinte, Du könntest dem Herrn gefallen und gab mir einen Schluck Branntwein.«

»Giebt mir der Herr zu essen, wenn ich ihm gefallen habe, Mutter?« fragte Cordelie und sah ihre Mutter mit dem gutmüthigsten und einfältigsten Blick ihrer blaßblauen Augen an.

[138] »Er giebt Dir zu essen, Kind, und Geld und einen neuen Rock, denn der Herr ist eigentlich gut, sehr gut, wenn nur der Herr Buchhalter nicht wäre!«

»Wenn ich Geld habe und Essen, Mutter, dann sollt Ihr sicher nicht hungern!« rief Cordelie mit natürlicher Gutmüthigkeit.

In diesem Augenblick traten noch vier Männer in die Hütte, von denen Einer, der Fabrikarbeiter Hornberg, rasch auf den Heerd zuschritt und seiner Frau und seiner Tochter, Jeder, ein Stück Brod und ein Stück Speck reichte.

»Ihr werdet verdammt gehungert haben, Ihr armen Weibsen!« sagte der Mann mit rauher Stimme und streichelte mit seiner gewaltigen Hand den Kopf seiner Tochter, die, gleich der Mutter, eifrig zu essen begann; »und doch hättet Ihr beinahe nichts bekommen, der Buchhalter, der Schuft, wollte mir und Cordelien die zwei Tage abziehen, die Du, armes Weib, krank gewesen bist, unsere Schuld beim Krämer habe ich bezahlt, aber er will uns doch nichts mehr borgen, da hier ist der ganze Rest!« bei den Worten warf er vierzehn Pfennige in den Schooß des Weibes 1; »wie [139] es nun werden soll bis zum nächsten Sonnabend, das mag Gott wissen, ich weiß es nicht!«

Der Mann mit dem herkulischen Körperbau wendete sich um, er wollte den Weibern die Thräne nicht sehen lassen, die über sein finsteres Gesicht rann, er knöpfte die baumwollene Jacke auf, der Gedanke an die Zukunft machte ihm heiß selbst in der Kälte, denn das Heerdfeuer erleuchtete die Hütte zwar, aber erwärmte kaum die dem Heerde zunächst Stehenden. Jetzt traten noch vier Männer in die Hütte und gleich nach ihnen noch einige, so daß wohl ein funfzehn versammelt sein mochten, deren zerrissene Kleidung, elendes Aussehen und gedrücktes Wesen hinlänglich verrieth, daß sie zu der verachteten Kaste der deutschen Parias gehörten; es waren besitz- und rechtlose, deutsche Fabrikarbeiter, weiße Sclaven.

Das Gespräch dieser Männer schien aufregender Art zu sein, denn immer lauter wurden die Stimmen.

»Gott helfe mir!« rief Einer plötzlich ganz laut, »ich kann's nicht länger ertragen dieses beständige Arbeiten und Hungern, mag der König mein armes Weib und meine armen Würmer ernähren, ich gehe davon!«

»Sind wir nicht Menschen so gut als die reichen Herren?« begann ein Anderer, »ist's nicht himmelschreiend, [140] durch unsere Arbeit werden sie immer reicher und wir müssen unsere Kinder verhungern sehn!«

»Es ist wenig sieben Pfennige,« sprach der Arbeiter Hornberg, »aber wenn man sie uns nur gäbe, es ginge dann schon.«

»Ja, ja,« sagte ein älterer Mann, »wenn man uns unser Geld nur gäbe, wir brauchten doch dann nicht zu hungern, aber die verdammten Waaren, die man uns statt des Geldes giebt, die wir wieder verkaufen müssen, weil wir sie nicht brauchen können, die richten uns zu Grunde.«

»Und es ist doch gegen das Gesetz,« bemerkte ein Anderer, »man soll uns baar Geld geben und keine Waare, es ist verboten, ich weiß es!«

»Was hilft uns das, Anton,« rief Hornberg, »wer Geld hat, hat immer Recht, willst Du etwa klagen gegen den Herrn?«

»Ich kann nicht klagen, denn ich habe kein Geld und ohne Geld giebt's kein Recht auf Erden!«

»Ich will Euch etwas sagen, Genossen!« schrie ein derber, nerviger Mann, einen Schritt vortretend, »neulich sprach ich einen Reisenden, der aus Frankreich kam, dem klagte ich meine Noth, wißt Ihr, was er sagte?«

[141] »Nun?« fragten ein Dutzend Stimmen.

»Ich will's Euch sagen; um's Euch zu sagen, habe ich Euch hierher bestellt zu Hornbergen; er sagte, wir sollten's machen wie unsere französischen Brüder –«

»Und wie machen's die?«

»Das sind Kerls, sag ich Euch, wenn die der Fabrikherr zu sehr schindet und plagt, dann weigern sie sich einmüthig zu arbeiten und zwar so lange, bis der Herr in ihr Begehren gewilligt!«

»Laßt's uns auch so machen, Genossen, wir wollen uns weigern zu arbeiten; er muß nachgeben und thut er's nicht, wir müssen ja so und so verhungern!« rief ein Anderer.

»Aber,« wendeten Einige ein, »wenn man nun die Gensd'armen schickt und Soldaten, um uns zu zwingen?«

»So wehren wir uns,« schrie der, der zuerst gesprochen hatte, »ich glaube es ist besser unter den Bajonetten der Soldaten zu sterben, als zu verhungern, als Weib und Kind verhungern zu sehen.«

Eine tiefe Stille herrschte nach diesen Worten in der Versammlung, es war nicht die Furcht vor dem Tode, was diese armen Menschen stutzen ließ, sie sahen ja dem schrecklichsten Tode, dem Hungertode, Jahre [142] lang in's Antlitz, aber es wohnt ein rührender Abschen vor der Empörung in der Brust des deutschen Menschen, selbst diese Rechtlosen, diese Sclaven elender Gewinnsucht, schauderten bei dem Gedanken an den Widerstand gegen die Soldaten des Landesherrn. Diese Pause, die im Gespräch eingetreten war, benutzte ein junger Mann in einer blauen Blouse, um rasch in den Kreis zu treten.

Es ist der Doctor Johann Faust, Don Juan's Freund.

»Wollt Ihr mich hören, lieben Leute?«

»Wer ist er? Ein Fremder! Doch kein Spion?« fragten die Arbeiter unter einander.

»Es ist ein Herr, den ich mitgebracht habe, ich stehe für ihn!« sprach der Arbeiter Hornberg laut.

»Ein Herr?« fragten die Arbeiter staunend.

»Ein Mensch, ich bin ein Mensch, wie Ihr!« rief Faust, »seit Jahren habe ich mich mit Eurem Elend beschäftigt, arme Brüder, seit Jahren auf Abhülfe gesonnen; hört mich, Euer Elend ist groß, riesengroß, ich kenne es genau und, bei Gott, ich wundere mich nicht, daß Ihr auf den Gedanken kommt, gewaltsam die Fessel des Elends zu sprengen; aber der Gedanke[143] ist thöricht, denn er hilft Euch nicht aus Eurem Jammer, sondern führt Euch nur in's Gefängniß –«

»Im Gefängniß verhungert man nicht,« warf der alte Mann, der schon einmal gesprochen, finster ein, »der König sorgt für die Diebe und Mörder besser, als für uns, die wir seine getreuen Unterthanen sind.«

»Der König,« rief Faust, »ist mächtig, lieben Brüder und weiß Vieles, aber allmächtig und allwissend kann er nicht sein, das eben wollte ich Euch sagen, dazu bin ich hergekommen. Der König soll es erfahren, wie es Euch geht; er soll unterrichtet werden von Eurem Elend und, ich weiß es, er wird Euch helfen. Ihr müßt zuerst ein Recht haben, in einem rechtlichen Verhältniß zu den reichen Fabrikherren stehen und darum sollt Ihr den König bitten, daß er EuchSchiedsgerichte giebt, halb aus Arbeitern, halb aus Fabrikherren zusammengesetzt; diese Gerichte sollen darüber wachen, daß Ihr Euren Lohn baar und pünktlich erhaltet, sie sollen gemeinschaftlich die Höhe des Lohnes, der sich nach der Höhe der Preise richten muß, bestimmen. Diese Schiedsgerichte werden Streitigkeiten zwischen Euch und Euren Herren schlichten und auf diese Weise werdet Ihr ein Recht erhalten, das Euren Zustand sichert. Ihr werdet dann vielleicht noch immer [144] arme Leute sein, aber Ihr werdet nicht verhungern und werdet Staatsbürger sein, so gut wie die Reichen, und nicht wie jetzt arme hungernde Sclaven! Glaubt Ihr nicht, lieben Leute, daß der König solchen billigen Wünschen ein geneigtes Ohr leihen werde?«

»Ja, Herr, ja der König ist gut!« riefen Einige, Andere aber sagten: »Der König ist wohl gut und er würde uns gewiß hören, wie aber zu ihm kommen? Wer von uns hat Geld genug, um nach Berlin zu reisen, so weit? Wer bringt uns zu ihm? Würden uns die vielen Soldaten zu ihm in sein Schloß lassen?«

»Freilich wohl nicht,« fuhr Faust fort, »wenn Ihr sämmtlich kämet, aber hört mich, ich bin schon in vielen Fabrikdörfern gewesen und habe mit den armen Arbeitern gesprochen, wie ich mit Euch gesprochen habe, Ihr sollt die letzten sein mit denen ich jetzt rede, denn ich habe genug. Zwanzig Eurer Brüder, Jeder aus einem andern Ort, haben sich entschlossen mit mir nach Berlin zu reisen; ich will Euch zum Könige bringen, er wird Euch hören und wird sicher Euer Elend berücksichtigen; gebt mir Einen von Euch, Einen der reden kann und das Herz auf dem rechten Flecke hat, [145] der mag mich begleiten, die Kosten der Reise will ich tragen.«

Stumm vor Erstaunen standen die elenden Menschen; Einer der Ihrigen sollte in den Königspallast treten und ihre Noth dem Herrscher selbst klagen! Der Gedanke machte sie schwindeln. Doctor Faust drängte, man entschloß sich nun, bestimmte endlich den Arbeiter Hornberg zum Deputirten und begann sich in Danksagungen gegen Faust zu erschöpfen.

»Ich brauche Euch nicht zu sagen, lieben Leute,« nahm der Doctor wieder das Wort, »daß ein tiefes Stillschweigen über unser Vorhaben beobachtet werden muß, redet also so wenig als möglich davon und Du, Freund Hornberg, kommst nächsten Mittwoch nach Elberfeld in den kleinen Gasthof vor der Stadt, wo Du mich zum ersten Male sah'st und fragst nach dem Doctor Faust. Ihr aber, guten Leute, damit Ihr nicht verhungert in der nächsten Zeit, sollt erfahren, daß ich nicht blos leere Worte mache, ich will Euch Geld geben, Ihr könnt mir's einmal wieder geben, wenn Ihr könnt, könnt Ihr's niemals, so ist's auch gut. Ihr, guter Alter, wie viel braucht Ihr wohl, um Euch für's Erste vor dem Hunger zu schützen?«

»Herr!« sagte der Alte, »ich verdiene täglich sechs[146] Pfennige, denn es will nicht mehr recht fort mit mir, meine Tochter, die ein kleines Kind hat, verdient eben so viel, damit kämen wir aus, wenn wir das Geld so bekämen, aber Sie werden wissen, daß man uns immer mit Waaren bezahlt und wir dann in Schulden gerathen, indeß, wenn wir zwei Thaler hätten, so könnten wir wohl den Winter durchkommen.«

Faust zog seine Börse und gab dem Alten zwei Thaler, dann fragte er, Reihe um, nach der Stärke der Familien der Männer und gab Jedem nach Verhältniß. Zweifelnd, staunend und fast erschrocken nahmen die Männer das Geld, zu danken vermochten sie nicht und lächelnd schickte sie Faust fort, indem er rief: »Jetzt geht, lieben Leute, hoffentlich sehen wir uns in einigen Wochen vergnügter wieder, laßt's Euch nicht merken, daß Ihr Geld habt, seid so fleißig, als wenn Ihr keins hättet, lebt wohl!«

Viele der Männer hatten Thränen im Auge, als sie die Hütte verließen.

»Freund Hornberg!« wendete sich Faust jetzt zu dem Arbeiter, »hier ist Geld für Euch, gebt's Eurer Frau, daß sie davon lebt während Eurer Abwesenheit, und Ihr Frau,« Faust trat an den Heerd und sprach ernst und laut, »laßt Euch nicht vom Teufel blenden,[147] verhungert lieber, als daß Ihr Euer Kind der Wollust eines reichen Schuftes verkauft, ich will für Euch sorgen, aber ich stoße Euch ins tiefste Elend, wenn ich je wieder von Euch dergleichen Dinge erfahre, lieber mit Ehren verhungert, als mit Schande schwelgend gelebt. Lebt wohl, Freund Hornberg, am Mittwoch erwarte ich Dich!«

Faust ging hinaus.

Wir wollen diese Facta allein für sich sprechen lassen – Mensdorf in's Elend gestürzt, weil er den Muth hat seine Tochter der Wollust seines »Herrn« zu verweigern; die Hornbergin durch Hunger dahin gebracht, ihre Tochter diesem »Herrn« zum Verkauf anzubieten – die absolute Nichtswürdigkeit des Buchhalters, neben der parfümirten, aber darum nicht geringern seines Principals – was sind in der Hand solcher Tirannen arme Fabrikarbeiter ohne Rechtsschutz? Liegt nicht eine Größe des Elends in dem Charakter der jungen Dirne, die sich dem »Herrn« Preis giebt, um Vater und Mutter und Geschwister vom Hungertode zu retten? –

Fußnoten

1 Sieben Pfennige täglich ist das Höchste, was ein westphälischer Spinner verdienen kann mit zwölfstündiger Arbeit.

6. Ein Vater, der seine Tochter sucht
VI. Ein Vater, der seine Tochter sucht.
[149][151]

An demselben Tage, an dem Doctor Faust mit den westphälischen Arbeitern gesprochen, kam Don Juan mit Extrapostpferden in Hamburg an und bezog mit Incarnacion das Hôtel, das er schon bewohnt hatte bei seiner letzten Anwesenheit in Hamburg.

Incarnacion trauerte, das braune Mädchen fühlte sich unwohl in Europa und Don Juan hatte kaum noch einen Blick, geschweige denn einen Gedanken, ein Wort für sie. Er dachte nichts, als seine verlorene Tochter, seine Tochter wollte der alte Edelmann wieder haben um jeden Preis, oder er wollte wenigstens wissen, was aus ihr geworden, wo sie geendet und wie sie gestorben, denn wir haben bereits erwähnt, daß Don Juan innerlich von dem Tode seiner Toska überzeugt war. In Hamburg angekommen, begann er sogleich mit rastlosem Eifer und einer instinctartigen Klugheit seine Nachforschungen. Zuerst ermittelte er, was er von Anfang für eine Unwahrheit gehalten, daß es [151] nicht zwei Capitaine Förster gab in Hamburg, eben so wenig als zwei Brigantinen, die den Namen »Jungfrau« führten und daraus folgerte er sehr richtig, der Entführer seiner Tochter habe den ersten besten Namen eines Schiffes angegeben, das gerade nicht in Hamburg vor Anker lag. Er konnte nicht wissen, daß die »Jungfrau« so bald zurückkehren würde.

Mit dem, angeblich von Toska geschriebenen, Briefe in der Hand begab sich Don Juan auf die Preußische Post, er bat um ein Gespräch mit dem ersten Postbeamten, die Register wurden nachgesehen und der Brief an den Professor Klingsohr fand sich richtig eingetragen. Der erste Postbeamte ließ nun den Postsecretair rufen, der die Briefe an diesem Tage eingetragen hatte und Don Juan fragte ihn, ob er sich nicht erinnere, wer den Brief an Professor Klingsohr aufgegeben.

Der höfliche, junge Mann gab sogleich Auskunft und sagte, daß er sich beim Empfang des Briefes über den Namen »Klingsohr« gewundert habe, der Name sei ihm bekannt aus dem »Sängerkrieg auf der Wartburg von Hoffmann.« Der Ueberbringer des Briefes sei indeß ein Hausknecht aus einem Gasthose gewesen, den er nicht kenne.

[152] Don Juan unterredete sich jetzt eine Weile mit dem Oberbeamten, der Postsecretair erhielt drei Tage Urlaub und gab gern der Bitte Don Juan's nach, mit ihm durch alle Gasthöfe Hamburgs zu gehen, um den Hausknecht, der den Brief aufgegeben, ausfindig zu machen. »Ich erkenne den Menschen bestimmt wieder, wenn ich ihn sehe!« behauptete der Postsecretair und auf dieser Behauptung beruhte Don Juan's ganze Hoffnung. Don Juan und der Postsecretair durchwanderten zwei Tage lang die verschiedensten Hôtels, ließen sich die Hausknechte überall vorstellen, aber der Gesuchte war nicht dabei. Am Morgen des dritten Tages kam der Postsecretair, wie gewöhnlich, um Don Juan abzuholen, aber sein Gesicht strahlte vor Freude, als er eintrat. »Ich habe ihn, Herr General, ich habe ihn!« rief er.

»Wo? wo?« fragte Don Juan eifrig.

»Er begegnete mir hier auf der Treppe, es ist der Hausknecht Ihres Hôtels – merkwürdig, daß wir daran nicht gedacht haben.«

Don Juan zitterte heftig, er zog die Klingel und bat den eintretenden Kellner ihm den Hausknecht zu senden; nach einigen Augenblicken trat ein ehrlicher, vierschrötiger Vierlander in's Zimmer.

[153] »Haben Sie nicht am 11ten October Briefe nach der Preußischen Post getragen?« fragte Don Juan.

Der Hausknecht starrte den Frager verdutzt an und antwortete dann zögernd: »Ne, ich weeß es nich, ich trage die Briefe nicht auf die Post.«

»Wer trägt sie denn?«

»Der lange Dornguth, mein Kamerad!«

Der lange Dornguth wurde citirt und bestätigte, daß er allerdings die Briefe zu besorgen habe und namentlich in der letzten Zeit stets selbst gegangen sei. Der Postsecretair aber war seiner Sache gewiß und fragte den ersten Hausknecht: »Sie brachten mir einen einzelnen Brief, es war, wenn ich nicht irre, gegen Abend, sollten Sie nicht vielleicht, außer der Zeit, dergleichen Bestellungen übernommen haben?«

»He!« sagte der lange Dornguth, seinen Kameraden anstoßend und ihm einen Blick zuwerfend, »He! sprich doch!« Der Vierlander schien sich zu besinnen.

»Was ist's denn?« fragte Don Juan.

»Gnädiger Herr!« begann der lange Dornguth, »Christel hat vor ein Paar Wochen ein Mal einen Brief getragen, ich weiß es wie heut, weil er fünf Schilling Trinkgeld bekam, worüber ich mich ärgerte.«

[154] »Ach ja!« rief der Vierlander erfreut, »fünf Schillinge Trinkgeld; es war der blasse, junge Herr auf Nro. 3!«

Don Juan wußte nun genug, er entließ die Hausknechte mit einem anständigen Douceur und ließ den Wirth des Hôtels zu sich bitten. Der höfliche Mann ließ nicht lange auf sich warten und in wenigen Minuten wußte Don Juan, daß am 10ten und 11ten October ein junger Franzose, Namens de Besché, in Nro. 3. logirt habe; mit Hülfe des Stubenmädchens erlangte Don Juan auch bald ein sehr genaues Signalement und durch den Oberkellner eine Notiz, die ihm äußerst wichtig war. Der Oberkellner hatte Herrn de Besché auf sein Begehr durch einen Lohnbedienten nach einem berühmten Banquierhause führen lassen.

Don Juan machte sich nun sogleich, von seinem getreuen Postsecretair geführt, nach diesem Banquierhause auf den Weg und wurde mit zuvorkommender Freundlichkeit in das reich meublirte Cabinet eines alten Mannes geführt, der eben sehr behaglich bei seinem Frühstück saß, das ihm eine wunderschöne, junge Dame, seine Tochter, servirte.

Der Postsecretair, der dem Banquier bekannt war, stellte den Herrn General Juan von Aurinia vor und[155] Beide wurden höflich gebeten an dem Frühstück Theil zu nehmen. Juan hatte viel Selbstbeherrschung nöthig, um unter diesen Umständen an der leichtern Conversation Theil nehmen zu können, die während des Frühstücks geführt wurde und war sehr froh, als der Banquier endlich sagte: »Vermuthlich kommen Sie in Geschäften zu mir, mein Herr General?«

Bei diesen Worten erhob sich die Tochter vom Hause und entfernte sich in ein Fenster, der Postsecretair folgte ihr. Don Juan, der wohl wußte, welche Wichtigkeit ein Banquier auf das Geld legt und legen muß, wählte das beste Mittel sich in Ansehn zu setzen, er öffnete seine Brieftasche und sagte: »Ich komme in doppelter Absicht zu Ihnen, mein Herr, erstlich wünschte ich zu einer Reise durch Deutschland deutsche Wechselbriefe von Ihnen, ich biete Ihnen dafür diese Papiere von Salamanka in Madrid und von Lionel Rothschild in London.«

Der Banquier war einen einzigen Blick auf die Papiere, dann maaß er seinen Gast eine Secunde lang mit den Augen und verneigte sich höflich.

»Kann ich also auf Ihre Vermittlung rechnen?« fragte Don Juan.

[156] »Gewiß!« antwortete der Banquier eifrig; »wie viel brauchen Sie baares Geld, wie viel wollen Sie Papiere von mir?«

»Ich wünsche tausend Louisd'or und zwanzigtausend Thaler Papier.«

»In einer Stunde soll es in Ihrem Hôtel sein.«

»Aber ich habe noch eine Bitte an Sie.«

»Ich stehe ganz zu Ihren Diensten, Herr General.«

»Entschuldigen Sie, wenn ich Ihnen etwas indiscret erscheine; kennen Sie einen Herrn de Besché?«

»de Besché, de Besché? nein, Herr General, ich kenne Niemanden dieses Namens.«

»Mein Herr,« sprach Don Juan weiter, »ein Herr, der sich de Besché nannte, logirte am 10ten und 11ten October in dem Hôtel, in dem auch ich jetzt wohne, am eilften October führte ihn ein Lohnbedienter zu Ihnen – da mir nun Alles daran gelegen ist Weiteres von dieser Person zu erfahren, so würden Sie mich auch durch die geringste Mittheilung sehr verbinden.«

»Entschuldigen Sie einen Augenblick, Herr General!« bat der Banquier, stand auf und klingelte. Dem[157] eintretenden Diener flüsterte er einige Worte zu und nach ein Paar Minuten trat ein ältlicher Mann mit einem Buch unter dem Arm in's Zimmer.

Der Banquier nahm das Buch und blätterte eine Weile darin, dann sprach er: »Herr General, einen de Besché finde ich nicht, aber Herr Colbert hat ein ausgezeichnetes Gedächtniß,« – der erste Geschäftsführer des Hauses, Herr Colbert, verneigte sich geschmeichelt, – »wenn sie genau wissen, daß Ihr Herr de Besché zu uns gekommen ist, so beschreiben Sie gütigst seine Gestalt und ich stehe Ihnen dafür, Herr Colbert wird ihn erkennen.«

Don Juan zog ein Blatt Papier aus seiner Brieftasche und las das von dem Oberkellner und der Stubenmagd ihm gegebene Signalement: Jung, schlank, blaß, düstere Augen u.s.w.

Herr Colbert unterbrach den General durch eine rasche Handbewegung und rief hastig: »Definitiv der Franzose, der die Wechsel von van Maanen in Amsterdam und Saportius in Ostende hatte und sie gegen Papiere auf Lafitte in Paris umwechselte; definitiv, ganz entschieden der Franzose, Graf von St. Aignan nannte er sich, es war das einzige Discontogeschäft, das ich am 11ten gemacht habe.«

[158] »Ich danke Ihnen, mein Herr!« erwiederte der General indem er sich die Namen der Handelshäuser notirte.

»Herr Colbert,« sprach der Banquier, »besorgen Sie dem Herrn General von Aurinia in sein Hôtel tausend Stück Louisd'or und zwanzigtausend Thaler auf deutsche Häuser, schreiben Sie es auf diesem Rothschild'schen Papier ab.«

Don Juan entfernte sich nun, höflich dankend, aus dem Hause des Banquiers und dieser sagte zu seiner Tochter: »Wie kommt der Postsecretair zu diesem riesenhaft reichen General; Papiere von Rothschild, von Salamanca, he!«

»Ich habe den Herrn Postsecretair nicht darnach gefragt;« antwortete die schöne Tochter.

»Nicht?« verwunderte sich der Banquier, »nun wovon habt Ihr denn so lange und so eifrig gesprochen?«

Die Tochter antwortete nicht, sondern drehte sich erröthend um.

Bei seiner Rückkunft in das Hôtel fand Don Juan einen Brief des alten Klingsohr, in welchen ein Zettel des Doctor Faust eingeschlossen war.

[159] Klingsohr meldete, daß er eifrig an einem Buche über das Elend der arbeitenden Klassen schreibe, zu dem ihm Doctor Faust das Material gesendet habe, schließlich bat er Don Juan, seinen Besuch bei dem Grafen Vavel de Versey nicht länger aufzuschieben, »der Mensch muß,« so schrieb Klingsohr, »mancherlei für Dich auf dem Herzen tragen, denn er fürchtet sich entsetzlich zu sterben, bevor er Dich gesehen.«

Faust, in seinem Zettel, forderte Don Juan dringend auf, in Sachen der Menschheit, spätestens um Neujahr, in Berlin zu sein.

Aergerlich, aufgeregt schritt Don Juan im Zimmer auf und ab; nach Berlin rief ihn Menschenpflicht, nach Hildburghausen Christenpflicht, sein Vaterherz aber trieb ihn, den flüchtigen Spuren des Entführers seiner Tochter nach Ostende, Amsterdam und Paris zu folgen. Lange überlegte Don Juan, dann sagte er entschlossen: »Erst gehe ich nach Hildburghausen, dann nach Amsterdam und Paris, ich kann um Neujahr dann recht gut in Berlin sein! – ja – aber Incarnacion? die arme Blume verwelkt, verdorrt im kalten Norden – ich würde sie morden, wenn ich sie mit mir nähme auf diesen Eiltouren – ich bringe sie zum alten Klingsohr!«

[160] Am andern Morgen hatte Don Juan mit Incarnacion Hamburg verlassen und Herr Colbert erklärte den spanischen General für einen effectiv und notorisch noblen Aristocraten, sein gutes Gedächtniß hatte dem ersten Buchhalter goldene Früchte getragen! –

Am Morgen der Abreise Don Juan's von Hamburg, also zwei Tage nach der Unterredung des Doctor Faust mit den Fabrikarbeitern in Hornberg's Hütte trat der Buchhalter mit seltsamen Gesichte in das Zimmer seines Principals, des jungen Herrn Strobel, der sich eben eifrig mit einer Straminstickerei beschäftigte – er mußte doch etwas thun, sich mit irgend einer Waffe vertheidigen gegen seinen furchtbarsten und hartnäckigsten Feind, gegen die Langeweile.

»Was bringen Sie, Buchhalter?« rief er dem Eintretenden entgegen, »was machen Sie für ein verwünschtes Gesicht?«

»Herr Principal, ich habe –« begann der würdige Diener des Hauses stotternd.

»Nun, was haben Sie? Reden Sie doch, Mann? Brennen die Fabriken? Ist ein Aufstand unter den Fabrikarbeitern ausgebrochen?«

»Nein, noch nicht, aber –«

»Was?« schrie Herr Strobel schneebleich. Schon[161] der Gedanke, daß die Masse der unglücklichen, unterdrückten Sclaven sich erheben könnte, jagt bleiche Furcht in die Seelen der erbärmlichen Tyrannen.

»Herr Strobel,« bat der Buchhalter, »beruhigen Sie sich, wir können der Sache noch zuvorkommen, hören Sie mich – –«

»Nein, nein, Buchhalter, ich will fort, ich muß fort!« schrie der entsetzte, feige Wollüstling, der nur hungernden Dirnen gegenüber Muth hatte. Der Buchhalter, obgleich auch ihm die Sache wenig erwünscht war, sah doch mit verächtlichem Lächeln auf seinen feigen, zitternden Principal. Er hatte wenigstens den Muth zum Bösen, es lag wenigstens eine Art von Kraft in ihm, während Herr Strobel so recht ein charakterloser Schwächling war, wie sie unsere Zeit erzieht, eine moralische Null, die nicht den Muth hat, etwas zu sein, wär' es selbst etwas Schlechtes, sondern die sich beständig schaukeln läßt von der Woge des Tages und durch elendes Geschehenlassen tausendfach sündigt, wo ein erklärter, entschiedener Bösewicht nur einfach zu freveln vermag.

»Sie sollen auch fort, Herr Strobel, aber heute hat es keine Eile, hören Sie mich nur, Herr Principal!«

[162] Der junge Mann, durch die letzte Rede seines Buchhalters etwas ermuthigt, setzte sich in seinen Stuhl und sprach: »Nun reden Sie, Buchhalter, was ist's? was giebt's?«

»Verehrtester Herr Principal, vorgestern schon bat mich ein College auf die Arbeiter Acht zu haben, er glaube, daß Emissaire der französischen Revolutionspartei ihr Wesen trieben auch bei uns und namentlich durch Geldunterstützungen die Arbeiter aufzuwiegeln suchten gegen ihre Herren, gegen den Staat. Ich hätte beinahe gelacht über die ängstliche Besorgniß meines Collegen, denn ich kenne unsere deutschen Arbeiter durch und durch, oder glaubte wenigstens sie zu kennen. Gestern fiel es mir auf, daß die Leute zwar Alle ruhig arbeiteten, aber doch ein funfzehn bis zwanzig von ihnen sehr große, ungewöhnlich große Stücke Brod zum Mittagsessen bei sich hatten. Indessen fragte ich nicht darnach, bis ich endlich gestern Abend spät die Befürchtungen meines Collegen leider bestätigt fand –«

»Um Gottes Willen, kommen Sie zur Sache!« schrie Herr Strobel.

»Ich ließ gestern Abend spät die Hornbergin mit ihrer Tochter zu mir kommen; da der Herr Principal keinen sonderlichen Appetit verspürten nach dem jungen [163] Dinge, so wollte ich den Handel für mich machen und staunte nicht wenig, als die Hornbergin ganz reinlich gekleidet, ohne ihre Tochter, zu mir kam. Ich ließ sie etwas hart an, daß sie allein gekommen, aber das Weib hatte die Frechheit, mir zu antworten: ›Wenn Sie mich nur schimpfen wollen, so werde ich gehen!‹ Dieses Weib, das vor drei Tagen noch so verlumpt und schmutzig aussah, das so verhungert war, daß es mich bat, ihr ihre Tochter für einen Thaler abzukaufen, führte heute eine solche Sprache – dahinter mußte etwas stecken und bei der Dummheit des Weibes hatte ich's bald heraus; denken Sie sich, Herr Principal, schon seit mehren Monaten durchstreicht ein junger Mann in einer grauen Blouse die Fabrikdörfer und erkundigt sich nach den kleinsten Dingen, hält Reden und vertheilt Geld an die Arbeiter, vorgestern hat er bei Hornbergs eine Rede gehalten, mehr als dreißig unserer Leute sind dabei gewesen, zuletzt haben sie beschlossen eine Deputation nach Berlin an den König zu senden und Seiner Majestät die Noth der Arbeiter in Westphalen vorzustellen. Die Kosten zur Reise giebt der junge Mann und er will auch den Deputirten in zerrissenen Jacken eine Audienz bei dem Könige verschaffen.«

[164] »Ich gehe fort, ich bleibe nicht eine Stunde mehr hier, unter solchen Umständen ist man ja seines Lebens nicht mehr sicher!« stöhnte Herr Strobel.

»Was befehlen der Herr Principal, was soll ich thun?«

»Machen Sie, was Sie wollen, Buchhalter, lassen Sie mich in Frieden, ich mag mit solchen Rebellen nichts zu thun haben!«

Der Buchhalter lächelte und sagte nach einer kleinen Weile: »Ich getraue mich die ganze Sache noch in's Gleiche zu bringen, wenn der Herr Principal ein tausend Thälerchen nicht ansehen wollen.«

»Machen Sie, was Sie wollen, Buchhalter, ich reise auf ein Jahr nach Paris, wenn Sie herunter gehen, schicken Sie mir meinen französischen Kammerdiener.«

»Aber, Herr Principal, von Leuten, die sich demüthig bittend an den König wenden, haben Sie ja gar nichts zu fürchten!« warf der Buchhalter ein.

»Das verstehen Sie nicht!« schrie Herr Strobel ärgerlich; »suchen Sie die Geschichte hier beizulegen, stopfen Sie den Kerlen mit Geld das Maul, machen Sie was Sie wollen, Sie haben plein pouvoir, ich gehe nach Paris, à propos schicken Sie mir auch [165] Röschen aus der Fabrik herauf, ich will sie mit nach Paris neh men, das wird gut sein für ihre weitere Ausbildung.«

Der Buchhalter entfernte sich mit drei Verbeugungen und jubelnd im Stillen, zwar war auch ihm nicht wohl bei dem Gedanken an einen Arbeiteraufstand, aber er glaubte die Mittel zu haben zur Vereitelung eines solchen Planes und unberechenbaren persönlichen Vortheil gewährte ihm die weitere Entfernung des Herrn Principals.

Zwei Stunden später hielt der moderne Reisewagen des jungen und reichen Herrn Strobel bespannt und gepackt vor der Hausthür. Der junge Herr selbst saß in völliger Reisekleidung vor dem Schreibtisch und unterschrieb einige Vollmachten für den ersten Buchhalter, der ihm lächelnd über die Schulter sah. Herr Strobel war fertig und mit einer tiefen Verbeugung nahm der Buchhalter die Vollmachten an sich.

»Wo ist Röschen?« fragt der Fabrikherr eilfertig, indem er die Glacéehandschuh anzieht.

Der Buchhalter öffnet die Thür und das schöne, bleiche Kind mit dem braunen Auge tritt ein, es ist etwas besser gekleidet, als neulich, aber immer noch ärmlich genug.

[166] »Du wirst mich auf einer Reise begleiten, mein hübsches Kind!« sagt Herr Strobel, indem er die blasse Wange Röschens streichelt; »ich werde es Deinem Vater sagen und ihm zehn Thaler auszahlen lassen.«

Röschen schwieg und litt geduldig die Liebkosung.

»Nun, meine kleine Dirne, Du sagst nichts, freu'st Du Dich nicht, daß Du reisen kannst und zugleich für Deine Familie sorgen; oder willst Du nicht mit?«

»Ich muß wohl;« entgegnete die junge Dirne und eine Thräne umdüsterte ihr helles Auge.

»Nun so komm!« rief Herr Strobel und faßte das Mädchen bei der Hand; auf einen Wink warf der Buchhalter einen schweren seidenen Mantel über Röschens ärmliche Kleidung und sie wurde hinausgeführt.

»Darf ich meinem Vater und meiner Mutter kein Adje sagen?« fragte sie unten am Wagen Herrn Strobel schüchtern.

»Ich habe keine Zeit dazu, Kleine!« lautete die Antwort. Sie wurde in den prächtigen Wagen gehoben, der Schlag flog zu, die Pferde zogen an und dahin flog der Wagen mit dem reichen Fabriktyrannen und der armen, weißen Sclavin.

Den ganzen Tag, den ganzen Abend erwarteten die Mensdorff'schen Eheleute vergeblich die Rückkehr ihrer [167] Tochter; der Buchhalter steckte die zehn Thaler in seine Tasche und überließ es einige Tage dem Scharfsinn des armen Vaters, zu errathen, wo sich seine Tochter befände, erst nach drei Tagen sagte er ihm, daß Röschen verreis't sei mit Herrn Strobel.

Tückisch lächelnd bemerkte er den furchtbaren Eindruck den diese Nachricht auf den armen Mensdorff machte. Doch der Buchhalter hatte jetzt mehr zu thun, er wollte um jeden Preis die Deputation der Fabrikarbeiter an den König hintertreiben und dem dürren Menschen standen gewaltige Hilfsmittel zu Gebote.


Ende des ersten Theils.

Zweiter Theil

1. Graf Vavel de Versey
[5] I. Graf Vavel de Versey.
[5][7]

Das Folgende ereignet sich auf der herzoglichen Domaine Eishausen bei Hildburghausen, etwa acht Tage nach den im vorigen Capitel mitgetheilten Ereignissen.

Wir finden den Bewohner des Schlosses, der unter dem Namen eines Grafen Vavel von Versey in der Umgegend bekannt ist, einsam in einem reich decorirten Zimmer. Der Graf, eine lange, jetzt stark verfallene Figur mit einem breiten Gesicht und schönen, geistvollen Augen, schreitet, sichtlich aufgeregt, im Zimmer auf und ab. Dieser seltsame Mann, der das Schloß seit dem Jahr 1806 bewohnte und dennoch seinen Nachbarn durchaus fremd und unbekannt geblieben war, so fremd, daß man weder sein Vaterland, noch seinen wahren Stand und Namen kannte, trug heute einen ziemlich modernen, sehr reinlichen, aber sehr einfachen [7] Hausrock und rauchte aus einer thönernen, holländischen Pfeife, während er, alle Mal, wenn er auf seiner Wanderung an die Fenster kam, einen besorgten Blick hinab in den stillen Hofraum warf, der durch eine hohe Mauer von den Wirthschaftsgebäuden der Domaine geschieden war.

Es war schon Nachmittag und die kleinen, runden in Blei gefaßten Fensterscheiben erzitterten von den Stößen des rauhen Novembersturmes, der draußen über die schon zum Winterschlaf entschlummerten Gefilde braus'te.

Im Zimmer, in dem sich die mysteriöse Person des Grafen Vavel befand, verbreitete ein Kaminfeuer eine behagliche Wärme.

»Er kommt nicht, er wird nicht kommen!« murmelte der einsame Mann eben, als ein leichtes Geräusch ihn an's Fenster lockte.

»Wer ist das? Wenn er es wäre? Er ist es!« rief er laut, bleich wurden seine Wangen, seine Kniee zitterten, die ganze hohe Gestalt zuckte zusammen und die bebenden Hände vermochten die Pfeife nicht mehr zu halten, sie lag in Stücke gebrochen am Boden.

[8] Furcht, ja Entsetzen und doch zugleich auch Freude und Erwartung standen in seltsamen Verein mit deutlichen Zügen auf dem Gesichte des alten Mannes geschrieben.

Jetzt ließen sich Schritte draußen hören – der bebende Mann streckte seine Hände beide aus nach der Thür, es sah halb aus wie zur Abwehr, halb wie zur Bewillkommnung.

Die Thür öffnete sich und Don Juan trat mit festem Schritt ein. Der Diener, der ihn geführt hatte, schloß die Thür hinter ihm und der alte Edelmann blieb mitten im Zimmer stehn.

Beide Männer betrachteten sich mit starren Blicken.

Der Blick Don Juan's war anfänglich ernst, kalt, beinahe feindlich, je länger er aber auf der gebrochenen Gestalt und den bleichen Zügen des einsamen Mannes ruhte, desto milder wurde er.

Der Blick des sogenannten Grafen Vavel war ängstlich, forschend, peinlich; er ließ die Hände matt niedersinken, die er nach Don Juan ausgestreckt hatte.

Eine stumme, lange Pause.

[9] »Herr Cornelius van der Valcke!« sprach endlich Don Juan und es war mehr Trauer und Wehmuth, was in seiner Stimme zitterte, als Haß und Zorn.

Bei dem Klange von Don Juan's Stimme seufzte der van der Valcke tief auf und antwortete leise: »Don Juan!«

»Beruhigen Sie sich, Herr Cornelius,« redete der Edelmann mit mildem Tone weiter, »beruhigen Sie sich, ich komme nicht als Feind zu Ihnen, ihr Tod hat uns versöhnt, ich komme auf Ihre Bitte gern hierher.«

»Wenn Sie versöhnt sind, Don Juan,« bat Cornelius van der Valcke leise, »so reichen Sie mir Ihre Hand.«

»Da ist sie, ich bin versöhnt, armer Cornelius!« rief Don Juan und streckte dem alten Manne treuherzig seine Hand hin. Van der Valcke drückte die schöne Hand des Edelmanns heftig zwischen seinen abgemagerten Fingern und sprach nun lauter und gefaßter, als bisher: »Ich danke Ihnen, Don Juan, ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind, daß Sie die Bitte eines Mannes gewährten, der schweren Gram und schweren Kummer über Sie gebracht hat.«

[10] »Lassen wir das, armer Cornelius,« antwortete Don Juan gutmüthig, »auch ich bin nicht ohne Schuld, ich war zu heftig, ich habe eben so viel Schuld als Sie!«

Cornelius van der Valcke fühlte die edelmüthige Absicht Don Juan's, er drückte noch einmal die Hand des Edelmanns und führte ihn dann zu einem Sessel. Don Juan nahm Platz, van der Valcke aber trat an die gegenüberstehende Wand und zog einen grünseidenen Vorhang in die Höhe.

»Ach! meine Rafaëla!« schrie Don Juan überrascht und mächtig ergriffen.

Unter dem Vorhang wurde das Bild einer sehr jugendlichen Dame sichtbar, in der Kleidung der höhern Stände vor der französischen Revolution. Das Gesichtchen der Dame war wunderlieblich, selbst das, nach damaliger Mode, hoch über der Stirn aufgethürmte und grau gepuderte Haar vermochte das reizende Gesicht nicht zu entstellen. Das frische Antlitz war etwas zur Seite gewendet und zeigte einen Zug des graziösesten Muthwillens, der mit unnachahmlicher Kunst wieder gegeben war. Die zarten Finger der Dame zerpflückten eine Blume. Das Bild war ein Kniestück [11] und der Maler hatte jeden, auch den kleinsten Theil der Kleidung mit einer solchen Treue und mit solcher Sorgfalt behandelt, daß man, wenn die Mode nicht dagegen protestirt hätte, das Bild unbedenklich einem der großen Meister der ältern, niederländischen Malerschule zugeschrieben haben würde.

Herr Leonardus Cornelius van der Valcke hatte es selbst gemalt.

Lange stand Don Juan im Schauen versunken: »meine holde, meine schöne Rafaëla!« murmelten seine Lippen.

»Ja, Don Juan,« sprach Herr Cornelius langsam, »das ist die holde, schöne, heitre Rafaëla, das ist Rafaëla, Ihre Tochter, nun sehen Sie auch Rafaëla, das Weib des Cornelius van der Valcke!«

Der alte Mann drückte an einer Feder und rasch versank das blühende Mädchen, um einem andern Bilde Platz zu machen.

»Das ist Rafaëla, mein Weib,« sprach Cornelius düster, »mein Weib, das ohne den Segen des Vaters verwelkte wie eine Blume ohne Wasser, das ist mein Weib, das auf Erden verzweifelte, weil es den Himmel [12] beleidigt zu haben glaubte durch eine Verbindung mit dem Ketzer Cornelius van der Valcke, durch eine Verbindung, die von zwei Menschen, frei vom Herzen zum Herzen, geschlossen, aber nicht an heiliger Stätte von eines Priesters Mund geweiht worden war.«

»Meine arme Tochter, meine arme Rafaëla!« seufzte Don Juan.

Dieses neue Bild war mit gleicher Meisterschaft gemalt, wie das erste. Aus düsterm Hintergrund ließ es den weißen, ganz entblößten Oberkörper eines schönen Weibes in allen seinen Formen fast plastisch hervorspringen. Das Weib lag auf den Knieen vor einem Cruzifix und schwang eine schwere Drahtgeißel über ihrem bloßen Rücken, man sah hier eine Stelle, die von den heftigen Streichen purpurisch geröthet war, an einer andern sah man bereits die Blutstropfen hervorquellen und in Perlen auf der Wunde stehen. Das Gesicht dieses Weibes, obgleich die feinen Züge noch eine Aehnlichkeit mit denen des Mädchens bewahrt hatten, drückte die tödtlichste, hoffnungsloseste Verzweiflung aus, der Mund war fest zusammengedrückt, um den Schmerz zu verbeißen, den die Drahtgeißel verursachte, die thränenlosen Augen starrten halbgebrochen zu dem Cruzifix auf, das reiche, schwarze Haar lag, in eine [13] dichte Welle zusammengebunden, seitwärts auf der linken Schulter. Der weiße Oberkörper wuchs, schlank und zierlich wie eine Blume, aus den schwarzen Gewändern empor, die vom Gürtel herab, die Gestalt Rafaëla's umhüllten. Es war ein Bild mit grauenerregender Treue und Wahrheit gemalt.

»Das andre Bild!« bat Don Juan, seine Augen bedeckend.

Herr Cornelius van der Valcke kam dem Wunsche Don Juan's nach, das Bild der Selbstquälerin sank nieder und das junge Mädchen lächelte den Vater und den Geliebten schalkhaft wieder an.

»So,« sprach Don Juan, »so, das Bild will ich von meiner Rafaëla behalten, so soll sie, so lang ich lebe, vor meiner Seele stehen!«

»Und mich,« flüsterte Cornelius, »mich verfolgt Tag und Nacht das Bild meines armen, verzweifelten Weibes.«

»Armer Cornelius, arme Rafaëla!«

»Don Juan,« begann van der Valcke, sich neben dem Edelmann, Angesichts des Bildes niederlassend,[14] »ich habe Sie zu mir bitten lassen, um den letzten Wunsch einer sterbenden, verzweifelnden Tochter zu erfüllen; Sie sind gekommen und haben mir verziehen, großmüthig wie immer, ohne eigentlich die Größe meiner Sünde zu kennen, lassen Sie mich mein Gewissen erleichtern, lassen Sie mich sprechen, vielleicht wird die Last dann leichter, die auf meiner Seele ruht und ich kann einst, wenn es ein Jenseits giebt, meiner Rafaëla doch mit dem Segen ihres Vaters entgegentreten.«

»Reden Sie, armer Cornelius,« erwiederte Don Juan gerührt, »das Bild unserer Rafaëla sieht nieder auf uns, ihr Geist umschwebt uns sicher in dieser Stunde, reden Sie, ich habe Ihnen im Voraus Alles vergeben.«

Die Männer drückten sich mit einem Blick auf Rafaëla's Bild die Hand und Cornelius van der Valcke begann: »Im Jahre 1799 schickte die batavische Republik einen jungen Mann zu ihrer Legation nach Paris, der Vermögen genug hatte, um der batavischen Gesandtschaft glänzen zu helfen in einer Stadt, wo der Luxus und die Verschwendung damals die rasendsten Orgien feierten, wo sich alle Stände Hals über Kopf in den brausenden Strudel der Vergnügungen stürzten, um sich von dem langen Fasten zu erholen, [15] das ihnen die blutige Kindheit der Republik auferlegt hatte. Dieser junge Mann, geboren in einer verderbten Zeit, in der es für vernünftig galt nichts zu glauben und Alles in Frage zu stellen, groß geworden in einer wahnwitzigen Zeit, in der man Könige morden und Gott absetzen sah, dieser junge Mann hatte natürlich in Paris nichts anderes zu thun, als dem Vergnügen zu leben und sein ganzes Dasein in eine ununterbrochene, rauschende Orgie zu verwandeln. Dieser junge Mann, obgleich von alter und guter Familie, war Republikaner mit Leib und Seele; das war natürlich, die repulikanische Form wird jedem Jüngling die annehmbarste erscheinen, vor Allen aber den Jünglingen, die mit einer Republik groß geworden. Dieser junge Mann, von dem ich rede, war ich selbst und meine Jugend, wie mein Temperament, verwickelten mich in der üppigen, fränkischen Hauptstadt bald in eine Menge von Liebesintriguen und Abenteuern, in denen ich mit meinem Gelde und meiner Jugend immer die Rolle eines Siegers spielte. So wurde ich, gleich im Anfang meines Aufenthalts in Paris, mit einer sehr schönen, verheiratheten Dame bekannt, die sich einige Zeit in Paris aufgehalten hatte. Diese Dame war Madame Daniels – bald stellte sich zwischen dieser [16] Dame und mir ein sehr vertrautes Verhältniß her, ich war in kurzem ihr Freund, wenn ich auch anfänglich nur aus Sinnlichkeit ihr Liebhaber gewesen war, sie achtete mich höher, als ich es verdiente. Madame Daniels war nämlich sehr unglücklich verheirathet, ihr Mann lebte schon seit Jahren getrennt von ihr und hatte ihr zu mehrern Malen die Ehescheidung antragen lassen, da aber Madame Daniels durch eine Scheidung die Rechte ihrer Kinder zu beeinträchtigen glaubte, so hatte sie niemals eingewilligt. Ihr Gemahl glaubte sie durch Entziehung der nöthigen Gelder zur Scheidung zwingen zu können und ich war es, der sie vor Noth und Mangel schützte. Bei meinem Vermögen und meiner Art mit dem Gelde umzugehen hatte dieser Dienst, besonders einer schönen Frau erwiesen, nicht den geringsten Werth; aber Madame Daniels, die mich wirklich liebte, ward dadurch zu einer großen Hochachtung für mich verführt. Ich wurde ihr Vertrauter und billigte endlich den Plan, den sie entworfen hatte, um ihren Kindern das Vermögen des Vaters zu erhalten. Sie wollte zu Verwandten nach Deutschland gehen, um gegen Mangel gesichert zu sein, aber nie in eine Scheidung willigen. Ich erzähle Ihnen das so ausführlich, Don Juan, weil man in Paris glaubte, ich [17] sei mit Madame Daniels entflohen, mit Madame Daniels, die ich, seitdem sie Paris verlassen, nicht wieder gesehen habe, obgleich ich von Mons aus noch einige Briefe von ihr empfing. Am Tage, bevor Madame Daniels von Paris ging, fand ich zwei Damen bei ihr, die gekommen waren, um Abschied von ihr zu nehmen, es war Madame Treslong und Ihre Tochter.« –

Cornelius hielt eine Weile inne, Don Juan sah ihn mitleidig an.

»Ja, es war Rafaëla mit ihrer Mutter,« fuhr van der Valcke fort, »Rafaëla so schön und jugendlich, wie sie dort im Bilde, sie trug nicht die republikanische, karrikirt griechische, Modetracht, sie war in ein einfaches, weißes Kleid gekleidet und trug das Haar nach alter Sitte aufgekämmt und gepudert.«

»Ich, ich weiß es,« murmelte Don Juan, »ihre Mutter hielt stets auf's Pudern.«

»Die Schönheit Rafaëla's ergriff mich mächtig, ihr Blick unterjochte mich, ihr harmloses kindliches und doch geistreiches Geplauder setzte mich in Flammen, ich fühlte, daß ich diesen weiblichen Engel liebte, ich zitterte, [18] wenn ich die Falten ihres Kleides berührte, ich war rasend, ich konnte es nicht mehr ertragen, ich empfahl mich unter dem Vorwande von Geschäften, obgleich ganz Paris wußte, daß es für mich nichts zu thun gab bei der batavischen Legation. Am andern Tage, beim Abschiede, sagte mir die Daniels, sie habe mich an Madame Treslong empfohlen, ich möchte meinen Besuch dort machen, Madame mache kein großes, aber ein äußerst angenehmes Haus – ich folgte dieser Weisung noch an demselben Tage – was soll ich weiter sagen? Ich liebte mit der rasenden Begier, mit der stürmenden Leidenschaft, mit der man in jenen Jahren zu lieben pflegt; Rafaëla liebte mich, sie mußte mich lieben, weil ich sie wahrhaft liebte. Madame Treslong, Rafaëla's Mutter, hatte mich bald durchschaut, sie erklärte mir, daß nur der Vater Rafaëla's ein Recht habe den Gatten seiner Tochter zu bestimmen, daß sie deßhalb an Don Juan de Aurinia, den Vater Rafaëla's, schreiben wolle. Ihr Name, Don Juan, erfüllte mich mit Schreck, wir hatten uns bereits kennen gelernt, wenigstens ich Sie, wenn auch Sie mich nicht. Erinnern Sie sich vielleicht eines jungen Niederländers, der im Jahr 1795 Madrid besuchte und sich sehr unvorsichtig über den Gang der französischen Revolution [19] bei einem Diner des Herzogs von Castro-Terreno ausließ?«

»Ich erinnere mich dessen wohl!« sprach Don Juan nach augenblicklichem Besinnen.

»Doch genug,« fuhr Cornelius fort, »kurz ich besaß damals Unklugheit genug einen Toast auf die französische Republik an der Tafel eines spanischen Granden vorzuschlagen; alle Herren an der Tafel waren empört, nur Einer, der General Don Juan de Aurinia, Ritter vom goldenen Vließ und Comthur vom Calatrakreuz, Grande erster Classe und Titulado von Castilien blieb ruhig sitzen und rief mit lauter Stimme: ›Ihr Herren, laßt ihn doch reden den jungen Narren, er wird sich einst schämen vor sich selbst, wenn er nüchtern geworden ist und verständig!‹ So spracht Ihr damals, Don Juan, und fragtet mich mit niederschmetterndem Hohne: ›Seit wann hat ein Republikaner Ehre?‹ als ich Genugthuung von Euch verlangte«.

»Ich erinnere mich!« sagte Don Juan leise.

