[233] Zweiter Gesang

»Komm!« sprach der Gott und schwang die zarten Flügel;
»Denn hinter uns ergrimmt die Barbarei.
Erschwingen wir dort jene stillen Hügel,
Und Deine Brust wird mancher Sorgen frei;
Erblicken wirst Du in der Zeiten Spiegel
Dein Bild, und was in ihm veredelt sei.
Zerstieben kann in göttlichen Gestalten
Der irdne Stoff; sie werden nie veralten.«
Sie schwebten auf, vorbei der heitern Höhe,
Auf der mit Castor Pollux sie empfing.
»O daß ich Euch, Ihr Himmlischen, noch sehe,
Gerettet,« sprach die Kunst, »auf meinen Wink!
O daß an Euch der Menschen Blick erspähe,
Weß Großen sich die Menschheit unterfing!
So blühten einst durch mich der Götter Söhne,
Und um sie schallten Pindar's hohe Töne.«
Sie schwebten nieder. Jedem Heiligthume
Der Kunst umwebte Amor heil'ge Nacht.
Sieh, wie zu seiner Freundin hohem Ruhme
An seiner Fackel neuer Reiz erwacht!
Aus jedem Kunstwerk sprießet auf die Blume
Des Genius in sanfter, voller Pracht.
Vor Amor's Fackel glänzen auf – Ideen,
Die (glaubt's der Liebe!) Liebe nur kann sehen.
»Dort,« sprach er, »Dein Apollo! Unversehret
Steht er im Glanz der Götterschöne da;
Zu Delos zwar wird er nicht mehr verehret,
Doch jedem Jugendherzen ist er nah.
Was er der Menschheit Himmlisches bescheret,
[234]
Was ihm dem Hirten, ihm dem Gott geschah,
Sein Lorbeer, seine Lyra, seine Chöre,
Sein heilig Bild ist aller Zeiten Lehre.«
»Und in der Jungfrau Herz, wie schleicht sich leise,«
Sprach Carita, »der wundersüße Traum
Endymion's! Diana, keusch und weise,
Geführt von Amor selbst, sie schwebet kaum
Zum Anblick hin. Ihr Bild wird Götterspeise
Dem Schlummernden in der Ideen Raum.
Lieb' und die Kunst, in Träumen nur und Blicken
Lebt ihre Kraft, ihr innigstes Entzücken.«

Amor.

Komm, laß uns knieen vor dem hohen Bilde,
In dem sich Macht und Weisheit offenbart,
Des Königs Majestät, des Vaters Milde,
Und was durch sie der Welt beschieden ward.
Sie blüht vor ihm, ein herrliches Gefilde;
Sein Augenbran belebt sie treu und zart.
Um seinen Thron sind Grazien und Stunden
In ew'gem Tanz, das Chaos ist verschwunden.
Psyche.

Nächst ihm, dem höchsten Gott, wird auch gesungen,
O Pallas, Deiner Thaten Ruhm und Preis.
Der Menschheit schönsten Kranz hast Du errungen,
Den Oelzweig, aller Künste blühend Reis,
Du, aus des ew'gen Vaters Haupt entsprungen,
Der Weisheit Bild durch Macht und ernsten Fleiß,
Zeus' hoher Sinn. O Bild, auf allen Thronen,
In allen Herzen soll Dein Abbild wohnen.
Mit Pallas will ich Dich, o Amor, preisen,
Den Mächt'gen. Du bezwangst den Donnergott,
Zerbrachst den Blitz ihm, stumpfetest das Eisen
Des wilden Mars; sein Drohen war Dir Spott.
In aller Himmel, aller Erden Kreisen
Folgt freudig Alles Deinem Machtgebot.
[235]
Mit Hercul's Waffen spielen Deine Knaben;
Wer, Liebe, Dich besitzt, hat alle Gaben.
Amor.

Schau, Holde, wie ich Dich in wilden Fluthen –
Psyche.

Es war ein Meer der Liebe.
Amor.

wild ertränkt,
Dich in den Abgrund, Dich in Feuergluthen –
Psyche.

Sie waren Läutrung mir.
Amor.

hinabgedrängt.
Psyche.

O welchen Schatz des Holden und des Guten
Hast Du, o Kunst, in manchen Stein gesenkt!
Dort küssen wir; der erste Kuß der Treuen
Wird ewig auch im kalten Fels erfreuen.
Die Kunst.

