Johann Gottfried Herder
Kritische Wälder oder Betrachtungen, die Wissenschaft und Kunst des Schönen betreffend, nach Maßgabe neuerer Schriften

Erstes Wäldchen

Analytischer Inhalt
Analytischer Inhalt.
  • 1. Es ist unbillig, Leßing auf Winkelmanns Kosten zu loben. Unterschied beider Schriftsteller in Materie, Denkart und Styl.
  • 2. Sophokles Philoktet leidet nicht mit brüllendem Geschrei. Die Helden Homers fallen nicht mit Geschrei zu Boden. Schreien kam nicht ein nothwendiger Charakterzug einer Helden- und Menschlichen Empfindung seyn.
  • 3. Die Empfindbarkeit der Griechen zu sanften Thränen zeigt sich ganz anders. Sie ist auch den Griechen nicht allein und ausschliessend eigen. Proben und Charakter der alten Hersischen Gesänge.
  • 4. Eine philosophische Geschichte der Elegischen Dichtkunst über Völker und Zeiten, oder Gründe der alten Heldenmenschlichkeit, aus ihrer Empfindung für Vaterland, Geschlecht, Heroische Freundschaft, einfältige Liebe und die Menschlichkeit des Lebens hergeleitet, nicht aber als ob sie einen Schlag mehr empfunden, und besser geschrien hätten, wie wir. Empfindbarkeit der Homerischen Helden zeigt sich würdiger.
  • 5. Sophokles macht in seinem Philoktet gewiß nicht Geschrei zum Hauptmittel der Rührung. Bessere Eindrücke des Griechischen Drama. Ob körperlicher Schmerz je die Hauptidee eines Trauerspiels werden könne? Daß ers bei Sophokles nicht sey.
  • 6. Die Behauptung: der Griechische Künstler schilderte das Schöne, ist wahr. Grenzen und Erklärung dieses Satzes aus ihrem Mythischen [3] Cirkel und ihrer Heldengeschichte. Warum Timanthes seinen Agamemnon verhüllt gemalet?
  • 7. Von den Hörnern des Bacchus. Von dem Einfluß der verschiednen Mythologischen Zeitalter auf Poesie und Kunst.
  • 8. Wen Virgil in Schilderung seines Laokoon nachgeahmet haben möge? Urtheil über Quintus Calaber, und Petron, in ihren Schilderungen. Nach wem der Künstler gebildet haben könne?
  • 9. Soll die Kunst nichts Vorübergehendes zu ihrem Anblicke wählen: so verliert sie ihr Leben. Soll sie für jede wiederholte Erblickung arbeiten: so ihr Wesen. Ursache, warum die Kunst ein Ideal der Schönheit habe, und insonderheit die stille Ruhe liebe, aus dem Grundsatz, daß sie für Einen ewigen Anblick arbeite.
  • 10. Ueber Spence's Erläuterungen der Alten aus Kunstwerken. Rettung seines herunterschwebenden Mars. Frage, ob die Kunst schwebend Körper vorstellen könne?
  • 11. Dem Künstler sind Götter und geistige Wesen nicht blos personisirte Abstrakta, so bald er sie in Handlung kann erscheinen lassen. Die Mythologie ist eigentlich Poetisch, und hat Dichterische Gesetze. Dem Dichter geht Individualität seiner Götter weit über Charakter; so hat er sie dem Künstler übergeben.
  • 12. Ueber die Poetischen Attributen von Horaz, dem großen Liebhaber symbolischer Wesen, wird seine Ode an das Glück, sein Bild der Nothwendigkeit u.s.w. erklärt. Die Maschinen des Epischen Dichters müssen nicht Allegorische Abstrakta seyn: bei Homer sind sie es nicht.
  • 13. Homers Nebel und Unsichtbarwerden sind keine Poetische Phrases: sondern gehören mit zum Mythischen Wunderbaren seiner Epopee. Unsichtbar seyn ist nicht der natürliche Zustand der Homerischen Götter.
  • 14. Auch die Größe derselben ist bei ihm nicht solch ein Hauptzug, als Macht und Schnelligkeit. Unter welchen Bedingungen, und mit welcher Mäßigung er ihre Größe schildert? Erklärung des Helms der Minerva. Von wem er das Colossalische seiner Götter entlehnet?
  • [4] 15. Ob Homer für uns Deutsche übersetzt werden solle? Das Fortschreitende seiner Manier, und die beständig zirkelnden und wiederkommenden Züge in seinen Bildern sind kaum übersetzbar.
  • 16. Das Succeßive in den Tönen ist nicht das Wesen der Dichtkunst. Ganz und gar auch nicht mit dem Coexsistenten der Farben zu vergleichen. Aus dem Succeßiven der Poesie folgt nicht, daß sie Handlungen schildere. Das Succeßive der Töne kommt jeder Rede zu.
  • 17. Fehlschlüsse, wenn man die Succeßion der Töne für das Hauptmerkmal der Poesie annimmt. Homer wählt gar nicht das Fortschreitende seiner Schilderungen, um sie nicht coexsistent zu schildern; sondern weil jedesmal in dem Fortschreiten seiner Bilder die Energie derselben und seiner Gedichtart liegt.
  • 18. Homers Gedichtart kann nicht allen Dichtarten Gesetze, und aus ihrer Manier ein oberstes Gesetz geben. Aus der Succeßion der Töne folgt keine Achtserklärung gegen die malende Poesie.
  • 19. Energie ist das oberste Gesetz der Dichtkunst: sie malet also nie Werkmäßig. Urtheil über Harris Vergleichung und Unterscheidung der schönen Künste.
  • 20. Ob die Schilderung körperlicher Schönheit der Dichtkunst verboten sey? Wo sie jede Schönheit durch Reiz zeigen könne? Ob sie jemals an einer Schönheitsschilderung Werkmäßig arbeite? Ob, wenn der Dichter häßliche Formen nutzen kann, er nicht auch schöne nutzen könne?
  • 21. Homer macht Thersites nicht häßlich, um ihn lächerlich zu machen. Häßlichkeit an Seele und Körper ist sein Charakter, der blos dadurch gemildert wirb, daß er auf nichts Schädliches ausläuft. Es wird also der Person Thersites noch diesmal erlaubt, in Homer zu bleiben.
  • 22. Wenn das Häßliche zum Lächerlichen hilft: so ists zum Contrast des Lächerlichen wesentlich. Zum Schrecklichen nicht so. Ja zum Schrecklichen thut es niemals nichts, sondern zum Abscheu. Ekel kommt [5] eigentlich allein dem Geschmack und Geruch zu; andern Sinnen nur, so fern sie sich an deren Stelle setzen. Nicht alles Häßliche also ist ekelhaft.
  • 23. Gebrauch des Lächerlichen, Schrecklichen, Ekelhaften in Poesie und Malerei. Abschied vom Laokoon.
  • 24. Einzelne Fehler der Winkelmannischen Schriften. Sein Tod – – – Beschluß.
[6] 1.

Der Laokoon des Herrn Leßings, ein Werk, an welchem die drei Huldgöttinnen unter den Menschlichen Wissenschaften, die Muse der Philosophie, der Poesie, und der Kunst des Schönen, geschäftig gewesen, ist in unsrer jetzigen kritischen Pestilenz in Deutschland, für mich eine der angenehmen Erscheinungen gewesen, um welche Demokritus die Götter bat, als um die Seligkeit seines Lebens. Ich würde dasselbe auch sehr wohlfeil mit der Bildsäule vergleichen können, von der es den Namen hat, wenn nicht die Mine des Vollendeten, des Schriftstellerischen εποιησε eben die wäre, die dieser Laokoon am wenigsten annehmen will. Es mag also diese Sprache durch Kunstvergleichungen immer unsern Schönheitskünstlern des Styls bleiben: ich will den Laokoon als eine Sammlung von Materialien, als einen Zusammenschuß von Collektaneen betrachten – auch als solcher allein, verdient er Betrachtung gnug.

Die Kunstrichter unsrer Zeit, eine Heerde der kleinen Geschöpfe, die Apollo Smintheus jetzt scheint auf unser liebes Vaterland gebannet zu haben, um auch die wenigen Blumen- und Fruchtreichen Auen zu verwüsten, die noch hie und da als Ländereien des Genies übrig geblieben – diese Boten Apollo haben meistens Laokoon nicht besser zu loben gewußt, als auf Winkelmanns Kosten; denn welch ein Lob fließt von den Lippen großer Leute wohl glatter herunter, als das auf Kosten eines Dritten? Leßing soll Winkelmannen so viel unverzeihliche Fehler gezeigt, ihn philosophiren [7] gelehrt, ihn die Grenzen und das Wesen der Kunst gewiesen, und insonderheit in seinen Schriften das aufgedeckt haben, daß seine Känntniß der Alten ein schwankender Grund sey. Wäre das nicht viel? Einem Winkelmann, ihm, der sich so ganz nach den Alten gebildet, der in Griechenland lebet und webet, der in den Alten Kunstkänntniß, bis zum Erstaunen, zeiget, dem Homer, wie er selbst schreibet, täglich sein andächtiges Morgengebet gewesen, – diesem Mann zeigen, daß er Homer nicht gelesen, daß er die Griechen nicht kenne: warum? weil sie Leßing kennet, weil Leßing Homer gelesen! Noch ärger, daß Winkelmann kein Philosoph seyn soll, weil er nicht auf Leßings Art philosophirt, sondern lieber in der Akademie alter Griechischen Weisen, und insonderheit am heiligen Ilyßus wandelt. Und denn am ärgsten, Winkelmannen das Wesen der Kunst lehren – o der unseligen Richter, die taub und blödsinnig, wie Claudius, über die größesten Schriftsteller unsrer Zeit, nicht anders als im Schlafe, nicht anders als über Schüler urtheilen, bei denen Examen zu halten sey, über das, was sie wissen, und nicht wissen, zeigen und nicht zeigen, insonderheit, was ihnen gegen diesen und jenen fehle? 1 – –

Auch Leßing wiederum hat, wie billig und recht ist, erleuchteten Kunstrichtern zum Vorwurf dienen müssen, die Schärfe ihrer [8] Augen dem Publikum zu zeigen. Wenn der eine ihn zum größten Antiquar unsrer Zeiten, zum ersten Lehrer der Kunst machte: so war er dem andern, ach leider! ein witziger Kopf, und einem dritten, einem frommen kritischen Christen, 2 ein Schulphilosoph, ein Aesthetiker aus Baumgartens Schule, der nach der Sprache unsrer neuen Schöndenker, mit ein paar Unzen Baumgartenscher Philosophie den Weltweisen aller Zeiten trotzen wolle. O! mit verstopftem Ohr durch diese Chöre quäckender Frösche hindurch, wie Ulysses durch den Gesang der Syrenen!

Für mich hat Laokoon an sich selbst Schönheit gnug, als daß er blos durch den Kontrast mit einem andern gewinnen dörfte. Vor und hinter demselben, was L. gegen W. habe, sind entweder nichts als Parerga, für die beide sie ansehen werden, oder wenigstens trifft nichts auf Winkelmanns Hauptzweck, die Kunst; und Laokoon also, als Abhandlung über die Gränzen der Poesie und Malerei, hat Werth und Vortreflichkeit; aber ihn als Streitschrift, als Prüfung der ganzen Winkelmannischen Werke betrachten zu wollen, ist meines Erachtens der falscheste Gesichtspunkt, und der Genius eines Leßings und Winkelmanns sind auch zu verschieden, als daß ichs von mir erlangen könnte, sie gegen einander abzumessen.

Wo Leßing in seinem Laokoon am vortreflichsten schreibt, spricht – der Critikus: der Kunstrichter des Poetischen Geschmacks: der Dichter. Wie Sophokles Philoktet leide, und die Helden Homers weinen, und Virgils Laokoon den Mund öfnen, und körperliche Schmerzen auf dem Theater winseln dörfen – wie Virgil, Petron und Sadolet den Laokoon bilden, und der Dichter den Künstler, und der Künstler den Dichter nachahmen könne – [9] wer spricht hier überall, als der Kunstrichter des Poeten? Dieser ists, der dem Philoktet des Chateaubrun einen Streich giebt, der Spence'n und Caylus ihre Fehler zeiget, der Homers Poetische Wesen claßificirt, und Poetische von der Malerischen Schönheit unterscheidet – überall der Kunstrichter des Dichters: das ist sein Geschäft. Und sein Zweck derselbe. Dem falschen Poetischen Geschmack entgegen zu reden, die Grenzen zwoer Künste zu bestimmen, damit die eine der andern nicht vorgreifen, vorarbeiten, zu nahe treten wolle: das ist sein Zweck. Was er auf diesem Wege von dem Innern der Kunst findet, freilich nimmt ers auf; aber mir noch immer Leßing, der Poetische Kunstrichter, der sich selbst Dichter fühlt.

Winkelmann aber, ein Lehrer Griechischer Kunst, der selbst in seiner Kunstgeschichte mehr darauf bedacht ist, eine Historische Metaphysik des Schönen aus den Alten, absonderlich Griechen, zu liefern, als selbst auf eigentliche Geschichte. Und also auf eine Critik des Kunstgeschmack noch uneigentlicher. Um den falschen Geschmack andrer Zeiten und Völker ist ihm nie als um Hauptzweck zu thun; den züchtigt er blos, wenn er neben oder unmittelbar vor den Alten ihm zu Gesicht kommt: denn sonst, wie oft hätte er nach seiner vornehmen Griechischen Idee züchtigen, und seine Hand in Nebenstreichen ermüden müssen! Und schreibt er also nicht als Critikus des Kunstgeschmacks; wie weit entfernter vom Kunstrichter der Poesie? Als Künstler las er die Dichter, als Kunstlehrer brauchet er sie, und würde nicht so haben schreiben können, wenn er auch selbst die Dichter anders, und nicht als Künstler gelesen. Er, dem wie jenem Griechischen Künstler, die Schönheit selbst, (aber die Kunstschönheit) erschienen war; bezaubert von ihr, suchte er ihre Gestalt also mit Feuer in seinen Geist gemalt, brennend in seinem Auge, und sich in seinem Herzen regend – diese Gestalt der Kunstschönheit, dieß Bild der Liebe, suchte er allenthalben, wollte sie auch im bloßen Abglanz sehen, vermuthete sie selbst, wie Kleists Amynt seine geliebte Lalage, auch in Fußtritten, auch im Bilde des Wassers, auch im Hauche des Zephyrs, der freilich von einer andern[10] Lalage, (der Schönheit des Dichters) kommen konnte. Im Gefühl also dieser bildenden und nicht dichtenden Schönheit stand er auch vor Virgils Laokoon, wie vor dem Laokoon des Polydorus, und so muß er gelesen werden: denn das sind Schranken der Menschlichen Natur, auf Einmal nur Eines sehen zu können, was man will, und wie man will – Dieß eine war bei Winkelmann die Kunst. Soll ich ihm also Känntniß der Alten absprechen, weil er Homer nicht als Dichter, sondern als Künstler, nicht also des Poetischen Wesens seiner Muse wegen, nicht wie Leßing gelesen? Soll ich ihm einen Seitenblick, den er auf die Poesie wirft, um seine Kunst zu erläutern, und gesetzt dieser Seitenblick träfe auch nicht auf das Innere der Dichtkunst, zum Hauptverbrechen anrechnen? Und soll ich, weil Leßing wiederum alles aus dem Grunde der Seele holt, soll ich ihn für einen spekulativen Witzling, und wenn er einigemal mit seinen muntern Schlüssen zu weit käme, für einen rathenden Kopf halten? Warum können wir denn nicht zween so originale Denker, Winkelmann und Leßing nehmen, wie jeder ist? Auch in der Schreibart so gar haben beide eine Griechische Grazie zur Freundin; nur daß sie bei beiden nicht Eine Grazie ist.

Winkelmanns Styl ist wie ein Kunstwerk der Alten. Gebildet in allen Theilen, tritt jeder Gedanke hervor, und stehet da, edel, einfältig, erhaben, vollendet: erist. Geworden sey er, wo oder wie er wolle, mit Mühe oder von selbst, in einem Griechen, oder in Winkelmann; genug, daß er durch diesen auf einmal, wie eine Minerva aus Jupiters Haupt dastehet und ist. Wie also an dem Ufer eines Gedankenmeeres, wo auf der Höhe desselben der Blick sich in den Wolken verliert: so stehe ich an seinen Schriften, und überschaue. Ein Feld voll Kriegsmänner, die weit und breit zusammen geworben, die Aussicht erst lange ins Große führen; wenn aber endlich aus dieser Weite das Auge erhabner zurück kommt: so wird es sich an jeden einzelnen Kriegsmann heften, und fragen, [11] woher? und betrachten, wer er sey? und alsdenn von vielen den Lebenslauf eines Helden erfahren können.

Leßings Schreibart ist der Styl eines Poeten, d.i. eines Schriftstellers, nicht der gemacht hat, sondern der da machet, nicht der gedacht haben will, sondern uns vordenket, wir sehen sein Werk werdend, wie das Schild Achilles bei Homer. Er scheint uns die Veranlassung jeder Reflexion gleichsam vor Augen zu führen. Stückweise zu zerlegen, zusammen zu setzen; nun springt die Triebfeder, das Rad läuft, ein Gedanke, ein Schluß giebt den andern, der Folgesatz kommt näher, da ist das Produkt der Betrachtung. Jeder Abschnitt ein Ausgedachtes das τεταγμενον eines vollendeten Gedanken: sein Buch ein fortlaufendes Poem, mit Einsprüngen und Episoden, aber immer unstät, immer in Arbeit, im Fortschritt, im Werden. Sogar bis auf einzelne Bilder, Schilderungen und Verzierungen des Styls, erstrecket sich dieser Unterschied zwischen beiden, Winkelmann der Künstler, der gebildet hat, Leßing der schaffende Poet. Jener ein erhabner Lehrer der Kunst; dieser selbst in der Philosophie seiner Schriften ein muntrer Gesellschafter; sein Buch ein unterhaltender Dialog für unsern Geist.

So dörften beide seyn: und wie unterschieden! wie vortreflich bei dem Unterschiede! Weg also mit der Brille, durch die man von einem zum andern schielen will, um durch Kontrast zu loben! Wer L. und W. nicht lesen kann, wie jeder derselben ist, der soll keinen von beiden, der soll sich selbst lesen! – –

Fußnoten

1 Ich führe aus diesen hohen Urtheilen über Winkelmann nur Eins an: Klotz. acta litter. vol. III. p. 319. lassen sich bei Gelegenheit des Laokoon also vernehmen: Reddiderunt forte virum doctumnimiae laudes securiorem, quibus prima illius opuscola, multo meliora eo, quod de allegoria compilauit, extuleruntquidam, quibus si me quoque accensueris, nec miror, nec indignor. Vtinam ne exemplo Winkelmanns suo aliquandodoceat, saepe nocere auctorum famae et ingeniis praeconumet amicorum voces, plausus et laudes, minuere diligentiam,addere fastum et fiduciam! Es sei denn, daß Herr Klotz dieses aus eigner Erfahrung sage, weiß ich nicht, ob die einzelnen Urtheile, die Herr Klotz über Winkelmann zu fällen, und die manchen Verbesserungen, die er ihm anzudrehen beliebet hat, eben Ihn berechtigen, ein so entscheidendes Haupturtheil über Winkelmann zu fällen, ohne Beweise.

2 Auch hier führe ich nur einen Zeugen an: Huch über die Satyre Archilochus; und kann zu jedem angeführten Zuge einen anführen, wenn es der Mühe werth wäre.

2.

W. schildert seinen Laokoon, 1 mit dem Gefühl, als hätte er ihn selbst geschaffen: »Der Schmerz, welcher sich in allen Muskeln und Sehnen des Körpers entdecket, und den man ganz allein, [12] ohne das Gesicht und andre Theile zu betrachten, an dem schmerzlich eingezognen Unterleibe beinahe selbst zu empfinden glaubt; dieser Schmerz, sage ich, äußert sich dennoch mit keiner Wuth in dem Gesichte und in der ganzen Stellung. Er erhebt kein schreckliches Geschrei, wie Virgil von seinem Laokoon singet; die Oeffnung des Mundes gestattet es nicht: es ist vielmehr ein ängstliches und beklemmtes Seufzen, wie es Sadolet beschreibt. Der Schmerz des Körpers und die Größe der Seele sind durch den ganzen Bau der Figur mit gleicher Stärke ausgetheilet und gleichsam abgewogen. Laokoon leidet, aber er leidet, wie des Sophokles Philoktetes: sein Elend gehet uns bis an die Seele; aber wir wünschten, wie dieser große Mann, das Elend ertragen zu können.«

»Laokoon leidet, wie des Sophokles Philoktet.« Von dieser Vergleichung gehet Hr. Leßing 2 aus, und will, daß es keine Vergleichung sey: daß Sophokles Philoktet nicht blos ängstlich und beklemmt seufze, sondern klage, schreie, mit wilden Verwünschungen das öde Eiland schrecklich anfülle, und auch das Theater von Tönen des Unmuths, des Jammers, der Verzweiflung durchhallen lasse. Winkelmann muß also zuerst wohl nicht recht gelesen haben, und zweitens also übel vergleichen, übel folgern.

Der Philoktet Sophokles mag entscheiden – wie leidet dieser? Es ist sonderbar, daß der Eindruck, den dieses Stück bei mir von lange her zurück gelassen, derselbe ist, den W. will: nämlich der Eindruck eines Helden, der mitten im Schmerz seinen Schmerz bekämpft, ihn mit holem Seufzen zurückhält, so lange, als er kann, und endlich, da ihn das Ach! das entsetzliche Weh! übermannet, noch immer nur einzelne, nur verstolne Töne des Jammers ausstößt, und das übrige in seine große Seele verbirgt. Lasset uns Sophokles aufschlagen, lasset uns lesen, als ob wir sähen, und ich glaube, wir werden den nämlichen Philoktet gewahr werden, den Sophokles schuff, und Winkelmann anführt, wie er geschaffen ist.

[13] Mit Anfange des dritten Aufzuges überraschet ihn der Schmerz; aber mit brüllendem Geschrei? Nein: mit einem plötzlichen Stillschweigen, mit einer stummen Bestürzung, und da diese sich endlich lösen, mit einem holen verzognen ἆ ἆ ἆ, das sich auch kaum vom Neoptolem will hören lassen. 3 Was ist dir? fährt dieser auf. »Nichts böses, gehe nur, mein Sohn;« antwortet Philoktet, und wie anders, als mit einem Gesicht voll Liebe, voll zurückhaltendes Heldenmuthe. So geht die Scene des stummen Schmerzes fort: der bekümmerte, der unruhige, der fragende Neoptolem, und Philoktet, der – nicht brüllet und tobet, der seinen Schmerz beklemmt, ihn eine große Zeit selbst dem Neoptolem verbergen will, und nur immer zwischen inne mit einem bangen ιω ϑεοι den Göttern klaget. Und eben diese stumme Scene des Schmerzes, von welcher, Wirkung muß sie auf den Zuschauer gewesen seyn? Er sieht Philoktet leiden, stumm, nur in einer verzognen Geberde, nur mit einem beklemmten Ach! leiden; und wer fühlt dieß beklemmte Ach! nicht mehr, als das brüllende Geschrei eines Mars, der in der Schlacht verwundet, wie zehn tausend Mann, oder warum nicht lieber, wie zehn tausend Ochsen? aufbrüllet? Hier erschrickt, dort fühlet man: mit Philoktet mitleidend bestürzt, als Neoptolemus, banget man, weiß nicht, woran man ist, was man thun, wie man helfen soll? Man tritt auf sein trauriges ἆ ἆ zu ihm: »Wie denn? du leidest! du redest nicht! Warum so verschlossen? Du wirst gepeiniget? warum seufzest du zu den Göttern?« – Und ein Philoktet antwortet mit verzognem Lächeln, mit einem Gesicht, in welchem sich Schmerz und Muth und Freundlichkeit mischen: Ich? Nein! ich empfinde Erleichterung! ich flehe zu den Göttern um glückliche Schiffahrt. Welch ein Griechischer Garrik gehöret dazu, [14] den Schmerz und den Muth, die Menschliche Empfindung und die Heldenseele hier abzuwiegen!

Uebermannet endlich vom Schmerz unterliegt er; er bricht aus – aber in Töne der brüllenden Verzweiflung, des wütenden Geschreies? Nichts! in ein trauriges ἀπόλωλα τέκνον. βρύκομαι τέκνον. παπαῖ. ἀπαππαπαῖ, παπαῖ, παπαῖ, παπαῖ, παπαῖ: das sind seine gezognen Klagetöne! Er bittet um die Heldencur, seinen Fuß abzuhauen: er winselt. – Nichts mehr? Nein, nichts mehr! Er war ausgebrochen, wie Neoptolem sagt, nur in ἰυγὴν καὶ ςόνον in Aechzen und Seufzen, und Ach! wie muß dieß rühren! Sein gekrümmter Fuß, sein verzognes Gesicht, seine vom Seufzer erhobene Brust, die vom Aechzen hole Seite, sein halbes Ach! – – Weiter geht der Dichter nicht: und um zuvor zu kommen dem Uebertreiben des Ausdrucks, läßt er Philoktet vor Schmerz in Unsinn fallen! So sehr hat er gelitten, so sehr seine Kräfte zusammen gefasset, daß er raset.

Er kommt wieder zu sich! er erholt sich! aber die Krankheit kommt, wie ein verirrter Wandrer wieder: schwarzes Blut sprüht hervor: sein ἀπαππαπαῖ fängt an: er bittet, ächzet; ein Fluch auf Ulysses, ein Zorn mit den Göttern, ein Ruff an den Tod, aber alles nur Ruckweise, nur Augenblicke! der Schmerz läßt nach; und siehe! den Augenblick der Erholung wendet er an, um den dritten Anfall zu erwarten. Er kommt, und da der Theatralische Ausdruck nicht höher steigen kann, so läßt ihn Sophokles – alles, was er ihn thun lassen kann, um ihn nicht schreien zu lassen: schwärmen, ächzen, bitten, zürnen, athemlos zu sich kommen und – – einschlafen. Peinlicher Auftritt! der höchste am Ausdrucke, den vielleicht je ein Tragisches Stück gefodert, und nur ein Griechischer Schauspieler erreichen konnte.

Aber in diesem peinlichen Auftritte, was ist da das Höchste am Ausdruck, was ist der Hauptton desselben? Etwa Geschrei? So wenig, daß Sophokles ja auf nichts sorgfältiger scheint, als zu [15] vermeiden, daß dieß nicht Hauptton würde. Wo sind »die Klagen, das Geschrei, die wilden Verwünschungen, mit welchen sein Schmerz das Lager erfüllte, und alle Opfer, alle heilige Handlungen störte, die schrecklich durch das öde Eiland erschollen;« 4 wo sind sie? auf dem Theater? Ja! aber in der Erzälung, 5 in der Erzälung seines Feindes Ulysses, der sich darüber rechtfertigen will, daß man ihn ausgesetzt, und verlassen; nicht aber in der Aktion, nicht als ob dieß Geschrei Hauptausdruck wäre. Ein andrer Dichter, ein Aeschylus z.E. würde freilich hieraus mehr Hauptton gemacht, und vielleicht, wie durch seine Evmeniden eine Schwangere erschreckt haben, zu misgebähren: bei einem übertriebenen neuen Tragikus würde Philoktets Gebrülle gewiß schon hinter den Scenen anfangen, und er sich mit wüstem, wildem Geschrei aufs Theater stürzen, wie z.E. Hudemanns Kain durch den schönsten und neuesten Coup de Theatre sich vor dem Eintritt mit seiner Keule meldet, sie vor sich hin wirft, und ihr nach, Länge lang aufs Theater hinfällt. Aber bei dem weisen Sophokles? – Wie hat er den Ton der Angst abgewogen? wie sorgfältig auf ihn bereitet! wie lange unterdrückt! wie oft unterbrochen! wie sehr durchgängig gemildert! Der ganze Auftritt kann ein Gemälde des Schmerzes heißen durch alle seine Grade vom stummen, bis zum betäubenden Schmerze, der sich selbst gleichsam ertödtet; aber im Ganzen, doch das Gemälde des zurückgehaltenen und nicht desausgelassenen Schmerzes, dieß ists unstreitig bey Sophokles vom Anfang zu Ende.

Und daher auch die Kürze des Akts, der kurz in Worten, aber lang in der Vorstellung ist. Käme es hier auf das Schreien, auf die jammervollen Ausruffungen, auf das ausgestoßne und »abgebrochne häufige ἆ, ἆ an,« wie Hr. L. 6 will: so weiß ich nichts was entweder schneller auf einander folgen, oder den Zuschauer unwillig machen muß. Aber das Zurückhalten, das peinliche [16] Verschmerzen, die langen Kämpfe mit dem Weh im Stillen, die endlich mit einem verstohlnen ὠ μοι! μοι! geschlossen werden; diese dehnen, diese schleichen, und sie sind der Hauptton des ganzen Auftritts. Nun setzen Sie noch den dämmernden Chorus hinzu, der dem entschlafnen Philoktet sein Schlaf- sein Ruhelied, in sanften langsamen Zügen singet, und hier nicht bloß den Akt beschließet, sondern selbst im Akte ist; denn der schlafende Philoktet lieget dem Zuschauer vor Augen; diesen, sage ich, setze man hinzu, und es ist ein langer, ganzer, vollendeter Akt, der meine Seele füllet: aber nicht durchs Ausstoßen, sondern eben durch das Rückhalten des Ach! Und so kann Winkelmann mit Recht sagen: Laokoon leidet, wie Sophokles Philoktet: nur jener, als Bildsäule, bei welcher ein Seufzer ewig dauret, ewig die Brust beklemmet, und dieser als Tragische Person, die den langen Seufzer endlich mit einem Ach! schließen, und den wieder kommenden Schmerz mit einem Ach! empfangen muß, die zwar auf einer Saite des Jammers herum irret, aber mit abgesetzten, mit langsam wiederkommenden, mit etwas auf- und absteigenden, mit Zwischentönen des unterdrückten Schmerzes. Sophokles war also derselbe weise Meister in seinem Philoktet, wie Polydorus in seinem Laokoon, und bei beiden zeigt sich, nur nach der Verschiedenheit ihres Vorwurfs, einerlei Weisheit, den stillen, den prägnantsten Ausdruck, zu suchen, und dem übertriebnen Ausdruck zu entweichen. Und das sagt Winkelmann! Allerdings ist Schreien der natürliche Ausdruck des körperlichen Schmerzes: 7 nur jede Kunst der Nachahmung, und so darf ich auch sagen, jede Gedichtart, hat in Nachahmung dieses Ausdruckes ihre eigenen Gränzen. Wie abwechselnd ist Homer in der Art, wie seine Krieger, seine Helden niederfallen, und wie wiederholend in dem, was den Niederfallenden und Sterbenden gemein ist; aber weder jene Abwechselung, noch diese Wiederholung macht mir das Leßingsche Wort verständlich: »Homers Krieger fallen nicht selten mit Geschrei zu Boden!« 8 Sehr selten, möchte ich [17] sagen, (wenn mich nicht mein Gedächtniß aus Homer trügt) und fast gar nicht, außer wenn eine nähere Bestimmung dieses Charakters es fodert. So gewöhnlich ihm ist, das sein Krieger mit klirrenden Waffen, mit bebendem Boden u.s. w. fällt und stirbt indem ihm Dunkelheit die Augen deckt; 9 so ungewöhnlich fällt und stirbt einer mit Geschrei, mit Heulen: und alsdenn ist dieß »nicht der natürliche Ausdruck des körperlichen Schmerzes,« sondern ein Charakterzug seines Verwundeten. So heult z.E. bei seiner Verwundung ein Pherekles; 10 aber dieser Pherekles ist ein Trojaner, ein unkriegerischer Künstler, ein feiger Flüchtling, der auf der Flucht eingeholt wird; und freilich ein solcher kann sich durch ein Geheul auf seinen Knieen unterscheiden; aber offenbar »nicht der leidenden Natur ihr Recht zu lassen,« sondern vermöge seines Charakters. Vermöge dieses, schreiet die Venus laut; 11 denn sie ist die weichliche Göttin der Liebe: ihre zarte Haut ist kaum gestreift, kaum wird sie den rothen Ichor, das Götterblut, gewahr, so entsinken ihr die Hände; sie verläßt die Schlacht, sie weint vor Bruder, Mutter, Vater und dem ganzen Himmel: sie ist untröstlich. Wer will nun sagen, daß mit diesem allen Homer sie charakterisiere, »nicht um sie als die weichliche Göttin der Wollust zu schildern, sondern vielmehr um der leidenden Natur ihr Recht zu geben?« Wäre dieß, wie würde er so genau die Seite des Weichlichen 12 mit jedem Bilde, mit jedem Worte, mit jeder Bewegung zeichnen? wie würde er sie noch oben drein, von Pallas verspotten lassen, als hätte sie sich bei einem Liebeshandel vielleicht geritzt? wie würde selbst ihr lieber Vater Jupiter über sie lächeln? Lachet dieser, spottet jene, um der leidenden Natur ihr Recht zu geben? und welche leidende Natur ist ein Ritz der blendenden Haut? – Eben so wenig schreiet der eherne Mars 13 aus einer andern Ursache, als eben – weil er der [18] eherne, der Eisenfressende Mars ist, der im Getümmel der Feldschlacht raset, und eben so wild bei der Verwundung aufschreiet. Nichts ist ungezweifelter, als dieß, wenn wir Homer sagen lassen, was er sagt; denn wäre es ihm auch nur je eingefallen, das Schreien, als »einen natürlichen Ausdruck des körperlichen Schmerzes« und nicht mit höhern Absichten zu gebrauchen, so wäre der Ausdruck: »Er ward verwundet und schrie!« ihm so geläufig, als der »er fiel, und schwarze Nacht bedeckte seine Augen.«

So weit sind wir also, daß Homer »das Prädikat des Schreiens, nicht als einen allgemeinen Ausdruck des körperlichen Schmerzes,« nicht als eine absolute Bezeichnung, »der leidenden Natur ihr Recht wiederfahren zu lassen« gebrauche; es muß in dem Charakter eben dessen, den er schreien läßt, eine nähere Bestimmung dazu liegen, daß eben dieser schreiet und kein andrer. Und da dünkt es mich jetzt unbestimmt, von seinen Helden allgemein zu reden, 14 was sie nach ihren Thaten und Empfindungen sind; denn keiner derselben ist an Empfindungen so wenig, als an Worten, Geberden, Körper, Eigenschaften dem andern gleich; jeder ist eine eigne Menschenseele, die sich in keinem andern äußert.

Noch minder scheinet mir »das Schreien« der wichtige unveränderliche Zug zu seyn, der zu der unveränderlichen Aeußerung eines Menschengefühls gehören müßte: denn einer kann seufzen, der andre ächzen, der dritte schreien, und ein Hannibal in seinem äußersten Kummer lachen. Am mindesten aber ists nothwendige Bestimmung des Helden, als Mensch betrachtet: so daß er ein Unmensch seyn müßte, wenn er nicht schrie. Wäre dieß: so hätte Homer lauter Unmenschen besungen. Sein Agamemnon, ein König der Völker, der herrlichste der Griechen vor Troja wird im tapfersten Gefecht verwundet: er fährt zusammen 15 – aber aufzuschreien, [19] zu weinen, vergißt er; er faßt sich, und stürzt mit seinem Spieße desto schärfer in die Feinde: sollte er deßwegen kein Mensch an Empfindung seyn, weil er nicht wie Mars, oder die Dame Venus aufschrie? Hektor, der tapferste Trojaner, wird von des Ajax großem Felsenstein niedergeworfen, und auf der Brust gequetscht: Spieß und Schild und Helm entfallen: rings um ihn klingen die ehernen Waffen 16 – aber aufzuschreien vergißt er. Man muntert ihn auf, gießt ihm Wasser ein: er kommt zu sich: blickt auf; aber er sinkt in die Kniee, speiet schwarzes Blut – und doch denkt der Unmensch an eins nicht, über seine Brustschmerzen, über seine Seitenstiche zu schreien und zu weinen. – So mit allen Helden Homers, der auch in diesem Stücke Charakter beobachtet. Menelaus wird vom Pfeile Pandarus unvermuthet und im wichtigsten Zeitpunkte getroffen: sein Blut rinnt: Agamemnon fährt zusammen: Menelaus selbst; 17 aber nichts mehr! da er den Pfeil in der Wunde sieht, zieht er ihn aus, und läßt seinen Bruder und seine Mitsoldaten um sich seufzen. Man weiß, daß Homer eine ordentliche Leiter der Tapferkeit habe, und er hat sie auch in dieser anscheinlichen Kleinigkeit sogar. Ulysses 18 hält deßwegen seinen Schmerz zurück, weil er die Wunde nicht tödtlich fühlt; Agamemnon und Menelaus fahren 19 bei der Verwundung doch noch zusammen; aber endlich der verwundete Diomedes »stand, rief dem Sthenelus, ihm den Pfeil aus der Wunde zu ziehen; und da das Blut quoll, so strömte seine Empfindung, statt in Thränen und Geschrei, in feurige Gebete wider die Feinde aus. 20 Solche Unmenschen sind die Helden Homers, und je größerer Held, je größerer Unmensch: sein Achilles ist sogar am Körper unverletzlich.«

Ists also bei Homer, daß seine Helden schreien und weinen müssen, »um der menschlichen Natur treu zu bleiben, wenn es auf das Gefühl der Schmerzen, wenn es auf die Aeußerung dieses Gefühls durch Schreien oder durch Thränen ankommt?« 21 Ich [20] wollte nicht, daß ein alter Grieche, dessen Heldenseele, als ein seliger Dämon noch in der Welt unsichtbar wandelte, diese Behauptung läse. Was? würde er sagen, was ist wohl einem in die Schlacht ziehenden Helden natürlicher, als verwundet, getroffen werden; sich fürchten also kann er, wenn ihn ein unvermutheter Pfeil trifft; aber in der Schlacht schreien und weinen, das thut kein Homerischer Held der Griechen; selbst kein Held der Trojaner, die doch immer Homer in kleinen Zügen herunter setzt. Einem Hektor 22 in seinem Tode entsinkt, selbst bei seiner letzten sterbenden Bitte, keine Thräne, kein Ton des Geschreies: ein Sarpedon 23 knirscht, da er stirbt, und je tapferer, um so gefaßter bei dem Schmerze. Nur die Feigen zittern und weinen und schreien: Pherekles, der feige Flüchtling, und die weichliche Venus, und der Eisenfressende Trojanische Mars. So dichtet mein Homer.

Und so hält also die so einnehmende Leßingsche Betrachtung 24 über die Empfindbarkeit der Griechen, und den Kontrast derselben gegen rohe Barbarn, und seine Europäer nicht Stich? Die Empfindbarkeit zum Schmerzen bei einem körperlichen Schmerze nicht wohl, wenigstens nicht als Homerischer Heldenzug, nicht allgemein, nicht als nothwendiges Kennzeichen der Menschlichen Empfindung. Giebts aber keine andre Empfindbarkeit zu Thränen, und auch zu lauten, zu klagenden Thränen, als körperlicher Schmerz? Ohne Zweifel, und eben diese Empfindbarkeit, wenn sie ein Vorzug der Griechen wäre, macht ihnen zwar mehr Ehre; allein die Abhandlung darüber wäre offenbar eine Ausschweifung von dem Satze, den Hr. L. glaubt erwiesen zu haben, 25 »daß das Schreien, 26 bei Empfindung körperlichen Schmerzes, besonders nach der alten Griechischen Denkart, gar wohl mit einer großen Seele bestehen kann;« ein [21] seltner Satz, der im ersten Abschnitt, auch eben so selten, mit einer Armee von weinenden Helden, die ich im Homer nicht kenne, bewiesen wird. 27 Um also doch nicht leer auszugehen, lasset uns Leßingen auf seinem Abwege folgen.

Fußnoten

1 Von der Nachahmung griechischer Werke. S. 22. [Werke I, 31]

2 Less. im Laok. p. 3. [377].

3 Νεο. ἕρπ᾽ εἰ ϑέλεις, τί δή ποϑ᾽ ὧδ᾽ ἐξ οὐδενὸς

Λογου σιωπᾷς, κᾷποπλήκτως ῷδ᾽ ἔξῃ;

Φιλ. ἆ ἆ ἆ.

Νεο. τί ἔστιν;

Φιλ. οὐδὲν δεινόν. ἀλλ᾽ ἴϑ᾽, ὦ τέκνον κ. τ. λ.

4 Laok. p. 3. [377]

5 Sophokl. Philokt. Akt. 1. Auftr. 1.

6 Laok. p. 4. [377]

7 Laok. p. 4.

8 Laok. p. 4.

9 Ἀμφὶ δ᾽ ὄσσε κελαινὴ νὺξ ἐκάλυψε.

10 Iliad. E. 68. ἔριπ᾽ οἰμώξας.

11 Ἡ δὲ μέγ᾽ ἰάχουσα. Iliad. E.v. 343.

12 ἀβληχρήν. Iliad. E.v. 337.

13 Iliad. E.v. 859.

14 Laok. p. 5. [377].

15 Iliad. λ. v. 254. ῬΙΓΗΣΕΝ τ᾽ αρ᾽ ἔπειτα ἄναξ ἀνδρῶν Ἀγαμέμνων.

16 Iliad. Ξ. v. 418.

17 Iliad. ∆. v. 148.

18 Iliad. Λ. v. 439.

19 Iliad. Δ. v. 148.

20 Iliad. Ε. v. 95. etc.

21 Laok. p. 5. [378]

22 Iliad. X.v. 330. etc.

23 Iliad. Π. v. 486.

24 Laok. p. 4–9. [377 – 380]

25 Laok. p. 9.

26 Daß Homers Helden nicht bei andrer Gelegenheit das Schreien, ein tapfres Riesenmäßiges Geschrei, eigen gewesen, leugne ich nicht; wo gehört das aber hieher?

27 Hr. Klotz hat, wie Er Homer kennet, Leßingen hieß nachschreiben dörfen: clamor et eiulatus ex Graecorum opinione nihil detraxit magnitudini animi. Homeri heroes clamantes cadunt. Sunt quidem illi heroes Homeri natura mortali maiores, sed numquam tamen etc. Act. litter. Vol. III. p. 286.

3.