»Sie können sich denken, Don Juan,« erzählte van der Valcke weiter, »daß ich einen tödtlichen Schreck bekam, als ich vernahm, der General Juan von Aurinia sei der Vater meiner Rafaëla. Konnte ich von diesem Manne eine Erhörung meiner Bitten erwarten?[20] Nein, gewiß nicht! Der stolze Aristocrat hätte dem niedriggebornen Republikaner vielleicht die Hand seiner Tochter nicht verweigert, dem alten Edelmann aber, der mit Republikanismus kokettirte, sich einer republikanischen Gesandtschaft attachiren ließ, dem hätte er sie nicht gegeben. Was blieb mir also übrig in meiner Lage, bei meiner glühenden Liebe für Rafaëla, bei ihrer gewaltigen Leidenschaft für mich? Die Flucht! Ich floh mit Rafaëla, ich floh mit ihr nach Italien. Dort in den Thälern Piemonts verlebte ich ein Jahr mit dem holden, süßen Weib; das Jahr flog uns dahin wie der flüchtige Traum einer Wonnenacht; Rafaëla war ein Engel, sie sah nur mich, sie hörte nur mich, sie dachte nur mich, sie ging ganz auf in ihrer Liebe zu mir. Ich schrieb von meinem Zufluchtsort aus an einen Pariser Freund, er antwortete mir, Madame Treslong sei nach unserer Flucht plötzlich gestorben –«

»Ja, ja, das gute Weib, meine treue Charlotte,« fiel Don Juan eifrig ein, »hatte sich selbst den Tod gegeben, sie hatte nicht gewagt mir entgegenzutreten ohne meine Tochter, ohne Rafaëla.«

Eine Pause trat ein, endlich fuhr van der Valcke seufzend fort: »Madame Treslong sei gestorben und[21] Don Juan in Paris gewesen, er habe anliegenden Brief bei der Legation für mich niedergelegt und sei nach Rußland gegangen.«

»Das war der Brief, in dem ich Euch beide, mein eignes Kind, verfluchte, in dem ich Ihnen, als den Verführer meiner Tochter schwor, Sie durch die ganze Welt zu verfolgen und Rache an Ihnen zu nehmen, vergessen Sie nicht Cornelius, daß ich den Brief neben dem Leichnam meiner theuern Charlotte schrieb, unter der Einwirkung des heftigsten Zornes.«

Cornelius nickte und sprach weiter: »Dieser Brief mußte unglücklicher Weise in die Hände der armen Rafaëla fallen und zwar in einer Zeit, in der sie durch die Geburt meines Sohnes noch sehr erschöpft war –«

»Was?« rief Don Juan heftig, »es lebt ein Kind, ein Sohn meiner Rafaëla? Wo ist er?«

»Wohl zu Paris, Don Juan,« erwiederte van der Valcke, »wußten Sie nicht, daß Rafaëla einen Sohn von mir hatte?«

»Nein, nein, Cornelius, doch fahren Sie fort und geben Sie mir nachher Ihres Sohnes Adresse.«

[22] »Ja, seit Empfang dieses Briefes war Rafaëla wie umgewandelt, sie wurde allmählig traurig, immer trauriger, sie betrachtete sich als die Ursache des Todes ihrer Mutter, sie begann Gewissensserupel über ihre Verbindung mit mir zu empfinden – dennoch minderte sich ihre Liebe zu mir nicht, im Gegentheil, sie schwebte in beständiger Furcht, sie könnten uns auffinden und uns trennen. Ihren Sohn begann die arme Frau als die Frucht einer Sünde zu betrachten, sie konnte ihn nicht mehr sehen, sie schickte ihn nach Paris in eine Erziehungsanstalt und ging mit mir nach Deutschland. Hier kauften wir uns an, hier haben wir dreißig Jahre gelebt, und was für ein Leben, wenn Sie es überhaupt noch ein Leben nennen wollen, Don Juan. Rafaëla verzweifelte am Hier und am Dort, sie hatte Anfälle von Irrsinn und ich war oft dem Wahnsinn nahe, wenn ich sahe mit welcher teuflischen Grausamkeit das holde, süße Weib sich selbst quälte, um seinem Gewissen zu entrinnen. Verzeihen Sie mir, Don Juan, damals schrieb ich diese furchtbaren, geistigen Martern, die ich litt, nur Ihnen zu, ich haßte Sie und doch fürchtete ich Sie, denn selbst in diesem Zustande liebte ich meine Rafaëla noch so, daß ich diese freudlose Existenz in vollständiger Abgeschiedenheit[23] von dem Umgang mit der übrigen Welt jeder andern vorzog. Don Juan, in den dreißig Jahren meines Aufenthaltes hier, habe ich jährlich zwei Mal an meinen Sohn geschrieben und ihn aufgehetzt, Rache an Ihnen zu nehmen; er hat mich hier besucht, ein hoffnungsvoller, reifer Mann, ich habe ihm seine arme Mutter gezeigt in einer dunkeln Stunde, so wie ich sie gemalt habe, mit der Geißel sich bis aufs Blut peitschend, da habe ich ihn schwören lassen, Rache zu nehmen an Ihnen und er hat den Schwur gern und willig geleistet. Können Sie mir auch das verzeihen, Don Juan?«

»Gewiß und recht gern, armer Cornelius!« erwiederte Don Juan mit nassen Augen.

»Auf dem Todbette,« erzählte van der Valcke weiter, »bat mich meine Rafaëla, Sie, in ihrem Namen mit, um Verzeihung zu bitten und seitdem der tägliche, stündliche Anblick von Rafaëla's Leiden meine Sinne nicht mehr erhitzt, bin auch ich ruhiger geworden, ich habe das Thörichte, das Erbärmliche meines frühern Hasses gegen Sie eingesehen und habe auch meinem Sohne befohlen von der sündlichen Rache abzustehen – heute endlich, Gott sei Dank – bin ich mit Ihnen versöhnt und Rafaëla segnet unsern Bund.«

[24] Die Erzählung des Cornelius van der Valcke war beendet, die Männer schwiegen beide lange Zeit, dann umarmte Don Juan den Gemahl seiner Tochter und bat ihn, ihm die Wohnzimmer der Verstorbenen zu zeigen und ihn dort allein zu lassen.

Van der Valcke führte Don Juan in die Wohnzimmer Rafaëla's, deren Fenster sorgfältig gegen jeden neugierigen Blick von Außen gesichert waren. Don Juan schloß sich ein und Cornelius legte sich geistig und körperlich erschöpft auf ein Sopha, die Erinnerungen, die wach geworden waren in ihm, während seiner Erzählung, waren dem geschwächten Organismus seines Körpers zu mächtig gewesen.

Aber dem armen Manne war nicht viel Ruhe beschieden, er erkannte auf einem der Briefe, die auf seinen Tisch gelegt worden waren, die Handschrift seines Sohnes, hastig riß er das Couvert ab – ein einzelnes Blatt fiel in seine Hand und mit bebenden Lippen las der arme Cornelius: »Wenn der Gemahl zu laß geworden ist, um den Tod und das ungeheure Leiden der Gemahlin zu rächen, so wird der Sohn Kraft und Muth dazu haben, er wird den Schwur halten, den ihm sein Vater einst abnahm.«

[25] Nach einer Stunde etwa kehrte Don Juan aus Rafaëla's Zimmer zurück, er nahm einen beinahe zärtlichen Abschied von Cornelius, umarmte ihn, stieg dann in seinen Wagen und fuhr davon, ohne sich nach der Adresse von Rafaëla's Sohn in Paris zu erkundigen.

Die beiden Männer hatten sich zum letzten Male gesehen.

[26]
2. Incarnacion
II. Incarnacion.
[27][29]

Es ist Winter geworden, Don Juan hat von Ostende aus an den alten Professor Klingsohr geschrieben, Faust hat lange nichts von sich hören lassen, die Brochüre über das Elend der arbeitenden Klassen, die Klingsohr zu schreiben unternommen, nähert sich ihrer Vollendung. Incarnacion lebt in dem stillen Hause des Professors, sie soll ihm die verlorene Toska ersetzen, aber das braune Mädchen, das nicht lesen kann und nicht schreiben, das nicht einmal denken gelernt hat, sondern nur handelt vom Instinct getrieben, oder einem augenblicklichen Eindruck nachgebend, vermag das nicht. In einem warmen Zimmer, den schmeidigen Körper in Pelze gewickelt, liegt sie träumend den ganzen Tag. Sie träumt von Don Juan und weint, denn der Mann, den sie liebt, hat sie verlassen – das arme Kind vermochte [29] ja nicht einzusehen, warum, weßwegen. Incarnacion träumt von ihrem vaterländischen Wunderlande, von der heißen Gluth seiner Sonne, von seiner riesigen Vegetation, von seinen bunten Vögeln, von den mächtigen Baumkronen und dem majestätischen Rauschen des Maranhon, sie träumt davon und – weint. Denn sie hat ja das Alles verlassen, um dem Manne ihrer Liebe folgen zu können und nun ließ sie Don Juan allein im fremden, kalten Lande, allein unter fremden, kalten Menschen. Der kleine, seltsame Professor mißfiel ihr, den alten Benndorf, der es gut mit ihr meinte, dem sie von Don Juan besonders empfohlen war, den verstand sie nicht; von der alten Jungfer trennte sie eine Antipathie, die gegenseitig war, obgleich es sich die Jungfer nicht merken lassen durfte. So lag das arme Kind der Sonne in dumpfen Brüten, Träumen und Sehnen Tage lang am Ofen des Nordlandes, nur wenig Nahrung nahm es zu sich, aber instinctartig erhob es sich jeden Morgen um fünf Uhr und schlich in das Studirzimmer des Professors. Um diese Stunde, nur um diese Stunde, öffnete Klingsohr, wie wir bereits wissen, die eingegangenen Briefe, und jeden Tag schlich Incarnacion hinauf, um zu vernehmen, ob nicht ein Brief von Don Juan dabei sei, war [30] das der Fall, so mußte ihr der Professor die Stelle zeigen, wo der Gruß an sie stand, diese Stelle küßte sie leidenschaftlich, jubelte und weinte unter einander und fiel so dem kränklichen, alten Manne durch ihr ungestümes Wesen im höchsten Grade lästig. Er dankte immer Gott, wenn Incarnacion ihn wieder verlassen hatte, um auf ihrem Zimmer der santissima madre zu danken, daß sie ihr Gebet erhört und den geliebten Don Juan in ihren göttlichen Schutz genommen habe.

Es hat fünf Uhr geschlagen, finster und still ist's im Hause des Professors; beinahe unbekleidet, trotz der empfindlichen Kälte, schleicht sich Incarnacion nach dem uns bekannten Studirsaal Klingsohr's. Das Kind der Freiheit hat noch immer blutwenig begriffen von dem, was der Europäer Sitte nennt. Der alte Benndorf steht im Vorzimmer, er hat soeben die Briefe hineingetragen; stumm nicken sich die beiden Menschen, diese beiden so verschiedenen Menschen, einen Morgengruß zu. Aufgeregt, ängstlich-athmend schleicht Incarnacion weiter jetzt steht sie endlich an der Nische, die wir kennen. Klingsohr sitzt, so wie wir ihn in einem frühern Kapitel geschildert haben, vor seinem Tisch, auf dem eine Lampe brennt; er hat soeben seine Morgenpfeife angezündet und erbricht den ersten Brief, [31] er lies't ihn langsam, Incarnacion schleicht sich still näher und steht endlich erwartungsvoll an dem Rande des Tisches. Der Professor legt den Brief nieder und ergreift einen zweiten, seine Hand zittert beim Erbrechen des Siegels – auch Incarnacion zittert, denn sie hat längst bemerkt, daß Klingsohr stets zittert, wenn er einen Brief Don Juan's öffnet. Der alte Mann lies't einige Zeilen, seine Stirn zieht sich düster zusammen, die Hufeisenform der Falten wird sichtbar, plötzlich läßt er das Blatt fallen und schlägt ein gräßliches Gelächter auf. Der Brief mußte eine Schreckensbotschaft enthalten, denn sie befreite mit einem Schlage das Ungeheuer des Wahnsinns in dem alten Gelehrten. Incarnacion starrte erschrocken in das gräßlich verzerrte Gesicht des Wahnsinnigen – doch nur einen Moment, denn Klingsohr sprang auf, rollte sich am Boden herum, lachte wie die Hölle und tanzte wie ein Kobold, schrie wie ein wildes Thier und haschte nach den Katzen, die mit krummen Rücken und gesträubtem Haar in mächtigen Sätzen die Flucht ergriffen.

Schaudernd blickte Incarnacion auf den unglücklichen Greis. Plötzlich erklang ein furchtbares Gebrüll, das arme Mädchen zuckte zusammen und rührte sich nicht von der Stelle. Ein gräßliches Gelächter erfolgte, [32] dann wurde es still, todtenstill, man vernahm nur das Stöhnen des alten Mannes, der am Boden lag.

Incarnacion stand, den einen Arm etwas erhoben, mitten in der Nische, als Benndorf mit der Jungfer erschien um, wie gewöhnlich, den Dienst zu verrichten. Dem alten Diener standen helle Schweißtropfen vor der Stirn, er hatte für Incarnacions Leben gezittert.

Alles war wieder in Ordnung, der Professor auf seinen Stuhl gelegt und die beiden alten Leute wollten sich entfernen. Benndorf ergriff Incarnacions Hand, sie war eiskalt, er rief sie beim Namen, erst leise, dann lauter, sie hörte ihn nicht.

»Was ist das?« schrie der treue Diener entsetzt, »ist sie vor Schreck gestorben?«

Der furchtbare Schrei des Professors in die gewundene Muschel hatte die ohnehin fieberhaft aufgeregte Incarnacion so erschreckt, daß sie in den räthselhaften Zustand verfallen war, den man cataleptisch nennt, um doch ein Wort zu haben, wenn man auch keinen Begriff hat.

[33] Benndorf trug das unglückliche Mädchen in die nächste Nische und versuchte, es durch alle ihm bekannten Mittel in's Leben zurückzurufen. Starke Essenzen wurden umsonst angewendet, der Zustand, in dem sich Incarnacion befand, spottete aller Anstrengungen des verzweifelnden Dieners.

Da lag Incarnacion, die Blume von Para, die einst wetteiferte an Schnelle mit dem Jaguar des Urwaldes, an Unermüdlichkeit mit der brausenden Woge des Amazonenstroms; da lag Incarnacion, Jaquita's Stolz und Don Juan's Liebe, da lag sie in einem Grausen erregenden Scheinleben.

Der alte Klingsohr hatte sich erholt von dem furchtbaren Angriff, er las zitternd den Brief Don Juan's zu Ende und verschloß ihn dann sorgfältig.

Don Juan schrieb von Paris aus, daß er in Amsterdam sichere Spuren von dem Entführer seiner Tochter gefunden habe, aber auch nunmehr mit Gewißheit Toska's Tod annehmen könne.

Wohl war diese Nachricht geeignet, den unglücklichen Greis, der noch immer an eine Rückkehr Toska's geglaubt hatte, furchtbar zu erschüttern und jede heftige Aufregung warf ihn auf eine Zeit lang in die [34] Arme des Wahnsinns. Ein Glück, daß der arme Klingsohr nicht die Bemerkung machte und nicht machen konnte, die Benndorf mit tiefem Schmerz machte. Die Anfälle des Wahnsinns wurden zwar immer schwächer, aber sie dauerten immer länger. Ein Zeichen, daß das Uebel festgewurzelt war und der Organismus immer geringern Widerstand zu leisten begann.

Herr Benndorf trat an den Tisch des Professors, als dieser geklingelt hatte.

»Benndorf, sag Er der jungen Person, Don Juan habe geschrieben und lasse sie grüßen, es wird ihr Freude machen.«

»Sehr wohl, Herr Professor, aber –«

»Was hat Er, Benndorf, ist ein Unglück im Hause passirt?«

»Herr Professor, das Fräulein ist krank.«

»Krank? Was fehlt ihr?«

»Sie liegt seit einer vollen Stunde in Ohnmacht.«

Der Professor stand auf und ließ sich von Benndorf in die nächste Nische führen, in der Incarnacion lag. Der arme, alte Mann war noch so angegriffen, daß er kaum zu gehen vermochte. Klingsohr schüttelte [35] den Kopf, als er Incarnacion untersucht hatte. »Das ist keine Ohnmacht, famule,« sprach er, »das ist der sogenannte cataleptische Zustand.«

Der Professor nahm ein Federmesser und zuckte es dicht über den weitgeöffneten Augen des Mädchens, die Pupille veränderte sich nicht. Er versuchte die Augen zuzudrücken, sie blieben eine Weile zu, dann öffneten sie sich langsam wieder. Er versuchte dem ausgestreckten Arme eine andere Lage zu geben, der Arm blieb eine Weile in der neuen Lage, dann nahm er langsam seine alte wieder ein. Der Professor öffnete eine Ader an Incarnacions Arm – Alles vergeblich. Das arme Kind lebte, aber ohne ein Zeichen des Lebens geben zu können.

Der ganze Tag verging unter fruchtlosen Versuchen, der berühmte Klingsohr verschwendete umsonst alle Mittel seiner Kunst.

Es war schon spät in der Nacht, als er erschöpft aufstand und dem treuen Benndorf befahl, für morgen den galvanischen Apparat in Bereitschaft zu setzen.

»Vielleicht Galvanismus,« murmelte er, »ich weiß sonst nichts!«

[36] Der alte Mann, obgleich zum Tode erschöpft, ließ sich das heutige Zeitungspaquet an sein Bett bringen, er wollte seiner Gewohnheit auch unter den außerordentlichsten Umständen treu bleiben. Er ergriff eine rheinische Zeitung und las Folgendes:

»Es sollen im Königreiche Preußen noch Nachkommen des Grafen Emanuel von Mensdorf, der als kaiserlicher Kriegsoberster bei Nördlingen gefallen, leben. Gedachter Graf Emanuel hatte einen Sohn von seiner ersten Gemahlin, einer niederländischen von Adel, die bald Adelheid van Höpken, bald auch eine Freifrau von Arbassen genannt wird, dieser älteste Sohn erster Ehe zerfiel mit seinem Vater, ging in's Ausland und entäußerte sich seines Adels, doch ist erweislich, daß der im Jahr 1768 zu Halberstadt verstorbene königlich preußische Rittmeister außer Dienst, Johann Mensdorf, ein Abkömmling jenes Grafen Emanuel und seiner ersten Frau gewesen. Das heute noch in Oestreich blühende Grafengeschlecht Mensdorf stammt von dem ältesten Sohn zweiter Ehe des Grafen Emanuel und hat mit dieser Sache nichts zu thun; sollte aber irgend wo noch ein Sprößling des Sohnes erster Ehe leben, der seine directe Abkunft von dem preußischen Rittmeister Johann Mensdorf nachweisen, durch [37] Kirchenzeugnisse beweisen kann, so wird er hiermit dringend aufgefordert, sich am 18ten Mai k. J. vor dem unterzeichneten Advocaten zu stellen und gewichtigen Aufklärungen entgegen zu sehen. Da man vermuthet, daß die Nachkommen des mehrbenannten Rittmeisters Johann Mensdorf in Armuth versunken sind, so werden die Magistrate und Ortsobrigkeiten gebeten, den etwaigen Nachkommen Kunde zu geben, auch nöthigen Falls die Reisegelder vorzuschießen, die von uns durch Postvorschuß wieder bezogen werden können. Aachen am 14. December 1841 gez. Daniel Wolfshagen.«

Während des Lesens dieses Aufrufs übermannte der Schlummer den alten Klingsohr.

Am andern Tage begann der Professor seine Versuche, die Lebendigtodte durch Galvanismus zu beleben; Incarnacion fuhr bei den Schlägen mit weitgeöffneten Augen auf, sank aber augenblicklich zurück, sobald sie der Einwirkung des Galvanismus entzogen wurde; schaudernd legte endlich der alte Klingsohr die Ruthe nieder; »ich martere das arme Geschöpf nutzlos!« sagte er zu dem Herrn Benndorf; eilig schrieb er nun einige Zeilen, siegelte und adressirte sie, dann [38] befahl er seinem Diener den Brief durch Staffette an seine Adresse zu befördern.

Am Abend dieses Tages trat der Posthalter des Städtchens, der mit seinem ältesten Sohne, einem dreizehnjährigen Knaben, das ganze hochfürstlich Thurn und Taxissche Postamt bildete, zum Staunen aller seiner Freunde eine halbe Stunde später, als gewöhnlich, beim Rathskellerwirth ein. Ehrerbietig räumten ihm einige Spießbürger den Ehrenplatz neben dem Sitz des Bürgermeisters ein, denn der große, dicke Mann mit dem krebsrothen Gesicht war sehr geachtet im Städtchen; war er doch einst Leibhusar des Prinzen Anton gewesen und war ihm sogar die Ehre zu Theil geworden, eine Kammerjungfer der durchlauchtigsten Frau Prinzessin seine Gattin nennen zu können. Manches schwere Silbergeschirr in des Posthalters wohlhabenden Hause zeugte von der Freigebigkeit seiner früheren, fürstlichen Herrschaft.

Der ehemalige Leibhusar setzte sich behaglich nie der und stopfte gemüthlich seine lange Pfeife, die er zum täglichen Gebrauch auf dem Keller stehn hatte.

»Was giebt's denn Neues, Herr Postmeister?« begann einer der Gäste, »wenn man so frei sein darf zu fragen?«

[39] »Hm!« erwiederte der Gefragte, seine Pfeife in Brand setzend, »Neues, unser eins hat wohl eben Zeit auf das Neue zu hören, schrecklich viel Arbeit jetzt, Meister. Adam, eine Flasche Doppelbier!«

Nur der Bürgermeister trank, außer dem Postmeister, wie man ihn zu nennen pflegte, das theure Doppelbier.

»Ist denn jetzt ausnahmsweise viel zu thun, Herr Postmeister?« fragte ein Anderer.

»Ja, leider,« entgegnete der Postmeister, »ein Postcourier jagt den Andern; man pflegt die eiligen Couriere stets über hier zu spediren, weil ich als prompter Beamter bekannt bin.«

»Da wird wohl bald Krieg?« fragte man.

»Will dem nicht so ganz widersprechen,« versetzte der würdige Beamte, »aber heute ist mir doch ein Fall vorgekommen in meinem Amt, der mir noch nicht vorgekommen ist.«

»Was? wie? erzählen Sie doch, Herr Postmeister!« so rief und bat man durcheinander.

Der Postmeister nahm einen tüchtigen Schluck Bier, wirbelte eine riesenhafte Rauchwolke aus sei nem [40] Porzellainkopf Nro. 9. und sagte dann wichtig: »Heute Nachmittag, zwei Uhr und zehn Minuten, mußte ich eine Staffette expediren für unsern würdigen und sehr gelehrten Mitbürger, den Herrn Professor Klingsohr dadrüben.«

Die Bürger machten lange Hälse. »An wen denn?« fragte man neugierig von allen Seiten.

»Ja, das ist eben das Seltsame,« sprach der Postmeister weiter, »ich habe Staffetten expedirt an Könige, Fürsten, Grafen und Herrn, auch wohl an reiche Kaufleute, aber an solch einen Mann doch nicht.«

»Nun?« schrie die ganze Gesellschaft höchst gespannt.

»Der Brief unseres gelehrten Herrn Professors war adressirt an den Meister Johann Prosch, ehemals Gemeindeschafhirt zu Weiler, wohnhaft im alten Hirtenhause daselbst.«

Vor Verwunderung blieben den Bürgern die Mäuler offen stehen, das war ja ganz unerhört, eine Staffette an einen Schafhirten zu senden. Vermuthlich hätten sich die Bürger zur Freude des Postmeisters noch sehr lange gewundert, wenn nicht soeben der Consul dirigens, der regierende Bürgermeister, [41] gravitätisch in's Zimmer getreten wäre und gleich nach den ersten Begrüßungen zum Postmeister gesagt hätte: »Gevatter, mir ist heute etwas ganz seltsames passirt.«

Die Gesellschaft spitzte die Ohren.

»Denke Dir, bekomme ich ein Schreiben vom Herzoglichen Landrath hiesigen Kreises, darin mir aufgegeben wird, den Invaliden Mensdorf, Schutzbürger unserer Stadt, vormals Unterofficier im königl. preuß. Infanterieregiment Prinz Heinrich vacat, an Gerichtsstelle zu vernehmen über folgende Punkte: erstlich, ob er nicht von Halberstadt gebürtig; zweitens, ob sein Vater nicht Johann Mensdorf gewesen; drittens, ob er seine Mutter gekannt habe; viertens, ob er vielleicht ein Taufzeugniß besitze. Die Kosten der Vernehmung sind dem herzogl. Landrath hiesigen Kreises zu berechnen.«

»Nun, hast Du die alte Kriegsgurgel vernommen?« fragte der Postmeister.

Doch der Consul ließ sich nicht in seinem Vortrage stören. »Die Kosten sind dem herzoglichen Landrath hiesigen Kreises zu berechnen,« fuhr er fort, »und der etc. Mensdorf ist, falls er sich über diese Punkte ausgewiesen, nächsten Sonntag vor dem herzoglichen Landrath zu erscheinen anzuhalten. gez. der herzogl. Landrath [42] von Ponickau. Auf unsere Aufforderung ist nun auch der hiesige Schutzbürger Mensdorf, ehemals Unterofficier im königl. preuß. Infanterieregiment Prinz Heinrich vacat sogleich an ordentlicher Gerichtsstelle vor uns erschienen und hat ausgesagt, ad Nro 1.: er sei im Jahr 1766 zu Halberstadt geboren, als der jüngste von drei Brüdern, die beiden ältern Brüder seien vor seiner Geburt schon in Kriegsdienste getreten und habe er nimmer etwas von ihnen vernommen; ad Nro. 2.: sein Vater sei Herr Johann Mensdorf gewesen, der als Lieutenant beim königl. preuß. Husarenbataillon von Wurmb gestanden, als solcher bei Kesselsdorf blessirt, bald nachher als Rittmeister auf Halbsold gesetzt und 1788 zu Halberstadt gestorben und begraben; ad Nro. 3.: seine Mutter sei ihm früh gestorben, sei aber eine geborne Delius gewesen und habe Sophie geheißen; ad Nro. 4.: producirte Comparent ein vollständig legales Taufzeugniß der kirchlichen Behörde zu Halberstadt, wie er sich dasselbe im Jahr 1786 hatte ausstellen lassen, als er in Kriegsdienste trat, welches Zeugniß die von ihm ad Nro. 1. 2. und 3. gemachten Angaben bestätigte und erklärte derselbe am Schluß der Vernehmung noch, wie er sein Taufzeugniß stets mit besonderer Vorsicht [43] aufgehoben habe, da ihm bekannt geworden, daß ein kirchliches Archiv zu Halberstadt von den Franzosen vernichtet sei und er stets geglaubt habe, es sei dasjenige, in dem er eingetragen sei. Dem etc. Mensdorf wurde nun angedeutet, daß er sich nächsten Sonntag, als den zweiten Advent, bei dem herzoglichen Landrath hiesigen Kreises persönlich zu sistiren habe, was er auch willig versprach. Darauf wurde der etc. Mensdorf entlassen und unverzüglich ein Bericht an den herzoglichen Landrath hiesigen Kreises aufgesetzt und abgesendet.«

Der Bürgermeister hatte geendet, der Postmeister schüttelte unwillig den Kopf, die ehrlichen Bürger sahen bald den Einen, bald den Andern fragend an und Einer schlich sich sogar hinaus, um sogleich mit dem alten Mensdorf selbst, den er recht gut kannte, Rücksprache zu nehmen. Allgemach wurden Vermuthungen aller Art über den seltsamen Vorfall laut, man sprach zuletzt ziemlich bestimmt von einer großen Erbschaft, die dem Unterofficier zufalle, und der Bürgermeister sagte nichts, sondern lächelte diplomatisch; dadurch erreichte er seinen Zweck, die Bürger glaubten, ihr weiser Consul wisse Alles und dürfe es nur nicht sagen. Der Consul wußte aber eben so wenig [44] wie sie, nur verstand er seine Neugierde besser zu verstecken.

Am andern Tage, gegen Mittag, traf eine zweispännige Postchaise im Städtchen ein, das schmetternde Posthorn lockte die Neugierigen an die Fenster und mit stolzem, freudigem Gesicht empfing der Postmeister die heranrollende Chaise. Aus derselben stieg ein alter Mann in grauem Surtout, mit langen, weißen Haaren, der einen runden Hut auf dem Kopfe trug, sich beim Gehen auf einen starken Weißdornstock stützte und lebhaft auf dem Markte umsah mit seinen hellen, schwarzen Augen, die unter weißen, buschigen Augenbrauen funkelten. Der Mann hatte trotz seiner einfachen, bäurischen Kleidung viel Vornehmes in seiner Haltung und wußte sogar dem stolzen Postmeister so zu imponiren, daß er ihm eine tiefe Verbeugung machte. Der Mann im grauen Surtout zog langsam einen ledernen Beutel aus der Tasche seiner Beinkleider, reichte dem Postillon ein sehr anständiges Trinkgeld und sagte mit leiser Stimme: »Professor Klingsohr's Jungfer wird meinen Mantelsack abholen.« Dann faßte er nachlässig an die abgegriffene Krämpe seines Hutes und schritt mit ziemlicher Eile auf die alterthümliche Wohnung des Professors zu.

[45] Verwundert starrte ihm der Postmeister nach.

Die alte Jungfer öffnete dem grauen Manne die Thür und beknixte ihn mit sichtlicher Freude.

»Wie geht's, wie geht's, Jungfer?«

»Ich danke Herr Prosch, ich danke!«

»Und Oben?«

»J nun, man kann nicht sagen schlimmer, aber länger, immer länger, Sie verstehen mich?«

Der Schäfer Prosch nickte. »Und der alte Benndorf?«

»Der Musje Benndorf ist munter und frisch.«

Unter diesem Gespräch hatte der Schäfer Johann Prosch, denn das ist der Mann im grauen Rock, das erste Stockwerk erreicht, wo er sich wenigstens fünf Minuten lang mit dem Musje Benndorf unterhielt, ihm die Hand schüttelte und dann zu dem Professor hinaufgeführt wurde. Das geübte Ohr des Gelehrten hatte den fremden Tritt schon vernommen und da er den Ankommenden erwartete, so trat er ihm schon an der Thür des Zimmers entgegen.

Die beiden Männer umarmten sich.

»Es thut mir leid, Bruder Prosch, daß ich Dich im Winter hierher citirt habe.«

»Du weißt, Klingsohr,« unterbrach ihn der Schäfer, [46] »daß ich Dich nie im Stiche lasse, als Student habe ich mich für Dich geschlagen –«

»Und leidest noch an dem Stoß in die Lunge, den Du für mich empfingst, armer Johann –«

»Laß doch das, Klingsohr, sage mir recht schnell, was Du von mir willst, denn Deine Zeilen haben mich neugieriger gemacht, als es dem alten Schäfer von Weiler ziemt.«

»Erhole Dich nur erst von Deiner Reise, Prosch.«

»Ad loca, silentium Fuchs!« erwiederte der alte Schäfer und seltsam klang das burschikose Stichwort von dem alten Manne mit leiser Stimme gesprochen; »bist ein Semester mein Leibfuchs gewesen, Klingsohr, und hast Deinem Senior noch nicht pariren gelernt?«

Der Professor lächelte und drückte die Hand des Schäfers, die beiden Greise schauten sich mit innigem Lächeln an.

»Höre, Bruder!« begann plötzlich der Schäfer mit seltsamen Ausdruck, »geht Dir's denn auch so, ich denke seit einigen Wochen beständig an unsere Mutter.«

»Ich sehe sie sogar!« erwiederte Klingsohr mit unheimlichen Lächeln; »doch still davon jetzt.« Der [47] Professor zog seinen Stiefbruder, der noch älter war, als er, beinahe hastig in die Nische, in der Incarnacion noch immer regungslos auf dem Tisch lag.

»Was ist das?« fragte Klingsohr, seinem Stiefbruder das braune Mädchen zeigend.

Der Schäfer trat an den Tisch und untersuchte aufmerksam das Mädchen, namentlich unterwarf er die Augen einer besondern Prüfung.

»Nun?« fragte der Professor.

»Seit wie lange?« fragte der Schäfer dagegen.

»Seit vorgestern Morgen um sechs Uhr.«

»Was hast Du gebraucht?«

»Aderlaß und Galvanismus, sonst nichts von Belang.«

»Hilft hier nichts, Bruder!«

»Du kennst den Zustand, Prosch?«

»Ich kenne ihn, das Leben fluthet frei und ungehindert durch den Leib, aber es ist nicht sichtbar, weil der Nervengeist in einer tödtlichen Erstarrung liegt, sobald das Leben aufhört, in diesen Fällen gewöhnlich weil der Kranke vor Hunger stirbt, wird der Nervengeist wieder frei und alle Kräfte sind wieder in Thätigkeit, doch blos um eben zu sterben; indeß ist ein Erwecken aus diesem Zustande gar nicht [48] unmöglich; ich will's versuchen, aber gieb mir genaue Auskunft, Bruder. Dieser Zustand wird gewöhnlich durch eine heftige Erschütterung des Nervensystems, jedoch nur, wenn dieses bereits stark irritirt ist, herbeigeführt. Dieses junge Mädchen ist, wie Du mir früher schriebst, unsers Don Juan Geliebte, Juan ist nicht hier, sie ist also stets in Aufregung, denn diese Kreolinnen sind feurig, um sechs hast Du Deine Briefe gelesen, theiltest Du ihr vielleicht etwas mit?«

»Nein, aber Bruder, Du kennst meinen Zustand,« sprach der Professor erröthend, »sie hat mich gesehen.«

»So;« erwiederte der Schäfer trocken und begann auf's Neue Incarnacions Augen zu untersuchen, aber nach einer kleinen Weile sagte er bestimmt: »Dein Anblick kann diese junge Person entsetzt haben, aber diesen Zustand hat er nicht herbeigeführt.« Dann ging er rasch hinaus, und als er zurückkam lag eine Art von Triumph auf seinem alten Gesichte.

»Was hast Du, Prosch?« fragte der Professor.

»Ich dachte mir's,« entgegnete der Schäfer, »diese Wendung der Halsmuskeln verräth es, Benndorf bestätigt es, durch die Ohren ist der Nervengeist, der ohnehin stark angegriffene Nervengeist in diesen Zustand versetzt worden. Ich habe Dir gerathen, stets [49] einige starke Blasinstrumente hinzulegen in Deine Nähe, weil ich wußte, daß Du dich ihrer instinctartig, während der Momente Deiner Krankheit, bedienen würdest, Du hast trompetet gestern in die Kampfmuschel, das ist der Grund der Erstarrung.«

Der Professor nickte und der Schäfer klingelte dem alten Benndorf, dieser erschien und mit seiner Hülfe brachte er Incarnacion in eine halb sitzende, halb liegende Stellung in einen Armstuhl.

»Benndorf, kann Er mir nicht ein Tambourin verschaffen? Weiß Er, was ein Tambourin ist?«

»Nein, Herr Prosch.«

»Kann Er mir Schellen verschaffen?«

»O ja, Herr Prosch, unten hängt ein ganzes Schlittengeläute.«

»Sehr gut, bring Er das sogleich herauf und wenn es ein zweispänniges ist, so bringt Er auch die Jungfer mit.«

»Sehr wohl, Herr Prosch!«

»Bruder Klingsohr, hast Du nicht eine Sammlung spanischer Romanzen, diese Person spricht doch spanisch?«

»Nur spanisch, Bruder und el Cid Campeador ist mir zur Hand,« antwortete der Professor.

Fast zu gleicher Zeit kamen die beiden alten Diener [50] mit den Schellengeläuten und der Professor mit dem Romanzenbuch in die Nische zurück.

»Klingsohr, Du setzest Dich jetzt auf diesen Stuhl,« begann der Schäfer, indem er einen Stuhl gerade dem Armstuhl, in dem Incarnacion lag, gegenüber stellte. »Du lies't mit lauter Stimme eine Romanze und stößt am Ende jedes Verses mit Deinem Stock auf den Boden; Ihr guten Leute habt das Schwerste zu thun, aber bedenkt, daß es ein Menschenleben gilt, hängt Euch die Schellengeläute um.«

Musje Benndorf that es sogleich, die Jungfer zögerte etwas, aber sie fügte sich, »und nun Ihr guten Leute,« fuhr Prosch fort, indem er die beiden Alten, rechts und links, neben den Armstuhl Incarnacions stellte; »rührt Ihr Euch nicht, bis Euer Herr mit dem Stock auf den Boden stößt, sobald Ihr aber das hört, schüttelt Ihr die Schellengeläute aus allen Kräften; bedenkt, es gilt ein Menschenleben!«

Die Alten nickten, der Schäfer kniete sich nieder vor Incarnacion, erfaßte ihre Hand und sah ihr starr in's Gesicht.

Eine seltsame Gruppe; das leblose Mädchen, die beiden Alten fast komisch mit Schellengeläuten behängt, der knieende Schäfer, der wunderliche Professor mit [51] Buch und Stock. Prosch gab ein Zeichen und Klingsohr begann mit klingender Stimme eine der schönen Romanzen vom Cid zu lesen, die in ihrem trochäisch fallenden Rythmus und ihren vollen Klängen sich von selbst zum Gesang gestalten. Kaum hatte der Professor zu lesen begonnen, so sprangen auch die großen Katzen auf seine Schultern, sie saßen immer dort, sobald er laut las.

Melodisch fielen die Klänge der Sprache vom Ebro, der Stock gab das Zeichen und sinnverwirrend ertönten die Schellen, von den beiden Dienern in Bewegung gesetzt. Der Professor las weiter und wieder tönten die Klänge der Sprache vom Ebro und priesen die Thaten Rodrigo's und auf's Neue schlossen die rasselnden, klirrenden Schellen den Vers.

Der Schäfer legte seine Linke auf die Herzgrube Incarnacions. Spanische Rythmen im romantischen Trochäenfall, rasendes Schellengeklirr! –

Wie schaudernd regte sich und schüttelte sich Incarnacion.


»Rio verde, Rio verde,
Quanto cuerpo en tisi bana!«
las der Professor mit singender Stimme und das Schellengeklingel übertönte die letzte Sylbe.
[52] Incarnacion zuckte mit den Händen, die ihr der Schäfer hielt.

»Y Christianos, y de Moros
Muertos por la dur espada!'«

las der Professor mit singender Stimme weiter. –

»Muertos por la dur espada!« sprach Incarnacion ganz deutlich, Leben glänzte in ihren Augen, sie faltete die Hände und betete: »santissima madre por nuestras peccadillas.« Auf einen Wink des Schäfers schwiegen die Schellen und die Diener schlichen hinaus damit.

Leiser als bisher las der Professor weiter und leiser noch als er flüsterte der Schäfer in spanischer Sprache dem Mädchen zu: »Don Juan grüßt seine Incarnacion, er wird kommen, er bringt ihr Blumen, er bringt ihr Küsse, und die Blumen werden blühen an Incarnacions Busen und die Küsse werden brennen in Incarnacions Seele, Incarnacion hat geweint, aber sie wird nicht mehr weinen, Küsse werden ihre Thränen trocknen und Thränen werden wieder fließen, um die Gluth zu löschen, die die Küsse erregt haben; Juan kommt zu Incarnacion, denn er kann nicht leben länger ohne Incarnacion und Incarnacion nicht ohne ihn. Was soll auch die Sonne scheinen, wenn sie [53] keine Blumen bescheint, wie soll auch die Blume blühen ohne den Sonnenstrahl?«

Incarnacion hörte aufmerksam zu, ihr Busen hob sich kräftig, ihre dunkle Wange röthete sich, ihr Auge begann wieder zu funkeln und langsam legte sie ihre Hand auf die Stirn des Schäfers, sah ihm eine Weile in die Augen und sprach laut: »Du hast schwarze Augen und weiße Haut und sprichst mir von Don Juan, Don Juan bist Du nicht, wer seid Ihr Senhor Caballero?«

»Mich sendet Don Juan, mich sendet Don Juan an Incarnacion, Juan's Bote spricht zu Incarnacion, zu Juan's Geliebter, hört mich Incarnacion, die schöne Incarnacion, hört sie die Stimme von Juan's Boten?«

»Incarnacion hört die Stimme von Juan's Boten und sie klingt ihr lieblich, was sagt mir Don Juan durch Deinen Mund?«

»Don Juan sendet mich, Senhora, Don Juan sagt Euch, daß er käme, Don Juan kommt Euch abzuholen in das heitere Land der Sonne, dort wo der Maranhon rauschet, wo sich die Platane wieget, die Vanille würzig duftet, dort will Juan mit Euch wohnen.«

»Wo die Sonne Herzen wärmt,« fuhr Incarnacion begeistert fort, »und die Goldorange leuchtet, [54] wo der Kaiman listig weinet und die bunten Käfer spielen; wo der Regen stromgleich rauschet und der Donner mächtig hallet, wo Jaquita Lieder singet, um Don Juan einzuschläfern; will Don Juan dorthin reisen, dorthin führen seine Blume? sag es mir, Du lieber Bote, will Don Juan dorthin reisen?«

»Ja, Senhora, dorthin führet Euch Don Juan wohlbehalten, nur noch eine kleine Weile harret seiner hier geduldig.«

»Ich will warten, ich will harren bis die Sonne wie der scheint, wenn die Sonne wieder scheinet, wird die Blume wieder blühen.«

Incarnacion klatschte mit kindlicher Fröhlichkeit in die Hände und lehnte sich behaglich und lächelnd in ihrem Armstuhl zurück. Der Schäfer stand auf, füllte ein Glas mit schwerem Weine und reichte es, nachdem er genippt, dem Mädchen. Incarnacion faßte hastig danach und leerte es auf einen Zug, beinahe gierig aß sie dann mehrere Stücke Biskuit, die ihr der Schäfer reichte.

Das arme Kind hatte ja beinahe drei Tage keine Nahrung zu sich genommen, der Wein und die leichte Nahrung stärkte sie sichtlich, der gesunde, naturwüchsige, urkräftige Organismus that das Beste.

[55] Nach einer Viertelstunde war Incarnacion, Don Juan's Namen auf der Lippe, sanft und gesund entschlummert und die regelmäßigen Athemzüge der Schlafenden gaben den beiden Greisen die Gewißheit der Genesung.

Leise schlichen sie hinaus in die nächste Nische.

»Tausend Dank, Bruder Prosch,« sagte der Professor, »Du hast mich auf's Neue gerettet, bedenke, was hätte Juan gesagt, erst seine Tochter und nun die Geliebte.«

»Bruder, gieb mir zu essen!« bat der Schäfer, den Dank unterbrechend.

Der Professor klingelte und sagte nur noch: »mein Lieber, sage mir, wo hast Du gelernt spanische Verse machen, ich war erstaunt –«

»Das weiß ich nicht, Klingsohr, ich glaube sie machen sich von selbst; als Don Juan auf der Flucht war und ich ihn in meiner Schäferei versteckt hielt, haben wir manche liebe Nacht hindurch in spanischen Versen mit einander gesprochen.«

[56]
3. Die Tochter des Proletariers und der Sohn der Könige
III. Die Tochter des Proletariers und
der Sohn der Könige.
[57][59]

An dem Tage, an welchem der alte Schäfer Johann Prosch Incarnacion in's Leben zurückrief, an demselben Tage verließ Don Juan de Aurinia Paris; er war sicher auf der Spur des Entführers seiner Tochter, aber ein Befehl aus dem Ministerium des Innern zwang ihn Paris innerhalb vierundzwanzig Stunden zu verlassen. Don Martinez de la Rosa, Ambassadeur der constitutionellen spanischen Königin am Tuilerienhofe, hatte dringend die Ausweisung des carlistisch gesinnten und bekannten Generals Juan von Aurinia verlangt und das Julicabinet hatte, wie gewöhnlich, dem Verlangen der auswärtigen Diplomatie, wie ein apportirender Pudel, Folge geleistet.

In derselben Stunde beinahe, in der Don Juan Paris verließ, aber weder die Straße nach Deutschland, noch die nach Belgien einschlug, hielt eine Postkalesche [59] mit zwei andern, uns schon bekannten, Reisenden vor einem, bereits für sie in Stand gesetzten, hôtel garni in der Rue Vaugirard und Herr Strobel, der westphälische Fabrikherr, half einer zarten, kränklich aussehenden, Dame aus der Kalesche. Nur mit Mühe erkennen wir das Spinnermädchen Röschen, die Tochter des weißen Fabriksclaven Mensdorf, in der modischen, von starrer Seide umknisterten Dame, mit dem Zobelpelz, dem Sammethut und dem Schleier.

Wir staunen, wenn wir bemerken, daß Herr Strobel mit unverkennbarer Liebe und Achtung den Arm der Fabrikdirne ergreift und sie langsam und vorsichtig hinaufführt in die für sie bereiteten Zimmer. In dem eleganten Gemach, das behaglich erwärmt ist, nimmt Herr Strobel dem Mädchen Mantel und Hut ab und geleitet es freundlich zu einem Divan, auf dem Röschen Platz nimmt und auf Strobels Frage nach ihrem Befinden lächelnd erwiedert, daß sie keine Schmerzen habe und nicht besonders ermüdet sei.

Der Wirth des Hôtels erscheint jetzt mit verschiedenen Complimenten für Madame und Monsieur und versichert, daß er nicht so frech gewesen sein würde zu stören, wenn er es nicht für seine Schuldigkeit [60] gehalten hätte, diese bereits vorgestern angekommenen Briefschaften sogleich an Monsieur zu übergeben. Der kleine, nette Franzose empfahl sich tänzelnd, indem er bei seiner Ehre schwor, er würde selig sein, wenn er am nächsten Morgen die Gewißheit erlangen könne, daß Madame unter seinem Dache, das eigentlich viel zu schlecht für sie sei, wohl geschlafen habe.

Röschen lächelte naiv über die drolligen Geberden des Franzosen, von den französischen Complimenten verstand sie natürlich nicht ein Wort.

Herr Strobel hatte indessen das Briefpaquet eröffnet. »Das ist für Dich, mein theures Röschen, mein geliebtes Herz,« rief er zärtlich, »hier bescheinigt Dein Vater den Empfang der zweitausend Thaler, er hat sich bereits ein Häuschen gekauft, er und Deine Mutter segnen Dich und geben mit Freuden ihre Einwilligung zu Deiner Verheirathung mit mir.«

»Gieb mir den Brief, Mar!« bat Röschen und streckte ihren Arm aus, der, wie wir jetzt erst bemerken, in der Schlinge eines schwarzen Seidentuches hängt.

Strobel eilte zu ihr. »Schone Deinen Arm, Röschen!« rief er sorgend, »willst Du deinen Fuß nicht[61] auf den Divan legen, Du sollst ihn ja immer ausgestreckt halten.«

Röschen legte gehorsam ihren Fuß auf den Divan und las, oder buchstabirte vielmehr, denn ihre gelehrten Kenntnisse waren sehr gering, den Brief ihres Vaters.

»Was schreibt Dir der Buchhalter, Max? Du sieh'st erstaunt aus, sag es mir, laß Dich nicht wieder von dem schlechten Menschen umgarnen;« fragte Röschen, als sie den langen Brief des armen Mensdorf gelesen hatte.

»Er will, denke Dir nur, der schäbige Mensch im grauen Rock, er will meine Fabriken selbst kaufen und hundert und zwanzigtausend Thaler anzahlen, wenn ich achtzigtausend Thaler zum Betrieb in seinen Händen darauf stehen lassen will.«

»Das thust Du nicht, Max, wenn Du mich liebst,« sagte Röschen fest, »Du hast viel Unrecht wieder gut zu machen an den armen Arbeitern; wenn Du ihnen aber den Buchhalter zum Herrn giebst, so geißelst Du die mit Scorpionen, die Du bisher doch nur mit Ruthen gepeitscht hast.«

[62] »Nein, Röschen, ich thu' es nicht, wenn Du es nicht willst,« erwiederte Strobel, »der Buchhalter ist ein schlechter Kerl; wo hat er das Geld her? doch mir gestohlen?«

»Nein, Max, den armen Arbeitern hat er's gestohlen!«

Der Fabrikherr erbrach einen andern Brief und rief dann freudig: »Höre Liebchen, das klingt besser;« er las:


»Mein Herr, ich erfahre soeben, daß Sie im Begriff sind Ihre westphälischen Fabriken zu verkaufen – Sie thun wohl daran, denn Sie sind nicht der Mann, um bei einem solchen Geschäfte neben Ihrem Nutzen auch das Wohl der Arbeiter im Auge haben zu können. Die furchtbaren Ungerechtigkeiten, die scheußlichen Schandthaten, die auch in Ihrem Bezirk vorgefallen sind, wollen wir gern der Schuld Ihres durchaus schändlichen Buchhalters, dessen Verführung Sie unterlagen, beimessen, da wir vernommen, daß Sie sich's eifrig angelegen sein lassen, Ihre Fehler wieder gut zu machen. Es liegt jetzt in Ihrer Hand – wählen Sie – vergrößern Sie Ihr Unrecht und verkaufen Sie Ihre Fabrikarbeiter dem Blutsauger, Ihrem [63] Buchhalter, oder tilgen Sie Ihre Schuld und überlassen Sie die Fabriken uns, die wir vor allen Dingen die entwürdigten Arbeiter zu Menschen zu machen suchen. Wir wissen nicht, wie viel Ihnen Ihr schurkischer Buchhalter geboten hat, betrügen wird er Sie auf jeden Fall, denn der Engel, der Ihnen zur Seite steht« – der Engel bist Du, Röschen! unterbrach sich Herr Strobel – »versteht sich vermuthlich wenig auf Rechnungen; wir taxiren den Werth Ihrer Fabriken auf viermalhunderttausend Thaler, welche wir zu jeder Zeit zu zahlen erbötig sind. Doch wollen wir zum Wohl der armen Arbeiter gern zulegen, wenn uns der Buchhalter überbieten sollte. Glauben Sie uns, der größte Vortheil geht Hand in Hand nicht mit der größten Klugheit, sondern mit der größten Rechtlichkeit. Wir fürchten jetzt nicht, daß Sie unsere unkaufmännische Großmuth mißbrauchen werden, denn Röschen wird Ihnen das Beste rathen. Sollten Sie sogleich entschlossen sein auf unsern Plan einzugehen, so legitimiren Sie sich bei dem Hause Laffitte in Paris und ziehen Sie die Kaufsumme von viermalhunderttausend Thalern gegen Cessionsurkunde auf uns. Wir wünschen Ihnen Glück [64] zu Ihrer Besserung und zu dem Engel, der sie bewirkte.«


Magdeburg den 4. December 1844.


Der GeneralDon Juan de Aurinia

und für ihn sein Bevollmächtigter
Dr. Johann Faust.

Röschen war mehrmals, während Herr Strobel las, bescheiden erröthet, jetzt sagte sie freundlich: »Nun Max, jetzt hast Du Gelegenheit Dein Unrecht glänzend gut zu machen; Du wirst doch auf das Anerbieten des Generals eingehen?«

»Das versteht sich, liebes Kind; aber sage mir, kennst Du diese Leute? Kennen sie Dich? Woher wissen sie?«

»Du weißt, Max, daß ich sie nicht kennen kann, ich war ja vor zwei Monaten noch ein hungerndes Fabrikmädchen, wer sollte mich da gekannt haben? Und seit zwei Monaten bin ich Dir ja nicht von der Seite gekommen!«

»Ja, das ist wahr, aber es ist doch höchst sonderbar, daß sie wissen, daß ich mich gebessert habe!« murmelte Herr Strobel.

[65] »Du hast Dich noch nicht gebessert, Max,« sprach Röschen ernst, aber freundlich, »Du willst es erst!«

Ueberlassen wir indeß das so seltsam veränderte Paar sich selbst, wir sind unsern Lesern eine Erklärung dieser Veränderungen schuldig.

Wir bemerkten schon früher, daß der junge Herr Strobel, ein rechtes Kind unserer charakterlosen Zeit, jedem Eindruck offen, in liederlicher Gesellschaft zum feigen, blasirten Lüstling wurde und dann unter dem vergiftenden Einflusse seines Buchhalters das wurde, als was wir ihn beim Beginn dieser Erzählung fanden, ein egoistischer, erbärmlicher Narr, ein blasirter Tyrann, ein parfümirtes Laster mit einem Wort.

Röschen Mensdorf, das kaum erwachsene Fabrikmädchen, reizte durch seine Schönheit den übersättigten Sultan, wir sahen, daß eigener Entschluß, der Entschluß durch seine Ergebung die Aeltern vom Hungertode zu retten, das Mädchen in Strobels Arme führte. Die Art und Weise dieser Ergebung machte Eindruck auf den feigen Fabriktyrannen, Röschen war eine außerordentliche Erscheinung für ihn und sein Interesse an ihr wuchs täglich, wir sahen das Mädchen gegen seinen Willen nach Paris entführt werden. Bei [66] dieser Entführung hatte Strobel keinen andern Zweck, als mittelst der Gesellschaft der jungen Dirne seinen grimmigsten Feind, die Langeweile, zu bekämpfen. Das gelang ihm, aber Röschens Gesellschaft hatte noch ganz andere Folgen für ihn.

Die junge Dirne besaß, wenn auch keine Kenntniß des Lebens und der Verhältnisse, so doch ein sehr tiefes und richtiges Gefühl, namentlich ein tiefgewurzeltes Rechtsgefühl; Röschen hatte nichts gelernt, aber sie hatte einen scharfen Verstand und ein gesundes Urtheil und besaß eine Energie des Willens und eine Großartigkeit der Gesinnung, die ihre Seele adelten und ihre innere Schönheit ihrer äußern gleichstellten. Röschen besaß also alle Eigenschaften, die der reiche Strobel nicht besaß. Nun schwatzte Strobel gern, wie alle Menschen, die zum Denken zu faul sind, anfänglich sprach Röschen mit ihm, weil sie sich dazu verpflichtet glaubte, denn nach ihrem beschränkten Rechtsgefühl hatte sie sich mit Leib und Seele an Strobel verkauft – er hatte ihre Aeltern dafür vom Hungertode gerettet – später sprach Röschen von selbst mit Strobel, weil er von den Fabrikarbeitern schwatzte und zwar lauter ungereimtes Zeug, was ihm der Buchhalter vorgelogen hatte. Nach und nach errang Röschen jene [67] Herrschaft über Strobel, die jeder stärkere Geist über den schwächern nothwendig erringen muß. Nach einem achttägigen Aufenthalt in Frankfurt hatte der bessere Einfluß der jungen Fabrikdirne den charakter- und gedankenlosen Strobel völlig unterjocht. Man sah, wie Strobel eigentlich nichts war, er war nichts als ein weicher Thon, den jede Menschenhand formen konnte, wie es ihr beliebte. Der Buchhalter hatte einen nichtswürdigen, feigen, wollüstigen Tyrannen aus Strobel gemacht, die junge Dirne formte ihn um zu einem Menschen, der nur das Gute wollte und es auch that, wenn man's ihm nur nicht zu sauer machte. Das ahnete Röschen instinctartig, ihr Geist fühlte, daß Strobel, was er jetzt war, nur durch sie geworden, sie erkannte die Charakterlosigkeit des reichen Mannes, sie wußte, daß bei ihr Strobels Wesen sich bessere, daß es sich verschlechtern müsse ohne sie.

Dieses Bewußtsein gab der jungen Dirne Selbstgefühl und flößte ihr diejenige Zuneigung zu Strobel ein, die jeder Schöpfer zu seinem Geschöpf hat.

Damals schon hatte sie ihn bewogen, mehrere Begünstigungen seinen Arbeitern zu Theil werden zu lassen, die dieselben aber nie erhielten, da der Buchhalter [68] nicht für gut befand, den Befehlen seines Herrn nachzukommen.

Strobel, der schon nichts mehr that, ohne Röschen zu fragen, reis'te aus Bequemlichkeit sehr langsam – er sollte glücklich werden, das Schicksal intervenirte zu seinem Gunsten, denn es konnte nur etwas aus ihm werden, so lange Röschen bei ihm war – kurz vor Mezières gingen die Pferde durch, der Postillon wurde abgeworfen, die Deichsel zerbrochen und die Rosse rissen den Wagen unaufhaltsam einem steilen Abgrunde zu.