Seh' ich Dich auch von Drachen noch umschlungen,
Laokoon, der Wahrheit Priester Du?
Von Deiner Brust hast Du sie weggerungen,
Die Ungeheu'r, und athmest hohe Ruh.
Danieden nur von ihrem Gift durchdrungen,
Blickst Du, rechtfert'gend Dich, den Göttern zu.
Dein stummer Blick, Dein Seufzer, Deine freie
Vaterlandsbrust ist großer Herzen Treue.
[236]
Seh' ich Dich auch, o Mutter, die zur Quelle
Des kalten Felsen langsam sich verweint,
Der in der schönsten Kinder Jugendhelle
Ringsum der Tod und Angst und Schmerz erscheint,
Und deren Antlitz in der letzten Welle
Des Lebens Gram und Mutterhuld vereint?
In Deinem Bilde gräm' ich mich zum Steine,
O Niobe, seh' um mich rings und weine.
Denn leben irgend noch die Gottgedanken
Vergangner Zeit in eines Menschen Brust?
[237]
Sie taumeln von der Circe Kelch und wanken
Zu Aeffereien der gemeinsten Lust.
»Das hast Du Deiner Feindin zu verdanken,«
Sprach Amor, seines Sieges sich bewußt.
»Fest hält die Barbarei, was sie umschlungen;
Durch Kämpfe nur wird ihr der Sieg entrungen.«
»So gieb mir meine Tempel!« »Angebetet,
Dumpf angebetet willst Du Holde sein?«
Sprach Carita. »Mein Angesicht erröthet
Vor jeglicher Anbetung trübem Schein.
Sie, die Gedanken, die Empfindung tödtet,
Die heuchelnd-schädlichste der Barbarei'n –
Schau Deinen Tempelruhm, Akademieen,
Wo Schmeichelei und Trugsinn Dich umknieen!«
[238]
Auf einmal stand enthüllet die gerechte,
Allsehnde Nemesis dem Kreise vor,
Sie, deren Stab nie falsche Krümme schwächte,
Sie, deren Gang nie seine Bahn verlor.
»Du büßest,« sprach sie und erhob die Rechte,
»Du büßest, was Du sündigtest zuvor.
Wie Tantalus einst in der Götter Freuden,
Mußt, arme Kunst, Du jetzt Tantalisch leiden.«
Nach Früchten langend, die vor ihnen blühen,
Nach Wasser lechzend, das sie rings umfließt,
Sieh, wie die Durst'gen dort die Wellen fliehen,
Der Mode Krug, wie er sie schäumend gießt,
Wie Nebel hier sich vor die Früchte ziehen,
Und, trinkend auch, die Lippe nicht genießt!
Ixion gleich, umarmen sie die Here;
Sie malen aus Homer, nicht wie Homere.
»Erdulde, Kunst, was einst Du ausgeübet!«
»Ich bin's,« sprach Amor, »der sie kühn vertritt!
Wer liebend fehlte, g'nug, er hat geliebet!
Ich stelle mich für sie zum Bürgen mit.
Erfreuen soll sie, wen sie je betrübet,
Beglücken, wer durch ihren Irrthum litt.
Den Kranz, den ich und Carita vollenden,
Empfängt die Menschheit einst aus ihren Händen.
Anbeten soll sie Niemand; sehn und lieben,
Verstehn und, strebend auf zum höchsten Ziel,
Rein anerkennen, was, in ihn geschrieben,
Nur wirkend wird zum seligsten Gefühl:
Dies Himmlische, den Sterblichen geblieben
Auch in der Zeiten dumpfestem Gewühl,
Das soll die Menschheit in Kunstbildern – träumen
Und kunstreich-thätig nie, o nie! versäumen!
Erwecket hab' ich aller Nationen
Kunstlehrer, Deinen Märtrer, Winckelmann.
Auch wider Willen mußte Neid ihn schonen,
Der Deiner Laufbahn reines Ziel gewann,
Die Schönheit, nicht ersetzt durch Schmuck und Kronen,
Die Schönheit, die dem rohen Blick entrann.
Doch schau hieher! Auch hier sind Kunstideen!«
»O!« sprach die Kunst, »was meine Augen sehen!
[239]
Wer war der Himmlische, der diese Freuden
Der Menschlichkeit den Menschen offenbart?
Das Kind, die Mutter und des Sohnes Leiden,
Der Mutter Leiden, o wie tief und zart!
Verschlungen ist ihr Herz; in ihnen Beiden
Ein Einklang göttlich sanfter Menschenart.
Mir öffnet sich ein Reich der Geistigkeiten,
Voll nie gefühlter höhrer Seligkeiten.
Der Himmel that sich auf dem Erdensohne,
Der seine Brüder malte Engeln gleich;
Zu Göttern nicht, er stieg zum höchsten Throne
Der Gottheit, anmuth-, huld- und gnadenreich;
Da ward, da ward ihm die Idee zum Lohne,
Die reinste – und er zeigete sie Euch,
Ein heil'ges Ideal. Ich will es lieben.«
Einmüthig sprachen Alle: »Und auch üben!«
»Auf! schwöre mir bei dieser Mutter Bilde,«
Sprach Nemesis, »und Dem, den sie umfängt,
So mütterlich, jungfräulich, zart und milde,
Wie sie sich liebend hin zum Sohne drängt,
Zu ihm, der Blume, die im Lustgefilde
Der Schöpfung ihr an Seel' und Herzen hängt:
Demüthig, frei von Tand und eitlen Mienen,
So wollest Du der Menschheit liebend dienen!«
Sie schwur. Und plötzlich in den Lüften sangen
Des Himmels Genien, ein süßes Chor.
»Amata!« sangen sie; die Töne drangen
Durch alle Welt den Schlummernden ins Ohr.
Madonna stand sie da, mit Rosenwangen,
Von denen sich der letzte Schmerz verlor.
Entzückt sprach Carita: »O graziosa!«
Und Amor: »Benedicta coeli Rosa!«

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Herder, Johann Gottfried. Gedichte. Gedichte. Viertes Buch. Pygmalion. Zweiter Gesang. Zweiter Gesang. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-5B14-C