Die Empfindbarkeit der Griechen zu sanften Thränen, ist zu sehr bekannt in Aeußerungen, als daß man, wie Herr Leßing ein einzelnes Beispiel, und dazu aus einer bloßen Vermuthung 1 nehmen dörfte, die hier, vielleicht nicht beweiset, was sie beweisen soll. Griechen und Trojaner sammlen ihre Todten. Beide vergießen heiße Thränen; aber den Trojanern verbietet dieß Priamus. Warum verbietet ers ihnen? Er besorgt, sagt die Dacier, sie würden sich zu sehr erweichen, und morgen mit wenigerm Muth an den Streit gehen. »Warum aber, fragt Herr Leßing, muß nur Priamus dieses besorgen? Der Sinn des Dichters geht tiefer. Er will uns lehren, daß nur der gesittete Grieche zugleich weinen und tapfer seyn könne; indem der ungesittete Trojaner, um es zu seyn, alle Menschlichkeit vorher ersticken müsse.« Zu hart für die armen Trojaner! Kann Priamus nicht ihren Thränen Einhalt thun wollen, nicht aus ungesitteter Barbarei, sondern weil die Thränen der Trojaner, seiner Kinder, fressender waren, als die Thränen der Griechen? Diese waren Angreifende, und stritten um der Ehre wegen; ihnen wards also leichter, neuen Muth zu fassen, und Agamemnon brauchte deßwegen keine Besorgniß. Die Trojaner aber litten: sie waren Angefallene, die nicht der Ehre [22] so wohl als der Sicherheit, ihres Lebens wegen stritten, 2 die sich in Bedrängniß fühlten, und halb in Verzweiflung, eines Räubers wegen, ihre Kinder und Männer verlieren, eines Räubers wegen die Ihrigen begraben mußten. Hier empörten sich die Empfindungen der Bedrängten, hier flossen heiße Thränen der murrenden Unschuld. Und Priamus ließ sie nicht weinen! Warum? weil er ein ungesitteter Barbar war, und seine Trojaner als solche kannte, die nicht zugleich weinen und streiten könnten? Wie wenn er sie zurückgehalten hätte, als ein Vater seiner unglücklichen Stadt, und seines Unglückbringenden Sohns? damit sie nicht in einem Schicksale, das ihm selbst so zu Herzen gieng, gar murren oder verzweifeln möchten? – Doch wenn das auch nicht: noch sind die Trojaner keine Lappländer, keine Scythen: denn sie weinen ja um die Ihrigen, und Priamus befürchtet eben ein zu weiches Herz, zu 32 tief einfressende Thränen. Gerade also das Gegentheil! – Doch aus solchen Deutungen kann man immer machen, was man will, und eine bloße Allegorie: »der Sinn des Dichters geht tiefer,« kann uns endlich so tief führen, daß der Boden sinkt.

Die ganze Dichtkunst der Griechen hat zu viel Spuren dieser Empfindbarkeit ihrer Nation zu Schmerz und Thränen, als daß man bloß muthmaßen dörfte, und sie ist einem großen Theile nach gleichsam ein ganzer lebender Abdruck dieses Gefühls, dieser weichen Seele. Lasset uns diesen Theil die Elegische Poesie nennen; aber niemand verstehe hier unter diesem Namen jenen hinkenden Affen, der sich nach unsern weisen Lehrbüchern der Poesie bloß im Sylbenmaas unterscheiden soll: sondern Elegie sei mir hier die klagende Dichtkunst, die versus querimoniae nach Horaz, sie mögen sich finden, wo sie wollen, in Epopee und Ode, in Trauerspiel, oder Idylle; denn jede dieser Gattungen kann Elegisch werden. In solchem Verstande hat die Elegie ein eignes Gebiet in der Menschlichen Seele, nämlich die Empfindbarkeit des Schmerzes und der Betrübniß: man kann also aus ihr über Völker und Zeiten hinaus [23] sehen, und hier wird sich durch Vergleichungen auch die den Griechen eigne Stelle finden. Ich stecke einige Gesichtspunkte ab.

1. Nicht jedes Volk hat für milde Betrübnisse ein gleich zartes Herz; bei manchem haben selbst die Klagen eine rohe Vestigkeit, ein Heldenmäßiges Brausen, in welches sie verschlungen werden, und ein solches wird, bei sonst großen Dichtern, mit der Sprache dieser weichen Thränen sehr unbekannt seyn können. So die Nordischen Skandinavier, die auch bei Trauerfällen vom Heroismus gestält, kaum kurze Seufzer ausstießen und – schwiegen; wenn sie sangen, so war ihr Gesang kaum die milde Elegische Thräne.

Der König Regner Lodbrog stirbt 3: er stirbt unter den entsetzlichsten Schmerzen. Stirbt er in Elegien? Läßt er der gequälten sterbenden Menschheit, dem von seinen Söhnen entfernten brechenden Vaterherze sein Recht wiederfahren? Eine einzige weiche Thräne hätte den Nachfolger Odins entweihet. Er stirbt im Triumphsliede, im Andenken an seine Thaten, voll Heldenfreude, voll Rache, voll Muth, voll Himmlischer Hoffnung. »Wir haben mit Säbelstreichen gefochten, so endet sein Gesang, o wüßten meine Söhne die Plagen, die ich erdulde; wüßten sie, daß giftige Nattern mir den Busen zerfleischen – wie heftig würden sie sich nach grausamen Schlachten sehnen! Denn die Mutter, die ich ihnen gab, hat ihnen ein Männliches Herz hinterlassen.

Wir haben mit Säbelstreichen gefochten; doch jetzt – nahet sich mein letzter Augenblick. Bald wird das Schwert meiner Söhne ins Blut des Ella getaucht seyn: ihr Zorn wird entflammen, und diese muthige Jugend die Ruhe nicht weiter dulden.

Wir haben mit Säbelstreichen gefochten in ein und funfzig Schlachten, wo die Fahnen flogen. Von meiner Jugend an lernte ich, die Spitzen der Lanzen mit Blute färben, und nie hätte ich einen tapferern König, als ich bin, zu finden geglaubt. – Aber es ist Zeit, aufzuhören: Odin sendet schon die Göttinnen [24] mich in seinen Pallast zu führen. Da werde ich auf dem erhabensten Platze sitzend Bier mit den Göttern trinken. Die Stunden meines Lebens sind verflossen, ich sterbe lächelnd! –« Das beste Beispiel zu Herrn Leßings Bemerkung über den harten Nordischen Heldenmuth.

Ein anderes aus einer der besten kritischen Schriften 4 unsrer Zeit. Aßbiørn Prude, der Heldenmüthige Däne, in den Händen seines Feindes, der mit langsamer Wuth in seinen Eingeweiden wühlet – wehklaget er, seufzet er? Er denkt an seine Mutter, an alle Freuden seiner Jugend, und seines Männlichen Alters; er fühlt seine ganze Pein, aber als Held: so stirbt er. – So stirbt der Eskimaux 5 an seinem Marterpfal. Freund, und Vaterland, Kinder und Mutter, alles, was ihm auf seiner Welt das liebste ist, ruffet er in seinem Sterbegesange; aber, um über sie zu weinen, um den Zoll der Menschlichkeit zu entrichten? Eine einzige weiche Thräne würde den Helden, sein ganzes Geschlecht, und seinen Freund und sein Vaterland entehren. Kein Ach also entwischt ihm, selbst unter den grausamsten Schmerzen: gesenget und gebrannt singt er seinen Martergesang. Er wird zum desto langsamern Tode losgebunden, und – raucht mit Scherz und Spott seine Pfeife Tobak mit andern: die Martern fangen wieder an; er spottet, schweigt, wird ihr Lehrer in neuen Qualen, singt und stirbt im Triumphe. So der Eskimaux!

Wo also das Herz eines Volkes Kieselstein ist: da schlägt der heftigste Schmerz, er treffe nun Leib oder Seele, nichts als Heroische Funken; denn woher sollte dem Kieselstein eine zarte Elegische Thräne kommen? Der Heldennmth, die Liebe zum Vaterlande, und zum Ruhme seines Stammes, das Heroische Bündniß mit seinem Freunde, der sein Rachengel seyn soll: die ganze Bildung einer rohen und starken Natur zum unerschütterten Nachfolger Odins und anderer Thränenlosen Helden, die ihrem Volk, ihrer Republick, [25] eben den Geist der Tapferkeit einflößen – dieß alles betäubte Menschlichkeit und Gefühl und Thränen.

2. Nun laßt diesen Heldenmuth, diese Liebe zum Vaterlande, und zum Ruhme seines Stammes, dieß Gefühl für Freundschaft, und die unverhüllte Offenheit der Seele – laßt diese edle und große Gesinnungen sich alle ohne solche Verschanzung und Verhärtung äußern: die größte Tapferkeit wird sich alsdenn immer als die empfindbarste Menschheit zeigen. »Nach ihren Thaten werden solche Leute Geschöpfe höherer Art seyn; nach ihren Empfindungen Menschen.«

Und sollte es nur unter den Griechen diese Doppelgeschöpfe höherer Art, diese Heldenmenschen, diese Semonen gegeben haben? Und unsre Ureltern wären Barbarn, und alle Nordische Barbarn in diesem Stück Unmenschen gewesen? Menschliches Gefühl muß jedem einwohnen, der ein Mensch ist; es muß, wo es erstickt, wo es in rohe Tapferkeit verschlungen werden soll, erst von tausend Beispielen, von einem großen unter einer Nation lebenden Vorbilde, von dem ganzen Geiste des Volks, und durch alle Eindrücke der Erziehung von Jugend auf gewaltig bestürmt, und dahin endlich gerissen werden, daß es mit diesen Beispielen wetteifre, daß es diesem großen Vorbilde, das den Geist dieses Volks bestimmet, folge. Wo dies nicht ist: da wird sich die unverhüllte Natur zeigen; die Empfindungen der Menschheit werden sich in ein Heldengewand kleiden, und der Sinn des Helden sich wiederum der Menschlichen Thräne nicht schämen – es sei unter einem Volke, wo es wolle!

Und wie? wenn wir ein solches Volk auch mitten unter Nordischen Gebirgen; mitten unter Barbarn, selbst unter dem Namen eines Barbarischen Volks begriffen, und mit nichts als Kriegen beschäftigt, auffänden? und welches doch gleich fern von Griechenland, als von seinen Sitten, alle die Menschliche Empfindbarkeit zeigte, die kaum ein Grieche gezeigt hat – bliebe da noch der Gegensatz so ganz vest: »Unsere Nordische Urältern waren Barbaren. [26] Alle Schmerzen verbeißen, dem Streiche des Todes mit unverwandtem Auge entgegen sehen, weder seine Sünde noch den Verlust seines liebsten Freundes beweinen, sind Züge des alten Nordischen Heldenmuths. Nicht so der Grieche!« 6 Wenn ich nun hier einfiele und fortführe: »Nicht so der Schotte, der Celte, der Ire! er äußerte seine Schmerzen und Kummer; er schämte sich keiner der Menschlichen Schwachheiten; keine mußte ihn aber auf dem Wege zur Ehre, und von Erfüllung seiner Pflicht zurückhalten.« So hätte ich für meine Barbarn alles gesagt, was L. von seinen Griechen, im Contrast mit den Nordischen Barbarn, und doch für meine Nordische Barbarn noch nicht gnug.

Ich kenne kein Poetisches Volk der Erde, welches große und sanfte Empfindungen, so sehr in Eine Gesinnung verbunden, und in Einer Seele den Heroismus des Helden- und Menschengefühls so ganz gehabt hätte, als die – alten Schotten, nach Maasgabe ihrer jetzt aufgefundnen Gesänge. Eine sichere Maasgabe, da die Ursprünglichkeit dieser Lieder bewiesen, und das ganze Leben der Nation bekannt ist, als ein Leben, das unter Thaten, Empfindungen und Gesängen verstrich, und wo die Gesänge eben zu nichts bestimmt waren, als diese Thaten und Empfindungen zu verewigen. Dies also vorausgesetzt: und in jedem Bardenliede zeigt sich ein Volk, dessen Seele ganz der Tapferkeit und einer feierlichen Liebe flammete; ein Volk, dessen Denkart überhaupt von einem Heldenernst eine gewisse Melancholische Farbe erhalten, und diese auch auf seine weichen Empfindungen verbreitete. Die meisten Stücke der Hersischen Dichtkunst kann ich nicht besser, als feierliche Trauergesänge nennen, an die nichts im Alterthume, und was diese Seite des Gefühls betrift, selbst nichts im Griechischen Alterthume reicht.

Schilrick 7 scheidet von seiner geliebten Vinvela: fern weg, fern weg in Fingals Kriege: er verläßt sie: sie bleibt allein: er wird [27] vielleicht fallen; aber Vinvela wird sein gedenken. Ich kenne kein Stück, das an Süßigkeit der Liebe, und an Entschlossenheit des Scheidenden einen solchen Abschied, zwoer so edlen und so fühlbaren Personen, mit fünf Worten des Dialogs so rührend besänge. Ich nehme Leßingen seine Worte auf die Griechen: »Hier der Schotte! Er fühlte und furchte sich; er äußerte seine Schmerzen und seinen Kummer: er schämte sich keiner seiner menschlichen Schwachheiten; keine mußte ihn aber auf dem Wege nach Ehre, und von Erfüllung seiner Pflicht zurückhalten.« Und dieser Schotte war ein Barbar von einem Nordischen Gebirge.

Schilrick trauret um seine entfernte Vinvela: 8 sie erscheint, sie spricht im sausenden Lüftchen: »Ich hörte von deinem Tode: ich hörte und trauerte um dich, Schilrick. Vor Gram um dich gab ich den Geist auf. Schilrick, ich liege erblaßt im Grabe.« »Sie flieht, sie fährt davon, wie der graue Nebel im Winde. Schilrick klagt sie: die sanfteste, feierlichste Elegie der Liebe! – Nur ein Schotte, würde ich im Leßingschen Enthusiasmus sagen, nur ein Schotte kann zugleich weinen und tapfer seyn!«

Was geht über das Gedicht: Colma, Comala: 9 an Wahrheit und Einfalt, an Süßigkeit und Hoheit, an Stärke und Zartheit der Gedanken, der Empfindungen, des Ausdrucks, an Inhalt und Einkleidung; was geht an allem diesem über die Elegischen Liebesgesänge dieser Nation, die sich durch nichts, als an Bardenliedern voll tragischer Heldenthaten und voll tragischer Heldenliebe ergötzten? Nichts, selbst aus dem Griechischen Alterthume nichts! Die Liebe der Griechen, ihre sanften Empfindungen und Klagen, sind weicher und Wortströmend, wenn ich sie mit diesen Barbarn vergleiche, bei denen die [28] Liebe in stolzer, in Heldenstolzer Seele wohnte, sich zu einer sanften Schwärmerei, zu einer erhabnen Heldenzärtlichkeit hob, und auch in den Elegien der Liebe durch große Gesinnungen rühret, und bezaubert. Die gewässerten Klagen unsrer Elegisten ermüden mein Ohr; aber dort, in diesem feierlichen Alterthume, dort tönet eine Melancholie der Liebe, die uns lehret, daß »nicht blos der gesittete Grieche zugleich weinen und tapfer seyn könne,« der barbarische Schotte könne es besser.

Vielleicht aber war dies nur so mit Einer Empfindung der Menschlichkeit, indeß alle andre von Tapferkeit erstickt werden mußten? Wie kann doch Eine Statt finden, ohne zugleich Allen Raum zu machen? Die Elegische Stimme der Schotten ist in der Vater-in der Geschlechtsliebe eben so süß und tapfer, als in der Weiberliebe. Man weiß, was in den alten Zeiten der Ruhm des Stammes galt: eine Empfindung, die bis auf den dummen Ahnenstolz aus den Seelen unserer Zeiten weggeschwemmt zu seyn scheinet. Wo fließen edlere Thränen, als wenn der Sohn Fingals, Ossian, 10 das Andenken seiner Söhne und seines Vaters, ihrer Thaten und ihres Todes erneuret – wo sind edlere Thränen, als diese auf den Wangen des Greises, der »gleich einer alten Eiche dasteht: aber der Brand hat meine Zweige weggehauen, und ich bebe bei den Flügeln des Nords. Allein, allein soll ich an meinem Orte zu Staube werden.« So klagt der tapfere Ossian, und so läßt derselbe den Arnim, so den grauhaarigen Carryl klagen: so klagen die Helden, die Väter ihrer Stämme. Alle Empfindungen der Helden und der Menschen, z.E. Vaterlands- und Geschlechter- Freundes- und Weiber- und Menschenliebe – alle leben in den Gedichten dieses Volks, wie in Abdrücken ihrer Seele.

Und so war es wohl nicht der Grieche allein, der zugleich weinen und tapfer seyn konnte. 11 So war nicht jeder, der Barbar heißt, der in einem rauhen Clima wohnte, und die Bildung der Griechen nicht kannte, von der Art, »daß er, um tapfer zu seyn, [29] alle Menschlichkeit ersticken müßte.« So lag es also wohl nicht an der National-Seele, am Temperament, am Clima, am Gesittetseyn der Griechen, wenn sie beides verbanden: Und so müssen also andre Gründe seyn, die diese Mischung von Heldenthum und Menschlichkeit bei ihnen und bei den Barbarn hervorbrachten, oder nicht hervorbrachten. Sollten uns diese Gründe nicht auf den Weg bringen: worinn und woher auch die Griechen so empfindbar gewesen?

Fußnoten

1 Laok. p. 7. [379]

2 Χρειοῖ ἀναγκαίῃ, πρό τε παίδων καὶ πρὸ γυναικῶν. Iliad. ϑ, 57.

3 Mallets Geschichte von Dännem. Th. 1. p. 112. 113.

4 Briefe über die Merkwürd. der Litterat. [Th. I.]. p. 112. 113.

5 Geschichte von Amerika, Th. I. p. 404.

6 Laok. p. 5. [378]

7 Fragmente der alten Hochschottl. Dichtk. p. 1.

8 Ebendas. p. 4.

9 Ebenbas. p. 81.

10 Eben das. p. 17. 21 u.f.

11 Laok. p. 7 [379].

4.
1. Wenn es eine Zeit giebt, da das Wort Vaterland noch nicht ein leerer Schall ist, sondern
– – ein Silberton dem Ohr
Licht dem Verstand und hoher Flug zum Denken,
Dem Herzen groß Gefühl –

so muß der Name Vaterland so gut den Dichter zum Helden, als den Helden zum Dichter, und beide zu Theilnehmenden Söhnen ihres Vaterlandes machen. Der Held wird dafür streiten, der Dichter singen, und wenn sie beide es nicht mehr retten können, beide noch als Söhne darum weinen: und ist nun Dichter und Held, und Sohn des Vaterlandes Eine Person – so ist dies die Zeit der Patriotischen Klagelieder. Nicht aus einer sich übenden Schulfeder; aus dem vollen Herzen werden diese fließen; nicht blos auf dem Papier, sondern im Gedächtniß, in der Seele leben; die Stimme der Ueberlieferung wird sie aufbehalten, der Mund des Volks sie singen: sie werden Thränen und Thaten wecken: ein Schatz des Vaterlandes, und das Gefühl, das sie besingen und wirken, Gefühl des Volks, Nationalgeist. Es wird also Eine Empfindung des Patriotismus seyn, die jetzt zu Thaten, jetzt zu Gesängen, jetzt zu Thränen fürs Vaterland gedeihet, nachdem die Ausbildung desselben die Empfindung da oder dorthin lenket: und keinen Absenker derselben ersticket. Bei den Scandinaviern erstickte [30] das Beispiel Odins die eine Art des Ausbruchs, die Heldenthräne, um die andre um so mehr zu verstärken: Heldenthaten.

Nun aber ändere man diesen Geist der Zeit: die ganze Welt werde das Land des Weisen, oder des tauglichen und angenehmen Narren; allmälich werden sich die Bande schwächen, die das Herz des Eingebohrnen an den Boden der Natur hefteten; ihm wird also auch das Unglück, oder die Entfernung seines Vaterlandes nicht mehr so zu Gemüthe dringen: und so ist auch die edle Thräne um das Vaterland versiegt, die dort den Helden und den Weisen nicht verunzierte, sondern ehrte. Sie wird höchstens der eigennützigen oder üppigen Thräne Raum machen, die ein Ovid mitten in seinem traurigen Geschwätz, oder Bußi-Rabutin in seinem ächzenden Unsinn, nach einem wohllüstigen Hofe fließen läßt. Und so ist eine Quelle dieses Heldengefühls ausgetrocknet: »die Bildung, die Erziehung für das Vaterland.«

2. Wenn noch ein jedes Geschlecht, eine jede Familie, unzertrennt und Eins im Ganzen, einen Baum bildet, wo die Zweige und Früchte dem Stamme zur Ehre gereichen, und durch das Abreißen derselben der Stamm selbst verwundet wird: wie bedeutend sind alsdenn die Gefühlvollen Züge Homers bei seinen fallenden Helden: »er fiel, ein blühender Jüngling; der Vater wars nicht, der ihm zum Kriege rieth! – er stammt' aus einem edeln Geschlechte; mit seinem Tode aber ist dies geendigt – er war aus fernem Lande gekommen; nie aber wird er in dasselbe rückkehren – die Söhne des Reichen fielen; der Vater hat alles, für Fremde gesammlet.« In diese Welt also gehören die Heldenklagen des Priamus um seinen Hektor, den Ruhm seines Geschlechts, die Mauer von Troja: in diese Welt die Klagen Oßians, um seine abgeschiedenen Söhne; die ganze rührende Umarmung Hektors an seinen kleinen Astyanax: die Klagen der Elektra und andrer tragischen Heldinnen, der rührende Hingang der Morgenländer zu [31] ihren Vätern u.s.w. 1 eine Ader des Gefühls, die die besten Dichtungen und Geschichte, nicht blos der Griechen, sondern aller Völker durchströmt, bei denen diese Einigkeit der Geschlechter, dies Familiengefühl lebte.

Nun ersticke man aber dasselbe: man gehe über die natürlichen Bedürfnisse der unverdorbnen Menschlichen Seele und der einfachern Lebensart hinaus: man mache die Ehe zu einem Wirthschaftsvergleich, zu einem Stande der Mode, und Eheleute zu nichts, als einander lästigen oder Zeitkürzenden Personen: man erziehe die Brüder, daß sie schon an den Brüsten einer Fremden nicht mehr Brüder sind, und anwachsend immer fremder werden: man knüpfe Personen, die schon am Hochzeittage getrennt, und lege Kinder in ihre Arme, die blos ihren Namen haben dörfen – freilich so wird eine Nerve des Gefühls getödtet: es erlischt der Ehrenname: »Achilles war ein Sohn Peleus« allmälich: die Sehnsucht des Ulysses zu seiner alten Penelope, und seinem steinigten Ithaka [32] dünkt uns abentheuerlich: der Gefühlvolle Stolz der Morgenländer auf ihre Geschlechtswürde wird lächerlich in unsern Augen, und die Klagen eines Hallers, Klopstocks, Canitz, Oeders, dünken vielen artigen Ehemännern so Poetisch, als eine Anruffung an die Muse.

Es war eine Zeit (sie ist noch jetzt unter den Wilden!) da es Freunde gab, in einem Verstande, der sonst kaum Statt findet: zwei unzertrennliche Gefährten in Glück und Unglück, durch die heiligsten Gesetze verbunden, wetteifernd in den strengsten Pflichten, und in Erfüllung derselben Muster ihrer Vaterstadt, und die Verehrung des Landes. Zu diesem Gefühl erzogen, besiegelten sie dasselbe also oft mit ihrem Tode und Blute: sie verließen ihren Freund nie, auch in Lebensgefahren, denen die damalige Tapferkeit mehr als unsre Ueppigkeit ausgesetzt war; die kleinste Untreue gegen ihren Freund machte sie zum Spott ihres Geschlechts, und zum Abscheu der Stadt; sie waren nach allen Gesetzen verbunden, seinen Tod zu rächen, und die letzte Stimme des Einen, vielleicht gefangenen, vielleicht getödteten Freundes war – an seinen Freund, an den Begleiter seines Lebens. Da also gab es einen Herkules und Jolaus, einen Aeneas und Achates, einen Orestes und Pylades, einen Theseus und Pirithous, einen David und Jonathan: mithin eine Quelle des Gefühls der Freundschaft für den Helden, die jetzt für den bloßen Bürger und Gesellschafter beinahe versiegen ist. Da also, da flossen, wenn der Tod, wenn ein Unglück die trennete, die das Leben nicht trennen konnte, so edle Heldenthränen, wie der Held Achilles um seinen Patroklus, wie ein Pylades um seinen Orestes, wie der Held David um seinen Jonathan weinten.

Nun laßt die Welt zu einer solchen Freundschaft verschwinden: die Art des Lebens mache nicht mehr zween solche Begleiter im Leben und Tode nöthig: das Feierliche bei solchen Verbindungen lasse nach: der Beruf der Menschen zu Arbeiten, zu Lebensarten werde verschiedner und gleichsam unstäter: der Zustand der Bürger [33] und Mitbürger, ruhiger: jeder sich selbst sein Gott in der Welt – wo wird alsdenn ein. Kriegshaufen von Liebhabern, von männlichen Geliebten, ein Böotischer ιερος λοχος noch Statt finden? Der Freund wird ein Gesellschafter, und ein Ding seyn, was man will, nur nicht, was er in der Welt der Helden, und der Freundschaftsbündnisse war, es mochte diese Welt übrigens in Griechenland, oder Schottland, oder Amerika leben. Verstopft also eine neue Quelle zu Heldenthränen, wenigstens ist das rührendste Bild zweener Freunde jetzt ein Cabinetstück blos, und nicht mehr ein Schauspiel der Welt, wie ehedem, und so anders, als Achilles, alsHeld, nach unsern Zeiten seyn müste: so fremde ist für sie »der um seinen Patroklus weinende, und bis zum Unsinn betrübte und rasende Achilles.«

Wenn es eine Zeit und ein Land giebt, da die Schönheit noch mehr Natur, noch minder Putz und Schminke: da die Liebe noch nicht Galanterie, und die männliche Gabe zu gefallen, etwas mehr als Artigkeit ist: da wird auch die Empfindung, die Sprache, und selbst die Thräne der Liebe Würde haben, und selbst das Auge eines Helden nicht entehren. Freilich wird dieser nicht, wie Polyphem, der Cyklope Theokrits, elegisiren; aber gewiß noch weniger mit dem Philoktet des Chateaubrun, und mit den verliebten Griechischen Helden der Französischen Bühne. Die wahre Empfindung, und ein männlicher Werth hat seine Würde und Hoheit, ohne diese von ungeheuren Metaphern, von galanten Wortspielen, oder von artigen Seufzern zu borgen: und auch hier sei die Liebessprache der alten z.E. Schottischen Helden Beispiel. – Sie handeln als Helden, und fühlen als Menschen.

Da aber freilich keine Empfindung so gern das Reich der Phantasie zu seinem Gebiet haben mag, als die Liebe: so kann auch keine so leicht von der Würde und Wahrheit ab, und in Phantasterei und Spielwerk hinein gerathen, als diese: und also, aus mancherlei Ursachen, zwischen der Heldenthräne der Liebe, und zwischen der Verachtung nur immer ein schmaler Rand. Unter allen Menschlichen Schwachheiten, deren sich ein Held nicht schämen [34] dörfte, ist diese die delikateste; und daß sie es sey, kann ein großer Trupp verliebter Roman- und Theaterhelden beweisen. – – Hier indessen hatten die Griechischen Dichter einen ziemlichen unerkannten Vortheil, nämlich den Zutritt zu einem ihnen nationellen Liebesreiche voll sehr Poetischer Phantasien, die sie aus mancher Verlegenheit reißen mußten. Die Liebesbegebenheiten ihrer Götter und Göttinnen, das ganze Gefolge der Venus, der Gratien und Amors, hundert schöne und unterhaltende Anekdoten aus der Mythologie der Liebe, gaben ihrer Sprache der Liebe eine Süßigkeit, und eine Würde, die unsre Zeit nur zu oft nachahmet, um – lächerlich zu werden. Wenn in unsern Elegien und Oden der Amor mit seinen Pfeilen umherflattert, wenn man den Griechen und Römern eine ganze Nomenklatur von Liebesausdrücken abgeborget hat, und diese endlich so gar in Briefe zwischen Mannspersonen ausschüttet: so verliert sich das Spielwerk von der Würde, ich will nicht sagen, einer Heldenseele, sondern nur des gesunden Verstandes völlig ab, und wird fader Unsinn. Oder wenn endlich gar der Gothische Ton der Liebe aus den mitlern Zeiten der Ritter und Riesen, mit der süßen Artigkeit unsrer Zeiten in Eins zusammen fließt: so wird alsdenn der Herzbrechende Parenthyrsus, die weinerliche Galanterie daraus, von der fürwahr! ein Griechischer Held, mit aller seiner Empfindbarkeit für die Schwachheiten Menschlicher Natur, eben so viel wußte, als der weise Sokrates von der Klosterheiligkeit der Kapuciner.

[35] Ueberhaupt: da die Scene des Menschlichen Lebens noch mehr ins offene Auge fiel: da die Geschäfte der Welt noch nicht so verwickelt und sein, aber um so Verdienstvoller für die Menschheit seyn mochten: da die Nutzbarkeit und Geschicklichkeit und Tugend noch nicht in so krummen Linien zu berechnen, sondern Menschlich war: da zog das Menschengefühl auch die Gemüther noch mehr zusammen; und die Gräber der Guten des Landes foderten die Thräne des Helden. Einfacher und mehr zum Augenschein war das Leben des andern, und seine Tugenden und Verdienste auch also treffender an das Herz, denn ein Held, ein Staatskluger, ein Verdienstvoller, ein Weiser, so wie ihn die alte Zeit foderte, und bildete; konnte doch eher eine Menschliche Thräne hervorlocken, als z.G. ein General nach der Taktik, ein Minister, ein Civilist, ein Litterator der neuern Welt, wenn er nichts als dieses ist; denn bei dem Verlust aller seiner Geschicklichkeiten und Tugenden sind die wenigsten Menschlich, und was ist im Stande, Menschliche Empfindungen zu erregen, als – – Menschheit. Wo bleiben nun die Namen ohne Thaten, die Rangstellen ohne wirkliche Verdienste, die Bemühungen und Aemter unsrer Zeit ohne Geist und Leben, die Religionen ohne Menschliche Tugend – wo bleiben alle sämtliche gelehrte, reiche, vornehme, andächtige Narren unsrer Bürgerlichen und feinen und allerchristlichsten Welt, sind die wohl einer Menschlichen Thräne werth?

Endlich, als man den wahren Gebrauch des Menschlichen Lebens, und der Glückseligkeit vielleicht besser, obgleich nicht aus Predigten und Moralen, kannte, und das Leben mehr genoß, und Menschlicher anwandte, natürlich waren da auch die bittern Zufälle des Lebens rührender. Der Tod eines Jünglinges, der sein Leben nicht genossen, der in der Blüthe seiner Jahre dahin fällt, wie ein junger schöner Pappelbaum – ein solcher Fall ist bei Homer die Veranlassung zu Bildern, die auch in dem Heldenauge eine zarte Thräne der Menschlichkeit erwecken können, weil sie – Menschlich sind: und ich würde kaum eine gute Idee von dem Jünglinge fassen, den bei Homer diese Bilder nicht rührten. Eine eben so [36] zarte Empfindung erregt der Tod eines Mannes, der sein Leben nur halb gebraucht, der z.E. wie der Protesilaus Homers halbgeendigte Palläste der Pracht, halb vollendete Entwürfe des männlichen Stolzes nachließ, der sich Anlagen und Geschicklichkeiten umsonst erworben, den Diana vergebens jagen, und Pallas umsonst kriegen gelehret: rührende Bilder aus einer Menschlichen Welt, in die uns Homer so gern versetzet, und in der freilich die Helden leben müssen, die »an Thaten den Göttern, und an Empfindungen den Menschen gleich sind.«

Ich kann meine Materie nicht vollenden; allein zusammen genommen diese Einzelnheiten, wird man ein Zeitalter gewahr, da die Helden, so weit sie über die Menschliche Natur erhoben seyn mögen, doch in dem Gefühle der Betrübniß, und in der Aeußerung derselben durch Thränen, derselben treu bleiben, treuer bleiben, als wir, bei denen dies sanfte Gefühl entweder erstickt, oder in eine weibische Ueppigkeit umgeschmolzen wird. Zurück also in diese Welt setze ich mich, wenn ich die Helden Homers und die Griechischen Tragödien mit ganzer Seele fühlen will: allein auf Griechenland möchte ich dieß Gefühl nicht einschränken: denn wohin das beschriebene Menschliche Zeitalter trift, da auch dieß Gleichgewicht zwischen Tapferkeit und Empfindung; und dieß, dünkt mich, ist überall das Zeitalter zwischen der Barbarei eines Volks, und zwischen der zahmen Sittlichkeit, dem höflichen Schein, in dem wir leben. In diesem stirbt auf gewisse Art Vaterland, Ehe, Geschlecht, Freund und Mensch ab, und mithin erstirbt auch hierum das Gefühl, und die Aeußerung desselben, die Thräne.

Aber die Empfindung des körperlichen Schmerzes, kann die sich ändern? Ein Schlag bleibt ein Schlag, Wunde bleibt Wunde, eine Ohrfeige eine Ohrfeige, und wird es, so lange die Welt steht, bleiben. Es ist also nicht der nämliche Fall dieser mit den vorigen Empfindungen, und unser weichlicher Zustand hat vielmehr das Gefühl der Schmerzen unendlich, und oft zum Weibischen erhöhet. [37] Hiernach muß es also umgekehrt seyn, daß, wenn ein Griechischer Theseus, Herkules, Philoktetes, einen Schmerz, eine Wunde einmal fühlet, so müßte ein Sybarit unsrer Zeit ihn siebenfach fühlen, und wenn also »das Schreien der natürliche Ausdruck des körperlichen Schmerzes, das Recht der leidenden Natur, ein Charakterzug Griechischer Helden seyn soll,« so folgt, daß, wenn jener Einmal, der unsre bei siebenfach heftigerer Empfindung auch siebenfach stärker schreien dörfte und sollte, um – ein Held des Homers zu seyn.

Wie sollte es denn nun gekommen seyn, daß »wir feinern Europäer einer klügern Nachwelt gelernt haben, über unsern Mund und Augen zu herrschen, und uns also so grausam das Privilegium der leidenden Natur versaget haben?« Wenn wir die Empfindungen für Vaterland, Freund, Geschlecht, Menschheit und was sey, mithin unter diesen Empfindungen das weiche Gefühl des Schmerzes darüber verloren, und den Verlust, den Mangel derselben mit Anstand und Artigkeit überdeckt haben, so läßt sich das erklären. Nun aber soll uns am körperlichen Schmerz ein größerer Grad von Empfindung beiwohnen, und doch weniger, unendlich weniger Rechte der leidenden Natur? Ja noch dazu, was bei den Heldengriechen, bei minderm Anlasse des Gefühls, Ehre, oder wenigstens erlaubt war, sollte bei uns Weichlichen Schande, und durch den Anstand, der doch wenigstens den Schein der Stärke geben soll, verboten seyn? und zwar als ein Zeichen der Schwäche verboten? – –

Und dieß wäre je bei den Griechen ein Charakterzug Homerischer Helden gewesen? So kenne ich meinen Homer nicht; so will ich nicht meine Griechen kennen. Wenn ein Agamemnon 2 in der Versammlung über den Verlust der Griechen, an dem er durch den Zank mit Achilles Schuld war, weinet; so liebe ich seine Königlichen Zähren: sie fließen für Kinder: sie erleichtern in ihrem Strome, den Homer mit einem Bache vergleichen kann, sein trauriges väterliches Herz; dieser Agamemnon aber bei seiner Verwundung [38] schreie und heule mir nicht. Wenn Achilles, vom Agamemnon öffentlich beleidigt, seine Ehre fühlt, und vor seiner Mutter Thetis weinet: 3 so sehe ich seine Ruhmliebende Thränen gern: ich weine mit, mit dem jungen Helden: aber bei einer Verwundung weine und schreie er nicht, sonst ist er Achilles nicht mehr. Um seinen Freund Patroklus heule und ächze und traure er; 4 ich fühle seine Thränen und sein edles Herz: ich würde ihn nicht verehren, wenn er ein stoischer Held wäre: so seufze Agamemnon 5 über seinen verwundeten Bruder, und Priamus über seinen erschlagenen Sohn: das sind Leiden der Seele, und edle Thränen, mit denen ja das Geschrei und das Weinen über eine Wunde nicht in Vergleich kommt. Keiner von den Helden Homers schreiet und weinet über so etwas, und sollte es lohnen, den ganzen Homer zu ändern, damit der Leßingsche Satz wahr werde: »So weit auch Homer sonst seine Helden über die menschliche Natur erhebt; so treu bleiben sie ihr doch stets, wenn es auf das Gefühl der Schmerzen, wenn es auf die Aeußerung dieses Gefühls durch Schreien, oder durch Thränen ankommt?« 6 Ich wollte, Hr. Leßing hätte dies nicht geschrieben.

Fußnoten

1 [Anmerkung aus der Abhandlung über die Elegie: über Montanabbi's Trauergedicht auf seine Mutter].Montanabbi, der einzige Sohn (ein Ehrenname der Araber) seiner Großmutter: von ihr geliebt als der Rest seines Stammes, von ihr geehrt, als der Poetische Ruhm seines Geschlechts (zwei neue bei den Arabern sehr hohe Titel) dieser Sohn reiset auf sein Glück, um die Stüzze ihres Alters seyn zu können: und wird durch seine Abwesenheit ihr – Mörder. Er hört von ihrem Tode, den er verursachte, dem er nicht beiseyn konnte, der für ihn durch so viele kleine Bezeugungen der Zärtlichkeit so rührend ist – Er wiederholt diese kleine Liebes-Umstände (wie sie z.E. seinen letzten Brief empfangen) die ihm nothwendig theuer seyn musten: jeder derselben lebt in seiner Seele: selbst ihre Liebe, ihre Sehnsucht, wird ihm, da sie ihre Mörderin gewesen, zum Vorwurf: er wiederholt sich diese bitter süßen Vorwürfe: unzufrieden mit dem Lande, das er verließ, mit der Fremde, die ihn an sich zog, mit der Welt, die ihm die Fremde nöthig machte: unzufrieden mit Allem findet er in nichts Ruhe, als – der Stolz seiner Väter, ein Trotz der Welt, die Ehre seiner Familie zu seyn: ein Todtenopfer für die Erblaßte Mutter! – Welche Situation! welche Bearbeitung derselben! Wie lebt in jedem Zuge der Elegie der Araber! –

2 Iliad. I. v. 14.

3 Iliad. A.v. 349. 357. 360. etc.

4 Iliad. Σ. v. 22 etc. Ψ v. 17. etc.

5 Iliad. Δ. v. 148.

6 Laok. pag. 5. [377]

5.

Aber Philoktet? – Hr. Leßing hat einen großen Abschnitt 1 darauf gewandt, Sophokles zu vertheidigen, daß er körperliche Schmerzen aufs Theater gebracht, und einen Helden in diesem Schmerze schreien lasse. Die ganze Vertheidigung ist von der Seite des Dramaturgs, und verräth in der seinen Manier der Entwicklung, den Verfasser der Dramaturgie; Schade aber, daß sie ganz auf unrichtige Voraussetzung gebauet ist: bei Sophokles Philoktet sey Geschrei der Hauptton des Ausdrucks seines Schmerzes, und also das Hauptmittel, Theilnehmung zu wirken, das doch nicht ist. [39] Und denn Schade auch, daß sie blos als Dramaturgie, als Anlage zum Drama abgefaßt ist; mich dünkts besser, sich den Eindrücken der Vorstellung zu überlassen, und nichts als Dramaturg zu rechtfertigen, sondern als ein Griechischer Zuschauer auf unverstellte Eindrücke zu merken – –

Und welches sind diese Eindrücke ohngefähr? Wenn ein Griechisches Stück geschrieben ist, um vorgestellt, und nicht um gelesen zu werden, so ists Philoktet: denn die ganze Wirkung des Trauerspiels beruhet auf dem Leben der Vorstellung. Hin also mit Auge und Geist in die Atheniensische Bühne. Der Schauplatz öfnet sich 2: ein Ufer ohne die Spur eines Menschen: eine einsame unbewohnte Insel mitten in den Wellen des Meeres: – wie sind diese Reisende dahin verschlagen? was wird in dieser wüsten Einöde vorgehen? – Hier, hören wir, ist Philoktet, der berühmte Sohn Pöans: Elender Einsamer! der Menschlichen Gesellschaft völlig beraubt, hier zur ewigen Einsamkeit verbannet – wie wird er seine Tage hinbringen? – Und er ist krank – krank am Fuße mit einem faulenden Geschwüre! – Noch ärmerer Einsiedler! wer wird dich hier pflegen, dir Speise schaffen, dich reinigen und verbinden? – und wie bist du hergekommen? ach! ausgesetzt – ohne Barmherzigkeit, ohne Hülfe – und wegen eines Verbrechens, wegen seines Eigensinns? Nein, wegen seines barmenden Geschreies! Ach! die Unmenschen, was kann der Kranke, der Elende anders, als weinen, als schreien? und selbst diese Linderung ihm nicht zu gönnen, diese kleine Ungemächlichkeit nicht zu ertragen, ihn auszusetzen! Wer hat ihn ausgesetzt? die Griechen, sein Volk, seine Gefährten – vielleicht geschahe es durch Einen Boshaften? Nein, auf Befehl der Griechischen Heerführer vom – Ulysses selbst. Und eben dieser Ulysses kann uns so etwas, so kalt erzählen, so lau abbrechen, er darf noch die Insel sehen, er hat neue Anschläge wider ihn – o des Bösen! wer wollte nicht mit einem armen, einsamen, verlassenen Kranken, mit dem niemand Mitleiden gehabt, [40] gegen den Treulosen Parthei nehmen, der ein Werkzeug seines Unglücks war.

Nun fällt uns die Wohnung des Elenden näher in die Augen – eine unbewohnte Höle! – Ist noch etwas Hausgeräth und Speise darinn? zertretenes Gras – ein elendes Lager der Thiere! – hier muß der Held liegen, ohne den Troja nicht kann erobert werden: ein Becher von Holze, etwas Feuergeräth – ist der ganze Schatz des Königes – und o Götter! hier Eitervolle Lappen, Zeugen seiner Krankheit! – Er ist fort – wie weit kann der Elende fort hinken? Ohne Zweifel mußte ers – nach Speise vielleicht! vielleicht nach einem lindernden Kraut! daß ers doch fände! daß man ihn doch sähe! Indessen 3 geht die Scene des Betruges an, da Ulysses den Neoptolemus so weit bringt, daß dieser gutherzige Redliche, der Sohn des redlichen Achilles, einen Fremden, einen Elenden, mit List durch Lügen und Ränke gefangen nehmen soll. Ich weiß es, daß die Griechen, zumal Sophokles, jene unmoralische Ungeheuer so hasset, als er nur die Moralischen hassen mag, und daß er auf seinem Theater nichts als Menschen, weder Engel, noch Teufel vorstellet; allein Ulysses, wie er hier erscheint, ist nicht blos der schlaue, der verschlagene Ulysses Homers: er ist ein Verführer, der offenbar Grundsätze der Treulosigkeit verräth, die alle Tugend übern Haufen werfen, und pfui des Bösewichts! bei dem das Laster schon zur Sprache durch Grundsätze geworden. Sophokles also will lieber die Vorwürfe der Moralitäts-Pedanten auf sich nehmen, die jeden Ausspruch von der Bühne zu einem Sittenspruche des Pythagoras haben wollen: er malt seinen Ulysses lieber schwärzer, als er sonst zu malen pflegt – um uns nur desto mehr für den armen Philoktet einzunehmen, der von ihm hintergangen ist, und hintergangen werden soll.