Strobel stieß einen Angstschrei aus, aber er that nichts, das war erklärlich bei ihm; Röschen dagegen sprang mit Lebensgefahr aus dem Wagen, fiel den Pferden in die Zügel, wurde getreten, ein Stück geschleift, aber dennoch gelang es ihr, die wilden Thiere zum Stehen zu bringen; sie hatte Strobel das Leben gerettet und für solch einen Dienst ist ein reicher Mann stets dankbar.

Am andern Tage verlobte sich Strobel mit Röschen; das junge Mädchen entschloß sich dazu ohne jeden Nebengedanken, es hatte lediglich die Absicht Strobels guter Engel zu werden. Von Mezières aus schrieb [69] Strobel an den Buchhalter und beauftragte ihn mit dem Verkauf der Fabriken, denn – ein bezeichnender Zug – er schämte sich, seine Gemahlin in Deutschland zu präsentiren. Doch schickte er dem alten Mensdorf zweitausend Thaler und bat ihn um seine Einwilligung zur Heirath.

Daß er diese erhielt, wissen wir bereits, wir bemerken hier nur noch, daß Herr Strobel sich am Tage nach seiner Ankunft in Paris zu Laffitte begab, sich legitimirte und eine Cessionsurkunde seiner Güter abgab, ohne Umstände erhielt er 400,000 Thaler in französischen Papieren. Es war bereits Ordre zu deren Zahlung eingelaufen.

Am dritten Tage nachher wurden Monsieur Strobel, rentier allemand et Mademoiselle Rosa Mensdorf in der Pfarrkirche von St. Eustache nach katholischem Ritus getraut.

Am Tage vorher hatte der junge Graf St. Aignan, einer der ersten Lions der Capitale, eine geheime Unterredung mit dem spanischen Gesandten Don Martinez de la Rosa bei dem Minister des Innern, dem Grafen Tanneguy Duchâtel, in deren Folge sogleich ein Courier nach Bourges abgefertigt wurde.

[70] Am Abend vor der Vermählung des ehemaligen Fabriktyrannen mit der Fabriksclavin finden wir in einem beinahe kahlen, sehr geräumigen Salon im ersten Stock des Schlosses zu Bourges zwei Herren in eifrigem Gespräche. Es ist kalt in dem Salon, denn das Feuer im Kamin ist erloschen, es ist finster darin, denn kein Licht brennt, wir können die sprechenden Herren nicht deutlich sehen, aber wir erkennen an der kräftigen, sonoren Stimme des einen Redenden unsern alten Freund, den General Don Juan de Aurinia.

Die Herren müssen wichtige Dinge mit einander zu verhandeln haben, denn immer eifriger wird ihr Gespräch, immer heftiger ihre Gesticulationen – plötzlich öffnet sich die Thür am obern Ende des Salons, ein Lichtschimmer fällt herein und eine laute Stimme ruft: »Su magestad!« Sogleich treten die beiden Herren in das geöffnete, erhellte, aber auch ärmlich meublirte, Gemach und machen schon in der Thür drei tiefe Verbeugungen.

Da steht ein mittelgroßer, nicht unschöner, Mann, längst über die Blüthe des Lebens hinaus, dessen stolze, feste Züge gemildert werden durch den freundlichen Blick seiner schwarzen Augen. Dieser Mann in dem einfachen, blauen Uniformüberrock, hat einen Hut auf, [71] dessen Federbusch von einer Brillantagraffe gehalten wird, er trägt einen starken Knebelbart.

Als Don Juan in's Zimmer tritt nimmt er seinen Hut ab und streckt dem alten Edelmann die rechte Hand entgegen. Don Juan kniet nieder vor dem Mann und küßt die Hand, die ihm entgegengehalten wird; der Mann im blauen Ueberrock aber hebt den alten General auf und drückt ihn herzlich an seine Brust. Dann setzt er seinen Hut auf, was sogleich auch Don Juan thut und mit ihm drei bis vier Herren, die längs der Wand hin stehen. Mehrere andere aber bleiben unbedeckt.

»Willkommen Don Juan!« beginnt der Mann, dem Don Juan so große Ehrfurcht bewiesen, »willkommen, ich freue mich Dich zu sehen, alter Getreuer.«

»Es lebe der König!« antwortete Don Juan mit sichtbarer Bewegung.

»Viva el rey! viva Don Carlos Quinto! viva el rey absoluto! viva la santa religio!« riefen die Herren im Salon.

»Still, still, meine Treuen, daß die Wächter unsere Freude nicht stören!« sagte der König von Spanien und beiden Indien.

[72] Das ist der Mann im blauen Ueberrock, es ist Don Carlos V., der König von Spanien nach dem Rechte der Legitimität, der nach blutigen Kämpfen besiegte, von Rafael Maroto verrathene, von der constitutionellen Isabella verdrängte Don Carlos, gegenwärtig Gefangener des französischen Gouvernements zu Bourges.

»Don Juan, wie ist Dir's gegangen, mein Lieber?« fragte der vertriebene König leutselig seinen alten Diener; »Du kommst aus Amerika?«

»Majestät, ich komme aus Amerika und bringe Deiner Majestät die Segenswünsche von viel edeln Spaniern, von frommen Priestern, von tapfern Hidalgos und Caballeros, will Deine Majestät die Gnade haben und einen Blick auf dieses Blatt werfen, ich habe nur eine Stunde Zeit, man verfolgt mich bereits und im Interesse Deiner Majestät möchte ich jetzt nicht gefangen werden.«

»Armes Spanien!« rief Don Carlos schmerzlich, »Dein König darf nicht einmal seine alten Freunde bei sich sehen, ohne sie in die größte Gefahr zu stürzen.«

Unverhehlt drückte sich der größte Unwille, die tiefste Indignation, der ächte, stille, spanische Zorn auf den [73] stolzen, bronçirten Gesichtern der Granden aus, die um den König standen. Ein großer, starker Herr in geistlicher Kleidung erhob die Hände, als wolle er den Himmel auffordern endlich zu Gunsten des frommen Don Carlos, des wahren Sohnes der Kirche, einzuschreiten.

Don Carlos hatte das Papier entfaltet und las aufmerksam. Tiefes Schweigen herrschte in dem ärmlichen Gemach, welches das Gefängniß des Abkömmlings von so viel katholischen Königen war.

Don Carlos hatte zu Ende gelesen, er reichte das Blatt dem Prälaten und sprach eintönig: »Wir sind Dir dankbar, Don Juan, es erquickt unser Herz, daß wir Dich mit eben der Loyauté uns dienen sehn, mit der Deine Väter unsern Vätern, den katholischen Königen Hispaniens, dienten, wir können Dir indeß jetzt keine Antwort ertheilen, wir müssen uns über Deinen Plan mit unserer königlichen Gemahlin, so wie mit den heiligen Priestern berathen, die uns in diesen Tagen des Trübsals und der Prüfung treu zur Seite stehen mit den Tröstungen unserer allerheiligsten Mutter Kirche; überdem, treuer Don Juan, soll es Dir nicht verhalten bleiben, daß wir sehr geringe Hoffnungen haben, jemals den Thron unserer Väter wieder besteigen [74] zu können, daß wir die heilige Jungfrau täglich bitten, uns einen baldigen, seligen Tod zu senden, denn wir haben bereits unsere Zeit überdauert, wir begreifen sie nicht mehr und darum ist es gut, wenn das Schwert der katholischen Könige in eine Hand übergeht, die es kräftiger zu schwingen vermag, als unsere, die schwach geworden ist im Kerker. Wir bitten Dich darum, Don Juan, Du wollest Deine Kraft nunmehr dem Prinzen von Asturien, unserem geliebten Sohne, widmen und ihm ein treuer Rathgeber sein.«

Es klang eine schwermüthige Entsagung in der Stimme des unglücklichen Königssohns, er sprach ganz aus dem Herzen; der aus ihm sprach, der war der Don Carlos, der von Jugend auf stets bitter getäuscht wurde, von dem Tage an, wo ihn Buonaparte zu Bayonne gefangen nahm und ihn zu Valencay einsperrte, bis auf den heutigen, wo er, von Thron und Reich vertrieben, auf's Neue im Gefängniß die bittern Früchte französischer Gastfreundschaft genoß.

Eine ernste, beinahe feierliche Stille herrschte in dem kleinen Salon.

»Lebewohl, mein König, ich sehe Deine Majestät wieder!« sprach Don Juan, sein Knie beugend.

[75] »Die heilige Jungfrau segne Dich, Don Juan, schließe uns in Dein Gebet ein!« antwortete der König, seine Hand segnend über den knieenden Granden ausstreckend.

»Kommt, Sohn der Kirche, würdiger Don Juan, daß ich Euch führe!« flüsterte der Prälat und führte den alten Edelmann hinaus.

[76]
4. Rafaëla's Sohn
IV. Rafaëla's Sohn.
[77][79]

Der französische Minister des Innern, Graf Tanneguy Duchâtel, gab einen glänzenden Ball. Musik, Blumen, nichtssagende Gesichter, glänzende Toiletten, schwarze Fracks und Ordensdekorationen, Hitze und Langeweile, Alles im Ueberfluß, wie gewöhnlich.

Ein bleicher, junger Mann mit düsterm Auge und marmorartigen, unveränderlichen Zügen, mit dichtem schwarzem Bart und dem rothen Bande der Ehrenlegion im Knopfloch des modischen Frack's drängt sich gleichgültig durch die Gruppen von Deputirten der der ministeriellen Majorität, durch die etwas verlegen aussehenden Edelleute der Faubourg St. Antoine und des ralliirten Theils der Faubourg St. Germain, er beachtet weder den modernen, fetten Geldadel von der Chaussée Antin, noch die stets vornehm und unzufrieden aussehenden Mitglieder der Diplomatie. Endlich gelangt er an die Thür eines kleinern Salons, die von einer Gruppe neucreirter Pairs und einigen alten Napoleonischen Säbelhelden gesperrt ist.

[79] Es ist unmöglich hier weiter zu kommen.

Der junge Mann wendet sich an einen schönen, ernstaussehenden Herrn, der ohne Theil am Gespräch zu nehmen, sichtlich unbekümmert um das Treiben um ihn her, seinen Gedanken Audienz zu geben scheint.

»Können Sie mir nicht sagen, Herr Cousin, wo ich den Grafen Duchâtel finde?«

Victor Cousin, Mitglied der Academie, Pair von Frankreich, der große Eclektiker, richtet sich auf, nickt ein wenig mit dem Kopf: »Bedaure Ihnen nicht dienen zu können, mein Herr Graf von St. Aignan!« sagt er langsam, nickt wieder ein wenig mit dem Kopf und lehnt sich auf's Neue an den Pfosten der Thür.

»Sie suchen den Minister, Graf St. Aignan? er spricht eben mit Madame Hugo dort, sehen Sie!« redet ein älterer Mann mit den Formen der alten Aristocratie den jungen Grafen an.

»Ich danke Ihnen, Herr Herzog!«

Es war der Herzog von Broglie, der große Staatsmann, der die Hauptstütze einer Dynastie ist, die er nicht liebt, in deren Herrschaft er sich nur, wie in eine nicht abzuweisende Nothwendigkeit, ergeben hat, es ist Broglie, der wahre Freund der Constitution, den das [80] Volk liebt trotz seiner aristocratischen Formen, den es achtet wegen seiner gewissenhaften Gesinnungstreue.

Der junge Graf St. Aignan eilt nach der ihm durch den Herzog bezeichneten Stelle, er hat Mühe sich von dem feisten, geschwätzigen Sauzet loszumachen, der gern Präsident der Kammer werden möchte für diese Sitzung, er drängt sich in die Gruppe, die sich dicht um die geistreiche Gemahlin des berühmten Dichters geschlossen hat, er tritt dem armen Grafen Salvandy auf seine podagraischen Füße und wird endlich des Ministers ansichtig. Er flüstert dem Grafen Duchâtel einige Worte zu.

»Zu spät?« antwortet dieser leicht, »ich danke Ihnen, Graf, ich werde Don Martinez de la Rosa selbst beruhigen, ist mir in einer Art lieb, hätte doch viel Aufsehen gemacht.«

Der Graf von St. Aignan verbeugt sich und eilt davon.

Er verläßt den ministeriellen Ball, wirft sich unten in seine Equipage, »Hôtel Liancourt!« flüstert er dem Jäger zu, »Faubourg St. Germain!«

Der Wagen rasselt davon und vorsichtig nestelt der junge Graf das Band der Ehrenlegion aus dem Knopfloch seines Fracks. Der Wagen hält unter dem [81] Portale eines alten, stattlichen Gebäudes, mehrere Equipagen machen bereits Queue.

»Vorwärts, ich habe Eile!« ruft er dem Jäger zu.

»Platz für den Wagen des Herrn Grafen von St. Aignan!« schreit der Kutscher, »Platz für den Herrn Grafen von St. Aignan!«

»Fahren Sie zur Seite, Kutscher,« ruft eine helle Stimme aus dem nächsten Wagen, »die jungen Leute haben nicht Zeit zu warten, wir Alten kommen noch immer zu früh!«

Der Graf von St. Aignan beugt sich aus dem Schlage und antwortet: »ich bitte um Entschuldigung, Herr von Chateaubriand, ich erkannte Ihre Livrée nicht.«

»Hat nichts zu sagen, Herr Graf, ich steige soeben aus und führe die Herzogin von Brancas, meine Nichte, hinauf, folgen Sie meinem Beispiel.«

Der junge Graf folgte wirklich dem gegebenen Beispiel, er trat mit Chateaubriand in den legitimistischen Salon des Herzogs von Larochefoucauld-Liancourt und war in diesem exclusiven Cirkel eben so bekannt, wie auf dem Balle des orleanistischen Ministers; eine Viertelstunde vielleicht sprach er mit dem alten Herzoge von Escar, der an der Spitze des legitimistischen Comité's in Paris stehen soll, begrüßte sich dann mit dem gewaltigen [82] Redner Berryer, mit dem Baron Larcy, dem Marquis von Boissy und einigen andern Deputirten und Pairs der legitimistischen Partei und eilte dann seinen Wagen wieder zu erreichen.

»Collège Charlemagne!« rief er dem Jäger zu.

Im Wagen verfehlte er nicht sein rothes Bändchen wieder einzuknüpfen.

Der Wagen hielt.

»Herr Michelet?«

»Herr Michelet ist nicht zu Hause!«

Der Graf gab seine Karte ab.

Von dem Professor Michelet, dem kühnen Vertheidiger der Universität, dem gefürchteten Feinde der Jesuiten, fuhr der Graf St. Aignan nach der rue des po stes, nach dem Hause Nro. 9, bekanntermaßen dem Haupthause des Jesuitenordens in Paris.

In diesem Hause blieb er sehr lange und es war fast Mitternacht, als er nach seinem Hôtel in der Faubourg St. Antoine zurückkehrte, dort nahm er sich kaum Zeit, sich umzukleiden. In eine graue Blouse gehüllt bestieg er einen Fiacre, den ihm sein Jäger geholt hatte und ließ sich nach der Ecke der Straße Scopin fahren. Ausgestiegen dort, trat er in einen schmutzigen, dunkeln Hausgang, öffnete eine Thüre und befand [83] sich in einem niedrigen, schlecht erleuchteten Saal, der voller Männer war, die alle den untersten Classen des Volkes angehörten.

Es war eine Arbeiterversammlung, Graf St. Aignan befand sich in einer Arbeiterversammlung.

Wir sind nicht bei der Conferenz zugegen gewesen, die der Graf in der Jesuitenhöhle in der Poststraße gehabt, leider sahen wir, daß er Herrn Michelet nicht zu Hause fand, aber sein gracieuses, vornehmes, sicheres Auftreten in dem legitimistischen Salon des Herzogs von Larochefoucauld-Liancourt, so wie sein geschäftiges Benehmen bei sehr zur Schau getragener Mißachtung der feinern Sitte im Ministerhôtel, sein Aus-und wieder Einbinden des rothen Bändchens der Ehrenlegion, das Alles kann uns wenigstens einen Begriff von dem Charakter des Grafen St. Aignan geben.

Wir sind nicht geneigt einen Mann zu achten, der mit allen Parteien in Verbindung steht, einer dient er doch nur, vielleicht keiner, und Viele sind getäuscht in jedem Fall. Wir Menschen werden im Allgemeinen einen Mann nicht günstig beurtheilen, der an einem Abend den Ball des Ministers der herrschenden Dynastie, den Salon der Getreuen eines vertriebenen Herrschers, die Wohnung des Hammers der Jesuiten[84] (malleus Jesuitarum) und diese Jesuiten selbst aufsucht, endlich aber mit der Theilnahme an einer communistischen Arbeiterversammlung den Tag schließt.

Graf St. Aignan, der beim Minister trefflich den Beamten, im Hôtel Liancourt ausgezeichnet den alten Edelmann gespielt hatte, machte auch als Arbeiter seiner Rolle keine Schande – es wurde eine Rede gehalten – gleichgültig stieß St. Aignan die vor ihm Stehenden weg, nicht wie ein vornehmer Herr, der Platz haben will, sondern ganz wie ein Arbeiter, der unter seines Gleichen ist, sich aber vordrängen muß, weil – er schwer hört, denn sobald ihm einer der Gestoßenen einen zornigen Blick zuwirft, so zeigt er mit dem Zeigefinger auf sein Ohr und mit der natürlichen Höflichkeit der niedern Stände wird dem schwerhörenden Kameraden Platz gemacht.

Auf diese Weise war es dem Grafen gelungen bis in die Nähe des Redners zu kommen, er maaß diesen mit einem scharfen Blick und lehnte sich dann an ein Fenster, sichtlich sehr wenig aufmerksam auf das, was der Redner sprach – war auch nicht der Mühe werth – utopistische Träumereien, mit denen der sogenannte Communismus die armen Arbeiter heutzutage füttert, anstatt ihnen Brod zu geben und Menschenrechte! Ein [85] alter Arbeiter drängte sich jetzt an den Grafen und fragte ihn leise, ohne ihn dabei anzusehen:

»Was befehlen Sie? Hier ist nichts zu thun, die Sache ist ganz unschuldig.«

»Würden Sie den alten Mann wiedererkennen,« antwortete St. Aignan eben so, »den ich Ihnen vor einigen Tagen zeigte?«

»Den Spanier? Gewiß!«

»So kommen Sie morgen zu mir, aber zeitig!«

»Gut! Sollen wir hier aufräumen, oder ist's nicht nöthig?«

»Lassen Sie den Leuten ihr Vergnügen und merken Sie sich nur den Redner.«

»Ja!« rief der Redner eben, »die Feigheit und Bestechlichkeit der Beamten ist eine Quelle unseres Unglücks, die andere aber ist die gräßliche Perfidie, die wie eine Krankheit am Staatsleben frißt; keine Treue mehr, nirgend, überall Verräther, Spione. Espionage ist das Hauptmittel der Regierung, mit Spionen beherrscht sie uns; glaubt Ihr nicht, daß auch hier unter uns Spione sind? Ich sage Euch, es sind Spione in diesem Saal!«

[86] Ein drohendes Gemurmel wurde hörbar und eine helle Stimme rief: »Wer sind die Spione, nieder mit den Spionen!«

»Nieder mit den Spionen!« brüllte die Masse.

»Seht den jungen Mann dort,« schrie der Redner, auf St. Aignan zeigend, »er hat eine Blouse an, aber glanzlederne Stiefelchen, welcher Arbeiter trägt glanzlederne Stiefelchen? Er hat einen schlechten Hut auf, aber seine Haare sind parfümirt; er ist ein Spion!«

Furchtbares Geschrei von allen Seiten, St. Aignan rührte sich nicht aus seiner halbliegenden Stellung am Fensier.

»Was sagte er jetzt?« fragte er kaltblütig einen Arbeiter, der neben ihm stand und ihn mit drohenden Blicken musterte, »ich verstand nicht recht, ich hörte von Spionen?« und dabei deutete der junge Mann so unnachahmlich natürlich auf sein Ohr, daß er die Umstehenden irre machte.

St. Aignan war jetzt von einem dichten Kreise drohender Arbeiter umschlossen.

»Wer bist Du? was arbeitest Du?« fragte ihn ein grimmiger Eisenarbeiter mit rußigem Gesicht.

»Wie?« fragte St. Aignan, seine Hand an's Ohr haltend.

[87] »Wer Du bist?« schrie ihm der Eisenarbeiter in's Ohr.

»Das geht Dich nichts an!« antwortete der junge Graf kurz.

»Nieder mit dem Spion!« schrieen zwar noch immer viele Stimmen, aber das kalte Benehmen des jungen Mannes hatte doch viele Andere ganz getäuscht.

»Die Minister schicken taube Spione!« lachte man, »ein tauber Spion!« brüllte ein kleiner Mann dicht am Ohre St. Aignan's.

St. Aignan schien das gehört zu haben. »He!« rief er, sich aufrichtend, »treibt Ihr Spott mit meiner Taubheit? Schimpft Ihr mich etwa Spion, weil ich's nicht hören kann? He, dieser Mann hat mich Spion geschimpft, das leidet kein braver Franzose, ich will ihm den Spion in seinen kahlen Schädel hineintrommeln; macht Platz Kameraden, gebt uns Raum zu einem ehrlichen Kampfe.«

Die Arbeiter traten zurück, der Kreis erweiterte sich. »He, lustig, der dicke Enterich und der taube Spion sind aneinander!« schrie die Menge, die sehr begierig das Schauspiel des Kampfes erwartete. Der untersetzte, dicke Mann trat hervor und schien sich entschuldigen zu wollen, St. Aignan, seiner Rolle treu, [88] hörte natürlich nichts: »Lump, Canaille,« schrie er mit erkünstelter Wuth, »schimpfst Du noch immer?« und schlug mit einem Schlage dem kleinen Manne den Hut vom Kopfe, dieser, dadurch in Zorn gesetzt, stieß ihn vor die Brust, der Graf aber ergriff ihn bei den Haaren, zog ihn vorwärts etwas nieder und ließ einen solchen Hagel von Faustschlägen auf die Schultern und den Nacken des armen Menschen regnen, daß dieser bald in ein wehmüthiges Geheul ausbrach. St. Aignan aber hörte nichts, er hieb tüchtig drauf los, endlich wendete sich der kleine Mann an das Mitleid der Umstehenden und Einer derselben schrie dem vermeintlich Tauben in's Ohr: »So hör' doch auf, er bittet Dich ja um Verzeihung, er sagt, er hätte sich geirrt.«

»Hat er das gesagt?« fragte der Graf, die Umstehenden mit jenem mißtrauischen Blick, der den Harthörigen so eigenthümlich ist.

Man nickte, sogleich ließ St. Aignan den kleinen Mann los, hob ihm seinen Hut auf und sagte freundlich: »Es thut mir leid, Kamerad, daß ein kleines Mißverständniß zwischen uns stattgehabt, Du mußt mich nicht wieder mit meiner Taubheit aufziehen, ich kann das nicht leiden.«

[89] »Bravo!« schrien die Arbeiter.

»Kamerad!« redete St. Aignan den Geprügelten noch einmal an, »Du siehst so traurig aus, ich habe noch hundert Sous, komm, wir wollen sie zusammen vertrinken, morgen wird sich schon wieder etwas für mich finden.«

Das ließ sich der kleine Mann nicht zweimal sagen und unter dem Jubel der Uebrigen zogen beide ab.

»Wer ist das? das ist ein Mordkerl, ein guter Kerl! schade, daß er so schlecht hört!« so sprach man im Saal, der nach und nach leer wurde.

»Ich habe den jungen Mann schon gesehen,« sprach der alte Arbeiter, der vorher so unbemerkt mit dem Grafen gesprochen; »halt, jetzt weiß ich's – ich sah ihn gestern bei Madame Grisonne, es ist ein Commissionair, dessen sich die Damen sehr gern bedienen.«

»Darum parfümirt er auch sein Haar und trägt glanzlederne Stiefelchen; es ist ein braver Kerl; einfältig, daß wir ihn für einen Spion halten konnten!«

Am andern Morgen saß der junge Graf St. Aignan in einem Schlafrock von blauem Sammt in seinem reich geschmückten Boudoir. Seine Hand ist fest, sein Ansehen unverändert, obgleich er erst vor einer [90] Stunde aus einer erbärmlichen Schenke zurückgekehrt ist, in der er die ganze Nacht mit den Arbeitern gezecht hat.

Er hat schon einige Briefe geschrieben, jetzt beginnt er zu siegeln und klingelt.

Ein eleganter Kammerdiener im schwarzen Frack tritt ein.

»Hier nehmen Sie diese Briefe, Maurice,« spricht der Graf, »diesen an den Vicomte Chateaubriand besorgen Sie persönlich, diesen an den Herzog von Escar senden Sie durch einen alten Diener in gestickter Livrée, gepudertem Haar und Tressenhut, diesen an den Grafen Rambuteau kann ein gewöhnlicher Laquai tragen, dieser an den Minister des Innern wird durch meinen Secretair übergeben, diese übrigen geben Sie auf die Post.«

»Zu Befehl, Herr Graf, der Mann, den Sie den Morgenstern nennen, ist draußen!« entgegnete Maurice mit Verbeugung.

»Lassen Sie den Morgenstern aufgehen!« sagte der Graf lächelnd zu dem verschwindenden Kammerdiener.

Nach einigen Augenblicken trat ein Mann in's Zimmer, der die Kleidung eines achtbaren Bürgers trug und sich auf einen großen Regenschirm stützte.

[91] An den kleinen, häßlichen, grauen Augen in dem aufgedunsenen Gesichte erkennen wir den alten Arbeiter wieder, der im Verlauf der vorigen Nacht den Grafen St. Aignan zu einem Commissionair gemacht hatte.

»Setzen Sie sich, mein Herr!« antwortete der Graf auf die zahlreichen Verbeugungen des ehrlichen Mannes und deutete auf einen Stuhl, der seinem Tisch gegenüber stand.

Der alte Mann nahm ruhig, seinen Regenschirm zwischen den Knieen, auf dem angewiesenen Stuhle Platz.

»Was war's gestern noch im Saal?« fragte der Graf.

»Nichts, mein Herr Graf, man ging nach Hause und hielt Sie für einen Damencommissionair; Sie haben gestern ein Meisterstück gemacht!«

»Gut! Sie sprechen spanisch, mein Herr?«

»Vollkommen; ich diente unter der Fremdenlegion.«

»Sie werden von nun an streng-legitimistische Grundsätze haben; Sie haben in Spanien für Don Carlos gefochten, sind hier einst Bedienter der Frau Herzogin von Berry gewesen, Sie sind mit dem Herzoge von Angoulème nach Deutschland gegangen, haben aber in Folge eines Verdrusses mit einem Kammerherrn den Abschied genommen; Sie verstehen mich?« –

[92] »Vollkommen, Herr Graf!«

»Sie werden nach Deutschland gehen, werden einige Zeit in Berlin verweilen, werden dort zufällig die Bekanntschaft des Generals Aurinia machen, in dessen Dienste treten, werden darin verbleiben, so lange sich der General in Deutschland aufhält, werden mir Berichte machen über Alles von Wichtigkeit und sonst überhaupt nach meinen Instructionen handeln. Bis Mitte nächsten Sommers hat der General sicher Europa verlassen, Sie können dann hierher zurückkehren und den Rest von fünfundzwanzigtausend Franks in Empfang nehmen, von denen ich Ihnen hier zehntausend Voraus zahle.«

Der alte Mann nahm ohne eine Miene zu verziehen die zehntausend Franks in Papier und sagte: »Ich werde in einer Stunde abgereis't sein; die Addresse ist die gewöhnliche, der General ist X, ich bin Y; ich empfehle mich Ihnen, Herr Graf!«

»Adieu!« antwortete St. Aignan gleichgültig und band eine Rolle Papiere zusammen.

Am Abend dieses Tages finden wir den vielgewandten Sohn Rafaëla's und des Grafen Vavel de Versey, denn der ist der junge Mann, den wir unter dem Namen eines Grafen von St. Aignan kennen [93] gelernt haben, in dem Boudoir einer berühmten Sängerin von der großen Oper.

Mit der ächten, vornehm sein sollenden, Unverschämtheit, durch welche sich der moderne Lion, der französische Elegant unserer Tage eben so vortheilhaft auszuzeichnen glaubt, wie sich einst der Petit-maitre einer verschwundenen Zeit durch seinen Anstand, durch artige, wenn auch oft lächerlich übertriebene Galanterie, wirklich auszeichnete – mit der ächten, unverschämten Löwenhaftigkeit hatte sich der Graf St. Aignan auf das Sopha seiner Geliebten gelegt, zerriß mit den Sporen den Damastüberzug, zaus'te den Wachtelhund bei den Ohren und öffnete den Mund nur, um zu gähnen.

»Aber, Charles!« rief die Operndame, eine ganz hübsche, aber unbedeutende, Brünette, indem sie vor dem Spiegel kokettirte, »aber Charles, Sie sind unausstehlich, sagen Sie doch etwas; seit Sie aus Deutschland zurück sind, ist's nicht mehr auszuhalten mit Ihnen!«

»Ich bin Ihrer überdrüßig, Madelaine!« erwiederte der Graf ganz ungenirt und bekräftigte seine Behauptung durch ein gewaltiges Gähnen.

[94] »So!« erwiederte die Theaterprinzessin, nicht im Mindesten empfindlich, »Sie sind meiner überdrüßig, ich Ihrer ebenfalls, verständigen wir uns; geh' Du linkwärts, laß mich rechtwärts gehn!« trällerte sie.

»Geht nicht, Madelaine!« sprach St. Aignan das Wachtelhündchen so heftig am Ohre zupfend, daß es ein Schmerzgeheul ausstieß. »Das fette Geldfaß, der Börsenspeculant, ich habe seinen plebejen Namen vergessen, macht Ihnen die Cour, man würde sagen, er habe mich überboten bei Ihnen und das würde meinem Credit schaden, Sie sehen also, Madelaine, daß Sie sich noch eine Weile bei mir glücklich fühlen müssen!«

»Ein Glück ohne Gleichen, Charles!« lachte die Dame, »Sie kommen blos zu mir um zu gähnen, ich glaube Sie schlafen?«

»Ich, ich bin sehr müde!« brummte der Graf.

»Stehen Sie auf, Charles, führen Sie mich in meine Loge.«

»Ziehen Sie sich nur erst an, Madelaine und lassen Sie mich in Ruhe; in Ihrer verdammten Loge kann man so kein Auge zuthun!«

»Aber Charles, nicht ich, sondern Sie haben ja die Loge gewählt!«

[95] »Ja doch, das war damals, machen Sie nur, machen Sie große Toilette!« erwiederte der moderne Liebhaber ungeduldig.

Die Leser werden nun ein Bild von dem Wesen des Grafen St. Aignan haben.

[96]
5. Der Doctor Faust in Berlin
V. Der Doctor Faust in Berlin.
[97][99]

Zwischen Weihnachten 1844 und dem ersten Tage des Jahres 1845 war Doctor Faust mit seinen Freunden, den Arbeitern, in Berlin angekommen und hatte sie, um nicht unnöthig die Wachsamkeit der Behörden zu erregen, an verschiedenen Orten, theils in Gast-, theils in Privathäusern, einlogirt. Zum gemeinschaftlichen Sammelplatz war ein wenig besuchtes Kaffeehaus mittlern Ranges, neue Schönhauserstraße Nro. 18 bestimmt.

Täglich sah hier Doctor Faust seine Pflegebefohlenen und erwartete nicht ohne Aengstlichkeit die sich von Tage zu Tage verzögernde Ankunft des Generals von Aurinia, der ihm mit seinen Arbeitern eine Audienz bei Sr. Majestät dem Könige verschaffen sollte, denn obwohl Don Juan Sr. Majestät persönlich nicht bekannt war, so hatte er doch so viel Verbindungen unter dem hohen Adel Preußens, daß es ihm nicht schwer werden konnte eine Audienz bei dem menschenfreundlichen, herablassenden Monarchen zu erhalten.

[99] Auch am Sylvesterabend hatte Doctor Faust vergeblich auf dem anhaltischen Bahnhofe die Ankunft des letzten Dampfzuges erwartet, Don Juan war nicht gekommen und ziemlich ärgerlich ließ sich der Humanist in einer Droschke nach Nro. 18 der neuen Schönhauserstraße fahren. Das Wetter war so schlecht, daß selbst Faust, dieser Humanist, nicht eben zornig wurde, wenn der Droschkenkutscher seine Rosse auf eine wenig humane Weise antrieb.

Frierend und mißgelaunt trat Faust in das kleine Parterre-Zimmer zur rechten Hand, welches die erste Pieçe der Kaffeewirthschaft bildete, er fand dort etwa zehn seiner Deputirten, die auf eine höchst ruhige und anständige Art ihr Glas bairisches, oder Josty'sches Bier genossen und ganz in der Weise langgeknechteter Menschen sich etwas verlegen fühlten, sich etwas unbeholfen benahmen nun, da sie als freie Männer auftreten sollten.

Faust begrüßte sie freundlich, er schüttelte Allen die Hände und sichtlich stärkte Faust's Anwesenheit die Zuversicht dieser armen Menschen, die, selbst Sclaven, es dennoch wagten einen Schritt zur Erlösung ihrer ganzen verachteten Kaste zu thun.

[100] Da keine Aufwartung zu sehen war, so trat Doctor Faust in ein zweites Zimmer, das noch kleiner als das erste war, aber sehr behaglich eingerichtet zu sein schien.

Die Wirthin, Madame Grunewald, eine noch wohl conditionirte Frau von ungewissem Alter und einigen Spuren früherer Schönheit, stand auf und fragte nach dem Begehr des Herrn Doctor's, der in großer Achtung bei ihr stand, weil er stets baar bezahlte, was sonst in ihrem Kaffeehause nicht Sitte war. Sie eilte sogleich hinaus, um dem Herrn Doctor das verlangte Glas Grog selbst zu bereiten und Faust ergriff ein Blatt der Haude und Spener'schen Zeitung; während er nun einen der Pfennigartikel dieses berühmten, politischen Organs zu studiren schien, beobachtete er aufmerksam eine kleine Punschgesellschaft, die sich um eine mächtige Terrine gelagert hatte und in ihrer Fröhlichkeit nicht die geringste Notiz von unserm Faust zu nehmen schien.

Oben am Tische saß ein großer, vierschrötiger Mensch mit einem dicken, rothen Bullenbeißergesicht, der von den Uebrigen Thibaut genannt wurde, übrigens, wie aus dem Gespräch hervorging, ein Handlungsdiener [101] ohne Stelle war und für den begünstigten Liebhaber der Madame Grunewald galt. Neben ihm suchte sich ein kleiner, krausköpfiger Jude, Namens Pinner, so bemerklich als möglich zu machen, was ihm indeß nicht gelang, da ein neben ihm sitzendes, ächtes Berliner Subject ihn beständig mit dem berühmten Berliner Wortwitz ad absurdum führte und ihn so zum Gelächter der Gesellschaft machte. Dieses erwähnte Berliner Subject, welches sich Ratz nannte, trug neben den Spuren eines wilden, liederlichen Lebens im blassen Gesichte einen dürftigen, blonden Schnurrbart und, trotz des Winters, einen, stark an die Vergänglichkeit irdischer Dinge erinnernden, Reitfrack, dessen Schöße doch nicht breit genug waren, um einige defecte Stellen der erbsgelben Beinkleider verdecken zu können. Herr Ratz war, wie er selbst sagte, ein richtiges Berliner Kind, war bei zehnerlei kleinen Büreau's angestellt gewesen, hatte ein Paar Mal die Hausvoigtei besucht, war indeß doch noch nicht »über'n Berg,« das heißt noch nicht nach Spandau gekommen und betitelte sich jetzt Privatsecretair, da er aber als solcher keinen Gehalt zu beziehen schien, so lebte er von Schuldenmachen und andern noch ehrlichern Beschäftigungen.

[102] Am untern Ende des Tisches saß indeß ohne Zweifel der anständigere Theil der Gesellschaft; ein junger Architekt und Bildhauer, dessen Name schon rühmlichst bekannt ist, schaukelte sich auf seinem Stuhl neben einem langlockigen Maler, dessen Namen hoffentlich noch bekannt werden wird und auf dem Sopha lag ein junger Mensch im Sammtrock mit verwildertem Bart, der sehr gemüthlich eine Cigarre rauchte und einem alten, langen Herrn in grauem Rock zuredete, eine Bowle Punsch weiter zum Besten zu geben. Die Rede des jungen Mannes war so eindringlich, daß der Graue nachgab und den Dränger bevollmächtigte, eine neue Bowle zu bestellen. Der junge Mann, der eine so ausgezeichnete Rednergabe gezeigt hatte, wurde gewöhnlich Flottwell genannt, vermuthlich, weil er eben so viel mit seinen Finanzen zu thun hatte, als der Minister Flottwell mit den Finanzen des preußischen Staates.

Fast zu gleicher Zeit trat Madame Grunewald durch die eine und der Fabrikarbeiter Hornberg durch die andere Thür ins Zimmer, die Eine, um dem Doctor seinen Grog zu präsentiren, der Andere, um Faust zu begrüßen, denn er war noch nicht zugegen gewesen, als dieser kam.

[103] Der Doctor schüttelte dem Arbeiter die Hand und nannte ihn bei'm Namen.

Kaum war das geschehen, so stand der schon erwähnte graue Mann vom Sopha auf, näherte sich den Beiden und sagte mit Katzenfreundlichkeit:

»Guten Abend, lieber Hornberg, wie geht's Ihnen? Herr Doctor Faust, nicht wahr? Freut mich, daß ich in diesem Jahre noch die Ehre habe!«

Der arme Fabrikarbeiter ward bleich und begann zu zittern – so stark ist die Gewöhnung der Sclaven, sie zittern unwillkührlich, wenn sie in die Nähe ihrer Peiniger kommen.

»Untergebener Knecht, Herr Buchhalter!« stammelte Hornberg und sah mit einem flehenden Blick nach Faust.

Doctor Faust, obgleich er den Buchhalter des Herrn Strobel nicht von Ansehn kannte, kannte ihn doch hinlänglich aus seinen Thaten, er war empört über die widerliche Freundlichkeit dieses Menschen, er schämte sich einen Moment ein Mensch zu sein, da er in Hornbergs Zittern sah, wie tiefer Entwürdigung die Menschennatur fähig ist

[104] »Sie sind der Buchhalter Koch und waren in Diensten des Herrn Strobel?« fragte er den Sclavenvogt vornehm.

»Zu dienen, mein sehr verehrter Herr Doctor!« antwortete der Buchhalter demüthig.

»Sie sind nach Berlin gekommen, um zu sehen, was ich hier unternehmen werde, Sie machen hier den Spion, den Spion nicht in Ihrem Interesse allein, wenn auch hauptsächlich, da furchtbare Anklagen auf Ihnen ruhen, sondern Sie sind der Emissär einer ganzen Partei, Sie sind der Spion der vor Angst zitternden Fabriktyrannen; Sie sind auf einem gefährlichen Wege, nehmen Sie sich in Acht, Herr Koch, denken Sie an das Schicksal des Commerzienraths von Goldstein!«

Der Buchhalter erzwang ein kurzes, heiseres Lachen, aber seine blauen Lippen und seine aschgrauen Züge straften das Lachen lügen. »Wer recht thut, braucht Niemand zu scheuen,« murmelte er.

»Ganz wohl, Herr Koch,« versetzte Faust, »wer aber Menschenhandel treibt, Mädchen verführt, arme Leute betrügt und verhungern läßt, der hat doch so Manchen zu scheuen!«

[105] Das Gespräch war nicht leise genug geführt worden, die Gäste wurden aufmerksam, der Buchhalter benutzte das und antwortete trotzig-verzagt: »Es ziemt einem studirten Herrn wenig einen armen Mann zu beleidigen!«

»Ich beleidige Sie nicht,« rief Faust verächtlich, »ich sage ganz kurz, daß ich Sie für den ehrlosesten, nichtswürdigsten Verbrecher halte, den ich kenne, haben Sie etwas dagegen, so klagen Sie und ich will das beweisen, was ich gesagt habe!«

Der Buchhalter trat einen Schritt zurück und schoß einen wüthenden Blick auf den Doctor, der die Gesellschaft höflich grüßend hinausging und draußen, im andern Zimmer, seinen Grog austrank.

»Mann, wie können Sie sich das gefallen lassen?« schrie Ratz, das richtige Berliner Kind, den Buchhalter an.

»Sieht der Kerl nicht aus, wie die leibhafte Sünde?« fragte der Maler den Bildhauer.

In diesem Augenblick kam die vom Buchhalter gespendete Bowle, aber Niemand wollte mit ihm trinken, selbst Flottwell, der ihn erst dazu gedrängt hatte, nahm das ihm gebot'ne Glas nicht an, ob ihm das gleich sichtlich große Ueberwindung kostete.

[106] Der Buchhalter war in Verzweiflung, er bekam hier einen kleinen Vorschmack von dem, was ihm bevorstand, wenn Faust ihn öffentlich an den Pranger der Presse stellte. Gar zu gern wäre er hinausgegangen, aber er vernahm draußen, im andern Zimmer, die Stimme Faust's, des Mannes, der sich ihm so furchtbar gezeigt, wie kein Anderer bisher.

Faust unterhielt sich mit den Fabrikarbeitern über das, was Jeder von ihnen merkwürdiges gesehen den Tag über in der großen Königsstadt, unbemerkt berichtigte er ihre Ansichten, läuterte ihre Urtheile und suchte sie langsam mehr und mehr auf die Stufe zu erheben, von der sie durch Eigensucht, Habsucht und Gleichgültigkeit herabgedrängt waren.

Faust freute sich an den armen Menschen, er begrüßte innerlich jubelnd jeden Funken Menschengeistes, den er herauszuschlagen vermochte aus diesen, in der Sclaverei versteinten, Menschengestalten, er hoffte mehr und mehr, denn was man mit jedem Einzelnen kann, kann man auch mit der Masse und Faust schwärmte für sein Project, für die Erhebung, Ersittlichung und Erstarkung der besitzlosen Klassen, aber er schwärmte nicht nur, sondern er handelte auch.

[107] »Unsinniger!« rufen gewiß Viele ihm zu; »Großsinniger!« hoffentlich noch Mehre.

Faust war heiter geworden in der Gesellschaft der Fabrikarbeiter, er beschloß die Sylvesternacht in ihrem Kreise zu verleben, ließ eine Bowle Punsch brauen und suchte die armen Leute, die ihn beinahe wie einen Gott verehrten, auf alle Weise zu erheitern. Die ersten Gläser waren geleert, eine heitere Stimmung bemeisterte sich der Arbeiter; »wiederholt den Refrain, Freunde!« rief Faust und begann mit schöner, männlicher Stimme zu singen:


Wißt ihr, wer zu dieser Frist

Der Erste aller Spinner ist?

Das ist von Anbeginn der Zeit,

Das war noch gestern, ist noch heut',

Der alte Herrgott selber!


Der spinnt das Tuch der Ewigkeit

Setzt an das Gestern still das Heut',

Sechs Tag' er also spinnen thut

Und wenn er dann am Sonntag ruht,

Gefällt ihm sein Gewebe.


Was unser Gott im Großen spinnt

Ein Jeder klein dahier beginnt,

Die Räthe und der Feldmarschall,

Die Kön'ge selber spinnen all'

Am Leichentuch der Zeiten.


Wohl dem, der fein gesponnen hat!

Wohl dem, der treu das Seine that,

Er wird, wenn's heißt: »es ist genug!«

Im selbstgesponn'nen Leichentuch

Zur ew'gen Ruh' getragen.


[108]

Drum freu' sich, wer ein Spinner ist,

Ein wackrer Spinner, daß ihr's wißt,

Hat unsern Herrgott zum Patron,

Der zahlt den höchsten Arbeitslohn,

Wenn's Leben abgesponnen!


Das einfache, von Faust nach einer bekannten Melodie improvisirte, Lied machte einen merkwürdig tiefen Eindruck auf die armen Fabrikarbeiter – Faust erreichte auch damit seinen Zweck, er wollte ja vor allen Dingen den armen Menschen Selbstgefühl einflößen und dazu trug auch dieses Lied bei.

Das Gespräch wurde nun in heiterer Weise immer mehr belebt, bis plötzlich im Nebenzimmer ein furchtbarer Tumult entstand. »Hinaus! hinaus mit dem Schuft! setzt ihn an die Luft!« riefen mehrere Stimmen.

Die Thüre wurde geöffnet; Herr Ratz, das richtige Berliner Kind, hatte mit dem Handlungsdiener außer Diensten, Herrn Thibaut, Ecarté gespielt und war bei'm Betrügen, vulgo Mogeln, ertappt worden.

Der Jude Pinner und Thibaut hatten das richtige Berliner Kind bei'm Kragen, um es hinauszuwerfen, Flottwell hielt dienstfertig die Thür offen.

»Nein, es ist schändlich, soll mer Gott helfen!« schrie der Jude.

[109] »Hat mir Alles Geld abgenommen!« schrie Thibaut empört.

»Ei, ja,« entgegnete Herr Ratz, sich heftig sträubend, »nasser Junge Du, hattest nur einen schäbigen Silbergroschen, der sich allein in Deiner Tasche fürchtete.«

»Hinaus! hinaus!«

»An die Luft! an die Luft!«

»Verdammter Jude!« brüllte Ratz, »laß mich los, Du zerreißt mir meinen Frack und mußt mir neue Kluften machen lassen!«

Augenblicklich ließ der Jude, der eine merkwürdige Angst vor allen Arten von Bezahlungen hatte, das richtige Berliner Kind los, brüllte aber desto lauter: »Hinaus! hinaus! an die Luft!«

»Meine Herren,« ließ sich jetzt die helle Stimme der Madame Grunewald vernehmen, »ich bitte Sie, halten Sie Ruhe, Sie wissen ja, Herr Thibaut, daß Herr Ratz immer mogelt, warum spielen Sie denn mit ihm? Da steht Punsch, versöhnen Sie sich, rasch! lassen Sie mich's nicht zweimal sagen!«

Die Worte der Madame Grunewald waren von ungemeinem Gewicht, Alle gehorchten, denn sie standen Alle hoch in der Kreide und Schönhauser Straße [110] Nro. 18. war das einzige Haus in ganz Berlin, wo sie noch Credit hatten, wo sie im Winter eine warme Stube, Essen, Trinken, Gesellschaft, Alles auf Credit, fanden. Grund genug für sie, den Worten der Madame Grunewald augenblicklich Gehör zu geben.

Flottwell und die beiden Künstler, die nicht so unter dem Pantoffel der Madame standen, weil sie zuweilen zahlten, wollten sich halbtod lachen, während Herr Ratz mit unnachahmlicher Geschicklichkeit sein Kleidung wieder ordnete, die nicht dazu gemacht war so gewaltthätige Derangements zu ertragen.

Jetzt klingelte die vorderste Thür und zwei neue Gäste erschienen, beide waren der Gesellschaft bereits bekannt. »Guten Abend Schmidtchen, guten Abend Rauschenblatt!« rief man ihnen zu und nöthigte sie Platz zu nehmen. Einer der beiden Herren war ein Cigarrenhändler, der Andere ein Berliner Literat. Beide begannen jetzt ein lautes Leben in die bisher noch ziemlich stille Gesellschaft zu bringen, der Jude wurde scherzweise gequält eine Bowle Punsch bringen zu lassen, der Buchhalter sah sich durch den Literaten mit unendlich höflichen Fragen nach dem Zustande seiner Gesundheit gepeinigt; man sang, man trank, kurz man [111] trieb alle jene Thorheiten, die unausbleiblich sind, wenn junge Leute beim Glase zusammensitzen.

Die Glocken begrüßten von den Thürmen der Hauptstadt das neue Jahr, Faust entfernte sich mit seinen Arbeitern, ihm gelüstete nicht das Ende des Bachanals zu sehen, das in der Nebenstube begonnen.

Immer lauter erklangen die Gläser dort, immer schallender wurden Gelächter und Stimmen, immer unbewachter sprangen die Worte, von den Geistern des heißen Trankes entfesselt, über den Zaun der Zähne, immer heller rötheten sich die Wangen, immer kühner blitzten die Augen.

Der Maler sang, sich mit einer verstimmten Cither begleitend, ein Lied zu Ehren seiner Geliebten, der Cigarrenhändler theilte mit freigebiger Hand Cigarren aus, der Handlungsdiener außer Diensten machte ungescheut der Madame Grunewald die Cour, der Jude trank alle Gläser aus, die er erreichen konnte, Flottwell beschrieb dem Buchhalter Koch seine Geliebte vom Scheitel bis zur Zeh, nannte sogar Namen und Wohnung, die er bis jetzt sorgfältig verheimlicht hatte, der Bildhauer weinte vor Rührung stille Thränen und der Literat schaute mit elegischem Gesicht in sein halbleeres Glas. Herr Ratz, das richtige Berliner Kind, [112] trank tüchtig, aber sichtlich hatte selbst das größte Maaß spirituöser Getränke keinen Einfluß mehr auf ihn, denn die scharfen Blicke seiner grauen Augen blitzten von Einem zum Andern und seine Ohren schienen sich zu entfalten, um nicht ein Wort zu verlieren. Das Gelag nahm seinen Fortgang, mit der steigenden Trunkenheit stieg auch die Trinklust der Trinker und bald war die ganze Gesellschaft, außer dem Buchhalter Koch und Herrn Ratz, in einem sehr seligen Zustande, sogar Madame Grunewald, die sonst sehr auf die Dehors achtete, erwiederte ungescheut Herrn Thibaut's Liebkosungen.

Jetzt steckte Herr Ratz, in der Zerstreuung vermuthlich, das seidene Taschentuch des Schriftstellers ein, einige Secunden später verschwand auch die noch halbgefüllte Cigarrentasche des Cigarrenhändlers, so wie ein großes Stück Zucker, das auf dem Tische lag. –

Mehrere Glieder der Gesellschaft waren entschlafen, taumelnd brach der Maler auf, um nach Hause zu gehen, Herr Ratz that ein Gleiches, aber zufällig ergriff er statt seiner schlechten Mütze den neuen Seidenhut des Cigarrenhändlers, in dem ein Paar Handschuh [113] und die Cravatte lagen, die der Besitzer aus Bequemlichkeit abgeknüpft hatte.

Herr Ratz ging hinaus, blieb aber, trotz des schlechten Wetters, in einiger Entfernung von der Hausthür stehen, er schien Jemanden zu erwarten. Nach einer Weile erschien der Buchhalter Koch und eilte mit großen Schritten der Rosenthaler Straße zu.

Herr Ratz hinter ihm her.

»Sie entschuldigen, Herr Buchhalter!« keuchte der würdige, junge Mann, als er den würdigen, alten Mann erreicht hatte.

»Herr Ratz, Sie?« fragte der Buchhalter.

»Sie sind fremd hier,« begann der Berliner, »vielleicht kann ich Ihnen nützlich sein.«

»Danke Ihnen, aber –«

»Still, Herr Koch, aus Ihrem Gespräch mit dem Doctor Faust nahm ich ab, daß Sie in Geschäften hier sind und zwar in Geschäften, bei denen ich Ihnen vielleicht helfen kann.«

»Wie verstehen Sie das?«

»Sie wollen, oder müssen Doctor Faust beobachten, seine Gänge kennen lernen, Sie wollen ihm entgegenarbeiten, in was, weiß ich noch nicht, ist mir auch gleichgültig, Ihr Versuch sich ihm zu nähern, [114] was immer das Beste ist, scheiterte, ich stehe zu Ihren Diensten.«

»Und wir in diesem Augenblick vor meiner Wohnung,« erwiederte der Buchhalter, »wollen Sie vielleicht einen Augenblick eintreten?«

Herr Ratz nickte und bald saßen die beiden Ehrenmänner in der chambre garni, die der Buchhalter für die Dauer seines Aufenthalts in Berlin gemiethet hatte.

Mit geübter Hand mischte der Buchhalter zwei Gläser kalten Thee mit Rum, lud den Berliner ein, zuzulangen und begann also:

»Sie haben richtig erkannt, mir liegt viel daran den Doctor Faust zu beobachten, ich weiß, was er will, aber er darf es nicht erreichen, wenigstens will ich alle meine Kräfte aufbieten, um seinen Plan zu vereiteln.«

»Sie wissen, was Ihr Gegner will,« versetzte Ratz scharfsinnig, »Sie wollen jetzt erfahren, wie er es will, denn sonst, wenn Sie das nicht wissen, können Sie ihn nicht bekämpfen; Sie selbst können ihn nicht beobachten, aber ich kann es; wie viel trägt das Geschäft?«

»Hm!« sprach der Buchhalter, »sagen Sie mir –«

[115] »Ich will Ihnen sagen, Herr Koch, jeden Abend bei der Grunewald rapportire ich Ihnen über sämmtliche Gänge des Doctor Faust und Sie geben mir jeden Abend einen harten Thaler, abgemacht!«

»Ich könnte das wohl eingehen,« versetzte der Buchhalter, »aber können Sie auch halten, was Sie versprechen?«

»Ein Mann, ein Wort!« rief Herr Ratz, »wir kommen sogleich darauf, Sie müssen mir erstlich sagen, wo Doctor Faust wohnt; ich habe meine triftigen Gründe, nicht selbst in das Erkundigungsbureau zu gehn.«

»British Hôtel unter den Linden;« antwortete der Buchhalter, der bei jedem Wort, was er sagte, sich besann.

»Was will Doctor Faust hier?« fragte Ratz weiter.

»Eine Audienz bei'm Könige!« erwiederte der Buchhalter nach langem Zögern.

»Und die wollen Sie hintertreiben, Mann?« schrie der Berliner, »das ist unmöglich, er braucht ja blos auf's Schloß zu gehen und sich melden zu lassen, der König nimmt zu bestimmten Stunden Jeden an.«

»Ja, wenn er allein wäre!«

[116] »Was denn?« fragte Ratz; »wenn sie mir nicht reinen Wein einschenken, so kann ich nichts thun.«

Der Buchhalter besann sich jetzt eine sehr lange Zeit, dann sagte er doch: »Sie haben die Leute gesehen gestern Abend im ersten Zimmer des Kaffeehauses, es sind das westphälische Fabrikarbeiter, denen will der Doctor eine Audienz bei'm Könige verschaffen, dem Könige selber sollen diese Menschen ihre Leiden und ihre Noth klagen.«

»Arbeiter?« murmelte Ratz nachdenklich; »Fabrikarbeiter? Wie viel?«

»Etwa zwanzig.«

»Haben sie Pässe?«

»Ja, ich habe vergeblich versucht, sie von der Reise abhalten zu lassen, sie zeigten das nöthige Reisegeld auf und erhielten Pässe.«

»Mann, Ihnen ist geholfen,« rief Ratz freudig, »aber es darf Ihnen auf ein paar Thaler nicht ankommen; zuerst müssen Sie mir Geld geben, daß ich in neue Kluften kommen kann, der Rock macht den Mann in Berlin, zweitens müssen Sie mir Geld geben, daß ich etwas in der Tasche habe, drittens wie viel geben Sie mir, wenn ich es hindere, wenn die Arbeiter ohne Audienz beim Könige abreisen müssen?«

[117] »Es gilt hundert Louisd'or für Sie!« antwortete der Buchhalter aufgeregt.

»Es gilt!« sprach Ratz, »jetzt geben Sie mir ein dreißig bis vierzig Thaler zu den ersten Ausgaben!« und das richtige Berliner Kind ärgerte sich daß es nicht mehr verlangt hatte, als es sah, wie der Buchhalter bereitwillig seine Brieftasche zog und ihm acht Fünfthalerscheine auf den Tisch legte.

»Heute Abend bei der Grunewald!« rief der Berliner Jüngling. »Prosit Neujahr, Herr Koch!«

Die Thüre knarrte, der Buchhalter war allein; es schlug fünf Uhr.

Vier Stunden später, also etwa acht Uhr Morgens, trat der Arbeiter Hornberg in das Zimmer, das Doctor Faust in British Hôtel bewohnte, er meldete, daß er sich heute mit seinen Kameraden in die Domkirche begeben werde, um den Neujahrstag zu feiern, der Herr Doctor möge bestimmen, wann sie heute auf dem Sammelplatz erscheinen sollten.

Faust aber, der noch im Negligée auf dem Sopha lag, antwortete nicht, sondern sprang auf und stürzte zur Thür hinaus, denn in dem Augenblick, als Hornberg sprach, hatte er Don Juan's Stimme vernommen.

[118] »Ich konnte nicht eher kommen, lieber Bruder, ich komme doch noch zu rechter Zeit?« rief Don Juan in Faust's Umarmung.

Incarnacion sprang, leicht wie ein Vogel, die Treppen hinauf und der »doppelte Kopf« zitterte vor Frost in einer ungeheuren Wildschur.

Man trat in die Zimmer, die Faust für Don Juan bestellt hatte, man nahm ein Frühstück zusammen ein und die beiden Männer flüsterten lange miteinander. Mit Hülfe des »doppelten Kopfes« machte Don Juan glänzende Toilette. Ein reiches Hofkleid und weißseidne Unterkleider, die Kette vom goldnen Vließ und der bei Talavera erkämpfte Ehrendegen schmückten den stattlichen Mann und freundlich fragte er Incarnacion, ob sie mit seinem Freunde Faust allein bleiben wolle. Incarnacion bejahte und blieb mit Faust allein, während Don Juan in einen Staatswagen stieg und davonfuhr.

Vor einem stattlichen Hôtel der Wilhelmsstraße, dem Faubourg St. Germain Berlins, hielt die Karosse und ein reichbetreßter Jäger des Hôtels trug Don Juan's Karte hinein.

Nach einigen Augenblicken schon kehrte der Jäger mit einem eleganten, jungen Manne zurück, der [119] an den Wagenschlag trat und Don Juan aussteigen half.

»Excellenz,« sprach der junge Mann, »wenn Sie meinen Oheim entschuldigen wollen, daß er Sie im Schlafrock empfängt, so läßt er Sie bitten gleich einzutreten.«

»Was sind Sie groß geworden, Durchlaucht!« erwiederte Don Juan; die Treppe hinaufsteigend, »Sie erinnern sich meiner wohl nicht mehr?«

»Ihrer Person nicht, Excellenz, wohl aber Ihres Namens, meine Mutter und meine Tante sprechen häufig von Ihnen.«

»Wie befinden sich Ihrer Frau Mutter Durchlaucht?«

»Schlecht, Excellenz, sie wird alt, das ärgert sie und verstimmt sie.«

Ein weißhaariger Diener öffnete eine Thür und Don Juan trat in einen Saal, der mit etwas aus der Mode gekommener, aber äußerst solider, Pracht geschmückt war. Wenige Bilder hingen an den Wänden, aber nur solche Bilder, die nicht Jeder haben kann.

Don Juan schritt mit seinem Begleiter durch den Saal auf eine Glasthür zu, die eben von innen nach außen geöffnet wurde.

[120] Ein alter Mann mit schneeweißem, dünnem Haar, aber wohlerhaltenen, regelmäßigen Zügen und freundlichen, farblosen Augen stand in einem reichen Schlafrock in der Glasthür. Er streckte Don Juan beide Hände entgegen und rief mit sichtlicher Freude: »Willkommen in Berlin, Freund, willkommen, glaubte Euch nicht wieder zu sehen auf dieser Welt, hat mir der Alexander von Humboldt erzählt, daß er Euch in Amerika getroffen.«

»So wohl Euch zu finden Durchlaucht, ist mir eine hohe Freude!« erwiederte Don Juan und ließ sich von seinem fürstlichen Freunde in ein reizendes, kleines Zimmer ziehen, der Neffe des alten Fürsten folgte.

Das kleine Zimmer hatte nur ein Fenster, aber das war dicht mit Epheu umrankt und in seiner Vertiefung blühten die herrlichsten Blumen und hauchten die süßesten Wohlgerüche aus; Schlinggewächse aller Art krochen an einem sauber gearbeiteten Geländer in die Höhe und bildeten eine vollständige Laube, deren Grün ganz dicht erschien, da sich alle Blätter in der, hinter ihnen befindlichen Spiegelwand noch einmal zeigten. Unter dieser duftigen Laube stand ein eleganter Tisch, von einer schwellenden Ottomanne im Halbkreise umgeben.

[121] »Nehmt Platz, Don Juan!« rief der alte Fürst sichtlich heiter, »nimm Platz, Neffe! Erzählt Don Juan, was Euch nach Berlin führt?«

»Ich habe Geschäfte hier, Durchlaucht, aber vor allen Dingen wollte ich Euch sehen, mich an Euerem Anblick erfrischen.«

»Armer Freund!« rief der fürstliche Greis, »bei mir werdet Ihr wenig Erquickung finden, da, schaut in das frische Gesicht meines Neffen; Ihr habt meinen Bruder gekannt, gleicht er ihm nicht sehr?«

»Mehr noch seiner schönen Frau Mutter, Durchlaucht!« erwiederte Don Juan.

»Ihr werdet sie sehen, Don Juan, seine schöne Mutter!« lachte der Greis, »da ist's aus, ganz aus mit der Schönheit.«

»Aber Mama wird glücklich sein,« warf der junge Fürst ein, »das muß ich ihr erzählen, daß Excellenz sie meine schöne Mutter genannt hat.«

»Ich gehörte zu ihren treuesten Verehrern, mein Fürst!« sprach Don Juan lächelnd.

»Ja, ja,« rief der Fürst, »Ihr habt meinen armen Bruder, als Bräutigam, oft bange gemacht – waren doch schöne Zeiten damals, Don Juan!«

[122] »Jawohl, Durchlaucht!« versetzte der Spanier ernst, »damals kämpften wir noch für unsere alten Rechte und hatten folglich das stärkende Gefühl der Siegeshoffnung; jetzt haben wir das Schwert aus der alterschwachen Hand gelegt und harren still des Unterganges.«

Der Fürst nickte und sagte leise: »Ich sehe es an mir selbst, einst war ich Minister eines großen Staates, ja, ich war mehr, ich war der Freund meines in Gott ruhenden Königs und Herrn, man hat mir die Titel gelassen und eine große Hofcharge gegeben, ich bin aber nichts mehr; so wie ich, steht unser ganzer Stand, man hat ihm die leeren Titel einer ehemaligen Macht gelassen, man steckt ihn noch gern in Hofkleider, das ist aber auch Alles, Macht und Ansehen, Alles ist dahin!«

»Ja, und die Könige,« fuhr Don Juan fort, »sie werden es bereuen, spät, aber gewiß, daß sie sich ihren Adel nehmen ließen, an dessen Spitze sie, wie einst in der Väter schönern Tagen, den Kampf hätten aufnehmen sollen. Wenn nicht der Sieg, ein glorwürdiger Tod hätte unsern Kampf doch gekrönt, so hat man das Adelsinstitut geopfert und sich in die [123] Gewalt der Geldtyrannen begeben – man wird uns vermissen Durchlaucht, gewiß!«

»Wir verlieren täglich mehr Terrain, Don Juan, Großbritannien steht beinahe allein mit seinem legitimen Königthum, mit seinen aristocratischen Institutionen, es ist groß und mächtig und dennoch sieht man, will man nicht einsehen, daß nur ein Staat, in dem sich, wie dort, das Volk entwickeln kann unter dem Schutz kirchlicher und aristocratischer Formen, daß nur der eine Garantie für die Freiheit bietet.«

»Mein Spanien!« seufzte Don Juan.

»Ja, Ihr Spanien,« rief der Fürst eifrig, »wißt Ihr, was mit ihm wird, wenn es sich ausgetobt hat? Ein quasilegitimes Bürgerkönigthum, das nur schlimme Folgen hat, aber sich nicht fortpflanzen kann, weil es ein machtloses Zwitterding ist.«

»Ist es sicher, daß auch Preußen und Oestreich die Infantin als Königin anerkennen wollen, Durchlaucht?«

»Man sagt es, Don Juan, ich weiß es nicht, man fragt mich nicht mehr; ich bin nichts!«

Der spanische Grande zögerte eine Weile, endlich sprach er: »Durchlaucht, ich habe etwas auf dem Herzen, eine Bitte –«

[124] »Lieber Freund,« sprach der fürstliche Greis freundlich, »ich stehe so stark in Eurem Schuldbuche, daß es mich wirklich freuen sollte, wenn ich Gelegenheit fände einen kleinen Posten abzutragen.«

»Ich will Euer Durchlaucht nicht mit meinen Complimenten beschwerlich fallen, die Sache ist die: ein Freund von mir hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, mit allen Mitteln die Geldtyrannen, die man blasphemirend Geldadelige nennt, als wenn Geld zu adeln vermöchte, zu bekämpfen, namentlich die Noth der armen Fabrikarbeiter zu erleichtern, mit einem Wort, die weißen Sclaven zu emancipiren.«

»Ein lobenswerthes Bestreben, aber fast unmöglich!« sprach der Fürst.

»Das denke ich auch, Durchlaucht, aber ich habe meine Hülfe zugesagt und bitte nun Euer Durchlaucht sich ebenfalls gnädigst zu betheiligen.«

»Wie kann ich das, Don Juan?«

»Verschaffen Ew. Durchlaucht dem Doctor Faust und einer Deputation von Fabrikarbeitern eine geheime Audienz bei Sr. Majestät!«

»Lieber Freund,« sprach die greise Durchlaucht lächelnd, »ich will es versuchen; ein abgedankter Minister, ein ausrangirter Hofmann, wie ich, kann aber[125] nicht für den Erfolg stehen, doch versuchen will ich's, bei meiner Fürstenehre!«

Doch – überlassen wir nunmehr die beiden alten Aristocraten ihren Erinnerungen und ihrer Trauer über das Verschwinden einer Zeit, die sie verstanden, beklagen wir, daß oft selbst ausgezeichnete Menschen sich von der Zeit überflügeln lassen und das Geheimniß, das offenkundige Geheimniß des Fortschritts nicht verstehen – wenden wir uns zurück nach Britisch-Hôtel unter den Linden, wo wir Incarnacion unter Doctor Faust's Schutze verlassen haben.

Als Don Juan fortgefahren war, wollte Doctor Faust zuvörderst dem immer noch wartenden Hornberg Auskunft geben, aber Incarnacion vertrat ihm den Weg, als er das Zimmer verlassen wollte.

»Ihr habet Don Juan versprochen bei mir zu bleiben, Senhor!« sprach das Mädchen mit einer bezeichnenden Geberde.

»Ich habe etwas zu bestellen, liebes Kind!« antwortete Faust lächelnd und bemerkte jetzt zum ersten Male mit Erstaunen die wirklich außerordentliche Schönheit der Kreolin.

»Incarnacion ist kein Kind,« entgegnete das Mädchen mit einem Augenaufschlag, der den Doctor Faust [126] beinahe erschrecken ließ, »und wenn Ihr etwas zu bestellen habt, da ist der ›doppelte Kopf‹!«

Faust klingelte und setzte sich nieder, dem Eintretenden gab er den Auftrag, Hornberg für den Abend nach dem Kaffeehause zu bescheiden, dann begann er ein Gespräch mit Incarnacion.

»Wie gefällt Euch Deutschland, Senhora?«

»Ihr spottet meiner und ich hasse Euch!« antwortete Incarnacion und zog ihre Oberlippe aufwärts, so daß ihre blendend weißen Zähne sichtbar wurden.

»Was that ich Euch, schöne Donna, daß Ihr mich haßt?« fragte Faust und schien unsicher, ob Incarnacion im Ernste rede, oder im Scherz.

»Ihr seid schöner, als Don Juan,« hob Incarnacion mit einem Flammenblick auf Faust an, »aber er ist gut und Ihr seid böse, Ihr habt ihn fortgelockt aus meinem Lande, hierher, Ihr haltet ihn in diesem Lande fest, in diesem harten Lande, wo Incarnacion verwelken muß, wo Incarnacion sterben wird, weil ihr Don Juan niemals bei ihr bleibt, sondern immer traurig ist und von ihr geht.«

»Auch der ›doppelte Kopf‹ wird krank in diesem Land!« rief der alte Neger, der in seiner Wildschur am Ofen saß.

[127] »Incarnacion haßt Euch, Senhor!« rief das Mädchen mit dem Ausdruck der bittersten Wuth.

»Der ›doppelte Kopf‹ haßt Euch,« schrie der Neger zähnefletschend, »denn Ihr haltet guten Massa fest in dem abscheulichen Lande!«

»Wollt Ihr Don Juan reisen lassen, Senhor?« fragte Incarnacion, indem sie sich vor Faust stellte und trotzig mit dem kleinen Fuße stampfte.

Der Doctor lachte, ihm kam die Sache gar spashaft vor, aber dadurch reizte er den Grimm der Kreolin; wie ein Blitzstrahl schnellte das junge Mädchen an ihn heran, hatte ihn, den starken Mann, um den Leib gefaßt und rückwärts auf das Sopha geworfen. Faust, der dem plötzlichen Angriff erlag, sah dicht über sich das lebhafte, glühende Gesicht und die funkelnden Augen Incarnacions, er fühlte den heißen Athem der Kreolin an seiner Wange, er sah, daß in der rechten Hand des Mädchens ein kleiner Dolch blitzte, er merkte, daß der »doppelte Kopf« ihm die Füße festhielt.

»Wir werden Euch todtmachen, Senhor!« flüsterte Incarnacion und sie stieß dabei die Worte so seltsam durch die Zähne, daß ihre Sprache wie das Zischen der Schlangen klang; »wir werden Euch todt [128] machen, Senhor, wenn Ihr den Zauber nicht lös't wenn Ihr Don Juan nicht mit uns nach Para ziehen laßt!«

»Ja, uns mit guten Massa fortlassen über die großen Wasser, in's Land wo Sonne scheint!« murmelte der Neger.

Doctor Faust konnte sich unmöglich der ganzen Gefahr bewußt sein, in der er schwebte, er glaubte nicht an den Ernst der Drohung Incarnacions, er konnte aber der Lust nicht widerstehn Incarnacions Lippen zu küssen, die den seinen so nah waren, er schlang rasch den freigebliebenen linken Arm um den glatten Nacken der Kreolin und küßte die Lippen der Geliebten seines Freundes. Er küßte und küßte immer heftiger, er fühlte, daß das Mädchen über ihm bebte und zitterte, er fühlte seine Küsse mit gleicher Gluth erwiedert, er richtete sich mit einem seltsamen Gefühle auf, ihm schwindelte beinahe, Incarnacion sank vor ihm auf die Kniee und rief die Hände flehend ausstreckend:

»Tödte mich nicht, laß mich erst von Don Juan Abschied nehmen, er würde weinen, wenn er käme und fände seine Blume verwelkt!«

[129] Der »doppelte Kopf« stand wenige Schritte hinter dem Mädchen und sperrte den großen Mund weit auf, Angst, Verwunderung und abergläubischer Schreck malten sich in seinem Gesicht. –

Faust begriff noch nichts, er ärgerte sich blos, daß er sich von seiner Leidenschaft hatte hinreißen lassen, die Geliebte seines Freundes zu küssen.

»Steht auf, Senhora!« sprach er ernst und hob die Knieende auf, die jetzt bitterlich zu weinen begann.

»Was weint Ihr, Senhora?«

»Soll ich nicht weinen? soll Incarnacion nicht weinen, da sie nun verwelken muß in diesem Lande? habt Ihr sie nicht bezaubert? sie kann nun nicht wieder fort, Incarnacion muß sterben!« rief das Mädchen mit herzzerreißendem Jammer.

Vergebens erschöpfte sich Faust in Trostgründen. »Incarnacion muß sterben, denn Ihr habt sie verzaubert!« dabei blieb die Kreolin mit jener Hartnäckigkeit, die der Aberglauben hat.

»Auch der ›doppelte Kopf‹ muß sterben, wenn Senhora Incarnacion stirbt, denn er hat der Senhora Jaquita versprochen nicht ohne die Tochter heimzukehren!« heulte der Neger.

[130] Dem armen Doctor Faust begann zu schwindeln, er wußte sich keinen Rath mehr, er hatte alle Vernunftgründe erschöpft, ohne Gehör zu finden und dankte endlich Gott, daß Don Juan wieder erschien.

So wie der General in's Zimmer trat warf sich Incarnacion schluchzend in seine Arme und der Neger umklammerte heulend die Kniee seines Herrn. Don Juan, mit der Art und Weise Incarnacions vertraut, lächelte und fragte Faust deutsch: »Was hast Du mit dem Mädchen und dem Neger gemacht, Freund?«

»Gott sei Dank, Don Juan, daß Ihr da seid!« rief der Doctor, »erst mußte ich für mein Leben fürchten und dann für meinen Verstand;« er zeigte auf den Dolch Incarnacion's, der noch am Sopha lag und erzählte der Wahrheit gemäß den ganzen Vorfall.

Don Juan lachte, dann sagte er zu dem Mädchen: »Hat er Dich verzaubert, arme Blume, Incarnacion?«

»Er hat mir Feuer in die Adern geküßt, Don Juan, daran muß ich verwelken!« stammelte Incarnacion an der Brust ihres Freundes weinend.

»Er hat ihr Feuer in die Adern geküßt,« schrie der Neger, »oh, er ist ein großer Zauberer!«

»Sei ruhig meine Blume!« beschwichtigte Don Juan, der zu vertraut mit der gleichen Vorfällen war, um [131] sich aus der Fassung bringen zu lassen, »mein Freund war böse, weil Ihr ihn zwingen wolltet, hättet Ihr ihn sanft gebeten, so hätte er Euch nichts gethan; sei ruhig, meine Blume, Doctor Faust wird Dir das Feuer, das er Dir in Deine Adern geküßt hat, wieder herausküssen!«

»Er wird es ihr wieder herausküssen,« schrie der Neger jubelnd, »er ist ein großer Zauberer!«

Don Juan winkte lachend seinem Freunde, lachend näherte sich dieser dem Mädchen und küßte sie mit ziemlichem Feuer; seltsame Schauer bewegten den schlanken Leib Incarnacions.

»Ich werde nicht sterben!« sagte sie leise und wagte Faust nicht anzusehen.

»Meine Blume wird nicht verwelken!« tröstete Don Juan.

»Sie wird nicht verwelken, armer Neger sein Wort halten gegen Senhora Jaquita!« heulte der »doppelte Kopf,« wich aber scheu in eine Ecke zurück, als sich Faust ihm näherte.

Don Juan mahnte jetzt Incarnacion, sich anzukleiden, denn der alte Edelmann fand ein seltenes Behagen daran, wenn er in einem Gasthause logirte, an der Wirthstafel zu speisen, Incarnacion den Leuten [132] zu zeigen und ihre Bemerkungen über die seltsame Schönheit des Mädchens anzuhören; auch Faust war gern unter Menschen.

Während sich Incarnacion ankleidete, wobei ihr der »doppelte Kopf« als Kammerjungfer hülfreiche Hand leistete, theilte Don Juan seinem Freunde mit, daß der alte Fürst S. Alles aufbieten werde, ihm mit seiner Deputation eine Audienz zu verschaffen. Faust dankte und fragte: »Und Deine Tochter, armer Freund? Der alte Klingsohr schrieb recht traurig!«

»Sie ist sicher todt, meine gute Toska,« entgegnete Don Juan mit tiefstem Schmerz, »ich habe die Spur ihres Entführers von hier über Hamburg, Amsterdam, Ostende nach Paris verfolgt, ich weiß den Namen des Entführers, ich würde ihn erreicht haben, aber ein Befehl aus dem Ministerium des Innern zwang mich Paris zu verlassen.«

»Kannst Du mir den Namen sagen?« fragte Faust, »ich habe einige Verbindungen in Paris.«

»Graf von St. Aignan.«

»Heiliger Gott!« schrie der Doctor und wurde todtenblaß.

»Freund!« sprach Don Juan, indem er seine Hand auf Faust's Schulter legte, »Du weißt also, daß [133] dieser St. Aignan meiner Rafaëla Sohn, mein Enkel ist – siehest Du, ich wußte das nicht, aber ich ahnete es und darum war mir im Grunde lieb, daß ich den jungen Mann nicht traf; ich weiß, man hat ihn einen Schwur thun lassen, mich zu verfolgen; der junge Mann hat sein Wort gehalten, er hat mir meine Lieblingstochter entführt, er hat sie gemordet!«

»Glaube nicht gleich das Schlimmste, Freund, selbst der böseste Mensch mordet nicht leicht ein unschuldiges Frauenzimmer, er kann Toska auch irgendwo gefangen halten; ich will mein Heil mit ihm versuchen!«

»Laß es Faust, wenn dieser Graf St. Aignan meine Toska entführt hat, wie ich nicht zweifeln kann, so hat er sie sicher ermordet; bereite dem rachsüchtigen Sohne meiner Rafaëla nicht noch ein Fest, er braucht sich nicht noch zu freuen über meinen Schmerz, ich will schon das Schicksal meiner Tochter erfahren und, wenn sie noch lebt, sie auch befreien, ohne dem rachsüchtigen Enkel meinen Schmerz zu zeigen.«

»Aber könnte ich nicht –«

»Laß mich, Freund, im ersten Schmerze bin ich der Spur des Räubers mit dem Instinct eines Bluthundes gefolgt – aber die Ueberlegung, in die ich [134] die Sache unterwegs nahm, lehrte mich Besseres; ich würde schon nicht nach Paris gegangen sein, wenn ich nicht noch andere Zwecke mit dieser Reise verbunden hätte, – ich habe den Gefangenen von Burges gesehn.« –

»Und nur Deinen Schmerz neu aufgestachelt, nutzlos!« antwortete Faust, indem er mißbilligend den Kopf schüttelte.

»Das wird die Zeit lehren, mein Faust!« lächelte Don Juan, drückte die Hand seines Freundes und eilte seiner Incarnacion entgegen, die eben, reich und geschmackvoll gekleidet, in's Zimmer trat. Incarnacion war auch in europäischer Modekleidung eine reizende Erscheinung; sie stand ein Räthsel, ein unerklärliches Räthsel, vor dem Doctor Faust, der sein Herz unwillkührlich pochen fühlte bei dem Anblick des gluthathmigen Mädchens. Ein goldener Pfeil hielt, wie immer, Incarnacions Haar zusammen auf dem Scheitel, lange Locken flossen in prächtigem Fall herab auf beiden Seiten, über die dunkeln Wangen, auf die marmorglatte Schulter, deren zierliche Form sichtbar wurde zwischen dem kostbaren Shwal und dem Spitzenkragen, der schmal eine purpurfarbige Sammtrobe umsäumte. Ohrgehänge von rothen Korallen, einen Hals-[135] und Brustschmuck von Korallen hatte Incarnacion mit instinctartigem Geschmack den Brillanten und andern Bijouterieen, an denen sie reich war, vorgezogen.

Man begab sich in den Speisesaal des Hôtels. Die Gesellschaft war zahlreich und alle Blicke hingen an der durchaus seltsamen Erscheinung Incarnacions, die mit einer natürlichen Anmuth, ohne die mindeste Verlegenheit auftrat. Incarnacion war nie verlegen in Don Juan's Nähe. Sie saß zwischen Don Juan und Doctor Faust, neben Faust aber nahm ein Herr Platz, den wir nur an seinem dürftigen Schnurrbart und seiner unverschämten Manier wiedererkennen, es ist der, in einen Berliner Incroyable umgestaltete, Herr Ratz. –

Don Juan, Faust und Incarnacion sprachen spanisch, mehrere französische Kaufleute gesticulirten heftig und einige von Zeit zu Zeit laut werdende »Goddam's, my dear ect« würden die Britten am obern Ende der Tafel verrathen haben, wenn das nöthig gewesen wäre. Es mußten Britten sein, denn sie machten die meisten Prätensionen und wurden am aufmerksamsten bedient. Was die Prätensionen betrifft, so gab übrigens unser Freund, Herr Ratz, das richtige Berliner Kind, den Engländern gar nichts nach, [136] denn er commandirte die Kellner und aß für drei, er suchte an der table d'hôte im british Hôtel das nachzuholen, was er bei der magern Kost der Madame Grunewald hatte versäumen müssen.

Ein kleiner schwärzlicher Herr, der Don Juan gegenüber saß, verwendete kein Auge von Incarnacion, endlich wendete er sich in sehr schlechtem Spanisch an Don Juan und fragte, ob er vielleicht die Ehre habe sich einem Landsmanne gegenüber zu befinden.

»Ich bin ein Spanier, Senhor!« erwiederte Don Juan höflich, »Ihr seid es, der Sprache nach, nicht.«

»Aber dem Herzen nach, Senhor,« erwiederte der Fremde hastig, »und der Geburt nach gehöre ich einem Lande an, das sich lange glücklich fühlte unter dem Scepter der katholischen Könige; ich bin ein Neapolitaner, Senhor!«

»Denkt man noch an Spanien in Ihrem Vaterlande?« fragte Don Juan.

»Ich weiß es nicht, Senhor,« lächelte der Neapolitaner, »in vierzig Jahren ändert sich viel, die cidevant parthenopäische Republik setzte mich auf die Proscriptionsliste; ich habe mein Vaterland seitdem nicht gesehen.«

[137] »Ich bedaure Sie, Senhor!« entgegnete Don Juan und man sah ihm an, daß es ihm Ernst war.

»Ich bedaure Sie auch, Senhor!« sprach Incarnacion und dachte an ihr Vaterland.

»Preisen Sie mich glücklich, edle Donna; Senhor! ich habe viel Unheil, viel Entsetzliches, viel Elend nicht gesehen, von dem ich jetzt höre, denn ich habe auch nichts Gewisses gehört von Neapel seit vierzig Jahren.«

»Wie ist das möglich?« fragte der Spanier.

Der Neapolitaner lächelte, mischte seinen Wein und antwortete freundlich: »Ich war im Innern Afrika's, abgesperrt von der civilisirten Welt versuchte ich einen Negerstamm zu civilisiren und nicht ohne Glück, denn ich habe meine schwarzen Burschen jetzt so weit, daß sie sich wenigstens mit den Calabresen von 1803 auf einer Stufe der Cultur befinden.«

»Und was hat Sie, nach vierzigjähriger Abwesenheit, wieder nach Europa geführt, wenn man fragen darf?«

»Die Sorge für die Wohlfahrt meiner schwarzen Mitbürger; wir bezogen bisher unsere Bedürfnisse für den doppelten Preis aus Amerika und was das Schlimmste ist, wir mußten sie mit Sclaven bezahlen. Vor [138] ungefähr drei Jahren ist es mir gelungen, meine Mitbürger von der Nutzlosigkeit der Entvölkerung ihres Landes durch diesen Handel zu überzeugen, ich versprach meinen Schwarzen ihnen von anderer Seite her ihre Bedürfnisse zu verschaffen; ich ging nach London, nach Paris, ich prüfte die Verhältnisse und habe gestern mit der preußischen Regierung einen Handelsvertrag abgeschlossen; sie sendet uns Schiffe mit Leinwand, Stahlwaaren, Papier u.s.w., wir geben als Rückfracht Baumwolle, Elfenbein, Goldstaub, Pfeffer, Thierfelle, Arzneipflanzen, Färbeholz u.s.w., außerdem haben wir einige Lieferungen für die Menagerie übernommen, die der König von Preußen hier anlegt.«

»Por dios!« rief Don Juan, »Senhor, seid Ihr der König Eures Staates selbst?«

»Nein, Senhor,« lächelte der Fremde, »ich bin nur der Handels- und Marineminister eines schwarzen Königs, der einen so barbarischen Namen hat, daß die Herren Preußen, mit denen ich eben unterhandelt habe, ihn gar nicht aussprechen konnten.«

Während Don Juan sich ganz interessant mit dem Handels- und Marineminister, auch außerordentlichen Ambassadeur, einer schwarzen Majestät unterhielt, hatte sich Herr Ratz mit ächt berlinischer Ungenirtheit an [139] den Doctor Faust gemacht, der ihn anfänglich nicht beachtet hatte.

»Wenn ich nicht irre,« begann das »richtige Berliner Kind,« »sahen wir uns bereits gestern, Herr Doctor!«

Faust besah sich den Berliner und sagte dann: »Es ist mir auch so, kann mich aber im Augenblick nicht besinnen, mein Herr!«

»Glaub's Ihnen,« lachte Herr Ratz und ließ sich den Braten zum dritten Male reichen, »war an einem Orte, wo wir uns schwerlich gegenseitig vermuthet hätten, in dem schäbigen Kaffeehause in der Schönhauserstraße.«

»Ach so!« rief Faust und musterte seinen Nachbar auf's Neue. »Wollte man Sie nicht hinauswerfen?«

»Richtig!« entgegnete Ratz, »Ihr Gedächtniß beginnt sich zu regen, die guten Jungen wollten mich hinauswerfen.«

»Man sagte, Sie hätten im Spiel betrogen?« fragte Faust mit zweifelhafter Miene.

»Ich betrüge immer beim Spiel, wenn ich nicht betrügen kann spiel ich lieber gar nicht!« sagte der Berliner sehr offenherzig.

»Und das sagen Sie so geradezu?«

[140] »Versteht sich, allemal sage ich erst den Mitspielern: hört Kinder, betrügen gilt, sonst spiel ich nicht mit!«

Faust lachte, er glaubte hier einen wunderlichen, vielleicht liederlichen, aber sonst anständigen, jungen Mann vor sich zu haben.

»Ich weiß, Sie sind der Doctor Faust, ich bin der Doctor Ratz von hier, aber kein Mediciner, ich bin Schriftsteller, habe aber noch nichts drucken lassen, weil ich nie Zeit gehabt habe, meine göttlichen Gedanken zu Papier zu bringen.«

Faust lachte und Ratz lachte mit.

»Ich studire jetzt das Leben, das kostet mir viel Zeit, Sie sollten die Originale kennen, die ich hier in Berlin schon habe; dabei fällt mir ein, wer war denn das Original, das Sie gestern so fürchterlich abführten? erzählen Sie mir, das Original muß in meine Sammlung; ein Buchhalter, nicht wahr?«

Faust ließ sich für den Augenblick von der gemachten, scheinbar cordialen Offenheit des Berliners täuschen und erzählte ihm von den schlechten Streichen des Buchhalters; er glaubte, der Herr Doctor Ratz würde entrüstet sein, aber er hatte sich ganz geirrt, denn Herr Ratz lachte wie unsinnig, betheuerte auf Ehre und Seligkeit, das sei ein Festtag für ihn, denn [141] er habe doch wieder ein Original gefunden. Faust ärgerte sich über die crasse, egoistische Ansicht seines Tischnachbaren, aber er war weit davon entfernt zu ahnen, welch ein gefährlicher Mensch an seiner Seite sitze. Er versuchte auch nicht den Berliner zu seinem Humanismus, aus dem er förmlich eine Religion gemacht hatte, zu bekehren, aber er schwatzte mit dem Menschen, weil ihn seine Art und Weise zu denken und zu reden unterhielt.

»Sind Sie vielleicht heute wieder in dem Kaffeehause?« fragte Faust seinen Nachbar, als Don Juan aufstand.

»Ja, gewiß werden Sie mich finden,« erwiederte Ratz, »wenn ich nicht schon hinausgeworfen bin.«

Der Neapolitaner versprach Don Juan, ihn auf seinem Zimmer zu besuchen.

[142]
6. Die geheime Audienz
VI. Die geheime Audienz.
[143][145]

Das Folgende ereignet sich etwa am vierten Tage nach Don Juans Ankunft in Berlin.

Beide Parteien, Don Juan-Faust und Ratz-Koch, haben ihre Zeit nach Kräften benutzt, dem äußern Anschein nach hat die letztere Partei gesiegt, denn sämmtliche Mitglieder der Arbeiter-Deputation, die Faust nach Berlin geführt hatte, sind vor das Policeipräsidium vereinigter königlicher Residenzien citirt worden und haben Befehl erhalten in dreimal vierundzwanzig Stunden Berlin zu verlassen.

Das war das Werk des Herrn Ratz, der die armen Fabriksclaven als Communisten denuncirt hatte.

Faust war traurig, Herr Koch jubelte, Herr Ratz erschien nicht mehr an der table d'hôte in british hôtel, denn Faust, der ihn, wenn auch nicht ganz, so doch zum Theil durchschaute, begegnete ihm sehr kühl und fertigte die Zudringlichkeit des Berliners sehr vornehm ab.

[145] Don Juan hatte mehrere alte Freunde besucht und Incarnation durch die Kunstsammlungen Berlins geführt, aber das junge Mädchen hatte blos an den ausgestopften Papageien und Colibris Gefallen gefunden und im Theater war das einfache Naturkind durch die Tochter des Regiments mächtig aufgeregt worden.

Heute nun saß Faust finster an Don Juan's Frühstückstisch, er klagte nicht, aber man sah ihm an, wie schmerzlich ihn das Fehlschlagen seines Planes berührte, heute war der letzte Tag, morgen mußten die Arbeiter ohne Hoffnung heimkehren in ihre Sclaverei.

Don Juan war ruhig, er vertraute zu fest auf das Fürstenwort seines alten Freundes und war besser mit den Verhältnissen der vornehmen, hohen Welt bekannt, als daß er eine Policeimaaßregel für entscheidend hätte halten können.

Incarnacion summte ganz richtig eine Melodie aus der Tochter des Regiments, denn eine natürliche Anlage zur Melodie ist allen Menschen eigen, braucht gar nicht gebildet zu werden, man muß ihr nur nicht hemmend und störend in den Weg treten. Incarnacion träumte von nichts, als von der Tochter des Regiments, sie dachte nichts als jene Musik und der [146] wackere Maëstro Donizetti hätte gewiß mit hoher Freude den Eindruck bemerkt, den seine Melodieen auf das Gemüth, auf die Sinne der Kreolin gemacht.

Schon seit einer Weile war eine Stockung im Gespräch der drei Frühstückenden eingetreten, als der »doppelte Kopf« eilfertig in's Zimmer sprang und sich seinem Herrn näherte, indem er in einem großen Bogen um Faust, den von ihm so gefürchteten Zauberer, herumging.

Don Juan nahm die Karte, die ihm der Neger reichte; »der junge Fürst S.!« rief er freudig, »freue Dich, Faust, er bringt Dir gute Nachricht!«

»Oder eine vornehme, kühle Entschuldigung!« entgegnete der Doctor trübe.

Der junge Fürst Leopold von S. und W. trat in's Zimmer, Don Juan führte ihn zu einem Sitze und bemerkte mit Vergnügen, daß der junge Mann staunend Incarnacion anblickte.

Don Juan war stolz auf die Schönheit seiner Geliebten.

»Meine Freundin Incarnacion, eine Kreolin, unter dem Aequator geboren!« sprach er lächelnd zu dem Fürsten.

[147] Der junge Fürst, in der glänzenden Uniform der Gardekürassiere, deren Regiment er aggregirt war, küßte die Hand der Kreolin.

»Mein Freund, der Doctor Johann Faust, Ihnen gewiß dem Namen nach bekannt?«

»Vermuthlich nur aus Göthe's Faust;« entgegnete der Doctor, die Verneigung des Fürsten erwiedernd.

»Es ist mir lieb, daß ich Sie treffe, Herr Doctor, denn die Hauptsache des Auftrags, den mir meines Oheims Durchlaucht gegeben hat, ist eigentlich an Sie gerichtet.«

Faust, der jetzt Hoffnung schöpfte, horchte hoch auf.

»Zuvörderst, Excellenz,« wendete sich der Fürst an Don Juan, »läßt Sie der Oheim bitten heute Mittag mit ihm im kleinen Kreise zu speisen, meine Mutter brennt vor Begierde, ihren alten Verehrer zu begrüßen und Tante Mathilde hat sich schon sehr angelegentlich erkundigt, ob Sie verheirathet seien, Excellenz wissen vielleicht aus alten Zeiten, welch einen Abscheu die greise Jungfrau vor allen Menschen hat, die sich das Verbrechen des Heirathens haben zu schulden kommen lassen.«

»Ich habe manchen scherzhaften Streit mit der Prinzessin darüber gehabt;« sagte Don Juan lachend.

[148] »Mein guter, alter Oheim rechnet übrigens darauf, daß Sie Ihre schöne Freundin mitbringen, Excellenz, und Sie, Herr Doctor, erzeigen der Familientafel eines alten Ministers wohl auch die Ehre?«

Faust verbeugte sich.

»Nun zu meinem Auftrag, Excellenz; mein Oheim hat, wie Sie denken können, keine Mühe gespart, der westphälischen Arbeiterdeputation eine Audienz bei Sr. Majestät, dem Könige, zu verschaffen, aber einmal ist Se. Majestät in diesen Tagen nicht hier gewesen, das andremal haben die Leute, die jetzt am Ruder sind, meinem Oheim versichert, Se. Majestät sei gegenwärtig so beschäftigt, daß er in den nächsten Tagen unmöglich seinem Wunsche willfahren könne. Indeß hat mein Oheim mit einem Herren gesprochen, der ihm die alte Freundschaft und das alte Vertrauen treu bewahrt hat. Dieser Herr will die Arbeiterdeputation empfangen, aber unter einigen Bedingungen.«

»Darf man fragen, wer der in Rede stehende hohe Herr ist, Durchlaucht?« forschte Faust.

»Ich muß um Entschuldigung bitten, Herr Doctor,« erwiederte der Fürst, »aber das ist die erste Bedingung, der hohe Herr will unbekannt bleiben, ich kann Ihnen übrigens die Versicherung geben, daß es für[149] Ihren edeln Zweck vielleicht besser ist, diesem Herrn Ihre Deputation vorzustellen, als dem Könige selbst, denn Se. Majestät würde, im günstigsten Fall, dieser Angelegenheit doch nur kurze Zeit widmen können und Niemand wird ihn besser unterrichten als eben diese hohe Person. Zweitens wünscht der Herr die Arbeiter allein zu sprechen, ohne Sie, Herr Doctor, und drittens verlangt er von Ihnen eine Eingabe über den Zustand der westphälischen Arbeiter im Allgemeinen. Mein Oheim hat die Sache nun mit Bewilligung dieser hohen Person so arrangirt: Abends neun Uhr führen Sie Ihre Arbeiter in unser Hôtel, ich werde Ihnen, während der Unterredung, der mein Oheim beiwohnen wird, Gesellschaft leisten und Sie führen dann Ihre Arbeiter zurück. Ich brauche Ihnen wohl nicht erst zu sagen, daß alles Aufsehen vermieden werden muß, daß namentlich Ihre Angelegenheit nicht von den Zeitungen ausgebeutet werden darf, ebenso ist es wünschenswerth, daß die Deputation nach gehabter Audienz so bald als möglich abreis't.«

»Ich vertraue Ihnen ganz, Durchlaucht,« entgegnete Faust, »und werde mich im Interesse der Sache, zu deren Advocaten ich mich aufgeworfen habe, allen Anforderungen und Wünschen jener hohen Person unterwerfen, [150] sagen Sie von meinetwegen dem hohen Herrn, viele tausend arme Sclaven würden ihn segnen auch für das Geringste, was er für sie thue.«

Der junge Fürst stand auf, küßte Incarnacions Hand, bat die Herren nicht zu spät zu erscheinen, da sein Oheim sehnlichst sie erwarte und empfahl sich dann grüßend.

»Ein wackerer junger Herr!« rief Don Juan, als er von der Begleitung zurückkehrte. »Nun, was sagt Ihr, Freund Faust?«

»Du hast das Deinige gethan, Freund, und Deine Durchlaucht ebenfalls, ob's aber Früchte trägt –?«

»Das hofft Jeder, der säet, Freund, säen kann und soll der Mensch, ob die Saat reift, das steht in einer höhern Hand; jetzt geh und bestelle Deine Arbeiter.«

Faust ging, Don Juan aber wendete sich an Incarnacion: »Nun, meine Blume, wie gefiel Dir der junge Fürst?«

»Es war ein Ritter und alle Ritter gefallen Deiner Blume!« entgegnete Incarnacion naiv.

Der Abend dieses Tages war gekommen, der greise Fürst hatte seine Gäste nach dem Diner nicht entlassen, Don Juan und Incarnacion befanden sich im Kreise der Familie des Fürsten, die alte Fürstin namentlich, [151] die Mutter des Fürsten Leopold, beschäftigte sich angelegentlich mit Incarnacion, während Don Juan mit der Prinzeß Mathilde alle Verheirathungen durchging und keine glücklich finden wollte.

Die beiden Fürsten, so wie auch Doctor Faust, hatten sich gegen neun Uhr entfernt.

Zur rechten Zeit kamen die Arbeiter einzeln, oder zu zweien, im Hôtel an und wurden in einen gewärmten und erhellten Saal geführt, in welchem sie der junge Fürst empfing und ihnen Wein und kalte Küche präsentiren ließ; Faust war bereits zur Gesellschaft zurückgekehrt und die guten, westphälischen Spinner fühlten sich sehr verlassen ohne ihn. Faust hatte ihnen gesagt, ein hoher Herr werde mit ihnen reden, sie glaubten der hohe Herr könne Niemand anders sein als der König.

So freundlich nun auch der junge Fürst war, so ernstlich er sie nöthigte zuzulangen, die armen Menschen waren kaum im Stande ein Glas Wein zu trinken, die Erwartung schnürte ihnen die Kehlen zu und der junge Fürst in seiner prächtigen Uniform flößte ihnen gewaltigen Respect ein.

Endlich langte auch der Arbeiter Hornberg, das letzte Mitglied der Deputation, an, aber bis auf die[152] Rampe des Hôtels war ihm Herr Ratz, der Herr Doctor Ratz, gefolgt, der bald ausspionirt hatte, daß Hornberg eine Art von Adjutantendienst bei'm Doctor Faust versah.

Staunend sah Herr Ratz den Arbeiter in das Hôtel des verschrieenen Aristocraten, des Fürsten von S. und W., eintreten, er beschloß zu warten, er mußte wissen, was Hornberg dort zu suchen hatte.

Herr Ratz hatte auch kaum eine Viertelstunde gewartet, als eine einfache, zweispännige Droschke auf der Rampe vorfuhr und ein Herr, in einen Militairmantel gehüllt, in das Hôtel eintrat. Das liebenswürdige Berliner Kind konnte das Gesicht dieses Mannes nicht sehen, aber es beschloß der abfahrenden Droschke zu folgen, sein Plan wurde indeß vereitelt, denn in dem Augenblick, in welchem Ratz auf das Kutschenbret hinten springen wollte, stolperte er und fiel sehr derb auf die Nase, und als er sich wieder erhob, war die Droschke längst die Wilhelmsstraße hinunter. Der würdige, junge Mann hüllte sich fest in seinen neuen Burnus und beschloß die Rückkehr des Arbeiters zu erwarten.

Drinnen im Saal indeß hatte der junge Fürst, als er den Wagen anfahren hörte, die Arbeiter in eine Reihe gestellt und ihnen freundlich zugeredet, frei und [153] offen auf alle Fragen der hohen Person zu antworten. Dann hatte er sich entfernt und sich in das Gesellschaftszimmer zu Don Juan, Faust und den Damen begeben.

Die Arbeiter waren allein, Keiner von ihnen wagte ein Wort zu sprechen, kaum den Andern anzusehen.

Endlich öffnete sich die Thür leise und die Herzen der armen Spinner klopften hörbar.

Mit raschem, festen Schritt trat ein schöner, hoher, ernst, beinah streng aussehender Mann in den Saal, ihm folgte der alte Fürst auf dem Fuße und schloß die Thür hinter sich.

Der zuerst Eingetretene trug einen einfachen, blauen Uniformüberrock, graue Beinkleider mit rothen Streifen und Sporenstiefeln, in der Hand hielt er eine einfache Soldatenmütze mit Schirm und rother Paspel.

Während der alte Fürst dicht an der Thür stehen blieb, ging dieser Mann rasch an die Arbeiter heran und die furchtsamen Blicke der armen Menschen senkten sich vor den funkelnden Blicken der Augen, die sehr tief in einem blassen Gesicht lagen, das ein schöner, blonder Backen- und Schnurrbart zierte.

»Wie heißt Du?« wendete sich der ernste Mann mit sonorer Stimme an den ersten Arbeiter.

[154] »Hornberg!« antwortete dieser leise.

»Nun, Hornberg,« sprach der Frager weiter, »da ich nicht Zeit habe, mich mit Euch allen zu unterhalten, so wirst Du mir auf meine Fragen antworten«.

Hornberg machte eine verlegene, ängstliche Verbeugung.

»Ihr seid Spinner aus westphälischen Fabriken?«

»Ja!«

»Ihr seid sehr arm?«

»Ja!«

»Habt Ihr nie den Wunsch gehabt eben so reich wie Eure Fabrikherrn zu sein?«

»Nein!«

»Wie?«

»Wir sind schon zufrieden, wenn wir satt Essen haben und Kleider für unsere Kinder und Holz, uns im Winter zu erwärmen, guter Herr König!«

»Ich bin nicht der König, lieben Leute; habt Ihr nie den Gedanken gehabt, Euch mit Gewalt zu nehmen, was Euch fehlt, die Reichen zu berauben?«

»Wir hatten den Gedanken nicht, aber man sagte es uns!«

»Wer sagte es?« fragte der ernste Herr, die Stirn runzelnd.

[155] »Ein fremder Bursch, der übern Rhein herkam.«

»So – und das gefiel Euch wohl, Ihr hattet wohl Lust dazu?«

»J nun –« stotterte der Arbeiter.

»Redet aufrichtig, Hornberg!«

»Ja, Herr König –«

»Ich bin nicht der König!«

»Ja, einige hatten Lust, viele aber fürchteten sich vor den Gensd'armen, die meisten indeß hielten es für Sünde und jetzt wissen wir alle, daß es erstlich Unrecht ist, sich selbst Recht zu verschaffen, und dann wissen wir auch, daß es uns nichts helfen würde, sondern uns nur elender machen könnte.«

»Woher wißt Ihr das?«

»Unser Doctor hat es uns gesagt!«

»Da hat er Euch die Wahrheit gesagt, bleibt dabei, denn so lange Ihr recht thut und lieber Unrecht duldet, als unrecht handelt, so lange seid Ihr in Eurem Recht und Recht wird Euch werden – warum aber seid Ihr jetzt nach Berlin gekommen?«

»Weil uns unser Doctor sagte, der König werde unsre Noth lindern, er werde machen, daß wir unsern Arbeitslohn ordentlich bezahlt bekämen, werde dafür[156] sorgen, daß unsere Kinder nicht verhungerten und unsere Weiber nicht erfrieren müßten im Winter.«

»Wo habt Ihr das Geld zur Reise her?«

»Unser Doctor hat es uns gegeben!«

»Was wolltet Ihr dem Könige, unserm Herrn, klagen?«

»Wir wollten zu ihm sagen: seht guter Herr König, Ihr wißt nicht, daß wir viele tausend getreue Unterthanen, die wir nichts haben, als das Leben, daß wir Tag und Nacht arbeiten müssen, um uns und unsere Kinder zu erhalten, daß uns die reichen Herren unsere sauer verdienten Pfennige oft nicht geben, sondern uns Waaren dafür hoch anrechnen, die wir nicht brauchen können, sondern ganz billig verkaufen müssen. Guter Herr König, wollten wir sagen, Ihr seid unser einziger, letzter Trost, Ihr habt die Macht, befehlt, daß die reichen Leute uns unser Geld geben!«

»Wolltet Ihr den König um weiter nichts bitten, lieben Leute?« sprach der ernste Mann, milder als bisher.

»Nein!« erwiederte Hornberg, »unser Doctor sagte, wir sollten nur dem Könige die Wahrheit sagen, er würde dann schon dafür sorgen, daß wir geschützt würden gegen den Zorn unserer Herren.«

»Verlangen Eure Herrn zu viel von Euch?«

[157] »Nein, Jeder kann arbeiten so viel er will, aber mit der Arbeit eines ganzen Tages verdienen wir höchstens sieben Pfennige, und das ist nicht viel, wenn man kleine Kinder hat, namentlich.«

Der ernste Mann schritt einige Male im Saal auf und ab, dann stellte er sich wieder dicht vor die Arbeiter.

»Liebt Ihr den König?«

»Ja, ja! denn er ist unsere letzte Hoffnung, unser König wird uns schützen, er wird's nicht leiden, daß uns die Herren wie das Vieh behandeln, denn unser Doctor sagt, wir seien eben so gut wie die Reichen die Kinder des Königs!«

»Wie das Vieh behandeln? Wie versteht Ihr das?«

»Nun, wenn die Kuh ein Kalb gesäugt hat, nimmt man es ihr und schlachtet's.«

»Ich verstehe Euch nicht!« –

»Ja, wenn wir ein Kind unter Hunger und Kummer groß gezogen haben und es gefällt den Herren, so nehmen sie's und machen's zur – nun Ihr versteht mich!« –

»Und das leidet Ihr? das ist vorgekommen?« rief der Herr empört.

»Mein eigen Weib hatte meine Tochter schon, vor Hunger, an den Buchhalter unseres Herrn verkauft,[158] für einen Thaler, unser Doctor hat es noch gerettet.«

»Wie, für einen Thaler? Einen Thaler für einen Menschen?«

»Das ist noch hoch bezahlt, ich weiß Dirnen, die sich dem Herrn für einige Groschen verkauft haben, um hungernden Aeltern und sterbenden Geschwistern das Leben zu fristen.«

»Ist das wahr, Leute, übertreibt Ihr auch nicht?«

»Wir können's bezeugen!« riefen die Arbeiter.

»Mein eig'nes Weib, dem der Buchhalter lange nachstellte,« sprach ein hübscher, junger Mann, »hat sich dem Menschen, ohne mein Vorwissen, hingegeben, denn er wollte mir keine Arbeit mehr geben und ich wäre mit meinen drei kleinen Würmern verhungert!«

In mächtiger Bewegung schritt der ernste Mann im Saale auf und ab, endlich sagte er:

»Ich habe genug gehört, Ihr armen Leute, Alles, was Ihr mir gesagt habt, werde ich dem Könige, unserm Herrn, wiedersagen, verlaßt Euch darauf, der König liebt alle seine Unterthanen, er wird Euch helfen, bald helfen, ich stehe Euch dafür; reis't still nach Hause, redet nicht viel von Euerm Besuch in Berlin,[159] bald werdet Ihr sehen, daß Ihr nicht umsonst hier gewesen seid.«

»Gott segne Euch dafür, edler Herr, Gott segne den König, unsern Vater!« riefen die Arbeiter.

»Lebt wohl, lieben Leute, Ihr sollt von mir hören!« sprach der ernste Herr gerührt und schritt, von dem alten Fürsten geführt, hinaus.

Nach einigen Minuten trat der junge Fürst mit dem Doctor Faust ein, mit Thränen in den Augen empfingen die Arbeiter ihren Beschützer.

»Wir haben ihm Alles gesagt!« sprach Hornberg, »und er hat versprochen uns zu helfen, er will's dem Könige sagen.«

Indessen hatte Herr Ratz draußen gewaltig gefroren, mehrmals hatte das richtige Berliner Kind den Entschluß gefaßt zu gehen, aber immer hatte ihn löbliche Wißbegierde festgehalten auf seinem Posten. Dennoch wurde seine Ausdauer nicht so belohnt, wie sie verdiente, der Herr im Militairmantel erschien nicht wieder; Ratz besann sich, daß das Hôtel des Fürsten noch einen Ausgang in die Behrenstraße habe und ärgerte sich gewaltig, daß er sich nicht in zwei Hälften spalten konnte, um beide Ausgänge zu bewachen.

[160] Endlich erschienen die Arbeiter, einzeln, gingen die Straße hinab und Ratz vernahm nichts, weil er sich nicht nahe heranwagen durfte, als ein lautes Wort Faust's, der den Spinnern zurief: »Seid morgen zur rechten Zeit auf dem Bahnhofe, Freunde, gute Nacht!«

Die Karosse, in der Don Juan und Incarnacion saß, rollte an dem braven Berliner vorüber und dieser raisonnirte auf seinem Wege zur Madame Grunewald also: »Es ist sehr gut möglich, daß die Arbeiter dort mit irgendwem eine Audienz gehabt haben, aber sie reisen morgen ab, und wenn besagte Person im Militairmantel wirklich der König gewesen wäre, sie ist es aber nicht gewesen, denn der König ist viel stärker, so weiß der verdammte Buchhalter doch nichts davon; ein Viertel auf Acht geht der erste Zug, um acht muß der Buchhalter mir meine hundert Louisd'or zahlen; es lebe der Schwindel!«

Herr Ratz trat in die Kaffeewirthschaft der Grunewald ein, er fand, da es erst zehn Uhr war, die gewöhnlichen Stammgäste, Herrn Thibaut, den Juden Pinner, den Maler, den Architekten, den Cigarrenhändler, den Literaten und den Flottwell; Thibaut und die Madame Grunewald raisonnirten, der Jude und Flottwell machten betrübte, der Maler und der [161] Literat ärgerliche Gesichter, der Architekt lachte, der Cigarrenhändler sagte emphatisch: »Die Sache ist faul, in den Schwindel laß ich mich nicht ein!«

»Und Sie, Herr Ratz,« redete die Wirthin den Eintretenden an, »Sie müssen auch Geld schaffen, ich kann Ihnen nicht helfen, bei Gott ich muß Geld haben, morgen bekomme ich sonst Execution; meine Herren geben Sie Jeder etwas, bezahlen Sie nur Jeder einen Thaler, ich borge dann auch wieder!«

»Ich kann nichts geben, ich stecke so drin, daß ich mir nicht zu helfen weiß!« sprach Ratz und steckte seine Hände in die beiden Seitentaschen seines Burnus.

»Aber Ratz, es ist doch schändlich von Dir,« eiferte der Liebhaber der Madame, Herr Thibaut, »hast Dir eine Menge neue Sachen machen lassen und läßt nun die arme Frau im Stich!«

»So, Meister Thibaut, habt Ihr denn bezahlt?« fragte der unerschütterliche Ratz; »Kluften machen lassen, denkt Ihr denn, ich habe sie bezahlt?«

»Herr Thibaut hat mir bezahlt, wenn auch nicht Alles, so doch nach Kräften!« schrie die Grunewald, ihren Liebhaber vertheidigend.