Der Chor und Neoptolem sind nun 4 beschäftigt, dieses Mitleid für Philoktet tiefer in uns zu prägen; sie wiederholen die vorigen Jammerzüge, vermehren sie durch Vermuthungen und – – [41] da läßt sich von weitem ein Aechzen hören! Daß es ein Aechzen und kein Gebrüll sey, zeigt das Betragen Neoptolems, der, über dem mit seinem Auftrage bestürzt, nicht weiß, woher es kommt? Das Ach kommt näher, es wird ein Wimmern, ein tiefes klägliches Ach – nun ists erst vernehmlich! Sie haben sich nicht geirrt: Philoktet muß kommen, und ach! der Hirte kommt mit einem Tone der Schalmei, und Philoktet mit einem Tone des Jammers – er tritt auf! oder vielmehr er schleicht sich hinan, um –

Nun wird er sich mit Gebrüll aufs Theater werfen? zu schreien anfangen, daß Peter Squenz sagen möchte: lieber Löwe, brülle noch einmal! Wer doch den Kunstrichtern einmal das Gebrüll ausreden könnte, von dem im Griechischen so wenig Spur ist! Einen langen Aufzug durch 5 spricht Philoktet mit dem Fremden, ohne daß er ans Schreien gedenkt: selbst das vorher von ferne tönende Ach hat Sophokles hinter den Scenen gelassen. Der weise Sophokles! wie wird mich der Mann weibisch dünken, wie wird mir sein Ach! verächtlich seyn können, daß er nur hin ächzte, da er allein zu seyn glaubte, das er vor den Fremden gleich verbirgt, und im Gespräche immer bergen kann. Der Leidende ist ein Held.

Und für diesen Charakter sorgt Sophokles genau. Er muß sich erst mehr zum Freunde unsrer Seele machen, 6 ehe unser Körper sympathisiren könnte, und wie bekümmert ist der Arme um die Fremden? Nichts vermuthet er weniger, als daß sie ihm nachstelleten; der Gutherzige hält sie für Verschlagne, für solche, die seines Theilnehmens werth wären – der Menschenfreund! Er sieht die Griechischen Kleider; ein böses Erinnerungszeichen für ihn an die treulosen Griechen; aber dieß hat er vergessen. Wie wünscht er, daß sie Griechen wären: wie verlangt er, wieder einen Griechischen Laut zu hören! das ist ein ehrlicher Grieche, der kann Griechen interessiren. – Er hört Griechisch: der arme Philoktet hat für Freude all sein heftiges Weh vergessen. Er lernt den [42] Sohn Achilles kennen, den Sohn seines zärtlichen Freundes: er wird offner; er erzält ihm seine Geschichte, rührend wie wenn die Penia selbst erschiene. Er ist ein Freund seiner Freunde: dem todten Achilles opfert er seine Zähre der Freundschaft; er vergißt sich selbst, und seufzet über einen Todten, der glücklicher ist, als er. Er ist ein Freund seiner Freunde; der Sohn des Achilles sieht ihn herzlichen Antheil an sich nehmen, selbst da er ihn hintergeht. Er trauret um den Tod der Helden, und noch edler, er trauret blos deßwegen, weil sie brave Leute sind: die Nichtswürdigen verflucht er! Wie sehr hat uns nun Philoktet für sich interessirt, als Menschenfreund, als ein Grieche mit Leib und Seele, als ein Held. Und dieser Held soll hier, fern von dem Wetteifer mit andern Helden, auf einer wüsten Insel modern? Schmerzliche Abwesenheit, da jene Thaten thun, da jene mit Lorbeern starben, so soll er an einer Wunde ächzen, die ja keine Heldenwunde ist. Er, eine so Griechische Seele, muß fern von seinem Vaterlande, fern von seinem liebenden Vater, der vielleicht schon zu den Schatten gehangen, sein Leben verzehren: er ein betrogener Redlicher – – o Neoptolem, du willst ihn verlassen! o daß ihn Philoktet anflehete! Er thuts, und so dringend: er bestürmt sein Herz von so vielen Seiten, daß die Fürbitte des Chors: erbarme dich seiner! auch unsre Einsprache wird. Wir ärgern uns über Neoptolem, daß ihm der Ekel seiner Krankheit noch Einwendung macht, und lieben ihn, da er – – es ihm verspricht; Er wird ihn doch nicht betriegen! siehe! wie er ihm flehte, wie er ihm danket, wie er ihn noch zu guter Letzt in seine Höle ladet und –

Nun 7 kommt der verkleidete Kaufmann. Er hört: »er soll nach Troja, Ulysses habe dieß dem Heere öffentlich versprochen,« und – den Kaufmann hält er kaum seiner Antwort werth. Eine einzige Heroische Verwunderung: »Götter! dieser Elende, dieser Treulose hat schwören dörfen, mich ins Lager zu bringen?« verräth die ganze Heldenseele Philoktets: diese redet fort: 8 diese will [43] zu Schiffe: diese redliche Seele glaubt dem Neoptolem, vertraut ihm seine Waffen, vertraut sich ihm in seiner Krankheit. Wie fühle ich für Philoktet! aber für ihn den Schreienden? Noch nichts! für ihn, den Helden, den Griechen, den Edlen – und denn den im höchsten Grade Elenden, und elender noch dadurch, was man mit ihm vor hat. Noch fühlen wir blos mit seiner Seele durch die Phantasie, und jetzt erst soll die seltne Scene der Krankheit kommen. Der Chor 9 bereitet auf sie, durch ein Lied auf den äußerst Jammervollen Philoktetes, und sie kommt. 10 Ich habe sie vorher durchgeführt und mag sie nicht wiederholen. Mich ärgert, wenn man sie auf der einen Seite zu einem bloßen Zetergeschrei macht, und auf der andern Seite, wie z.E. Brumoi, 11 unter den löblichen Franzosen für nichts, als, einen Riegel, ein Einschiebsel, daß fünf Akte voll werden. Welch eine Stille muß auf dem Schauplatze zu Athen geherrschet haben, da dieser Akt vorgieng!

Die Auftritte des körperlichen Leidens sind vorbei, und weiter darf ich nicht. Ich kehre also von der Bühne zu Athen zurück, dahin wo ich Leßingen gelassen – wie sehr sind wir aber in dem Eindrucke verschieden, den dieses Stück machen soll. Einer von beiden kann nur Recht haben, und der andre hat sich nur nicht gnug idealisiren können, um nicht zu lesen, sondern zu sehen. Damit dieß mich nicht treffe, will ich auf guter Hut seyn.

Hr. Leßing macht »die Idee des körperlichen Schmerzes« zur Hauptidee des Stücks, 12 und sucht die seinen Mittel auf, 13 womit der Dichter diese Idee zu verstärken, zu erweitern gewußt hat. Ich gestehe es, daß, wenn dieß die Hauptidee der Tragödie wäre, einige von Hr. L. angegebene Mittel wenig auf mich gewirkt hätten. Der Eindruck des körperlichen Schmerzes ist viel zu verworren und körperlich gleichsam, als daß er z.E. der Frage Platz ließe: 14 wo sitzt der Schmerz? außen oder innen? wie sieht die[44] Wunde aus? was für ein Gift wirkt darinnen? Wäre die Vorstellung des körperlichen Schmerzes so schwach, um durch solche Sachen verstärkt werden zu müssen, so ist die Wirkung des Theaters verlohren: so ists besser, daß ich hingehe, um die Wunde selbst Chirurgisch zu besichtigen. Nein! Theatralisch sey die Idee des Schmerzes, und ich mag also auch nichts, als Theatralische Verstärkung – von fern, aus den gezogenen Minen, aus Tönen des Jammers, will ich, wenn Schmerz die Hauptidee des Stücks ist, ihn kennen lernen, und denn ists mir wohl beinahe gleich, worüber man schreie, und sich geberde? ob über einen lahmen Fuß, oder über eine Wunde im Innern der Brust. Der Kunstrichter verliert alles, wenn er aus der Theatralischen Anschauung weichet, und uns zur Verstärkung, zur Glaubwürdigkeit derselben den Attest eines Wundarztes geben ließe – – was es für eine Krankheit, daß es eine wirkliche Wunde, daß es ein Gift sey, das wohl so viel Schmerzen erregen könne. Sophokles habe so etwas überdacht, oder nicht überdacht: gnug, wenn so etwas auf mich wirken müsse, um meine Idee vom Schmerze zu verstärken – Lebe wohl, Theater! so bin ich in der Lazarethstube.

Theatralische Rührung also! und wodurch kann ich, wenn die Hauptidee des Stücks körperlicher Schmerz ist, gerühret werden? welches sind alsdenn die Hauptmittel zur Erregung der Sympathie? Ich weiß nichts anders, als die gewöhnlichen Aeußerungen, Geschrei, Thränen und Zückungen: diese giebt auch Hr. Leßing 15 dafür aus, und giebt sich viele Mühe, 16 bei ihnen den nicht beleidigten Anstand, und ihre entschiedne Wirkung zu erklären. Gut also! aber, wenn das Wimmern, das Schreien, die gräßlichsten Zückungen, das Mittel, das Hauptmittel sind, mir die Idee des körperlichen Schmerzes einzupflanzen, und mein Herz zu treffen: was kann denn die beste Wirkung dieses treffenden Schlages seyn? Mit körperlichem Schmerze kann ich nicht anders, als körperlich, sympathisiren: d.i. meine Fibern kommen durch die Theilnehmung in eine ähnliche [45] Spannung des Schmerzes, ich leide körperlich mit. Und wäre dieß Mitleid angenehm? Nichts weniger, das Zetergeschrei, die Zuckung fährt mir durch alle Glieder, ich fühle sie selbst; die nämlichen convulsivischen Bewegungen melden sich bei mir, wie bei einer gleichgespannten Saite. Ob der in Zuckung liegende, winselnde Mann Philoktet sey, geht mich nicht an: er ist ein Thier, wie ich: er ist ein Mensch: der Menschliche Schmerz erschüttert mein Nervengebäude, wie wenn ich ein sterbendes Thier, einen röchelnden Todten, ein gemartertes Wesen sehe, das wie ich fühlet. Und wo ist nun dieser Eindruck auch nur im kleinsten Maaße vergnügend, angenehm? Er ist peinlich, schon bei dem Anblicke, bei der Vorstellung, ganz peinlich. Hier ist im Augenblicke des Eindruckes an keinen künstlichen Betrug, an kein Vergnügen der Einbildungskraft zu gedenken: die Natur, das Thier leidet in mir, denn ich sehe, ich höre, ein Thier meiner Art leiden.

Und welche Gladiatorseele gehörte dazu, um ein Stück auszuhalten, in welchem diese Idee, dieß Gefühl des körperlichen Schmerzes, Hauptidee, Hauptgefühl wäre? Ich weiß keinen dritten Fall außer diesen beiden: daß ich entweder illudiret werde, oder nicht. Ist das erste, ists auch nur ein Augenblick, daß ich den Schauspieler verkenne, und einen zückenden, schreienden Gequälten sehe; wehe mir! es fährt mir durch die Nerven! Ich kann den künstlichen Betrüger, der sich mir zum Vergnügen, dem Augenscheine nach, aufhängen wollte, keinen Augenblick mehr sehen, so bald der Betrug schwindet, so bald er wirklich worget. Ich kann den Seiltänzer keinen Augenblick mehr sehen, so bald ich ihn fallen, in das unterliegende Schwert stürzen sehe, so bald er mit zerschlagnem Fusse da liegt. Der Anblick Philoktets ist meinem Gesichte unausstehlich, so bald ich es denke, daß er der leidende Philoktet ist. Blos eine Fechterseele kann in dieser Illusion des körperlichen Schmerzes, wie an jenem sterbenden Fechter, studiren wollen: wie viel Seele noch in ihm sei? Blos ein Unmensch kann, nach der Fabel von Michael Angelo, einen Menschen kreuzigen, um zu sehen, wie er stirbt.

[46] Hr. Leßing mag sagen, 17 daß »nichts betrüglicher sey, als allgemeine Gesetze für die Empfindungen geben zu wollen.« Hier liegt das Gesetz in meinem unmittelbaren Gefühle selbst, und zwar in dem Gefühle, das am weitesten von allgemeinen Gründen abgehet, das mir, als einem sympathisirenden Thiere, beiwohnt. So bald der leidende Körper Philoktets mein Hauptaugenmerk ist, so bleibts, »daß 18 je näher der Schauspieler der Natur kommt, desto empfindlicher Augen und Ohren beleidigt werden müssen.« Ein Meer unangenehmer Empfindungen wird über mich ergehen, und kein angenehmer Tropfe mischt sich dazu. Die Vorstellung des künstlichen Betruges? – ist durch die Illusion gestört; ich habe nichts, als den Anblick eines zückenden, mit dem ich beinahe mit zücke, eines Wimmernden, dessen Ach! mir das Herz durchschneidet. Es ist kein Trauerspiel mehr, es ist eine grausame Pantomime, ein Anblick, Fechterseelen zu bilden: ich suche die Thüre.

Nun aber lasset uns den zweiten Fall setzen, daß der Griechische Schauspieler mit aller seiner Skävopoeie und Deklamation das Geschrei und die Verzuckungen des Schmerzes nicht bis zur Illusion bringen könne (etwas, das Hr. Leßing nicht zu behaupten getrauet, 19 gesetzt also, daß ich ein kalter Zuschauer bleibe: so kann ich mir ja keine widerlichere Pantomime gedenken, als nachgeäffte Zuckungen, brüllendes Geschrei, und wenn die Illusion vollkommen seyn soll, ein übler Geruch der Wunde. Kaum würde also alsdenn der Theatralische Affe Philoktets zum Zuschauer sagen können, was der wahre Philoktet zum Neoptolem: »ich weiß! du hast es alles nichts geachtet; weder mein Geschrei, noch der üble Geruch wird dir Ekel erregt haben.« 20 Bei einer widerlichen, und zum Unglücke nicht täuschenden Pantomime ist dies unvermeidlich.

Ich schlage die Litteraturbriefe 21 auf, und finde den Ersten ihrer Verfasser an gründlicher Philosophie in einem andern ähnlichen [47] Falle meiner Meinung. Er untersucht, »warum die Nachahmung des Ekels uns nie gefallen können,« und giebt zu Ursachen an, »weil diese widrige Empfindung nur unsre niedere Sinne trifft, Geschmack, Geruch und Gefühl: die dunkelsten Sinne, die nicht den geringsten Antheil an den Werken der schönen Künste haben: weil zweitens die Empfindung des Ekels widrig werde, nicht durch die Vorstellung der Wirklichkeit, wie bei andern unangenehmen Eindrücken, sondern unmittelbar durchs Anschauen: und weil endlich in dieser Empfindung die Seele keine merkliche Vermischung von Lust erkennet.« Er schließt also das Ekelhafte ganz von Nachahmung der schönen Künste, und den höchsten Grad des Entsetzlichen von der Pantomimischen Vorstellung im Trauerspiele aus, »weil theils die Täuschung hierinn schwer wäre, theils auch die Pantomime auf der tragischen Schaubühne nur in den Schranken einer Hülfskunst bleiben müßte.« Ich wollte, daß der Philosophische D. sich über meinen Vorwurf erklären möchte: denn der körperliche Schmerz Philoktets hat mehr als einen dieser Gründe wider sich. Seine Täuschung kann nur den dunkelsten Sinn, das thierische Mitgefühl, erregen: die Empfindung darüber ist allemal Natur, und niemals Nachahmung: sie hat nichts Angenehmes mit sich: sie ist kaum der Illusion fähig: sie macht die tragische Bühne zur Pantomime, die, je vollkommner sie wäre, um so mehr zerstreuete. Schlechthin kann also der körperliche Schmerz keine Hauptidee eines Trauerspiels seyn.

Und ists doch bei Sophokles Philoktet, bei einem Meisterstücke der Bühne! »Wie manches, sagt Hr. Leßing, 22 würde in der Theorie unwidersprechlich scheinen, wenn es dem Genie nicht gelungen wäre, das Widerspiel durch die That zu erweisen.« Ich glaube, schwerlich. Was in der Theorie wahrhaftig unwidersprechlich ist, und nicht blos so scheint, wird nie von einem Genie widerlegt werden, zumal wenn die Theorie in unsern unerkünstelten Empfindungen läge. Mich dauert die Mühe, die sich Herr Leßing giebt,[48] Sophokles zu rechtfertigen, und den Engländer Smith zu widerlegen;, beide brauchen es nicht: und wenn sie es brauchten, wenn Sophokles Hauptzweck wäre, durch die Aeußerungen des körperlichen Schmerzes seinen tragischen Endzweck zu erreichen: so hätte L. mit allem, was er Gutes sagt, wenig gesagt.

Aber Sophokles, das tragische Genie, fühlte nur gar zu viel dagegen, diesen Zweck zu erreichen, und gieng ganz einen andern Weg, der ihm nicht mißrathen konnte, und den Hr. L. wie es scheint, von einer Nebenseite gesehen. Ich muß aus dem vorigen Eindrucke, den ich davon geliefert, einige Züge zurücknehmen:

1. Der erste Begriff von Philoktetes ist der Begriff eines Verlassenen, Kranken, Elenden, von Menschen, verrathenen Einsiedlers, eines Robinson Crusoe, dessen Jammervolle Höle uns gezeigt wird: diese Situation setzt Hr. L. mit der ihm gewöhnlichen Stärke aus einander.

2. Der Elende soll noch einen neuen Streich von der List seines alten Feindes leiden: hier schwillt unsere Theilnehmung, und der Kontrast zwischen Ulysses und Neoptolemus macht die ganze Scene Menschlich.

3. Der Chor und Neoptolem drücken die Pfeile des Mitleids tiefer in unser Herz: sie singen sein Elend in vollem Maaße. Wie begierig sind wir nun, den Mann zu sehen, der hier in der wüsten Insel eine besondere Scene spielt, und auf den neues Unglück lauert. In diesem ganzen Akt ist noch kein Philoktet zu sehen: noch weniger die Vorstellung von seinem körperlichen Schmerz Hauptidee. Sophokles hat in diesem Akt dreierlei Vorsicht, uns erst auf Philoktet lange vorzubereiten, ehe er auftritt: das Schwerste und Untheatralische in Erzälung und nicht in Handlung zu zeigen: unser Herz und unsre Phantasie ihm zu sichern, damit wir erst – auch nur seinen Anblick ertragen lernen. Und gleich als ob dieser noch nicht gnug vorbereitet wäre, muß den wilden Mann ein fern her murmelndes Ach anmelden, das sich nähert, und –

1. Nun sind durch den Anblick der Fremden die Seufzer weg, völlig weg. Warum das? warum läßt sie Sophokles so ganz hinter [49] der Scene? Erst muß er ihn nicht blos vor Verachtung sichern, sondern seinem ganzen ersten Anblicke nach, ist Philoktet ein leidender Held. Ich weiß nicht, warum L. diesen ersten Eindruck, in dem der Held erscheint, nicht verfolget; wimmern haben wir ihn kaum von fern gehört, jetzt sehen wir [ihn] dulden. Mitten unter verbissenen Schmerzen steht und spricht der Menschenfreund, Grieche, Held – warum hat Hr. L. das Interesse nicht mehr entwickelt, das er als Grieche, als ein theilnehmender Freund der Fremden, als der Verehrer Griechischer Helden, wirket? Man kann kaum mehr für ihn sympathisiren, als man schon gestimmet ist.

2. Und noch zeigt er eine große Seite. Der eben jetzt Flehende hört Ulysses neuen Verrath, und wie ist der flehende Elende plötzlich in einen Helden verwandelt?

3. In einen Helden, der gegen seine Feinde noch der ungedemüthigte Stolze bleibt: Originalzug der Griechischen Größe, »Liebe gegen die Freunde, unwandelbarer Haß gegen die Feinde!« 23 Und wer anders als ein Redlicher, kann Neoptolem seine Pfeile und sein Leben so großmüthig anvertrauen? – ein solcher Mann ist nicht blos auf alle Wege vor Verachtung gesichert: er hat unser ganzes Herz.

4. Das Chor bereitet uns auf die Scene des Elendes, und ist offenbar in dem Tone der Ehrfurcht gegen einen Helden, der da duldet, der so lange geduldet hat, nicht, der da schreiet. – Wie wenig, wie wenig ist doch also der Philoktet Sophokles, seinem Hauptzuge nach auf der Bühne, der, den L. gewohnt ist, als den Gräßlichen zu charakterisiren, noch ist er immer der große duldende Held: und das in zween langen Auftritten!

Und beinahe fängt die Idee von seinem Elende, und von dem Versprechen des Neoptolemus an zu schwinden: fast kann man uns von seinem Schmerz zu viel erzählt, fast kann derselbe sich in neun Jahren doch wohl verringert haben? könnten wir ihn also nicht selbst leiden sehen? Wenn nichts mehr ist, als was[50] wir gesehen haben, so – und nun kommt der Anfall. Es ist bloß ein Anfall, und ich weiß nicht, wie Hr. L. die Wahl einer Wunde rühmt, 24 die doch keinen andern Vortheil bringen konnte, als ein ekles Ach fünf Akte lang zu dehnen! Sophokles wußte was bessers zu wählen – eine kurze Anwandlung. Sie legt er in die Mitte des Stücks zur Auszeichnung: sie kommt plötzlich; um so eindrücklicher wird das Gift, als eine Strafe der Götter, nicht blos als eine schleichende Krank heit: sie kommt Ruckweise, um durch ein Anhalten den Zuschauer nicht zu ermüden: sie schweift in Raserei aus, um den Zuschauer von der Pantomime mehr auf die leidende Seele zu wenden: sie wird lange von Philoktet unterdrückt, und nur mitten unter Gesprächen mit einzelnen Tönen des Jammers begleitet: sie endet sich in einem ruhigen Schlafe, und der läßt uns erst Zeit zu überdenken, was Philoktet ausgestanden. Man kann den ganzen Auftritt nicht mehr verkennen, als wenn man ihn blos für die Pantomime eines körperlichen Schmerzes, und das ganze Stück nicht mehr verkennen, als wenn Philoktet da seyn sollte, um über eine Wunde zu schreien und zu heulen. Der Anfall ist vorüber, und nach so wenig, als vor – – doch ich mag ja keinen Kommentar über Sophokles schreiben – wer urtheilen will, lese!

So kann also W. seinen Laokoon mit Philoktet vergleichen! So kann das Schreien wohl nie, und am wenigsten bei Homer der Charakterzug eines Helden gewesen seyn! So ist wohl nie Schreien das Hauptwerk des Philoktets, um Theilnehmung zu wirken, und körperlicher Schmerz nie die Hauptidee eines Drama! So hat das Schauspiel gewiß seine eigne schöne Natur gleichsam, und genaue Grenzen zwischen andern Dichtarten. So kann man es ohne Sünde eine Reihe handelnder, Dichterischer Gemählde nennen! Wer könnte uns über diese Materie besser belehren, als – der Verfasser des Laokoon und der Dramaturgie selbst, wenn er [51] sich »über das Maas der Pantomime in der Tragödie, über die eigneschöne Natur des Drama, und über die besondern Grenzen zwischen Malerei und Schauspiel besonders erklärte?«

Fußnoten

1 Laok. pag. 31.–49. [393–403]

2 Sophocl. Philoct. Act. I.

3 Auftr. 2.

4 Auftr. 3.

5 Aufzug 2.

6 Aufzug. 2. Auftr. 1.

7 Aufz. 2. Auftr. 2.

8 Auftr. 3.

9 [Aufz. 2.] Auftr. 3.

10 Dritte Scene.

11 Theatre des Grecs, Tom. 2. p. 89.

12 Laok. p. 3. 4. 31. 32. [376–7. 392–3].

13 p. 33–49. [394–403].

14 p. 33. 34. [394].

15 p. 3. 32. 34. [376–7. 393. 394].

16 p. 41–49. [398–403].

17 p. 42. [399].

18 p. 32. [393].

19 p. 49. [403].

20 Sophokl. Philokt. Akt. 4. Scen. I. [v. 875].

21 Litt. Br. Th. 5. Br. 82–84.

22 Laok. p. 33. [394].

23 Laok. p. 43. [400]

24 p. 33. [394]

6.

Der große Winkelmann hat uns die schöne Griechische Natur so Meisterhaft gezeiget, daß wohl keiner, als ein Unwissender und Fühlloser, es leugnen wird, »ihr Hauptgesetz in der bildenden Kunst sey Schönheit gewesen.« Deß ohngeachtet dünkt mich noch die erste Quelle mit einigen ihrer Adern unentdeckt:warum die Griechen in Bildung des Schönen so hoch gekommen, um allen Völkern der Erde hierinn den Preis abzulaufen? Herr Leßing giebt auch ein Supplement 1 dazu, da er uns den Griechen, im Gegensatz mit dem Kunstgeschmack unserer Zeit, als einen Künstler zeiget, der der Kunst nur enge Grenzen gesetzt, und sie blos auf die Nachahmung schöner Körper eingeschränket: »sein Künstler schilderte nichts, als das Schöne.«

Nichts, als das Schöne? Nun ja! mein Leser, ich habe die weisen Erinnerungen und Einschränkungen gelesen, die man wider diesen Leßingschen Satz sehr gelehrt aufgeworfen; allein man muß L. erst verstehen, ehe man ihn widerlegt. Will er sagen, daß die Griechen nichts Häßliches gebildet? Ich glaube nicht, und wünsche an einem andern Orte 2 die Worte weg: »die Griechen haben nie eine Furie gebildet.« Denn gienge sein Satz so weit: so hätte Hr. Klotz noch in jedem seiner künftigen Schriftchen Gelegenheit, ein Beispiel anzubringen, daß die Alten auch Furien, Medusen u.s.w. gebildet hätten – etwas, was wohl jeder weiß, der etwa ein Museum durchlaufen.

Oder hätten die Alten das Gesetz gehabt, häßliche Figuren auch schön zu bilden, weil was gebildet werde, schön seyn müsse? [52] Ich weiß, daß man ihn auch so verstanden, und alsdenn die liebe Meduse statt Alles angeführt; allein auch dieß ist nicht die Verbindung des Sinnes.

Ich verstehe ihn so: es sei bei den Griechen kein herrschender, kein Hauptgeschmack gewesen, daserste beste zu schildern und zu bilden, um blos durch die Nachahmung Werth zu erhalten, blos durch Aehnlichkeit sich als Künstler zu zeigen: sondern hier habe ihr Geschmack das Schöne zum Hauptgegenstande gemacht, um nicht blos mit leidigen Geschicklichkeiten zu pralen. Und in diesem Verstande bleiben folgende Bestimmungen ja von selbst eingeschlossen.

Um von einem herrschenden Geschmacke zu urtheilen, nehme man nicht jede einzelne Beispiele: denn die Pausons, Pyreicus und andre Rhyparographen, so lange sie nicht Schulen ziehen, und diese mit andern, mit den Schilderern der Schönheit noch nicht um den Vorzug streiten dörfen, hindern nichts.

Um von einem herrschenden Geschmacke zu urtheilen, muß man die Worte eines Gesetzgebers, 3 eines Politischen Philosophen, nicht als Beweis des Gangbaren annehmen: denn sie sagen, was da seyn sollte, nicht was da ist.

Die besten Zeugen eines herrschenden Geschmacks sind die öffentlichen Kunstwerke, die Anordnungen der Obrigkeit: und da Hr. Leßing auch vorzüglich auf diese gesehen, so lehrt man ihn ja nichts neues, wenn man sich vernehmen läßt: 4 »Der griechische Künstler schilderte nichts, als das Schöne –« »Entgegengesetzte Zeugnisse der Schriftsteller und Beispiele der Künstler bestimmen mich, dieser Beobachtung engere Grenzen zu setzen, und sie bloß auf öffentliche Denkmäler einzuschränken.« Ich denke, daß das Hrn. L.erste Quelle gewesen, und er sucht ja vielleicht Anordnungen, wo selbst keine sind. 5

[53] Um von einem herrschenden Geschmacke zu urtheilen, nehme man ferner nicht Tempelwerke, wo Religion die Hauptabsicht gewesen, oder der Geschmack der Religion nicht geändert werden konnte. Hr. L. macht sich diese Einschränkung selbst, 6 und sie ists, die seinen Satz so mildert, daß, ich gestehe es, er freilich durch ihn so viel oder so wenig bedeuten kann, als er will.

Um endlich vom herrschenden Geschmacke zu urtheilen, nehme man freilich nicht alle Zeiten gleich, sondern die, da der Geschmack schon ausgebildet, da er durch keine Kakozelio verdorben erscheint: im ersten Fall ist noch kein Gesetz gegeben, im zweiten ists eine Zeitlang unter die Bank gebracht; deßwegen aber noch immer Landesgesetz. – Und nach diesen Bestimmungen kann L. allerdings vest setzen: »daß bei den Alten die Schönheit das höchste Gesetz der bildenden Künste gewesen.«

Allein bei welchen Alten? seit wenn? wie lange? welche Unter- welche Nebengesetze? Und woher ists bei den Griechen so vorzüglich, vor allen Nationen, höchstes Gesetz geworden? Andre wichtige Fragen, wo bei der letzten mir W. selbst kaum ein Gnüge thut.

Hr. L. kommt auf zwo Situationen, die hierin einschlagen: »daß bei den Alten auch die Künste bürgerlichen Gesetzen unterworfen gewesen, und was die bildenden Künste auf den Charakter einer Nation wirken können.« 7 , Allein, über beides konnte er sich nur im Vorbeigehen erklären. Es muß aus Gründen hergeleitet werden können: wie bei den Griechen Gesetze über die Kunst nicht blos, wie weit es Hr. L. nimmt,erlaubt; sondern nöthig gewesen – wie bei ihnen Kunst und Poesie und Musik weit mehr zum Wesentlichen des Staats gehöret habe, als jetzt – wie der Staat also nicht ohne sie, als seine damaligen Triebfedern, und [54] sie nicht ohne Staat haben seyn können – wie also die Wirkung der Nation auf die Kunst, und der Kunst auf die Nation nicht blos Physisch und Psychologisch, sondern auch großen Theils Politisch gewesen – wie bei den Griechen also aus so manchen Ursachen, und nicht blos ihres Nationalcharakters, sondern auch ihrer Erziehung, Lebensart, des Grades ihrer Cultur, ihrer Religion und ihres Staats wegen, die Bildung der Schönheit mehr Eindrücke haben können, und mehr Eindrücke habe annehmen müssen. Ein wichtiges Problem, 8 zu dessen Auflösung mehr, als einige Känntniß der Griechen von der Oberfläche her gehöret. Unsern gewöhnlichen Graeculis also, die jetzt nach dem Modegeschmacke von nichts so gern, als von Kunst, von Schönheit der Griechen sprechen, ist ein Gedanke hieran so wenig eingefallen, daß sie alles glauben erklärt zu haben, wenn sie von nichts, als einer gewissen seinen schönen Empfindung der Griechen für die Kunst, und für die Schönheit, schwatzen; von einer Empfindung, die sie gehabt, die Römer nicht gehabt, und die jetzt in unsern Deutschen Neugriechen wieder auflebe. Alle Klotzische Schriften sind von diesem süßen Geschwätze voll: 9 denn freilich aus einer gewissen unnennbaren Empfindung, aus einem sechsten Sinne für die Schönheit, kann man alles, was man will, ohne Kopfbrechen ausfinden. – Ein Philosophischer Kopf, wie Leßing, konnte mit solcher qualitas occulta nicht zufrieden seyn: und welcher halbphilosophische Kopf wird sich denn damit lächelnd begnügen können?

Doch nicht zu weit vom Laokoon. Wenn bei den Griechen Schönheit das höchste Gesetz der Kunst war: so mußten gewaltsame Stellungen, häßliche Verzerrungen vom Künstler entweder gemieden, oder herabgesetzt werden: und L. giebt davon die besten Exempel. [55] Indessen hat er Wiederspruch gefunden, und einer seiner Wiedersprecher 10 ist, wenn er jetzt einen Stein findet, der dafür, jetzt einen, der dawider zu seyn scheinet, auch im Wechselfieber bald für, bald gegen den Satz, daß der geneigte Leser endlich nicht weiß, wie ihm ist. Ob sich hier nicht ein fester Faden ziehen ließe?

Zuerst also: der Mythische Cirkel der alten Griechen war ohne Wiederspruch der Schönheit gebildet: ihre Götter und Göttinnen waren nicht, wie die Aegyptischen, Allegorische Ungeheuer: noch, wie die Persischen und Indischen, beinahe ohne Bild: noch, wie die Hetrurischen, traurige und unanständige Figuren; sondern an Bildung reizend dem Auge. In der ganzen Natur der Dinge fanden die Griechen keine bessere Vorstellung der Göttlichen Natur, wie eines Inbegrifs der Vollkommenheiten, als die Menschliche Gestalt; und wiederum, welches zu beweisen wäre, keine der Gottheiten war so charakterisirt, daß sie immer häßlich hätte gebildet werden müssen, um das zu seyn, was sie seyn sollte. Die Götterbegriffe der Griechen waren von Dichtern bestimmet, und diese Dichter waren Dichter der Schönheit.

Die Griechen hatten z.E. einen Jupiter, der freilich nicht immer μειλιχιος, der auch oft der Zornige, der Grimmige war: und der Dichter konnte ihn seinem Zwecke gemäß schildern. Wie aber der Künstler? Wer will denn immer gern einen zornigen Jupiter sehen, da sein Zorn doch mit dem Ungewitter übergeht? Was also natürlicher, als daß er zu dem ewigen Anblicke seines Kunststückes den Anblick einer schönen Größe lieber wählte, und ihm nur hohen Ernst in sein Gesicht schuf? – Nun kann es freilich, und insonderheit in der ältern Zeit der Religion, auch Abbildungen des Zorns gegeben haben: allein, was thut dieß? der Hauptbegriff bei Jupiter, selbst wenn er den Donner wirft, bleibt doch – hoher Ernst, schöne Größe; dieß ist seine bleibende Gestalt, jene geht vorüber.

[56] Venus, wenn sie um den Adonis trauret, raset bei Moschus fürchterlich: auch Juno kann königlich zanken, und Apollo tapfer zürnen – allein ist diese Raserei, dieß zänkische Gesicht, dieser Zorn im Antlitze denn wohl ihre beständige Mine, ihr nothwendiger Charakterzug? Nicht! er ist übergehend, er ist eine vorbeiziehende Wolke: nun soll der Künstler Venus, Apollo, Juno bilden; – will er nicht Unsinn, oder Eigensinn beweisen, so wird er die Mine nehmen, die Venus, Apollo, Juno eigen ist: in der sie sich zeigen würden, wenn sie ihm zur Bildung erschienen, und dieß ist – eine Gestalt der Schönheit.

Doch immer aber gab es ja auch im Mythischen Zirkel der Griechen Figuren, denen die Häßlichkeit ein Charakterzug war: z.E. Medusenköpfe, Bacchanten, Giganten, Silenen, Furien u.s.w. Medusa gehe voraus, denn Pallas trägt sie auf ihrem mächtigen Schilde. Meduse, ist sie eine Gestalt, die nothwendig häßlich gebildet werden muß, von der man nur eine Gestalt wüßte, die im höchsten Grade fürchterliche? Die so viel über die himmlische Bildung der Meduse, als von einem Ich weiß nicht, warum? und einer Paradoxie reden, 11 sollten wissen, daß Medusen diese Bildung eigenthümlich, daß sie eine Reizende gewesen, die Neptun zur Liebe beweget, und darüber von der jungfräulichen Minerve verwandelt worden. 12 Nun sollte sie der Künstler bilden: zwo Gestalten lagen vor ihm und er wählte – die schöne vor ihrer Verwandlung: aber um sie als Meduse zu bezeichnen, flocht er Schlangen in ihre Haare.

Um diese Schlangen zu erklären, weiß ich da keinen andern Rückweg, als mich »auf das besondere Gefühl der Griechen und Römer für die Schlangen« zu beruffen? 13 ein besonderer Appetit, [57] der – hier aber nichts erklärt. Eine schöne Meduse ohne Schlangen wäre nicht mehr känntlich, nicht mehr Meduse – ein bloß schönes Gesicht gewesen; so und aus keinem Schlangenappetit mußte also der Künstler diesen Charakterzug brauchen. Und warum sollte ers nicht? Wann er die Schlangen in die Haare versteckt, so können sie zieren; und was an ihnen hervorblickt, ist das was häßliches? Schrecklich, und nicht häßlich; aber dieß Schreckliche gemäßigt, mit einem schönen Antlitze contrastirt, ist angenehm; es erweckt den Begriff des Außerordentlichen, von der Macht der Göttin, ist also hier als Charakterzug nöthig, und zum viel fassenden Eindrucke tauglich: es erhebt die Schönheit. Meduse also dorfte nicht nothwendig ein Bild der Häßlichkeit seyn.

Und die Furien eben so wenig. Die Ehrwürdigen: so nannten die Athenienser sie, und so konnten sie die Künstler bilden: »weder an ihren Bildnissen, sagt Pausanias, 14 noch an den Abbildungen der unterirdischen Götter, die im Areopagus stehen, ist was fürchterliches wahrzunehmen.« Und wenn nicht an den Furien; an den eigentlichen Rach- und Plagegöttinnen: wenn nicht an den unterirdischen Göttern; wenn nicht selbst im Areopagus, dem ernsthaftesten Orte zu Athen – wo und an welchen Bildungen hätte denn das Gräuliche der Hauptcharakter seyn müssen?

Ich darf also behaupten, daß alle Mythische Figuren des Zirkels, die als Hauptfiguren, einzeln, ihrem innern und beständigen Charakter gemäß, haben erscheinen sollen, das Widerliche und Gräßliche nie zur nothwendigen Bildung haben dorften. Selbst bis auf den Schlaf und den Tod 15 erstreckt sich dieß, die beide als Knaben in den Armen der Nacht ruhend vorgestellt wurden, und [58] so gar bis auf die höllischen Götter – schönes Feld von Vorstellungen für den Künstler, dem also seine Religion es wenigstens nicht auflegte, zur Schande des Geschmacks, und zum Ekel der Empfindung arbeiten zu müssen. Da waren keine Bilder des Abscheues, wie in der skandinavischen und andern Nordischen Religionen: keine Fratzenvorstellungen, wie in den Mythologien der heidnischen Mittagländer: kein Knochenmann, der den Tod, kein Ungeheuer, das den Teufel vorstellen sollte, wie nach den Idolen unseres Pöbels; unter allen Völkern der Erde haben die Griechen, was den sinnlichen, den bildsamen Theil der Religion anbetrift, die beste Mythologie gehabt: selbst die Kolonien ihrer Religion, nicht ausgenommen.

Zweitens: doch aber gab es ja so häufige Vorstellungsarten, Situationen, und Geschichte ihrer Religion, die immer auch für den Künstler widerliche Gestalten liefern mußten, wenn nicht als Haupt- so als Nebenideen: wie nun? Als Nebenideen freilich, und eine Mythologie, die nichts als Gestalten in seliger Ruhe lieferte, wäre für den Dichter gewiß eine todte, einförmige Mythologie gewesen, und hätte keine Griechen an Poesie hervorbringen können. Gnug aber, daß dieß Nebenideen, untergeordnete Begriffe, wandelbare Vorstellungen waren; bei solchen befand sich der Dichter recht wohl und der Künstler auch noch so unbequem nicht.

Ein Jupiter z.E. der die Giganten unter seinem Wagen hat, kann und soll auf sie, als auf Ungeheuer, als auf widrige Gestalten seinen Blitz schleudern; aber diese Gestalten sind ja nicht der Hauptanblick: sie sind mit ihrem Gräßlichen dem Jupiter untergeordnet, und also da, das Majestätische in ihm zu vermehren; nicht also wider das Hauptgesetz der Kunst. Ein schöner Bacchus unter taumelnden Mänaden, und ausgelassenen mit Pausbacken blasenden Bacchanten, unter Silenen und Satyrs, wird um desto herrlicher und schöner erscheinen. Die fürchterliche Meduse auf dem Brustharnische der Pallas wird die männliche Schönheit ihrer Göttinn [59] noch mehr erheben: denn hier ist sie nicht Hauptfigur, sondern Zierrath der Kleidung. So Perseus mit seiner Gorgone: Vulcanus, der hinkende, mitten im Saale der Götter: so Cerberus unter den Füßen des majestätischen Pluto – wie manches Papier wäre mit Einwendungen geschont, wenn man bedacht hätte, daß in einer Composition von Figuren auf eine Nebengestalt ja nicht das Hauptgesetz fallen könne, ohne das Ganze zu verderben.

Drittens: was ich von den Griechischen Göttern gesagt, gilt auch von ihren Helden. Weder ihre Heroen, noch Menschliche Helden haben zu ihrem Hauptzuge eine Klosterheiligkeit, eine verzückte Andacht, eine bußfertige Verzerrung, oder eine sich wegwerfende Demuth. Allein also, für sich selbst genommen, läßt der Held hoher Schönheit Platz, insonderheit wenn er als Hauptperson in seiner bleibenden Fassung erschiene. Setzet ihn aber auch in ein Medium der Hinderniß: seine Seele werde von Zorn, von Jammer, von Betrübniß erschüttert: freilich wird er nicht den stoischen Weisen machen; aber die empfindliche Natur seiner Menschheit, wird sie seiner höhern Natur wiedersprechen dörfen?

Hier stehe die Abschilderung Agamemnons in dem Opfer der Iphigenia. Timanthes verhüllte ihn: warum aber hat er ihn verhüllet? Er hat sich, sagt Plinius, 16 in den traurigen Physiognomien erschöpft, so daß er dem Vater eine noch traurigere geben zu können verzweifelte. Dieß läßt Hr. L. den Plinius sagen, 17 und – – wiederlegt also die von ihm gegebene Ursache mit Recht: denn es ist wahr, »daß mit dem Grade des Affekts sich auch die ihm entsprechenden Züge des Gesichts verstärken; daß der höchste Grad die allerentschiedensten Züge habe, und nichts sey der Kunst leichter, als diese auszudrücken.« Plinius hätte also Unrecht, und der Schriftsteller 18 noch mehr Unrecht, der ohne diese von L. angegebne Ursache zu entkräften, Plinius glaubt, blos weil er idoneus auctor ist. Aber wie wenn Plinius dieß nicht gesagt hätte?

[60] Plinius Stelle ist diese: Timanthes cum moestos pinxisset omnes, praecipue patruum & tristitiae omnem imaginem consumpsisset,patris ipsius vultum velavit, quem digne non poterat ostendere. Was sagt nun Plinius? daß Timanth sich an traurigen Physignomien erschöpft, daß er dem Vater keine traurigere hätte geben können? nicht! sondern daß diese noch traurigere seiner nicht würdig gewesen wäre, daß er ihn in derselben nicht würdig hätte zeigen können. Ich will dem Valerius Maximus 19 folgen, wie er Timanths Gemälde angiebt: Kalchas erscheint betrübt, Ulysses traurig, Ajax stößt eben ein Ach! aus, Menelaus windet die Hände – wie nun Agamemnon? nicht anders als starr, sinnlos, betäubt, die Züge des Gesichts eisern angeheftet, oder – rasend: denn so äußert sich, dünkt mich, der höchste Affekt. Würde sich da nun Agamemnon würdig zeigen? der Anblick eines Starrsehenden, ist er würdig eines Vaters? kaum! und der die Hände windende Menelaus, der ächzende Ajax, der traurige Ulysses, der betrübte Kalchas würden gerührter scheinen, als der starre Vater selbst. So erscheine dieser rasend? ein unnütz rasender Held, ein knirschender Agamemnon ist ein unwürdiger Anblick. Wenn Menschen sein Kind ertödten: so rette ers: er winde Kalchas das Opfermesser aus der Hand, und mache sich nicht durch sein Geschrei, durch seinen vergeblichen Schmerz unnütz. Wollen aber Götter das Opfer, fodert es das Wohl der Griechen; ists einmal zugestanden; König, so wisse dich zu fassen: und wenn dein väterlich Herz bricht, so – wende dein Auge weg; verhülle dein Antlitz: so erscheinst du würdig des Vaters, und des Königes, und des empfindbaren Griechen und des Patriotischen Helden.