[162] »Das glaub' ich, nach Kräften!« sprach Ratz mit einer so seltsamen Betonung, daß Alle laut lachten, denn man wußte, was der Berliner meinte.

»Kinder, macht der Sache ein Ende!« schrie der Cigarrenhändler; »Georges, wie viel bist Du der Grunewald schuldig?« fragte er seinen Freund den Literaten.

»Herr Rauschenblatt ist mir vier Thaler fünfzehn Silbergroschen schuldig!« krähte die Grunewald.

»Soll ich für Dich bezahlen, Georges?«

»Ja, laßt uns nur zu etwas Nassem kommen, Grog oder Punsch, ist mir Alles gleich!« erwiederte der Schriftsteller.

»Hier sind fünf Thaler, Madame, fünfzehn Silbergroschen habe ich also gut.«

Knixend empfing die Madame den Fünfthalerschein und erschöpfte sich in Lobpreisungen des Schriftstellers und seines Freundes.

Der Architekt ließ sich jetzt auch herbei zwei Thaler zu geben, auch der Maler gab eine kleine Summe pränumerando, Flottwell leistete auf eine Schuldsumme von hundert vier Thalern eine Abschlagszahlung[163] von zwölf Groschen, erklärte aber, er könne nun vor Ostern nichts mehr bezahlen, danach verstand es sich von selbst, daß er täglich bei der Grunewald auf Credit essen, trinken und rauchen wollte. Nur der Jude und Ratz waren noch zähe, endlich ließ sich auch der Jude zu einer Zahlung bewegen d.h. er versprach morgen zwei Paar Sommerhosen zu verkaufen und der Grunewald das Geld zu geben.

Nun erklärte Ratz, das richtige Berliner Kind, es sei einmal durchaus gegen seine Grundsätze, Schulden zu bezahlen und er halte streng auf Grundsätze, er wolle aber, so schwer es ihm falle, heute der Madame etwas zu verdienen geben und baar berappen d.h. bezahlen.

»Der Kerl hat gestohlen, oder sonst einen großen Schwindel gemacht, Georges!« flüsterte der Cigarrenhändler seinem Freunde, dem Literaten, zu. Herr Ratz aber wendete sich an die Wirthin und fragte:

»Wie viel Flaschen Rum haben Sie noch?«

»Vier Flaschen Rum und zwei Flaschen Madera und eine Flasche Rothwein!«

»Wie viel Zucker?«

[164] »Oh einen halben Hut, Herr Ratz!«

»Sie machen uns Punsch von der ganzen Geschichte, Madame Grunewald und ich bezahle Ihnen baar fünf Thaler, sind Sie das zufrieden?«

»Ja, aber erst muß ich Geld haben!«

»Hier sind fünf Thaler!« rief Ratz und schleuderte fünf harte Thaler in die Schürze der wackern Wirthin.

»Hurrah, Ratz hat Geld! Hurrah, die Grunewald ist aus dem Schwindel!« schrie Flottwell.

»Ist doch ein nobler Kerl der Ratz!« sagte Thibaut zu dem Juden.

Erst als der letzte Tropfen der Bowle getrunken war, verließ die saubere Gesellschaft das Hôtel der Grunewald, um ihre Wohnungen zu suchen, die sie mit dem frühesten Morgen schon verlassen mußten, um gewissen zudringlichen Besuchen aus dem Wege zu gehen.

Am andern Tage war Herr Ratz im Besitz von hundert Louisd'or und Herr Koch schrieb mit äußerst angenehmen Empfindungen an seine Committenten: die Arbeiterdeputation sei abgereis't ohne eine Audienz bei'm Könige gehabt zu haben.

[165] An diesem Morgen machte der Neapolitaner, den wir an der table d'hôte in british Hôtel kennen gelernt haben, dem General von Aurinia seine Aufwartung und saß mit ihm und Incarnacion schon seit einer geraumen Weile in freundlichem Gespräch, als der »doppelte Kopf« eintrat, um irgend ein Geschäft zu verrichten.

Der Neapolitaner, der sich Cavaliero di Bogatire nannte, musterte eine Weile staunend die Figur des Negers, stand dann plötzlich auf und redete den Schwarzen in einer fremden, seltsam aber nicht unangenehm klingenden, Sprache an.

Der »doppelte Kopf« fuhr beim Klange dieser Sprache zurück, als wenn ihn eine Natter gestochen und musterte den Neapolitaner mit entsetzten Blicken.

Der Neapolitaner sprach wieder etwas und sogleich antwortete der Neger fertig in derselben Sprache, begann sich aber wie ungeberdig zu benehmen mit Tanzen, Springen, Schreien und Gesticuliren.

Der arme Sclave hörte ja, seit einem halben Jahrhundert beinahe, zum ersten Male wieder seine Muttersprache.

[166] »Was ist's?« fragte Don Juan erstaunt.

»Oh Massa,« schrie der Neger, »der Senhor spricht die Sprache der Kinder vom blauen Fluß, er spricht die Sprache von armen schwarzen Mannes Mutter!«

»Ihr Neger, Don Juan,« erklärte der Neapolitaner, »ist von demselben Negervolk, das ich seit vierzig Jahren cultivire, er ist ein Unterthan meines schwarzen Königs.«

»Wie war Dein Name unter den Kindern vom blauen Fluß?« fragte er den »doppelten Kopf.«

»Schwarzer Mann hatte zwei Brüder,« rief der alte Neger, »und seine Mutter nannte ihre Piccanini, die Söhne vom Strahle, mich aber hieß sie –«

»Was!« unterbrach der Neapolitaner den Neger beinah erschrocken, »die Söhne vom Strahle? Du bist ein Sohn des Strahls? Wie hieß Dich Deine Mutter?«

»Kurma Guru, den heißen Löwen,« antwortete der »doppelte Kopf« stolz, »und Kurma Guru war ein gewaltiger Streiter!«

Die Augen des Negers funkelten, obgleich eine Thräne darin stand.

[167] »Wissen Sie Don Juan,« wendete sich der Neapolitaner an den General, »daß Sie einen gar vornehmen Diener haben? Die Söhne vom Strahl, so heißt das Herrschergeschlecht meines Landes, Kurma Guru ist der ältere Bruder meiner schwarzen Majestät, er würde jetzt König sein; in der ersten Zeit meines Aufenthaltes unter den Schwarzen hörte ich viel von den gewaltigen Kriegsthaten des heißen Löwen, des jungen Prinzen Kurma Guru; er ist, wenn ich mich recht erinnere, in einem Kampfe mit Timbuktu gefangen und so wahrscheinlich als Sclave nach Amerika verkauft worden, doch wir werden hören.«

»Ich kaufte ihn vor fünfzehn Jahren in Para!« antwortete Don Juan.

»Kurma Guru, Sohn vom Strahl!« redete der Neapolitaner jetzt den Neger mit Gravität an, »kannst Du mir sagen, wie Deine Brüder genannt wurden?«

»O ja, Kurma Guru kann das,« erwiederte der Schwarze, »der Aelteste hieß Prali Cassu Bantupa, der wilde, zornige Büffel, dann kam Kurma Guru, der heiße Löwe und zuletzt der kleine Metumati Corro Pala Antwatassi, der, welcher die Gestalt einer Gazelle hat; das sind die Söhne vom Strahl!«

[168] »Der jüngste Bruder ist jetzt König,« sprach der Neapolitaner italiänisch zu Don Juan. »Kurma Guru, sage mir doch, warst Du nicht ein König unter den Kindern vom blauen Fluß?«

»Nein, Kurma Guru war kein König, aber Kurma Guru's Vater war König über die Kinder vom blauen Fluß und alle Könige der Kinder vom blauen Fluß waren Söhne vom Strahl, wie Kurma Guru und seine Brüder; die Kinder vom blauen Fluß haben niemals andere Könige gehabt, als Söhne vom Strahl.«

»Wie aber ist Kurma Guru, der heiße Löwe, der Sohn vom Strahl der Diener des weißen Mannes geworden?«

»Kurma Guru,« rief der Neger, »war ein großer Krieger und die Kinder vom blauen Fluß kämpften mit den Kindern der wüsten Ebene und Kurma Guru führte die Kinder vom blauen Fluß in den Kampf, aber die Kinder der wüsten Ebene fürchteten sich vor Kurma Guru, sie mochten dem heißen Löwen nicht begegnen in der Schlacht und die Kinder der wüsten Ebene sind sehr listig und sie stahlen Kurma Guru, da er schlief in der Nacht und hatten ihn festgebunden, ehe er erwachte; die Kinder der wüsten Ebene [169] verkauften den heißen Löwen an die weißen Männer, diese führten ihn weit über großes Wasser und der Sohn des Strahl's mußte lange Kaffee pflücken und sehr arbeiten, wurde viel geschlagen und hatte wenig zu essen, so wurde der heiße Löwe ein Diener des weißen Mannes und vergaß die Kinder vom blauen Fluß unter Schlägen, bis ihn guter Massa kaufte und ihn nicht mehr schlagen ließ.«

»Soll ich ihm sagen, Don Juan, daß sein Bruder lebt und König ist?« fragte der Neapolitaner.

»Sagen Sie's ihm, ich bin neugierig auf den Eindruck.«

»Kurma Guru, Sohn vom Strahl, ich wohne schon lange unter den Kindern vom blauen Fluß –«

»Die Kinder vom blauen Fluß haben Kurma Guru vergessen?« fragte der Sclave gespannt.

»Sie haben ihn nicht vergessen, sie singen ein Lied von ihm, wie er zwanzig Feinde tödtete, die über den blauen Fluß geschwommen waren.«

»Sie fingen das Lied vom heißen Löwen, der allein zwanzig Feinde schlug!« sprach der Sclave mit stolzer Freude und das häßliche Negergesicht nahm einen Ausdruck von Hoheit an, der es verschönte.

[170] »Kurma Guru,« sprach der Neapolitaner weiter, »die Kinder vom blauen Fluß haben lange um Dich geweint, es leben noch viele, die den heißen Löwen gekannt haben und von ihm erzählen.«

Der Neger schwieg, aber die Aufregung seines Innern war sichtlich.

»Die Söhne vom Strahl sind noch immer Könige der Kinder vom blauen Fluß.«

»Die Kinder vom blauen Fluß haben niemals andere Könige, als die Söhne vom Strahl,« murmelte der Sclave, dann fragte er laut: »Wie heißt der König, dem die Kinder vom blauen Fluß jetzt gehorchen?«

»Metumati Corro Pala Antwatassi!«

»Wie!« schrie der Neger, »der, welcher die Gestalt einer Gazelle hat, gebietet den Kindern vom blauen Fluß? Warum nicht Prali Cassu Bantupa, der wilde, zornige Büffel? Er war der ältere Sohn vom Strahl.«

»Den wilden, zornigen Büffel hat das Krokodill gefressen, als er sich im blauen Fluß badete.«

»Prali Cassu Bantupa ist vom Krokodill gefressen und Metumati Corro Pala Antwatassi herrscht über[171] die Kinder vom blauen Fluß – warum? weil Kurma Guru nicht da war, Kurma Guru war der zweite Sohn vom Strahl – Kurma Guru ist ein König!«

»Will Kurma Guru,« fragte Don Juan seinen Sclaven, »nicht zurückkehren zu den Kindern vom blauen Fluß und ihr König sein? der Caballero hier geht zu den Kindern am blauen Fluß, Kurma Guru ist frei, er kann gehen, wohin er will!«

Der Sclave schüttelte seinen Kopf, er überlegte eine Weile, dann sagte er: »Kurma Guru ist alt und König sein ist schwer, Kurma Guru hat zu viel Schläge bekommen und ein König darf keine Schläge bekommen haben; Kurma Guru kennt die Kinder vom blauen Fluß nicht mehr und ein König muß seine Kinder kennen; Metumati Corro Pala Antwatassi soll König der Kinder vom blauen Fluß bleiben, Kurma Guru läßt ihn grüßen, er will bei gutem Massa und bei Senhora Incarnacion sterben.«

Don Juan, der alte Legitimist, achtete auch die Legitimität in dem alten Negerfürsten, er reichte ihm seine Hand und sagte: »Wenn Kurma Guru bei mir bleiben will, so ist er mir willkommen, aber er ist mein Diener nicht mehr, sondern mein Gast, Kurma Guru wird sich an meinen Tisch setzen und mit mir[172] und Senhora Incarnacion essen, er wird sich bedienen lassen, denn Kurma ist ein König und ist mein Freund!«

Der Neger fah seinen Herrn erstaunt an.

»Setze Dich hierher Kurma Guru!«

Der Neger setzte sich gehorsam.

»So, nun wird sich Kurma Guru mit dem Caballero über die Kinder vom blauen Fluß unterhalten.«

Der Neger begann jetzt den Caballero über manche Personen zu fragen und gab allemal laut seine Freude zu erkennen, wenn er hörte, Dieser oder Jener lebe noch.

Don Juan erklärte Incarnacion den Zusammenhang der Sache, was sehr nöthig war, da bald die Negersprache, bald neapolitanisch, bald spanisch gesprochen worden war.

Jetzt erschien ein Kellner des Hôtels und meldete dem General, draußen sei ein Mann mit einem Briefe, der ihn zu sprechen wünsche.

Bald darauf trat ein Mann in mittlern Jahren ein, der sehr anständig aber bescheiden gekleidet war, er hielt einen Brief in der Hand und sagte spanisch zu dem General: »Der Herr Graf von Redenberg [173] läßt sich Sr. Excellenz dem Herrn General empfehlen!« mit einer anständigen Verbeugung überreichte er dem Don Juan das Billet. Dieser erbrach es und las:

»Lieber, alter Freund, Du wirst meine Bitte entschuldigen, mit der ich Dich belästige, wenn Du erfährst, daß es sich um einen alten treuen Diener der Legitimität handelt. Ueberbringer dieses, der Franzose Petit, war bis 1830 Laquai bei Ihrer königl. Hoheit der Frau Herzogin von Berry, wurde in den Julitagen verwundet, ging als Kammerdiener des Marschalls Grafen Bourmont mit diesem nach Portugal, erhält von der Frau Herzogin von Berry eine kleine Pension, wünscht aber doch eine Kammerdienerstelle zu versehen. Du hast mehr Verbindungen als ich, alter Freund, Du würdest mir eine Freude machen, wenn Du die treue Seele placiren und empfehlen wolltest, seine Zeugnisse sind vortrefflich. Sehen wir uns vielleicht morgen beim alten Fürsten S.? Mit herzlichem Gruß Dein Anton Graf von Redenberg und Althingen.«

»Sie waren in Diensten der Frau Herzogin von Berry?« fragte Don Juan.

»Ich hatte die Ehre, Excellenz!«

»Sie sprechen spanisch?«

[174] »Ich spreche französisch, italiänisch, spanisch, aber nur wenig deutsch!« antwortete Herr Petit.

»Ich brauche gerade einen Kammerdiener, doch nur für die Zeit meines Aufenthalts in Europa, wenn Sie für diese Zeit bei mir eintreten wollen, so will ich Sie auf die Empfehlung des Herrn Grafen von Redenberg annehmen und Sie auch bei meiner Abreise wieder placiren.«

»Ich würde mich glücklich schätzen in Ihre Dienste zu treten, Excellenz!«

»Wann können Sie antreten?«

»Zu jeder Stunde, heute noch!«

»Das wäre mir sehr angenehm, da ich gegenwärtig ganz ohne eignen Diener bin.«

»Ich bin bereit!«

»Sie werden für mich wenig zu thun haben, hier Donna Incarnacion ist ihre Gebieterin und meinem Freunde hier, Herrn Kurma Guru, werden Sie die Dienste leisten, die er von Ihnen verlangen wird.«

»Sehr wohl Excellenz!« erwiederte der Franzose geschmeidig, obgleich er mit Staunen den alten Neger betrachtete, der noch immer in eifrigem Gespräch mit dem Neapolitaner auf dem Sopha saß.

[175] An diesem Tage verließ ein Prälat den erlauchten Gefangenen von Bourges, der den Befehl hatte Don Juan aufzusuchen, und Doctor Faust übergab eine längst ausgearbeitete Schrift über den Zustand der westphälischen Spinner und Fabrikarbeiter überhaupt dem alten Fürsten von S. und W., der ihm versprach, sie in die Hände der hohen unbekannten Person gelangen zu lassen.


Ende des zweiten Theiles. [176]

Dritter Theil

1. Herr Bletry und Madame Strobel
[5] I. Herr Bletry und Madame Strobel.
[5][7]

Es war im März 1845 als der des Mordes beschuldigte Herr Bletry zum zweiten Male vor den versammelten Assisen stand. Noch immer hielten sich Mühlhausen und die Umgegend von Bletry's Schuld überzeugt und klammerten sich hartnäckig an die Geschichte von der vornehmen Dame, die man in Bletry's Garten gesehen haben wollte.

Der Sitzungssaal war gedrängt voll; wie bei den Assisen im October 1844 widersprachen sich die Zeugenaussagen vielfach und es bedurfte aller Kunst des Staatsprocurators, um das haltlose Gewebe solcher Zeugenaussagen zur Unterstützung der Anklage zu gebrauchen.

Die Vertheidiger des Herrn Bletry, namentlich sein Bruder, der die Stelle eines Generaladvoca en zu Besançon bekleidete, bekämpften die Anklage Wort für Wort, sie wiesen klar und deutlich die Entstehung des [7] Verdachtes gegen Bletry nach, sie machten auf die zahllosen Ungehörigkeiten aufmerksam, die in diesem Proceß von subalternen Policeibeamten begangen und erwirkten einen tiefen Eindruck auf die versammelte Menge.

Unter den Zuschauern, so kann man wohl sagen, weil man in Frankreich die Assisen zu den interessantesten Schauspielen rechnet, befindet sich auch der reiche Particulier Herr Strobel mit seiner jungen Gemahlin und seinem Schwiegervater, dem ehemaligen Fabrikarbeiter Mensdorf, der seine beiden Knaben in eine Erziehungsanstalt gebracht hat und jetzt bei seiner Tochter lebt, da er sich durch den im Januar erfolgten Tod seiner Frau und seines jüngsten Kindes sehr vereinsamt fühlte.

Diese drei Personen haben sich mit Gold drei Plätze in der ersten Reihe der Tribüne erkämpft und folgen sehr aufmerksam den Verhandlungen. Neben Herrn Strobel sehen wir einen jungen Pariser Elegant mit Stift und Notizenblatt, es ist ein Berichterstatter, den das Journal des Débats expreß nach Mühlhausen gesendet hat, um schnell über den Bletry'schen Proceß unterrichtet zu sein; hinter dem Stuhl der Madame Strobel lehnt der Graf von St. Aignan, [8] der das junge Ehepaar bereits in Paris kennen gelernt hat, Strobel's Freund ist und der reizenden jungen Frau eifrig den Hof macht.

Herr Strobel fühlt sich durch die Freundschaft des Grafen sehr geehrt, denn er hat, echt deutsch, einen gewaltigen Respect vor dem hohen Adelstitel des Grafen, vor dem Titel Graf St. Aignan, der historisch völlig werthlos ein rein angenommener ist, wie wir wissen. Röschen, die einst arme Fabrikdirne, arbeitet ernst und eifrig daran, ihrem Gatten eine festere Haltung, einen Charakter zu geben und wird nicht müde dabei, obgleich sie Wasser in ein Faß ohne Boden schöpft; ihre Herrschaft über den schwachen Gemahl ist festbegründet, sie ist jetzt gewiß, daß Strobel ohne sie auch nicht das Geringste thut; sie liebt ihren Gemahl, es mag lächerlich klingen, aber es ist so, die junge Frau liebt ihren Gemahl wie eine Mutter einen Sohn liebt, den sie nicht aus ihren Augen lassen darf. Strobel liebt seine junge Gemahlin heftig, weil sie schön ist und er gehorcht ihr, weil er muß und sich sehr wohl dabei befindet. Röschen nimmt die Huldigungen des Grafen von St. Aignan an, weil sie ein Weib ist und sich unterhalten, belehrt und erfreut zu gleicher Zeit fühlt durch die Art und Weise, mit der[9] der Graf auch dem unbedeutendsten Gespräch ein Interesse für sie zu geben weiß.

In Röschens Seele ist keine Spur von sinnlicher Liebe zu dem jungen Grafen, ja, die unbefangene, deutsche Frau hat keine Ahnung von der unreinen Leidenschaft, die St. Aignan's Herz durchflammt, die ihn öfter verzweifeln macht über das freundliche, sich immer gleich bleibende Wesen Röschens.

In diesem Augenblick indeß denkt St. Aignan nicht daran der jungen Frau die Cour zu machen, bleicher noch als gewöhnlich lehnt er sich auf die Stuhllehne und ein aufmerksamer Beobachter hätte wohl bemerken können, daß St. Aignan, trotz seiner Anstrengung, ein leises Zittern nicht verbergen konnte, als sich die Geschwornen entfernten.

Während sich die Geschworenen im anstoßenden Zimmer berathschlagten, lag eine feierliche Stille auf der Versammlung, mancher mitleidige Blick richtete sich auf Bletry und namentlich auf seine artige Freundin, Franziska Lallemand. – Beide Personen schienen die Bedeutung der gegenwärtigen Stunde tief zu empfinden, Graf St. Aignan oben auf der Tribüne wischte sich mehrmals die kalten Schweißtropfen von der bleichen Stirn.

Endlich öffnete sich die Thür, man hörte jeden[10] Athemzug in dem weiten Saal, die Geschworenen traten wieder ein und der Obmann antwortete auf die Frage des Gerichtspräsidenten Wolbert laut und feierlich: »Nicht schuldig!«

Ein stürmischer Beifallruf erklang; Bletry trat vor die Schranken und sprach: »Sagen Sie mir ein Wort, meine Herren, ein Wort der Ehrenerklärung, ich bitte sie um ein Wort!«

»Wir sprechen Sie frei, Herr Bletry!« erwiederte der Präsident Wolbert, »mehr können wir nicht für Sie thun!«

Die Menge drängte nach den Ausgängen, St. Aignan bot Röschen seinen Arm und Herr Strobel theilte seinem Schwiegervater die ganze Mordgeschichte mit.

St. Aignan, der seit dem Spruch der Jury sein gewöhnliches Wesen wieder angenommen hatte, bewohnte ein und dasselbe Hôtel mit Strobels, galant führte er die junge Frau auf ihr Zimmer und hatte dieses erreicht als Strobel mit seinem Schwiegervater noch unten an der Hausthür verweilte und dem neugierigen Gastwirthe Kunde von dem überraschenden Verdict der Geschworenen gab.

Der Graf nahm Röschen den Mantel von der Schulter und wagte es – zum ersten Male – ihr [11] dabei einen Kuß auf den weißen Nacken zu drücken, und zwar mit einem so leidenschaftlichen Feuer, daß Gesicht, Brust und Nacken der jungen Frau davon wie mit Scharlach übergossen wurden.

Röschen drehte sich langsam um und sah den Grafen mehr verwundert als zornig mit den hellen, braunen Augen an.

Der Graf ergriff die kleine Hand und versuchte sich durch die Sprache der Augen zu erklären, durch jene Sprache, die so verständlich ist, wenn sich die Herzen verstanden haben. Röschen verstand den Grafen nicht, sie zog ihre Hand aus der des Grafen und sagte kalt:

»Ich verstehe Sie nicht, Herr Graf, Ihr Benehmen ist auffallend!«

»Schönes Weib!« flüsterte St. Aignan, der für Koketterie hielt, was Natur war, »ich liebe Dich, ich vergehe vor Liebe für Dich, fühlt denn Dein Herz nichts für mich?«

»Ich bin Ihre ergeb'ne Dienerin, Herr Graf!« antwortete Röschen und zog die Klingel.

Ein wahrhaft teuflischer Zug flog wie eine Wetterwolke über das Gesicht St. Aignan's; Röschen bemerkte es nicht und wußte die eintretende Dienerin [12] so lange im Zimmer zu beschäftigen, bis Herr Strobel mit seinem Schwiegervater erschien.

St. Aignan hatte seine sonstige Sicherheit, seine Fassung ganz verloren, das hatte er nicht erwartet, er verließ unter irgend einem Vorwande das Zimmer.

Röschen war viel zu klug, um ihrem Gemahl etwas von St. Aignan's Benehmen zu sagen, sie hätte Herrn Strobel nur nutzlos eifersüchtig gemacht und daß sie sich demnach ganz allein auf sich verlassen müsse, wußte sie recht gut.

St. Aignan hatte indeß von Viertelstunde zu Viertelstunde auf ein heftiges Zusammentreffen mit Herrn Strobel gewartet, da indeß nichts von alledem erfolgte, so begann der kluge Sohn Rafaëla's also zu raisonniren: »Röschen hat ihrem Gemahl nichts gesagt, also war ihr Widerstand Verstellung; sie verräth mich nicht, also liebt sie mich; sie liebt mich, also will sie sich mir ergeben!«

Wenn der Graf also raisonnirt hätte einer Pariser Salondame gegenüber, so wäre seine hochgräfliche Logik unübertrefflich gewesen, hier aber sah er über Dinge hinweg, die er nicht übersehen durfte bei seinen Operationen gegen Röschen.

Als St. Aignan wieder mit dem jungen Ehepaare[13] zusammentraf, wurde es ihm zur Gewißheit, daß Röschen ihrem Gemahl nichts gesagt habe, er triumphirte und näherte sich mit moderner Unverschämtheit der von ihm beleidigten Frau, diese empfing ihn kühl, gleichgültig, verächtlich beinahe, nicht daß sich in ihren Worten, in ihren Geberden Verachtung ausgesprochen hätte, nein, durchaus nicht. Nur ein äußerst feiner Beobachter hätte es bemerken können und St. Aignan war hier zu sehr Partei, um unbefangen zu beobachten. Röschen dachte wenig Gutes vom Grafen St. Aignan; ihr, schon mehrfach erwähntes, Rechtsgefühl hielt es für eine Unredlichkeit von Seiten des Grafen, sich der Frau eines Andern mit Liebesanträgen zu nähern, aber dieses Verbrechen hätte Röschen dem jungen Manne vergeben, wenn er sich nun zurückgezogen hätte, das Bleiben St. Aignan's nach einer solchen Abweisung, sein fortgesetztes Courmachen schien ihr mit der Würde eines Mannes unverträglich und nun half dem Grafen seine gewandte Rednergabe nichts mehr, seine tiefen Kenntnisse breitete er umsonst aus vor Röschen, er machte keinen Eindruck mehr auf die junge Frau.

Es ist eine ungerechte Gerechtigkeit, die von den Frauen unerbittlich geübt wird gegen die Männer; [14] ein Mann, der ihre Achtung verloren hat, kann nie auf ein gerechtes Urtheil von ihnen rechnen, ein Fehltritt, als Mensch begangen, vernichtet in ihren Augen alle seine glänzenden Talente, und die genialsten Schöpfungen eines Goethe z.B. machten keinen Eindruck auf die weimarischen Damen, weil der große Dichter seine Haushälterin, Demoiselle Vulpius, geheirathet hatte.

St. Aignan nun, vom vorgefaßten Urtheil ausgehend, von einer einseitigen Kenntniß der Frauen irregeleitet, von sinnlicher Begier nach dem schönen Leib Röschens gestachelt, bemerkte entweder die Kälte gar nicht, die in dem Benehmen der jungen Frau lag, oder er hielt sie für eine feine Koketterie, er glaubte eben darum fest an eine Zuneigung Röschens zu ihm und dachte in diesem Glauben Alles wagen zu dürfen.

Da Strobel's am andern Tage Mühlhausen, wohin sie nur gekommen waren, um den Schlußverhandlungen über den Bletry'schen Proceß beizuwohnen, wieder verlassen wollten, so beschloß der junge Graf die Nacht zur Ausführung seines Planes zu benutzen.

Wir treten mit St. Aignan um Mitternacht etwa in das Schlafzimmer der jungen Frau; Röschen liegt[15] züchtig verhüllt in dem Bette; von weitem sieht man nur ihre dichten Haarflechten neben dem schneeweißen Nachthäubchen, aber man vernimmt ihre schweren Athemzüge – das schöne Weib schläft, fest vielleicht, aber nicht sanft, ein unruhiger Traum scheint es zu beherrschen, es wendet sich um und der volle Strahl der kleinen Lampe auf dem Nachttisch fällt in das feine Gesicht, dessen Züge in diesem Augenblick den Stempel einer ziemlichen Bangigkeit tragen.

St. Aignan schleicht auf den Fußspitzen näher.

Die eine Hand Röschens liegt flach auf ihrer Brust, die andere ist auf der Decke hingestreckt und hält in den festgeschlossenen Fingern eine Falte des Betttuchs.

Mit glühenden Wangen und funkelnden Augen beugt sich St. Aignan über das Antlitz der Schlafenden, sein Herz pocht mächtig, er glaubt am Ziel seiner Wünsche zu sein, er neigt sich tiefer herab, er sucht mit heißem Verlangen die Lippen der schönen Frau, er will sie küssen, da öffnen sich diese Lippen und im Schlafe murmelt sie leise, aber ganz vernehmlich: »Mörder!«

Wie der Wanderer entsetzt zurückfährt, wenn er auf seinem Pfade plötzlich mit dem Fuß eine Schlange[16] berührt, so fuhr St. Aignan in die Höhe als Röschen im Schlafe »Mörder« sagte.

Das Gesicht des jungen Mannes war bleich geworden, man sah an den zuckenden Zügen die Mühe, die sich der Graf gab, den jähen Schreck zu bekämpfen, den ihm das Wort der schlafenden Frau eingejagt.

Es dauerte lange, ehe sich St. Aignan erholte, nach und nach nur verschwand von seinem Antlitz die tiefe Furche, die ein Wort hineingezogen hatte, das Wort einer schlafenden Frau, endlich richtete er seinen Blick wieder auf das liebliche Gesicht Röschens, sein sinnliches Feuer loderte hell auf von Neuem und zum zweiten Male beugte er sich nieder, eine Frau durch zärtlichen Kuß zu wecken, von der er sich geliebt glaubte. Zum zweiten Male näherte er sein Antlitz so weit dem der Schlafenden, daß er den weichen, warmen Athem der jungen Frau an seiner Wange fühlte, zum zweiten Male näherte er seine Lippen dem halbgeöffneten Munde Röschens und dieses Mal hinderte ihn kein im Schlaf gesprochenes Wort das Weib eines Andern zu küssen. Leise, sehr leise hatte St. Aignan geküßt, Röschen, befangen in einem Traum, erwachte nicht von dem Kuß, aber sie wendete sich unruhig und sprach wieder einige Worte, von denen der Graf nichts verstand.

[17] »Ich kann nicht länger zögern,« sagte St. Aignan zu sich selbst, »ich muß sie wecken, ich muß in ihren Armen schwelgen!«

Er beugte sich nieder auf das Bette und küßte die schlafende Frau heftig; Röschen fuhr empor aus dem Traum.

»Was?« schrie eine Stimme hinter dem Grafen, »Sie um Mitternacht im Schlafzimmer meiner Frau?«

Herr Strobel stand zornig im Gemach, sein Gesicht war noch röther, als sein rothseidner Schlafrock.

»Was ist das? Graf St. Aignan? Was ist das, Strobel?« fragte Röschen verwirrt noch, aber ernst.

»Du fragst noch, nichtswürdige Dirne,« schrie Strobel wüthend, »hast Dir den Galan zur Nacht bestellt und Sie Graf haben mich schändlich betrogen, behalten Sie die elende Fabrikdirne, die es undankbar vergessen hat, daß ich sie aus dem Schmutz herausgezogen und sie emporgehoben habe zu mir, wünsche guten Appetit, Herr Graf!«

Glühend vor Zorn, eilte der eifersüchtige, vom Schein bethörte, Ehemann hinaus.

Graf St. Aignan lächelte ihm nach, diese Scene freute ihn, denn diese Scene mußte ja die liebliche Frau ganz in seine Arme werfen. Er wendete sich nun[18] nach dem Gegenstand seiner Leidenschaft; Röschen war aufgestanden und hatte einen Mantel umgeworfen. Der Graf nahte ihr mit süßer, tröstender Miene.

»Sie entfernen sich, Graf, sonst rufe ich um Hülfe!« wehrte die junge Frau.

»Süßes Kind, verstellen Sie sich nicht länger, das Unglück ist geschehn, lassen Sie den Strobel, ich will für Sie sorgen.«

»Sie sind ein unverschämter Nichtswürdiger, fort!« rief Röschen außer sich. Der Graf bemächtigte sich ihrer Hände.

»Hülfe! Hülfe!« schrie die geängstete Frau, sich unter St. Aignan's Küssen sträubend; dieser, durch den Widerstand, den ihm Röschen leistete, in Wuth gesetzt, wollte ihr den Mund zuhalten, und zugleich gelang es ihm die junge Frau niederzuwerfen, aber Röschen biß ihn so stark in die Finger, daß er genöthigt war seine Hand zurückzuziehen und rief nun noch lauter nach Hülfe.

Der Graf, der in seiner rasenden Leidenschaft brutal wurde, schlug die arme Frau heftig in's Gesicht, so heftig, daß ihm ein Blutstrahl entgegen schoß und Röschen stöhnend zurück auf die Kissen sank: in diesem Augenblick hatte aber auch der Hülferuf der gemißhandelten Frau den Bewohner des nächsten Zimmers hereingeführt, [19] Doctor Faust betrat das Schlafgemach der schönen Frau in dem Augenblick, in welchem St. Aignan die Niederträchtigkeit beging ein Weib zu schlagen. Doctor Faust durchschaute schnell das Vorhaben des Mannes, der die hülflose Lage Röschens benutzen zu wollen schien; Faust faßte den Grafen beim Kragen, warf ihn rückwärts in's Zimmer und kniete sich auf ihn.

»Nichtswürdiger, was beginnst Du?« rief er ihm zu, »Gewaltthat an einem schwachen, wehrlosen Weibe?«

Umsonst sträubte sich St. Aignan, er suchte sein Gesicht zu verbergen.

»Du bist St. Aignan!« sprach Faust indignirt, »wo ist Don Juan's Tochter? Wo ist Toska?«

»Laßt mich jetzt, Faust!« stöhnte St. Aignan unter dem furchtbaren Druck der Hände und der Kniee des Doctor's, »Ihr sollt Alles wissen, laßt mich jetzt!«

Eben trat Röschens Vater und auch Strobel in's Zimmer, schreiend warf sich Mensdorf auf den blutigen Leib seiner Tochter, die er nicht für ohnmächtig, sondern für todt hielt, und Herr Strobel fragte leichenblaß: »Was ist hier vorgegangen, hier im Zimmer, im Schlafzimmer meiner Frau?«

»Herr!« entgegnete Faust aufstehend, aber seinen Fuß mit gewaltigem Druck auf die Kehle des Grafen[20] setzend, »wenn das junge Weib dort Ihre Frau ist, so schützen Sie dieselbe besser, ein Hülferuf rief mich hierher, ich sah das arme Weib den brutalsten Mißhandlungen dieses Menschen erliegen, ich sah ein Verbrechen begehen, aber ich kam noch zeitig genug, um ein größeres zu verhindern, schicken Sie nach einem Arzt.«

Strobel hatte kaum von den Mißhandlungen gehört, die seine Frau von St. Aignan erlitten, als ihm sein böses Gewissen sagte, daß er durch seine übereilte, nicht zu rechtfertigende Hitze, Röschen dieser Brutalität ausgesetzt habe, das blutende Antlitz der Ohnmächtigen überzeugte ihn von dem Ungrunde des Verdachtes, den er gehegt, er machte sich die bittersten Vorwürfe und wusch mit zitternden Händen und Thränen im Auge das Blut aus dem Antlitz einer Frau, die er furchtbar beleidigt und zwar ohne Grund beleidigt zu haben sich bewußt war.

Faust hieß St. Aignan aufstehen, führte ihn hinaus und sagte draußen gebieterisch zu ihm: »Ihr Ehrenwort, Graf St. Aignan, daß ich Sie auf Ihrem Zimmer in etwa einer Stunde finde.«

»Sie haben es!« antwortete der Graf mürrisch und kurz.

[21] Faust kehrte in Röschens Zimmer zurück, seiner Erfahrung gelang es gar bald mit starken Essenzen die Ohnmächtige in's Leben zurückzurufen. Als er sich entfernte, fragte Strobel sehr höflich, wem er für die Rettung seiner Frau zu danken habe.

»Ich bin der Doctor Faust!«

»Ah! vielleicht der Bevollmächtigte des Herrn Generals von Aurinia?«

»Derselbe!«

»So sind wir bereits Bekannte, Herr Doctor!« rief Strobel freudig, »das dort ist mein Röschen und ich bin Strobel!«

Faust warf einen seltsamen Blick, einen Blick, in dem sich die tiefste Theilnahme mit einer achtungsvollen Neugierde mischte, auf das junge, zarte Weib, Röschen dankte matt durch einen sanften Gruß ihrer braunen Augen.

»In dem Weibe besitzen Sie einen Schatz, Herr Strobel!« sagte der Doctor leise zu Strobel, »bewahren Sie ihn besser, als in dieser Nacht, Brutalität, wie ich sie heute gesehen habe, muß jeden physischen Widerstand vernichten; leben Sie wohl, Herr Strobel, wir sehen uns vielleicht heute noch.«

[22] Der Doctor küßte ehrfurchtsvoll Röschens kleine Hand, die, jetzt von der groben Arbeit emancipirt, eine völlig aristocratische, feine Form zeigte und ließ das junge Ehepaar allein. Als er hinaustrat hörte er unten einen Wagen abfahren,

»Wer reis't so früh schon ab?« fragte er den Kellner, der mit einer Leuchte in der Hand herauf kam.

»Der Herr Graf von Aignan!« antwortete der Diener, »er bestellte vor einer halben Stunde etwa Extrapost.«

»Schuft!« murmelte Faust und begab sich in sein Zimmer.

Unterdessen hatte sich Strobel zaghaft dem Bette seiner Frau genähert und unter irgend einem Vorwande den alten Mensdorf entfernt. Er setzte sich nieder auf den Rand des Bettes und nahm eine von den Händen seiner Frau. Röschen ließ es geschehen und sah den Mann, der ihr mehr verdankte als er begreifen konnte, mit einem schmerzlichen Blick an.

»Bist Du mir böse, Röschen?« fragte Herr Strobel.

»Nein, gewiß nicht!« antwortete die junge Frau leise.

»Du hast mir meinen Argwohn verziehen?«

»Ja, denn Du siehest ja jetzt ein, daß Du unrecht gehabt hast.«

[23] Herr Strobel wollte seine Frau küssen, aber diese wehrte ihn ab und sprach ernst: »Du hast mich eine nichtswürdige Dirne genannt, eine elende Fabrikdirne, die Du aus dem Schmutz gezogen, das ist wahr, aber Du sollst Dich auch nicht mehr besudeln in der Gemeinschaft einer solchen Dirne, die Du verachten mußt.«

»Röschen, ich bitte Dich!« rief Strobel.

»Nein,« antwortete die junge Frau entschieden, »es war eine Thorheit, daß ich Dich heirathete, es war thöricht, daß ich glaubte, Du würdest je das Verhältniß vergessen können, in dem ich früher zu Dir stand, Du kannst mich nicht so achten, wie ich als Frau geachtet sein will, Du mußt mich verachten, weil ich einst ein schmutziges, hungerndes Fabrikmädchen war, das Dir freiwillig, für einige Groschen, den Genuß ihres jungfräulichen Leibes anbot –«

»Röschen, geliebtes Weib, hör' auf!«

»Nein, nein,« fuhr die ehemalige Fabrikdirne fort, »morgen trenne ich mich von Dir, ich will wieder arbeiten wie ehemals, Du sollst nichts wieder von mir hören, Du sollst nicht die Schmach haben, eine ehemalige Fabrikdirne Deinen vornehmen Freunden als Deine Frau zu zeigen.«

[24] Strobel bat vergebens, Röschen war unerschütterlich, ihr entschieden selbstständiger Charakter hieß sie diese anscheinend grausame Strenge gebrauchen. Im Grunde seines Herzens, dachte Röschen, schämt sich Strobel meiner, ich bin ihm lästig, wär' ich nicht seine Fabrikdirne gewesen, er würde es nicht gewagt haben, jenen furchtbaren Verdacht gegen mich auszusprechen, er würde mich, als seine Frau, sogleich vertheidigt und mich nicht der Brutalität des Grafen ausgesetzt haben.

Röschen wollte sich alles Ernstes entfernen von ihrem Gemahl, aber nicht, weil dieser sie beleidigt hatte, sondern weil sie sich innerlich überzeugt hielt, Strobel verachte sie und habe sie eigentlich nur aus sinnlichem Wohlgefallen um sich. Bei den beschränkten Einsichten, die eine Frau von Röschens Erziehung und Leben haben mußte, wird man diesen Glauben natürlich finden und gewiß die großsinnige Entsagung anerkennen, die auch in dieser entschlossenen That wieder lag.

Der alte Mensdorf kehrte zurück, auf Strobels Bitte suchte auch er vergeblich Röschens Sinn zu rühren und weinend wie ein Kind ergab sich Strobel endlich in sein Schicksal. Diese aufrichtige Rührung ihres schwachen Gemahls hätte Röschens Vorsätze beinahe erschüttert; »er ist wie ein Kind, du kannst ihn [25] nicht allein lassen!« dachte sie, aber ihr Rechtsgefühl kämpfte die sanftere Regung wieder nieder, und am Morgen nahm Strobel, der gar nicht daran dachte, daß er das Recht hatte, daß er seine Frau zwingen konnte bei ihm zu bleiben, Abschied von Röschen, die sich mit ihrem Vater nach Trier begab und ihrem Gemahl nur auf vieles Bitten erlaubte sie dort nach Jahresfrist zu besuchen.

Staunend hatte Doctor Faust Röschen ohne ihren Gemahl abreisen sehen, es war ihm leicht von dem wirklich tiefbekümmerten Strobel die Wahrheit zu erfahren. »Lassen Sie das gut sein, lieber Herr,« tröstete er, »in Zeit von einigen Wochen sind Sie versöhnt, haben Sie Ihre Frau wieder, dafür lassen Sie mich sorgen, aber daß sie dann bei Ihnen bleibt für immer, dafür sorgen Sie!«

Strobel glaubte zwar nicht recht an den Trost, den ihm Faust spendete, dennoch aber that ihm diese geringe Hoffnung schon wohl und etwas beruhigter reis'te er nach Cöln, wohin ihn Doctor Faust begleitete, aber von dort aus ohne Aufenthalt sogleich seine Reise fortsetzte.

Am Tage nach seiner Ankunft in Cöln begab sich Herr Strobel in ein bedeutendes Banquierhaus, um [26] einige Papiere umzusetzen; seine Reisekasse war erschöpft, da er Röschens Vater eine große Summe für den Unterhalt seiner Tochter aufgenöthigt hatte.

Er gab einen sehr bedeutenden Wechselbrief ab und wurde sogleich zum Banquier selbst geführt, der ihn höflich empfing, aber bedauerte das Papier nicht honoriren zu können, da gestern Abend durch Estafette die Nachricht eingetroffen sei, daß Blauhelm und Söhne fallirt hätten.

Herr Strobel erbleichte, denn er besaß über dreimalhunderttausend Thaler in Papieren auf dieses renommirte Haus, indeß faßte er sich, er bat den Banquier, ihm ein französisches Papier in Gold umzusetzen, was sehr bereitwillig geschah.

Die Herren unterhielten sich während dieser Zeit und nun erfuhr der arme Strobel, daß Blauhelm und Söhne einen betrügerischen Bankerott gemacht, daß beim Concurs sich kaum ein halbes Procent ergeben würde, kurz Herr Strobel erfuhr, daß das Haus, bei dem er seine Fonds angelegt, dem er das meiste Vertrauen geschenkt, daß ihn dieses um sein Vermögen betrogen habe.

Als ein reicher Mann war Strobel in das Haus des kölnischen Banquiers getreten, als ein armer Mann[27] verließ er es, denn was waren für ihn, der nie arbeiten oder entbehren gelernt hatte, die fünfzehn- bis zwanzigtausend Thaler, die er noch besaß; im besten Falle trugen ihm diese etwa tausend Thaler Zinsen und davon konnte Strobel nicht leben. Dennoch war der junge Mann keineswegs so verzweifelt als man hätte denken können, er lebte nicht anders als früher, er hatte ja noch zwanzigtausend Thaler, die ihn gegen den Mangel vertheidigten, er dachte viel mehr an den Verlust seiner Gattin, als an den Verlust seines Vermögens. Das könnte auffallen bei einem so leichtsinnigen Egoisten wie Strobel, aber ist es nicht natürlich, daß er nur den Verlust beklagt, der sich empfindlich bemerkbar macht, nicht den, der noch hinter der Schanze der zwanzigtausend Thaler lauert?

Der Verlust seines Vermögens war dem Herrn Strobel noch nicht mit seinem Gefolge von Mangel, Noth, Elend, Hunger u.s.w. entgegengetreten, der Verlust Röschens aber machte sich jede Minute bemerklich, überall fehlte Röschen dem armen Strobel, so wie der Stock dem alten Manne fehlt, der ihn zur Stütze brauchen muß. –

[28]
2. Der achtzehnte Mai 1845
II. Der achtzehnte Mai 1845.
[29][31]

Das kleine, hübsche Haus dicht am Thor der alten Augusta Trevirorum, das kleine, hübsche Haus, weiß angestrichen und mit Schiefer elegant bedacht, mit grünangestrichenen Jalousieen und grünbemalter Thür gehört dem jungen Advocaten Daniel Wolfshagen, dem es sein Schwiegervater, der reiche Leu aus Augsburg, zum Hochzeitgeschenk gemacht hat.

Eine junge Frau, eben so schmuck wie das Häuschen, ist in dem Gärtchen zwischen der weißen Wand des Hauses und dem grünen Stacket beschäftigt, wir wissen nicht, ob es Zwiebeln sind, oder was sonst, was die junge Frau dem Mutterschooß der Erde anvertraut, aber das wissen wir, daß wir es dem Herrn Advocaten Daniel Wolfshagen gar nicht übel nehmen sich eine so hübsche Frau erküret zu haben unter den Töchtern des Landes.

Der Herr Advocat sitzen seit einer halben Stunde vielleicht schon im knappen, schwarzen Frack und[31] Unaussprechlichen von gleicher Farbe in seiner Studierstube und schneiden aus Langerweile bereits die dritte Feder. Das Gesicht des jungen Rechtsgelehrten verräth eben nicht den außerordentlichen Scharfsinn, den Herr Wolfshagen, ein zweiter, weiser Daniel, so oft gezeigt, sondern es ist unbedeutend und verliert ganz und gar, weil, ganz modern, die Augen durch ein Paar ungeheure Brillengläser maskirt sind.

Die Hausthüre knarrt, der junge Advocat springt auf, ein leiser, leichter Tritt knirscht auf dem Sande, mit dem das Vorhaus bestreut ist.

»Ach, Antonie ist's!« murmelt der scharfsinnigeIctus, der den Tritt seiner schönen Frau sehr genau kennt, und placirt sich aufs Neue auf seinen Nußbaumenen, zierlich mit Saffian beschlagenen Lehnstuhl, dann faltet er die Hände über dem Tisch zusammen und starrt gelangweilt ein Portrait Savigny's an, das ihm gegenüber an der Wand hängt.

Der junge Herr war sichtlich gelangweilt und wir sind großmüthig genug ihn schnell aus dieser peinlichen Lage zu befreien, wir lassen die Thüre knarren, an die Thüre des Zimmers klopfen, den Advocaten erfreut aufspringen und herein! rufen und sehen ihn endlich von Angesicht zu Angesicht mit einem alten Menschen, [32] der sich vergeblich bemüht sein lederfarbiges Gesicht zu einem freundlichen Grinsen zu verziehen, aber dieses schwere Geschäft nach einigen mißrathenen Bemühungen aufgiebt und sich begnügt mit den Enden seines grauen Schnurrbarts und den Ohren zugleich recht freundschaftlich zu wedeln.

»Unser Herr Landrath, der Herr Oberstwachtmeister von Ponickau schickt mich hierher, Sie wüßten schon Alles; ich heiße Mensdorf, vormals im königlich preußischen Infanterieregiment Prinz Heinrichvacat.«

»A ja, lieber Freund!« rief der Advocat freudig, »setzen Sie sich doch, ich habe gestern die Briefe des Herrn Landraths von Ponickau erhalten, die Documente find richtig, Sie sind wirklich ein Sohn des wohlseligen Herrn Rittmeisters Johann Mensdorf; ich habe Ihnen eine Mittheilung zu machen, doch gedulden Sie sich eine Weile, es sind mir noch einige Glieder der Familie angemeldet.«

Der Unterofficier Mensdorf nahm still und stocksteif Platz auf einem Stuhl und verfolgte mit den Augen eine Fliege, die hin und her lief an der weißen Wand des Zimmers. Der Advocat legte Papiere zurecht, suchte, sah nach der Uhr und sprang endlich nach der Thür, um Röschen und deren Vater eintreten zu lassen.

[33] »Herr Mensdorf, wenn ich nicht irre und Madame Strobel?«

»Ja, Herr Advocat, Sie haben meinen Brief erhalten?« fragte Röschen, die, seit wir sie nicht gesehen haben, sehr blaß geworden ist.

»Allerdings Madame,« erwiederte Wolfshagen, »die Documente sind zweifellos richtig, Ihr Herr Vater ist der ältere Sohn des zweiten Sohns des wohlseligen Herrn Rittmeisters Johann Mensdorf; nehmen Sie Platz, wenn ich bitten darf.«

Röschen und ihr Vater nahmen Platz; der Unterofficier ließ seine Fliege laufen und starrte unverwandt den Mensdorf an, bis dieser endlich anfing: »Mein Herr, Sie haben eine große Aehnlichkeit mit meinem verstorbenen Vater!«

»Hm!« erwiederte der Unterofficier, spuckte an die Erde, wedelte mit den Ohren und sah den Advocaten an.

»Warum antworten Sie Ihrem Neffen nicht, Herr Unterofficier? Sie sind ja der jüngste Bruder von Herrn Mensdorf's Vater!« nahm der Advocat das Wort.

»Es freut mich herzlich Sie zu sehen, Oheim, Sie noch so spät kennen zu lernen!« rief der ehemalige Fabrikarbeiter.

[34] »Es ist also der Sohn des Bruders Johann Wilhelm? na freut mich und das ist die Tochter? na freut mich, hätte nicht gedacht, daß ich so propre Verwandtschaft hätte!« mit diesen Worten drückte der Unterofficier die Hände seiner Verwandten und brachte dabei Schnurrbart und Ohrlappen in eine so heftige Bewegung, verzerrte sein Gesicht so komisch, daß sich Röschen Gewalt anthun mußte, um nicht laut auf zu lachen. Eben drohte der heftige Anreiz zum Lachen alle ihm entgegengesetzten Dämme zu durchbrechen, als Röschens Aufmerksamkeit glücklicher Weise auf einen andern Gegenstand geleitet wurde. Die Thür des Zimmers wurde nämlich hastig geöffnet und heftig wieder zugeschlagen. »Donnerwetter, ich dachte ich käme zu spät!« sagte eine jugendlich frische Stimme und ein hübscher, etwa dreiundzwanzigjähriger junger Mann in einem blauen Schnurenrock und weißen Kasimirbeinkleidern stand am Tisch des Advocaten.

»Guten Morgen, altes Haus!« rief er, dem Rechtsgelehrten die Hand schüttelnd, »ich hatte es verschlafen, auf grand cerevis, das verdammte Kameel, der Kellner, hatte mich blos zweimal geweckt!«

Der Advocat lächelte und sprach dann: »Ich stelle den geehrten Anwesenden einen Verwandten, den Studiosus [35] der Theologie, Herrn Mensdorf vor; lieber Mensdorf, hier Ihre Cousine, Madame Strobel, geborne Mensdorf, hier Herr Particülier Mensdorf, der Bruder Ihres Vaters; hier Herr Unterofficier Mensdorf, der Oheim Ihres Vaters!«

»Erlauben Sie Cousinchen, daß ich Ihre schönen Lippen küsse!« rief der Student und that, was er gesagt, ohne die Erlaubniß abzuwarten. »Morgen, Oheim, freut mich sehr ihre Bekanntschaft zu machen und auch Ihre Großoheim; ha, ha, ha! Oheim, warum wackelt Ihr denn mit den Ohren?«

»Na, freut mich, na, freut mich!« murmelte der Unterofficier »und wenn ich mich freue, wackele ich mit den Ohren!«

»Hast Du je so was gesehen, Wolfshagen, daß man sich vor Freude wälzen kann, ja das begreif ich, aber mit den Ohren wackeln?« wendete sich der Student an den Advocaten, dieser aber antwortete ernst:

»Ich bitte Dich, Mensdorf, sei ein wenig ruhig, setz Dich neben Deine schöne Frau Cousine, wir haben hier Wichtiges zu thun.«

»Ja, bei Euch Philistern ist Alles wichtig!« brummte der Student, ließ sich aber doch neben seiner Cousine [36] nieder und fragte sie leise: »Wie heißen Sie, diamant'nes Cousinchen?«

»Therese!« erwiederte Madame Strobel lächelnd.

»Himmlische Therese,« declamirte der Student, »Du bist mir doch nicht böse, denn ich, ich liebe Dich!«

Der Advocat warf seinem ehemaligen Universitätsfreunde einen bittenden Blick zu und räusperte sich; der Student wisperte seiner Cousine zu: »Wie viel verdient der Großoheim täglich, wenn er sich als Vogelscheuche vermiethet? Sehen Sie, Königin meines Herzens, sehen Sie, wie er mit den Ohren wackelt?«

»Verehrte Anwesende!« begann der Advocat mit einigem Aufwande von Würde, die ihm etwa stand, wie dem Affen ein Generalshut, »ich habe Ihnen eine Eröffnung zu machen und zwar, nach dem Willen meines hochverehrten und wohlseligen Herrn Committenten, gemeinsam und in Gegenwart keines Menschen, der nicht den Namen Mensdorf führt –« bei diesen Worten hub der Advocat seine Augen von ungefähr auf und erblickte das liebliche Gesicht seiner jungen Frau an dem Fenster, das sich oberhalb der in's Nebengemach führenden Thüre befand, dieser Anblick verwirrte den würdigen Priester der Themis etwas, doch fand er sich bald wieder und begann auf's Neue: »da nun alle [37] Glieder der Familie Mensdorf hier versammelt sind und kein fremdes Ohr zugegen, so will ich mit meiner Eröffnung beginnen.« –

»Finden Sie das nicht schauderhaft ledern, zuckersüßes Cousinchen?« flüsterte der Student und küßte Theresens Hand, »sehen Sie selbst, der Großoheim freut sich nicht, denn er wackelt nicht mehr mit den Ohren.«

»– Der hochgeborene Graf Emanuel von Mensdorf,« sprach der Advocat, »fiel als kaiserlicher General-Feldwachtmeister auf dem Bette der Ehren bei Nördlingen –«

»Famose Paukerei das, Cousinchen, zwischen den Schweden und den Kaiserlichen!« erläuterte der Theolog.

»– und hinterließ, abgesehen von dem hochgräflichen, annoch florirenden, Hause Mensdorf einen Sohn erster Ehe, der sich seines gräflichen Wappens entschlagen und in's Ausland gegangen war. Ist aber urkundlich schon ein Sohn dieses Mensdorf wieder zurückgekehrt und hat in Belgien, in Frankreich und auch im Reich, namentlich aber im damaligen Erzstifte Trier bedeutende Güter besessen, die ihm vermuthlich von seines Vaters Mutter, einer Holländischen von Adel, deren Name selbst in den Urkunden nicht gewiß ist, verlassen [38] worden sind. Dieser zurückgekehrte Sohn war der Zweite des Stammvaters der ältern, nicht mehr gräflichen, Linie der Mensdorfe; von dem ältern Sohne fehlen die Nachrichten, doch hat im Jahr 1735 und dann wieder 1745 sich der nachmalige Rittmeister Johann Wilhelm Mensdorf, als einzigen rechtmäßigen Nachkommen des ältern Sohnes des Stammvaters der ältern Linie, hinlänglich und urkundlich ausgewiesen, ist demnach für Sie, verehrte Anwesende, nur nothwendig gewesen Ihren Zusammenhang mit gedachten Herrn Johann Wilhelm Mensdorf, weiland königl. preuß. Rittmeister, nachzuweisen; da solches von Ihnen nun überall genügend geschehen ist, so –«

»sind wir wieder da, wo wir angefangen haben!« ergänzte der Student und lehnte sich gähnend in seinen Stuhl zurück;

»so will ich Ihnen die letztwillige Verfügung meines hochgeehrten und wohlseligen Herrn Comittenten eröffnen.«

Der Advocat nahm ein offenes Papier in die Hand und las mit vernehmlicher Stimme:

»Am 18ten Mai 1845 soll der Advocat Daniel Wolfshagen zu Trier mein Testament eröffnen und[39] deßhalb alle Glieder meiner Familie durch öffentlichen Aufruf einladen. Dies ist mein Wille.


Geschrieben am 11. Juli 1842 in meinem

Pallaste zu Afranib auf der Insel Berna.


Unterzeichnet

Carl Johann,

souverainer Fürst und Herr von Berna, dem

Hause Mensdorf in Deutschland entsprossen. mp.


(L. S.) gegengez.

Karl Laube, Kanzler.«


»Geehrte Anwesende,« erklärte der Addocat, »Sie ersehen aus diesem auf Pergament geschriebenen Documente, daß mein hochverehrter und wohlseliger Herr Auftraggeber eine Art von König einer Insel im stillen Meer gewesen, daß Sie also als Verwandte eines souverainen Herrn hier erschienen sind, um dessen letzten Willen zu vernehmen.« Darauf nahm er ein zweites Papier und las:


»Gestern Nachmittag gegen vier Uhr ist unser Durchlauchtigster Fürst und Herr, Herr Carl Johann, aus dem Hause Mensdorf, eines sanften Todes verblichen und seinem Wunsche gemäß heute Morgen blos mit militairischer Begleitung und unter Vortritt der großen Hofchargen in dem von ihm erbauten St. Annendome [40] beigesetzt worden. Das ganze Reich ist in tiefster Trauer. Sie werden davon unverzüglich in Kenntniß gesetzt und Ihnen die Beilagen A. B. C. D. nach dem Willen des hohen Verstorbenen übersendet.


Afranib am 19. Juli 1842.


An den Advocaten
Wolfshagen
zu Trier in Europa.

Das fürstliche Oberhofmarschallamt.
Ritter Anton
Riemschneider,
in Vertretung Sr. Excellenz des
Oberhofmarschalls.

Letzter Wille
des
Fürsten Carl Johann von Berna.

Verhandelt im fürstlichen Pallaste zu Afranib auf Berna am 9ten Juni 1842.«

Der Befehl Sr. Hoheit des Fürsten berief uns Endesunterzeichnete am heutigen Tage um die Mittagsstunde in das fürstliche Residenzschloß und leider fanden wir das umlaufende Gerücht bestätigt: unser geliebter Fürst und Herr lag schwer erkrankt darnieder und begehrte sein Testament zu machen, sein Haus zu bestellen und dictirte mir Carl Lauben, Reichskanzler von Berna, in Bezug darauf Folgendes:

[41] Gleich nach meinem Hintritt wird mein Tod dem Advocaten Daniel Wolfshagen in Trier gemeldet und ihm ein Kästchen, mit dem Buchstaben A. bezeichnet, welches der Oberhofmarschall bis dahin in Verwahrung nimmt, übersendet, die Originalschrift dieses Testamentes beigefügt und das Alles möglichst rasch durch ein Segelschiff über Amerika befördert und verlange ich von dem Advocaten, er wolle der ihm gewordenen Instruction treulich nachkommen, sich aber für seine Mühe durch Annahme von eintausend Stück Ducaten bezahlt machen. Die Instruction, die ich ihm gebe, ist die: wenn meine Verwandten, nach gehörigem Nachweis ihrer Abstammung von meinem Vetter Johann Wilhelm Mensdorf, an einem später von mir festzusetzenden Tage versammelt sind, so soll ihnen der Advocat eine Schrift vorlesen, die sich bei dem oben bezeichneten Kästchen befindet und eine Geschichte meiner Familie und meines Lebens enthält, dann soll er diese Papiere dem Gliede der Familie übergeben, welches das höchste Gebot darauf thut und die gebot'ne Summe soll den Armen der Stadt Trier zufließen. Ist das beendet, so wird der Advocat mein Privatvermögen aus dem Kästchen nehmen, es, nicht nach Stämmen, sondern nach Köpfen vertheilen und zwar so, daß jede Frau, oder überhaupt [42] jede Person weiblichen Geschlechts, noch einmal so viel bekommt als ein Mann; sodann verleihe ich kraft meiner fürstlichen Prärogative jedem Mitgliede der Familie Mensdorf Staatsbürgerrechte in meinem Fürstenthume Berna; mein treues Volk wird die Glieder meiner Familie gern unter sich wohnen lassen und mein Nachfolger wird sie gnädig ansehen, denn, wen auch die Stimme des Volkes erheben sollte, ein Feind von mir kann nicht mein Nachfolger werden. Mein herzlicher Gruß für Alle, die den Namen Mensdorf tragen im alten Europa.


Carl Johann,

souverainer Fürst und Herr.

(L. S.)

Ludwig Baring, Hans Berthold Wagner,

Vorsitzender der Kammer. Reichsobermarschall.


Otho Hübschmann, Friedrich Anton Bernd,

Bürgermeister von Afranib. Reichsvicedrost.


Curt von Art, Conrad Walz,

Gardehauptmann. Obersthofmarschall.


Walter Schweighuber,

Leibarzt.


Geschrieben von mir Carl Lauben, dem Reichskanzler und erstem Schatzmeister.

Als der Advocat Herr Daniel Wolfshagen also gelesen hatte, herrschte eine tiefe Stille in dem Gemach;[43] der alte Unterofficier begriff die Sache nicht; Röschen sah sich als Fabrikdirne und ihren Vetter als hochgebietenden Fürsten auf dem Throne; der Student erkundigte sich, ob zu Afranib eine Universität sei, welcher Comment dort herrsche, ob die Verbindungen dort verboten u.s.w. Der unerschütterliche Ictus würdigte seine Fragen keiner Antwort, sondern ersuchte ihn und die andern Mitglieder der Familie sich von der Integrität der Siegel an einem ziemlich breiten und hohen Mahagonikästchen zu überzeugen, dann löst er solche vorsichtig und öffnet das Kästchen mit einem kleinen Schlüssel, der sich in einem versiegelten Couvert befand. Er hebt den Deckel auf und nimmt das oberste Papierpacket auf, es ist mit einem dreifarbigen Faden umwunden, an dem ein Wachssiegel hängt.

Auf dem ersten Blatte steht mit großen Buchstaben:


Geschichte

der

Familie und des Lebens Carl Johanns Mensdorf, der ein regierender Fürst und Herr der Insel Berna im stillen Oceane geworden – niedergeschrieben von ihm selbst.


Auf dem zweiten Blatte stand:


Allen lebenden Mitgliedern der Familie Mensdorf [44] in Europa sind diese Blätter gewidmet und möge das Andenken des Schreibers in Ehren bleiben bei Allen so Gegenwärtiges lesen.


Auf dem dritten Blatte erst begann die Lebensgeschichte und Herr Daniel Wolfshagen hub an zu lesen, wie folgt:


»Der Stammvater aller der Personen, so jetzt den Namen Mensdorf, ohne das gräfliche Prädicat, führen, ist Johann Ernst Victor Emanuel, ein geborener Graf Mensdorf und Herr zu Preitenstein. Dieser ist ein trotziger und gewaltthätiger Herr gewesen, gerade wie sein Vater auch, und hat es nicht an Funken fehlen können, wenn diese Beiden, wie Stahl und Stein, aneinander gerathen sind. Nun hat Victor Emanuel eine Niederländische von Adel zur Mutter gehabt, welcher Frau er mit der innigsten Liebe zugethan gewesen, und hat es nicht wohl vertragen können, wenn sein Herr Vater nicht eben allzusanft umgegangen mit der schönen, blassen Frau. So ist Victor Emanuel auch, als ein Jüngling von zwanzig Jahren, zugegen gewesen, als der alte Graf gar übel umgegangen mit seiner Gemahlin, nur mit Mühe hat er sich halten können, da aber der Graf seine Mutter hart geschlagen, hat er es nicht mehr vermocht, sondern der Sohn hat Hand gelegt [45] an den Vater, ihn niedergeworfen und ihn in der Wuth mit Füßen getreten, hat dann, ehe sein Vater wieder zu sich gekommen, seine Mutter genommen und viele Schätze und ist mit ihr geflüchtet vor dem Zorn des alten Grafen. Zu Groß-Nowgorod im moskowitischen Reich hat er sich niedergelassen mit seiner Mutter, sich seines Grafentitels entschlagen und Handelsgeschäfte getrieben. Der alte Graf aber daheim hat ihn verflucht, seiner Gemahlin Tod für gewiß angenommen, sich auf's Neue vermählt und eine Nachkommenschaft erzielt, die noch heute blüht und grünt. Haben einander nie wiedergesehen Vater und Sohn, haben nie später die Nachkommen des Vaters mit den Nachkommen des Sohnes in Verbindung gestanden, sind zwei ganz verschiedene Familien und Geschlechter geworden, getrennt durch den Fluch, den der Vater auf das Haupt seines Sohnes geschleudert hatte. Die Gräfin von Mensdorf aber ist zu Groß-Nowgorod im moskowitischen Reiche alt und wohlbetagt in den Armen ihres Sohnes gestorben und hat die letzten Jahre ihres Lebens nichts gethan, als eitel Segenssprüche über ihren Sohn gebetet. Beides hat in der Folge seine Kraft seltsam bewährt, der Fluch des Vaters, wie der Segen der Mutter; wenn wir nun auch im neunzehnten [46] Jahrhundert nicht mehr glauben, daß ein Menschenwort die Schicksale einer Familie bilden könne, so kann man doch nicht leugnen, daß in die Geschichte der Familie Mensdorf Vaterfluch und Muttersegen wunderbar eingegriffen haben, denn es ist seit zweihundert Jahren nunmehr kein Mitglied der Familie, das nicht entweder arm gewesen und reich geworden, oder reich gewesen und arm geworden; es giebt kein Glied der Familie, das nicht dem sonderbarsten Wechsel des Schicksals ausgesetzt gewesen, kein Glied, um dessen Besitz sich nicht Vaterfluch und Muttersegen hartnäckig gestritten.

Der zweite Sohn Victor Emanuels bettelte sich von Rußland nach dem Rhein, weil ihn sein Vater, der ehedem so reich gewesen, nicht mehr ernähren konnte, der Bettler ward am Rhein in kurzer Zeit durch Heirath und Heimfall ein großer Güterbesitzer; so wechselte es immer und haben diejenigen Mensdorfe von großem Glück zu sagen, die anfänglich arm sind, denn sicher werden sie reich an ihres Lebens Ende. Von den Familienmitgliedern habe ich hier nicht weiter Befugniß zu reden, da ich nur unvollkommen über ihre Schicksale unterrichtet bin und selbst das Wenige, was ich weiß, nicht verbürgen kann. Von meinem Vater [47] merke ich nur an, daß er das Unglück hatte reich geboren zu sein, in Ueberfluß erzogen wurde, in der Jugend als großer Herr lebte und im Alter darbte; ich rede hauptsächlich nur von mir, von mir dem es gerade umgekehrt gegangen, denn ich bin schier als ein Bettler geboren, habe mich bis in mein reiferes Alter kümmerlich durch's Leben schlagen müssen und bin doch jetzt nun ein souverainer Fürst und Herr über ein tapferes, edles Volk, zwar nicht von Gottes Gnaden, nicht durch die Rechte meiner Geburt, sondern kraft freier Erwählung aller freigeborenen Einwohner meines Staates.

Also meine Lebensgeschichte: Ich, Carl Johann Mensdorf, bin geboren im Jahr 1759 zu Trier unter dem Krummstab eines geistlichen Kurfürsten und Erzbischofs, an dessen Hofe mein Vater eine ansehnliche Stelle bekleidet hatte bis kurz zuvor ehe ich geboren ward. Ausgezeichnetes Unglück traf meinen Vater; am Tage, da ich das Licht der Welt erblickte, starb nämlich meine Mutter, so von besonderer Schönheit soll gewesen sein, bevor sie mich gesehen und verlor mein Vater durch einen betrügerischen Freund den letzten Rest eines ehedem großen Vermögens. Diese Schicksalsschläge stürzten meinen Vater in unverdiente Armuth, ja in's Elend [48] und er starb schwermüthig als ich kaum fünf Jahr alt war. Ich, ein armes Waisenkind, hätte nun geistig und leiblich verwahrlost werden müssen, wenn sich nicht der kaiserliche Rath, Doctor beider Rechte, Daniel Wolfshagen der Aeltere, aus Mitleid meiner angenommen und mich ein Asyl hätte finden lassen in seinem Hause. Dieser treffliche Mann sorgte von früh an mit großer Umsicht für die Ausbildung meines Geistes, der schon zeitig nicht gewöhnliche Fähigkeiten verrieth und war ich, als ich im neunzehnten Jahre von ihm zur Universität abgesendet wurde, gleich bewandert in theologicis, metaphysicis und humanioribus. Da der ehrwürdige Doctor Wolfshagen damals für Niemanden mehr zu sorgen hatte, sintemalen sein einziger Sohn als Landschaftsconsulent zu Trier fungirte und vermögend war, so stattete er mich zur Universität mit mehr als väterlicher Freigebigkeit aus und spielte ich vier Jahre lang eine bedeutende Rolle unter den Studenten zu Heidelberg, ohne indeß meine juristischen und cameralistischen Studien zu negligiren. Da lief eines Abends die traurige Nachricht bei mir ein, daß mein alter Wohlthäter und väterlicher Freund eines plötzlichen Todes verblichen sei. Nun hatte ich Niemanden mehr auf der ganzen Gotteswelt, der sich meiner hätte [49] annehmen können, denn ein seltsames Gefühl hielt mich ab, mich dem Sohne meines Wohlthäters, dem braven Landschaftsconsulenten zu nähern, ich glaubte es sei allzu unbescheiden noch mehr von der einen Familie zu verlangen, die mir schon so vieles gewährt. Ich verließ Heidelberg übereilt und erfuhr erst zehn Jahre später, daß der edle Sohn meines Wohlthäters zur bestimmten Zeit die nöthigen Wechsel nach Heidelberg gesendet habe und sehr betrübt über meine rasche Entfernung gewesen sei.

Ich aber ging von Heidelberg nach dem nächsten östreichischen Werbeplatze und war wenige Tage später Soldat im Infanterieregimente Prinz Reuß, dessen Mannschaften damals gerade vollzählig gemacht wurden, weil es zu dem Corps des Prinzen von Coburg stoßen sollte, das in Slavonien gegen die Türken stand.

Freilich wurde es dem verwöhnten Studenten, namentlich zu Anfang, nicht wenig sauer und mein Geist besonders empörte sich oft gegen die grausamen Mißhandlungen, die ich, wenn auch nicht selbst duldete, so doch mit ansehen mußte, aber es ging. Lieber Soldat, als Vagabunde oder noch schlimmeres, dachte ich und brachte es bald ziemlich weit in der Gunst meines Corporals und meines Hauptmanns. Ueber drei Jahre [50] lang zog unser Regiment, bald durstend, bald hungernd in Slavonien umher, unserer Feinde aber habe ich keinen einzigen zu sehen bekommen, kann mich also auch meiner Kriegstapferkeit wenig berühmen, obwohl ich mich zu sagen getraue, daß ich auch in der Schlacht meine Schuldigkeit gethan haben würde so gut wie jeder Andere.

Darauf lag das Regiment an verschiedenen Orten in Garnison und nach achtjähriger Dienstzeit erhielt ich, weil ich lesen und schreiben konnte, durch die Fürsprache meines Hauptmanns; die Charge eines Feldwaibels, auf die ich eigentlich noch gar keine Ansprüche hatte. Unser Hauptmann aber, ein Sächsischer von Adel, ein Freiherr von Zedlitz, wenn ich nicht irre, war zwar ein sehr tapferer, guter und braver Herr, aber in seiner Erziehung dermaßen negligirt, daß er eigentlich nichts wußte und ich ihm mit meinen Kenntnissen oft sehr nützlich wurde.

Als ich eben Feldwaibel geworden war, kam unser Regiment nach Wien und ich in Quartier zu einer ehrsamen Bürgerfrau, die eine ausnehmend schöne Tochter hatte und dieser Tochter wegen alle Morgen eine große Anzahl junger Männer ledigen Standes vor ihrem Fenster sah.

[51] Maria Theresia, so hatte man die Dirne nach der großen Kaiserin getauft, war auch wirklich ein so schönes Geschöpf, daß der Herrgott selber seine Freude an ihr, als an einem Meisterstück haben mußte. Maria Theresia war sehr schlank gewachsen, hatte aber dabei doch eine so angenehme Fülle, daß der Beschauer nicht zu begreifen vermochte, wie beides zusammen möglich. Ihr Gesichtchen war länglichrund und wußte man sicher nicht, ob die blauen, großen Augen oder der kleine rothe Mund, die hohe, weiße Stirn, oder die vollen, weiß und roth gemalten Wangen das Schönste war darin. Ihr schwarzes Haar puderte sie nur wenig und ihre Händchen waren so fein und artig, daß sich eine Reichsgräfin derselben nicht hätte zu schämen brauchen.

Im Anfang, da ich bei Mariechens Mutter im Quartier gelegen, bekam ich das schöne Dirnlein gar selten zu Gesicht, aber allemal, wenn ich's sah, gab's mir einen Stich in's Herz und allemal, wenn ich seine liebliche Stimme vernahm, begann ich zu zittern, woraus ich abnahm, daß mir's die schöne Dirne angethan, daß ich sie mehr liebe als mein Leben. Nach und nach begegnete mir's Mariechen öfters, hatte das und jenes Wort für mich, ging nicht mehr aus dem Zimmer,[52] wenn ich eintrat und wurde gar angenehm roth, wenn ich den Muth hatte mit ihm zu reden.

In der Zeit wurde auch die Mutter noch eins so freundlich zu mir und als ich vier Monate in der Kaiserstadt gewesen, hatten wir's uns gesagt, daß wir uns gut wären, uns liebten, die schöne Marie Theresia und ich.

Mein guter Hauptmann, der mich immer mehr in Affection nahm, je mehr er mich kennen lernte, verschaffte mir einen Trauschein. Marie Theresia und ich wurden ein Paar und zwar ein sehr glückliches.

Die ersten Jahre ging's auch ganz vortrefflich, denn Marie Theresia war nicht müßig und griff tüchtig zu in der Wirthschaft mit ihren kleinen weißen Händen; aber als alle Jahre ein frischer Bube in meinem Hause erschien, der Kaiser aber keineswegs die Feldwaibellöhnung erhöhte, so fing's immer spärlicher, ärmlicher an auszusehen bei uns, als am Ende aber gar Marie Theresia's Mutter starb, die ihre kleine Pension mit uns getheilt hatte, da wollte mir mancher Tag recht ängstlich werden und der guten Marie Theresia auch, obwohl das treffliche Weib es sich nicht merken ließ, sondern mich tröstete und bessere Tage zu erwarten vorgab. Es wurde aber immer schlimmer mit uns und[53] nicht besser, bis ich mir endlich eines Tages nach der Parade ein Herze faßte und mit meinem braven Hauptmann redete. Der gute Mann beklagte mich, versprach für mich zu sorgen und schon am nächsten Tage schickte er mich in's spanische Gesandtschaftshôtel, wo mich ein Diener mit der Frage empfing: ob ich der Herr Feldwaibel sei, der lateinisch verstehe? Ich bejahte das und der Mensch führte mich in einen großen Saal, wo ein ganz mit Papieren bedeckter Tisch stand.«


»Hier,« sagte er, »diese Briefe sollen Sie nach dem Datum ordnen, wenn Sie das gethan haben, sollen Sie jeden Brief einzeln nehmen, lesen und das herausschreiben, was auf die edele, spanische Grandenfamilie von Aurinia Bezug hat, auch das Unbedeutendste. Ihr Herr Haupmann hat uns gesagt, Sie hätten studirt, demnach wird Ihnen das nicht schwer werden; täglich zwei Stunden können Sie hier daran arbeiten und sollen dafür täglich einen Zwanziger erhalten, außerdem aber noch einen anständigen Recompens, wenn Ihre Arbeit gut befunden wird.«

Ich war sehr froh und arbeitete fleißig; nach acht Tagen waren die Briefschaften, die alle lateinisch waren, geordnet und ich begann die Auszüge niederzuschreiben, was mir mehr Unterhaltung gewährte, als [54] ich anfänglich geglaubt hatte; diese Briefe enthielten eine Geschichte aller Verhandlungen des Erzhauses Oestreich mit der Krone Spanien und gingen häufig in die interessantesten Details und treffendsten Charakteristiken der höchsten Persönlichkeiten ein.

Schon am dritten Tage, nachdem ich mit den Auszügen begonnen, stellte mir der Diener einen Gulden zu und sagte mir, man sei sehr zufrieden mit meiner Arbeit und ich würde täglich einen Gulden Convention erhalten. Meine gute Maria Theresia war nun ganz glücklich, denn wenn wir auch keinen Ueberfluß hatten, so litten unsere fünf Knaben doch nunmehr auch keinen Mangel und nach und nach stellte sich unsere zerrüttete Wirthschaft wieder her. So hatte ich fast zwölf Wochen gearbeitet und täglich meinen Gulden verdient, als eines Morgens zwei vornehm gekleidete Herren in den Saal traten, von denen mich der Eine freundlich anredete: »Hier, Feldwaibel, hier ist Se. Excellenz der General von Aurinia, für den Er arbeitet, Se. Excellenz ist sehr zufrieden mit Ihm.«

Der spanische General, ein schöner, stattlicher Mann, begann nun mit mir eine Unterhaltung, in der er ein sehr freundliches, mildes, herablassendes Wesen und tüchtige Kenntnisse zeigte, angelegentlich nach meinen [55] Schicksalen frug und sich wunderte, einen Mann von meinen Kenntnissen als gemeinen Feldwaibel zu finden.

Ich nahm keinen Anstand dem freundlichen Herrn meine Geschichte zu erzählen, die ihn mehr beschäftigte als ich glaubte zuvor, namentlich kam er auf die frühern Schicksale meiner Familie mehrmals zurück.

Der spanische General erschien nun öfter, wenn ich im Hôtel des Botschafters arbeitete, endlich kam er alle Tage beinahe und wurde ganz bekannt mit mir, schien auch ein ganz besonderes Behagen an meiner Art und Weise zu finden, wobei er indeß niemals eine gewisse, ihn sehr wohlkleidende, Art von Stolz verleugnete.

Die Auszüge waren vollendet; ich erhielt einen Recompens von hundert neuen Kremnitzer Ducaten und eine schwere, goldene Kette um den Hals zu tragen für meine Frau, von der ich Sr. Excellenz vieles erzählt hatte. Dabei versprach mir General Don Juan von Aurinia mich recht bald wieder zu beschäftigen, es werde sich schon eine Gelegenheit finden, machte mir auch Hoffnung zur Befreiung vom Soldatenstand, der mir erst jetzt, da ich mich mit wissenschaftlichen Dingen auf's Neue befaßte, gründlich zuwider wurde.

[56] Wirklich verschaffte mir der General bald eine neue Beschäftigung und ich war auf dem Wege glücklich zu werden und mir und meiner Familie einen dauernden Wohlstand zu gründen, als der Vaterfluch, der seit Jahrhunderten in meiner Familie forterbte, mich auf's Neue in's tiefste Unglück stürzte.

Meine Maria Theresia klagte mir eines Tages, daß sie nicht mehr ausgehen könne, ohne sich den zudringlichen Liebkosungen eines jungen Officiers von meinem Regimente auszusetzen, der ihr die schändlichsten Anträge mache und trotz wiederholter, derber Zurückweisung, dennoch nicht ablasse in seinen Nachstellungen. Ich war nun zwar nicht zornig, bin das auch wohl eben niemals gewesen, aber meine Maria Theresia war doch das Beste was ich hatte und ungestraft sollte der junge Wüstling mein keusches Weib nicht mit seinen unwürdigen Zumuthungen verfolgen. Indeß kannte ich recht gut die Schwierigkeit meiner Lage, ich war verloren, wenn ich Gewalt brauchte und darum setzte ich mein Vertrauen auf die Sieghaftigkeit der gesunden Vernunft und begab mich am andern Morgen gleich in das Quartier des jungen Lieutenants, der von großer Familie, ansehnlichem Reichthum und hübscher Gestalt war, im Uebrigen aber nicht viel taugte. Der Bediente [57] führte mich in ein herrlich decorirtes Zimmer, in welchem ich meinen jungen Herrn fand, der eben mit seinem Hündchen spielte.

»Was will Er?« fragte mich der Lieutenant verwundert.

»Ich habe eine schöne Frau, Herr Lieutenant!« lautete meine Antwort.

»Das weiß ich!« lachte mein Officier. »Was soll's?«

»Herr Lieutenant, das Weib ist mein Ein und Alles, ich bitte Sie, Herr Lieutenant, lassen Sie mir meine Hausehre unangetastet!«

»Er fürchtet sich, daß ich Ihn zum Hahnrei mache?«

»Nein, das fürchte ich nicht, denn meiner Frau bin ich sicher –«

»Hoho!« und das höhnische Gelächter des jungen Wüstlings schlug beleidigend an mein Ohr und mein Herz.

»Mein Herr Lieutenant!« antwortete ich heftig, »ich fürchte nicht für meines Weibes Tugend, aber ich fürchte, daß ich mich vergessen könnte, mich an Euch vergreifen könnte, wenn Sie ihr Ungebührliches zumuthen!«

»Was, Kerl?« schrie der Lieutenant, »was, vergreifen? Ihm soll ja gleich das Kreuzdonnerwetter zehntausendschockmal in die Knochen schlagen! Vergreifen?«

[58] Der wüthende Officier haschte nach seinem Degen, ich aber vertrat ihm den Weg und sprach kalt: »Bedenken Sie, was Sie thun wollen, Herr Lieutenant!«

Da schlug mich der Hitzkopf ins Gesicht – ich hatte niemals, selbst als Rekrut nicht, ich hatte niemals einen Schlag bekommen, das Blut stieg mir in die Wangen, ich holte aus und schlug wieder. Jetzt sah ich den Degen des Officiers blitzen, ich zog ebenfalls blank, eigentlich hatte ich gar keine Besinnung mehr; das Hündchen bellte, die Klingen klirrten aneinander, mir flirrte Alles vor den Augen und ob ich gleich sonst ein trefflicher Fechter war, so warf mir der Lieutenant doch nach kurzem Gefecht den Degen aus der Hand und setzte mir die Spitze des seinigen auf die Brust. »Verdammte Canaille!« brüllte er, »bet' Dein Vaterunser, Deine Wittwe will ich trösten, aber rühmen soll sich kein Lebender dem Grafen von T. einen Schlag gegeben zu haben!« Da erkannte ich, daß es mir hart an's Leben ging; ich gedachte meiner holden Maria Theresia und meiner fünf Buben; rasch entschlossen, denn es war Gefahr im Verzug, faßte ich in die Klinge des Lieutenants und brach sie etwa dreiviertelschuhlang von der Spitze herab ab, mit dem Stück, das in meiner Hand blieb aber versetzte ich dem [59] bestürzten Officier rasch drei bis vier Stiche hintereinander in's Gesicht und in die Brust, die indeß nicht eben gefährlich sein konnten, denn der Lieutenant packte mich nun mit Riesenkraft um den Leib und schleppte mich nach dem Fenster, das in einen Hof hinausging und drei Stock hoch war.

Er wollte mich nach böhmischer Sitte, der Lieutenant war ein Böhme, kurzweg zum Fenster hinauswerfen, ich wehrte mich verzweifelt, aber vermochte nicht die Riesenkraft des jungen Officiers zu bewältigen; mir vergingen die Sinne, krampfhaft umfaßte ich den Hals meines Gegners und bekam erst durch eine furchtbare Erschütterung meine Sinne wieder; ich sprang auf, alle Glieder schmerzten mich heftig, aber keins war gebrochen; neben mir lag der junge Graf, leblos; in dem Augenblicke, in dem er mich hinausschwang, hatte ich seinen Hals gefaßt und ihn mit mir herabgerissen. Der Kopf des Unglücklichen war furchtbar zerschmettert, ich aber rannte davon so schnell ich vermochte, denn oben rief der Diener des Lieutenants mit lauter Stimme: »Mörder! Mörder!« Dieser Ruf hallt mir noch heute grausig in die Ohren, wenn schon ein halb Jahrhundert beinahe verflossen seitdem.

[60] Nicht aus Ueberlegung, selbst nicht einmal mit der klaren Absicht, sondern gänzlich bewußtlos rannte ich durch mehrere Straßen nach dem Hôtel des spanischen Gesandten; staunend blickten mir die Leute nach, denn meine weiße Uniform war mit Blut bespritzt und mein Aussehen verwildert.

Erschrocken empfing mich Don Juan von Aurinia; ich erzählte ihm athemlos und kurz was vorgefallen; er handelte für mich. Eine halbe Stunde später saß ich umgekleidet in einer eleganten Chaise und fuhr als Courier des spanischen Gesandten zum Thor hinaus nach München.

Ich habe die gute Kaiserstadt nicht wieder gesehn.

Don Juan von Aurinia begab sich zu meinem Weibe, zu der guten Maria Theresia, suchte sie zu trösten, so gut es gehen wollte, sagte ihr, daß ich in Sicherheit sei, aber nicht wo, denn man hat nachgehends die gute Frau ausgefragt, ausgeforscht, bewacht und belauert also scharf, daß sie sich doch wohl am End' verrathen einmal, wenn sie Wissenschaft von meinem Aufenthalt gehabt hätte.

Mein Lieutenant, der Graf T., war wirklich todt auf dem Platze geblieben und seine vornehme Familie forschte eifrig nach dem vermeinten Mörder – ich selbst [61] wurde als Ausreißer und Mörder in contumaciam verurtheilt und mein Name an den Galgen geschlagen, weßhalb ich mich übrigens zu trösten weiß im Bewußtsein meiner Unschuld. Hat mich mein guter Hauptmann, der von Zedlitz, sehr beklagt und mich schmerzlich vermißt, hat auch sein Bedauern öfter dem General von Aurinia kund gegeben.

Dreizehn Monate war ich im Hause des spanischen Geschäftsträgers in München, hatte gute Zeit und benutzte sie zum Studieren, weil ich nicht ausgehen durfte, denn die Familie T. hatte einen langen Arm und hatte in Erfahrung gebracht, daß mich der spanische Gesandte gerettet habe, weßhalb sie ihm auch spinnefeind geworden.

Endlich eines Abends trat Don Juan von Aurinia in mein Zimmer und hinter ihm Maria Theresia, mein liebes Weib, aber im schwarzen Traueranzug, wollte meine Freude über das Wiedersehn gar nicht mehr groß sein, denn vier meiner Buben hatte ein böses Gebreste in einer Woche hingerafft und nur der fünfte war uns geblieben.

»Mensdorf!« sprach Don Juan damals zu mir, »es ist Eures Bleibens nicht mehr hier in der alten Welt, wollt Ihr mir folgen, so geht Ihr mit Weib [62] und Kind nach einer Insel in der Südsee, die mir bekannt ist, dort werdet Ihr einen, Euren Kräften angemessenen Wirkungskreis finden.«

Ich war Alles zufrieden; Don Juan gab mir eine große Summe Geldes und eine Menge versiegelter Briefschaften. Am 3. Januar 1796 verließ ich mit Weib und Kind auf einem hamburgischen Segelschiffe, genannt der Adler, das alte Europa und habe es nicht wieder betreten. Don Juan hatte uns bis auf's Schiff begleitet und wurde von dem Capitain und dessen Equipage mit besonderer Hochachtung behandelt.

Unsere Reise war eine glückliche zu nennen, denn wenn wir auch Stürme erlebten, so thaten sie uns doch nicht viel und sah ich, da wir mehrmals unterwegs an legten, mancherlei interessante Länder. Indeß fiel mir im Verlauf der Fahrt so manches Seltsame auf an dem Capitain und seinem Schiffsvolk und war es mir schier ärgerlich, daß Keines mir eigentlich Red' und Antwort stehen wollte; erst als wir nach etwa zwanzig Monaten das Festland von Amerika, das mir südwärts umschifften, hinter uns hatten, schien man offenherziger zu werden und die Mannschaft sprach offen ihre Freude aus, bald in der Heimath zu sein – es waren also keine Hamburger.

[63] So stand ich eines Nachmittags sinnend auf dem Deck und starrte über den Backbord hinein in die Wellen, die sich schäumend brachen an den Planken des Schiffes, als plötzlich der Junge im Korbe schrie: »Ho! Segel, eins, zwei, drei, Segel in See, Back!«

Der Capitain beobachtete durch's Fernrohr aufmerksam die sich nähernden Schiffe, denen uns eine frische Brise mit so reißender Schnelligkeit entgegenführte, daß ich schon nach einigen Stunden ein größeres und zwei kleinere Schiffe unterscheiden konnte, die mit Mühe gegen den widrigen Wind lavirten.

Als wir uns ganz in der Nähe des kleinen Geschwaders befanden, zog das größere Schiff eine himmelblaue Commodoreflagge am vordern Maste auf und der auf dem Vordercastell stehende Officier in blauer Uniform rief uns durch's Sprachrohr in deutscher Sprache zu: »Legt bei! Flagge herauf!«

Sogleich gab unser Capitain Befehle und eine Flagge erschien am Fockmast, aber es war nicht die der freien Stadt Hamburg, sondern eine meergrüne mit drei goldenen Querbalken.

»Woher?« fragte der Commodore drüben wieder durch's Sprachrohr.

»Europa, Hamburg!« antwortete unser Capitain.

[64] »Keine Depechen für nueva castilla?«

»Briefe von Don Juan!«

So weit war das Gespräch, als ich bemerkte, daß die beiden kleineren Schiffe, beides Briggs von vierzehn bis sechzehn Kanonen, ebenfalls die grüne Flagge mit den drei goldenen Schrägbalken aufgehißt hatten und nunmehr Boote aussetzten und an unsern Bord schickten.

Auch der Commodore mit der himmelblauen Flagge sendete einen Lieutenant an unsern Bord. Mit Hurrah empfing unsere Equipage den Besuch. Die beiden Officiere, die von den kleineren Schiffen an Bord kamen, waren unserm Capitain bekannt, man war erfreut sich zu sehen, alle sprachen deutsch und zwar ein sehr reines und schönes Deutsch. Der Lieutenant vom Commodoreschiff war in einer prachtvollen Marineuniform, er empfing von unserm Capitain ein Paquet Briefe und entfernte sich dann wieder; auch die beiden Officiere von den Briggs blieben nur etwa eine Stunde am Bord. Wir setzten dann unsern Lauf nordwestlich fort und ich wunderte mich, daß das große Commodoreschiff, eine stattliche Fregatte von 40 Kanonen, einen Cours mit uns hielt, während die Briggs südwärts steuerten.

[65] Jetzt hat ich den Capitain ernstlich mir diese Räthsel mit der mir völlig fremden Flagge u.s.w. zu lösen, der aber lächelte und bat mich Geduld zu haben, Don Juan von Aurinia habe bestimmt, daß nur eine Person mir alles erkläre.

Am andern Morgen jagte mich der Ruf: »Land, Land!« und das frohe Getümmel der Mannschaft sehr zeitig aus meiner Hangmatte und als ich auf's Verdeck trat, lagen in geringer Entfernung zwei Inseln vor mir mit grünen, flachen Küsten und gegen den Horizont durch blaue Berge abgegrenzt.

»Das ist Berna!« schrie mir ein Matrose jubelnd zu.

»Berna?« murmelte ich und freute mich über meine Maria Theresia, die in der letzten Zeit sehr viel gelitten hatte, jetzt aber schon vom Anblick des Landes allein zu gesunden schien.

Wir umsegelten mit frühestem Morgen eine Landspitze, die durch ein Fort gedeckt war, das unsere meergrüne Flagge mit drei Kanonenschüssen salutirte.

»Dort, dort ist Afranib!« schrieen die Matrosen und herrlich leuchtend im Morgensonnenstrahl lag eine ziemlich bedeutende Stadt vor uns, die von fünf hohen Thürmen überragt wurde.

[66] Nach einer Stunde rasselten die Ankertaue und der »Adler« lag auf der Rhede von Afranib vor Anker. Ich zählte wohl dreißig Schiffe, die mit uns vor Anker lagen, aber die Flagge der freien Stadt Hamburg war die einzige europäische, die ich bemerkte, die meisten waren meergrün mit goldenen Balken, wie die unsrige, viele aber auch blau mit einem silbernen Doppelkreuz, so wie sie der Commodore führte, der uns gestern begegnet war und sich erst in der Nacht von uns getrennt hatte.

Ein Mann mit grünem Rock und einem goldenen Anker auf der Schulter kam jetzt an Bord und redete eine Weile mit dem Capitain, dann wendete er sich zu mir und sagte freundlich: »Kommen Sie, Herr Mensdorf, ich werde Sie zum Fürsten führen; ich bin der Hafencommissair Schubert.«

Nach einer Fahrt, die länger als zwanzig Monate gedauert, betrat ich mit meiner Frau, Maria Theresia, und meinem Sohne, Joseph Leopold, die Insel Afranib; der Hafencommissair ließ uns einen Wagen besteigen und nun gings im raschen Trabe hinein in die Stadt.

Die Straßen, durch die wir fuhren, waren schön gepflastert, die Häuser meist zweistöckig aber hübsch angestrichen, [67] die Kleidung der Bewohner europäisch, die Sprache meist deutsch. Doch rief uns auch ein Mohr vom Balkon seines Hauses ein bon jour! zu.

So kamen wir auf den Markt, er wimmelte von Käufern und Verkäuferinnen, ganz in deutscher Weise sah ich dicke Mägde hinter ihren Hausfrauen mit schweren Körben herkeuchen und war so ergötzt durch diesen Anblick, daß ich staunend in ein Gitterthor einfuhr, an welchem zwei Soldaten ohne Zöpfe in grünen Röcken und weißen, weiten Pantalons, gelben Strohhüten und weißen Wehrgehängen Wache standen.

Wir fuhren auf einem mit gelben Sande bestreuten Wege durch eine prächtige grüne Wiese, die hier und dort von Bäumen beschattet oder mit Blumenrabatten geziert war; endlich hielt der Wagen vor einem langen, einstöckigen Hause, vor dessen Portal eine Kaskade ihren hellen Wasserstrahl hoch in die Höhe warf. Noch ehe wir aussteigen konnten trat ein freundlicher Herr an den Wagen und fragte: »Wollen Sie zum Fürsten, Herr Hafencommissair?«

»Ja, Excellenz!« erwiederte unser Führer; »hier Herr Mensdorf aus Europa mit Familie mit Depechen von Excellenz Don Juan von Aurinia an Durchlaucht.«

[68] »Ah, Herr Mensdorf, willkommen in Afranib, Durchlaucht wird sich sehr freuen Sie zu sehen; was macht der würdige Don Juan?«

In diesem Augenblick trat ein Mann in grünem Ueberrock aus dem Schloß, dessen Haar ganz weiß war, er hielt eine prächtige Blume in der Hand und kam mit raschen Schritten auf uns zu, sobald er uns gesehen.

»Wer ist das, Walz?« fragte er rasch den Obersthofmarschall. »Guten Morgen, Schubert!« sagte er zu dem Hafencommissair. »Sie sind fremd, mein Herr, Sie sind mir willkommen; ich bin Ihr Diener, Madame; Gott segne Dich, mein Sohn!« sprach er zu uns rasch, aber mir so mildem Ton und so freundlichem Blick seiner ehrlichen deutschen, blauen Augen, daß man ihm gut sein mußte auf den ersten Anblick.

So war mein seliger Vorgänger, der Fürst August Wilhelm von Berna, der aus Halle an der Saale im Herzogthum Magdeburg stammte und zwar aus einer noch daselbst existirenden Hallorenfamilie, Namens Kruspe.

»Durchlaucht!« antwortete der Hafencommissair ganz ohne Complimente, obwohl sehr achtungsvoll, »ich bringe Ihnen Herrn Mensdorf aus Europa; der ›Adler‹ ist [69] heut Morgen eingetroffen und bringt Ihnen diese Papiere von Excellenz Don Juan.«

»Ah!« sagte der Fürst, die Papiere nehmend. »Danke Ihnen, Schubert; Walz, sorgen Sie doch für unsere Gäste; entschuldigen Sie mich, Madame, erholen Sie sich etwas, auf baldiges Wiedersehen!«

Der Fürst, dessen Wesen mich ganz bezaubert hatte, ging, aber kaum hatte er einige Schritte gethan, so drehte er sich wieder um und rief: »Schubert, essen Sie doch diesen Mittag mit uns und bringen Sie den Capitain vom Adler mit, Sie können doch?«

»Ja, Durchlaucht!« lautete die einfache Antwort, mit der der Hafencommissair die Einladung seines Fürsten annahm.

Der Obersthofmarschall Walz führte uns nun in das Schloß, das sehr prächtig mit allerlei Marmoren geziert war und wieß uns eine Reihe elegant meublirter Zimmer an. Der Obersthofmarschall zeigte uns selbst alle Bequemlichkeiten und war eben dabei mir seine Garderobe anzubieten, als der Fürst selbst, Kleider und Wäsche für mich sendete, hinter dem Diener aber, der die Sachen brachte, kam ein junges schönes Mädchen in's Zimmer.

[70] »Prinzeß Auguste!« rief der Hofmarschall, »Sr. Durchlaucht einzige Tochter!«

»Liebe Madame Mensdorf,« sagte die Prinzessin, »kommen Sie mit mir, Ihre Garderobe soll bald in Stand sein, wir sind von einer Größe und die Kleider, die Sie aus Europa mitgebracht haben, können Sie hier nicht tragen.«

Die Prinzessin ging mit meiner Frau und meinem Sohn, ich blieb mit dem Hofmarschall allein.

Nach einer halben Stunde trug ich das Hofkleid des Fürsten von Berna, nämlich einen einfachen, bequemen, grünen Rock, weite, weiße Pantalons, weiße Weste und Strohhut. Dann setzte ich mich mit dem Obersthofmeister zum Frühstück, das aus delicat gebrat'nem Geflügel und edeln Weinen bestand.

Gegen Mittag ließ mich der Fürst rufen. Der Obersthofmarschall zeigte mir die Thür zu des Fürsten Zimmer und neugierig trat ich ein. Ich fand den alten Fürsten in einem Lehnstuhl sitzen, er hatte den Rock ausgezogen, die Hemdärmel aufgestreift und paffte aus einer langen Pfeife mit einem riesenhaft großen Kopf.

»Nehmen Sie eine Pfeife, lieber Mensdorf!« rief er mir zu, »da liegt Stahl, Stein und Schwamm.«

[71] Ich gehorchte und sog den aromatischen Duft eines äußerst leichten, aber sehr angenehmen Krautes mit Behagen ein.

»Setzen Sie sich, lieber Herr!«

Ich setzte mich und blickte mit einer seltsamen Bewegung in das ehrwürdige, patriarchalische Gesicht des greisen Regenten, der nun also zu sprechen begann:

»Mein Freund Don Juan hat mir Ihre Geschichte geschrieben, ich weiß, Sie werden sich bald heimisch hier fühlen; ich kann solche Leute, wie Sie sind, brauchen; aber Sie wissen noch gar nicht, wo Sie sind, Don Juan hat mit Vorbedacht Ihnen in Europa nichts gesagt, also ist es billig, daß Sie zuerst die Geschichte dieses Fürstenthums kennen lernen.

Vor etwa dreihundert Jahren, da Kaiser Karl Deutschland, Spanien, Italien, die Niederlande, Ungarn, kurz halb Europa beherrschte, damals lief aus dem Hafen von Serida eine spanische Flotille von drei kleinen Schiffen aus, an deren Bord sich eine ziemliche Anzahl von Edelleuten und Bürgern befand, die sich der Gewalt des Kaisers entziehen wollten, denn sie hatten Theil genommen an dem Aufstande Don Juan's de Padilla gegen den Kaiser; zu dieser Flotille stießen [72] im atlantischen Meer zwei Schiffe der freien Stadt Hamburg, die ebenfalls Edelleute und Bürger an Bord hatten, welche ein neues Vaterland suchten. Diese Flotille von fünf Schiffen entdeckte diese Inselgruppe, die aus zwei großen und mehrern kleinen Inseln besteht. Sie fanden diese Inseln von einem gutmüthigen, gastfreien Völkchen sparsam bevölkert und gründeten sich hier eine neue Heimath; die Spanier nahmen die größere Insel in Besitz und nannten sienueva Castilla, Neucastilien, die Deutschen erhielten die kleinere und die andern Inselchen und Eilande; sie ließen ihrer Insel den Namen Berna, den ihr die Einwohner gegeben und nannten auch ihre Hauptstadt Afranib, nach dem Fischerdörfchen, das vormals an dieser Stelle belegen war. Sowohl die Deutschen hier, als die Spanier drüben vermischten sich mit den Ureinwohnern und bildeten ein Volk. Die Spanier drüben ließen sich von einer Junta regieren, die jährlich neu gewählt wurde, die Deutschen erwählten sich lebenslängliche Fürsten, denen sie die vollziehende Gewalt anvertrauten, während die gesetzgebende bei einer Kammer war, zu der je hundert Menschen einen Abgeordneten sendeten.

Das deutsche Fürstenthum Berna und die Republik der Spanier schlossen ein ewiges Bündniß und bis[73] jetzt ist der Frieden der beiden Nachbaren nie gestört worden.

Die Hauptdiplomatie der beiderseitigen Regierungen bestand darin, ihre Existenz den europäischen Seemächten gänzlich zu verbergen und dennoch eine gewisse Verbindung mit dem Mutterlande Europa aufrecht zu erhalten. Die freie Stadt Hamburg konnte keine Eroberungspläne hegen, wohl aber großen Gewinn durch seinen Handel mit uns ziehen, deßhalb wurde ein geheimer Vertrag mit dem hohen Senate geschlossen; unsere Schiffe führen hamburgische Flagge; Hamburg ist der Stapelplatz für unsere Ausfuhr, aus Hamburg beziehen wir seit beinahe dreihundert Jahren unsere Einfuhr. Hamburg und wir, wir haben uns beide stets wohl dabei befunden.

Als ich vor dreizehn Jahren durch die Vertreter des Volks zum Fürsten gewählt wurde, fand ich mich an der Spitze eines blühenden Staates, eines glücklichen Volkes. Wie ich hierher gekommen, erzähle ich Ihnen ein ander Mal, lieber Mensdorf, denn ich gehöre zu den wenigen Einwohnern dieser Insel, die nicht hier geboren sind. Jetzt gehen wir zu Tische.«

Von nun an ist meine Geschichte sehr einfach; ich wurde nach und nach Director der Landesschule zu[74] Afranib, Volksvertreter in der Kammer, verlor mein treues Weib, meine gute Maria Theresia und meinen Sohn in einem Jahr und wurde schließlich am 18ten Mai 1806 zum souverainen Fürsten von Berna erwählt; das Volk gab durch Acclamation seine Zustimmung zu erkennen und der Bischof von Afranib krönte mich am 22ten Mai d. J. Am 13ten December des folgenden Jahres heirathete ich die Prinzessin Auguste, meines Vorfahren Tochter, und lebe mit ihr bis heute in einer glücklichen, wenn auch kinderlosen, Ehe. Jetzt bin ich alt, ich glaube nur noch kurze Zeit zu leben zu haben, mein Freund Don Juan, der mich im Jahr 1829 besuchte, fand mich schon sehr gealtert. Ich glaube mein Volk nach Kräften löblich regiert zu haben, denn ich erhielt, nach dem Beispiel meiner in Gott ruhenden, glorwürdigen Vorfahren, die alten Institutionen aufrecht, rüttelte nicht daran, sondern suchte sie, wo sie wankend geworden waren, zu stützen. Ich habe mit vollen Zügen das Glück genossen, das höchste Glück der Erde, das Glück, der Fürst eines freien Volkes zu sein. Da ich keine directen Leibeserben hinterlasse, so vermache ich mein Privatvermögen, über welches ich, dem Staatsgesetz gemäß, frei disponiren kann, meinen Anverwandten im alten Europa und wünsche, [75] daß sie weisen Gebrauch davon machen mögen; meine unsterbliche Seele empfehle ich dem HErrgott im Himmel, meinen Leib vermache ich der Erde von der er gekommen, mein Andenken aber denke ich soll frisch bleiben in den Herzen meines Volks, das mich nie betrübt hat. Amen.


Afranib im Pallaste. Carl Johann Mensdorf,

Fürst und Herr zu Berna.


Der Advocat legte das Papier zusammen und sah die Mitglieder der Familie Mensdorf der Reihe nach an. Es war der Eindruck ein sehr verschiedener, den das Lesen der Lebensgeschichte Carl Johanns gemacht. Der alte Soldat im Regiment Prinz Heinrichvacat wedelte mit den Ohren und hatte eigentlich die ganze Sache nicht recht begriffen, eben so ging es zum Theil wohl dem Vater Röschen's, nur die Frau Strobel's und der Student, die ziemlich ernst geworden waren, hatten eigentlich lebendigen Antheil genommen.

»Verehrte Anwesende,« nahm der Advocat wieder das Wort, »nach dem Willen meines wohlseligen Auftraggebers soll nun die eben gelesene Lebensgeschichte desselben zum Besten der Armen gemeiner Stadt Trier versteigert werden. Welches Gebot thun Sie? Madame Strobel?«

[76] Röschen, die eine ziemliche Summe besaß, bot erröthend »hundert Thaler!«

»Tausend!« rief der Student enthusiastisch.

Die beiden alten Mensdorfe schwiegen und der Advocat gab dem Studenten das Papier, der seine herzallerliebste Cousine um Entschuldigung bat, daß er sie überboten, »aber,« meinte er, »ich möchte gern ein Andenken an den curiosen Vetter haben, der uns zu seinen Erben eingesetzt hat.«

»Schreiten wir zur Vertheilung der Summen!« sprach jetzt der Advocat gewichtig und zog ein starkes Paquet aus dem Kästchen. »Hier sind zwei Millionen Pfund Sterling in Consols der englischen Bank, demnach vierzehn Millionen Thaler Preußisches Courant, da nun nach Köpfen getheilt wird und nicht nach Stämmen, jede Frau aber noch einmal so viel erhält als ein Mann, so zerfallen diese vierzehn Millionen Thaler in fünf Theile, jeder von Ihnen meine Herren erhält zwei und vier fünftel Millionen Thaler Preußisch Courant, Sie aber Madame Strobel erhalten allein fünf und drei fünftel Millionen Thaler.«

Starr vor Erstaunen saßen die Anwesenden da, nur der Student war gar nicht verlegen, sondern sagte vergnügt: »Capitales Haus, der alte Vetter, ist doch [77] sehr gut, daß er gestorben ist, so lange ich noch lebte!«

»Verehrte Anwesende!« bat nun der Advocat, »Sie werden gewiß Ihrerseits aus schuldiger Dankbarkeit gegen den Erblasser des Fürstenthums Berna nicht im Publicum erwähnen, sondern sich begnügen ihre Erbschaft einem in Amerika verstorbenen Vetter zuzuschreiben. Jetzt erzeigen Sie mir wohl die Ehre einen Löffel Suppe mit mir zu essen, ich werde unterdeß diese englischen Papiere, Behufs der Theilung bei hiesigen Banquiers umsetzen.«

An diesem Mittag speiste Herr Daniel Wolfshagen in Gesellschaft von vier Millionairs.

Alle Erben beschenkten ihn reichlich für seine Mühe und verließen am andern Tage Trier, nur der Student blieb zurück, aber nicht aus Verehrung für den heiligen Rock, sondern aus Liebe zu einem Hunde, den er gern kaufen wollte, um damit in Heidelberg renommiren zu können. –

[78]
3. Die Abdication Don Carlos des Fünften
III. Die Abdication Don Carlos des Fünften.
[79][81]

Das Folgende ereignet sich in der französischen Stadt Bourges, die dem vertriebenen Könige Carlos von Spanien von dem französischen Gouvernement zum Wohnsitz angewiesen ist, es ereignet sich an demselben 18ten Mai 1845, an welchem sämmtliche Mensdorfe Millionaire wurden.

Es ist etwa vier Uhr Morgens und es ist kalt in dem kleinen Zimmer, in welchem Don Carlos, der königliche Gefangene von Bourges, langsam auf und ab schreitet; ein Priester sitzt am Tischchen und schreibt langsam und bedächtig; zwei Herren stehen im Fenster mit trüben Blicken. Das Gesicht des königlichen Gefangenen ist bleich, tiefe Stille herrscht im Gemach, man hört nur das Knirren der Feder des Prälaten. Endlich unterbricht Don Carlos eine Stille, die ihm drückend zu sein scheint.

»Du sahest gestern Abend den Infanten, Don Germano?«

[81] »Ich sah ihn, er ist willig in allen Stücken Deiner Majestät zu gehorchen; der Infant ist ein guter Sohn!« antwortete einer der Herren mit tiefer Verbeugung.