Auch würdig der Kunst des Malers? Mit dem vorigen zusammen; ob aber dieser letzte Zweck der Einige und Hauptzweck gewesen? ob die schönen Raisonnemens eintreffen, die Hr. L. dem Timanthes Schuld giebt, 20 »daß er die Grenzen seiner Kunst [61] gekannt, daß er das Häßliche, das Verzerrende im Gesicht Agamemnons gerne gelindert hätte; da es aber nicht angieng – so habe er ihn verhüllet. Die Verhüllung sey eben ein Opfer, das der Künstler der Schönheit gebracht habe;« weiß ich nicht; wenigstens konnte ihm das Opfer nicht schwer werden, denn er brachte es aus fremden Mitteln. Mehr als ein Dichter 21 hatte schon im Schauspiele den Agamemnon verhüllet, und Timanth dorfte also nicht erst mit sich darüber vernünfteln. Er wäre frech gewesen, wenn er, was der Dichter verhüllt hatte, hätte entblössen wollen, zumal es auf seine Kunst so sehr zutraf. Warum ihn aber der Dichter verhüllt? ob etwa einem künftigen Timanthes zu gut? ob etwa eine Figur zu verhüten, die sich nicht malen ließe? ob um der Kunst ein Opfer zu bringen? Der Kunst freilich; aber kaum dem Pinsel des Timanthes, sondern seinem eigenen Schauspiel, und der Grazie desselben! Nicht, als wenn diese bei der Opferung eines Kindes einen stoischen Helden foderte; so unmenschlich ist die Griechische Grazie nicht. Nicht, als wenn sie einen betrübten ächzenden Vater nicht duldete; warum nicht, wenn es damit gethan wäre? Aber hier sollte er den höchsten Ton des väterlichen Schmerzes, und des entsetzlichsten Jammers: ihn sollte ein Held anstimmen, der zugleich König war, der dadurch die Griechen rettete, der ihnen die Opferung versprochen hatte: dieser also sein Wort brechen, sein Volk nicht lieben, dafür auch nicht etwas Saures thun wollen? Er lasse sie opfern, er rase nicht wie ein Klageweib vergebens umher: er wende sein Auge ab, und weine väterliche Thränen: so erscheint er – würdig dem Könige und dem Vater, mithin auch würdig der Theatralischen Grazie. Nur da diese einer andern Person, einer Clytemnestra, einer Hekuba und andern Helden noch wahrscheinlicher manches hätte erlauben können, was sie in dieser Situation, diesem Agamemnon nicht erlaubte: so sieht man, daß auch bei Euripides diese Verhüllung mehr ein Opfer für seinen Helden in dieser Situation, als für den Helden absolut,[62] oder absolut für die Grazie der Schauspielkunst gewesen; und daß die Grazie einer fremden Kunst hier gewiß ganz beiseite trete.

Indessen, wie es sey: so bleibt Timanthes Gemälde, selbst bis auf den schreienden Ajax desselben, 22 für Hrn. Leßing, und selbst der rasende Ajax, die fürchterliche Medea, der leidende Herkules, der seufzende Laokoon; und immer zehn Beispiele gegen ein gegenseitiges bestätigen seinen Satz, »wie sehr die griechischen Künstler das Häßliche vermieden, und wie sorgfältig auch in den schwersten Fällen Schönheit gesucht.« Sollte man aber in der neuern Zeit, mit Ausdehnung der Kunst auch über die Grenzen des Schönen, das Wesen derselben haben ändern, und ihr ein neues Obergesetz: »Wahrheit und Ausdruck« geben wollen? 23 oder sollte diese Uebertragung über die Grenzen des Schönen nicht auch zu unsrer Zeit blos »Eigenschaft des Geschmacks in der und jener Schule« und also eine Kakozelie seyn, an der es den Griechen bei ihrem Pauson und Pyreicus auch nicht fehlte? die Frage wird sich im folgenden mehr ergeben. »Wenn man in einzelnen Fällen den Maler und Dichter« (und also auch die Kunst zwoer Zeiten) »mit einander vergleichen will, so muß man vor allen Dingen wohl zusehen, ob sie beide ihre völlige Freiheit gehabt haben, ob sie ohne allen Zwang auf die höchste Wirkung ihrer Kunst haben arbeiten können.« 24 Und wer hat hier in einer freiern Luft geathmet?

Fußnoten

1 Laok. p. 9–22. [380–87]

2 Laok. p.16. [384].

3 Laok. p. 11. [381] not. b. wo Hr. L. die Worte Aristoteles anführet.

4 Hr. Klotz Geschichte der Münzen p. 41. 42.

5 Laok. p. 12. [382] das Gesetz der Thebaner εις το χειρον ist mir noch zweifelhaft.

6 Laok. p. 103. [435].

7 Laok. pag. 12–15. [382–3].

8 Ein Programm des Hrn. Prof. Heine, de caussis fabularum seu mythorum veterum physicis, hat mir mehr Gnüge gethan, als die ganze Philosophie des Banier; wie überhaupt dieser würdige Kenner der Alten von seinen Griechen das Schwerste gelernt: stille Grösse, ruhige Fülle, auch im Vortrage und Ausdrucke.

9 S. Klotz Gesch. der Münzen p. 106. 107.

10 Klotz Act. litt. conf. mit der Gesch. Der Münzen, und diese mit der Schrift über die geschnittenen Steine.

11 Klotz Gesch. der Münzen p. 46. 47.

12 Pausanias erzält ihre Geschichte noch bequemer für die Kunst; v. Corinth. [II] c. 21.

13 Klotz Gesch. der Münz. p. 47. »Es ist wahr, daß unser Gefühl über diesen Punkt eben so verschieden von dem Gefühl der Griechen und Römer ist, als von der Empfindung des Kannibalen« u.s.w.

14 In Attic. [I] c. 28.

15 Laok. p. 121. [445] Die Leßingische Erklärung des διεστραμμενους τους ποδας scheint dem Sprachgebrauche zu wiedersprechen; und wenn es aufs Muthmaßen ankäme, könnte ich eben so sagen: »sie schliefen mit über einander geschlagnen Füßen« d.i. des einen Fuß streckte sich über den andern hin, um die Verwandtschaft des Schlafs und Todes anzuzeigen u.s.w.

16 Lib. XXXV. Sect. 15.

17 Laok. p. 18. 19. [385–6]

18 Klotz act. litter. Vol. III. p. 291.

19 Valer. Maxim. lib. VIII. Cap. 11.

20 Laok. p. 19. [386; gekürzt]

21 Z.E. Euripides in seiner Iphigenia u.s.w.

22 Hr. L. kann dem Valerius immer glauben: denn auf den schreienden Ajax fällt in dem Gemälde nicht das Hauptaugenmerk: und also auch nicht der Mittelpunkt, die Nerve seines Satzes: der das Ganze der Composition, nicht eine Nebenfigur treffen will.

23 Laok. p. 10. 23. [380. 388].

24 p. 102. [435].

7.

»Ein äußerlicher Zwang war bei dem alten Künstler öfters die Religion.« Bacchus mit Hörnern ist Leßingen 1 hier das erste [63] Beispiel, das ihn auch scheint auf diese so wahre Ausnahme gebracht zu haben. Bacchus mit Hörnern! »In der That, sagt Hr. L., sind solche natürliche Hörner eine Schändung der menschlichen Gestalt, und können nur Wesen geziemen, denen man eine Art von Mittelgestalt zwischen Menschen und Thier ertheilte.« 2 Und sorgfältiger kann nicht ein Freund bedacht seyn, seinem Freunde die Hörner von der Stirne wegzuschaffen, als Hr. L. für seinen schönen Bacchus besorgt ist.

Er erklärt sie also zuerst für einen bloßen Stirnschmuck. 3 Und 92 woher ein Stirnschmuck? Aus der Stelle des Dichters –


tibi cum sine cornibus adstas


Virgineum caput est:


»Er konnte sich also auch ohne Hörner zeigen, sagt Hr. L., und so waren die Hörner ein Stirnschmuck, den er aufsetzen und ablegen konnte.« Wie? folgt dieß letzte Also wohl aus der Stelle Ovids, aus einer feierlichen Anruffung desselben? War Bacchus nicht ein Gott? der sich also auch, wie andere Götter, in mehr als einer Gestalt zeigen, der bald in jungfräulicher Schönheit, bald im fürchterlichen Schlachtgetümmel fürchterlich, bald als ein schöner Jüngling wie den Seeräubern Homers erscheinen konnte? Und hatte Bacchus dieß nicht bloß mit andern Göttern gemein, sondern zu einem ihm eigenen Vorzuge, der Gott von tausend Gestalten (μυριομορφος) zu seyn, und also auch die unzälig vielen Beinamen zu haben, die ihm Orpheus, die Epigrammatisten, Nonnus u.a. geben? folgts da wohl aus der Stelle Ovids, daß Bacchus – – dadurch διμορφος, πολυμορφος, μυριομορφος werden könne, wenn er – – seine Hörner ablege, wie ohngefähr eine alte Jungfer ihre falschen Zähne und Brüste? armes Lob! – Einem frommen Christlichen Ehemann mögen seine Hörner einen bloßen Stirnschmuck und eine Krone der Geduld von bewährten 93 Golde bedeuten: nicht dem Mythologischen Bacchus.

[64] So mögen es wohl keine Bacchus seyn, die mit hervorsprießenden Hörnern dastehen, sondern lieber Faunen: 4 denn »in der That sind solche natürliche Hörner eine Schändung der menschlichen Gestalt, und können nur Wesen geziemen, denen man eine Art von Mittelgestalt zwischen Menschen und Thier ertheilt.« Mit solchen geziemenden Schlüssen! als wenn Bacchus nicht oft gnug diesen und noch ungeziemendere Namen bekäme: als wenn er nicht oft gnug κεραος, δικεραος, χρυσοκεραος, ταυρωπος, ταυροετωπος, ταυροκεραος, κερασφορος, gehörnt, zweigehörnt, Goldgehörnt, Stiergehörnt hieße. Kurz! die Hörner waren in gewissen Deutungen ihm wesentlich, und gehörten mit zu seiner heiligen Allegorie, in der ihn die Griechen mit von andern Völkern, die die Allegorie noch über die Schönheit der Menschlichen Gestalt liebten, bekommen hatten.

Ob aber Bacchus in allen 5 seinen Tempeln nicht anders, als gehörnt, erschienen, ist wieder auf der andern Seite zu weit, und hat für Hrn. L. keinen Vortheil, als nachher 6 seine Errathungskunst zu üben, wo denn alle diese gehörnte Statuen Bacchus geblieben sein mögen, da wir jetzt keine haben? Mir dünkts gnug, daß der bei den Dichtern vielgestaltige Bacchus auch bei den Künstlern, auch in seinen Tempeln »in mancherlei Gestalt« gewesen sey: daß nach der ältern allegorisirenden Mythologie dem Bacchus die Hörner sehr bedeutend und oft also auch für den Werkmeister, der der Religion arbeitete, ein Attribut des Bacchus seyn müssen: daß in den bessern Zeiten, da die Griechen selbst vieles von ihrer heiligen Allegorie der Schönheit aufgeopfert, auch die ganz schönen Statuen des Bacchus, insonderheit in seinen Kunstwerken, die besten geworden; und so zerstieben alle Widersprüche von selbst.

Ueberhaupt sollte das mehr auf Kunst und Dichtkunst angewandt werden, was die zu verschiedenen Zeiten verschiedene Religion auf beide gewirket. In den ältesten Zeiten, da noch die fremden, von außen überbrachten Begriffe galten, waren freilich [65] die Vorstellungen der Götter oft unwürdig: und Jupiter selbst schämte sich nicht, mit beiderlei Geschlecht, mit einem Beile, und in Gestalt eines Mistkäfers zu erscheinen. Bald aber entwölkte sich dieß Allegorische Gehirn der Aegypter und Asiaten in der freien Griechischen Luft: die unnützen Geheimnisse und Deutungen in Mythologie, Philosophie, Poesie und Kunst wurden unter den Griechen aus ihren verschlossenen Kammern auf offnen Markt getragen, und Schönheit fieng an, das Hauptgesetz der Poesie und Kunst, nur bei jeder auf eigne Art, zu werden. Homer, der Sohn eines himmlischen Genius, ward der Vater schöner Dichter und schöner Künstler: und glücklich ist das Land, dem in der sinnlichen Poesie und der noch sinnlichern Kunst, der Geist seiner Zeit in Religion und Sitten und Gelehrsamkeit und Cultur so wenig Zwang auflegt, als Griechenland in seinen schönsten Zeiten. Ich wundre mich, daß Winkelmann in seinen Schriften diese Abstreifung fremder, alter, Allegorischer Begriffe nicht mehr bemerkt, und in ihrer Nutzbarkeit gezeiget hat: es ist ein Hauptknoten in dem Faden der Kunstgeschichte: »wie die Griechen so manche fremde drückende Ideen in die ihnen eigne schöne Natur verwandelt haben!«

Von hieraus gienge der sicherste Weg, um zwischen inne durch Bedeutung und Schönheit, durch Allegorie und Schönheit der Kunst und Poesie unbeschädigt durchzukommen: ich würde aber mit einmal zu tief in den Unterschied der dichtenden und bildenden Kunst tauchen müssen – also zurück zu unsern Prolegomenen.

Fußnoten

1 Laok. p. 103.

2 [Laok. p. 104 = 436].

3 Laok. p. [431; freies Citat]

4 Laok. p. 104 [435].

5 p. 103.

6 p. 104. [436]

8.

Wenn Schönheit das höchste Gesetz der bildenden Kunst ist: freilich, so muß Laokoon nicht schreien, sondern lieber nur beklemmt seufzen: denn wenn schon Sophokles zu seinem Theatralischen Auftritt einen brüllenden Philoktet eben so ungereimt fand, als Leßing den stoischen Philoktet findet: wie viel mehr der Künstler, bei welchem ein Seufzer und ein Schrei des offnen Mundes ewig dauret.

[66] Ohne es nun durch eine Handvoll Vermuthungen ausmachen zu wollen, wer den andern nachgeahmet, ob der Künstler den Dichter, oder der Dichter den Künstler? führe ich nur Eins an, was Hrn. Leßing in dem Augenblicke 1 nicht beigefallen, daß es außer Pisander, 2 der nur als eine Quelle Virgils im Unbestimmten angegeben wird, es Griechen gegeben, wo Virgil den nähern Gegenstand, die Geschichte Laokoons selbst, geschöpft haben könne. Daß unter Sophokles verlohrnen Stücken auch ein Laokoon sey, hat Hr. L. selbst angeführt, 3 und Servius meinet, daß Virgil die Geschichte Laokoons aus dem Griechischen des Euphormio geschöpfet – Vermuthungen, die wenigstens weiter bringen können, als der leere Name eines Pisanders, oder ein Quintus Calaber, der es nicht verdiente, von Hrn. Leßing 4 auch nur als ein halber Gewährsmann angeführt zu werden: denn was geht seine ganze Giganten-Erzählung unsern Virgil, oder Laokoon an?

Quintus Calaber ist ein später Schriftsteller, ein übertreibender Dichter, ein seyn wollendes Original – mehr Umstände braucht es nicht, ihm bei dieser Sache den Zutritt eines Zeugen strittig zu machen. Er dichtet bei seinem Laokoon so weit in die Welt hinein, daß die Dichterische Fabel kaum mehr Fabel bleibt: sie wird ein abentheuerliches Riesenmährchen. Warum muß unter dem warnenden Trojaner die Erde erbeben? Wenn Troja durch die List der Minerva fallen soll; was brauchts die ganze Macht Jupiters, Neptunus und Pluto? Warum müssen seine unschuldigen Augen verblinden? warum muß er rasen? Etwa um noch blind und verstockt fortzufahren in seinem Rathe, und also als ein trotzender Gigante gegen die Götter zu erscheinen? – Etwa weiter durch diesen verstockten Rath noch erst die neue Verbrecherstrafe der Drachen zu verdienen – Was brauchts den gutgesinneten Patrioten erst in einen Himmelsstürmer, in einen tollen Verbrecher [67] umzuschaffen, und nachher gar – Unschuldige für ihn leiden zu lassen? Laokoon selbst geschieht nichts von den Drachen: seine armen unschuldigen Kinder werden ergriffen, und zerfleischt, – abentheuerliche, abscheuliche Scene, ohne Wahl und Zweck, ohne Zusammenordnung und dichtenden Verstand!

Ich bleibe also bei Virgil und dem Künstler. Virgil mag aus Pisander, aus Euphormio, und woher es sey, geschöpft haben: so schöpfte er als Dichter, als Epischer Dichter, als Homer der Römer. Er kleidete also auch diese Erzählung in ein Episches Gewand: er goß sie in eine Art von Neuhomerischer Form; und in solcher Gestalt tritt sie uns vor Augen. Wir haben einen Schriftsteller, 5 der sich die Mühe gegeben, Virgil mit den Griechen zu vergleichen, und ihn daher zu erläutern; Schade aber, daß ihm in seiner Vergleichung bloß Worte, Bilder und einzelne Lappen vor Augen sind. Die Manier seiner Poesie aus Homer und andern Griechen zu erklären, ist ihm nicht eingefallen, sonst müßte sich auch in dieser Erzälung von Laokoon der Dichter zeigen, der nach Homer zeichnen wollte. – Vielleicht wird meine Vermuthung, welche Stelle Homers Virgil nachgeahmet, etwas zu unserm Zwecke thun.

Aeneas mitten im Erzälen, 6 kommt auf die Geschichte Laokoons, und siehe! –


hîc aliud maius miseris multoque tremendum
obiicitur magis atque improvida pectora turbat.
Laocoon – –

Wem fällt nun nicht gleich bei Eröfnung dieser Schlangenscene der Homerische Nestor 7 ein, der auch eine solche Schlangenscene mit einem ähnlichen ενϑ εφανη μεγα σημα eröffnet? Der Vorfall bei beiden ist verschieden; die Manier der Erzälung ist völlig dieselbe. Bei Homer erzält der gesprächige Alte, wie vor ihrer [68] Abfahrt die Griechen rings um eine Quelle den Unsterblichen Opfer gebracht, wie darauf nahe an einem Pappelbaume sich ein großes Wunderzeichen sehen lassen: ein rothgefleckter gräulicher Drache, den Jupiter selbst gesandt, schoß unter dem Fuß des Altars plötzlich hervor, schlang sich zum Pappelbaume hinan, wo die Brut, die zarte Brut eines Sperlings auf dem Gipfel des Baums hinter Blättern versteckt nistete – acht an der Zahl, und die Mutter der Jungen war die neunte. Ohne Erbarmen würgte der Drache die winselnden Kleinen; die Mutter aber – zwar flatterte sie klagend um ihre geliebte Brut, allein auch sie ward am Flügel von ihm umschlungen, ergriffen und mitten in ihrem Geschrei erwürgt u.s.w. – Mich dünkt, Virgil habe in der Epischen Einkleidung des Laokoon Homer im Gedanken gehabt; nur daß er das Epische so verstärkte, daß aus Homers einfacher Erzälung ein völlig ausgemaltes Bild ward, – gegen das ich doch lieber Homers einfache Erzälung zurückwünschte.

In Homer sind alle Griechen schon, in Erwartung: rings um eine Quelle gelagert, mit dem Opfer an die Unsterblichen beschäftigt, und also in der Fassung, auf ein himmlisches Zeichen zu merken, so bald es erschiene. Bei Virgil ist alles unstät, zerstreut, auf den Griechischen Betrüger horchend, und nicht auf Laokoons Opfer; die Schlangen erscheinen, und was für ein Geräusch, was für ein Plätschern im Meer müssen sie machen, ehe sie bemerkt werden. »Zwo Schlangen kommen von der Höhe des Meers herab: in ungeheure Ringe geschlungen, (mich schaudert es zu sagen!) liegen sie auf der See und streben gemeinschaftlich ans Ufer. Mitten aus den Fluthen hebt sich ihre Brust empor: über die Wasser ragen ihre Blutrothen Kämme: ihr übriger Körper ist mit der langen Oberfläche der See gleich, und krümmt seinen unmäßlich langen Rücken in Ringen heran. Es entsteht ein Geräusch bei schäumender See, und schon sind sie am Ufer: ihre Augen funkeln, ihre Zungen züngeln, zischen« – welch entsetzlich lange Vorbereitung, so Episch, so Malerisch, daß – ich nicht weiß, wie Ein Grieche ihre Ankunft abwartet. Wie vieles wendet Virgil auf den [69] Nebenzug eines Gemäldes, den Homer mit einem Worte vollendete! und wie ist die ganze Schilderung mit solchen ausgemalten Nebenzügen überladen – beinahe ein untrügliches Wahrzeichen, daß der Dichter nach der Hand eines andern gearbeitet, daß er nicht aus dem Feuer seiner Phantasie geschrieben. Wäre dies, wie würde er sich so lange bei ihrem Heranplätschern, und noch länger bei ihren Ringen und Schlingen aufhalten? Diese sind ihm das Hauptaugenmerk: sie kommen ihm immer von neuem ins Gesicht, und er schaudert nie mehr, als wenn er an diese unermäßliche Windungen, und Umschlingungen und Stellungen denkt. Virgil muß nachgeahmet haben; entweder nun einem Kunstwerke, oder welches mich wahrscheinlicher dünkt, dem Gemälde Homers. Das hat von jeher den Nachahmer verrathen, wenn er mit gar zu künstlicher Hand klecket, und Nebendinge am sorgfältigsten vollendet. Eben daher wage ichs, zu sagen, daß Virgils Schilderung mehr das Ohr füllet, als die Seele. Mit allem Vorplätschern der Schlangen thut sie nichts, als uns zerstreuen und betäuben: mit allen Windungen derselben um Laokoon, die hier so genau angezeigt werden, wird unser Auge vom Laokoon auf die Schlangen gewandt: wir vergessen, auf sein Gesicht zu merken, und auf die Seele, die in demselben spreche: endlich zeiget sich dieselbe – aber durch ein wüstes Geschrei, durch das Brüllen eines verwundeten Stiers, der vom Altar entlaufen:


clamores horrendos ad sidera tollit – –


freilich, »ein erhabener Zug für das Gehör« wie ich Hrn. L. gern zugebe; 8 aber ein leerer Schall für die Seele. Der Dichter hat sich so sehr in die Windungen seiner Schlangen verschlungen, daß er eins, und zum Unglücke das Hauptstück, vergißt: Laokoon selbst, und seine Angst und den Zustand seiner Seele: Züge, die Homer so gar bei seiner jungen Sperlingsbrut, und bei ihrer armen Mutter nicht vergißt, und uns also ein Bild nicht fürs Auge, und noch minder bloß »erhabne Züge fürs Gehör,« sondern ein Bild [70] in die Seele malet. Ich weiß nicht, wie Hr. L. sich im Lobe Virgils so lange 9 bei den Nebenzügen, »Windungen der Schlangen« u.s.w. aufhält, die bei dem Maler und Bildhauer, gewiß aber nicht bei dem Dichter, weites Lob verdienen. Ja wenn Virgil zum Vorbilde eines Künstlers gearbeitet hätte! Ist das aber nicht wider den Zweck des ganzen Leßingschen Werkes?

Und was er gegen Virgil zu nachsehend ist: wird er gegen Petron zu strenge, 10 da sich doch die meisten dieser Vorwürfe sicherer auf Virgil gegen Homer, als auf Petron gegen Virgil betrachtet, deuten ließen. Ich weiß Petrons gezwungene Art zu dichten, und gestehe gern zu, daß aus seiner Beschreibung Laokoons kein Funke Poetisches Genies hervorblitze: muß aber darum das Gemälde, das er beschreiben will, muß die ganze Gallerie von Gemälden zu Neapel nur in seiner Einbildungskraft exsistirt haben? Warum das? Etwa weil ein Romanschreiber kein Historikus seyn darf? seyn darf! freilich nicht; aber auch nicht, daß ers nicht seyn müßte; nicht seyn könnte? zumal die schlechten Romanschreiber. Sie ersetzen uns das durch eingeschaltete Geschichte, was ihre Phantasie brüchig läßt: sie liefern uns Halbhistorische Romane, oder Romanhafte Halbgeschichte: der Abt Terrasson, mit dem Diodor von Sicilien bei Hand, seinen Sethos, und andre einen Roman voll Geographie, oder wahrer Geschichte. Sollte sich nun nicht Petron auch zu dieser Klasse bekennen? Sehr wahrscheinlich, und eben von dieser Vermischung der Wahrheit und der Erdichtung, der Geschichte und Phantasie rührt auch die große Verschiedenheit des Urtheils, welches die Kunstrichter über Petron von jeher gefällt. Seine Einbildungskraft ist spielend, trocken, gezwungen; und die Kinder, die sie hervorbringt, haben den Charakter ihrer Mutter; aber sein Urtheil, die oft eingeschalteten Historischen Züge über den verderbten Zeitgeschmack, sind fein, sind lobwürdig. Mir wirds also sehr glaublich, daß Petron, der mit Gewalt ein Dichter seyn wollte, seine Beschreibung Laokoons, durch die Nachahmung eines wirklichen [71] Gemäldes, wohl habe aufstützen wollen: daß das Gemälde von Laokoon wohl irgend wo anders, als in der Phantasie Petrons exsistirt habe. Und wenn es exsistirt hätte? – Nun! so treffen auch Hr. L. kritische Streiche auf Petron diesmal einen Unrechten, und sein Arkanum: den Styl eines Nachahmers zu entdecken, kann ihm diesmal unzuverläßig werden. Hat Petron ein Gemälde geschildert: was eher, als daß sein Auge an Nebenideen hangen blieb, daß er diese Nebenideen auch übertreiben konnte? Ists, daß er im Bilde das Geräusch der Schlangen gleichsam zu hören glaubte: ists, daß er ein Gemälde der Kinder Laokoons Leidens, und sich zu Tode ängstigend antraf: so waren ihm, dem Versificateur einer Malerischen Schilderung, dem Nachahmer des Gemäldes, diese Figuren Augenmerk gnug, um mit dem Pinsel zu wetteifern, um diese Nebenideen der Phantasie, aber Hauptideen des Auges im Gemälde, bestmöglichst zu verschönern. Die Größe der Schlangen wiederum, in deren Schilderung sich Virgil verliebt hat, war nicht sein Hauptaugenmerk: denn sie konnte es nicht im Gemälde seyn, wo man die Größe aus dem Geräusche in den Wellen gleichsam nur schließen mußte. Die ganze Schilderung Petrons ist eine Zusammenhäufung sichtbarer Ideen: warum also nicht die Nachahmung eines wirklichen Gemäldes? und alsdenn nicht so sicher ein Beispiel und eine Probe von der Schülerhaften Nachahmung eines andern Dichters, und noch unsichrer eine erste Probe, die auf alle gölte. So sklavisch sie ist: so bleibt doch gegen sie ein Quintus Calaber noch nicht eben derbeßre 11 Dichter und Kenner der Natur: und so unendlich sie hinter Virgil zurückbleibt, so ist doch auch dieser in seiner Schilderung gewiß nicht ganz Dichter; er ist Nachahmer Homers, und zeigt dies in den so weit verstärkten und verschönerten Nebenzügen, daß das Ganze verschwindet.

Was würde hieraus folgen? Dies, daß wenn Virgil nach Homer gearbeitet, er immer seine Geschichte, er habe sie aus Pisander, [72] Euphormio, Sophokles geschöpft, nach seiner Art verändert habe, und daß also der Künstler neben ihm aus eben dieser Quelle habe schöpfen, und doch in der Vorstellung von ihm abgehen können, wenn er auch bloß dem Griechischen Buchstaben gefolget wäre.

Gesetzt also, er hätte den verlohrnen Laokoon des Sophokles vor sich gehabt: welche Idee hätte ihm die Sophokleische Muse geben müssen? Sophokles, ein so weiser Dichter des Theaters, der zuerst auf demselben gleichsam Sittlichkeit und Anstand vestsetzte, der hierinn vielleicht einzig und allein das rechte Maas traf; Sophokles, der bei seinem Philoktet die Leiden des Körpers so sehr in Leiden der Seele zu verwandeln wuste – wie wird er seinen Laokoon geschildert haben? Mit dem Hauptzuge des gräßlichen Geschreies? Ein vortrefliches Mittel, das Trommelfell des Ohres, aber nicht unser Herz, zu rühren. Gewiß wird er bessere Wege an unser Herz gesucht, und also auch Laokoons Schmerzen und Geschrei mit der Waage des Richterischen Genies zugewogen [haben], mit der er sie dem Philoktet zuwiegt. Nun lasset einen weisen Griechischen Künstler von einem weisen Griechischen Dichter diesen Gegenstand geborgt: lasset ihn die Manier des Theatralischen Gemäldes genutzt, und von Sophokles Laokoon so gelernt haben, als Timanthes vom Euripides die weise Verhüllung Agamemnons lernte: so dünkt mich, ich sähe die Waage des Ausdrucks eben auf dem Punkt, auf dem sie bei dem Laokoon des Künstlers schwebet. Das Maas des Seufzers ist ihm zugewogen. »Der Schmerz, welcher sich in allen Muskeln und Sehnen des Körpers entdecket, und den man ganz allein, ohne das Gesicht und andre Theile zu betrachten, an dem schmerzlich eingezognen Unterleibe beinahe selbst zu empfinden glaubt; dieser Schmerz, sage ich, äußert sich dennoch mit keiner Wuth in dem Gesichte, und in der ganzen Stellung. Er erhebt kein schreckliches Geschrei, wie Virgil von seinem Laokoon singt; die Oeffnung des Mundes gestattet es nicht: es ist vielmehr ein ängstliches und beklemmtes Seufzen, [73] wie es Sadolet beschreibt. Der Schmerz des Körpers und die Größe der Seele sind durch den ganzen Bau der Figur mit gleicher Stärke ausgetheilet, und gleichsam abgewogen. Laokoon leidet, aber er leidet wie des Sophokles Philoktet: sein Elend gehet uns bis an die Seele; aber wir wünschten, wie dieser große Mann das Elend ertragen zu können.« Ich kenne nichts würdigers, als diese Worte, und der Römische Dichter, der Nachahmer Homers, kommt also gar nicht ins Spiel.

Ich sehe, daß ich bisher bloß in kritischen Materien, aufgeräumt habe, die Hr. L. seinem Laokoon hat zum Grunde legen wollen, füglich aber auch dem Hauptinhalt seines Buchs unbeschadet, hätte auslassen können. Es ist Zeit, meine Leser aus dem Mischen Schutte hinweg, zu diesem Hauptinhalte selbst näher hinan zu führen, und –

Fußnoten

1 Laok. p. 50–67. [403–414]

2 p. 51. [404]

3 p. 8. [379]

4 p. 52. [405]

5 Virgilius collatione scriptor. graecor. illustratus opera et industria Fulvii Vrsini. Antverp. 1567.

6 Virg. Aeneid. lib. II. 198.

7 Homer. Iliad. B. 308–320.

8 Laok. p. 30. [392]

9 Laok. p. 59–66. [409–13]

10 Laok. p. 54. 55. [406–7]

11 p. 57. [408]

9.

Den ersten Unterschied zwischen Poesie und der bildenden Kunst sucht L. 1 in dem Augenblicke zu ertappen, in den die materiellen Schranken der Kunst alle ihre Nachahmungen binden. Dieser Augenblick also könne nicht fruchtbar gnug gewählet werden: und sei dann nur fruchtbar, wenn er der Einbildungskraft freien Raum läßt. – So weit nun sind schon alle Kunstrichter gekommen, die über die Grenzen der Künste nachdachten; aber der Gebrauch, den Hr. L. macht, gehört ihm. Ist nämlich die Kunst an einen Augenblick gebunden, bleibt dieser Augenblick: so wähle sie nicht das Höchste in einem Affekt: sonst weiß die Einbildungskraft kein Höheres: sie drücke auch nichts Transitorisches aus; denn dies Transitorische wird durch sie verewigt.

Nichts hingegen nöthige den Dichter, sein Gemälde in einen Augenblick zu concentriren. Er nehme jede seiner Handlungen, wenn er will, bei ihrem Ursprunge auf, und führe sie durch alle mögliche Abänderungen bis zu ihrer Endschaft. Jede dieser Abänderungen, [74] die dem Künstler ein ganzes besondres Stück kosten würde, koste ihm einen einzigen Zug u.s.w. Das Kennzeichen selbst ist, wie gesagt, längst angegeben; Hr. L. macht aber dies angegebne Kennzeichen praktisch.

Nichts Uebergehendes also wähle die Kunst zum Augenblicke ihres Gegenstandes: 2 aber was ist denn eigentlich, was in der Natur nicht transitorisch, was in ihr völlig permanent wäre? Wir leben in einer Welt von Erscheinungen, wo eine auf die andre folgt, und ein Augenblick den andern vernichtet; alles in der Welt ist an den Flügel der Zeit gebunden, und Bewegung, Abwechselung, Wirkung ist die Seele der Natur. Metaphysisch also – doch wir wollen hier nicht Metaphysisch; sinnlich wollen wir reden: und im sinnlichen Verstande, nach der Erscheinung unsrer Augen giebt es da nicht unabläßige, daurende Gegenstände gnug, die also die Kunst nachahmen soll? Allerdings, es giebt solche; und dies sind gewissermaßen alle Körper, und zwar so fern sie Körper sind. Diese, so abwechselnd ihre Zeitfolgen und Zustände auch seyn mögen; so schnell auch jeder Augenblick ihres Seyns sie ändere: so geht er doch nicht unsern Augen vorüber; für diese kann also der Künstler Erscheinungen liefern: er schildere Körper, er ahme nach die bleibende Natur.

Wenn aber diese bleibende Natur auch zugleich todte Natur wäre? wenn das Intransitorische eines Körpers eben von seiner Unbeseeltheit zeugte? Alsdenn, dies bleibende Intransitorische des Gegenstandes zum Augenmerke der Kunst ohne Einschränkung gemacht – was anders, als daß mit diesem Grundsatz der Kunst auch – ihr bester Ausdruck genommen würde? Denke dir, mein Leser, einen Seelenvollen Ausdruck durch einen Körper, welchen du wollest, und er ist vorübergehend. Je mehr er eine Menschliche Leidenschaft charakterisiret; um so mehr bezeichnet er einen veränderlichen Zustand der Menschlichen Natur, und um so mehr »erhält er durch die Verlängerung der Kunst ein widernatürliches [75] Ansehen, das mit jeder wiederholten Erblickung den Eindruck schwächet, und uns endlich vor dem ganzen Gegenstande Ekel oder Grauen verursacht.« Die Einbildungskraft habe noch so viel Spielraum, noch so viel Flug: so muß sie doch endlich einmal an eine Grenze stoßen, und unwillig wieder zurück kommen; ja, je schneller sie gehet, je prägnanter der gewählte Augenblick sey, um so eher kommt sie zu Ziel. So gut als ich zu einem lachenden la Mettrie sagen kann, wenn ich ihn zum dritten, viertenmal, noch lachend sehe: du bist ein Geck! so gut werde ich auch endlich zu Myrons Kuh sagen können: nun so gehe doch fort, was stehest du? – Und so viel Ursache ich habe, einen schreienden, einen unabläßig schreienden Laokoon endlich unleidlich zu finden; so viel Ursache werde ich, nur etwas später, finden, auch den seufzenden Laokoon überdrüßig zu werden, weil er noch immer seufzet. Endlich also auch den stehenden Laokoon, daß er immerhin stehet, und sich noch nicht gesetzet hat: endlich auch eine Rose von Huisum, daß sie noch blühet, noch nicht verweset ist: endlich also jede Nachahmung der Natur durch Kunst. In der Natur ist Alles übergehend, Leidenschaft der Seele und Empfindung des Körpers: Thätigkeit der Seele und Bewegung des Körpers: jeder Zustand der wandelbaren endlichen Natur. Hat nun die Kunst nur einen Augenblick, in den Alles eingeschlossen werden soll: so wird jeder veränderliche Zustand der Natur durch sie unnatürlich verewigt, und so hört mit diesem Grundsatze alle Nachahmung der Natur durch Kunst auf.

Nichts ist gefährlicher, als eine Delikatesse unsres Geschmacks in einen allgemeinen Grundsatz zu bringen, und sie in ein Gesetz zu schlagen: sie giebt alsdenn bei einer guten gewiß zehn mißliche Seiten. Hr. L. wollte den höchsten Grad des Affekts von der Bildung einer Bildsäule ausschließen; gut! Er gab aber davon die Ursache, daß diese Leidenschaft transitorisch 3 wäre; nicht so gut! Er machte endlich aus dieser Ursache einen Grundsatz: die Kunst drücke nichts aus, was sich nicht anders, als transitorisch, denken[76] läßt: und dies verführt am weitesten. Mit ihm wird die Kunst todt und entseelt gemacht, sie wird in jene faule Ruhe versenket, die nur den Klosterheiligen der mitlern Zeit gefallen könnte: sie verliert alle Seele ihres Ausdrucks.

Und welches wäre denn die angebliche Ursache einer so grausamen kritischen Arznei? Weil eine transitorische Erscheinung, sie möge angenehm, oder schrecklich seyn, durch die Verlängerung der Kunst ein so widernatürliches Ansehen bekomme, daß mit jeder wiederholten Erblickung 4 – Ich mag nicht weiter! Wiederholte Erblickung! jede wiederholte Erblickung! wer wird auf diese rechnen? Wer wird sich in seiner Jugend ein Vergnügen versagen, weil es endlich mit jedem wiederholtem Genusse schwächer werden müßte? wer mit sich selbst hadern, mit seiner Empfindung zanken, statt sich ungestört dem angenehmen Jetzt zu überlassen, ohne an die Zukunft zu denken? ohne aus dieser sich selbst Schatten hervor zu ruffen, die die Freuden von uns scheuchen? Alle sinnliche Freuden sind bloß für den ersten Anblick, und für ihn allein sind auch die Erscheinungen der schönen Kunst. »La Mettrie, der sich als einen zweiten Demokrit malen lassen, lacht dir nur die ersten male, da du ihn siehest: du betrachtest ihn öfter, und er wird aus einem Philosophen ein Geck; aus seinem Lachen wird ein Grinsen.« Es kann seyn! aber wenn dieser lachende Demokrit auch nur für den ersten Anblick gebildet seyn wollte? Wie nun? war bei diesem ersten Anblicke schon sein Lachen nicht anders, als verächtlich, und widerlich; ward so gleich dadurch der Philosoph ein respektiver Geck, und seine Demokritmine ein Grinsen: so ists freilich schlimm für ihn und den Künstler. Das Lachen hätte unterbleiben sollen; aber – nicht seiner permanenten Dauer, sondern seines verächtlichen widerlichen Anblickes willen. War dies aber nicht: dünkt dir nur nach öfterm Besuche der lachende Philosoph ein Geck – delikater Freund! so bilde dir ein, du habest ihn noch nicht gesehen, oder – meide ihn. Aber uns verwehre [77] darum nicht seinen ersten Anblick: und noch weniger forme ein Gesetz, daß hinkünftig kein Philosoph lachend gemalt werden solle. Warum? weil das Lachen was transitorisches sey. Jeder Zustand in der Welt ist so mehr oder minder transitorisch. Sulzer 5 hat sich mit gesenktem Haupte, mit einem vom Finger unterstützten Kinne, und mit tiefer Philosophischer Mine stechen lassen. Nach Hr. Leßings Grundsatze müßte man ihn im Bilde anreden: Philosoph, wirst du bald deine Aesthetik ausgedacht haben? stirbt dir nicht dein gesenkter Kopf, und dein erhabner Finger? Seufzender Laokoon, wie lange wirst du seufzen? So oft ich dich sehe, ist dir noch die Brust beklemmt, der Unterleib eingezogen? ein transitorischer Augenblick, ein Seufzer, ist bei dir widernatürlich verlängert. Der Donnerwerfende Jupiter, und die schreitende Diana, der den Atlas tragende Herkules, und jede Figur in der mindsten Handlung und Bewegung, ja auch nur in jedem Zustande des Körpers ist alsdenn widernatürlich verlängert: denn keine derselben dauret ja ewig. So wird also, wenn die vorstehende Meinung Grundsatz würde, das Wesen der Kunst zerstört.

Es kann also auch nicht als Ursache gelten, warum die Kunst keine Höhe des Affekts ausdrücken müßte: es ist nicht Delikatesse, sondern Ekel des Geschmacks.

Jedes Werk der bildenden Kunst ist, wenn wir uns die Eintheilung Aristoteles gefallen lassen, einWerk und keine Energie: es ist in allen seinen Theilen auf einmal da: sein Wesen besteht nicht in der Veränderung, in der Folge auf einander, sondern im Coexsistiren neben einander. Hat also der Künstler es dem ersten aber ganzen und genauesten Anblicke, der eine vollständige Idee liefern muß, vollkommen gemacht; so hat er seinen Zweck erreicht, die Wirkung bleibet ewig: es ist ein Werk. Es steht auf einmal da, und so werde es auch betrachtet: der erste Anblick sey permanent, erschöpfend, ewig, und blos die Menschliche Schwachheit, die Schlaffheit unsrer Sinne, und das Unangenehme des langen [78] Anstrengens macht, bei tief zu erforschenden Werken, vielleicht das zweite, vielleicht hundertste Mal des Anblicks nöthig; darum aber sind alle diese Male doch nur Ein Anblick. Was ich gesehen habe, muß ich nicht wieder sehen, und was mir nicht durch das vollständige Eine des Anblicks, sondern nur die Abwechselung, durch die Wiederholung desselben widerlich wird, liegt nicht in der Kunst, sondern in dem Ueberdruß meines Geschmacks. Kann dieser nun einen Grundsatz der Kunst bilden? kann er auch nur eine tüchtige Ursache eines andern Satzes abgeben?

So räume ich also bei Hrn. L. diese Ursache, als Ursache, als Gesetz weg, und denke damit gnug zu haben, daß der höchste Affekt dem ersten Anblicke widerlich, und der Einbildungskraft gleichsam zu enge sey, folglich in der Kunst müsse wenigstens als Hauptanblick vermieden werden. Wenn die Wirkung der Kunst ein Werk ist, zu Einem, aber gleichsam ewigen Anschauen gebildet: so muß dieser Eine Anblick auch so viel Schönes für das Auge, und so viel Fruchtbares für die Einbildungskraft enthalten, als er enthalten kann. Daher kommt das Unendliche und Unermäßliche in dieser bildenden Kunst, das sie vor allen andern Künsten des Schönen voraus hat: nämlich ein höchstes Ideal der Schönheit für das Auge, und für die Phantasie die stille Ruhe des Griechischen Ausdrucks: denn beide sind die Mittel, uns in den Armen einer ewigen Entzückung, und in dem Abgrunde eines langen seligen Anblicks zu erhalten.