»Die heilige Jungfrau sei mit ihm und gebe ihm mehr Freude als seinem Vater!«

»Amen!« antworteten die beiden Granden und der Prälat, der sich erhob.

»Hörtest Du nichts von Don Juan? Ich möchte nichts thun ohne den so oft erprobten Rath dieses Getreuen – hätte ich ihm nur stets gefolgt.« –

Der König wartete keine Antwort ab, sondern begann hastig seine Wanderung durch's Zimmer wieder.

»Ich will unterzeichnen, gebt mir das Blatt, hochwürdiger Herr und Freund, Gott will's so und ich will mich nicht sträuben; les't, les't!«

Der Prälat nahm ein Papier auf und las langsam:


Mein vielgeliebter Sohn!


Entschlossen mich aus dem politischen Leben zurückzuziehen, habe ich die Entscheidung gefaßt zuDeinen Gunsten auf meine Rechte auf die Krone Spaniens zu verzichten und dieselben auf Dich zu übertragen. Dem zu Folge stellte ich Dir das Document meiner Abdication zu, welches Du geltend machen kannst, so [82] bald Du es für gelegen erachten wirst. Ich flehe zu Gott, er möge Dir das Glück zu Theil werden lassen, den Frieden unseres armen Vaterlandes wieder herzustellen und in solcher Weise das Glück aller Spanier zu sichern. Von heute an führe ich den Titel eines Grafen von Molina.


Bourges den 18. Mai Ich, der König.

1845

Sr. Königlichen Hoheit, dem Infanten Don Carlos Luis, Prinzen von Asturien.


Mit raschem Federzug unterschrieb der König stehend das Schreiben. »Wo ist die Urkunde?« fragte er leidenschaftslos und ruhig. Der Geistliche legte ihm die Abdicationsacte vor. Don Carlos nahm sie und las sie noch einmal aufmerksam, dann tauchte er die Feder ein und wollte eben unterzeichnen, als die Thür hastig geöffnet wurde und ein Mann in der Bauerntracht der Gegend in's Zimmer trat.

Der Mann warf einen raschen Blick auf den König, dann rief er:

»Halt! um der allerheiligsten Jungfrau willen, halt, höre mich Majestät, höre mich erst, bevor Du unterzeichnest!«

[83] Don Carlos warf die Feder weg und sagte freudig: »Du bist es, Du treuer Don Juan, ich wußte, daß Du mich nicht verlassen würdest in dieser schweren Stunde; was bringst Du, Don Juan?«

»Hoffnung, Majestät!« entgegnete Don Juan, knieend die Hand seines Königs küssend.

»Ach!« sprach Don Carlos traurig, »die Hoffnung hat mich so oft betrogen, daß ich der lügnerischen Dirne nicht mehr trauen darf.«

»Oh, mein König!« rief der alte Grande, »Du willst Deinen Rechten entsagen, weil Du glaubst, man werde den Prinzen von Asturien mit der Infantin Isabella vermählen; glaub' es nicht, man betrügt Dich, keine Transaction mit der Empörung, die schadet Deiner Abdankung und dem edeln Prinzen nützt sie nichts, verschließe mir nicht Dein Ohr, höre heute meine Stimme, Majestät!«

»Was willst Du, guter Don Juan? alle unsere Freunde rathen mir diesen Schritt zu thun, alle, Villafranca, Eguia –«

»Auch Eguia?« rief der Grande, »Ihr täuscht Euch, alle seid Ihr betrogen; o König, folgt mir, vertraut Euch mir an, faßt Muth, es gilt die Krone Spaniens, es gilt die Erhaltung unserer allerheiligsten Religion[84] im Vaterlande; entfaltet noch einmal das Banner der katholischen Könige, keine Transaction mit der Empörung, viva el rey absoluto

»Soll ich noch einmal Krieg mit Spaniern gegen Spanier führen?«

»Majestät, Du sollst einen scharfen, aber heilsamen Schnitt thun in die Beule der Empörung, die unser Spanien verpestet!«

»Guter Don Juan, Dein Wille ist gut, aber ich bin gefangen, meine Hand ist gefesselt, wie entkäme ich diesem Kerker?«

»Es ist Alles bereit, noch heute führe ich Euch davon, mein Herr und König, eine maurische Tartane, mit edeln Spaniern bemannt, wartet Eurer an der Küste, Ihr seid in Spanien ehe die Nachricht von Eurer Flucht nach Madrid kommen kann.«

Die Augen des Königs begannen zu blitzen, er zerknickte die Feder mit der Hand, die Feder mit der er eben die Entsagungsacte unterzeichnen gewollt; Heinrichs des Vierten Blut begann durch die Adern der katholischen Majestät glühend zu rollen.

»Mein Herr und König!« rief Don Juan, der wohl den Eindruck bemerkte, den seine Rede gemacht, »besinnt Euch kurz, ich habe eine Bauernkleidung [85] draußen, wir sehen morgen das Meer und am dritten Tage Hispaniens Küste!«

»Nie werde ich zugeben, daß Se. Majestät Ihr geheiligtes Leben also übereilt aussetzen!« sprach jetzt der Prälat mit scharfer Betonung.

»König Carlos!« drängte Don Juan mit glühenden Wangen, »Du sahest tausende von edeln Spaniern in's Blut stürzen für Deine Rechte, zeige der Welt, daß Du Dein Recht und Deine Krone höher achtest als Dein Leben, ich hafte mit meinem Kopf für Deine Sicherheit bis Du den spanischen Boden betrittst.«

Don Carlos kämpfte sprachlos einen schweren Kampf.

»Majestät, laßt Euch nicht durch diesen edeln Schwärmer verlocken!« warnte der Prälat.

»König Carlos!« schrie Don Juan niederknieend, »ich beschwöre Dich auf meinen Knieen, folge mir; Grandes, helft mir bitten, die Regierung, die einige Rebellen im Namen der Infantin Isabella führen, hat keinen Halt, tausende von tapfern Hidalgos und Caballeros erwarten nur das Zeichen; folgt mir, mein König und Herr, folgt mir nach Spanien, entfaltet das Banner der katholischen Könige, die Kastilianer werden kommen zu Tausenden und ihre Leiber als unangreifbare Kastelle vor Euch stellen, und Leonesen[86] werden erscheinen, die Löwen der Schlacht und der Kriegsruf wird donnern durch die Ebenen von Granada und Andalusien, der ritterliche Baske wird sich, wie schon so oft, für Dich erheben und an den Heerschild schlagen unter dem Baume bei Guernica, San Jago! San Jago! España!«

Die beiden Granden knieten nun ebenfalls vor dem König. »Folgt Don Juan, Majestät, folgt ihm, wir gehen mit Euch in den Tod; wir werden die Rebellen zertreten, Spanien wird sich um seinen König schaaren, wir werden siegen; es lebe der König!«

»Es lebe der König!« rief der Prälat, »ja, es lebe der König; aber wie, wenn der Plan scheiterte, wenn die Rebellion siegte, was bliebe dann Sr. Majestät übrig?«

»Wenn das wäre,« antwortete Don Juan stolz, indem er aufstand, »so würde König Carl zu sterben wissen, mit dem Schwert in der Hand auf dem Bette der Ehren, im Kampf für das Recht und die heilige Religion, König Carlos würde zu sterben wissen, wie der letzte der katholischen Könige Spaniens sterben muß!«

Der König war sichtlich hingerissen von dem Feuer, das sich in Don Juan's Wesen aussprach und der Grande bemerkte, daß an dieser Minute vielleicht das Geschick [87] des legitimen Königthums in Spanien hange. »Mein König und Herr!« rief er, »der Augenblick des Handelns ist gekommen, die Regierung der Infantin Isabella kämpft jetzt mit einer Verschwörung ganz toller Freimaurer und Anarchisten, Euer Erscheinen –«

»würde beide Parteien auf der Stelle vereinigen,« fiel ihm plötzlich eine Stimme in's Wort, »ein langer blutiger Kampf würde entstehen, dessen Ende Niemand vorherzusagen im Stande ist, der aber Spanien noch elender machen würde, als es jetzt schon ist; wer dem Könige solch einen Rath geben kann, meint es nicht gut mit ihm und dem Vaterlande.«

Staunend wendete sich der Grande um und schaute in das bleiche Gesicht einer krank aussehenden, ganz abgezehrten Dame, die sich mühsam aufrecht zu halten schien, sich rechts auf eine Dame und links auf einen Herrn in altspanischer Hoftracht stützte. Dunkel hafteten die glühenden Augen der Eintretenden auf Don Juan's Gesicht, langsam strich sie mit der linken Hand eine schwarze Locke zurück hinter das enganschließende Häubchen, dann streckte sie ihre abgezehrte Hand, die so abgezehrt war, daß sie aussah wie die eines kleinen Kindes, dem Granden entgegen und sprach milder als vorher: »Du bist Don Juan, der Getreue, Du meinst [88] es gut, ich weiß es, ich wollte Dir nicht wehe thun, aber Du räth'st übel, alter, guter Edelmann, unsere Sache steht besser, als Du denkst.«

»Majestät!« entgegnete Don Juan, die Hand der Königin Marie Theresie, deren starker Geist des schwachen Körpers spottete, küssend, »Don Juan kann irren, aber schlecht gemeint hat er's nie!«

»Ich weiß es, Don Juan, Du wenigstens bist treu –«

»Haben die Aerzte Ihrer Majestät erlaubt das Zimmer zu verlassen?« fragte Don Carlos die Ehrendame streng, nachdem er die Königin zu einem Sessel geleitet hatte.

»Ihro Majestät haben den Aerzten befohlen, ihr das Ausgehen zu erlauben!« erwiederte die Dame achselzuckend.

»Du schonst Dich zu wenig, Therese!« flisterte der König seiner Gemahlin zu, ihr besorgt in das bleiche, abgehärmte Antlitz blickend; »o, es ist schwer ein vertriebener König zu sein!« seufzte er dann.

»Carlos,« sagte die Königin leise, »wir haben das Unsere gethan, morgen werden wir nicht mehr die Last eines gebrochenen Thrones und einer zertrümmerten Krone tragen; der Graf und die Gräfin Molina werden glücklich sein!«

[89] Der arme Fürst drückte die Hand seiner Gemahlin.

»Geh, guter Germano,« bat jetzt die Königin, »sieh, daß uns Niemand belauscht, schließ die Thüre, ich habe Euch etwas zu sagen.«

Der Grande erfüllte das Verlangen der Königin und diese sprach jetzt mit mühsam zusammengenommener Kraft:

»Guter Don Juan und Du Don Germano, Ihr alle, die Ihr Euch noch nicht mit dem Plane des Königs, unsers Herrn, befreunden könnt, zu Euch allen rede ich jetzt; Ihr wißt, daß ich bis vor Kurzem stets gegen die Abdication gewesen bin, jetzt bin ich dafür, denn ich bin tiefer eingedrungen in die Verhältnisse. Die Abdication wird dreifach beurtheilt werden; der große Haufe wird sagen: ›Ja, nun heirathet der Prinz von Asturien die Infantin, oder Königin, Isabel, er erreicht durch eine Heirath, was sein Vater mit dem Schwert nicht zu erreichen vermochte,‹ so wird der große Haufe sagen; die sich klug dünkenden werden Politiker, aber, namentlich die Französischen, die diese Sache verhandelt haben, glauben uns besiegt; ja es ist wahr, wir haben uns von den Franzosen betrügen lassen, sie haben diese Abdication gewollt, sie haben sie von uns erpreßt; aber wir haben sie uns abpressen lassen, wir [90] haben uns betrügen lassen, wir haben uns einen Maravedi nehmen lassen, um einen Quadrupel zu gewinnen. Ich sage Euch, keine Transaction mit der Empörung, sobald die Entsagungsacte versendet ist, sind wir es, die die Bedingungen zu machen haben; ja, die nordischen Mächte wollen Isabel II. anerkennen; ja, es ist wahr, selbst der heilige Vater ist bereit dazu; aber die Anerkennung Isabels ist an eine Bedingung geknüpft, an die eine Bedingung: Heirath mit dem Prinzen von Asturien, unserm Sohne; seht nun, geht Isabel diese Bedingung ein, so zerfällt sie mit dem Theile der spanischen Nation, der uns feindlich ist, wird von ihm desavouirt und die drei nordischen Mächte, so wie der heilige Vater, erkennen nicht Isabel II., sondern Don Carlos VI. Luis als König von Spanien an und Isabel muß es sich zur hohen Ehre schätzen die Gemahlin des Königs von Spanien zu sein.«

Ermattet lehnte sich die Königin zurück, Don Carlos aber ergriff eine neue Feder, unterzeichnete die Abdicationsacte und übergab sie dem Prälaten.

Eine feierliche Stille herrschte in dem kleinen Gemach; es war sechs Uhr Morgens.

Ein leises Klopfen an der Thür unterbrach die Stille, aber Germano del Aguiar öffnete und kam mit der[91] Nachricht zurück, daß ein französischer Commissair angelangt sei, der nach einem als Bauer verkleideten gefährlichen spanischen Granden suche.

»Geht, guter Don Juan!« bat Don Carlos, »erhaltet Euer Leben und Eure Freiheit für König Carlos den Sechsten!«

Stumm küßte der alte Grande die Hand seines Königs und seiner Königin, dann schüttelte er den Herren die Hände und ging schweigend hinaus.

Auf einem verborgenen Wege fand er den Ausgang aus dem Gefängniß seines Königs und gelangte in einem Hölzchen dicht bei Bourges zu seinen Dienern, die ihn hier erwartet hatten. Kühn schlug Don Juan eine westliche Richtung ein; er mußte von Bourges aus einen großen Theil Frankreichs durchreisen, um an's Meer zu gelangen, wo ihn die Tartane erwartete, auf welcher er den König nach Spanien bringen gewollt. Wer weiß, ob der kühne Plan nicht geglückt wäre, denn in der Nacht zum dritten Tage befand sich Don Juan bereits in der Gegend von Poitiers; überall standen frische Pferde, Alles war voraus berechnet. Am dritten Tage, nicht fern von Niort, kam plötzlich der eine Diener heimlich zu Don Juan und meldete ihm, der Kammerdiener habe heute Morgen auf der[92] letzten Station wieder einen Brief abgegeben; da das nicht der erste sei auf ihrer Reise, so scheine ihm die Sache verdächtig.

»Garcia!« befahl Don Juan diesem Diener, »habe ein Auge auf den Schuft und sobald Du etwas bemerkst, schießt Du ihn nieder.«

Der Spanier nickte.

Am andern Morgen aber war der Kammerdiener verschwunden und Don Juan, der Schlimmes ahnete, eilte die Küste zu erreichen.

Am Nachmittage des vierten Tages endlich überschritt Don Juan drei Stunden oberhalb Rochelles ein kleines Flüßchen und befand sich Angesichts des Meeres. Er ließ dicht an den Strand fahren, gab mit drei Pistolenschüssen das Signal und hatte die Freude nach einigen Minuten schon die Tartane hinter den Klippen der Insel Ré hervorkommen und sich blitzschnell dem Ufer nähern zu sehen.

Da rief Garcia plötzlich: »Excellenza, Reiter, Gensd'armes!«

Don Juan sah sich um und erblickte etwa zwanzig französische Gensd'armes, die sich ihm in vollem Galopp näherten. Ein junger Mann in Civilkleidung war an ihrer Spitze. Sogleich sprang Don Juan aus [93] dem Wagen und schnitt die Pferde von den Strängen, er und Garcia waren blitzschnell auf die Thiere. Die Tartane näherte sich dem Ufer mehr und mehr.

Don Juan winkte mit dem Tuche nach seinen Verfolgern und man verstand ihn auf der Tartane; ein Blitz, ein Knall und ein weißlicher Rauch zog über das Wasser.

Die Tartane schickte ein Boot an's Land, aber der junge Mann in Civil, der Graf St. Aignan, war mit drei Gensd'armes dicht heran. »Ergebt Euch, ergebt Euch!« schrie er mit lauter Stimme.

Zwei Schüsse knallten, zwei Gensd'armes wälzten sich in ihrem Blute, die Pferde preschten scheu zurück, der dritte zog die Zügel an und hielt, Don Juan aber schlug dem Grafen St. Aignan mit dem schweren Pistole an den Kopf, daß er taumelte, faßte ihn mit raschem Griff und zog ihn vom Pferde, dann warf er den Ohnmächtigen quer über seinen Sattel und spornte das Roß hinein in die zischenden Wogen; Garcia folgte ihm.

Jetzt waren die Gensd'armes zur Stelle; sie feuerten mit Karabinern nach den Flüchtlingen, zogen sich aber zurück, als von dem Boot aus ihr Feuer sehr[94] nachdrücklich erwiedert wurde und die Tartane ihnen eine Kanonenkugel nach der andern zusendete.

Don Juan erreichte mit seiner Beute und seinem Diener Garcia glücklich das Boot und glücklich den Bord der Tartane. Hier ließ er St. Aignan verbinden, befahl dann alle Segel beizusetzen und mit dem günstigsten Winde entfernte sich die Tartane durch die Meerenge von Bréton.

Es ist etwa drei Tage nachher; die Tartane hat ihren Lauf vollendet, sie liegt vor Anker in einer engen, rings von Klippen umschlossenen Bucht; ein Fackelboot kommt vom Strande, um Don Juan, seine Diener und seinen Gefangenen abzuholen; die Nacht ist dunkel aber mild und warm. Noch hat Don Juan kein Wort gesprochen mit dem Sohne seiner Tochter Rafaëla und dem Grafen Vavel de Versey. Jetzt sagt er ganz einfach zu ihm: »Sie werden hier kein Wort reden, junger Mensch, sobald Sie den Mund öffnen, laß ich Sie niederschießen!«

St. Aignan biß die Zähne aufeinander und trat in das Boot. Dreißigmal fielen die Ruder auf's Wasser, man war am Strande und eine ziemliche Anzahl von Männern aus allen Klassen trat den Landenden entgegen.

[95] »Por dios!« schrie ein großer, starkknochiger Herr, »Don Juan ohne den König!«

»Ja, Senhor Caballero,« erwiederte der Grande, »Don Juan ohne den König; nicht wahr, man weiß hier noch nichts?«

»Was soll man wissen? Redet Excellenza, redet Don Juan!«

»König Karl der Fünfte hat am 18ten Mai zu Bourges der Krone von Spanien zu Gunsten König Karl Luis des Sechsten entsagt! –«

Eine Weile war es todtenstill im Kreise, diese Nachricht schlug wie ein Blitzschlag in die Seelen der versammelten Karlisten, eine Abdication hatten sie nicht mehr gefürchtet, sie hatten über fünf Jahre ihren König, trotz Kerker und Krankheit, standhaft seine Rechte behaupten sehen und nun?

Hier glühte im Fackellicht das Angesicht eines Basken, dort funkelten die Augen eines Andalusiers, hier wickelte ein stolzer Castilianer sich und seinen Schmerz in den weiten Mantel, dort stieß ein Aragonese heftig den Rauch seiner Cigarre von sich – Niemand sprach ein Wort.

[96] »Senhores Caballeros!« rief endlich Don Juan, »was trauert Ihr? Ich war zu Bourges, ich habe ihn gesehen unseren König Carlos!«

»Viva Don Carlos Qninto, viva el rey absoluto!«

»Ich habe die Hände geküßt unserer Königin, unserer im Gefängniß abgehärmten, erkrankten Königin Therese!« –

»Viva la reyna Teresa, viva la reyna santissima!«

»Ich fand sie beide voll Vertrauen, voll Muth, voll Zuversicht und Hoffnung, der heilige Vater, die großen Mächte, alle sind für König Carlos Luis, den Prinzen von Asturien, und die Majestäten hoffen von Euch, daß Ihr als getreue Unterthanen Eure Liebe und Treue auf ihren Sohn, König Carlos Luis, übertragen werdet!« –

»Viva Don Carlos Luis, viva el rey absoluto!«

»Unser neuer König, Senhores Caballeros, ist jung, schön, klug, tapfer und fromm, ein echter Spanier.«

[97] »Viva Don Carlos Luis, viva la santa religio!«

»Senhores Caballeros, wir sind vermuthlich die ersten, die hier auf spanischem Boden dem neuen Könige huldigen; wir sind die ersten Spanier, die dem rechten Könige huldigen; laßt uns das nie vergessen, laßt uns fest halten an der heiligen Religion, an dem absoluten Königthum, die allein Spaniens Glück machen; laßt uns nie unsere Eide vergessen und an der Ehre halten, die des Spaniers Leben ist!«

»Viva Don Carlos Luis, viva el rey absoluto, viva la santa religio!« antwortete man dem Redner.

Jetzt zerstreute sich, nachdem Don Juan den ihm zunächststehenden einige Worte zugeflüstert hatte, die ganze Versammlung und nur etwa sechs oder acht folgten dem Granden, der Arm in Arm mit dem schon oben erwähnten Castilianer einen schmalen Felspfad aufwärts einschlug.

»Meine kleine Geliebte, der Negerfürst und meine Diener sind bei Euch eingetroffen, Vetter?« fragte Don Juan seinen Begleiter.

[98] »Ja, Don Juan, das Mädchen hat schon seit zwei Tagen geweint, daß Du gar nicht kommen wolltest und wer weiß wie viel Wachskerzen vor der virjen del pilas angezündet; sie ist ein sehr schönes Geschöpf.«

»Sie ist ein gutes, treues Mädchen!« erwiederte Don Juan.

»Das ist besser!« rief Don Gormas, Don Juan's Vetter. – Eine Pause.

»Wer ist der Franzose, den Du mitbrachtest vom Schiff?« fragte der Castilianer wieder.

»Ein Hund, ein Verräther!«

»Von Familie?«

»Ja, vom besten Blut, aber ein Bastard!«

»Pah!«

»Erinnerst Du Dich meiner Tochter Rafaëla, Don Gormas?«

»Man vergißt Engel nicht!« sprach Don Gormas feurig.

»Es ist der Sohn Rafaëla's!« fuhr Don Juan fort und zitterte heftig.

[99] Der Castilianer blieb stehen und versuchte in Don Juan's Antlitz zu sehen.

»Du verläumdest Deine Tochter und Dich, Don Juan!« sprach er endlich. »Rafaëla's Sohn ist kein Hund, kein Verräther!«

»Ich sage es,« erwiederte Don Juan mit bebender Stimme, »ich schwöre es bei der heiligen Jungfrau. Bei unseres gemeinsamen Großvaters unbeflecktem Wappenschild, Don Gormas, der Sohn meiner Rafaëla ist ein Hund, ein Verräther!«

»So hat ein Jude, oder ein Ketzer, oder ein Freimaurer Deine Tochter Rafaëla im Schlaf überfallen und ihr Gewalt angethan.«

»Ein Ketzer hatte sie behext, Don Gormas, unter meinem Fluch ist das Kind geboren, unter meinem Fluch ist meine Rafaëla gestorben!«

»Arme Rafaëla!« seufzte der Spanier.

»Ja, arme Rafaëla!« fuhr Don Juan fort, »der Bastard eines Ketzers, in Paris erzogen, in den Grundsätzen der Empörung und der Freimaurer groß geworden, konnte er nichts anders werden, als ein Hund, ein Verräther!«

[100] »Was hat er gethan?«

»Meiner Rafaëla Sohn,« sprach Don Juan leise und mit sichtlicher Anstrengung, »ist einer der Chefs der hohen französischen Policei –«

»Schrecklich, scheußlich!« rief Don Gormas mit tiefem Abscheu.

»In Paris betrog er alle Parteien, galt in allen Cirkeln, spionirte in den Kreisen der Legitimisten, verlockte die armen Arbeiter zur Rebellion und verrieth sie dann –«

»Hund von einem Bastard!«

»Verrieth zweimal meinen Besuch bei unserm König in Bourges, nur meine Gewandheit und Gottes Gnade retteten mich –«

»Er muß sterben!«

»Jetzt verfolgte er mich mit Gensd'armes, er ereilte mich, als ich eben die ungastliche Küste Frankreichs verlassen wollte, ich aber nahm ihn gefangen.«

»Und der Hund weiß, daß Du der Vater seiner Mutter bist?«

»Er weiß es, darum verfolgt er mich; er will seine Mutter an mir rächen, denn er meint, ich hätte [101] sie sollen dem Ketzer, dem Rebellen van der Valcke zur Frau geben.«

»So ist er vielleicht nur aus Rache ein Verräther?« fragte Don Gormas.

»Möglich; aber ein Hund war er, bevor er seine Mutter und mich kannte; er hat furchtbare Rache an mir genommen, wie ich nicht zweifele; aber vor kurzem hat er ein Verbrechen begangen, was scheußlicher als alles ist; er wollte ein schönes Weib zwingen, sich ihm hinzugeben, schlug es, bis es in Ohnmacht sank und gab sein Ehrenwort dem, der ihn an der Ausübung des Verbrechens hinderte, zu bleiben, er brach sein Ehrenwort und floh.«

»Nein, Don Juan,« schrie Don Gormas entsetzt, »es ist nicht möglich, das kann selbst der Bastard der Bastardtochter eines spanischen Granden nicht!«

»Und es ist doch so!«

Unter diesem Gespräch hatten die beiden Verwandten ein Haus erreicht, das einsam auf der Spitze eines Hügels stand und von hohen Bäumen umgeben war; die Thür des großen, alten, finstern Gebäudes wurde geöffnet und mit einem Freudengeschrei flog Incarnacion an die Brust Don Juan's, während der Negerprinz, [102] den wir aus alter Gewohnheit noch immer den »doppelten Kopf« nennen, sich in einem wahren Freudenrausch auf Don Juan warf und auch durch ein seltsames Geheul seine Freude zu erkennen gab.

Es dauerte lange, ehe sich der Grande von seinen Getreuen losmachen konnte, denn immer wieder umarmte Incarnacion feurig den von ihr geliebten Mann, immer wieder schloß sie den Mund Don Juan's durch ihre Küsse und ließ Incarnacion ja einmal ihren Freund zum Reden kommen, so übertäubte der »doppelte Kopf« mit seinem Geheul die Stimme, bis endlich Don Juan lächelnd beide unter dem Arm faßte und sie in's Haus führte.

»Er ist kein Sclave,« sagte er entschuldigend zu den Spaniern, die verwundert auf die Vertraulichkeit eines Granden mit einem Neger blickten; »er ist kein Sclave, sondern ein Mohrenprinz aus dem edeln Geschlecht der Söhne vom Strahl!«

Die ernsten Caballeros nickten und man trat gemeinsam in das Haus, das Don Gormas gehörte, der, unzufrieden mit der Regierung Isabels, sich hierher zurückgezogen hatte und für das Haupt der Carlisten in der ganzen Umgegend angesehen wurde.

[103] Dem Grafen St. Aignan wurde ein Zimmer im dritten Stockwerk angewiesen und knirschend vor Wuth hörte der Gefangene, daß der Diener die Thür hinter sich zuschloß und auch zum Ueberfluß einen eisernen Riegel klirrend vorlegte. –

[104]
4. Wie Tosca ermordet wurde
IV. Wie Tosca ermordet wurde.
[105][107]

Zwei Tage bereits war der Graf St. Aignan ein Gefangener in dem alten Hause, das Don Gormas gehörte. Er wußte nicht in welcher Gegend Spaniens er sich befand, er hatte keine Mittel zur Flucht in einem festverwahrten Zimmer, drei Stock hoch. Zwei Mal am Tage brachten ihm zwei Diener eine reichliche Mahlzeit erwiederten aber alle seine Fragen in einem Jargon, den er nicht verstand. Es waren furchtbare Stunden, die St. Aignan in der Einsamkeit dieser beiden Tage verlebte, allein mit dem Bewußtsein seiner Verbrechen. Nichts zerstreute ihn, denn kein Geräusch schlug an sein Ohr und auch der Blick zum Fenster hinaus gewährte ihm keine Unterhaltung, denn er sah in eine von Klippen dicht umschlossene Meeresbucht, in der nicht einmal ein Fischerkahn, geschweige denn ein Schiff erschien, um die tödtliche Monotonie seiner Gefangenschaft zu beleben. Tiefe Stille und das dumpfe, ferne Rauschen der Meereswogen. St. Aignan [107] hätte verzweifeln mögen, er wollte sich morden, er hätte es leicht gekonnt, er brauchte sich nur mit dem Messer, das man ihm ließ, die Kehle abzuschneiden, er brauchte sich nur zum Fenster hinauszustürzen, er wäre sicher von den Klippen zerschmettert eine unkenntliche Leiche hinabgerollt in die Wogen, die sich schäumend an der steinigen Sohle des Landes brachen, aber – Bösewichter sind feige – St. Aignan begnügte sich zu fluchen, zu brüllen, mit den Fäusten an die Thür zu trommeln, in den Abgrund unter seinen Fenstern hinabzublicken und endlich schaudernd und schwindelnd zurückzutreten.

Am Abend des zweiten Tages hatte sich St. Aignan bereits auf seine Matte geworfen, um einen Schlaf zu suchen, der ihn hartnäckig floh, als er den Riegel an der Thür rasseln hörte; er freute sich darüber, denn er freute sich über Alles, weil er sich vor sich selbst, vor dem Alleinsein mit sich, fürchtete; dennoch stellte er sich schlafend. Die beiden Vettern Don Gormas und Don Juan von Aurinia traten in's Zimmer, ein Diener bepflanzte den Tisch mit Lichtern und entfernte sich dann wieder.

Don Juan setzte sich ruhig hinter den Tisch, während Don Gormas zu St. Aignan trat, den sich schlafend [108] stellenden weckte und ihn höflich ersuchte aufzustehen, da Don Juan mit ihm zu reden habe. Der Sohn Rafaëla's nahm Platz vor seinem Großvater, konnte aber den Blick des alten Mannes nicht ertragen, sondern senkte verwirrt seine Augen.

»Er hat auch nicht einen Zug der schönen Rafaëla!« murmelte Don Gormas.

»Junger Mann, Ihr nennt Euch Graf St. Aignan,« fragte Don Juan ernst, »habt Ihr ein Recht diesen Adelstitel zu führen?«

»Habt Ihr ein Recht mich zu fragen, alter Verschwörer?« lautete die trotzige Gegenfrage St. Aignan's.

»Ihr vergeßt,« sprach Don Juan, ohne sich irren zu lassen, »junger Mann, Ihr seid hier in meiner Gewalt, ich kann Euch in dem tiefsten Kerker verhungern und verfaulen lassen; ich kann Euch von meinen Dienern hier zum Fenster hinaus in's Meer werfen lassen, wenn's mir beliebt, glaubt Ihr, daß ein Hahn nach Euch kräht?«

St. Aignan sah den alten Granden fragend an.

»Ich werde das nicht thun, junger Mensch, ich werde Euch sogar eine sehr bedeutende Geldsumme geben und nach Frankreich zurückkehren lassen, wenn Ihr zwei Bedingungen eingehen wollt.«

[109] »Diese Bedingungen?«

»Sind erstlich: Ihr gebt das ehrlose Gewerbe eines Spions auf, meine Euch zugesicherte Geldsumme wird Euch die Mittel geben ohne Sorge zu leben.«

»Zugestanden.«

»Zweitens erzählt Ihr, so weit Ihr irgend im Stande seid, Eure Lebensgeschichte.«

»Und wenn ich das nicht thue?« fragte St. Aignan mit ängstlichem, halb aber auch trotzigem Blick.

»So laß ich Euch in den trockenen Brunnen im Hof unten setzen, bis Euch der Hunger zum Geständniß nöthigt!« sprach Don Gormas etwas ungeduldig.

St. Aignan erbleichte; Bösewichter sind stets Feig linge.

»Was bürgt mir dafür, daß Ihr Eure Versprechungen haltet, wenn ich geredet habe?« fragte er zagend.

»Mein Wort, als spanischer Grande, als Officier!« versetzte Don Juan ernst.

»Und das Meinige!« setzte Don Gormas hinzu.

»Zwei Worte, pah!« erwiederte St. Aignan.

»Knabe!« rief Don Gormas, »hüte Dich an dem Worte eines spanischen Edelmanns zu zweifeln; wähle den Brunnen, oder Bekenntniß!«

[110] »Ich will reden, ich will Euch trauen!«

»So enthalte Dich aller Lügen!« warnte Don Juan ernst.

St. Aignan besann sich eine Weile, er überlegte, er sah ein, daß er dem Wort der beiden ehrenfesten Edelleute trauen könne, er beschloß rücksichtslos zu bekennen und Don Juan durch seine Bekenntnisse so tief als möglich zu verletzen; es lag ein furchtbarer Hohn auf seinem bleichen Gesichte als er begann: »Ich habe ein treffliches Gedächtniß, meine Herren; soll ich von vorn anfangen? von der Zeit, wo meine Pflegemutter in der Rue Rebetonge mich mit ihrem Sohne erzog, wo ich in ihrer Abwesenheit die Geschirre zerbrach und mich dann königlich freute, daß mein Milchbruder deßwegen geruthet wurde?«

»Wie hieß Eure Pflegemutter?« fragte Don Juan.

»Madame Tetonne.«

»Gut, jetzt fangen Sie da an, von der Zeit beginnen Sie, in der Sie die Erziehungsanstalt des Herrn Menestrier in Paris verließen und die Nachricht erhielten, daß Sie der Sohn des Cornelius van der Valcke seien.«

»Ich weiß nur, ein Herr Cornelius van der Valcke schrieb mir, ich sei sein und einer schönen Spanierin[111] einziges Kind, sendete mir zweimal im Jahre bedeutende Wechsel und schrieb mir oft, in jedem Briefe aber forderte er mich auf, ihn und meine arme Mutter zu rächen, die namenlos unglücklich sei durch die tyrannische Härte ihres Vaters, durch Ihre beispiellose Grausamkeit, Don Juan; jeder Brief enthielt eine Aufforderung zur Rache. Um mich an Ihnen rächen zu können, Don Juan, wurde ich Policeispion; um von Ihnen Nachricht zu erhalten, schlich ich durch die legitimistischen Cirkel, machte Reisen, wendete Jahre meines Lebens auf – ich war ein Bastard, Sie aber waren es, der mich zum Bastard gemacht hatte, ohne Ihre Grausamkeit gegen meine Aeltern wäre ich ein ehelich geborner Sohn und wahrscheinlich ein würdiges Mitglied der menschlichen Gesellschaft; so warfen Sie, Sie Don Juan, Sie warfen mich hinaus in die Welt, mit der Bastardschaft gebrandmarkt; sollte ich Sie nicht hassen? Ich kam nach Deutschland, ich sah meine Mutter und sie war wahnsinnig; mein Vater ließ mich Rache schwören, ich that es willig und ich habe meinen Schwur treu gehalten. In Deutschland erfuhr ich mehr von Ihnen, ich brachte in Erfahrung, daß Sie in Amerika – dorthin konnte ich Ihnen nicht folgen, morden wollte ich Sie auch nicht, denn die Rache wäre zu gering [112] gewesen; ich wußte, daß eine Tochter von Ihnen in Deutschland bei ihrem Großvater lebe; die Tochter wollte ich verderben, wie Sie meine Mutter und meinen Vater elend gemacht hatten; ich durchkreuzte Deutschland nach allen Richtungen, endlich fand ich den Professor Klingsohr; wochenlang beobachtete ich sein Haus, Tag und Nacht, die Rache ließ mich nicht ermüden. Ihre Tochter reis'te nach Berlin, ich folgte ihr; mein Plan war gemacht. In meines Vaters Händen waren Briefe von Ihnen, ich verstehe mich trefflich auf das Nachahmen von Handschriften, als spanischer Edelmann kam ich nach Berlin, suchte sie auf, überbrachte ihr ein Schreiben von Ihnen, in dem Sie Ihre Tochter baten, sogleich nach Ostende zu kommen, Sie seien soeben aus Amerika angekommen. Ich war in dem Briefe genannt, sie sollte sich ganz auf mich verlassen, und Ihre Tochter Toska that es, denn sie konnte keinen Verdacht haben, ich erzählte ihr so viel von Ihnen, daß sie mich für Ihren vertrauten Freund halten mußte. Ferner gab ich vor, daß ich sie zuerst bei Professor Klingsohr aufgesucht und an diesen ebenfalls einen Brief abgegeben habe, er ließe ihr glückliche Reise wünschen und werde ihren Koffer mit Wäsche nach Ostende senden. Das bethörte Mädchen brannte vor Begierde, ihren [113] Vater zu sehen, sie trieb zur Abreise und schrieb nur noch einige Briefe, die ich selbst zur Post besorgte, d.h. unterschlug und einen andern dafür absendete, in dem Toska erklärte, sie sei mit ihrem Liebhaber davon gegangen. Wir reis'ten schnell, bald mit Extrapost, bald mit Lohngeschirr; in der Gegend von Mühlhausen beschloß ich meine Rache zur Ausführung zu bringen. Ich muß Ihnen noch sagen, daß ich unterwegs dem bereits alternden Mädchen sehr die Cour machte, was sie nicht ungern geschehen ließ; mich hatte ihre tadellose Figur, ihre angenehme Fülle gereizt, ich wollte eigentlich Ihre Tochter erst verführen, ehe ich sie mordete.«

»Teufel!« murmelte Don Gormas zornig; Don Juan war still.

»Indeß kam es nicht dazu und, seltsam, meine Mordlust wurde immer stärker, je mehr meine Sinne durch Toska's Reize entflammt wurden. Wir fuhren eines Abends, bis tief in die Nacht hinein, in einem Wägelchen, das ich gekauft hatte, endlich gelangte ich an eine Stelle, die mir passend schien. Toska schlief, ich schnitt ihr rasch die Kehle ab, sie war auf der Stelle todt. Nun hielt ich mein Pferd, es war etwas sternhell, warf den Leichnam aus dem Wagen, entkleidete ihn ganz, er war noch warm, und wollte ihn in [114] eine Kiste legen, die ich an demselben Tage in einer Schenke bei Mühlhausen gekauft hatte; die Kiste war zu klein, ich nahm mein Besteck und löste kunstmäßig der Leiche die Beine ab; dann nahm ich ein Bettkissen, das ich im Wagen hatte, um Toska's Füße zu wärmen, legte es auf einen Stein, die nackten Füße kreuzweis darauf, und warf Laub darüber. Den verstümmelten Leichnam that ich in die Kiste, vernagelte dieselbe und nahm sie zu mir in den Wagen, dann fuhr ich im Galopp davon. Die ganze Sache hatte etwa eine Stunde gedauert. Im nächsten Ort, den ich mit Anbruch des Tages erreichte, fand ich vor dem Thor einen meiner geheimen Agenten, Sie kennen ihn, Don Juan, er war Ihr Kammerdiener, durch ihn ließ ich die Kiste nach Ostende addressiren – ich wollte doch mein Wort halten und Toska nach Ostende bringen – und nach der nächsten Eisenbahnstation bringen; der aber fürchtete sich und miethete sich einen stummen Bauer dazu. So wurde die Sache eigentlich viel zu zeitig entdeckt. Sie haben wohl gehört von dem Bletry'schen Prozeß? Nun wohl, der Mann ist ganz unschuldig; der unbekannte, verstümmelte Leichnam, den man auf der Eisenbahn fand, ist der Ihrer Tochter Toska. Indeß hatte ich bereits die Kleider Toska's verbrannt und [115] den Wagen, der sorgfältig von jeder Blutspur gereinigt war, zusammt dem Pferde, an einen Bauer im Würtembergischen verkauft. Hierauf ging ich nach Paris und dann wieder nach Hamburg, wo ich den Brief schrieb, durch den Sie mir auf die Spur kamen. Wie ich Sie aus Frankreich entfernte, wie ich Ihre carlistischen Bemühungen zu vereiteln suchte u.s.w. wissen Sie; ich bin aufrichtig gewesen, die Rache habe ich erfüllt, meinen Schwur gehalten, Vater und Mutter sind gerächt, auf Sie, Don Juan, auf Ihre Grausamkeit wälze ich Alles, was ich gethan!« –

Die beiden Spanier sprachen kein Wort, Schmerz und Empörung hießen sie schweigen. St. Aignan freute sich des Eindrucks, den seine Rede, sein Bekenntniß voll Scheußlichkeit gemacht.

Endlich schien Don Juan wieder Herr seiner Gefühle zu werden und langsam fragte er: »Wissen Sie vielleicht, wo der Sohn Ihrer Pflegemutter, der Madame Tetonne, ist?«

»O ja!« entgegnete St. Aignan etwas verwundert über diese Frage. »Der Tischler Tetonne wohnt rue des deux anges Nr. 2. in Paris.«

»Nun, junger Mensch, nun will ich Ihnen eine Eröffnung machen,« nahm Don Juan sehr ernst das[116] Wort; »Sie sind nicht der Sohn meiner Tochter Rafaëla, nicht der Sohn des armen Cornelys van der Valcke und Sie haben es gewußt, daß Sie es nicht sind; Sie haben meine Tochter gemordet, nicht aus Rache, sondern aus gereizter Sinnlichkeit, aus Wuth über eine fehlgeschlagene Geldspeculation; Sie sind nichtswürdiger und schlechter als sich sagen läßt!«

Todtenblaß sank St. Aignan in seinen Sessel zurück.

»Höre mich, Du Teufel in Menschengestalt!« rief Don Juan außer sich, »Du Mörder meiner armen Toska, ich will Dir die Geschichte, die Du uns erzählt hast, etwas anders erzählen; unser Vertrag ist gebrochen, denn Du hast uns belogen. Höre: vor drei Jahren war es, da trat eine Frau in Deine luxuriöse Pariser Wohnung, ein Bettelweib trat in Deine Wohnung und bat Dich demüthig um ein Almosen; Du wolltest die Bettlerin von Dir jagen, da rief sie Dir zu: ›Karl, kennst Du mich nicht mehr?‹ Es war Madame Tetonne, die in Armuth gerathen war; Du warfst ihr einige Sousstücke hin, nicht aus Mitleid, sondern nur um die lästige Bettlerin los zu werden. Die arme Frau aber ging nicht, sie wollte mehr; sie sagte Dir: ›ich bin ein Bettelweib geworden, weil ich schwer gesündigt habe, und ich habe gesündigt aus Liebe zu Dir. Karl, Du [117] bist mein Sohn; jener arme Tischlergesell, der mit mir hungert, ist der Sohn des reichen Herrn, den Du Vater nennst, der Dir große Summen giebt; laß Deine Mutter nicht hungern und betteln, Karl!‹ Was thatest Du? Du tratest Deine Mutter wüthend mit Füßen und ließest sie von den Bedienten die Treppe hinunterwerfen; Du thatest das, hörst Du, Mensch? Deine eigene Mutter! Aber die Sache reute Dich, denn das Weib konnte Dir ein schlimmes Spiel machen; Du suchtest sie auf, Du fandest sie nach drei Tagen, Du kamst zu spät, in sichere Hände hatte Deine Mutter bereits das schriftliche Bekenntniß ihrer Kindervertauschung niedergelegt – Du sorgtest für den Tischler, den Du um Vater und Mutter und Vermögen betrogen, mit einigen hundert Franks; Deine Mutter starb in Folge der von Dir erlittenen Mißhandlungen und längst bereits wärest Du entlarvt worden, wenn die Person, der Deine Mutter ihr Sündenbekenntniß anvertraut hatte, den mit Dir und durch Dich betrogenen Herrn van der Valcke zu finden gewußt hätte. Du bist nicht der Sohn meiner Rafaëla und ich danke Gott dafür, Du bist nichts als der nichtswürdige, verruchte Mörder meiner Toska, die Du nicht nur gemordet, sondern auch schaamlos beraubt hast, gestehe Deine gemeine [118] Raubsucht, Du hast ihr für 100,000 Fr. Juwelen gestohlen, suche sie nicht durch das Gefühl der Rache zu beschönigen, aus Geldsucht, nicht aus Rache hast Du meine Tochter gemordet, aus Geschlechtsbrutalität, nicht aus Rache hast Du meines Kindes Leichnam verstümmelt, o ich kenne Dich durch und durch, elender Bastard einer Pariser Courtisane; Mörder, mehrfacher Mörder, ich danke Gott, daß ich Dich in meiner Gewalt habe.«

Erschöpft hielt Don Juan inne, mit dem tiefsten Abscheu blickte er den vernichteten Sünder an, der sich bei den letzten Worten Don Juan's, die er falsch deutete, heulend auf die Kniee warf und flehentlich um sein Leben hat.

»Erbärmlicher Mensch!« antwortete der Grande auf diese Bitten, »Du zweifelst an meinem Wort; hier nimm diese Börse, geh wohin Du willst, Don Juan von Aurinia hat nicht Lust dem Henker in's Handwerk zu pfuschen, Du entgehst der Guillotine nicht.«

»Verlaßt auf der Stelle dieses Haus, Ihr sollt es nicht verpesten mit Eurer Gegenwart!« setzte Don Gormas hinzu. »Verlaß dieses Haus und das Bewußtsein Deiner Verbrechen jage Dich ruhelos von Ort zu Ort, [119] bis Du dem Henker in die Hände fällst, dem Du längst gehörst!«

St. Aignan, oder, wie wir ihn nun nennen müßten, Charles Tetonne, raffte die Börse auf und rannte die Treppe hinab, durch die Hausflur, durch die offene Thür und lief spornstreichs dem innern Lande zu. Es war tiefe Nacht bereits, dennoch fand Aignan leicht seinen Weg, es war eine ziemlich breite Heerstraße auf der er sich befand. Nachdem er etwa eine Viertelstunde gelaufen war, begann er langsamer zu gehen; »Narren,« sagte er, »Narren, laßt mich nur nach Paris kommen, ich will Euch für Eure verdammte Großmuth bezahlen, Euch den heutigen Abend mit Zinsen wiedergeben.«

Mit solchen erbaulichen Gedanken und Vorsätzen erreichte Aignan einen Kastanienwald, der sich rechts und links an der Heerstraße hinzog; der Nachtwind rauschte in den dunkeln Wipfeln der Bäume, er spielte mit den Blättern und jagte die Wolken am Himmel schwarzgrau drüber her. Dem Mörder Toska's begann es ganz eigenthümlich zu Sinne zu werden, immer lauter begann sein Herz zu klopfen, immer drohender, glaubte er, tönte das Rauschen der Blätter, Er wollte fingen vor Furcht, er konnte nicht, nur einige [120] unartikulirte Töne entrangen sich seiner gepreßten Brust. Er blieb stehen, schaute sich scheu ringsum und sagte zu sich selbst: »Beruhige Dich doch, der Wind rauscht in den Blättern, es ist nichts!« Aber er sprach vergebens, immer ängstlicher wallte das Blut nach seinem Herzen, er begann zu laufen, er lief lange und sinneverwirrend umrauschten ihn Blätter des Waldes rechts und links; der Wind faßte einen Büschel seines Haars, das sich zu sträuben begann und schaudernd fuhr der Mörder zusammen, scheu blickte er sich um, aber er sah nichts, indeß die Blätter rauschten, und dieses furchtbare Rauschen in stiller Nacht auf einsamen Pfade hetzte ihn wieder vorwärts; plötzlich stutzte der Mörder mitten im Lauf und prallte mit einem schnellen Schreckensruf einen halben Schritt zurück, seine Augen starrten vorwärts, seine Hände waren abwehrend nach vorn ausgestreckt, die Haare sträubten sich auf seinem Scheitel, er stand fest, regungslos – er glaubte im Wege eine weiße Gestalt liegen zu sehen, eine weiße Gestalt – er sah besser hin, seine Augen brannten fieberisch vom Hinstarren, sie traten aus ihren Höhlen – ja, da lag ein weißer Leichnam, ein weißer, weiblicher Leichnam; ein weißer, weiblicher Leichnam mit einer furchtbar klaffenden Halswunde, der [121] Leichnam Toska's; da lagen ja auch die beiden weißen Beine, die er abgeschnitten von der Leiche, als sie noch warm war – ha! – wo kommt der Leichnam hierher? hierher, so weit vom Rhein nach der Peninsula – ein schauriger Anblick, der Mörder entsetzt neben dem Leichnam der Gemordeten; wohl fünf Minuten stand Aignan so da, in furchtbarster Qual, mit dem Vorsatz zu fliehen, doch ohne die Kraft dazu. Plötzlich rauschte es stärker in den Zweigen: »Werda!« schrie eine dunkle Gestalt, die aus den Büschen sprang und ihre Hand auf die Schulter Aignan's legte. »Werda!« wiederholte der bleiche Mörder, entzückt, sich in menschlicher Gesellschaft zu finden, warf aber trotz dem immer noch scheue Blicke auf den vermeinten Leichnam Toska's.

»Werda, woher des Weges?« fragte der finstere, spanische Bauer noch einmal und schüttelte den Mörder, ihn zugleich mit seinen blitzenden Augen fast durchbohrend. »Gut Freund!« antwortete St. Aignan sich ermannend, »führt mich in den nächsten Ort, einige Silberrealen habe ich noch für Euch!«

»Seid Ihr für den absoluten König, oder für die verdammten Negros, die im Namen der Infantin Isabel befehlen?«

[122] St. Aignan lächelte im Stillen; möchte den auch sehn, der Lust hätte für die verdammten Negros zu sein mitten im Wald um Mitternacht, wenn ein spanischer Bauer mit blanker Axt solche Fragen thut. »Es lebe der absolute König!« erwiederte er schnell, »und die heilige Religion!« setzte der Bauer, sich bekreuzend hinzu.

»Wollt Ihr mich in den nächsten Ort führen, wo ich mich ausruhen kann, guter Freund?«

»Por todos muertos!« entgegnete der Baske, »ich bin Sein guter Freund nicht, ich bin ein Caballero; geh Er nur fort, Er ist kaum hundert Schritt von einem Ort.« Mit diesen Worten sprang der Bauer in das Dickigt zurück und ließ den Franzosen allein im Wege.

St. Aignan schritt jetzt beherzt, da er lebendige Wesen in seiner Nähe wußte, auf den vermeinten Leichnam zu und lachte über sich selbst, als er einen weißen Sandstein fand, der als Brücke über einen kleinen Graben diente, in welchem friedlich ein kleines Wässerchen faulte, denn es floß nicht, sondern stand still.

[123] Nach einer Viertelstunde hatte St. Aignan die Posada des nahen Dörfchens erreicht, war willig von dem Wirthe aufgenommen worden und hatte sich behaglich gelagert neben dem Heerde unter einer Gesellschaft von Eseltreibern.

[124]
5. Des Mordes Strafe
V. Des Mordes Strafe.
[125][127]

Ziemlich spät erwachte Aignan und rieb sich verwundert die Augen, als er sich auf dem harten Estrich neben dem Heerde liegen fand, indeß besann er sich bald und faßte nach der Börse, die er an seinem Busen verborgen hatte. Sie war ihm merkwürdiger Weise nicht gestohlen worden. Nun ließ er sich ein Frühstück bereiten, das ihn, durch den Contrast, an seine Frühstücks bei Very in Paris erinnerte, miethete dann einen Maulesel und einen dickköpfigen Jungen dazu, der mit seinem Maulthier an Weisheit mit Erfolg hätte wetteifern können; so trat St. Aignan die Reise nach der nächsten Stadt an, die er, nach der Versicherung des Caballero Wirth, um Mittag erreichen sollte.

Unterwegs führte der junge Herr seine Gedanken kecklich in den sonnigen Gefilden der Zukunft spazieren, suchte sie aber so viel als möglich von der Vergangenheit entfernt zu halten, die ihm zwar keine Reue, aber doch unwillkührliche Angst verursachte. St. Aignan [127] baute spanische Schlösser auf spanischem Grund und Boden und lieblich accompagnirte ihn bei dieser angenehmen Beschäftigung das Geklingel der Schellen am Halse des stolzen Thieres auf dem er ritt. Die Gegend bot der Beschauung eben nichts Merkwürdiges dar, ein hügeliger, steiniger Boden, wenig bebaut, und stellenweise durch schöne, dunkle Laubwälder geziert, die heute, am heißen, hellen Vormittag, dem edeln Grafen von St. Aignan eben so lieblich dünkten mit ihren kühlen Schatten, als sie ihm in vergangener Nacht Schrecken eingejagt mit ihrer Blätter unheimlichem Rauschen.

Mittag war nahe, als Aignan, schon erschöpft von der Gluth der Sonnenstrahlen, in eine schmutzige Straße einritt, die in ihrem Aeußern eine unverkennbare Hinneigung zur cynischen Philosophie an den Tag legte, denn zahllose Hunde, mit Schmutz bedeckt, sprangen bellend um das Maulthier St. Aignan's herum, das indeß dem Cynismus einen bewundernswürdigen Stoicismus entgegensetzte und nicht aus seinem Paß zu bringen war, ja, vielleicht um seine philosophische Verachtung gegen die Hunde noch klarer an den Tag zu legen, in einen ganz gemächlichen Schritt überging. Der weise Jüngling nämlich trieb es nicht mehr an mit [128] seinem Stecken und seinen auf das Ehrgefühl des Maulthiers berechneten Redensarten, sondern lieferte eben den Hunden eine Schlacht, in der er sich zwar des Sieges nicht rühmen konnte, sich aber doch glorreich durchschlug.

Auch diese kleine Stadt hatte ihren Xefe politico und vier und zwanzig zerlumpte Menschen vom tapfern Regimente Navarra zur Besatzung.

Zu diesem Xefe politico ließ sich St. Aignan führen, man führte ihn also seinem Begehren gemäß in ein Haus, welches eigentlich nur eine Scheune war, jetzt aber als Rathhaus diente, da die Karlisten im letzten Kriege sich hier festgesetzt, den Ort vertheidigt und das Rathhaus hatten in Flammen aufgehen lassen.

Ein Barfüßler, das heißt kein Mönch, sondern ein hispanischer Jüngling, der den weiblichen Luxus der Strümpfe und Schuhe verachtete, führte St. Aignan in das Allerheiligste der Gerechtigkeit des kleinen Städtchens. Der Graf stand auf einer Scheunentenne und hatte auf der andern Wand vor sich, die mit ellenlangen Buchstaben geschriebenen Worte »Isabel-Constituzione« – unter dem Schatten dieser magischen Worte ruhte ein langer, dürrer Mann, der in seinen Mantel gewickelt auf dem Rücken lag und den Dampf [129] einer Papiercigarre bis in die höchsten Räume, d.h. bis unter das Scheunendach, mit ernsten Blicken verfolgte und erst, wenn nichts mehr von der blauen Wolke zu sehen war, eine zweite Wolke aus der Cigarre sog, sie eine Weile im Munde behielt und sie dann behaglich halb durch die Nase, halb durch die Lippen wieder ausstieß.

Dieser Mann war der Xefe politico, aber kein Xefe politico, der sich gewaschen hat, sondern im Gegentheil einer, der ergraut zu sein schien, wenn auch nicht gerade im Dienste der Königin und der Constitution, so doch im Staube und Schmutze der Scheunentenne, die Parquet und Barre der Justiz vorstellte. Dem Xefe politico dieser würdigen constitutionellen Autorität fiel es gar nicht ein, beim Eintritt Aignan's sich zu erheben, nicht einmal den Kopf drehte er um, sondern murmelte nur mürrisch: »›Quien vive,‹ wer ist da?«

»Ein Franzose!« antwortete St. Aignan, würde aber vermuthlich eine bessere Antwort gegeben haben, wenn er vorher hätte wissen können, daß dieses einzige Wort die constitutionelle Obrigkeit so ganz außer sich bringen werde. Der Spanier nämlich sprang auf, schleuderte die Cigarre auf die Erde und trat mit dem Fuße [130] darauf, schoß grimmige Blicke auf St. Aignan und schrie wüthend: »Alle Franzosen sind Hunde, alle Franzosen müssen sterben!«

St. Aignan staunte, er hatte den Prahlereien seiner Landsleute in den Journalen geglaubt, er hatte es für wahr gehalten, wenn man ihm von der Popularität der Franzosen im constitutionellen Spanien redete, er wußte nichts von dem dämonischen Haß, der ganze Provinzen Spaniens entflammt, der seit Napoleons Kriegen unvertilgbar zu sein scheint in den untern Schichten der Bevölkerung. Der Xefe politico hatte gegen die Franzosen gefochten, die Franzosen hatten vielleicht seine Hütte verbrannt, vielleicht seine Aeltern und Geschwister niedergemetzelt, er fühlte nichts als tiefgewurzelten Haß gegen die Franzosen und wie er fühlte, so fühlten viele tausend Spanier ebenfalls. Indeß faßte sich unser politischer Chef bald, murmelte nur noch einmal »alle Franzosen sind Hunde,« hob dann ökonomisch seine Cigarre wieder auf und fragte barsch und kurz: »Wer bist Du, Franzose, was willst Du von mir?«

Dieses Alles schien dem Franzosen wenig einladend und wir müssen darin seiner Ansicht durchaus beipflichten, [131] desto mehr beeilte er sich dem Spanier eine erfreuliche Nachricht zu geben.

»Ich komme,« sprach er, »zu einem der gerechtesten Beamten der constitutionellen Regierung –«

»Franzose, Du willst mich betrügen, denn Du schmeichelst mir!« erwiederte der Spanier ernst.

»Durchaus nicht,« fuhr Aignan fort, »ich habe einen Schlupfwinkel der Verräther, der Hunde der Carlisten entdeckt, ich will ihn Euch zeigen, Ihr könnt mehrere vornehme Rebellen gefangen nehmen.«

Wenn St. Aignan erwartet hatte, daß der Xefe politico ihm bei dieser Nachricht vor Freude um den Hals falle, so hatte er sich bitter getäuscht; der Spanier fragte ganz ruhig: »Wo ist Dein Paß, Fremder, denn wenn Du nach Spanien gekommen bist, um Spanier an Spanier zu verrathen, so bist Du vermuthlich im Auftrag der Regierung, denn zum Vergnügen ist man doch nicht Spion!«

»Ich bin auch nicht Spion,« entgegnete Aignan bestürzt, »ich habe die Entdeckung zufällig gemacht.«

»Wo ist Dein Paß?«

»Die Häupter der Carlisten dort heißen Don Juan von Aurinia!«

[132] »Wo ist Dein Paß, Fremder; Hund von einem Franzosen, wo ist Dein Paß?« schrie jetzt der würdige Beamte erbost.

»Ich habe keinen Paß!« erwiederte Aignan kleinlaut.

»Du hast keinen Paß?« rief der Beamte erstaunt, »und ich soll einem Franzosen glauben, der ohne Paß hier spionirt? Ha, Du spionirst vermuthlich für die Carlisten; he, holla!«

Auf diesen Ruf erschienen zehn bis zwölf zerlumpte Kerle, die Aignan schon beim Eintritt an der Thür bemerkt hatte.

»Durchsucht einmal diesen Burschen!« befahl der Beamte.

Die Durchsuchung wurde zwar sehr kurz, aber eigentlich etwas unzart angestellt, denn man riß dem armen St. Aignan ganz einfach alle Kleider vom Leibe und legte das Resultat, welches sich bei der Untersuchung herausstellte, nämlich eine Börse, eine Brieftasche, ein seidenes Taschentuch, auf einen kleinen Eimer vor den Xefe politico. St. Aignan fühlte die unphilosophische Regung seinem Zorn, seinem Grimm durch Schimpfen Luft zu machen und begann auch damit, wurde aber alsbald durch einige zarte Berührungen doppelter Art, die man im gewöhnlichen Leben Rippenstöße [133] und Faustschläge zu nennen pflegt, zur löblichen Tugend des Schweigens zurückgebracht und mußte nun sehen, wie einer der zerlumpten Kerls sehr behaglich seine Stiefeln anzog, während sich zwei andere in seinen Ueberrock theilten.

Der edle Xefe politico entfaltete jetzt zuvörderst mit wahrhaft diplomatischer Vorsicht das seidene Taschentuch, in welches ein Bild Napoleons eingewirkt war, er nahm es ganz auseinander, hielt es seinen Leuten hin und rief: »Seht hier, es ist ein Verräther, seht da das Bild des verdammten Malaparte!«

»Hund, Verräther!« schrieen die Spanier und accompagnirten sich selbst bei diesem Geschrei, indem sie ihre Fäuste im Tact niederfallen ließen auf den armen St. Aignan, der vor Wuth schäumte. Indeß muß man diesen zerlumpten Kerls doch die Gerechtigkeit wiederfahren lassen und zugeben, daß keiner von ihnen bei diesem Intermezzo die Achtung vor der Obrigkeit aus den Augen setzte. Jetzt eröffnete der politische Chef die Börse und schüttete einen großen Haufen Goldmünzen auf den Boden des umgekehrten Eimers. Bei dem Anblick dieses Goldes strahlte wirklich eine rührende Freude aus den Gesichtern der zerlumpten Caballeros, sie überlegten, wie viel Gutes sie zu thun im Stande sein [134] würden mit diesem Gelde – sie konnten sich ja Cigarren kaufen und Zwiebeln und Zwiebeln und Cigarren, was sie nicht nur für etwas Gutes, sondern sagar für das Beste hielten.

Der Xefe politico nahm jetzt ein Goldstück, besah es eine Weile und sprach dann: »Kommt Caballeros, sagt mir, wessen Bild ist das?«

»Des Infanten Don Carlos, des Feindes unsrer Königin!« schrieen die Hidalgos.

»Der Hund ist also ein Franzose, der falsches Geld im Lande verbreitet, darauf steht die Todesstrafe!«

St. Aignan konnte es sich nicht verhehlen, daß seine Sache auf dem Punkte stehe einen sehr übeln Ausgang zu nehmen und es war ihm dabei nichts weniger als angenehm zu Sinne.

Auch die Brieftasche mußte sich jetzt der constitutionellen Gewalt der schmutzigen Fäuste des Xefe politico fügen und aufmerksam wendete der würdige Beamte jedes Blatt um, er fand, obgleich er nicht lesen konnte, sehr bald, was er suchte, nämlich ein Paquet französisches Papiergeld, dann erklärte er die zahlreichen Briefschaften, welche die Tasche enthielt, für eine verrätherische Correspondenz mit den Feinden Spaniens [135] und befahl den Hund von einem Franzosen in das Gefängniß zu führen.

Das constitutionelle Gefängniß der guten Stadt war etwas eigenthümlicher Art, bot aber gewiß manche Vortheile dar, die einem aufmerksamen Beobachter des Gefängnißwesens gewiß nicht entgangen sein würden. Das Gefängniß bestand nämlich aus drei schmalen Brettern, die man über zwei Querbalken, mitten unter dem Dach der Scheune, gelegt hatte. Man ließ es nun zwar nicht an den dringlichsten Einladungen fehlen, um St. Aignan zu bewegen auf einer schwanken Leiter in sein Gefängniß zu klettern, aber der Franzose, der von jeher ein schlechter Katholik gewesen war, wurde hier ganz zum Protestanten, mit Händen und Füßen protestirte er gegen diese Zumuthung, bis ihn endlich zwei der Caballeros auf die Leiter stellten und nun so lange auf ihn losschlugen, bis er zu klettern begann, mit einer Stange trieben sie den Protestanten in sein Gefängniß und zogen dann mit einer wahrhaft nationalen Würde die Leiter wieder ab. St. Aignan begann von seinem höhern Standpunkte auf's Neue zu protestiren, aber die Caballeros waren zu angenehm beschäftigt, um darauf viel zu geben – der Xefe politico theilte das Geld aus.

[136] Während die constitutionellen Edelleute unten auf der Tenne die Goldstücke des absoluten Königs mit unverkennbarem Wohlgefallen vertheilten, hatte St. Aignan Gelegenheit seine dermalige Lage etwas näher zu betrachten und leider konnte er sich nicht verbergen, daß selbige höchst schwankend, denn die Bretter lagen nicht fest auf den Balken und huldigten bei jeder Bewegung des Franzosen einem Fortschrittsprincip, das breite Spalten in ihrer hölzernen Einheit entstehen ließ. Ferner fand St. Aignan seine Lage auch nichts weniger als bequem, denn die drei Bretter waren so schmal, daß bald der rechte Arm und der linke Fuß, bald umgekehrt der linke Arm und der rechte Fuß über die Breite derselben hinausragten und St. Aignan gerieth alle Mal in die größte Gefahr in's Bodenlose zu fallen, wenn er eine Fliege nöthigen mußte, ihre Promenade von seiner Nase an einen andern, weniger sensibeln, Theil seines Körpers zu verlegen. Indeß gewöhnt sich der Mensch an Alles, wenn man etwa die Censur ausnimmt, und auch unser Abenteurer gewöhnte sich endlich an seine Lage, d.h. er war im Stande einigermaßen von derselben zu abstrahiren und seine Blicke abwärts gleiten zu lassen auf die Tenne der Scheune, welchen Orts man die Vertheilung seiner Habseligkeiten [137] endlich beendet hatte und sich nun eifrig mit dem Schicksale seines Leichnams zu beschäftigen schien; seines Leichnams sage ich, denn seine unsterbliche Seele kam nicht in Betracht, da diese, als die eines herege, eines Hundes, eines Franzosen ohne Widerspruch der aimabeln Person des leibhaften Satans zufallen mußte. Schaudernd vernahm St. Aignan, daß die Rathsversammlung mit absoluter Majorität ihm das Leben absprach; »Er muß sterben!« schloß der Xefe politico, »denn wenn wir ihn loslassen, klagt er beim Generalcapitain, oder dem Consul und wir müssen das Geld hergeben.«

»Er muß sterben!« hallte es im Chor der Versammlung. »Ich will nicht klagen, ich beschwöre es, laßt mich los!« schrie der Gefangene von seiner Höhe hernieder; »ich beschwöre Euch, laßt mich leben, ich schenke Euch Alles Geld, ich schwöre Euch nicht zu verrathen, Senhores Caballeros!«

»Alle Franzosen sind Hunde und alle Hunde lügen!« antwortete man ihm.

»Alle Franzosen sind herege's, Ketzer, Ketzer haben keinen Gott, können also nicht schwören!«

»Alle Franzosen sind Großmäuler, der herege will uns schenken was wir schon haben!«

[138] »Basta!« rief der Xefe politico, »hängt ihn gleich dort an den Balken, damit wir Ruhe haben.«

Gleichmüthig zündete sich die ehrenwerthe constitutionelle Obrigkeit der Stadt eine Cigarre an und überließ die Vollstreckung seiner strengen Sentenz vier Mitgliedern des hohen Raths, in deren Hände vermuthlich die executive Gewalt gelegt war. Diese setzten nun die Leiter wieder an und ersuchten St. Aignan sehr höflich, wenn auch anscheinend grob, herabzusteigen und sich gefälligst aufhängen zu lassen. Der Franzose war außer sich vor Wuth und Angst, er beschloß sich auf seinem hohen Posten zu erhalten und brauchte eine Kriegslist, die ihm trefflich gelang, denn ehe es sich die Spanier versahen, hatte St. Aignan die Leiter ergriffen und sie in die Höhe gezogen, zwar geriethen die Bretter auf denen er lag bei diesem Coup in eine bedenklich schwankende Bewegung, aber sie fielen doch nicht und St. Aignan legte die Leiter, die eroberte Trophäe seines Sieges quer über die Balken und fand so sehr bald seine Lage etwas verbessert, die Leiter war eine bedeutende Stütze für ihn.

Jetzt beriethen sich die Spanier unter einander und riefen ihm zu er möge herab kommen, man wolle ihm nichts thun, man wolle ihn freilassen u.s.w. aber [139] St. Aignan hatte treffliche Ohren, er hatte gehört, daß der Xefe politico sagte: »einem herege braucht man kein Wort zu halten!« und darum begrüßte er hohnlachend die Proposition seiner Feinde, schimpfte sie Hunde und Bastarde, nannte die Königin Isabel einen Wechselbalg, belegte die Königin Christine mit noch erbaulicheren Ehrentiteln und brachte schließlich dem absoluten Könige ein Vivat. St. Aignan hatte noch nicht alle Hoffnungen aufgegeben, langsam schob er seine drei Breter und seine Leiter bis dicht unter das Dach der Scheune, dort stand er plötzlich auf, schlug die nächsten Ziegel entzwei und schaute durch die Oeffnung herab auf einen unregelmäßigen, ungepflasterten Platz, auf welchem sich einige spanische Hidalgos ohne Schuhe und Strümpfe herumtrieben. »Hülfe, Hülfe, Senhores, man will mich morden!« schrie der Franzose ihnen zu, aber keiner der Edelleute schien ein besonderes Gelüst nach einer nähern Bekanntschaft mit dem Xefe politico zu tragen, sie begnügten sich ihre Papiercigarren einen Augenblick aus dem Munde zu nehmen, den Franzosen zu fixiren und dann ruhig ihre Promenade fortzusetzen.

Der Xefe politico, der das Aufsehen aus Bescheidenheit haßte, forderte jetzt den Gefangenen noch einmal auf, herabzusteigen und sich gutwillig hängen zu[140] lassen, St. Aignan aber antwortete mit einem Ziegelsteine, der dicht neben dem Kopf der städtischen Autorität vorbei flog.

»Hund von einem Franzosen!« schrieen die Spanier.

»Bastardsbrut, Schufte!« antwortete der Franzose und schleuderte wieder einige Ziegelsteine, die aber etwas zu schwer waren für St. Aignans Kraft und seiner genirten Stellung unter dem Dache, die Wucht des Wurfs riß den Franzosen vorwärts, das eine Brett rutschte, St. Aignans rechter Fuß gerieth zwischen die Sprossen der Leiter, trat natürlich durch, die Leiter schlug um, rechts und links fielen die Bretter auf die Tenne und oben zwischen den Balken hing St. Aignan mit einem Fuß fest zwischen die Sprossen der Leiter geklemmt, die Füße nach Oben, den Kopf nach unten. »Santissima madre!« schrieen die Spanier und schauten nach dem hängenden Ketzer, den die heilige Jungfrau selbst bestraft hatte für seine Schmähungen gegen gute Katholiken.

»Helft mir, helft mir!« stöhnte St. Aignan und machte eine furchtbare Anstrengung seinen Fuß aus der Leiter zu befreien, ohne zu bedenken, daß er dann zwanzig Schuh hoch herab stürzen und sich ganz zerschmettern mußte, vielleicht aber zog er auch einen[141] schnellen Tod der furchtbaren Lage vor, in der er sich befand. »Helft mir, helft mir!« brüllte er.

»Alle Franzosen sind Hunde!« antworteten die Spanier und sahen die Cigarren im Munde gemüthlich den furchtbaren Anstrengungen zu, die St. Aignan machte, sich zu befreien. Jetzt wurde das Gesicht des an den Beinen Aufgehängten schwarzblau, nur ein heiseres, kurz ausgestoßenes Geheul verrieth, daß der Unglückliche noch lebe.

Plötzlich knallte ein Schuß, eine blutige Leiche mit zerschmettertem Kopfe hing an der Leiter.

Der Xefe politico wischte sorgfältig das Schloß seiner langen, gezogenen Büchse wieder ab und lehnte sie ruhig in den Winkel; seine Leute blickten ihn fragend an »ich mochte es nicht mehr sehen!« antwortete er einfach.

Druck von J. Webel in Zeitz.

[142]
6. Briefe von Faust an Don Juan
Erster Brief
Erster Brief.

Berlin den 14. Januar 1846.


Don Juan, mein lieber, theurer, zürne mir nicht, daß ich Dir in diesem Briefe lauter traurige Nachrichten mittheilen muß; ich weiß Du wirst der Ueberbringerin diese Nachrichten nicht entgelten lassen, wenn ich Dir sage, daß es dieselbe Madame Strobel ist, welche schon als Röschen Mensdorff unsere Theilnahme zu erregen und sich zu erhalten wußte. Du weißt, was sie von ihrem Manne trennte? jetzt hat sie ihn wieder bei sich, weil er ein Bettler geworden war durch den Banquerott von Blauholm und Söhne, sie, die arme Fabrikdirne aber ist ja Besitzerin eines fast fürstlichen Vermögens; da schicke ich sie Dir nun mit ihrem Mann und ihrem alten Vater nach Deinem prächtigen, sonnigen Amerika, Du wirst sie gut empfangen, schon meinetwegen. Nun muß ich meine Trauerbotschaften[145] doch anbringen, so lang als möglich hab ich sie verzögert, ich glaubte immer, es sollte sich noch Etwas Angenehmes finden, das hätte ich dann hinzugefügt und so den Eindruck der Hiobsposten zu mildern versucht.

Don Juan, mein Lieber, am letzten Tage des vergangenen Jahres ist Dein, unser Klingsohr heimgegangen, plötzlich, unerwartet, seltsam, wie er immer im Leben war; Monsieur Benndorf bringt ihm morgens die Briefe wie gewöhnlich, wie gewöhnlich brennt die Lampe, wie immer sitzt der alte Mann in seinen Kissen; die Katzen schnurren um ihn, es ist behaglich wie immer in der Büchernische, es hat sich nichts geändert, aber Klingsohr ist todt. – Die starren Finger hielten noch die Satyren des Juvenal fest, der alte Ehrenmann war bei seiner Morgenlektüre sanft entschlummert. Ein Herr Johann Prosch, ein Stiefbruder des Verewigten, ein Mann Dir sehr nahe befreundet, wie ich nachher erfuhr, schrieb mir, ich eilte nach Klingsohres Wohnort, wir haben den alten Klingsohr zu Grabe geleitet. Ein großer, ein edler Geist ist in ihm zur Ruhe gebracht. – Klingsohr's Haus und Habe, dessen Erbe Du bist, Don Juan, haben wir dem alten getreuen Monsieur Benndorf und der betagten Jungfer lebenslänglich zum Nießbrauch überlassen.[146] Wir sind überzeugt so in Deinem großmüthigen Sinne gehandelt zu haben. Herr Prosch, dessen Freund ich geworden bin, grüßt Dich mit dem Spruch der Eingeweihten, er schriebe niemals Briefe, das zieme einem alten Schäfer nicht; Du würdest es schon verstehen! ich glaube auch. Don Juan, habe ich Dir jetzt als Menschen wehe gethan durch diese Nachricht, so muß ich jetzt leider auch Deine politischen Sympathieen kränken – die Nachricht, die ich Dir nun mittheile, wird Dich mehr schmerzen als Klingsohr's Tod, die Menschen find einmal so. – Dein König Karl, mein armer Don Juan, lebt einsam, verlassen, traurig vereinsamt in Italien, er leidet Mangel oft selbst am Nothwendigsten, denn die Unterstützungen, die ihm zufließen, werden meistens dem Grafen Montemolin gesendet, damit dieser, wenigstens einigermaßen, eine Art von Hof halten kann – die Stärke der Partei in Spanien mußt Du besser kennen als ich, Europa hält die Sache des Prätendenten für hoffnungslos – o mein Don Juan, warum mußtest Du ein in spanische Grandezza übersetzter Cato sein? warum mußtest Du Dein Herz an die verlorne, überwundne Sache hängen? wieviel Schmerz, wieviel brennenden unsäglichen Seelenschmerz, hat die Welt dadurch auch Deinen Freunden nicht schon dieses [147] rastlose, mühevolle und unfruchtbare Kämpfen gegen die Zeit gemacht! O, Don Juan, mein theurer, wie schmerzlich ist es für mich, wenn ich Dich dem Spott, dem Hohn die Waffen selbst in die Hände geben sehe, die Waffen mit denen er Dich verwundet! Doch ich rede thörig, laß Jedem das Seine, Don Juan wäre nicht Don Juan, wenn er einer siegenden Partei angehörte! Du weißt, daß ich die politischen Ansichten, denen Du so schwärmerisch huldigst, daß ich sie für überwunden ansehe, Du weißt, daß ich Deine frische Begeisterung, Deine ungebeugte Thätigkeit einem fruchtbarern Gebiete zuwenden möchte, aber Du weißt auch, daß ich Ueberzeugungstreue überall zu achten verstehe, daß ich namentlich in der jetzigen Zeit sie als ein Kleinod schätze, das nur die Edelsten besitzen. Freilich giebt es Menschen, die sich liberal nennen und durch die Adoption dieses oft und schnöde gemißbrauchten Titels ein Recht erworben zu haben glauben, jeden Andersdenkenden und Anderswollenden zu verhöhnen und zu beschimpfen.

Soll ich von mir selbst reden, Don Juan, mein Freund, so kann ich auch nur Trübes melden, mir geht es wie Dir, ich ernte beim besten Wollen mehr Hohn als Dank; ich kämpfe gegen die Tyrannei des [148] Geldes und schamroth muß ich bekennen, daß es wieder nur das Geld ist, welches meine Reputation in den Augen der meisten Menschen aufrecht erhält. Don Juan, ich schäme mich, aber ich bin oft verzweifelt, es will mir nicht gelingen, meine liebe deutsche Nation für die Sache der Rettung der arbeitenden Klassen zu entflammen, man versteht mich nicht und deßhalb werde ich hier verdächtig und dort hält man mich für närrisch; böser Wille ist mir selten entgegen, immer aber die leidige, gottheillose Indifferenz und Bequemlichkeit; was ich für die Proletarier Deutschlands bis jetzt erlangt habe, ist Nichts, gar Nichts – Du weißt welche Hoffnung ich hatte durch meine Operation mit der Arbeiterdeputation das Herz eines großen Fürsten für die Sache des Elendes zu erwärmen, nichts ist erfolgt. Einige Schriftsteller, die zu meiner Fahne geschworen haben, kämpfen rüstig und muthig, aber erreicht ist noch gar nichts; die Spinner in Westphalen, die Weber in Schlesien sind um nichts gebessert, die Noth mehrt sich fortwährend, es ist mir unmöglich etwas zu wirken, ich kann die Nation nicht electrisiren, mir graut vor dem unvermeidlich werdenden Zusammenstoß von Arbeit und Besitz. Ich komme mir bei meinen Bemühungen fast vor wie der advocatus diaboli bei [149] den Canonisationsprocessen, ich bemühe und quäle mich ohne die geringste Aussicht auf Erfolg.

Fragst Du mich aber, wie es möglich ist, daß eine so große und so edle Nation, wie die deutsche, so ganz ohne Interesse bleiben kann bei einer Frage, die so unendlich wichtig – so muß ich seufzend bekennen, daß Deutschland wirklich unverbesserlich ist, es hat nur ein Interesse, das für religiösen Hader und Zank. Die Erde ist ihm gleichgiltig, Deutschland interessirt sich blos für das, was im Himmel vorgeht – soll man solche Thorheit beweinen? soll man sie belachen? oder soll man sie achten? Blicke auf die Geschichte der letzten Jahrhunderte; Deutschland zog unter Hader und Zank die Reformation groß, es wußte aber nichts mit ihr anzufangen, die Niederländer nahmen die Reformation und wurden ein freies Volk, die Britten nahmen sie und beherrschten die Erde mit ihr, Deutschland richtete sich politisch zu Grunde damit; die Reformation machte sie gleichgiltig gegen das Vaterland, wenn der katholische Kaiser in Ungarn geschlagen wurde und am Rhein ein Reichsland nach dem andern verlor – was ging das den protestantischen Fürsten und Fürstlein an? wenn der deutsche Name im Ausland mit Schmach bedeckt wurde, wen kümmerte das? Verhandlungen [150] über des Reiches Wohl und Weh, daran hatte Niemand Interesse, die Gezänke der Hoftheologen aber und die der theologischen Facultäten, die waren von der höchsten Wichtigkeit. Der Westphälische Frieden gab dem Schweden Deutsches Reichsland, Frankreich rückte seine Grenze immer tiefer hinein ins Reich; was schadet's, man hatte doch Religionsfreiheit und von da ab ging's Zanken, Belfern, Beißen um religiöse Dinge fort bis auf den heutigen Tag; von Patriotismus keine Spur mehr, der Deutsche jubelte über Friedrichs des Großen Siege, er nannte seine eigene, die Reichsarmee, spöttisch die Reißausarmee – Don Juan, Du hast diese Zeit gekannt – giebt es Etwas Elenderes? Soldatendruck erzeugte 1813 eine energische Manifestation des Nationalwillens und Nationalunwillens, aber diese Bewegung war im Grunde nur eine Particularpreußische, eine allgemein-deutsche war sie nicht, und, ich erlaube mir an dem Erfolge zu zweifeln, wenn nicht die großen Männer, welche jene Bewegung leiteten, religiöse Elemente beizumischen verstanden hätten.

Seit Napoleons Sturz hat der Zank nicht aufgehört über Glaubensdogmen in Deutschland, Verketzerungen und neue Richtungen kreuzten sich, seit zwei Jahren [151] etwa aber scheint die liebe deutsche Nation förmlich von der Tarantel gestochen zu sein, der Zank der Theologen dringt von den Kathedern und Kanzeln in die stillen Familienzimmer, er erfüllt die Werkstatt des Schusters, er brüllt im Comtoir des Kaufmanns, er bewegt Rathsstuben und Rathskeller, er jubelt auf den Straßen, er flucht an offnen Gräbern, er klirrt in den Wachtstuben und Kasernen. Lichtfreunde und Finsterlinge, Deutsch-Katholiken und Ultramontane, Protestkatholiken und Unionisten, Jesuiten und Altlutheraner, Reformjuden und Quäker, Gott weiß alle diese Namen – man muß Partei nehmen in diesem Geheul und dieser Verwirrung, sonst ist man kein braver Deutscher, und Leute, die nicht eine Spur von Religion, nicht einen Funken wahrem Interesses an religiösem Glauben, oder Nichtglauben haben, die schreien häufig am Lautesten.

Das, mein Juan, dieser theologische Zank stumpft den Geist des deutschen Volkes ab gegen die große, sociale Frage – ach, Du solltest sehen, selbst die kleinste politische Anregung läßt bei den Deutschen eine oft Monate andauernde Abspannung zurück.

Verzeihe mir, Don Juan, mein Lieber, mein Theurer, ich mußte aber meinem bedrängten Herzen einmal [152] Luft machen, ich mußte, wenn auch nur auf Augenblicke, meinen Gram einmal heruntersprechen von der gequälten Brust.

Nun leb wohl, mein Geliebter, Deine Briefe finden mich auf dem alten Wege, grüße mir Deine Incarnacion, die sich wohl selig fühlt in ihrem sonnigen Vaterlande und empfiehl mich Deinem durchlauchtigen Negerprinzen, meinem Freunde, dem »doppelten Kopf.«

Mit dem Gruß der innigsten Liebe und unwandelbarsten Freundschaft

Dein

Faust. [153]

Zweiter Brief
Zweiter Brief.

Paris den 16. März 1846.


Ich habe Deinen Brief vom ersten Weihnachtstage des vorigen Jahres hier vorgefunden, mein theurer Juan, ich brauche Dir wohl nicht zu sagen, wie herzlich ich mich Deines und der Deinigen Wohlseins erfreue, wie ich wünsche, Du mögest Dich noch lange dessen erfreuen und, fern von dieser europäischen Welt, seligen Friedens im Umgange mit lieben Freunden und holden Frauen genießen. Beatus ille qui procul negotiis est rief ich mit Horaz, als ich Deinen Brief gelesen; ach! dieses europäische Leben flößt mir Ekel ein und bietet mir doch zugleich die einzige Luft, in der ich zu athmen, zu leben vermag. Röschen mit ihrem Gefolge wird Dir nun wohl auch meinen traurigen Brief vom Januar übergeben haben, ich las in den [154] Seeberichten, daß das Schiff, auf welchem sie sich zu Hamburg einschiffte, glücklich zu Para angekommen. Trauerbotschaften habe ich Dir heute keine mitzutheilen, auch wird mein Brief nicht traurig sein, denn ich höre seit vier Wochen schon kein deutsches Religionsgezänk – Du glaubst nicht, Juan, mein Theurer, welche unendliche Wohlthat das für mich ist; zugleich sehe ich hier in Paris viel Schönes, viel Großes – hier regt sich der fruchtbare Geist der Association mächtig in den untern Klassen – es läßt sich wirklich noch nicht bestimmen, wohin das Princip der Association führen kann. Das bringt mich auf Deinen Auftrag, denn nie würde ich das eigentliche Wesen der Arbeiterverbindungen, das Innere derselben u.s.w. genau kennen gelernt haben, wenn mir nicht Charles Tetonne, er will den Namen durchaus nicht ändern, die Wege geebnet und mir die Mittel an die Hand gegeben hätte.

Ich muß Dir gestehen, mein Juan, als ich zu Deiner Rafaëla Sohn trat, konnte ich nicht umhin, Deiner Theorie von der reinen Raçe, vom unvermischten Blut u.s.w. wenigstens in diesem besondern Falle Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen. Ich fuhr zu Charles Tetonne, er besitzt jetzt eine der größten Tischlerwerkstätten in Paris und hat weit über hundert Leute, [155] die für ihn arbeiten; ich trat in einen großen Saal, in welchem etwa zwanzig Leute beschäftigt waren; es kam mir ein Mann entgegen, groß und schlank, in einer blauen Blouse mit einem weißen Hemdkragen und fragte mich freundlich nach meinem Begehr. So wie er redete erkannte ich ihn an seiner großen Aehnlichkeit mit Deiner armen Rafaëla, mein Juan, noch mehr aber erinnerte mich sein Mienenspiel an van der Valcke. Der Tischler hatte ein so vornehmes, ein so echt adeliges Wesen, daß ich staunte.

»Ich sehe Herrn Tetonne vor mir,« sagte ich lächelnd.

»Charles Tetonne ist mein Name, befehlen Sie, mein Herr!«

»Ich kenne Sie, mein Herr!«

Eine stumme Verbeugung.

»Ich erkenne sie an ihrer Aehnlichkeit mit dem armen Leonard Cornelys van der Valcke –«

»ah, mein unglücklicher Vater!« seufzte Rafaëla's Sohn, »Sie haben ihn gekannt, mein Herr, vielleicht auch meine arme Mutter?« fragte er dann, ohne, wie sonst den Leuten seines Standes gewöhnlich, Staunen zu zeigen.

[156] »Ich bin,« sagte ich, »ein alter Freund Ihres Großvaters Don Juan, ich bin Johann Faust, der deutsche Doctor!«

»Sein Sie mir herzlich willkommen, theurer Herr!« sprach Charles Tetonne jetzt und sein Wesen wurde nun so anständig vertraulich, daß es mich wahrhaft erquickte; er führte mich zu seiner Familie, ich fand eine kleine, liebliche Frau, einen Säugling an der weißen Brust; als sie hörte, wer ich sei, ging sie mir unbefangen entgegen, bot mir die frischen Lippen zum Kuß und sagte, sie sehne sich so ihres Mannes Großvater zu sehen, daß es ihr schon ein großes Vergnügen gewähre wenigstens einen seiner Freunde zu sehen.

Mir wurde recht heimisch und wohl in dem Hause Deines Enkels, theurer Juan, seitdem gehe ich jede Woche einige Male dorthin und mache immer freundliche Gesichter, wenn ich von Dir erzähle. Als ich Deinen Wechselbrief übergab, nahm ihn Charles, dankend, aber ohne Verlegenheit und ohne Ziererei – Du sieh'st, mir gefällt Alles an dem Manne, ich bin für ihn außerordentlich eingenommen. Es ist aber noch eins, was mich an diesen glücklichen Sohn der unglücklichsten Aeltern fesselt. Charles sucht durch eifrige Studien, [157] durch fleißiges Lesen die Lücken in seinem Wissen auszufüllen, die sein Schicksal verschuldet; ich staune bei ihm immer über die gewaltigen Wirkungen eines festen und starken Willens. Diese Studien halten dabei den Tischler keineswegs ab von seinen Geschäften, im Gegentheil, er ist oft fleißig in der Werkstatt wie ein Gesell, der um's Taglohn arbeitet, er hat Liebe zu seinem Handwerk, er ist stolz auf einen Tisch, oder einen Stuhl, der aus seiner Werkstatt hervorgegangen. Solcher Art find nicht Viele unserer reichgewordenen Handwerker. Die reizende Frau Deines Enkels, mein theurer Juan, ist als Frau ganz das, was ihr Gemahl als Mann – sie ist ebenso wie Charles ein Bastardkind eines Edelmanns, ebenso wie Charles ist sie im tiefsten Elend aufgewachsen und Du solltest sie jetzt sehen! Wie oft habe ich sie belauscht, ihren Knaben auf den Knieen schaukelnd und ihn in den Schlaf singend, sie singt nicht ein's der gewöhnlichen Wiegenlieder, sie dichtet selbst Schlummerlieder von einer Gefühlswärme, von einer Einfachheit und Kindlichkeit im Ausdruck, die ganze Poesie der jungen Mutterschaft liegt darin und jubelt in jedem Wort – und fingt Henriette eine der alten Melodieen, der alten Lieder, so entstehen ganz andere Gedanken im Singen, wie [158] Frühlingsblumen sprießen neue Verse auf und man hat schließlich ein ganz anderes Gedicht. So sang Henriette neulich das etwas alberne Marlbrough s'en va-t-en guerre mit seinem einförmigen Mirlitonmirliton und plötzlich war das Lied verwandelt in ein's der lieblichsten Baum- und Blumenidyllen, die mir je vorgekommen. Du wirst, mein theurer Juan, dieses lesen und lächeln und denken: »Faust, mein Freund, ist sehr verliebt in meines Enkels schöne Frau!« Du wirst das denken, theurer Freund, und nicht sehr unrecht haben, es ist die Begeisterung der Freundschaft, der innigsten, reinsten und heiligsten Freundschaft, nicht die Begeisterung gröb'rer oder fein'rer Sinnesgluth, die aus mir spricht. Ich übertreibe gewiß nicht, urtheile selbst, hier hast Du ein Paar Lieder der schönen und guten Henriette.

Von Deinen hiesigen Freunden, theurer Juan, habe ich nur den wahrhaft edeln Herzog von Fitz-James gesehen, er ist kränkelnd, der Tod ist ihm nahe, aber er sieht ihm mit der Ruhe des Weisen entgegen, des Weisen, den sein christlicher Glaube im Jenseit höhere Freuden erwarten läßt. Chateaubriand sah ich neulich ausfahren, er ist sehr alt geworden. Im Uebrigen hegen [159] die französischen Legitimisten noch große Hoffnungen, die ich nicht theile, obwohl die Partei noch sehr stark und einflußreich ist und in einem comitée directeur ihren Mittelpunkt findet. Es gäbe jetzt keine Legitimistenpartei, wenn Männer wie Chateaubriand und Fitz-James das Vertrauen des unglücklichen Charles X. besessen hätten. Was den Stand der Politik in Frankreich und der politischen Parteien betrifft, so hat Guizot, der eigentliche einzige orléanistische Staatsmann, denn Thiers ist nur ein Redner, Lamartine nur ein Poet und Odilon-Barrot nur ein Advocat, es verstanden der Nation einer Art von Ekel vor aller Politik beizubringen. Jedenfalls ist Frankreich jetzt in ein Stadium der Ruhe eingetreten, einer Ruhe, die allerdings vortheilhaft auf das materielle Wohl der Handels- und Gewerbswelt wirkt, aber dagegen in geistiger und sittlicher Hinsicht von den traurigsten Folgen ist. Frankreich ist oft genug voran gewesen, jetzt wird es wahrscheinlich eine Weile nachfolgen und zwar so lange, bis sich die Eitelkeit der großen Nation durch das Nachhinken verletzt fühlt und sie sich dann wieder mit einem, mehr oder minder tollen, Sprung wieder an die Spitze der Marschcolonne der Staaten setzt. –

[160] Lebwohl, mein theurer Juan, ich sehe Nachrichten von Dir und den Deinen, namentlich aber auch von Röschen, die mir sehr am Herzen liegt, sehnsüchtig entgegen. Im Geist Dich umarmend

Dein

Faust. [161]

Dritter Brief
Dritter Brief.

Paris den 3. Juni 1846.


Gestern erhielt ich Deinen Brief, Don Juan, lieber Guter, Du hast mir wieder eine rechte Herzensfreude gemacht; ihr Glücklichen in eurem schönen, jugendlichen Wunderlande! und Incarnacion eine junge Mutter und Röschen Mutter? es muß ein fruchtbar Land sein, euer Amerika! Ich habe herzlich gelacht über Deine Schilderung der jungen Mutter Incarnacion, der »doppelte Kopf« mit dem Generalshut auf dem Wollenhaar und das schöne Kind auf dem Arme ist eine gar zu ergötzliche Figur! Du glücklicher Juan, ich würde Dich beneiden, wenn ich Dich nicht zu sehr liebte! Wenn Dir Deine Incarnacion sagt, der Maranhon spräche Deutsch wie ihr Freund Doctor Faust, so sage ihr, Doctor Faust sei kein Zauberer mehr, er vermöge den stehenden See seines deutschen Vaterlandes [162] nicht zum Wallen und zum Wogen zu bringen, es sei aus mit seiner Kraft, er müsse Jüngern und Glücklichern Arbeit, Ruhm und Ehre überlassen. Sag' ihr aber lieber nichts, das holde Geschöpf würde es nicht verstehen, und sie ist glücklich, das sie es nicht versteht. Was Du mir von Röschen schreibst habe ich mir gedacht, in dieser milden Klarheit, in dieser festbestimmten Ruhe mußte ihr Wesen sich entwickeln; Du hast Recht, sie war nicht glücklich bis jetzt, sie konnte es nicht sein, der Schwachkopf Strobel konnte ihr Herz nicht erfüllen, jetzt wird Röschen glücklich werden, sie gehört zu den weiblichen Wesen, die nur als Mutter glücklich sein können, wie es viele giebt, die nur im ehelosen Stande ihr Glück finden, wie viele sind, die treffliche Gattinnen sind, ohne je die Seligkeit des Mutterglücks Anderer zu ahnen. Strobel, schreibst Du, sei wie eine Marionnette, die sich nur nach dem Willen Röschens bewege; das ist in der Ordnung, solche Menschen wie Strobel dürfen keinen Willen haben, es ist sehr gut, daß er jetzt arm und Röschen reich, das wird ihm jede Möglichkeit des Widerstrebens nehmen. Uebrigens wenn Du der glücklichen jungen Mutter meinen herzlichen Gruß und meine besten Wünsche bringst, so theile Strobel mit, daß seinen schurkischen [163] ehemaligen Buchhalter endlich die Nemesis erreicht habe. Dieser Mensch, er heißt Koch, hatte, nachdem wir Strobels Fabriken gekauft hatten, keine neue Stelle wieder angenommen, sondern hielt sich in Berlin auf und zehrte von dem Sündengelde, welches er erpreßt und gestohlen. Er war dabei an einen berliner Industrieritter gerathen, einen gewissen Ratz, den ich gekannt habe, er saß einmal in Berlin mit uns an der table d'hôte, dieser Mensch hatte ihn in eine Betrügerei verstrickt die lange geheim blieb und ungeheure Procente abwarf, Ratz nämlich kaufte mit Kochs, des Buchhalters Gelde gestohlene Schmucksachen und Pretiosen aller Art, natürlich zu einem wahren Spottpreise, dieses gestohlene Gut kam in die Hände eines Juden in einer kleinen Stadt und wurde gewöhnlich in's Innere von Rußland, oder nach der Türkei verhandelt. Man kann sich denken wie lucrativ dieses Geschäft sein mußte. Buchhalter Koch nun glaubte sich dabei von Ratz übervortheilt, was mir sehr wahrscheinlich ist, er besorgte die Ankäufe selbst, wurde entdeckt und auf einige Jahre nach Spandau auf's Zuchthaus geschickt. Man sagt, Ratz, gekränkt durch Kochs Zweifel an seiner Ehrlichkeit, habe seinen ehemaligen Genossen selbst verrathen. Auf dem Zuchthause also wird der Mann enden, vor dem so [164] viele Arbeiter zitterten, dem so viele hungernde Dirnen ihre Unschuld für ein Stück Brod verkauften, vor dem auch Röschen einst bangte, »tout change dans ce monde« sagte der vertriebene König und er hatte Recht. Erzähle Strobels das Geschick des ehemaligen Buchhalters und schreibe mir welchen Eindruck es auf Jeden gemacht, mir ist das in psychologischer Hinsicht höchst interessant. Ueber die Verwandten Röschens habe ich Nachrichten eingezogen. Monsieur Benndorf lebt, wie Du weißt, noch in Klingsohr's Hause in derselben Stadt, in welcher auch der ehemalige Unterofficier Mensdorff wohnt. Die alte treue Seele schrieb mir neulich einen sehr langen Brief, der viel Interessantes enthält. – Der gute Bursch geht noch täglich in das Bücherzimmer unseres guten Klingsohr und wischt den Staub ab, kein Buch darf angerührt werden – unter Andern schrieb er mir auch, daß der Invalide Mensdorff jetzt im ganzen Städtchen Herr von Mensdorff heiße, übrigens sehr sparsam lebe und sich nur die Depense erlaube, jeden Abend mit dem Bürgermeister des Orts und mit dem Postmeister auf dem Rathskeller Doppelbier zu trinken – wirklich bescheid'ne Gelüste für einen Millionair! Dabei soll der alte Kautz die Absicht haben, sein ganzes Vermögen [165] einem Preußischen Regimente zu vermachen, unter der Bedingung, daß es in ewige Zeiten den Namen: »Regiment Prinz Heinrich vacat« führe und daß jeder Soldat jeden Abend eine Flasche Doppelbier erhalte. Von dem Studenten Mensdorff habe ich nähere Nachrichten durch den Advocaten Daniel Wolffshagen in Trier, dieser ist sein Rechnungsführer und steht in laufenden Briefwechsel mit dem jungen Millionair, der fest entschlossen ist sein Lebenlang Student zu bleiben. Gegenwärtig ist er Senior oder Subsenior irgend einer Verbindung in Heidelberg und hat dem Advocaten jüngst von einer famosen Paukerei pro patria geschrieben, in welcher er den feindlichen Senior drei »blutige« beigegebracht habe. Es liegt etwas rührendes in diesem deutschen Studententhum. Möchten sich die wenigen Reste, die noch davon übrig sind, erhalten werden, sie sind eine unschuldige Curiosität. Ich saß neulich in Berlin in einer Conditorei und hörte von drei bis vier fein gekleideten jungen Herren entsetzlich auf die Mystiker, die Hengstenbergianer u.s.w. schelten. »Wer sind die Herren?« fragte ich einen sehr Berlinkundigen Freund. »Es sind Studenten!« Fangen die auch an? dachte ich, ist's da wieder diese theologische Tagesdebatte, die den Jünglingen schon die Lust verdirbt am [166] blanken Schwert, am raschen Pferd, am goldnen Wein, am schönen Weib, an der großen Natur? Ich mag in Deutschland nicht in die Schulen sehen, guter Juan, ich fürchte den Lehrer von den Abcschülern einen Mystiker, einen Pietisten, einen Finsterling schelten zu hören, vielleicht weil er sein Daseyn mit einem orthodoxen »y« schmückt, statt sich am lichtfreundlichen »i« genügen zu lassen. Man treibt in Deutschland Alles gründlich, bald wird man's am hofiren der Wickelkinder sehen und riechen, ob sie lichtfreundlich einst sein werden, oder Finsterlinge! Was habe ich sonst, Don Juan, mein Theurer, über Börne gelacht und wohl auch geärgert, der sein deutsches Vaterland so unendlich liebte und es doch so grimmig, so unaufhörlich schalt. Es geht mir jetzt ganz eben so, jeden Morgen nehme ich mir vor nicht an Deutschland zu denken und doch muß ich stündlich an mein liebes Vaterland denken und schelten darüber und klagen, daß es das nicht ist was es so leicht, so gar leicht sein könnte. Ich habe entschiedenes Unglück, wenn ich hier in Paris in einen Fiacre steige und den Ort nenne, wohin ich gefahren zu sein wünsche, so blickt mich gewiß ein gutes, dickes Gesicht mit einem Paar wasserblauen Augen schmunzelnd an und sagt deutsch: »freue mich, daß ich einen Herrn Landsmann fahre, ich [167] bin aus Wassersleben bei Braunschweig –« – und so geht's fort und wenn ich nun zufällig in Braunschweig gewesen bin, so kennt mein Fiacre zufällig den Hausknecht in dem Gasthofe, wo ich logirt habe, weil dieser ebenfalls von Wassersleben stammt, und nun soll ich sagen, ob der Ernst immer noch eine so rothe Nase hat, wie sonst. Und wenn ich aussteige, will mein Landsmann nichts von mir nehmen, ich aber gebe ihm zwölf Sous über die Taxe, nachher aber ärgere ich mich, nicht über die zwölf Sous, sondern weil ich mich wie ein Kind, wie ein Narr gefreut habe über das Zusammentreffen mit einem deutschen Landsmanne in dem großen, weiten, wüsten Paris.

Wir Deutschen sind ein arg wunderliches Volk, mein Juan, wir hassen unser Vaterland oft so sehr, daß wir gar nichts von ihm wissen mögen, wir fliehen es und wenn uns dann ein Deutscher begegnet, dann fallen wir ihm um den Hals und küssen ihn, wenn er sich auch seit drei Tagen nicht gewaschen und seit ebensoviel Wochen nicht rasirt hat, wir umarmen ihn und weinen Thränen der Rührung, wir sind ein gewaltig wunderlich Volk und dabei sehr gutmüthig, deßhalb werden wir's auch lebtag zu Nichts bringen.

Im Geiste, mein Juan, sehe ich Dich sitzen unter[168] Deiner kühlen Veranda und ringsum blühet die exotische Wunderpflanzenwelt und neben Dir sitzt die holde Incarnacion mit ihrem Knäblein und mein durchlauchtiger Freund Prinz Kurma Guru der heiße Löwe, alias der »doppelte Kopf« heult einen africanischen Schlachtgesang, um Incarnacion's Knaben in den Schlaf zu lullen damit – ich aber sitze hier in Paris, schelte auf mein Vaterland und liebe es doch sehr, ach, Juan! könnten wir vergangne Tage noch einmal leben!

Dein

Faust. [169]

Vierter Brief
Vierter Brief.

So eben, theuerster Juan, erhalte ich von Herrn Guizot aus dem Hôtel der auswärtigen Angelegenheiten beigeschlossenes Schreiben für Euch, nämlich für Dich und meinen Freund den »doppelten Kopf«, den Du nun »Majestät« nennen kannst.

Das beigeschlossene Schreiben.

An Don Juan, Grafen von Aurinia,

Granden von Spanien u.s.w.


Excellenza Don Juan,

Gnädigster Herr


Eure Excellenz entschuldigen, daß ich, vertrauend auf Ihre mir vor anderthalb Jahren in Berlin bewiesene Güte, es wage, mich mit einer Bitte an Sie zu [170] wenden, deren Erfüllung Sie mir gewiß nicht versagen werden. Es handelt sich um den bei Ihnen befindlichen Negerfürsten Kurma Guru. – Schon als ich von Berlin nach Africa zurückkehrte, fand ich meine schwarze Majestät bedenklich krank – Kurma Guru's jüngster Bruder, König Metumati Corro Pala Antwatassi ist vor drei Wochen gestorben und hat dem Ministerrathe, welchem ich präsidire, die Vormundschaft über seine drei unmündigen Enkel, deren ältester der Kronerbe ist, übertragen – Excellenza, wir befinden uns in einer traurigen Lage. Das Negervolk, unfähig das Wesen einer vormundschaftlichen Regierung zu begreifen, schreit »ein Kind kann nicht König sein! unter den Söhnen vom Strahl sind keine Männer mehr, auf laßt uns unter den Besten im Lande einen Mann suchen, auf daß er König sei über die Kinder vom blauen Fluß!«

Es giebt genug Ehrgeizige im Lande und die sogenannte Fetisch-Partei, d.h. die Partei der Zauberpriester, die alles Neue bekämpft und mich und meine Partei wüthend haßt, hat schon hier und dort einzelne Städte aufgewiegelt und soll sich durch Verbindungen mit den benachbarten Negerstaaten sehr verstärkt haben. Excellenza Don Juan, glauben Sie nicht, daß mir für [171] meine Person bange ist, ich fände schon eine Zuflucht für die letzten Jahre meines Lebens, aber ich habe meinem Könige, dem wohlwollenden und einsichtigen Metumati versprochen auf dem Todbette, die Rechte seiner Enkel zu schützen überall nach allen Kräften – ich will mein Versprechen halten – auch liebe ich meine Schöpfung und meine Schöpfung ist die Civilisation des Negerstaates, und doch habe ich nur eine Hoffnung; ich kann mein, dem sterbenden Könige gegebenes Versprechen nur halten, meine Schöpfung nur aufrecht erhalten gegen den blinden Fanatismus der Priesterpartei, wenn Sie Excellenza, den Prinzen Kurma Guru bewegen nach Africa zu kommen und die Rechte seiner erlauchten Familie zu vertheidigen. Wir haben Geld und Soldaten und das Volk ist, trotz der Priester, für uns, so bald ein Prinz aus der Familie der Söhne vom Strahl an unserer Spitze steht. Ich bitte Sie, Excellenza Don Juan, haben Sie Mitleid mit einem Volk, das ohne Kurma Guru von dem entsetzlichsten Bürgerkriege zerfleischt werden wird, lassen Sie den Prinzen unverzüglich nach Africa abgehen, scheuen Sie keine Kosten, Friars, Johnston und Comp. in London, auch Bezenval in Paris werden jeden auf [172] meine Person gezogenen Wechsel honoriren. Stellen Sie, Excellenza, stellen Sie dem Prinzen Kurma Guru unsere Lage vor, erinnern Sie ihn an die Hilflosigkeit seiner unschuldigen Großneffen, die ein glücklicher Usurpator zuerst wegräumen würde, wecken Sie seine Liebe zum Vaterlande, schicken Sie ihn zu uns – ein ganzes Volk wird Ihnen ewig dankbar sein. Ich kenne zwar des Prinzen Abneigung gegen das Selbstkönigsein, aber er soll ja auch nur die Rechte seiner Großneffen schützen, der Schrecken seines Namens soll den legitimen Thron und die rechtmäßige Erbfolge sichern, der noch immer gewaltige Kriegsruhm des »heißen Löwen« nur der Ruhm seines Namens ist uns nöthig. Gott gebe, daß mein Brief Eure Excellenz findet, denn dann zweifle ich nicht, daß Sie Excellenza es möglich machen werden, was ich und Alle, die es wohl meinen hier mit Land und Volk so sehr wünschen. Ich lege Ihnen eine officielle Acte bei, durch welche der Ministerrath dem Prinzen Kurma Guru die Vormundschaft über den unmündigen König und seine Geschwister überträgt.

In der festen Ueberzeugung, daß Excellenza das Glück selbst eines Negervolkes hoch genug schätzen, um demselben nöthigenfalls Opfer zu bringen und deßhalb [173] im Voraus mit den wahrhaftigsten Dankgefühlen gegen Eure Excellenz ehrerbietigst


Auku

im Hôtel des Handelsministers Der

am 3. Januar 1846. Präsident des Ministerraths

gez. Cavaliere di Bogatire.

Anmerk. Als dieses Schreiben nach Amerika kam, war Prinz Kurma Guru, der heiße Löwe, der doppelte Kopf, bereits gestorben und begraben. Von dem Negerstaate hat man noch keine weitern Nachrichten. [174]

Fünfter Brief
Fünfter Brief.

Paris den 18. Juni 1846.


Don Juan, mein lieber, theurer Freund, mein letzter vor vierzehn Tagen an Dich geschriebener Brief liegt noch hier, ich habe ihn nicht abgesendet und bin auch seit diesen vierzehn Tagen überhaupt nicht an meinen Schreibtisch gekommen; ich habe geschwärmt und gelebt und habe alle Schlösser und schönen Punkte rings um Paris besucht. Hat mir das Befriedigung gewährt? für den Augenblick ja und das ist schon viel; ich habe noch keine Lust zu schreiben, da ich aber Morgen Gelegenheit habe meine Papiere an Dich zu befördern, so wisse für's Erste, daß ich Dir diesen Sommer bestimmt noch einen Besuch in Amerika machen werde, ich muß Dich sehen, sprechen von Angesicht zu Angesicht Du lieber, treuer Freund; um Ostern nächstkünftigen Jahres muß ich in Europa und zwar in [175] Berlin sein – so hab ich einige Wochen für Dich, hast Du sie auch für mich? Ich gehe in den nächsten Tagen nach Bremen, wo ich zu thun habe, von da aus nach Hull, wo unser Freund Armstrony eben ein Schiff zu Fahrt nach Rio Janeiro rüstet, er wird mich auf der Rheede von Belem absetzen lassen, vielleicht bin ich noch vor diesen Briefen in Para, weil der Dampfer Saffrein erst nach den Antillen geht. Der Herzog von Fitz-James ist todt, nicht seine Partei allein beklagt diesen Todten, sondern Alle die ihn gekannt. Lebwohl mein Juan, auf ein baldiges Wiedersehen unter dem Aequator erwarte

Deinen

Faust.

[176]

»So eben geht die traurige Nachricht hier ein, daß das niederländische Dampfboot Mynfrouw, Capitain Jelver, von hier, von Bremen nach Hull gehend auf der Höhe von Hull mit Mann und Maus gesunken. Es befanden sich gegen 60 Passagiere an Bord von Mynfrouw, keiner von ihnen ist gerettet worden, der Capitain mit sämmtlichen Matrosen ist ebenfalls ertrunken. Der Schiffskoch allein, der im Moment des Sinkens auf einem Boot neben dem Schiff herschwamm, rettete sich dadurch, daß er das Tau kappte. Er konnte keinen Grund des Sinkens, welches außerordentlich schnell gegangen sein muß, angeben.«


(Amsterdamer Handelsblatt vom 12. Juli 1846.)


Auf diesem Schiff hatte sich Dr. Johann Faust nach Hull eingeschifft.
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TextGrid Repository (2012). Hesekiel, George. Roman. Faust und Don Juan. Faust und Don Juan. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-61ED-2