»Wie kommts, fragt ein Philosoph des Schönen, 6 daß es nur in der Malerei und Bildhauerkunst eine Idealschönheit, ein aliquid immensum infinitumque giebt, daß sich die Künstler in der Einbildung zum Muster vorstellen, und in der Dichtkunst nicht?« Ich glaube nicht, daß er sich diese Frage von Seiten der Kunst durch die Bemerkung aufgelöset, »daß in den schönen Künsten das Idealschöne am schwersten zu erreichen sey;« denn die [79] Frage bleibt dieselbe: »warum muß denn ein so schweres Ziel erreichet sein?« Aus keiner Ursache glaube ich, als weil die Kunst nur Werke liefert, die Einen Augenblick vorstellen, und zu einem großen Anblicke gebildet sind: die also ihren Augenblick so annehmlich, so schön machen müssen, daß nichts drüber, daß die Seele in Betrachtung desselben versunken, gleichsam ruhe, und das Maas der vorübergehenden Zeit verliere. Die schönen Künste und Wissenschaften dagegen, die durch die Zeit und Abwechselung der Augenblicke wirken, die Energie zum Wesen haben, müssen keinen einzelnen Augenblick ein Höchstes liefern, nie auch unsere Seele in dieß augenblickliche Höchste verschlingen wollen; denn sonst wird eben die Annehmlichkeit gestört, die in der Folge, in der Verbindung und Abwechselung dieser Augenblicke und Handlungen beruhet, und jeden Augenblick nur also als ein Glied der Kette, nicht weiter nutzet. Wird einer dieser Augenblicke, Zustände und Handlungen, eine Insel, ein abgetrenntes Höchstes, so geht das Wesen der energischen Kunst verlohren. Ist aber wiederum der eine ewige Augenblick der bildenden Kunst nicht so, daß er auch einen ewigen Anblick, gewähren könnte, so ist ihr Wesen auch nicht erreicht. Bei Körpern ist dieser einige ewige Anblick die vollkommene Schönheit; und sofern die Seele, durch den Körper wirken soll, ists die hohe Griechische Ruhe. Diese ist zwischen der todten Unthätigkeit, und zwischen der aufgebrachten übertriebnen Wirkung mitten inne; die Einbildungskraft kann auf beide Seiten weiter hinschweben, und hat also in diesem Anblicke der Seele die längste Unterhaltung. Todte Unthätigkeit schneidet den Faden der Gedanken mit einem Schnitte ab; die Figur ist todt, wer will sie erwecken? Das Uebertriebne im Ausdrucke kürzet wieder auf der andern Seite den Flug der Phantasie; denn wer kann sich über das Höchste noch etwas Höheres gedenken? Aber die selige Ruhe des Griechischen Ausdrucks wieget unsre Seele nach beiden Seiten hin: und in ihrem Anblicke stellen wir uns zugleich das stille Meer vor, aus dem sich diese sanfte Welle der Bewegung und Leidenschaft erhoben; zugleich auch: Wie wenn die Welle sich mehr hübe? wie wenn aus [80] diesem hauchenden Zephyr ein reißender Sturm der Leidenschaft würde? wie würden sich alsdenn die Fluthen thürmen, und der Ausdruck aufschwellen! – Welch weites Feld der Gedanken liegt also in dem Anblicke der sanften Ruhe des Griechischen Ausdrucks!

Ich glaube, von zweien Problemen, den Grund in dem Wesen der Kunst gefunden zu haben. Warum ist bei der bildenden Kunst das höchste Gesetz Schönheit? Weil sie neben einander wirket, ihre Wirkung also in einen Augenblick einschließet, und ihr Werk für einen ewigen Anblick erschaffet. Dieser einzige Anblick liefere also das Höchste, was ewig vest hält in seinen Armen – die Schönheit. – Körperliche Schönheit ist indessen noch nicht befriedigend: durch unser Auge blickt eine Seele, und durch die uns vorgestellte Schönheit blicke also auch eine Seele durch. In welchem Zustande diese? Ohne Zweifel in dem, der meinen Anblick ewig erhalten, der mir das längste Anschauen verschaffen kann. Und welches ist der? Kein Zustand der faulen Ruhe, der giebt mir nichts zu denken: kein Uebertriebnes im Ausdrucke: dieß schneidet meiner Einbildungskraft die Flügel: sondern die sich gleichsam ankündigende Bewegung, die aufgehende Morgenröthe: die uns zu beiden Seiten hinschauen läßt, und also einzig und allein ewigen Anblick gewähret.

Auf die Art generalisiren sich die Begriffe des Unterschiedes von selbst, und wir reden nicht mehr, von Bildhauerei und Poesie, sondern von Künsten überhaupt, die Werke liefern, oder durch eine ununterbrochne Energie wirken. Was von der Poesie gilt, wird, in diesem Betrachte, auch von Musik und Tanze gelten; denn auch diese wirken nicht für einen Anblick, sondern für eine Folge von Augenblicken, deren Verbindung eben die Wirkung der Kunst macht: sie haben also durchaus andre Gesetze. Es heißt also auch nicht, den Römischen Dichter Laokoons erklärt; wenn ich anführe, 7 daß sein clamores horrendos ad sidera tollit kein schiefes schreiendes Maul, und keinen häßlichen Anblick vorweise: denn[81] freilich arbeitete er nicht fürs Auge, und noch minder ward dieser Zug seines Gemäldes ewiger Anblick, im Malerischen Verstande. Aber wie? wenn seine ganze Schilderung, die ich als ein Gemälde für meine Seele betrachte, mir keinen andern innern Zustand des Laokoon zeigte, als der in diesem Schreie liegt: bleibt alsdenn nicht auch im Gemälde des Dichters dieser Zug Hauptfigur? Wenn ich mich an den Virgilianischen Laokoon erinnere, erinnere ich mich nicht jedesmal an einen Schreienden? denn auf andre Art hat er bei seinem Schmerze seine Seele nicht gezeigt. Nun ändert sich der Gesichtspunkt. Es muß aus dem Wesen der Poesie, aus dem energischen Zwecke des Dichters erklärt werden, ob dieser Zug von Laokoon, diese einzige Aeußerung seiner Empfindung, in meiner Einbildungskraft Hauptfigur, bleibender Eindruck werden sollte? Nicht gnug, daßclamores horrendos ad sidera tollit ein erhabner Zug für das Gehör sey; (wenn ich einen Zug für das Gehör verstehe) es muß auch dem Dichter daran gelegen seyn, ihn zum Hauptzuge Laokoons in meiner Phantasie zu machen. Ist dies nicht, so hat der Dichter, wenn ich gleich kein schönes Bild verlange, doch auf mich seinen ganzen Eindruck verfehlt –

Es ist nicht mein Zweck, dies bei Virgil zu untersuchen. Ich habe Winkelmann gerechtfertigt, der (vielleicht nur gar historisch) sagen kann: »der Laokoon des Künstlers schreiet nicht, wie der Laokoon des Virgils.« Ich habe die Ursache, die Hr. L. giebt vom Unterschiede beider Künste, geprüft, und auf dasEine des Anblicks zurückgeführt, in dem sich die bildende, und keine andre Kunst zeige. Ich wollte, daß Hr. L. in seinem ganzen Werke diesen Unterschied des Aristoteles zwischen Werk undEnergie zum Grunde gelegt hätte: denn alle seine Theilunterschiede, die er angiebt, laufen doch endlich auf diesen Hauptunterschied hinaus.

Fußnoten

1 p. 24. [388]

2 p. 25. [389]

3 p. 25. [389]

4 p. 25. [389]

5 Samml. vermischt. Schr. Th. 5.

6 Litt. Br. Th. 4. p. 285. [Mendelssohn]

7 Laok. p. 30. [392]

10.

Wie kann der Dichter dem Künstler, und der Künstler dem Dichter nachahmen? Ich glaube, daß der Unterschied, den Hr. L. [82] bei den Gattungen ihrer Nachahmung macht, 1 schon in unsrer Sprache liege, und also auch in der Auseinandersetzung alles gleich durch ein Wort deutlich mache. Einen nachahmen, heißt, wie ich glaube, den Gegenstand, das Werk des andern nachmachen; einem nachahmen aber, die Art und Weise von dem andern entlehnen, diesen oder einen ähnlichen Gegenstand zu behandeln.

Um in diesen Unterschied einzudringen, sucht H.L. 2 einen Gegner auf, mit dem er streite, und dieß ist Spence. Spence war freilich ein rathender Kopf voll Allusionen und Aehnlichkeiten: ein Wort, ein Zug des Bildes war ihm gnug, Anspielung und Nachahmung zu finden, und ich gestehe gern, daß sich sein Werk selten über ein Verzeichniß von Parallelstellen der Dichter, (zwar leider! nur der Römischen Dichter) und der Künstler (und doch meistens Griechischer Künstler) erhebe. Indessen spielt ihm Hr. L. einen bösen Streich, daß er im Texte nützliche Erläuterungen anführt, die alten Schriftstellen aus der Vergleichung mit Kunstwerken zuwüchsen, und in seinen Noten diese nützlichen Erläuterungen fast sämmtlich widerlegt. Sind also nützliche Erläuterungen bei Spence von dieser Art, oder sind dies gar die einzigen: so danke ich für Spence.

Und ich weiß nicht, ob H.L. in Allem, was er gegen diese Erläuterungen sagt, so ungetheilt Recht habe. Juvenal redet von einem Soldatenhelme, wo unter andern Sinnbildern er auch


nudam effigiem clypeo fulgentis & hasta
Pendentisque Dei perituro ostenderet hosti.

und Addison glaubte die Stellung des Dei pendentis nicht besser, als durch Werke, erklären zu können, wo Mars zu der Rhea herunter schwebet, und also über ihr gleichsam hanget. Noch bin ich für die Addisonsche und Spencische Erläuterung nicht eingenommen: was hat aber Hr. L. dagegen? 3 daß »es ein Hysteron proteron von Juvenal sein würde, von der Wölfin und den jungen Knaben [83] zu reden, und dann erst von dem Abentheuer, dem sie ihr Daseyn zu danken haben.« Bei einem Dichter, bei einem satyrischen Dichter zumal, wie viel hat da wohl ein Hysteron proteron auf sich? Doch so mag ich nicht reden: das hieße nicht den Dichter erklären, sondern unsre ihm angepaßte Erklärung retten. Erst zeige man mir, wo das Hysteron proteron stecke! »In den ersten rauhen Zeiten der Republik zerbrach der Soldat die kostbarsten Becher, die Meisterstücke Griechischer Künstler, um eine Wölfin, einen kleinen Romulus und Remus, einen hangenden Mars auf seinen Helm zu setzen.« Dieß ist Juvenals Gedanke, und wo das Hysteron proteron in ihm? Der Römische Soldat ist ein sammlender Name, ein nomen collectivum: und sein Helm steht für alle Römischen Helme; auf einen konnte dieß, auf einen das gesetzt werden; und so gut die Wölfin, und die beiden Kleinen am Felsen, als der hangende Mars, wäre an sich ein Emblem des Römischen Ursprunges, und des rauhen Soldaten, dem das aus solchem Ursprunge entstandene Rom alles war. Alsdenn hätte Juvenal ein Paar Beispiele angeführt, die aus einer Geschichte hergenommen, zu demEmblem einer Sache neben einander stehen, ja aber unter sich kein Ganzes ausmachen sollen. Wie so aber zu dem Emblem einer Sache? »Man sage, fragt Hr. L., 4 ob eine Schäferstunde wohl ein schickliches Emblema auf dem Helme eines Römischen Soldaten gewesen?« Warum nicht? Es war nicht mehr das Bild einer Schäferstunde allein, sondern das Bild des Göttlichen Ursprunges der Römer, des Ursprunges, auf welchen der Soldat stolz war als ein Römer. Es war nicht die Ueberraschung der Rhea, sondern die Stunde, die dem Stifter Roms das Leben gab: also so unpassend nicht auf den Helm eines Römers, der seinen Mars auch in dieser pendenten Stellung nicht verabscheute, und auch in ihr so ungerne nicht sein Abkömmling seyn mochte, den sie eben zum Römer machte. – –

[84] Ich habe gesagt, die Bilder Juvenals haben einzeln auf den Helmen der Soldaten seyn können: warum aber müßte es ein Hysteron proteron seyn, wenn sie auch neben einander auf einem Helme gewesen wären? nur in verschiedne Gruppen getheilt, wovon der Dichter ein Paar anführt. Haben mehr Denkbilder des Römischen Ursprungs darauf Raum gefunden: so schnitze sie der Künstler, mir und dem Sinne Juvenals nicht zuwider.

Aber schwebt auch Mars, fährt Hr. L. fort, 5 wirklich? und es ist viel, wie weit sein grübelndes Zweifeln geht. Mag auch Spence recht gesehen, recht haben stechen lassen, und – – die Münze auch gehabt haben? »Es ist hart, muß ich Hrn. L. nachsagen, es ist hart, in einer solchen Kleinigkeit, die Aufrichtigkeit eines Mannes in Zweifel zu ziehen:« zumal es mehr bekannte Münzen von dieser Art giebt.

Der Zweifel tritt weiter, und wird zur allgemeinen Verneinung. 6 »Ein schwebender Körper ohne eine scheinbare Ursache, durch welche die Wirkung seiner Schwere verhindert wird, ist eine Ungereimtheit, von der man in den alten Kunstwerken kein Exempel findet.« Nun! so weit hätte man es doch nicht führen dörfen! Mars in dem gegenwärtigen Falle ist ja nichts minder, als ein schwebender Körper, ein ohne scheinbare Ursache schwebender Körper, der ungereimt wäre, der das Auge beleidigte, der die Regeln der Bewegung, der Schwere, des körperlichen Gleichgewichts aufhübe – wo ist dieß alles unser Mars? Es ist ein sich herabsenkender Körper, der eben nach den Regeln der Bewegung und Schwere und des Gleichgewichts die Erde sucht, oder mit Shakespears schönem Ausdrucke vom Merkur, der mit seinem Fuße den Hügel küsset. Auf einem Kunstwerke von so wenigem Umfange denkt ja niemand, daß dieser herabschwebende Mars vom Himmel gekommen, daß er sich durch die Luft gestürzt, daß er in ihr ohne Flügel und Leitband gehangen: wie es also sey, daß er noch so glücklich herabkomme – hieran denkt niemand, denn er sieht Mars [85] nur so fern, als er die Erde betritt. Es ist das Niedersenken, wie von einem sanften Sprunge, und dazu braucht man kein Gott zu seyn, oder sich einen Gott von ganz andern Regeln der Bewegung, der Schwere, des Gleichgewichts denken zu müssen: die sanfte Stellung kann jeder dem Mars nachthun, und der Künstler sie ohne Ungereimtheit wählen. – Der ganze Allgemeinsatz ist also hier kaum an seiner Stelle, und in der Weite, die ihm Hr. L. giebt, leidet er Einschränkung. Es muß ein Körper sehr augenscheinlich nicht schweben, sondern hangen, und zwar in der allweiten Luft hangen, wenn sein Anblick die Wahrscheinlichkeit der Augen beleidigen soll: und wie selten ist dieß auf einer Münze, auf einem geschnittenen Steine, und auch wohl noch selten in Gemälden, und der Wahrscheinlichkeit der Augen wird da immer ohne Lehrsätze der Bewegung abgeholfen. Was sollen doch, wenn man so genau rechnen wollte, die kleinen Flügelchen an den Füßen Merkurs, bei dem gewaltigem Schwunge, in welchem er sich z.E. in einem Farnesischen Gemälde von Caracci zeigt? machen sie denn den Abschwung wahrscheinlicher, als ein Mars, der auf die Erde hinschwebet? Was sollen alsdenn die Homerischen Götterpferde, die zwischen der Erde und dem Sternbesäeten Himmel mit einem Sprunge so viel beschreiten, als der Hirt absieht, der vom Gipfel des höchsten Gebirges in den schwarzen Ocean ausschauet – was sollen diese, wenn man ihnen auch ein Paar Flügelchen gäbe, die ihnen überdem Homer nicht giebt, wenn man nach der Mechanik bestimmen wollte? Nun aber lasset Apollo, Diana, Luna, Juno, Minerva, und wer von den Himmlischen mehr Gesellschaft machen wolle, in ihrem Luftwagen sich fortschwingen: zeiget sie uns der Künstler nur in einer Stellung nahe an, oder über der Erde im Absenken: so vergessen wir gern das Ungeheuere der Luft, die wir überdem hier nicht in ihrem Umfange sehen können. Wir brauchen keinen Leitband, der die sich absenkende Figur an ein Gestirn hefte, wir brauchen kein Fahrzeug der Kaklogallinier, welches bei Swifts Reise in den Mond auf der ersten Wolke übernachtete – –

[86] Noch minder thut mir die verbesserte Lesart Leßings zu dieser Stelle Gnüge: – – sie ist gesuchter und Metaphysischer, 7 als alle vorige Lesarten; und kurz! sollte in Spence nicht mehr Vorrath zu Erläuterung der Alten seyn, insonderheit wenn ein besserer Kopf die Spencischen Compilationen von Parallelstellen nutzte? Aber freilich bleibe ihm die Grille, daß die Dichter bei jeder kleinen Aehnlichkeit ein Kunstwerk kopiret haben müssen. Hr. L. widerlegt sie in einigen Beispielen, 8 und bei manchen hätte auch aus dem innern Baue der Dichterischen Schilderungen erwiesen werden können, daß sie aus der Phantasie des Dichters, und nicht von der Arbeit des Künstlers, geflossen, weil sie sich sonst dem Dichter anders hätten vorstellen müssen.

Fußnoten

1 p. 78. 79. [420–21]

2 p. 80. [421]

3 p. 83. [423]

4 p. 83. [423]

5 Laok. p. 84. [424]

6 p. 84. 85.

7 p. 87. [426]

8 p. 90. 91. [427–8]

11.

Es können kritische Betrachtungen nicht leicht nutzbarer seyn, als wenn L. gegen Spence über den Unterschied disputirt, 1 in welchem dem Künstler und Dichter Götter, geistige und Moralische Wesen erscheinen: hiegegen wird in und außerhalb der Mauern von Troja, ich meine in Poesie und Kunst, gesündigt.

Götter und geistige Wesen. »Dem Künstler sind sie nichts als personifirte Abstrakta, die beständig die ähnliche Charakterisirung behalten müssen, wenn sie erkenntlich seyn sollen: dem Dichter sind sie handelnde Wesen. 2« Ich weiß nicht, ob dieser Unterschied so vest, und beiden Künsten so wesentlich wäre, als er hier angegeben wird – und mich dünkt, daß ein Ich weiß nicht von dieser Art, das nichts minder, als den Gebrauch der ganzen Mythologie in allen schönen Künsten und Wissenschaften, betrift, wohl eine kleine Aufmerksamkeit verdiene.

[87] Also sind die Götter und geistigen Wesen dem Künstler nichts als personifirte Abstrakte? Freilich so lange eine einzelne Figur nichts als ein känntliches Bild eines himmlischen Wesens seyn soll, so sind die dasselbe charakterisirenden Kennzeichen das Augenmerk. Nun aber trete diese Figur z.E. bei einem Gemälde in Handlung, gesetzt die Handlung flösse auch nicht aus ihrem Charakter: so bald tritt die Historische Mythologie in die Stelle der Emblematischen: und die Gestalt ist nicht mehr durch das, was sie ist, sondern was sie thut, känntlich. Hr. L. giebt dies zu; 3 nur meint er, die Handlungen müssen nicht ihrem Charakter wiedersprechen; und aus dem Beispiele, das er giebt, sehe ich, daß er in Untersuchung dieses Wiederspruchs sehr fein ist. Eine Venus, meint er, die ihrem Sohne die Waffen giebt, könne freilich gebildet werden: denn hier bliebe sie noch eine Göttin der Liebe: ihr könne noch alle Anmuth und Schönheit gegeben werden, die ihr als Göttin der Liebe zukomme: sie werde vielmehr als solche, durch diese Handlung noch kennbarer; aber eine zürnende, eine verachtende Venus ganz und gar nicht. – Ich bin in der Ausdehnung dieses Unterschiedes nicht Hr. Leßings Meinung.

Götter und geistige Wesen sind dem Künstler freilich personifirte Abstrakta, und Charakterfiguren, so lange er sie allein, blos in einem ihnen gemäßen Anstande, oder höchstens in einer intransitiven Handlung bilden soll; aber alsdenn sind sie es nur aus Noth, aus Muß, um känntlich zu seyn. Venus, Juno, Minerva haben diese und keine andre Bildung der Schönheit, nicht als wenn diese immer ein innerer Charakterzug ihres Abstrakten Wesens wäre; gnug, daß sie ein von Dichtern einmal beliebtes und vestgesetztes äußeres Kennzeichen dieser Gottheit ist. Ich verstehe mich nicht gnug auf den Abstrakten Begriff der Liebe, als daß ich wissen könnte, ob jede Kleinigkeit bei der Bildung der Venus, und keiner andern Göttlichen Schönheit, da sey, weil sie nothwenig das Abstraktum der Liebe charakterisire? ob z.E. das υγρον ihrer [88] Augen, und das Lächeln ihrer Wangen, und das Grübchen ihres Kinnes zu diesem Begriffe so unentbehrlich sey, als auf der andern Seite die majestätische Brust der Juno, und die schlanke Taille der Diana, und die unschuldige Mine der Hebe, zu diesem Begriffe eben hinderlich sein müste. Ich habe nie die Mythologie, als ein solch Register allgemeiner Begriffe studirt, und bin allemal in die Enge gerathen, wenn ich gesehen, wie andre sie am liebsten auf solche Art angesehen.

So viel ist einmal gewiß, daß Dichter, und kein anderer, die Mythologie erfunden und bestimmt, und da wette ich, fürwahr nicht als eine Gallerie Abstrakter Ideen, die sie etwa in Figuren zeigten. Wo bleibe ich mit den allerdichterischten Geschichten Homers, wenn ich mir seine Götter, nach Damms Lehrart, nur als handelnde Abstrakte betrachten wollte? Es sind himmlische Individua, die freilich durch ihre Handlungen sich einen Charakter vestsetzen, aber nicht da sind, diese und jene Idee in Figur zu zeigen: ein ausnehmender Unterschied. Venus kann immer die Göttin der Liebe seyn; nicht aber alles, was sie bei Homer thut, geschieht deßwegen, um die Idee der Liebe in Figur zu repräsentiren: Vulkan mag seyn, was er will; wenn er den Göttern ihren Nektarbecher umreicht, ist er nichts als – ihr Mundschenke.

Ich schließe also: daß Götter und geistige Wesen »bei dem Dichter nicht blos handelnde Wesen sind, die über ihren allgemeinen Charakter noch andre Eigenschaften und Affekten haben, welche nach Gelegenheit der Umstände vor jenen vorstechen können,« wie Hr. L. sagt; 4 sondern daß diese andre Eigenschaften und Affekten, kurz! eine gewisse eigne Individualität ihr wahres Wesen, und der allgemeine Charakter, der etwa aus dieser Individualität abgezogen, nur ein späterer, unvollkommener Begriff sey, der immer untergeordnet bleiben mußte, ja bei Dichtern oft in gar keinen Betracht komme.

Nun schließe ich weiter. Wenn also in der Mythologie und Geisterlehre der ältesten Dichter der Individuelle oder Historisch handelnde Theil vor dem Charakteristisch handelnden das Uebergewicht [89] behält: und eben diese Dichter doch die ursprünglichen Stifter und Väter dieser Mythologie und Geisterlehre gewesen; so sei die bildende Kunst, so fern sie Mythologisch ist, blos ihre Dienerin. Sie entlehnt ihre Geschöpfe und Vorstellungen, so fern sie sie brauchen und ausdrucken kann.

Bei jeder einzelnen Figur also, und mithin meistens bei den Werken der Bildhauer, die einzelne Gestalten bilden, fodert es der Mangel, die Gränzen, nicht aber das Wesen der Kunst, die Personen mehr Charakteristisch, als Individuell, auszudrücken: denn sonst verirren sie sich in die Menge Historischer Personen, und laufen Gefahr, unkänntlich zu werden.

So bald es aber dem Künstler die Grenzen seiner Kunst verstatten, dem Dichter zu folgen; so gleich nimmt der Dichter, dem eigentlich die Mythologie gehört, sein Recht wieder, und die Anordnung des Kunstwerks wird, dem Ursprunge Mythologischer Ideen gemäß, Dichterisch. Blos um das Unkänntliche zu vermeiden, schränkte er sich auf die Abstrakte Idee ein; Noth und Dürftigkeit war sein Gesetz: ist aber dies Gesetz – diese Furcht gehoben; kann er auf andere Art hoffen, känntlich zu werden, als durch die einförmige Charaktervorstellung; verbeut das Wesen seiner Kunst diese andre Art der Känntlichkeit nicht; erreicht er durch dieselbe gar einen Zweck, den er durch die Abstrakte Idee nicht erlangen konnte: so hat er mit dem Dichter einerlei Rechte. Die ganze Mythologie ist eigentlich ein Land Dichteri scher Ideen, und auch wenn sie der Künstler bildet, wird er Dichter.

Und bei diesem ganzen Privilegium des Künstlers, worauf kommt sein unumschränkter Gebrauch an? auf das Wort: Handlung. Kann der Künstler z.E. Maler, seinem Werke Handlung geben; kann er mehrere Personen gruppiren, die gemeinschaftlich eine Poetische oder Historische Situation vorstellen, känntlich und schön vorstellen können; o so vergesse er sicher die innere und äußere Charakteristik seiner Götter, die ihm sonst einzeln nothwendig waren. Immerhin lasse er auch seine Handlung dem Abstrakten Charakter sichtlich wiedersprechen: immerhin male er uns auch eine auf ihren [90] Kupido zürnende Venus; denn wenn sie auch in diesem Augenblick nicht die Liebe selbst bliebe, so bleibt sie doch, was sie ursprünglich ist, die Göttin der Liebe, die Mutter des Kupido. Kann er Venus und den getödteten Adonis in Malerische Handlung bringen: so ruffen wir der Venus mit dem Dichter zu: »was schläfst du, Cytherea, auf purpurnen Decken! Stehe auf, Unglückselige, zeuch Trauerkleider an, und schlage an deine Brust, und klage der ganzen Welt: er ist nicht mehr, der schöne Adonis!« und immerhin wollen wir auch Adonis sehen, wie ihn der Dichter sieht: »Er liegt, der schöne Adonis liegt ausgesteckt auf dem Gebirge. Ein mörderischer Zahn hat seine zarte Hüfte verletzt. Noch einen letzten Seufzer athmet er: schwarzes Blut rinnt über den Leib, der blendender ist, als Schnee. Das Licht seiner Augen verlischt: die Lippen erblassen: Adonis stirbt.« Stirbt Adonis etwa, als die Idee ehelicher Liebe und Glückseligkeit und Schönheit? trauret Venus, um die Idee der Liebe in Maske zu zeigen? Wird die letztere jedem gesunden Mythologischen Auge deßwegen hier känntlich werden, weil sie das Abstraktum der Liebe macht? Nein, das Süjet des Gemäldes ist Dichterisch, ist Historisch: so auch die Figuren des Künstlers? Jedesmal, daß er sie dazu machen kann: wohl! so vergesse ich die Abstrakte Idee, die er in einer einzigen Figur nur aus Noth vorstellen mußte. Kupido, der die Psyche plaget, und Jupiter, der den Ganymed entführet, Diane, die den Endymion besucht, und Venus, die ihre geritzte Haut beweinet – ich verspreche dem Künstler, in diesem Augenblicke keine personifirten Abstrakta zu suchen, im Jupiter keinen Präsidenten der Götter, in Dianens Gesichte keine jungfräuliche Keuschheit: in Venus kein schmachtendes Liebäugeln, und in Kupido, keinen spielenden Verführer. Alle diese Wesen gehören dem Dichter, und der Künstler läßt sie ihm, wo er sie ihm lassen kann. –

Ich weiß nicht, wie enge dem Künstler der Mythische Cyklus werden müßte, wenn Hr. Leßing ihm alle Historische und Dichterische Situationen untersagte, ihm nur zuließe, in ihm personifirte Abstrakta zu suchen, und jeden kleinen Wiederspruch, der in der[91] Handlung gegen die Abstrakte Idee des Charakters (ein Idol der neuern Mythologisten!) vorkäme, verböte. Lebe alsdenn wohl, Handlungsvolle Kunst! du bist in der Mythologie eine Gallerie einförmiger Ideen, Abstrakter Charaktere!

»Wenn der Dichter Abstrakta personisiret: so sind sie durch den Namen, und durch das, was er sie thun läßt, genugsam charakterisiert. Dem Künstler fehlen diese Mittel. Er muß also seinen personifirten Abstraktis Sinnbilder zugeben, durch welche sie kenntlich werden. Diese Sinnbilder hat bei dem Künstler die Noth erfunden; wozu aber den Künstler die Noth treibet, warum soll sich das der Dichter aufdringen lassen, der von dieser Noth nichts weiß? Es sey ihm also Regel, die Bedürfnisse der Malerei nicht zu seinem Reichthume zu machen, und seine Wesen mit Sinnbildern der Kunst auszustaffieren. Er lasse seine Wesen handeln, und bediene sich auch poetischer Attribute« – u.s.w. Wie gerne, wie unermüdet hört man Hr. L. sprechen, 5 wenn er – doch ich will nicht loben. Sollte alles dies nicht auch auf den vorbetrachteten Fall der Kunstcomposition gelten? Der Maler findet im Lande des Dichters personifirte Abstrakte, die auch in seinem Gemälde, durch das, was er sie thun läßt, gnugsam charakterisirt sind. Dem Künstlereiner Figur fehlt dies Mittel: er muß also seinen personifirten Abstraktis Sinnbilder geben, durch welche sie känntlich werden; aber diese Sinnbilder erfand bei ihm die Noth? Wozu also den Künstler ohne Handlung die Noth trieb, warum sollte sich das der Künstler mit Handlung aufdringen lassen, wenn er von dieser Noth nicht weiß? Es sei ihm also Regel, auch das, was seiner Kunst Bedürfniß ist, im andern Fall nicht zu seinem Reichthume zu machen, seine Wesen nicht mit Sinnbildern zu überhäufen, sie, wo sie als höhere Individua in Handlung [92] erscheinen, nicht zu Puppen auszustaffieren, und am mindsten es gar zum Hauptsatze seiner Kunst zu machen: »mir sind die Personen der Mythologie nichts als personifirte Abstrakta, die beständig die ähnliche Charakterisirung beibehalten müssen, wenn sie erkenntlich seyn sollen.« Bei diesem Grundsatze, was wird aus der Kunst, die Compositionen liefern soll? Eine Maskerade Symbolischer und Allegorischer Puppen!

Es giebt also selbst unter den Künsten, die sich auf Zeichnung gründen, noch immer beträchtliche Unterschiede, die eine oder die andere mehr dem Dichterischen nähern. Die Bildhauerkunst entsteht ihr am weitesten: die Malerei aber, in ihrer Komposition zumal, zumal in der Komposition Dichterischer Geschöpfe, die ursprünglich Wesen der Einbildungskraft und nicht des Anschauens sind, tritt der Poesie weit näher. Sie hat ein Drama ihrer Figuren: sie stellt alle bloß in der Absicht zusammen, um eine Handlung zu repräsentiren: sie läßt also so viel möglich weg, was zur Handlung nicht gehört, oder ihr gar widerspräche. Sollte in jedem Kunstwerke von Composition jede Mythologische Person mit allem dem Zubehör überladen werden, der ihr zukommen mag, aber zu dieser Handlung nicht gehört: sollte sie der Historische und Dichterische Maler nur als personifirte Abstrakta behandeln sollen, die beständig die ähnliche Charakterisirung beibehalten müssen: welch ein verwirrendes und zerstreuendes Geschleppe von Symbolischen Zeichen und charakterisirenden Prädikaten! Soll Venus in einem Gemälde von Komposition nie anders, alsdie Liebe selbst, (und nicht blos als die Göttin der Liebe) erscheinen, und als die Liebe selbst jedesmal charakterisirt werden; und alle Theilnehmende Personen ebenfalls so, jede nach ihrer Art – weg mit dem Ball in Maske. Der Maler war hier in der Komposition eines Dichterischen Süjets Dichter: seine Figuren sollen sich durch Handlung känntlich machen: auf diese Handlung sollen sich die Attribute beziehen, die er ihnen giebt: solche, die zu dieser Vorstellung nicht gehören, so lange nur die Person noch känntlich bleibet, lasse er weg: er opfere dem Mangel, der Nothwendigkeit seiner Kunst so[93] wenig auf, als er darf, und am allerwenigsten mache er diesen Mangel, dies Gesetz der Noth zu seiner allgemeinen, wesentlichen Regel: bei dem Künstler sind Götter und geistige Wesen personifirte Abstrakta, »die beständig die ähnliche Charakterisirung behalten müssen.« 6 Ich sage umgekehrt: auch bei ihm sollen Götter und geistige Wesen sich durch Handlung charakterisiren, wo sie es können; und blos im Fall, wo sie es nicht können, sich als personifirte Abstrakte, durch die ihnen beigelegte Symbole, känntlich machen. Im Grunde also einerlei Gesetz, einerlei Freiheit.

Fußnoten

1 p. 113–118. [441–44]

2 p. 99. 100. [433]

3 Laok. p. 100. 101. [433]

4 p. 99. [432–3]

5 p. 115. 116. [442]

6 p. 99. [433]

12.

Von Seiten der Dichtkunst kann es keine nöthigere Lehre geben, als die: 1 der Dichter mache sich die Bedürfnisse der Malerei nicht zu seinem Reichthume: er staffiere die Wesen seiner Einbildungskraft nicht Malerisch aus, lasse sie handeln, und auch die Attribute, womit er sie bezeichnet, müssen handelnd, Poetisch, nicht Malerisch seyn. So dichten die alten Dichter: die neuern malen.

Unter den Römern in ihrer besten Poetischen Zeit ist vor Allen Horaz ein Liebhaber von Moralischen Wesen, von personifirten Abstraktis; diese Personendichtung ist mit ein Hauptstrich seines Genies, und hat seine Oden sehr verschönert. Da eine solche Moralische Person bei ihm gemeiniglich schnell, mit wenigen, aber lebendigen Attributen, und recht in die Handlung der Ode auf einmal hineintritt: so lieben wir den angenehmen Sylphen, die schöne Sylphide, die uns so gelegen vorüber rauschet. Wie süß ist sein Bild der lächelnden Venus, die der Scherz und die Amors umflattern:


Erycina ridens
quam Jocus circumvolat et Cupido –

Welch ein Bild! wenn Furcht und Sorge ihren Herrn auch zu Schiffe verfolgen, auch hinter ihm zu Pferde sitzen, auch des [94] Nachts um die Dächer der Reichen flattern: wenn der Tod mit seinem Fuß an die Hütten der Armen, und an die Palläste der Mächtigen mit gleichen Schlägen anpochet: wenn das Glück

Ich komme jetzt auf die Ode Horazens, die an solchen Personen-Dichtungen die reichste ist, und wo die personifirten Abstrakta den Auslegern manche saure Viertelstunde gemacht haben. Das Glück selbst, die Nothwendigkeit, die Hoffnung, die Treue u.s.w. sind als Moralische Wesen in diese Ode zusammengruppirt, und das Ganze des Gesanges selbst ist einem personifirten Abstrakto gewidmet. – Man erräth es, daß ich von der Ode aus Glück 2 rede. Baxter sucht hier, wie gewöhnlich, in ihr seine lieben Dilogien, 3 und Geßner 4 geht vielleicht auf der andern Seite zu weit, daß er sie für eine Abhandlung über den Artikel Glück erklärt: doch wir wollen ohne vorgefaßte Meinung lesen.

Gleich zu Anfange rufft Horaz nicht eigentlichdas Glück, als ein Abstraktum an, um nach Geßners Meinung einen locum darüber durchzuhandeln; sondern die Göttin des Glücks, und zwar zunächst die, so zu Antium verehret wurde. Die ganze Ode tritt also gleich aus dem Lichte eines allgemeinen Begriffes weg; und wird ein Römisches, ein Familienstück der Stadt Anzo: ein Altarstück in dem Tempel dieser Stadtgöttin. Ein Einwohner von Anzo sollte aufleben, um uns diese Ode aus seiner Vaterstadt zu erklären, und wie würde der uns mit manchem ehrlichen locus communis auslachen, den wir dem Glücke überhaupt aus dieser Ode andichten, weil wir nicht die Ehre haben, die Göttin zu kennen, der die Ode als ein Individualstück gewidmet ist.

Welches sind nun die Attribute dieser Göttin? »Sie kann erniedrigen und erhöhen!« So gesagt, wäre dies Attribut freilich nichts als locus communis; allein, wie es Horaz sagt, wird es Römisch. Dies Glück in Antium ist eine Römergöttin: sie beschäftigt sich mit den Revolutionen des Staats, die Horaz vielleicht[95] eben damals vor sich sahe: sie giebt und stürzet Triumphe um. So wenig der Afrikanische Jupiter eben der Römische Jupiter, und die Madonna in Loretto völlig die Madonna in Parma ist: so ist nicht so ganz diese Fortuna jedwede andere: sie ist Antium eigen, und Römisch gesinnet.

»Rings, um ihr Bild geht der stehende Landmann, und der Schiffer des Karpathischen Meers mit seiner Bitte.« Ich weiß nicht, warum Baxter hierüber bis in den Mond reiset, und da sortem fortunae sucht; auch ist mir die Geßnersche Erklärung: daß die Stürme des Meers aus unbekannten Ursachen kommen, nicht vorausgesehen werden können, also dem Glücke zuzuschreiben sind, u.s.w. zu allgemein; und endlich die Klotzische Erläuterung, 5 daß das Glück auf Münzen mit Kornähren, mit Schiffankern, und wer weiß womit mehr? gebildet werde, ist für mich und für Horaz noch gelehrter. Vermuthlich hat Horaz, der Einfältige! an Nichts gedacht, als daß Antium, die Wohnung der Fortuna, Landeinwohner habe, und nahe an der See liege: der Tempel des Glücks also von beiderlei Art Leuten Besuch erhalte.

»Dich fürchtet der rauhe Dacier, und die flüchtigen Scythen: Städte und Völker: und das wilde Latium: die Mütter der Barbarischen Könige, und die bepurpurten Tyrannen.« Allein genommen wäre nichts leichter zu erklären, als diese Strophe: sie schilderte nämlich die Göttin des Glücks Römisch gesinnet: vor ihr müssen die Feinde, die Rebellen, die Tyrannen Roms zittern; aber nun der Zusatz:


iniurioso ne pede proruas
stantem columnam; neu populus frequens
ad arma cessantes ad arma
concitet imperiumque frangat.

So sind über nichts so leicht artigere Dinge gesagt worden, als über diese stehende Säule: Baxtern 6 dünkte sie sehr emphatisch [96] August zu seyn, ohne zu bedenken, ob auch die Feinde, die rebellischen Vasallen Roms, vor dem Sturze Augusts so bange seyn würden. Geßner verstand, dem locus communis: de Fortuna, den er in dieser Ode fand, gemäß, »jeden Menschen, auf den sich andere, wie auf eine Säule stützen,« ohne uns zu sagen, wie sich dieser Allgemeinsatz zwischen Dacier und Scythen, Barbarn und Tyrannen schicke. Meine Wenigkeit findet in dieser stehenden Säule – nun? nichts als eine stehende Säule: eine Säule, die, vielleicht in Anzo, mit dem Namen Roms bezeichnet, vor der Fortuna stand, wie ja sonst dem Glücke, der Ruhe, der Sicherheit solche Säulen pflegen hingestellt zu werden. 7 Nun fiel Horazen das Bild ihres Unwillens ein: wie? wenn sie ihren Fuß ausstreckte, und die Säule stürzte? So wäre dieser Sturz, ein Sinnbild, dem Poeten ein Losungszeichen von dem Sturze Roms. In Haufen würde das Volk zu Waffen eilen: zu Waffen auch die noch Säumenden ruffen, und das Reich, diese ungeheure Weltsäule, zerbrechen. Die ganze Ode läßt muthmaßen, daß manche zur Zeit Horaz sich regende Welle ihm diesen Sturm prophezeiet, oder mit seinem Bilde, daß Fortuna schon damals ihren großen Zeh zu regen schien, um an die Säule zu treffen. – Wie aber fürchten sich davor Dacier und Scythen, Barbarn und Tyrannen – keine Römer, keine Patrioten? Horaz sagt nicht: daß jene sich davor, vor diesem Umsturze fürchten; sondern, daß sie die Göttin des Glücks fürchten und scheuen: sie, die über Rom wache, und die Säule desselben vor sich habe; die aber auch mit einem Fußstoße dasselbe stürzen könne: diese Allmächtige fürchten und scheuen Scythen und Barbarn, (denn was könnten ihr diese für ein anderes Opfer bringen, als Furcht?) und warten auf den Augenblick ihres Entschlusses, der damals sich schien zu nähern.

Bisher ist die Ode ein Römisches National- und ein Antiatisches Familienstück gewesen; sie fängt an, symbolischer zu werden:


[97]
te semper anteit serva (saeva) Necessitas
Clavos trabales et cuneos manu
Gestans ahena; nec serverus
Vncus abest, liquidumqne plumbum.

Seit dem es Kunstrichter von Geschmacke giebt, ist mehr als einer mit diesem Bilde Horaz nicht zufrieden gewesen. Sanadon zuerst unterstand sich, zu sagen, daß dies Gemälde in seinem Detail genommen, schöner auf der Leinwand, als in einer Heroischen Ode, wäre. Ich weiß nicht, ob Sanadons Gefühl hierinn nicht fein und richtig bleibe, ob ich gleich den Spott über ihn gelesen: 8 quod haec imago non placuit bono Sanadonio, sui ingenii homo est, delicatus mehercle! et venustulus. Ich weiß nicht, ob dieser sui ingenii homo, delicatus mehercle et venustulus mit der mächtigen Widerlegung zufrieden seyn könnte: neque enim intellexisse videtur, quam divina sint: ahena manus, severus uncus. Ich, der nicht fein gnug ist, das Göttliche in einem ahena manus, in einem severus uncus zu erblicken, fühle mit Sanadon gleich, und glaube, daß jeder, der die Ode in einem Strome fortlieset, bei diesem Bilde es fühlen werde, daß er vestgehalten wird, daß er vor einer bemalten Leinwand stehen bleibe: und das will niemand in der Ode.

Mögen also alle diese Werkzeuge attirail patibulaire, oder Bevestigungswerke, oder Symbole der höchsten Macht Fortunens seyn: die eherne Hand und der serverus uncus mögen Hrn. Klotz so Göttlich scheinen, als sie wollen: die Stelle bleibt eine der frostigsten im Horaz.

Ob aber deßwegen, weil »diese Attribute für das Auge und nicht für das Gehör gemacht sind, und alle Begriffe, die wir durch das Auge erhalten sollten, wenn man sie uns durch das Gehör beibringen will, eine größere Anstrengung erfordern, und einer geringern Klarheit fähig sind.« 9 Hr. L. thut mir mit diesem Grunde, wenigstens so wie er ihn ausdrückt, so wenig ein [98] Gnügen, als Sanadon oder Klotz: denn wäre ein Begriff, den man ursprünglich durch das Auge erhält, deßwegen nicht für das Gehör, weil sich mit dem Ohre nicht sehen läßt; so verlöre die Poesie ihren ganzen Antheil an sinnlichen Gegenständen des Auges: und was bleibt ihr da übrig? Nicht also, weil die Attribute: Nägel, Klammern, Blei, sich sehen und nicht hören lassen, nicht deßwegen machen sie die Stelle frostig: denn wer wird nicht gleich, wenn er uncus, plumbum, clavos höret, nicht sogleich mit seiner Einbildungskraft uncum, plumbum, clavos sehen? wem wird Anstrengung nöthig sein, sich diese Dinge, wenn er sie durch das Gehör empfängt, so klar zu denken, als wenn er sie sähe? Wegen der Attribute selbst also kann wohl die Stelle Horaz nicht frostig werden; aber wohl wegen der Composition dieser Attribute zu einem Bilde. Die Necessitas geht vor der Fortuna voraus – wohl! und wir erwarten, wozu sie gehen, was sie ausrichten wolle? Sie trägt Keule und Nagel – wohl! wozu trägt sie sie? – Es fehlt ihr auch nicht Klammer und fließend Blei – hier wird der Poetische Leser ungeduldig – was brauche ich alles das zu wissen, was ihr fehlt, oder nicht fehlt? was sie hat oder nicht hat? ich höre ja nicht, was sie damit will, oder soll? ich stehe vor einem todten Gemälde. Was sie damit soll? antwortet Hr. Klotz: 10 »sie soll damit die Macht des Glücks anzeigen, die Göttin anzeigen, der nichts widerstehet, der alles weichen muß, die Göttin von unwandelbarem Willen. Wie schön alles passet! Das Gemälde muß allen gefallen, die Poetischen Geist haben.« Hätte Hr. Kl. gesagt, die Malerischen Geist haben, so recht! – aber die Poetischen Geist haben? ich wüßte nicht, was in der Wirkung des Gemäldes Poetisches wäre. Der Dichter hat einen andern Pinsel, die Göttin zu charakterisiren, der nichts widersteht, der alles weichen muß, die von unwandelbarem Willen ist, als daß er ihr ein Stück Blei, und Eisen in die Hand gebe, und sie [99] damit traben lasse: die mindeste Handlung, ja das bloße Wort: sie ist die Göttin, der nichts widersteht, der alles weichen muß, ist besser, als eine mit Mordgewehren wandelnde Figur. Kurz: nicht die Beschaffenheit der Attribute selbst, daß sie fürs Auge sind, auch nicht eben die Gehäuftheit der Attribute, ist der Fehler des Bildes, sondern die Komposition derselben zu einer bloßen Symbole: zu einer Symbole, die nichts thut, die mit ihrem Prosaischen nec abest, blos da steht, damit ihr nichts an ihrem Umgehänge fehle, damit sie als eine völlige Symbole in einem Gemälde paradire – dies beleidigt den Leser, insonderheit in einer Horazischen Ode. Er rufft ihr gleichsam zu, an der Handlung der Ode mit Theil zu nehmen, oder sich weg zu machen, auf eine Leinwand, an eine Wand, in ein Gemälde der Fortuna.

Und wie kam Horaz zu der todten Figur? Wahrscheinlich, daß er sie von einem solchen Gemälde kopirte, daß er sie mit den Zügen kopirte, mit denen sie vielleicht im Tempel zu Antium anzutreffen war. Was also in einer Ode Horaz auf den locus communis des Glücks ein befremdender Fehler seyn würde, das findet in einer Ode auf die Fortune von Anzo wenigstens eine entschuldigende Deutung. Es verewigte ein Gemälde, ein schönes Symbolisches Gemälde, das ein Schatz des Tempels seyn konnte, in welchen diese Ode, als ein Schatz, auch hingehörte. Man kritisire Horazen nicht als Dichter, sondern hier als Dichter für Anzo.

Ich glaube hiemit auch den folgenden Moralischen Wesen Licht und Deutung gegeben zu haben, die man so sehr verkannt hat:


Te Spes & albo rara Fides colit
Velata panno –

Spence hat Unrecht, daß er in dieser Stelle eine dünngekleidete Figur findet: 11 allein er hat Recht, daß es eine Malerische Figur sey, wie aus dem Zusätzeweiß gekleidet erhellet, und die Ursache[100] weiß gekleidet darf ich nicht erst mit dem Scholiasten, in der alten Gewohnheit suchen, daß die Priester der Treue ihr Opfer mit weißverhülltem Haupte brachten; ich habe sie näher: welche Kleidung käme in einem Gemälde der Treue zu, als die Kleidung der Unschuld? Ist aber die Figur aus einem Gemälde: wie unnütz zerbricht sich Bentley den Kopf darüber, daß Hoffnung und Treue dem Glücke als Begleiterinnen beigegeben werden? Wenn dieß Gemälde des Glücks in Anzo war: wie reich und schön wäre die Vorstellung desselben!

Nun fängt Horaz an, über diese reiche Deutung zu Allegorisiren: Hoffnung und Treue sind dem Glücke zu Begleiterinnen gegeben – zu Begleiterinnen? »so werden sie dasselbe auch immer begleiten! auch wenn es sein Kleid ändern, auch wenn es die Palläste der Großen feindlich verlassen sollte. Das ist nur der treulose Pöbel, das ist nur eine meineidige Hure, die alsdenn zurück tritt: nur hinterlistige Freunde zerstieben, wenn die Weinbecher leer sind: so sind nicht Hoffnung und Treue.« Ich sehe hier so wenig Wiederspruch, 12 als bei einer erbaulichen Allegorischen Deutung, und zwar einer Figur, die ihrem Namen nach doppelsinnig ist, nur immer seyn kann.

Und mit dieser Deutung eben bahnet sich Horaz den Weg, seinen August, und den damaligen Zustand des Römischen Reichs der Glücksgöttin zu empfehlen – eine Materie, die seine Ode schließet. Ich finde also nichts minder, als ein Abstraktum, das Glück, in ihr abgehandelt: wie man etwa, wenn man sich die Ueberschrift aus einem Wörterbuche erklärt, meinen könnte; es ist die Glücksgöttin in Anzo, eine Römischgesinnte Glücksgöttin, die auch nach den damaligen Umständen sich Roms annehmen soll. Aus Antium also, aus Rom, und aus der damaligen Zeit müssen auch die personifirten Ideen dieser Ode Licht nehmen; oder man schielet. Auch Hr. Klotz scheint mit seinen Erläuterungen aus [101] Steinen und Münzen 13 wohl nicht den Endzweck gehabt zu haben, sich selbst von dem Poetischen Baue dieser Horazischen Ode Rechenschaft zu geben: wie es doch bei ihr vorzüglich angienge. Wenn überhaupt der Gebrauch personifirter Geschöpfe aus einem Lyrischen Dichter erklärt werden sollte; so ist der Erste dazu – Horaz, Er, der diese schönen Gespenster ungemein liebt, und in Einführung derselben sehr charakteristisch ist; ein Kenner Horaz zeige uns diese Seite!

Aber auch der Epische Dichter hat personifirte Ideen nöthig, die man gemeiniglich Maschinen zu nennen gewohnt ist – wie soll er sie erschaffen? Als symbolische Wesen des Künstlers, als Allegorien, oder als handelnde Subjekte? Wenn ein Dichter es nöthig hat, sich vom Künstler zu unterscheiden, so ists der Dichter der Epopee, insonderheit in seinen Maschinen – ich wollte, daß Hr. L. darauf gekommen wäre!

Ich weiß, daß manche sich Leidenschaften, Tugenden und Laster und ein ganzes Heer Moralischer Personen zu Maschinen personifirt haben: allein, ich weiß auch, wie frostig, wie überflüssig diese Maschinen oft ganze Gedichte herunter erschienen sind, blos weil sie als personifirte Abstrakta erschienen, weil ihnen Individualität fehlte. Ein wirkliches Abstraktum in Person zu malen, ihm äußere Gestalt zu geben, um es Dichterisch bekannt zu machen, geht ohne Symbole nicht an; denn im Innern, im Wesen eines Abstrakten Begriffes liegen nicht Farben und Gestalten. Der Dichter läuft also Gefahr, daß, wenn er uns eine lange Seite herab, die Unschuld, den Neid, die Naturlehre u.s.w. symbolisch gemalt hat, wir hinterher fragen: wie sah das Ding aus? Alle einzelne charakterisirende Züge sind vergessen: wie kann ich sie zusammen nehmen, daß ein ganzes Bild vor mir stehe? Er hat die Arbeit der Danaiden gehabt, immer neue Züge zu schöpfen, die aber augenblicklich wieder wegschlüpfen, und jetzt stehe ich, und habe in meinem löcherichten Siebe – nichts.

[102] Nun soll diese Abstrakte Person als Maschine handeln; natürlich nicht anders, als aus ihrem Wesen, wie die Unschuld, der Neid, der Zorn handeln muß. So sehe ich ja jeden ihrer Tritte voraus: jede ihrer Reden verrathe ich schon aus ihrem Namen; nur diesen brauche ich, nur die Idee selbst, und das Uebrige wird Poetische Einkleidung, ein Redezierrath. Das ganze Wesen ist aus einem Begriffe geschaffen, und in ein Wort eingehüllt: kann es mich also rühren? Epische Bewunderung in mir erregen? mir einen ungewohnten großen Anblick gewähren? Eine solche Schöpfung durch ein Wort, das jeder nachsagen, das jeder voraus ausdenken kann, ist – Spielwerk.

Nein! Homers Maschinen sind keine Abstrakten Begriffe: es sind Subjekte, die aus sich handeln, vollstimmige Individua. Nicht kann ich es aus einer willkührlichen Idee errathen, wie hier und da Jupiter und Juno, und Minerva handeln werden, weil sie Einkleidungen dieser Idee sind. Alle seine Götter sind erdichtete Personen; aber Personen, mit vollständig bestimmter Denkart, mit Schwachheiten und Stärke, mit Fehlern und Tugenden, mit allem, was zu einem daseyenden Wesen gehört. Sie zeigen nicht blos Gedanken, Worte, Handlungen; sondern ich sehe auch aus der Art, aus dem Zusammenhange dieser Gedanken, Worte, Handlungen, daß sie aus dem Innersten eines Individuums fließen: der Poet bezaubert mich, daß, so lange ich lese, ich ein solches Wesen glaube. Ihr Herren Allegoristen, ihr Namenschöpfer von Maschinen, ihr Ideenbildhauer der Epischen Dichtkunst – das thut ihr nicht! ihr malet, ihr schildert; und so lese ich euch auch, als Maler, als Schilderer; nicht als Dichter, nicht als zweite Prometheus, nicht als Schöpfer unsterblicher Götter und sterblicher Menschen.

Auch die kleinen Wesen der Einbildung, welche die Bahn des Homerischen Gedichts gleichsam nur einmal querüber durchgehen, Furcht, Schrecken, und die unersättlich wütende Zwietracht erscheinen [103] bei ihm 14 persönlicher, als Allegorien erscheinen: die letzte z.E. als die Schwester und Gesellin Mars, des Menschenwürgers, mit ihm in Gesellschaft, mitten im Schlachtgetümmel. Dieß alles dämpfet das Allegorische in der hohen Idee, »daß sie, anfangs klein, sich erhebe, und, indem sie auf dem Boden der Erde einhergeht, ihr Haupt in den Wolken habe,« wir sehen immer doch mehr eine Person, als einen Begriff, unter einer Person vorgestellt.

Für personifirte Abstrakta, für Allegorische Maschinen, als solche betrachtet, hat Homer keinen Platz; nur den Reden seiner Helden 15 läßt ers, dieGebete u.s.w. zu Allegorisiren, die also aus ihrem Munde, nicht aber eigentlich aus seiner Schöpferhand kamen, die also gesprochen und gedacht, nicht aber Dichterisch gebildet, gleichsam im Gedichte gesehen werden sollten. Aber auch selbst da sucht er sie, wo er kann, in das Licht eines bestehenden Wesens zu kleiden; er flicht sie in die Genealogie der Götter; er giebt ihnen einen Historischen Zug zu: er malt das Allegorische nicht aus mit Prädikaten, sondern läßt es kaum durch den Namen, durch die Historischen Züge, durch die Dichterischen Attribute durchblicken. So wenig ists bei Homer Hauptzweck zu Allegorisiren, und am mindesten zu Allegorisiren für Künstler. – –

Hier Winkelmanns Werk von der Allegorie: ich bleibe aber bei zween andern Gefährten auf dem Wege: wie der Künstler den Dichter, insonderheit der griechische Künstler Homer nachahmen könne? Diese Gefährten sind Caylus und Leßing.

Fußnoten

1 p. 116. [442]

2 Lib. I. Od. 35.

3 Horat. ed. Baxt. p. 49.

4 Eclog. Horat. edit. Gessner. p. 71.

5 Vindic. Horat. p. 152.

6 Baxt. Horat. p. 50.

7 Addisons Dialog. upon the Usefullness of ancient Medals, p. 47.

8 Klotz. Vindic. Horat. p. 154.

9 Laok. p. 118. [444].

10 Vindic. Horat. p. 154. 155.

11 Dialog. X.

12 Den größten hat Bentlei gefunden. S. seinen Horaz über diese Ode.

13 Vindic. Horat.

14 Iliad. ∆. v. 440–42. Iliad. I.v. 2.

15 Z.E. Agamemnons Rede von der Göttin Ate T. 78. etc. [91]. Phönix Rede von den Gebeten Iliad. I.v. 498. [502].

13.

Und dünke mich jetzt im besten Theile 1 des Leßingschen Werks, wo es die Vorschriften des Grafen einschränkt, wo es die Art der [104] Vorstellung Homers, und eines Künstlers unterscheidet, wo es ein Muster von praktischem Scharfsinne ist. Mit Verwunderung also muß jeder Leser, der Leßingen verstehet, die verwirrenden Widersprüche 2 gelesen haben, die – – doch hierüber darf ich die Vertheidigung des Verfassers selbst 3 als bekannt voraus setzen.

Ich gehe also ins Detail. »Homer bearbeitet sichtbare und unsichtbare Wesen; diesen Unterschied kann die Malerei nicht angeben, bei ihr ist alles sichtbar; und auf einerlei Art sichtbar.« 4

»Das Mittel also, dessen sich die Malerei bedienet, uns zu verstehen zu geben, daß in ihren Kompositionen dieses oder jenes als unsichtbar betrachtet werden müsse, ist eine dünne Wolke. 5

Diese Wolke scheint aus Homer selbst entlehnt zu seyn. 6

Wer sieht aber nicht, daß bei dem Dichter das Einhüllen in Nebel und Nacht weiter nichts, als einepoetische Redensart, für unsichtbar machen, seyn soll? Es hat mich daher jederzeit befremdet, diesen poetischen Ausdruck realisirt, und eine wirkliche Wolke in dem Gemälde angebracht zu finden.« 7

Mit dem Unterschiede, den Hr. L. angiebt, bin ich zufrieden; nur der Grund des Unterschiedes, den er angiebt, ist nicht der meine.

Wozu soll die Wolke bei dem Dichter und Maler? zur Verhüllung. Wo sie also nicht verhüllen kann, da ist sie nicht Wolke mehr, da bleibe sie weg. So bei dem Maler. Sie soll verhüllen, und verhüllet nicht: sie läßt den verhüllten Helden noch sichtbar: er steht hinter einer spanischen Wand, und rufft uns zu: »ich bin unsichtbar, ich soll nicht gesehen werden: ich bin nicht zu Hause.« Diese Ursache, dünkt mich, ist die wahre.

Aber die, daß die Wolke aus einem Dichter entlehnt, bei ihm nichts als eine Poetische Redensart, bei dem Künstler hingegen [105] eine wirkliche Wolke, und also ein Poetischer Ausdruck auf eine befremdende Weise realisirt sey; die Ursache scheint minder Stich zu halten.

Homers Nebel ist ein Poetischer Nebel; ist er aber damit eine Poetische Redensart, ein künstlicher Ausdruck, statt »unsichtbar werden?« 8 Wenn Achilles nach dem in die Wolke verborgnen und schnell entrücken Hektor noch dreimal mit der Lanze zustößt: soll dieß »in der Sprache des Dichters weiter nichts heißen, als daß Achilles so wütend gewesen, daß er noch dreimal gestoßen, ehe er gemerkt, daß er keinen Feind vor sich habe?« Ich darf sagen, daß ich bei Homer »eine solche Phrasessprache des Dichters« nicht kenne, und nicht kennen mag. Homer, ein Feind aller künstlichen Figuren der Einkleidung, die nichts als solche, nichts als Poetischer Zierrath, seyn sollen, (nach Hrn. Leßings Erklärung, was ist diese Wolke, diese Poetische Redensart anders, als eine solcheWortblume?) Homer wird auf solchem Wege einer der nüchternen Dichter unsrer Zeiten, die Prosaisch denken, und Poetisch sprechen, deren gradus ad Parnassum die Zauberkammer ist, ihre Gedanken der Prose in eine Sprache des Dichters, in Poetische Redarten zu verwandeln. Bei solchen mag alsdenn eine prosaisirende Schulexposition Statt finden: »er ward mit einer Wolke bedeckt, das ist: er ward aus den Augen des Feindes weggebracht: Achill stieß dreimal nach dem dicken Nebel: das ist: er war so wütend, daß er noch nicht merkte, sein Feind sey weg.« Was käme aber heraus, wenn man so bei Homer läse, und auch seine Götter, ihren Himmel, ihre Geräthe u.s.w. durch ein solches, das ist: prosaisirte, und alles zu Poetischen Phrasibus machte.

Nein! Homer weiß von Redarten nichts, die nichts als solche wären. Der Nebel, in den die Götter hüllen, ist bei ihm wirklicher Nebel, eine verhüllende Wolke, die mit zum Wunderbaren [106] seiner Fiktion, mit zum Epischen μνϑος seiner Götter gehört. So lange er mich in dieser Poetischen Welt, in welcher Götter und Helden kämpfen, wie bezaubert, vest hält: so lange mich seine Minerva durch diese wunderbaren und schrecklichen Auftritte führt, und mir die Augen erhöht hat, nicht blos streitende Menschen, sondern auch kämpfende und verwundete Götter zu erblicken; so lange sehe ich auch diesen Nebel eben so gläubig, als den Gott selbst, der die Wolke um seinen Liebling webt. Beide, der Gott und seine Wolke, haben ein gleich Poetisches Wesen; wenn ich das eine prosaisire, muß auch hinter den andern ein Grammatischesdas ist kommen, und dann verliere ich die ganzeMythische Schöpfung in Homer. Ich bin nicht mehr in dem Epischen Treffen eines Dichters; sondern in einer Historischen Feldschlacht: ich lese nach der Taktik: ich sehe nach dem gewöhnlichen Augenmaaße.

Hr. L. scheint darnach gesehen zu haben; wenigstens überredet er uns, darnach sehen zu können. 9 »Keinen wirklichen Nebel sahe Achilles nicht, und das ganze Kunststück, womit die Götter unsichtbar machten, bestand auch nicht in dem Nebel – sondern in der schnellen Entrückung. Nur um zugleich mit anzuzeigen, daß die Entrückung so schnell geschehen, daß kein menschliches Auge dem entrückten Körper nachfolgen können, hüllet ihn der Dichter vorher in Nebel ein; nicht weil man anstatt des entrückten Körpers einen Nebel gesehen, sondern weil wir das, was in einem Nebel ist, unsichtbar denken.« Welche Unterscheidungen! welche Amphibolien! »Keinen wirklichen Nebel sahe Achilles nicht.« Ja! der Poetische Held sahe ihn, und dreimal stieß er noch mit seinem Spieße nach dem Nebel. »Das Kunststück, womit die Götter unsichtbar machten, bestand in der schnellen Entrückung!« Wunderbar! wo ich mir schon wirksame Götter, eine wunderbare Entrückung denken kann, und denke; bin ich da nicht ein Scrupler, am Nebel abdingen zu wollen? »Nur weil die Entrückung schnell vorgieng, hüllt ihn der Dichter ein; nicht, weil man einen Nebel [107] gesehen, sondern, weil wir das, was in einem Nebel ist, unsichtbar denken.« So! und deßwegen stößt Achilles dreimal nach dem Nebel, nicht, weil er einen Nebel sahe, sondern, weil er das, was in einem Nebel ist, sich als unsichtbar dachte! O der Homemerische Don-Quixote! o der Cervantische Homer!

»Neptun verfinstert die Augen Achilles; in der That aber sind des Achilles Augen nicht verfinstert, sondern – –« Was man uns doch sagen will! Neptun gießt dem Achilles Dunkel um die Augen, er rückt Aeneas fort: er hat ihn in Sicherheit gebracht, ihn ermahnt, nicht wider Achilles zu streiten, ihn verlassen – nun muß er erst zurück kommen, um dem Achilles den Nebel von seinen Augen zu nehmen, 10 und Achilles – hat keinen Nebel vor Augen gehabt! es ist nur so so gesagt, daß seine Augen verdunkelt worden? – – Achilles bekommt das Licht seiner Augen wieder, er erseufzet, er stutzt über das Wunder: er sieht den Spieß auf der Erde, den Mann hinweg! er erstaunt, er spricht mit sich, mit seiner großen Seele, muthmaaßet auf die Götter – – »Wie? wird ein Homerischer Orthodox sagen, ist es nicht ein sträflicher Unglaube, an dem Nebel der Götter zu zweifeln, wenn man ein so augenscheinliches Wunder der Verblendung, eine so feierliche Scene sieht! Wer Homerische Götter glaubt, muß auch die Wolke [in] ihrer Hand glauben!« – –

Die Wolkendogmatik der Griechischen Götter muß Hrn. Leßing anders bekannt seyn, als mir: denn er fährt fort, Dinge zu behaupten, die wider alle schöne Sichtbarkeit Homerischer Erscheinungen laufen. »Unsichtbar seyn, sagt er, ist der natürliche Zustand der Götter Homers; es bedarf keiner Blendung, keiner Abschneidung der Lichtstralen, daß sie nicht gesehen werden; sondern es bedarf einer Erleuchtung, einer Erhöhung des sterblichen Gesichts, wenn sie gesehen werden sollen. Zwar läßt Homer auch Gottheiten sich dann und wann in eine Wolke hüllen, aber nur alsdenn, wenn sie von andern Gottheiten nicht wollen gesehen [108] werden.« 11 Folgendes wird zeigen, daß Hr. L. in seiner Wolkentheorie der Griechischen Götter – – ein Ketzer sey.

»Unsichtbar seyn, ist der natürliche Zustand der Götter;« wie kommt es denn, wenn ich fragen darf, daß Götter wider Willen können gesehen werden? daß man sie unvermuthet überraschen darf, wenn sie nicht gesehen seyn wollen? Es war ein Glaubensartikel bei den Griechen, daß nichts gefährlicher sey, als ein solcher überraschender Anblick, 12 und mancher unglücklicher Unschuldige hatte darüber ein Opfer werden müssen. Pallas, die keuscheste der Göttinnen, die vor Keuschheit sich selbst kaum nackt zu sehen wagte, die wohl am mindesten unter allen Göttinnen jene falsche Jungfernscheu besaß, sich zu verstecken, und doch wollen gesehnt zu werden, diese jungfräuliche Pallas wählet sich den sichersten, den geheimsten Ort, um ihre Gorgone abzulegen: sie badet sich, und ein eben so ehrlicher Tiresias überrascht sie, siehet sie wider seinen Willen, erblindet. Indessen um den Unschuldigen einiger Maaßen schadlos zu halten, giebt Pallas – ihm nicht das Gesicht wieder; denn dieß ließ ihre Jungfräulichkeit nicht zu; sondern die Gabe der Weissagung. Wie hätte Pallas wider ihren und Tiresias Willen überraschet werden können, wenn »unsichtbar seyn, der natürliche Zustand der Götter wäre?«

Wie der Pallas: so gieng es auch der badenden keuschen Diana. Kalydon sah sie, ebenfalls wider seinen und der Göttin Willen, und ward zu Steine. So gieng es selbst dem Jupiter, da er in seinem liebsten Vergnügen einmal seine Wolke vergessen hatte. Er ward, da er bei der Rhea schlief, von Haliakmon, wider Willen seiner, und seiner geliebten Beischläferin, und seines Ueberraschers, in seiner Schäferstunde gestört – wie das? wenn »unsichtbar seyn, der natürliche Zustand der Götter wäre.«

Ich will solche gestörte Schäferstunden der Götter und Göttinnen nicht aufzälen. Meine Muse ist diesmal nicht so, wie die Schwester des Amors, die


[109]
– – wie die Mädchen alle thun,
Verliebte gern beschleichet. –

Ich führe, statt aller, das Epigramm aus der Anthologie 13 an, in seinem einfältigen Scherze, in seiner naiven Schalkheit: »Werde ja niemand in meinen Wassern eine der Najaden, oder die Venus mit ihren Gratien nackt gewahr: selbst wenn es ohne Vorsatz seyn sollte; denn immer ist nach Homers Ausspruche der offenbare Anblick der Götter gefährlich, und wer darf Homer widersprechen?« Um die verborgne Schalkheit einzusehen, die in diesem Epigramm liegt, merke man sich den Doppelsinn, der in dem Worte »offenbarer Anblick« liegt; der Epigrammatist meint nackt; Homer meint »ohne fremde Einkleidung, wie die Götter sind.« Die Stelle Homers bestätigt also unsere Meinung: und scheint gar ein Axiom in der Griechischen Mythologie geworden zu seyn.

Juno nämlich, die dem Achilles zu Hülfe will, macht den Lehrspruch: 14 daß, wenn Achilles einen Gott gegen sich sehen würde: so müßte er erschrecken: denn »fürchterlich ist der Anblick der Götter, wenn sie offenbar, (wenn sie ohne Menschliche Einhüllung) erscheinen. Wie ist unsichtbar seyn also ihr natürlicher Zustand?

Nach diesem Axiom scheint Homer in seiner ganzen Götterdichtung zu verfahren. Sind die Götterunter sich, so sind sie auch unter sich sichtbar; sollen sie aber unter Menschen wirken – unerkannt oder erkannt, darnach richtet sich das Schema ihrer Erscheinung. Phöbus Apollo 15 steigt vom Himmel herab in seiner ganzen Göttlichen Gestalt: Köcher und Bogen ruhen auf seiner Schulter: auf seiner Schulter klingen die Pfeile, bei seinem zornigen Gange. Nun hatte er sich schon von den Höhen des Himmels herabgelassen, und gieng der Nacht gleich: bis er sich weit von den Schiffen niedersetzen, und seine Pestbringenden Pfeile auslassen [110] konnte. Warum muß er sich der Nacht gleich, das ist: mit Dunkel bedeckt, bei den Griechen vorbei schleichen, und nur seine Gestalt annehmen, da er fern vom Anblicke der Schiffe und Menschen ist? – Wenn die Homerischen Götter schon an sich Menschlichen Augen unsichtbar sind, wenn es keiner Abschneidung der Lichtstralen bedarf, um nicht; sondern einer Erhöhung des Gesichts, um gesehen zu werden? Will ich nicht wieder zur heiligen Allegorie fliehen, so ist die Wolke vergebens.

Und wie oft hätte sie alsdenn Homer vergebens! In einem Nebel 16 steigt Thetis aus dem Meere hervor, bis sie vor ihrem Sohn hinsaß, und sich ihm in Gestalt zu erkennen gab. In einer Wolke steigt sie zum Jupiter hinauf: eine dichte Wolke warf Jupiter 17 um sich, da er auf Ida saß, die Schlacht übersehen, und nicht gesehen seyn wollte. Eine Wolke ist bei Homer mehr als einmal die Kleidung der Götter, wenn sie in einer Situation, die nicht auf andre würkt, in einer intransitiven Stellung erscheinen. Ihr Körper ist zwar nur, wie ein Körper, der Lebenssaft ihrer Adern ist nur gleichsam wie Blut, 18 d.i. nichts so grob und irdisch, als ein Menschlicher Körper; doch aber immer Blut, das zu vergießen, ein Körper, der zu verwunden, wie weit mehr zu sehen ist. So wird Venus von Diomedes verwundet, ob er sie gleich als Göttin erkennet: 19 und um sie zu trösten, erzählt ihre Mutter Dione, 20 was schon von jeher die Himmlischen von den Sterblichen haben erleiden müssen, wie Mars von zween seiner tapferen Feinde gebunden, ins Gefängniß geworfen, dreizehen Monate lang gefangen gehalten, und mit genauer Noth vom Merkur heimlich gerettet sey: wie Juno verwundet, Pluto verwundet – – was darfs, die Mythologischen Geschichte her zu erzälen, die alle wenigstens so viel zeigen, daß nach der Homerischen Göttertheorie der Satz zu hoch klinge: Unsichtbar seyn, ist der Zustand [111] der Götter: einer Erhöhung des Gesichts bedarfs, um nur von Menschen gesehen zu werden, nicht aber einer Abbrechung der Lichtstralen, um nicht gesehen zu seyn.« Brauchts dieses nicht einmal, wie unmöglich, daß ein Gott wider Willen erkannt, gebunden, verwundet werde? Wenn er den Menschlichen Augen seiner Natur nach nicht bloß entgeht, sondern dieselben durch ein Wunder erst erhöhet werden sollen, wie sinnlos alsdenn, seiner Natur nach, verwundbar, für den Helden überwindlich zu seyn? Man wird mir antworten: um einen Gott, um eine Göttin zu erkennen, mußten dem Diomedes erst von einer andern Göttin die Augen eröffnet werden; allein hier rede ich nur von dem Verwundbarseyn durch seine Natur, 21 und schließe gerade hin: ein verwundbarer Körper muß auch ein durch seine Natur nicht unsichtbarer Körper seyn: wenn unser Auge ihn der Natur desselben nach nicht treffen könnte; wie könnte nach der Natur des Götterleibes meine Hand ihn treffen?

Warum aber Minerva dem Diomedes erst den Nebel von den Augen nehmen mußte, um Götter und Menschen in der Schlacht zu unterscheiden? 22 Ich kann gerade weg sagen: weil er Poetisch einen Nebel vor den Augen hatte; allein ich will Homer Prosaisch erklären. Wenn die Homerischen Götter unmittelbar auf Menschen, und mit Menschen wirken; z.E. streiten, kämpfen, Pferde lenken, kurz, Menschliche Thaten thun wollen: so nehmen sie durchgängig bei Homer auch bloß Menschliche Gestalten an: es heißt alsdenn jedesmal bei Homer: »er gleichte sich diesem, oder jenem Helden.« 23 Und freilich in dieser Gleichung war der Gott nicht zu erkennen: denn er war Menschlich eingekleidet: nur aus den übermenschlichen [112] Thaten, aus völlig wunderbaren Begebenheitenschlossen die Helden, daß hie oder da ein Gott seine Hand mit im Spiele haben müsse. Sie fürchteten sich also, einem so verkleideten Gotte zu begegnen, weil es bei ihnen eine Maxime geworden: »keiner lebt lange, der einem Gotte widersteht, oder schadet.« Mit Griechischer Ehrlichkeit fragt ein Held den andern, so offen zu seyn, und zu sagen: ob er ein Gott, oder ein Sterblicher sey? damit er wisse, mit wem er zu thun habe. Und mit Himmlischer Offenherzigkeit entdeckt sich der Gott, wenn er ins Gedränge geräth, daß man ihm aus dem Wege weichen sollte. – – Kurzum! weil das ganze Homerische Treffen voll verkleidet wandelnder Götter ist, weil der Dichter diese Hypothese wissentlich [bei] allen Helden und Streitern voraus setzt: freilich so gehört eine Minerva dazu, um diese eingekörperten Wesen vor andern Menschen kennbar zu machen. Aber nicht also, daß sie das Gesicht Diomedes erhöhen dorfte, um Unsterbliche zu sehen: denn die Unsterblichen glichen hier Menschen; sondern, um ihm diese und jene, mordende Figur kennbar zu machen, daß sie etwas mehr sey, als wofür er sie ansehe, daß sie kein Mensch, sondern ein wandelnder Gott sey, 24 u.s.f. kurz! hier erscheinen die Götter in einem hindernden Vehikulum gleichsam, und in diesem Vehikulum sollen siekennbar, nicht sichtbar werden.

Nun aber falle das Vehikulum weg, lasset sie blos Götter seyn: die Wunde, der Schmerz bleibt ihnen, er ist nicht mit der Gestalt weggefallen, in der sie sich Menschlich verkörpert. Mars schreit auf – verläßt die Schlacht, und geht Himmelauf: die Gestalt des Acamas ist also weg, und sehet da! die Wolkenhülle ist um ihn: mit Wollen gehet er zum Himmel. 25 Und noch in seiner Himmlischen Gestalt fühlt er den Schmerz, den ihm ein Mensch zufügen konnte? ist die Wunde nicht der Gestalt Acamas geblieben? sie gehört Mars: der Himmlische Arzt muß sie heilen; sein Göttlicher Körper war seiner Natur nach also verwundbar, wie [113] also eben seiner Natur nach nicht sichtbar? oder gar nicht anders als unsichtbar?

Nein! mein Homer ist viel zu sinnlich, als daß er sein ganzes Gedicht durch von so geistigen Göttern, und von so seinen Allegorien, was die Wolke hie und da bedeutet? wissen sollte. Einem Persischen Epopöisten würde eine solche innere Unsichtbarkeit der Götter gefallen haben; allein ein Griechisches Auge will in der Epopee auch an Gottheiten schöne Körper und Himmlische Gestalten erblicken: es will sie schon ihrer Natur nach in dieser schönen Sichtbarkeit sehen, und nicht erst durch ein Wunder, oder durch die außerordentliche Gnade des Dichters, eine Erleuchtung, eine Erhöhung des sterblichen Gesichts nöthig haben, sie anzuschauen. Für solch ein Auge sind die Griechischen Götter geschaffen. Hat aber der Dichter es nöthig, sie nicht sehen zu lassen: so kleide er sie in eine Wolke; er werfe Nebel vor unsere Augen. Eine solche Wolke, in der sie erschienen, hat außerdem ja so manche hohe Nebenbegriffe: den Begriff des Himmlischen und Erhabenen, der einem Himmlischen Wesen zukommt: ist sie glänzend, so der prächtigste Thron eines überirdischen Regenten; dunkel, so das Gewand des Zornigen und Fürchterlichen; schön düftend, so die Verkündigerin einer lieblichen angenehmen Gottheit – alle diese Nebenideen liegen schon in unserm sinnlichen Verstande: sie haben den Dichtern aller Zeiten die vortreflichsten Bilder geschaffen: und Homer sollte diesen edlen Gebrauch der Wolke unterlassen, nicht eingesehen haben? Er allein hätte damit uns blos ein Hokuspokus einer Poetischen Redensart machen wollen, um hier eine Entrückung, dort eine innere Unsichtbarkeit, doch nicht so gerade heraus zu sagen – ich sage nochmals, so kenne ich Homer nicht.

Freilich in den spätern Zeiten, da man die Homerische Mythologie quintessenziirte, und aus ihr ein paar Tropfen Metaphysischen Geist abzog: da wußte man nicht gnug von der innern Unsichtbarkeit der Götter, von ihren mystischen Erscheinungen, von dem Ueberirdischen ihrer Epiphanien u.s.w. zu vernünfteln; allein solche Theophanien, solche seine Metaphysik über die Natur der Götter, [114] gehört in den Kreis der spätern Platonisten und Pythagoräer, und in das heilige Murmeln ihrer Geheimnisse. Ich denke doch aber, daß wir hier nicht über Jamblichus, sondern Homer, reden.

– Kurz! ich bin mit der Ursache zufrieden, daß, wenn der Maler mit seiner Wolke nicht unsichtbar machen kann, er auch dem Dichter die Wolke nicht nachäffen darf: und was brauchts da weitere Allegorien und Deutungen über den Dichter, unter denen der Dichter verlohren geht? Nach meinem Gefühle gebührt den Griechischen Göttern die schönste Sichtbarkeit und Jugend als ein Prädikat ihres Wesens: und ohne solche sich einen Apollo, einen Bacchus, einen Jupiter denken zu sollen, sich die Unsichtbarkeit als den natürlichen Zustand der Götter vorstellen zu müssen – das kann keine Griechische Seele: kein Griechischer Dichter und Künstler, ja selbst kein weiser Epikur. Mit dem Begriffe schöner Sichtbarkeit geht das Wesen der Götter, das Leben ihrer Geschichte und Thaten, die so genau bestimmten Stuffen ihrer Ibealgestalten, das Anziehliche ihres Umganges mit Menschenkindern: das ganze Kraftvolle der Mythologie verlohren. Ich sehe nicht mehr die schönen sinnlichen Griechischen Götter: ich sehe sichtbar seyn wollende Phantome! Mit einer solchen Hypothese ist meine beste Mythologische und Poetische, und Kunstentzückung getödtet! Ich mag die ketzerische Neuigkeit nicht: ich bleibe bei der alten Griechischen Rechtgläubigkeit.

Fußnoten

1 p. 119–149. [444–462].

2 Klotz geschnittene Steine hin und wieder.

3 Hamb. [neue] Zeitung. 1768 No. 97. [VIII, 2 fgg. L.].

4 Laok. p. 130. [450]

5 p. 137. [454]

6 p. 137.

7 p. 137. 138. [455].

8 p. 137.

9 p. 138. 139. [455–6].

10 Iliad. Y.v. 341. 342. etc.

11 Laok. p. 140. 141. [456–7]

12 Callimach. hymn. in Pallad. Dianam etc.

13 Anthol. L. IV. c. 19. epigr. 33.

14 Iliad. Y. v. 131. Χαλεποὶ δὲ ϑεοὶ φαίνεσϑαι ἐναργεῖς.

15 Iliad. A. v. 47. (νυκτὶ ἐοικώς)

16 Iliad. A. v. 359. (ἠΰτ᾽ ὀμίχλη)

17 Iliad. Θ. v. 50.

18 Iliad. E. v. 340–342.

19 Ibid. v. 330. 331.

20 Ibid. v. 381.

21 Auch Götter gegen Götter sind verwundbar, und Jupiter läßt der Juno und Minerva drohen, daß, wenn sie nicht zurückwichen, er sie auf zehn Jahre lang unheilbar verwunden wolle. Θ 404. 415.

22 Iliad. E. v. 116–130.

23 Neptun. (Iliad. N. 45.) είσάμενος Κάλχαντι – Minerva (Iliad. X. 227.) Δηϊφόβω εϊκυια – – (Iliad. Δ. 86. 87.) Π δ άνδριί ίκέλη Λαοδόκω etc.

24 Iliad. E. 127–130.

25 Iliad. E. 867.

14.

»Auch die Größe der Homerischen Götter kann der Maler nicht nachahmen!« und was Hr. L. darüber sagt, 1 läuft auf die drei Ursachen hinaus: daß in der Malerei weniger das Wunderbare der Poetischen Einbildung, sondern mehr die Gewohnheit [115] zu sehen, die anschauliche Wahrheit des Auges herrsche: zweitens, daß, da die Malerei innerhalb einem Raume arbeitet, auch mehr die Proportion und Disproportion in Betracht komme, als bei dem Dichter, dessen Einbildungskraft in allen Welten des Möglichen und Wirklichen, nicht bloß also zwischen Himmel und Erde, und am wenigsten zwischen vier engen Seiten wirket. – Drittens, daß, wo die Größe durch Kraft, Stärke, Schnelligkeit vom Dichter ausgedrückt werden konnte, der Maler in diesem Ausdrucke ihm ganz nachbleibe, da er, der für den Raum arbeitet, nicht eben Kraft, und der, der für Einen Anblick arbeitet, nicht eben Schnelligkeit der Bewegung zum Mittelpunkte seiner Wirksamkeit machen kann. – Es könnte diesen Ursachen ein sehr Philosophischer Mantel umgeworfen werden, wenn er des Macherlohns werth wäre.

Ich bleibe gar zu gerne bei Homer, insonderheit wenn Hr. L. den Ausleger desselben machet. – »Größe, Stärke, Schnelligkeit,« sagt Hr. L. – »Homer hat davon noch immer einen höhern wunderbarern Grad für seine Götter in Vorrath, als er seinen vorzüglichsten Helden beilegt. In Ansehung der Stärke und Schnelligkeit wird niemand diese Assertion in Abrede seyn; nur dürfte er sich vielleicht der Exempel nicht gleich erinnern, aus welchen es erhellet, daß der Dichter seinen Göttern auch eine körperliche Größe gegeben, die alle natürliche Maaße weit übersteiget. Selbst Ausleger des Homers, alte sowohl als neue, scheinen sich nicht allezeit dieser wunderbaren Statur seiner Götter genugsam erinnert zu haben; welches aus den lindernden Erklärungen abzunehmen, die sie über den großen Helm der Minerva geben zu müssen glauben.« 2

Hr. L. hat die Clarkisch-Ernestische Ausgabe des Homers hiebei angezogen, und so sind leicht die Ausleger des Homers, alte sowohl als neue, gnugsam zu erkennen, die sich der wunderbaren Statur der Götter Homers nicht gnug erinnert; sie sind 3 [116] Eustathius, Clarke, der durch seine Anführung Eustathius genehmigt, und Ernesti, welcher letztere die Homerische Beschreibung des Helms der Minerva mehr auf die Vestigkeit, als Größe desselben will gezogen wissen. Wie nun? ist die alle natürliche Maaße weit übersteigende körperliche Größe ein Charakter der Homerischen Götter? ein eben so offenbarer, känntlicher und nothwendiger Charakterzug, als Schnelligkeit und Stärke? und denn noch zum Ueberfluß haben die alten Meister der Bildhauerei, wie Hr. L. überzeugt ist, das Kolossalische, das sie öfters ihren Statuen ertheilten, aus dem Homer entlehnet?

So viel ist leicht zu denken, daß, wenn der Dichter seinen Göttern eine mehr als Helden- und Riesenstärke giebt, er diese Stärke auch nicht in einen Pygmäenkörper werde eingeschlossen haben: etwas, das wider alle Poetische und Menschliche Wahrscheinlichkeit liefe. Es wäre dem Anschaulichen des Dichters völlig entgegen, Menschenähnliche Götter mit unermäßlicher Stärke würken, und unter dem gewöhnlichen Grade von Menschengestalt sehen zu lassen. In mystischen Geheimnissen wären solche Götter willkommen, weil man um so mehr seine Geschicklichkeit zeigen kann, Knoten aufzulösen, je mehr Knoten und Widersprüche man geschlungen: aber im Felde der offenbaren Poesie sind solche Wesen Mikromegas.

Daß also die Statur des Körpers der geäußerten Stärke nicht durchaus, und schon dem sinnlichen Anblicke nach wiederspreche! Nun aber weiter: wo kein übermenschlicher Grad der Stärke geäußert wird: da ist auch keine übermenschliche Größe nöthig, wären es auch Götter oder Göttinnen. Ja, wo es gegentheils zum Charakter dieser und jener Gottheit gehört, diese übermenschliche Stärke nicht zu besitzen; da wäre die Hypergigantische Statur in dem Anschaulichen der Dichtkunst ein unleidlicher Widerspruch. Ich denke, meine Folgerungen sind wahrscheinlich, und sie sollen gewiß werden. Homer sei Zeuge: sein Jupiter, sein Neptun, seine Minerve mögen so groß seyn, als sie wollen; eine Juno von königlicher Schönheit schon nicht völlig so. Sie mag so viel Großes in [117] ihrem Anblicke haben, daß er sie Kuhäugicht 4 nenne; so viel Erhabenes in ihrem Gliederbaue, als dem Weibe gebührt, das in Jupiters Armen ruhet: sie mag, wenn sie sich zornig auf ihrem himmlischen Throne reget, den großen Olymp erschüttern 5 – Ideen von ihrer Hoheit und Größe! Nur daß diese im eigentlichen Verstande mir nicht zuerst durch die körperliche Statur vorgestellt werde: daß sich nicht auf diese, als auf den Hauptanblick, mein Auge heften dörfe: sonst verliere ich die Königin der Götter, die herrlichste der Göttinnen aus den Augen: ich sehe ein Riesenweib. Wo hat sie alsdenn, die Langstreckige? wo hat sie alsdenn im Himmel Raum? wie groß muß ihr himmlisches Brautgemach 6 seyn, das ihr Vulkan erbauet? wie groß der Schlüssel und das Schloß zu diesem Gemache, 7 das kein Gott eröfnen kann, als sie? wie viel Centner Ambrosia wird sie brauchen, um ihren Körper 8 zu säubern? wie viel Tonnen Oel, um ihn zu salben? wie groß wirb ihr Kamm, ihr Gürtel, ihr Schmuck seyn? wo wird sie mit Jupiter auf dem Berge Ida in ihrer süßen Umarmung 9 Raum haben? wie, wenn er sie in seine Arme faßt, an seine königliche Brust drückt, wie wird Ida und die Erde beben? – – Ich mag nicht weiter, gnug! alles Süße und Große in dem Gemälde Homers von ihrer Ankleidung, Auszierung, und Umarmung 10, verschwindet mit der unermäßlichen Gestalt. So bald auch nur mit einem Einigen känntlichen Zuge die Gigantische Statur zum Hauptaugenmerke würde: so schwinden die Gränzen der Schönheit, oder wenn man lieber will, der höchsten Vollkommenheit im weiblichen Gliederbaue. Mein Auge erliegt, wenn es ins Ungeheure soll, und die Bewunderung, die ich jetzt fühle, verwandet sich in eine Art von grauenvollem Selbstgefühle, und Schauder und Ekel. Hat[118] Homer nicht also gut gethan, daß er »seiner Göttin nicht so offenbar eine körperliche Größe gab, die alle natürliche Maaße weit überstiege.«

Bei seiner Venus wäre diese noch von üblerer Wirkung. Wenn sie ihm die das süße Lachen liebende Göttin 11 ist: wo bleibt das süße Lachen im Riesengesichte eines Weibes? Der Mund möge sich auch nur zum Lächeln verziehen wollen: die Lippen sich auch nur von fern dazu regen; der sich verziehende Mund dünkt mich Verzerrung, das sich meldende Lachen wird Grimasse, und das ausbrechende Lachen ungeheures Gelächter. Und wie ungereimt dünkt mich als denn diese Riesengestalt, wenn sie über eine Ritzung ihrer Haut am Finger schreiet, klaget, weinet, und den ganzen Himmel erreget!

Kurz! wo Größe und Stärke nicht dasHauptstück im Charakter einer Gottheit ausmacht, da ist die übermenschliche Natur auch nicht ein nothwendiges Augenmerk. Wo der Charakter der Gottheit damit aber gar nicht bestehen kann, z.E. die höchste Vollkommenheit eines weiblichen Gliederbaues in der Juno, und die liebreizendste Schönheit in der Tochter Dionens: da bleibe sie unsern Augen weg. Diese können, als Menschliche Augen, das Ideal der hohen sowohl als der lieblichen Schönheit eines Menschlich scheinenden Körpers, nicht anders, als mit natürlichem Maaße bestimmen: zwar mit dem Unterschiede, daß in der Malerei dich Maaß in den Gränzen der Kunst bleibt, in der Poesie aber sich zu der Stuffe erheben kann, die für die Phantasie des Menschen die höchste ist; daß aber auch dies Höchste für die Phantasie überschaulich, in seinem natürlichen Maaße bleibe. Geht dies Anschauliche Ganze verloren, übersteigt die Statur der Juno und Venus, auch nur in einer Linie, die Größe, in welcher ich mir körperliche Vollkommenheit und Schönheit gedenke: so hat der Dichter seinen Eindruck verfehlt. Nach einmal angenommenem Charakter, läßt sich nicht, [119] wie er will, den Göttern eine Größe geben, die alle natürliche Maaße übersteigt; in dem natürlichen Maaße, da sich körperliche Schönheit für meine Phantasie hält, muß sich auch seine Größe der Venus und Juno halten – –

Nun selbst die Gottheiten, deren Charakter und Individualität einmal eine Aeußerung vorzüglicher Stärke will: Minerva, der gewaltige Erdumfasser Neptun, und denn der mächtigste aller Götter, Jupiter: Und ich wiederhole aufs neue: daß bei ihnendie körperliche Größe ihren Wirkungen nur nicht wiederspreche: nicht aber, daß von Größe auf Stärke bei Homer der Schluß gemacht werden dörfe!

Homer gab uns keinen Einzigen der Götter gemalet: so auch nicht ihre, »alles natürliche Maaß übersteigende Größe:« er zeigt uns ihre Natur in Wirkung, in Bewegung.

Der große Jupiter! aber ist er bei Homer deßwegen groß, weil er, wie jener Engel des Korans, von einer seiner Augenbrauen bis zur andern sieben Tagereisen hätte? Das würde uns Jupiter der Ungeheure, nicht aber der Große dünken: Homer weiß also bessern Weg. Er winkt mit seinen schwärzlichen Augenbrauen der Thetis sein höchstes Zeichen zu: das Ambrosische Haar auf dem unsterblichen Haupte des Königs wallet, und der große Olympus bebt 12 – das ist der große Jupiter! Nicht wie lang, sondern wie machtvoll seine Augenbrane und sein Haar sey: nicht wie geräumig, sondern wie gebietend das Haupt des unsterblichen Königs: das ist das Augenmerk des Dichters. Das ist Jupiter, der Mächtige! Zevs, der Städteverwüster.

Einmal 13 will dieser Jupiter seine überwiegende Macht vor allen Göttern recht ausdrücken: er misset sich also mit ihnen – aber an körperlicher Größe? an Länge der Arme? an Stärke der Sehnen? unwürdiger, ungeheurer Anblick! Jupiter hat einen bessern Vorschlag an seine Götter und Göttinnen. Alle sollten sich an die Himmelherab hangende goldene Kette hängen, und mit allen [120] Kräften ziehen: den Jupiter würden sie damit nicht vom Himmel zur Erde reißen können; »ich aber,« fährt er fort, »wenn ich ziehen wollte, mit Erde und Meer würde ich sie aufziehen, alsdenn die Kette um den Gipfel des Olympus schlingen: da hingen sie Alle in der Höhe. So weit mächtiger bin ich, als Götter und Menschen.« Es kann kein erhabener und einfältiger Bild gefunden werden, als dies von der Uebermacht des höchsten Gottes; allein ein Bild von der Uebergröße dieses Gottes über Götter und Menschen findet sich nicht.

So wird die Größe Neptunus durch seine Schritte 14 mehr errathen und angedeutet, als geschildert: denn eine Ausmessung seiner ganzen Gestalt, nach Maasgabe dieser Schritte, wäre ungeheuer und nicht Homerisch. Vielmehr hat der weise Dichter auch hier in Aeußerung der Größe durch die Stärke, und der Stärke durch Bewegung eine Leiter gesetzt, um nach der Stuffe seiner Götter auch ihnen die Würde zuzuwiegen, die die größeste Kraft mit der größesten Sparsamkeit des Ausdrucks äußert. So wie der Höchste der Götter seine Größe durch einen Wink: so zeigt der Nächste nach ihm an Hoheit, Neptun, die seinige eine Stuffe tiefer – schreitend. 15 Die Größe Minervens wird wieder durch ihre Stärke gemessen, da sie einen ungeheuren Stein 16 ergreift, und den langstreckigen Mars zu Boden wirft. Vielleicht aber legt Hr. L. mehr Gewicht in diesen Stein, als Homer in ihn legen wollte. »Er war ein schwarzer, rauher, großer Stein, der zum Grenzstein dahingewälzet war von Männern voriger Zeiten.« Ob nun mit diesem Homer den Maasstab machen wollen: daß ein Held seiner Zeit gleich zween Männern, und ein Held alter Zeit gleich zween Helden, und dieser Stein also gleich so viel vierfach zusammengesetzten [121] Mannskräften berechnet werden müsse, als Männer ihn gelegt hatten, weiß ich so genau nicht. Homer kann vielleicht blos sagen: es war ein uralter Grenzstein. –

Auch die Größe des Helms der Minerva 17 ist mir noch strittig; ob sie nach Maas oder Gewichte zu berechnen sey. »Um ihre Schultern legt Pallas die fürchterliche Aegis: die ringsum von Furcht umgeben, in der die Zwietracht, und die Stärke, und die wilde Mordlust: in der auch das Haupt der Gorgone, des abscheulichen Ungeheuers eingegraben war, fürchterlich, gräulich, das Schreckbild des donnernden Zevs – aufs Haupt setzte sie den goldnen Helm – –


έκατον πολεων πρυλεεσσ άραρυιαν.


Was ist nun das letzte, der den Fußvölkern aus hundert Städten gnug war? Es sey, wie Ernesti will, der den Anfall einer Armee aus hundert Städten, geschweige denn aus einer, aushalten könnte. Oder wie der Scholiast will, der die Bilder von Fußvölkern aus hundert Städten auf sich hätte eingegraben haben können: alsdenn stimmt diese Erklärung in den Zusammenhang der Beschreibung von der fürchterlichen Aegis. Oder wie andre wollen, der Helm, den die Fußvölker aus hundert Städten zu heben, zu tragen kaum hinreichten: diese Erklärung dünkt mir nach dem Tone Homers die beste; denn sie giebt das stärkste Bild von der innern Macht der Göttin, die sich hier in dem Tragen eines Helms, auf eine stille erhabne Weise äußert. – Es sey indessen welche von diesen Erklärungen es wolle: keine ist erdacht, um die Stelle zu lindern, sondern nur den Sinn Homers zu erklären, und nach allen dünkt mir doch die, obgleich uralte, die Hr. L. annimmt: 18 der Helm, unter welchem sich so viel Streiter, als hundert Städte in das Feld zu stellen vermögen, verbergen können,« diese dünkt mir unter allen die letzte. Wo ist je ein Helm dazu gewesen, um zu sehen, wie viel Streiter unter ihm Raum haben?[122] wie müssen die Helden stehen, wenn sie mit dem Helme, wie mit einem Scheffel sollen gemessen werden? wie wäre also Homer auf dieß kindische oder Romantische Bild gekommen, die Streiter von hundert Städten, sich in einem allgemeinen Blindekuhspiele hierunter verkriechen zu lassen? u.s.w. Kurzum! Homer giebt doch kein Maas der Minerve an ihrer Statur des Körpers geradehin; sondern läßt uns den Schluß von ihrem Helme auf ihre Größe, oder, wenn die mir schicklichste Erklärung gölte, vielmehr auf ihre innere Stärke, »sie setzte den Helm aufs Haupt, der den Kräften eines Fußvolks aus hundert Städten zu schaffen geben könnte,« welch ein stilles Bild ihrer Göttlichen Stärke!

Mars, der Menschenwürger, in allem roh und ungeheuer, in seinem Anfalle und in seinem Geschreie – warum sollte ers nicht auch in seinem Hinsturze seyn? Und da erlaubt sich Homer das Bild, daß er, so wie er zehn tausend Menschen gleich aufschreien, auch im Falle sieben Hufen Landes 19 bedecken kann: ein Gigantischer Kerl! aber das ist auch Mars! Würde Homer jeden andern Gott ihm nachschreien, und im Falle nachstrecken lassen? Wie würde wohl der hohen Juno, oder der lieblichen Venus eine so seltene Stellung lassen? – Zudem mißt Homer seinen Kolossus, da er liegt: aufrecht wagte ers nicht, uns den ungeheuren Aufblick abzuzwingen. Zudem ists blos im Kampfe der Götter mit Göttern, wo Homer alle Kräfte zusammen nimmt, einen Gigantenkampf, der sich von einem Menschlichen Gefechte unterschiede, zu schildern. In Schlachtordnung mit Menschen zusammengestellt, Führer Menschlicher Heere, ist die übermenschliche Statur »die alle natürliche Maaße weit übersteiget,« ganz verschwunden. Mars und Minerve, da sie ein Heer auf dem Schilde anführen, können sich durch goldene Kleider, durch Schönheit, durch eine ansehnliche und auszeichnende Statur in ihrer Rüstung unterscheiden; denn sie sollen ja Götter auf dem Schilde vorstellen – sie können in dieser ansehnlichen Gestalt vorragen, und die Menschenvölker etwas [123] niedriger 20 seyn; aber an einen sieben Hufen langen Mars ist ja hier nicht zu gedenken, und ich weiß nicht, wie Hr. L. eine Stelle für sich anführet, 21 die nur sehr wenig von seiner Assertion beweiset. Homer lindert die Größe der unter Menschen wandelnden Götter hier so, als sie Clarke und Ernesti am vorigen Orte nicht lindern wollten, und überhaupt gehört die Vorstellung auf dem Schilde hier nicht zur Sache.

Es ist Zeit, daß ich ein Ende mache. Größe, Stärke, Schnelligkeit sind bei Homer nicht gleich wichtige Prädikate, um seine Götter von seinen vorzüglichsten Helden zu unterscheiden. 22 Selbst von Stärke und Schnelligkeit wird niemand, der den Homer auch nur ein einziges mal flüchtig durchlaufen, diese Assertion zugeben. Diomedes überwältigt die unkriegerische Venus, und Diomedes war doch nicht einmal Achilles. Er überwältigt Mars, und hier mag Dione für mich das Wort führen. 23

Per Individualcharakter der Homerischen Götter und Göttinnen ist also das Hauptaugenmerk, nach welchem sich auch ihre Größe und Stärke richtet. Hier kommt kein Allgemeinsatz in Betrachtung: Charakter ist hier über Gottheit.

Es giebt also bei ihm Göttinnen, die an Stärkeunter den Helden bleiben: Göttinnen also auch, die an Größe den Menschen gleich seyn müssen: Götter, die eben nicht größer sein dörfen. Für das erste zeuge Venus: für das zweite Juno, Venus, und vielleicht alle Göttinnen: für das dritte Apollo.

Ferner: Größe ist niemals Hauptzweck des Dichters, um aus ihr Stärke zu folgern; sondern nur immer da, um dem Bilde der Macht und Hoheit nicht zu wiedersprechen.

Kann diese also durch andre Merkmaale erkannt werden, um so gefälliger dem Dichter: und welches ist ein besseres Kennzeichen von Hoheit, als Macht in der Wirkung, Schnelligkeit in der Bewegung?

[124] Aus dieser also läßt Homer auf jene schließen: nicht aber umgekehrt. Aus dem Winke Zevs, aus dem Schritt Neptuns, aus dem Wurfe der Minerva auf ihre Größe, nicht aber im Gegentheil.

So wie Er gerne in seiner Schöpfung zwischen Himmel und Erde bleibt: 24 so überspannet er auch nie gern die Phantasie in dem Maaße der Größe. Wo ein Zug hierüber nöthig war, ward er eingestreuet, und gelindert.

Insonderheit unter Menschen gelindert: denn zu einem Göttertreffen, 25 und einem Götterhimmel, ist schon eine kleine Ueberspannung zum Wunderbarenμωρον seiner Götter nothwendig. Wer kann etwas schildern, das er nie gesehen, das er blos durch Menschenerhöhung trifft?

Und auch hier ists für mich kein Axiom, »daß der Dichter seinen Göttern eine Größe gegeben, die alle natürliche Maaße weit übersteiget.« Denn Homer hat bei dem Unendlichen selbst lauter natürliche Maaße, und auch deßwegen unter tausend andern Ursachen ist er mein Dichter.

Ob endlich die Bildhauer das Kolossalische, das sie ihren Götterstatuen öfters ertheilten, aus Homer entlehnt? 26 – Diese Frage dünkt mich so, als jene Indianische: worauf ruht die Erde? auf einem Elephanten! und worauf der Elephant? – Von wem nämlich mag denn Homer das Kolossalische entlehnt haben, das er, hie und da, diesem und jenem Gotte giebt? Mich dünkt, man könne in Aegypten den Ursprung von diesen und mehreren Homerischen Ideen finden, insonderheit an Orten, wo das Alte der Göttererzälung, wo die Tradition von Mythologischen Anekdoten herrschet, die statt des Schönen, nach welchem er sonst seine Götter schaffet, ins wüste Große gehen. Ich habe Lust, über ein Paar Proben dieser Behauptung einige fliegende Schriftchen 27 zu lesen, die zu gut scheinen, um unter Schriften ihrer Art zu verfliegen, [125] insonderheit, da mir da Aufgabe im Ganzen betrachtet: »was hat Homer von den Aegyptern entlehnet? wie hat er die alten Sagen voriger Zeiten in das Schöne seiner Kunst verändert?« groß und noch ungenutzt vorkommt.

Fußnoten

1 Laok. p. 131–136 [451–54].

2 Laok. 135. [453–4]

3 E. 744. ed Clark-Ernest.

4 Βοωπς ποτνια Ήρη.

5 Iliad. ϑ'. 198. 199.

6 Iliad. ξ. 163. etc.

7 ξ. 168.

8 Άμβροσιη μεν πρωτον άπο χροος ίμεροεντος

Αυματα παντα καϑηρεν, άλειψατο δε λιπ' έλαιῳ.

Iliad. ξ. 171. 172.

9 ξ. 346. etc.

10 ξ. v. 153. etc.

11 φιλομμειδης Άφροδιτη.

12 Iliad. A. 528.

13 Iliad. Θ. 17–27.

14 Welch ein Bild giebt der auf Ida die Waage des Schicksals haltende Jupiter! Die Schaale der Griechen sinkt zur Erde: die Schaale der Trojaner steigt zum Himmel – wie stark ist der wägende Arm des Gottes!Θ. 69–75. Solche Bilder liefert Homer, und keine Maasstäbe!

15 Iliad. N 10–45.

16 Iliad. φ. 403.

17 Iliad. E. 737. [743. 44]

18 Laok. p. 135. [454].

19 Iliad. φ. 407.

20 Iliad. Σ. 516–19.

21 Laok. p. 136. [454].

22 Laok. p. 135. [453].

23 Iliad. E. 381. etc.

24 Iliad. Θ. 13–16.

25 Iliad. Φ. 385–[408]

26 Laok. p. 136. [454]

27 Harles de Jove Homeri etc.

15.

Einige Bilder, die Hr. L. aus Homer anführt, 1 sind nicht übersetzt, nur indirekte, und nach einzelnen Zügen vorgestellt – sie enthalten aber noch in dieser Vorstellung so viel Leben, daß ich an der Uebersetzung Homers, durch einen Originalgeist, in unsere Sprache nicht verzweifle. Ich lese Gott Lob! meinen Homer in seiner Sprache: noch immer aber würde ich ihn mit Entzücken in der meinigen haben lesen wollen, wenn ein Meinhard davon auch nur einen Versuch geliefert hätte. Dieser würdige Mann besaß so viel Gabe des Ausdrucks, die Poesie einer fremden Sprache in die unsere zu prosaisiren, oder wenn man lieber will, die Prose unsrer Sprache so geschickt zum einfältigen Adel der Poesie eines fremden Ausdrucks zu erheben, daß ihn die Muse unsres Vaterlandes bestimmt zu haben schien, der Mund fremder Nationen unter uns zu werden. Dies ist, wie ich glaube, der Hauptzug seiner Verdienste; und wie hätte er diese durch eine Uebersetzung Homers nicht gesteigert! Grieche muß ich überdem schon werden, wenn ich Homer lese, ich lese ihn, wo ich wolle: warum denn nicht in meiner Muttersprache? Insgeheim muß ich ihn doch in dieser schon jetzo lesen: insgeheim übersetzt ihn sich die Seele des Lesers, wo sie kann, selbst wenn sie ihn Griechisch hört: und ich sinnlicher Leser! ich kann mir ohne diese geheime Gedankenübersetzung sogar kein wahrhaftig nutzbares und lebendiges Lesen Homers denken. Nur denn erst lese ich, als hörte ich ihn, wenn ich mir ihn übersetze: er singet mir Griechisch vor, und eben so schnell, so[126] Harmonisch, so edel suchen ihm meine Deutschen Gedanken nachzufliegen: alsdenn und alsdenn nur vermag ich mir und andern von Homer lebendige bestimmte Rechenschaft zu geben, und ihn mit ganzer Seele zu fühlen. In jedem andern Falle, glaube ich, lieset man ihn als Commentator, als Scholiast, als Schulgelehrter, oder Sprachlehrling, und dies Lesen ist unbestimmt oder todt. Ein anderes ist, sagt Winkelmann, Homer verstehen, ein anderes, sich denselben erklären können; und dies geschieht in meiner Seele nicht anders, als durch eine geheime Uebersetzung, durch eine schnelle Umwandlung in meine Denkart und Sprache.

Ueberdem ist diese, in Betracht die Uebersetzerin Homers zu werden, weit über die Französische und Englische hinaus; sie allein kann vielleicht einen Mittelweg zwischen Umschreibung und Schulversion, wie die meisten Lateinischen sind, finden: und dieser Mittelweg heiße mit einem Altdeutschen Worte, dessen starker Gebrauch uns durch so manche schlechte Ausübung verächtlich und lächerlich geworden: Verdeutschung. Freilich werde ich meinen Homer, auch wenn Meinhard ihn übersetzt hätte, in seiner Urschrift immer fort studiren; nur würde ich mich auch nicht schämen, die Uebersetzung neben an liegen zu haben, bei jedem starken Bilde, das ich in meiner Muttersprache ganz fühlen will, in sie hinein zu blicken, mit ihr zu wetteifern, – so lese ich Homer.

Bedürfniß ists also nicht, wenn ich mir einen Meinhardschen Homer wünsche: es ist Patriotismus, Gefühl für seine wahre Lesemethode, Gefühl für meine Muttersprache gegen so manche süßlateinische Uebersetzung von Hektor und Andromache z.E. u.s.w. 2 betrachtet: Gefühl endlich gegen die unwichtigen Gründe, 3 womit man ein Genie, das zu interpretiren da ist, vom Homer abschrecken, und hinwegsegnen will. Wie? wenn Pope auch so gedacht hätte: wo wäre der Englische Homer geblieben? und wird[127] wohl ein vernünftiger Engländer, der Homer Griechisch lesen kann, ihn nicht lesen wollen – weil ihn Pope Englisch geliefert? – –

Wenn dies gute Wort über Homer hier nicht völlig an seiner Stelle steht: so hätte es doch irgendwo anders eine Stelle verdient, und ich fahre fort. »Es ist unmöglich, sagt Hr. L., 4 die musikalische Malerei, welche die Worte des Dichters mit hören lassen, in eine andre Sprache überzutragen,« und an einem andern Orte, 5 wo er die fortschreitende Manier Homers vortreflich entwickelt, entgeht ihm auch nicht der Vortheil, den ihm seine Sprache gewährte, »die ihm nicht allein alle mögliche Freiheit in Häufung und Zusammensetzung der Beiwörter läßt, sondern auch für diese gehäuften Beiwörter eine so glückliche Ordnung hat, daß der nachtheiligen Suspension ihrer Beziehung dadurch abgeholfen wird. An einer oder mehrern dieser Bequemlichkeiten fehlt es den neuern Sprachen durchgängig. Auch unsre Sprache hat sie nicht, oder welches einerlei ist, sie kann sie nur selten ohne Zweideutigkeit nutzen.« Mir haben diese Bemerkungen einen alten Gedanken wieder in die Seele gebracht, den ich bei Homer immer empfunden, und zu dem diese einige Züge mit enthalten.

Homer sang, ehe Schriftstellerische Prose da war: er weiß also von keinen geschlossenen Perioden. Nicht, als ob in ihm kein einiges Punkt wäre; die hat er, mein Leser: und hat er nicht gnug, so klecke ihm noch mehrere zu. Ich rede von keinen Unterscheidungszeichen, in welche unsre Sprachlehrer das Wesentliche des Perioden setzen, sondern von der Zusammenordnung vieler einzelnen Züge, zu einem ganzen Gemälde, das daher anfängt, wo uns die Sache in die Augen fiel, Zug vor Zug uns weiter führt, aber diese Züge verschränket, so umkehret, daß der Sinn des Ganzen aufgehalten, daß er nicht eher vollendet ist, bis wir zu [128] Ende sind. Und dies Kunststück des Prosaischen Perioden, behaupte ich, hat Homer nicht. Bei ihm fällt gleichsam Zug nach Zug aus einander; er schreitet mit jedem Beiworte weiter: von keiner Verschränkung, von einer künstlichen Suspension des Sinnes weiß er nichts. »Der Grieche verbindet das Subjekt gleich mit dem Prädikate, und läßt die andern nachfolgen; er sagt runde Räder, eherne, achtspeichichte.« 6 So wissen wir mit eins, wovon er »redet, und werden der natürlichen Ordnung des Denkens gemäß, erst mit dem Dinge, und dann mit seinen Zufälligkeiten bekannt. Diesen Vortheil hat unsre Sprache nicht.« Keine neuere Sprache hat ihn, die zur Prose ursprünglich gebildet worden.

Und wenn in diesem Fortschreitenden eben Homers Manier bestehet: und seine Sprache (er pflanzte sie auf seine Dichter fort) und nur seine Sprache dies Fortschreitende zur Manier, zum Gesetze ihrer Zusammenordnung macht: wie in einer Übersetzung; so wird Homer in einer Uebersetzung nach dieser neuen Construktionsmanier, die einmal ein Gesetz unsrer Sprachen geworden, seine Manier, das Wesen seiner Poesie, das mit jedem Zuge Fortschreitende verlieren: er wird prosaisirt werden. Prosaisirt, nicht in den Farben, in den Figuren seiner Bilder: sondern in der Art ihrer Stellung, in Composition und Manier, und da denke ich, hat er mehr verlohren, als durch jedes Andere! Ein solcher Verlust geht die Art des Ausdrucks in seinem ganzen Werke durch, er ist der größte, denn er hindert den Gang seiner Muse.

Ich nehme sein Bild vom herabsteigenden Apollo, und sage: So weit das Leben über das Gemälde geht, so weit ist hier der Dichter über den Prosaisten einer neuern Sprache: Apollo steigt von den Höhen des Olympus: ergrimmt: Bogen und Köcher auf [129] der Schulter. Ich sehe ihn nicht allein herabsteigen, ich höre ihn. Mit jedem Schritte erklingen die Pfeile um die Schulter des Zornigen. Er geht einher, gleich der Nacht. Nun sitzt er gegen den Schiffen über, und schnellet – fürchterlich erklingt der silberne Bogen – den ersten Pfeil auf die Maulthiere und Hunde. Sodann faßt er mit dem giftigern Pfeile die Menschen selbst; und überall lodern unaufhörlich Holzstöße mit Leichnamen. »Es ist unmöglich,« sagt Hr. L., dessen Worte ich mich meistens bedient, »die musikalische Malerei, welche die Worte des Dichters mit hören lassen, in eine andere Sprache mit überzutragen.« Und eben so unmöglich, fahre ich fort, ists dem Fortschreitenden des Bildes, das mit jedem Zuge weiter tritt, in einer neuern Sprache Fuß vor Fuß nachzufolgen. Mit jedem neuen Worte ist ein Gemälde.

Nun laßt uns Homer in einer neuern Sprache hören: es sey in Pope selbst, der gewiß das Maaß seiner Sprache so verstand, als kein Dichter vielleicht vor und nach ihm. Umwerfen muß er die Worte, er muß umschreiben. 7 Ein Wort bei Homer wird ihm ein abgetrenntes Comma, ein fortlaufender Zug steht in ihm einzeln da, wie eine Erklärung. Hier nimmt er einen Umstand voraus, dort erklärt er ihn: warum er sey? kurz, die fortschreitende Manier Homers ist weg. Homers Bild ist eine ausgemalte Schilderei, ein Historisches Gemälde, stillstehend, nur mit Poetischen Farben. Die Poesie Homers, auch in Pope's Sprache, ist Poetische, schöngereimte Prose.

Um die Schwierigkeit einer Homerischen Uebersetzung zu zeigen: führe ich noch eine Eigenheit in Homer an, die ich seiner Sprachmanier abgemerket, und von unsern Sprachen noch weiter abgehet. Sie ist ein gewisses Wiederkommen auf einen Hauptzug, der schon da war, und jetzt das Band seyn soll, um das Bild weiter zu führen, und die aus einander fallenden Züge zu einem Ganzen zu verknüpfen. Exempel mögen auch erklären. [130] Der zornige Apollo steigt vom Olympus: ergrimmt: Köcher und Bogen auf der Schulter – ist das Bild aus? Nein! es rollt fort, aber um die schon gelieferten Züge uns im Auge zu erhalten, scheint es die folgenden blos aus den vorigen zu entwickeln. Köcher und Bogen auf der Schulter? Ja! die Pfeile erklangen auf der Schulter. Ergrimmt stieg Apollo nieder? Ja! sie erklangen auf der Schulter des Zornigen! Er stieg niederer gieng? sie klangen also mit jedem Tritte des Ganges. Nun ist Homer da, wo er ausgieng: er schritt fort, indem er zurücktrat: er hat jeden vergangnen Zug erneuert: noch haben wir das Ganze vor Augen. Auf eben die Art rollet er sein Bild weiter. Der letzte Zug erinnerte uns an die Tritte des Schreitenden, und wird weiter geführt: der Schreitende gieng der Nacht gleich. Weßwegen Apollo Nacht um sich geworfen? hat der Dichter nicht Zeit zu sagen, er läßt es errathen, es war ein fremder Zug in seinem Gemälde hier, an die zu denken, die er jetzt, mit Nacht umdeckt, vorbei strich: er störet sich nicht im Bilde des gehenden Gottes. Nun ist der Gehende die Schiffe vorbei, weit vorbei, er sitzt, er schnellet einen Pfeil – trift er, so ist das Bild zu Ende; aber noch muß es nicht zu Ende seyn. Das Bild des klingenden Bogens wäre alsdenn verloren: es wird erst wieder erweckt – fürchterlich also erklingt der silberne Bogen; nun faßt der Pfeil, der erste, der andre, Thiere, Hunde, Menschen, Scheiterhaufen flammen: so flogen die Pfeile des Gottes neun Tage durch das Heer – – Jetzt ist das Gemälde zu Ende: der Gott, Bogen, Pfeil, die Wirkung derselben, alles ist vor Augen: kein Zug verlohren; keine Farbe mit einem vorbeifliegenden Worte weggestorben: er wecke jede zu rechter Zeit wiederholend wieder auf: das Bild rollet zirkelnd weiter.

So machen es nicht unsre Poetischen Schilderer: sie malen mit jedem Worte, und mit jedem Worte ist auch die Farbe weg: der Zug verschwunden, am Ende haben wir nur eben das Letzte: nichts mehr. So aber nicht der Erste der Dichter: er webt wiederholende[131] Züge ein, die zum zweitenmal das Bild tiefer einprägen, eindrücken, und einen Stachel in der Seele zurück lassen, wie Eupolis, der Komödienschreiber, von dem größten Redner Griechenlandes, dem Perikles, sagte. Die Manier der Komposition seiner Bilder gleicht der Sprechart des Ulysses, dessen Worte wie die Schneeflocken flogen, das ist, wie Plinius sagt,crebre, assidue, large. Er läßt keinen Stein unbewegt, um zum Ziele zu treffen, und seine Pfeile sind, wie die des Philoktets wiederkommend.

Menelaus wird den Räuber seiner Ehre und seiner Gattin vor dem Heere ansichtig, und »freuet sich wie ein Löwe, der auf einen großen Raub fällt.« Nun wäre das Bild zu Ende, aber für Homer ists noch nicht tief gnug in der Seele. Was ist das: der auf einen großen Körper fällt? Homer fährt wiederholend fort: wenn er einen hörnichten Hirsch, oder eine wilde Ziege gefunden. Nun wäre uns wieder das Bild seiner Freude zu weit vom Auge entfernet: es rollt also weiter:hungrig war er: gierig verschlingt ers! Und um den letzten Stachel in der Seele zu lassen, von seinem gierigen Schlingen, von seiner erhaschenden Freude; so erweckt Homer hinter ihm eine laute kommende Jagd: schnelle Hunde, blühende junge Jäger verfolgen ihn. Nun ist das Bild ganz; ich sehe den gierigen Löwen, den Raub, sein Erhaschen, und, was der Raub sey, seine Freude, und seine die Gefahr vergessende Gierigkeit. So freute sich Menelaus u.s.w. 8 Sein Gemälde ist ein Kreisbild, wo ein Zug in den andern fällt, wo das Vorige zurück kehrt, um das Folgende zu entwickeln.

Ich müßte alle Bilder, alle Gleichnisse Homers abschreiben, wenn ich alle Beispiele geben wollte; denn sie sind alle nach einer Manier. Nicht immer strömen neue Züge herzu: die Vorigen kommen wieder, malen weiter: der Tanz der Figuren kehrt in sich zurück, und bricht plötzlich ab. Handlung und Empfindung, Zustand und Bewegung wechseln: und gemeiniglich nimmt sich das [132] Wort, das die Handlung wieder erneuern, das ein Band voriger Züge seyn soll, auch dadurch aus, daß es einen Vers anfängt, und also die Rede auf sich stützet. Jedes Bild Homers ist eine Musikalische Malerei: der gegebene Ton zittert noch eine Weile in unserm Ohre: will er ersterben; so tönt dieselbe Saite, der vorige Ton kommt verstärkt wieder; alle vereinigen sich zum Vollstimmigen des Bildes. So überwindet Homer das Hinderniß seiner Kunst, daß ihre Wirkung gleichsam jeden Augenblick verschwindet; so macht er jeden Zug seines Bildes daurend.

Ich habe ein Paar Proben, von der feinen Kunst Homers in seiner Bildercomposition, von Seiten der Sprache gegeben, um zu zeigen, daß ich zu einer Uebersetzung vielleicht Schwierigkeiten finde, von denen manche nichts wissen, die recht viel von Homers Uebersetzung sprechen können; indessen bringen mich auch diese Schwierigkeiten noch nicht zur Verzweiflung. Auch hier wird das Genie Rath finden: es wird zerstücken, und wiederholen – sterben lassen, und wieder vors Auge bringen, und dem Homer wenigstens nacheifern. – Ich wollte, daß Hr. L. sich über dies Wiederkommende in Homers Bildern erklären möchte. Homer schildert nicht; wo er aber muß, da braucht er das angezeigte Kunststück, um mittelst jeden Augenblick schwindender, aber wiederkommender Töne das Ganze eines Eindrucks zu liefern. – – Aus der Tonkunst könnte diese Energie seiner Manier am besten erläutert werden.

Fußnoten

1 Laok. p. 143. 150. [458. 462].

2 Klotz. epist. Homeric. var. loc.

3 Riedels Leben Meinhards p. 60. 61.

4 Laok. 143. [458]

5 Laok. p. 181. [479].

6 Laok. 182. [479. 80]

7 The Iliad. translat. by Pope: Book. 1. v. 61–72.

8 Iliad. Γ. 21.

16.

Ueberhaupt muß man nicht denken, daß ein Philosoph, der den Unterschied zwischen Poesie und einer schönen Kunst zu entwickeln unternimmt, damit das ganze Wesen der Dichtkunst vollständig erklären wolle. Hr. L. zeigt, was die Dichtkunst gegen Malerei gehalten nicht sey; um aber zu sehen, was sie denn an sich in ihrem ganzen Wesen völlig sey, müßte sie mitallen schwesterlichen Künsten und Wissenschaften z.E. Musik, Tanzkunst und Redekunst verglichen, und Philosophisch unterschieden werden.

[133] »Malerei wirkt im Raume; Poesie durch Zeitfolge. Jene durch Figuren und Farben; diese durch artikulirte Töne. Jene hat also Körper, diese Handlungen zu eigentlichen Gegenständen«. So weit ist Hr. Leßing in seiner Entwicklung gekommen. Nun nehme ein Philosophischer Tonkünstler sein Werk auf: wie fern haben Poesie und Tonkunst gemeine Regeln, da sie beide durch die Zeitfolge wirken? Wie geht jene ab, da sieHandlung singet? Der Redekünstler fahre fort: jede Rede kann Handlung schildern: wie denn die Poesie? wie in ihren verschiednen Gattungen und Arten? – Endlich diese Theorien zusammen: so hat man das Wesen der Poesie.

Auch bei der jetzigen einen Seite der Vergleichung ists indessen, als ob mir an dem Wesen der Poesie immer etwas zur Berechnung fehle. – – Ich nehme Leßingen da das Wort auf, wo er die Sache aus ihren ersten Gründen herzuleiten verspricht. 1

Er schließet so. »Wenn es wahr ist, daß die Malerei zu ihren Nachahmungen ganz andre Mittel, oder Zeichen gebrauchet, als die Poesie; jene nämlich Figuren und Farben in dem Raume, diese aber artikulirte Töne in der Zeit; wenn unstreitig die Zeichen ein bequemes Verhältniß zu dem Bezeichneten haben müssen: so können neben einander geordnete Zeichen auch nur Gegenstände, die neben einander, oder deren Theile neben einander existiren, auf einander folgende Zeichen aber, auch nur Gegenstände ausdrücken, die auf einander, oder deren Theile auf einander folgen.

Gegenstände, die neben einander, oder deren Theile neben einander existiren, heißen Körper. Folglich sind Körper mit ihren sichtbaren Eigenschaften, die eigentlichen Gegenstände der Malerei.

Gegenstände, die auf einander, oder deren Theile auf einander folgen, heißen überhaupt Handlungen. Folglich sind Handlungen der eigentliche Gegenstand der Poesie.«

[134] Vielleicht würde die ganze Schlußkette untrüglich seyn, wenn sie von einem vesten Punkte anfienge: nun aber lasset uns zu ihm hinan. »Wenn es wahr ist, daß die Malerei zu ihren Nachahmungen ganz andre Mittel oder Zeichen gebraucht, als die Poesie;« allerdings wahr!

»Jene nämlich Figuren und Farben in dem Raume, diese aber artikulirte Töne in der Zeit.« Schon nicht so bestimmt! denn der Poesie sind die artikulirten Töne nicht das, was Farben und Figuren der Malerei sind!

»Wenn unstreitig die Zeichen ein bequemes Verhältniß zu dem Bezeichneten haben müssen.« Eben damit fällt alle Vergleichung weg. Die artikulirten Töne haben in der Poesie nicht eben dasselbe Verhältniß zu ihrem Bezeichneten, was in der Malerei Figuren und Farben zu dem Ihrigen haben. Können also zwei so verschiedne Dinge ein Drittes, einen ersten Grundsatz zum Unterschiede, zum Wesen beider Künste geben?

Die Zeichen der Malerei sind natürlich: die Verbindung der Zeichen mit der bezeichneten Sache ist in den Eigenschaften des Bezeichneten selbst gegründet. Die Zeichen der Poesie sind willkührlich: die artikulirten Töne haben mit der Sache nichts gemein, die sie ausdrücken sollen; sondern sind nur durch eine allgemeine Convention für Zeichenangenommen. Ihre Natur ist also sich völlig ungleich, und das Tertium comparationis schwindet.

Malerei wirkt ganz im Raume, neben einander, durch Zeichen, die die Sache natürlich zeigen. Poesie aber nicht so durch die Succession, wie jene durch den Raum. Auf der Folge ihrer artikulirten Töne beruhet das nicht, was in der Malerei auf dem Nebeneinanderseyn der Theile beruhete. Das Successive ihrer Zeichen ist nichts alsconditio, sine qua non, und also blos einige Einschränkung: das Coexsistiren der Zeichen in der Malerei aber ist Natur der Kunst, und der Grund der Malerischen Schönheit. Poesie, wenn sie freilich durch auf einander folgende Töne, das ist, Worte wirkt: so ist doch das Aufeinanderfolgen der Töne, die Succession der Worte nicht der Mittelpunkt ihrer Wirkung.

[135] Um diesen Unterschied deutlicher zu machen: muß eine Vergleichung zwischen zweien durch natürliche Mittel wirkenden Künsten gemacht werden, zwischen Malerei und Tonkunst. Hier kann ich sagen: Malerei wirkt ganz durch den Raum, so wie Musikdurch die Zeitfolge. Was bei jener das Nebeneinanderseyn der Farben und Figuren ist, der Grund der Schönheit, das ist bei dieser das Aufeinanderfolgen der Töne, der Grund des Wohlklanges. Wie bei jener auf dem Anblicke des Coexststirenden das Wohlgefallen, die Wirkung der Kunst beruhet; so ist in dieser das Successive, die Verknüpfung und Abwechselung der Töne das Mittel der Musikalischen Wirkung. Wie also, kann ich fortfahren, jene, die Malerei, blos durch ein Blendwerk, den Begriff der Zeit folge in uns erwecken kann: so mache sie dies Nebenwerk nie zu ihrer Hauptsache, nämlich: als Malerei durch Farben, und doch in der Zeitfolge zu wirken: sonst gehet das Wesen und alle Wirkung der Kunst verlohren. Hierüber ist das Farbenklavier Zeuge. Und also im Gegentheile die Musik, die ganz durch Zeitfolge wirkt, mache es nie zum Hauptzwecke, Gegenstände des Raums Musikalisch zu schildern, wie unerfahrne Stümper thun. Jene verliere sich nie aus dem Coexsistenten, diese nie aus der Succession: denn beide sind die natürlichen Mittel ihrer Wirkung.

Bei der Poesie aber ist der Auftritt geändert. Hier ist das Natürliche in den Zeichen, z.E. Buchstaben, Klang, Tonfolge, zur Wirkung der Poesie wenig oder nichts: der Sinn, der durch eine willkührliche Uebereinstimmung in den Worten liegt, die Seele, die den artikulirten Tönen einwohnet, ist alles. Die Succession der Töne kann der Poesie nicht so wesentlich berechnet werden, als der Malerei das Coexsistiren der Farben; denn »die Zeichen haben gar nicht einerlei Verhältniß zu der bezeichneten Sache.« 2 ,

[136] Der Grund ist wankend: wie wird das Gebäude seyn? Ehe wir dieses sehen, lasset uns jenen erst auf andre Art sichern. Malerei wirkt im Raume, und durch eine künstliche Vorstellung des Raums. Musik, und alle energische Künste wirken nicht blos in, sondern auch durch die Zeitfolge, durch einen künstlichen Zeitwechsel der Töne. Ließe sich nicht das Wesen der Poesie auch auf einen solchen Hauptbegrif bringen, da sie durch willkührliche Zeichen, durch den Sinn der Worte auf die Seele wirkt? Wir wollen das Mittel dieser Wirkung Kraft nennen: und so, wie in der Metaphysik Raum, Zeit und Kraft drei Grundbegriffe sind, wie die Mathematischen Wissenschaften sich alle auf einen dieser Begriffe zurückführen lassen; so wollen wir auch in der Theorie der schönen Wissenschaften und Künste sagen: die Künste, dieWerke liefern, wirken im Raume; die Künste, die durch Energie wirken, in der Zeitfolge; die schönen Wissenschaften, oder vielmehr die einzige schöne Wissenschaft, die Poesie, wirkt durch Kraft. – Durch Kraft, die einmal den Worten beiwohnt, durch Kraft, die zwar durch das Ohr geht, aber unmittelbar auf die Seele wirket. Diese Kraft ist das Wesen der Poesie, nicht aber das Coexsistente, oder die Succession.

Nun wird die Frage: welche Gegenstände kann diese Poetische Kraft besser an die Seele bringen, Gegenstände des Raums, coexsistirende Gegenstände, oder Gegenstände der Zeitsuccessionen? Und um wieder sinnlich zu reden: in welchem Medium wirkt die Poetische Kraft freier, im Raume, oder in der Zeit? –

Sie wirkt im Raume: dadurch, daß sie ihre ganze Rede sinnlich macht. Bei keinem Zeichen muß das Zeichen selbst, sondern der Sinn des Zeichens empfunden werden; die Seele muß nicht das Vehikulum der Kraft, die Worte, sondern die Kraft selbst, den Sinn, empfinden. Erste Art der anschauenden Erkänntniß. Sie bringt aber auch jeden Gegenstand gleichsam sichtlich vor die Seele, d.i. sie nimmt so viel Merkmaale zusammen, [137] um mit Einmal den Eindruck zu machen, der Phantasie ihn vor Augen zu führen, sie mit dem Anblicke zu täuschen: zweite Art der anschauenden Känntniß, und das Wesen der Poesie. Jene Art kann jeder lebhaften Rede, die nicht Wortklauberei oder Philosophie ist: diese Art der Poesie allein zukommen und macht ihr Wesen, das sinnlich Vollkommene in der Rede. Man kann also sagen, daß das erste Wesentliche der Poesie wirklich eine Art von Malerei, sinnliche Vorstellung sey.

Sie wirkt in der Zeit: denn sie ist Rede. Nicht blos erstlich, so fern die Rede natürlicher Ausdruck ist, z.E. der Leidenschaften, der Bewegungen: denn dies ist der Rand der Poesie; sondern vorzüglich, indem sie durch die Schnelligkeit, durch das Gehen und Kommen ihrer Vorstellungen, auf die Seele wirkt, und in der Abwechselung theils, theils in dem Ganzen, das sie durch die Zeitfolge erbauet, energisch wirket. Das erste hat sie auch mit einer andern Gattung der Rede gemein; das letzte aber, daß sie einer Abwechselung, und gleichsam Melodie der Vorstellungen, und Eines Ganzen fähig sey, dessen Theile sich nach und nach äußern, dessen Vollkommenheit also energesiret – dies macht sie zu einer Musik der Seele, wie sie die Griechen nannten: und diese zweite Succession hat Hr. Leßing nie berühret.

Keines von beiden, allein genommen, ist ihr ganzes Wesen Nicht die Energie, das Musikalische in ihr; denn dies kann nicht Statt finden, wenn nicht das Sinnliche ihrer Vorstellungen, das sie der Seele vormalet, vorausgesetzt wird. Nicht aber das Malerische in ihr; denn sie wirkt energisch, eben in dem Nacheinander bauet sie den Begriff vom sinnlich vollkommnen Ganzen in die Seele: nur beides zusammen genommen, kann ich sagen, das Wesen der Poesie ist Kraft, die aus dem Raum, (Gegenstände, die sie sinnlich macht) in der Zeit (durch eine Folge vieler Theile zu Einem Poetischen Ganzen) wirkt: kurz also sinnlich vollkommene Rede.

Nach diesen Voraussetzungen wollen wir zu Hrn. Leßing zurück. Bei ihm ist der vornehmste Gegenstand der Poesie Handlungen; [138] nur aber Er kann aus seinem Begriffe der Succession diesen Begrif ausfinden; ich gestehe es gerne, ich nicht.

»Gegenstände, die auf einander, oder deren Theile auf einander folgen, sind Handlungen.« 3 Wie? ich lasse so viel ich will auf einander folgen, jedes soll ein Körper, ein todter Anblick seyn; vermöge der Succession ist keines noch Handlung. Ich sehe die Zeit fliehen, jeden Augenblick den andern jagen – sehe ich damit Handlung? Verschiedene Auftritte der Natur kommen mir vor Augen: einzeln: todte: einander nachfolgend: sehe ich Handlung? Nie wird P. Kastells Farbenklavier mit seinem successiven Vorspielen der Farben, und wenn es auch Wellen- und Schlangenlinien wären, Handlungen liefern: nie wird eine Melodische Kette von Tönen, eine Kette von Handlungen heißen. Ich läugne es also, daß Gegenstände, die auf einander oder deren Theile auf einander folgen, deßwegen überhaupt Handlungen heißen: und eben so läugne ich, daß weil die Dichtkunst Successionen liefre, sie deßwegen Handlungen zum Gegenstande habe.

Der Begriff des Successiven ist zu einer Handlung nur die halbe Idee: es muß ein Successives durch Kraft seyn: so wird Handlung. Ich denke mir ein in der Zeitfolge wirkendes Wesen, ich denke mir Veränderungen, die durch die Kraft einer Substanz auf einander folgen: so wird Handlung. Und sind Handlungen der Gegenstand der Dichtkunst, so wette ich, wird dieser Gegenstand nie aus dem trocknen Begrif der Succession bestimmt werden können:Kraft ist der Mittelpunkt ihrer Sphäre.

Und dies ist die Kraft, die dem Innern der Worte anklebt, die Zauberkraft, die auf meine Seele durch die Phantasie und Erinnerung wirkt: sie ist das Wesen der Poesie. – Der Leser sieht, daß wir sind, wo wir waren, daß nämlich die Poesie durch willkührliche Zeichen wirke; daß in diesem Willkührlichen, in dem Sinne der Worte ganz und gar die Kraft der Poesie liege; nicht [139] aber in der Folge der Töne und Worte, in den Lauten, so fern sie natürliche Laute sind. –

Hr. L. indessen schließt aus dieser Folge von Tönen und Worten alles; nur sehr spät fällt es ihm ein, 4 daß die Zeichen der Poesie willkührlich wären: allein auch denn ponderirt er nicht, was der Einwurf: Poesie wirkt durch willkührliche Zeichen, sagen wolle.

Denn wie löset er diesen Einwurf? »Dadurch, daß mit der Schilderung körperlicher Gegenstände die Täuschung, das Hauptwerk der Poesie, verlohren gehe, daß also zwar Rede an sich, aber nicht die sinnlich vollkommenste Rede, die Poesie, Körper schildern könne.« 5 Die Sache scheint jetzt an besserm Orte. Eben weil die Poesie nicht Malerisch gnug seyn kann, bei Schilderung körperlicher Gegenstände: so muß sie sie nicht schildern. Nicht, damit sie nicht Malerei sey, nicht weil sie in successiven Tönen schildert: nicht weil der Raum das Gebiet des Malers, und blos Zeitfolge das Gebiet des Dichters sey – ich sehe bei allem keine Ursache. Das Successive in den Tönen ist, wie gesagt, dem Poeten wenig: er wirkt nicht durch sie, als natürliche Zeichen. Aber wenn ihn seine Kraft verläßt, wenn er mit seinen Vorstellungen unabhängig von seinen Tönen die Seele nicht täuschen kann: ja, dann geht der Poet verlohren, dann bleibt nichts als ein Wortmaler, als ein symbolischer Namenerklärer. Aber daß sie hier noch nicht am besten Orte sey, mag – sein eignes Beispiel zeugen. 6 Wenn es Hallers Endzweck ist, uns in seinen Alpen, den Enzian, und seinen blauen Bruder, und die ihm ähnlichen oder unähnlichen Kräuter Versmäßig kennen zu lehren; allerdings verliert er alsdenn den Zweck des Dichters, mich zu täuschen, und ich, als Leser, meinen Zweck, mich täuschen zu lassen: Dies ist alsdenn der Grund, und kein andrer. Aber wenn ich nun von Hallers Gedichte zu einem Botanischen Lehrbuche gehe: wie werde [140] ich da den Enzian und seine Brüder kennen lernen? Wie anders, als wider durch successive Töne, durch Rede? Der Botanist wird mich von einem Theile zum andern führen: er wird mir die Verbindung dieser Theile klar machen: er wird das Kraut meiner Einbildungskraft theilweise und im Ganzen vorzuzählen suchen, was freilich das Auge mit Einmal übersiehet: er wird alles thun, was bei Hrn. L. der Dichter nicht thun soll. Wird er mir verständlich werden? Darum ist nicht die Frage, wenn ich seine Worte verstehe: er muß mir klar werden, er muß mich auf gewisse Art täuschen. Kann er dies nicht: sehe ich die Sache blos im Einzelnen, deutlich, nicht aber im Ganzen, anschauend, ein: so werde ich alsdenn alle Regeln, die Hr. Leßing dem Dichter giebt, auch dem Verfasser eines Botanischen Lehrbuchs geben können. Ich werde zu ihm sehr ernsthaft sagen: 7 »Wie gelangen wir zu der deutlichen Vorstellung eines Dinges im Raume, eines Krauts? Erst betrachten wir die Theile desselben einzeln, hierauf die Verbindung dieser Theile, und endlich das Ganze. Unsre Sinne verrichten diese verschiedenen Operationen mit einer so erstaunlichen Schnelligkeit, daß sie uns nur eine einige zu seyn bedünken, und diese Schnelligkeit ist unumgänglich nothwendig – Gesetzt nun also auch, der schriftliche Kräuterlehrer führe uns in der schönsten Ordnung von einem Theile des Gegenstandes zu dem andern; gesetzt, er wisse uns die Verbindung dieser Theile auch noch so klar zu machen: wie viel Zeit gebraucht er dazu? Was das Auge mit Einmal übersiehet, zählt er uns merklich langsam nach und nach zu, und oft geschieht es, daß wir bei dem letzten Zuge den ersten schon vergessen haben. Jedennoch sollen wir uns aus diesen Zügen ein Ganzes bilden: dem Auge bleiben die betrachteten Theile beständig gegenwärtig: es kann sie abermals und abermals überlaufen; für das Ohr hingegen sind [141] die vernommenen Theile verlohren, wenn sie nicht in dem Gedächtnisse zurückbleiben. Und bleiben sie schon da zurück: welche Mühe, welche Anstrengung kostet es, ihre Eindrücke alle in eben der Ordnung so lebhaft zu erneuern, sie nur mit einer mäßigen Geschwindigkeit auf einmal zu überdenken, um zu einem etwanigen Begriffe des Ganzen zu gelangen! – Solche Beschreibungen mögen sich, wenn man die Blume selbst in der Hand hat, sehr schön dagegen recitiren lassen; nur für sich allein sagen sie wenig oder nichts.« –

So spricht Hr. L. zum Dichter, und warum soll ich nicht eben so zum Kräuterlehrer sprechen, der mich blos durch Worte lehren will? Ich sehe keine Veränderung des Falles, eben denselben Gegenstand, einen Körper, eben dasselbe Mittel, ihn zu schildern, Rede, eben dieselbe Hinderung in diesem Mittel, das Successive der Rede, Worte. Folglich muß die Lection sich so gut auf ihn, als auf jeden Wortschilderer passen.

Folglich muß die Ursache: »Succession verhindert Körper zu schildern,« da sie auf jede Rede trifft, da jede Rede in solchem Falle nicht das Definitum, als ein Wort, verständlich, sondern als eine Sache, anschauend machen will – eigentlich außer dem Gebiete der Poesie liegen.

Folglich auch in demselben kein eigentliches, wenigstens kein höchstes Gesetz geben können, sondern nur ein Nebenbegrif bleiben, aus dem Wenig oder Nichts gefolgert werden kann. – Meine ganze Schlußkette fängt von dem doppelten Grunde an: daß das Successive in den Tönen der Poesie kein Haupt-kein natürliches Mittel ihrer Wirkung sey; sondern die Kraft, die diesen Tönen willkührlich anhängt, und nach andern Gesetzen, als der Succession der Töne, auf die Seele wirkt. Zweitens: daß das Successive der Töne ja nicht der Poesie allein, vielmehr jeder Rede zukommt, und also wenig in ihrem innern Wesen bestimmen [142] oder unterscheiden könne. Wenn nun Hr. L. Succession in seinem Buche zum Hauptgrunde des Unterschiedes zwischen Poesie und Malerei macht; ist da wohl die richtigste Gränzscheidung zu erwarten? –

Fußnoten

1 Laok. p. 153. [463]

2 Laok. p. 153. [463]

3 Laok. p. 154. [464]

4 p. 165. [470].

5 p. 168. [472]

6 [p. 166. 171. 172 = 471. 473–4. Freies Citat.]

7 p. 166. 167. [471. 2]

17.

Um auf einen fruchtbarern Weg zu kommen, als dieser trockne Nebenbegrif gewähret, macht Hr. L. einen Sprung, den ich ihm nicht nachthue. »Die Poesie schildert durch successive Töne; folglich schildert sie auch Successionen, 1 folglich hat sie auch Successionen, und eigentlich nichts als Successionen zum Gegenstande. Successionen sind Handlungen: folglich« – und folglich hat Hr. L. was er will; aber woher kann ers haben? Den Begrif der Handlung fand er in der Succession; und daß sie nur fortschreitende Gegenstände schildere, schloß er, weil sie in successiven Tönen schildert – wo bleibt hier die Kette? Gesetzt, daß das Aufeinanderfolgen der Töne in der Dichtkunst das wäre, was das Nebeneinanderseyn der Farben in der Malerei: welche Proportion ist in dem Successiven der Töne, und in dem Successiven der Gegenstände, die sie schildert: Wie weit halten diese einen Schritt? Wie kann man auch nur an Vergleichung denken? Und wie weit weniger Eins aus dem andern zu schließen? – Und wenn sie auch denn Successionen schilderte, warum müssen diese Successionen Handlungen sein? u.s.w. Die Gränzscheidung nach solch einem Risse kann kaum richtig seyn.

Kaum richtig von Seiten der Malerei, »ihr Wesen sei, Körper zu schildern,« wenigstens bin ich mir fortschreitenderer Handlungen der Malerei bewust, als wovon Hr. L. ein Beispiel giebt: 2 nämlich eine Drapperie, die in ihrem Wurfe zwei Augenblicke vereinige.

[143] Noch minder aber von Seiten der Dichtkunst, wo aus dem Successiven der Töne wenig oder nichts folgt. Nicht: daß sie keine Körper schildern solle; denn können keine successiven Töne Begriffe von coexsistirenden Dingen erwecken; so sehe ich nicht, wie irgend die Rede, die blos hörbare Rede anschauende Erkänntniß wirken könnte: dennBilder würde ich sagen, sind nicht hörbar. So sehe ich nicht, wie irgend die Rede zusammenhangende Bilderbegriffe erwecken könne; denn die successiven Töne hangen nicht zusammen. So sehe ich endlich auch nicht, wie in der Seele aus vielen Theilbegriffen ein Ganzes, z.E. der Ode, des Beweises, des Trauerspiels entstehen könnte; denn die ganze Succession der Töne macht kein solches Ganzes: »für das Ohr sind die vernommenen Theile jedesmal verloren.« Es läßt sich also hieraus Alles oder Nichts folgern.

Noch weniger folgt hieraus, »die Untauglichkeit der ganzen descriptive Poetry, 3 das Unpoetische aller malenden Poesie.«

Noch weniger hieraus, daß das Wesen der Dichtkunst Fortschreitung sey; 4 daß die Dichtkunst nur eine einzige Eigenschaft der Körper nutzen müsse: daß Einheit der Malerischen Beiwörter ihr Regel sey 5

Ja nicht einmal, daß sich »nur aus diesen Grundsätzen die große Manier Homers bestimmen und erklären ließe.« Ich läugne Hrn. L. viel, und in seinem Grunde Alles, aber darum läugne ich nicht alle Sachen, die nur Er auf diesen Grund bauet. – Darf ich von Homer anfangen? –

»Homer malet nichts, als fortschreitende Handlungen: alle Körper, alle einzelne Dinge malet er nur durch ihren Antheil an den Handlungen, gemeiniglich nur mit Einem Zuge. Zwingen ihn ja besondere Umstände, unsern Blick auf einen einzelnen körperlichen Gegenstand länger zu heften: so weist er durch [144] unzälige Kunstgriffe diesen einzelnen Gegenstand in einer Folge von Augenblicken, in deren jedem er anders erscheint« 6 – Schön! vortreflich! die wahre Manier Homers! – Nur ob Homer diese Manier gewählt, weil ermit successiven Tönen schildern wollte, 7 weil er körperliche Gegenstände anders zu schildern verzweifelte, weil er besorgen mußte, daß, wenn er uns in der schönsten Ordnung von einem Theile des Gegenstandes zum andern führte, daß, wenn er uns auch die Verbindung dieser Theile noch so klar zu machen wüßte; 8 dem Auge zwar die betrachteten Theile in der Natur beständig gegenwärtig blieben, für das Ohr hingegen die vernommenen Theile, folglich die Mühe des Dichters, verlohren wäre – ob deßwegen Homer seine Gegenstände in eine Folge von Augenblicken gesetzt, ist mir nie bei Homer beigefallen.

Wenn seine Hebe z.E. uns den Wagen der Juno Stück vor Stück zusammensetzt, 9 entkommt da der Dichter dem Versuche, ein Coexsistentes nicht mit Folgetönen zu schildern? Ich sehe Räder, Achsen, Sitz, Deichsel, Riemen, Stränge, nicht wie es beisammen ist, sondern erst langsam zusammenkommt. Erst werden mir die Räder, nicht blos die Räder, sondern die Theile derselben, die ehernen Speichen und die goldnen Felgen, und die Schienen von Erzt, und die silberne Nabe u.s.w. langsam vorgezält, denn erst Achsen, denn erst der Sitz, alles in seinen Theilen; und ehe das letzte Stück dran ist, habe ich sicherlich das Erste vergessen. Der Wagen steht zusammen: und Trotz der Phantasie, die sich jetzt das Bild des Wagens mit Einem Blicke und doch in allen seinen Theilen z.E. die ehernen Speichen und die goldnen Felgen, und die Schienen von Erzt u.s.w. auf Einmal anschauend denken könne! Ich sehe also kaum, was Homer gethan hätte, um gleichsam die Wirkung successiver Töne zu schwächen, umdurch unzälige Kunstgriffe uns das Coexsistente gegenwärtig zu machen? Liegt [145] es hier einmal am klaren Begriffe des Coexsistiven in allen seinen Theilen, »welche größere Mühe, welche schärfere Anstrengung kostet es, diese langsamen Eindrücke alle in eben der Ordnung so lebhaft zu erneuren, sie nur mit einer mäßigen Geschwindigkeit auf einmal zu überdenken, um zu einem etwanigen Begriffe des Ganzen zu gelangen.« Arbeitete der Dichter auf diesen Begrif des Ganzen, da er uns seine Theile zerlegte, um ihn nachher in allen diesen Theilen zusammengesetzt darzustellen; so sage ich, hat er eben so vergebens gearbeitet, als Brockes, wenn er uns Kräuter malet. Das Zusammensetzen, die Handlung der Hebe kommt gar nicht in Rechnung; das Nacheinander zusammensetzen, was mit Einmal gezeigt, gedacht werden sollte, ist Augenmerk: dies ist bei beiden gleich, ja bei Homer durch das Zusammensetzen noch langsamer. »Doch nicht blos da, wo Homer mit seinen Beschreibungen weitere Absichten verbindet, sondern auch da, wo es ihm um das bloße Bild zu thun ist, wird er dieses Bild in eine Art von Geschichte des Gegenstandes verstreuen, um die Theile desselben, die wir in der Natur neben einander sehen, in seinem Gemälde eben so natürlich auf einander folgen, und mit dem Flusse der Rede gleichsam Schritt halten zu lassen. Der Bogen des Pandarus z.E.« 10 – aber wie kann Hr. L. hier in Homers Beschreibung eine Parallele der Folge in den Tönen, mit dem Coexsistiren der Theile, und der Theile des Objekts mit den Theilen der Rede finden? Wenn Homer uns den Bogen des Pandarus malen will, und uns erst auf die Jagd des Steinbocks führet, aus dessen Hörnern der Bogen gemacht worden: und uns erst den Felsen zeigt, wo ihn Pandarus erlegt, und nun erst die Hörner des Steinbocks Längelang ausmißt; nun erst sie in Arbeit giebt, nun erst uns jeder Arbeit des Künstlers zuschauen läßt – wer kann sagen, Homer habe das Successive seiner Beschreibung der Natur des Coexsistenten gleichsam näher bringen, und die Theile des Bogens mit dem Flusse der Rede Schritt halten lassen! Statt, [146] daß sie durch diese Homerische Manier näher zusammen kommen sollten; sehe ich sie sich weiter hinaus zerstreuen; unter vielen andren fremden Zügen: (Jagd, Steinbock, Ort des Erhaschens, Ort der Verwundung, Lager des gefällten Steinbocks, Werkstäte des Künstlers) liegen sie versteckt: und hätte Homer mit seiner Geschichte des Bogens darauf gezweckt, um mir nachher mit Einmal alle Theile des Bogens anschaulich zu geben: so hätte er eben den schlechtesten Weg genommen. Meine Phantasie wenigstens hat sich der Geschichte überlassen, dem Pandarus einen Bogen zu zimmern, aber ihn sich nachher in allen seinen Theilen auf Einmal zu denken, die fremden Züge in der Geschichte erst wegzulassen – welche Mühe! welche Absonderung! »Homer malet den Schild Achilles in mehr als hundert prächtigen Versen, nach seiner Materie, nach seiner Form, nach allen Figuren, welche die ungeheure Fläche desselben füllten, so umständlich, so genau, daß es neuern Künstlern nicht schwer gefallen, eine in allen Stücken übereinstimmende Zeichnung darnach zu machen. Er malet dies Schild nicht als ein fertiges vollendetes, sondern als ein werdendes Schild. Er hat also auch hier sich des beschriebenen Kunstgriffes bedienet, das Coexsistirende seines Vorwurfs in ein Consekutives zu verwandeln, und dadurch aus der langweiligen Malerei eines Körpers das lebendige Gemälde einer Handlung zu machen.« 11 Feine Bemerkung! richtiger Gegensatz mit Virgilen! Ob aber Homer dies Werden des Schildes ergriffen, um gleichsam mit dem Consekutiven ein Coexsistirendes zu liefern? ob er »die mehrern Züge für die verschiedenen Theile und Eigenschaften im Raume in einer gedrängten Kürze schnell auf einander folgen lasse, damit wir sie alle auf einmal zu hören glauben sollen?« 12 ob es mit dem Werden des Schildes sein Zweck gewesen, den Raum in die[147] Zeitfolge zu verwandeln, und uns durch diese den Anblick Eines Ganzen zu geben, den wir nur durch jenen fassen konnten? 13 – Sollen diese Fragen ihr Ja bekommen: so bekenne ich die Schwäche meines Gedächtnisses, diesen Zweck an mir nicht erreichen zu können. Mögen zehen oder noch weniger Gemälde auf dem Schilde seyn: möge ich sie auch werdend gesehen haben; ich erstaune über das Werk, aber nicht mit dem gläubigen Erstaunen eines Augenzeugen, dem jetzt der ganze Schild vor Augen, bei dem das Consekutive in ein Coexsistirendes verwandelt wäre. Nur in dem Haupte des Göttlichen Künstlers kann der Schild mit allen seinen Figuren ein Malerisches Ganzes gebildet haben; ich muß aufs neue das Schild herum, wenn ich die mit jedem successiven Wortzuge verlohrne Figur wieder sehen soll, und doch wo sind sie, wenn ich sie zu einem ganzen Schilde ordnen soll? Das Werdensehen hat hiezu nichts gethan, und kann hiezu nichts thun, es sei denn, um mich noch weiter zu zerstreuen; das Nacheinander werden ist und bleibt der Knoten.

Homers Sprache sei so vortreflich, als sie seyn kann, – jedes Wort liefre ein Bild – ohne alle Suspension der Beziehungen – so schnell fortschreitend, als Diane in ihrem Gange; 14 soll dies schnelle Fortschreitende da seyn, um gleichsam das Hinderniß des Raums zu mindern, zu vernichten, um dadurch den täuschenden Anblick eines räumlichen Gegenstandes, eines Körpers im Raume zu erwecken – dies kann keine Rede. Dazu wohl kaum wird Homer seiner schreitenden Manier so treu geblieben seyn: dazu eben nicht für jedes Ding nur Einen Zug gehabt; dazu am wenigsten das Consekutive Werden gewählt haben: »um die Theile seines Gegenstandes mit dem Flusse der Rede einerley Schritt halten zu lassen.« Dies kann keine Rede: noch minderwills die Rede des Dichters: am mindsten wollte es der Erste der Dichter. Seine ganze Manier zeigt, daß er nicht fortschreite, um [148] uns es sei, wovon es sei, ein Bild des Ganzen durch Succession zu geben, sondern er schreitet durch die Theile, weil ihm an dem Bilde des Ganzen ganz und gar nicht lag.

Ich wollte um alles nicht, Hrn. L. einen falschen Sinn angedichtet zu haben: in der Sache selbst mit ihm eins, machen mich nur in dem Grunde der Sache seine Schlüsse und Verbindungen verlegen. Dünkt jemand dieser Unterschied unbeträchtlich – so liegt mir nichts daran; andern wird er beträchtlich scheinen.

Homer ist immer fortschreitend in Handlungen, weil er damit fortschreiten muß, weil alle diese Theilhandlungen Stücke seiner ganzen Handlung sind, weil er ein Epischer Dichter ist. Ich brauche also den Wagen der Juno, und den Zepter des Agamemnon, und den Bogen des Pandarus nicht weiter kennen zu lernen, als sie in die Handlung mit eingeflochten, mitwirken sollen auf meine Seele. Darum also höre ich die Geschichte des Bogens, nicht damit mir diese statt Gemälde sey; sondern um einen Begrif von seiner Stärke, von der Macht seiner Arme, mithin von der Kraft seiner Sehne, seines Pfeils, seines Schusses zum Voraus in mich zu pflanzen. Wenn nun Pandarus den Bogen vornimmt, die Sehne anlegt, den Pfeil ansetzt – abdrückt! – wehe dem Menelaus, den der Pfeil eines solchen Bogens trift, wir kennen seine Stärke. Hr. L. kann also nicht sagen, es sey Homeren mit seiner Geschichte des Bogens, um sein Bild, und blos um sein Bild zu thun gewesen. Um nichts minder, als hierum: die Stärke, die Kraft des Bogens war seine Sache: sie, und nicht die Gestalt des Bogens, gehört zum Gedichte: sie, und keine andre Eigenschaft, soll hier energisch mitwirken, daß wir, wenn nachher Pandarus abdrückt, wenn nachher die Senne schwirrt, der Pfeil trift – um so mehr den Pfeil empfinden. Dieser Energie zufolge, die in einem Gedichte das Hauptwerk ist, erlaubt sich Homer, aus der Schlacht auf die Jagd zu spatzieren, und die Geschichte des Bogens zu dichten: denn ich sehe keine andre Art, diesen Begrif [149] in aller Stärke, als durch Geschichte. Durch ein Bild können wir eigentlich nur Gestalt lernen: aus der Gestalt müssen wir Größe, aus dieser Stärke erst schließen; durch eine Geschichte lernen wir diese unmittelbar – und wenn es dem energischen Künstler, dem Dichter, blos um diese Stärke zu thun ist, was soll er sich andre Arbeiten aufbürden? Der Maler male Bild, Gestalt; er aber wirke Stärke, Energie. – Die wirkt auch Homer von Anfange zu Ende der Beschreibung; nur freilich nicht, wenn ich ihn in der Umkleidung lese, die Hr. L. mit dem Schusse Pandarus macht; aus ihr ist blos ein successives, nicht aber (der Hauptzweck des Dichters!) ein energisches Bild zu hören: wobei wir nicht durch successive Töne Malerisch, sondern in jedem Tone energisch getäuscht werden, daß wir zusammen fahren sollen, wenn endlich ein solcher Bogen trift.

Ein gleiches gilt vom Zepter Agamemnons: ich betrachte die Geschichte desselben gar nicht »als einen Kunstgriff, uns bei einem einzelnen Dinge verweilen zu machen, ohne sich in die frostige Beschreibung seiner Theile einzulassen.« 15 Sein Zepter ist ein uraltes, Königliches, Göttliches Zepter! Der Begrif soll wirken; um alle andre Kunstgriffe und Allegorien bleibe ich unbekümmert.

Der Wagen der Juno wird beschrieben: 16 warum? natürlich, weil ich ohne den Dichter, diesen Wagen nicht gesehen, weil ich ihn erst kennen lernen muß, um einen himmlischen Wagen zu kennen. Warum wird er zusammengesetzt? Natürlich, weil wir einen himmlischen Wagen nie so gut kennen lernen, als wenn er erst in seinen Theilen da liegt, und zusammen gesetzt wird. Um also die Vortreflichkeit dieses Götterwagens, um den innern Werth aller seiner Theile, um seinen künstlichen Bau zu schildern, wird er zusammen gesetzt, nicht aber, um diese Theile successiv zu sammlen, da man sie coexsistent nicht sehen kann. Das Zusammensetzen ist hier kein [150] Kunstgrif; kein, quid pro quo, um uns so das Ganze zu geben: den ganzen Anblick zu sammlen, ist kein Zweck des Dichters; im Zusammensetzen selbst liegt die Energie der Rede; nichts mehr. Bei jedem Theile sollen wir ausruffen: prächtig! Göttlich! Königlich! – ist dies: ist dieser Begrif sinnlich vollkommen in der Seele; das Ganze mit seinen Theilen war nicht mein Bild: das mag ein Kutscher lernen. – Der Wagen ist zusammen: die Energie also vollendet: ich ruffe nochmals aus: prächtig! Göttlich! Königlich! und lasse Juno und Minerva kutschieren.

Der Schild Achilles 17 wird unter der Hand Vulkans: warum wird er? Natürlich, weil er werden soll! Achilles hat Waffen nöthig: Thetis flehet Vulkan darum an: er versprichts, steht auf, arbeitet – warum soll er nicht arbeiten? Im ganzen Homerischen Gedichte sind Götter wirksam: ihre Auftritte wechseln mit den Auftritten der Menschen ab: nun ist Nacht: die Handlung steht: Vulkan haben wir so lange nicht gesehen: seit dem er als hinkender Mundschenke der Götter erschien: Achilles hat seine Waffen mit Patroklus verlohren; nun gehe Thetis zum Vulkan, nun kann Vulkan schmieden: der Schild ist werdend. – Die ganze Scene gehört zur Handlung des Gedichts, zum Gange der Epopee, und ist keine Figur, die aus seinem Poem vorruffe, keine Besonderheit der Homerischen Manier. Im Werden, in der Schöpfung des Schildes liegt ja hier alle Kraft der Energie, der ganze Zweck des Dichters. Bei jeder Figur, die Vulkan aufgräbt, bewundere ich den schaffenden Gott, bei jeder Beschreibung der Maaße und der Fläche erkenne ichdie Macht des Schildes, das dem Achilleswird, auf welches der in das Interesse der Handlung verflochtne Leser so sehnlich, als Thetis, wartet. –

Kurz: ich kenne keine Successionen in Homer, die als Kunstgriffe, als Kunstgriffe der Noth, eines Bildes, einer Schilderung wegen, da seyn sollten: sie sind das Wesen seines Gedichts, sie sind der Körper der Epischen Handlung. In jedem Zuge ihres Werdens[151] muß Energie, der Zweck Homers liegen: mit jeder andern Hypothese von Kunstgriffen, von Einkleidungen, um das Coexsistente der Schilderung zu vermeiden, komme ich aus dem Tone Homers. Ich weiß, daß dieser Vorwurf groß sey, daß kein größers Hinderniß der Kraft eines Dichters gelegt werden könne, als nicht in seinem Tone zu lesen; allein deßwegen nehme ich meinen Vorwurf nicht zurück. Wer in dem Zusammensetzen des Wagens der Juno, und in der Geschichte des Bogens und des Zepters, und in dem Werden des Schildes, nichts als einen Kunstgrif bemerken will, um einem körperlichen Bilde zu entkommen: der weiß nicht, was Handlung des Gedichts sey, an dem hat Homer seine Energie verfehlet. Wenn Homer ein körperliches Bild braucht, so schildert ers, wenn es auch ein Thersites seyn sollte; er weiß von keinen Kunstgriffen, von keiner Poetischen List und Gefährde: Fortschreitung ist die Seele seines Epos.

Fußnoten

1 p. 153. 154. [463–4. freies Citat].

2 p. 178. 179. [477–8]

3 p. 174. 175. [475]

4 p. 154. 155. [464]

5 p. 155.

6 p. 155. [157 = 465]

7 p. 153. [463]

8 p. 167. [471]

9 Iliad. E.v. 722–731.

10 Laok. p. 163. 164. [469]

11 Laok. p. 183. 184. [480]

12 [p. 181 = 479]

13 p. 166. [471]

14 Laok. p. 180. 181. [478–9]

15 Laok. p. 159–63. [467–9]

16 Iliad. E.v. 722–731.

17 Iliad. Σ. 478 etc.

18.

Nun aber ist Homer auch nicht der einzige Dichter: es gab bald nach ihm einen Tyrtäus, Anakreon, Pindarus, Aeschylus u.s.w. Sein επος, seine fortgehende Erzälung, verwandelte sich mehr und mehr in ein μελος, in ein Gesangartiges, und drauf in ein ειδος, in ein Gemälde; Gattungen, die noch aber immer Poesie blieben. Ein Sänger, (μελοποιος) und ein Lyrischer Maler (ειδοποιος) Anakreon und Pindar, stehe also gegen den Geschichtsdichter (εποποιος) Homer.

Homer dichtet erzälend: »es geschah! es ward!« bei ihm kann also alles Handlung seyn, und muß zur Handlung eilen. Hierhin strebt die Energie seiner Muse: wunderbare, rührende Begebenheiten sind seine Welt: er hat das Schöpfungswort: »es ward!« Anakreon schwebt zwischen Gesang und Erzälung: seine Erzälung wird ein Liedchen, sein Liedchen ein επος des Liebesgottes. Er kann also seine Wendung: »es war!« oder [152] »ich will!« oder »du sollst!« haben – gnug, wenn sein μελος von Lust und Freude schallet: eine frohe Empfindung ist die Energie, die Muse jedes seiner Gesänge.

Pindar hat ein großes Lyrisches Gemälde, ein Labyrinthisches Odengebäude im Sinne, das eben durch anscheinende Ausschweifungen, durch Nebenfiguren in mancherlei Licht ein Energisches Ganzes werden: wo kein Theil für sich, wo jeder auf das Ganze geordnet, erscheinen soll: ein ειδος: ein Poetisches Gemälde, bei dem überall schon der Künstler, nicht die Kunst, sichtbar ist. »Ich singe!«

Wo mag nun Vergleichung Statt finden? Das Idealganze Homers, Anakreons, Pindars, wie verschieden! wie ungleich das Werk, worauf sie arbeiten! Der eine will nichts, als dichten: er erzälet: er bezaubert; das Ganze der Begebenheit ist sein Werk: er ist ein Dichter voriger Zeiten. Der andre will nicht sprechen; aus ihm singet die Freude; der Ausdruck einer lieblichen Empfindung ist sein Ganzes. Der dritte spricht selbst, damit man ihn höre: das Ganze seiner Ode ist ein Gebäude mit Symmetrie und hoher Kunst. – Kann jeder seinen Zweck auf seine Art erreichen: mir sein Ganzes vollkommen darstellen; mich in dieser Anschauung täuschen – was will ich mehr?

Es ist eine längst angenommene, und an sich unschuldige Hypothese, das Ganze jeder Gedichtart, als eine Art von Gemälde, von Gebäude, von Kunstwerke zu betrachten, wo alle Theile zu ihrem Hauptzwecke, dem Ganzen mitwirken sollen. Bei allen ist der Hauptzweck Poetische Täuschung; bei allen aber auf verschiedne Art. Die hohe wunderbare Illusion, zu der mich die Epopee bezaubert, ist nicht die kleine süße Empfindung, mit der mich das Anakreontische Lied beseelen will; noch der Tragische Affekt, in den mich ein Trauerspiel versetzet – indessen arbeitet jedes aufseine Täuschung, nach seiner Art, mit seinen Mitteln, etwas im vollkommensten Grade anschauend vorzustellen; es sey nun dies Etwas Epische Handlung, oder Tragische Handlung, oder eine einige Anakreontische Empfindung, oder ein vollendetes Ganze Pindarischer [153] Bilder, oder – alles muß indessen innerhalb seiner Gränzen, aus seinen Mitteln und seinem Zwecke beurtheilt werden.

Keine Pindarische Ode also als eine Epopee, der das Fortschreitende fehle: kein Lied als ein Bild, dem der Umriß mangele: kein Lehrgedicht als eine Fabel, und kein Fabelgedicht, als beschreibende Poesie. Sobald wir nicht um ein Wort »Poesie, Poem« streiten wollen; so hat jede eingeführte Gedichtart ihr eignes Ideal – eine ein höheres, schwereres, größeres, als eine andre; jede aber ihr eigenes. Aus einer muß ich nicht auf die andre, oder gar auf die ganze Dichtkunst Gesetze bringen.

Wenn also »Homer nichts als fortschreitende Handlungen malet, und für jeden Körper, für jedes einzelnes Ding nur einen Zug hätte, so fern es an der Handlung Theil nimmt:« 1 so mag damit seinem Epischen Ideal eine Gnüge geschehen. Vielleicht aber, daß ein Oßian, ein Milton, ein Klopstock schon ein anderes Ideal hätten, wo sie nicht mit jedem Zuge fortschreiten, wo sich ihre Muse einen andern Gang wählte? Vielleicht also, daß dies Fortschreitende blosHomers Epische Manier, nicht einmal die Manier seiner Dichtart überhaupt sey? – Der Kunstrichter soll hier ein furchtsames Vielleicht sagen; das Genie entscheidet mit der starken Stimme des Beispiels.

Noch minder darf ich, wenn mich die Praxis Homers auf die Bemerkung führet: »Homer schildert nichts als fortschreitende Handlungen,« sogleich den Hauptsatz drauf schlagen: »die Poesie schildert nichts, als fortschreitende Handlungen – folglich sind Handlungen der eigentliche Gegenstand der Poesie.« Wenn ichs bei Homer bemerke, daß »er alle einzelne Dinge nur durch ihren Antheil an diesen Handlungen, gemeiniglich nur mit einem Zuge, male,« 2 so darf nicht gleich der Stempel drauf: »folglich schildert[154] auch die Poesie nur Körper andeutungsweise durch Handlungen; folglich kann auch die Poesie in ihren fortschreitenden Nachahmungen nur eine einige Eigenschaft der Körper nutzen,« und was daraus mehr folgen soll, an Regeln von der Einheit der Malerischen Beiwörter, von der Sparsamkeit in den Schilderungen körperlicher Gegenstände – – u.s.w. Daß diese Grundsätze nicht aus einer Haupteigenschaft der Poesie fließen, z.E. aus dem Successiven ihrer Töne, woraus sie Hr. L. hergeleitet, ist bewiesen. Daß sie auch, und wenn sie alle in Homers Praxis so Statt fänden, wie Hr. L. glaubt, doch auch nicht aus dem Successiven der Poesie überhaupt, sondern aus seinem nähern Epischen Zwecke fließen, ist auch gezeigt. Warum soll nun dieser Epische Ton Homers der ganzen Dichtkunst, Ton, und Grundsatz und Gesetz so gar ohne Einschließung geben, als er sich bei Hrn. L. meldet?

Ich zittre vor dem Blutbade, das die Sätze: »Handlungen sind die eigentlichen Gegenstände der Poesie: Poesie schildert Körper, aber nur andeutungsweise durch Handlungen: jede Sache nur mit einem Zuge u.s.w.« 3 unter alten und neuen Poeten anrichten müssen. Hr. L. hätte nicht bekennen dörfen, daß ihn die Praxis Homers darauf gebracht; man sieht es einem jeden beinahe an, und kaum – kaum bleibt der einige Homer alsdenn Dichter. Von Tyrtäus bis Gleim, und von Gleim wieder nach Anakreon zurück: von Oßian zu Milton, und von Klopstock zu Virgil, wird aufgeräumt – erschreckliche Lücke. Der Dogmatischen, der malenden, der Idyllendichter nicht zu gedenken.

[155] Hr. L. hat sich gegen einige derselben erklärt, und aus seinen Grundsätzen sich noch gegen mehrere erklären müssen. »Die ausführlichen Gemälde körperlicher Gegenstände sind ohne den oben erwähnten Kunstgriff Homers, das Coexsistirende derselben in ein wirkliches Successives zu verwandeln« (es ist oben erwähnt, daß Homer von solchem Kunstgriffe nichts weiß, und ein Kunstgrif, was könnte der zu einem so großen Zwecke als Kunstgrif wohl thun?) – »sind jederzeit von den feinsten Richtern für ein frostiges Spielwerk erkannt worden, zu welchem wenig, oder gar kein Genie gehört.« 4 Von diesen feinsten Richtern werden angeführt: Horaz, Pope, Kleist, Marmontel; mich dünkt aber, daß sie für Hrn. L. nicht so ins Unbestimmte hin beweisen. Horaz am angeführten Orte, 5 schilt nicht die für Poetische Stümper, die einen Hayn, Altar, Bach, Strom u.s.w. malen, sondern am unrechten Orte malen:


Inceptis gravibus plerumque & magna professis
Purpureus, late qui splendeat, unus & alter
Assuitur pannus, cum lucus & ara Dianæ etc.
Aut flumen Rhenum, aut pluvius describitur arcus.
Sed nunc non erat his locus. – –

Pope erklärte ein blos malendes Gedicht für ein Gastgebot auf lauter Brühen; damit aber hat er ja nicht »jedes ausführliche Gemälde körperlicher Gegenstände,« das nur ohne den Homerischen Kunstgrif erschiene, für ein frostiges Spielwerk ohne Genie erklärt. Der Hr. v. Kleist, dünkt mich, wollte in seinenFrüling eine Art von Fabel legen (ein Plan ist so fern schon drinn, daß sein Gedicht nicht eine Menge von Bildern, die er aus dem unendlichen Raume der verjüngten Schöpfung blos auf gerathe wohl, bald hie, bald da, gerissen, sondern, nach der Angabe einer kritischen Schrift, ein Spatziergang ist, der die Gegenstände in der natürlichen Ordnung schildert, in der sie sich seinen Augen dargeboten) er wollte, sage ich, eine Fabel hinein legen; ja nicht aber jede ausführliche [156] Schilderung körperlicher Gegenstände, als ein frostiges Spielwerk, hinaus werfen. Und Marmontel endlich will zwar aus der Idylle mehr Moral, und weniger Physische Bilder haben; ob aber dadurch die Idylle eine mit Bildern nur sparsam durchflochtene Folge von Empfindungen, und wenn dies, eben dadurch auch »eine fortschreitende Folge von Handlungen werde, wo Körper nur mit einem Zuge geschildert werden sollen,« weiß ich nicht, und nach Hrn. L. ist sie im andern Falle nicht Poesie.

Handlung, Leidenschaft, Empfindung! – auch ich liebe sie in Gedichten über alles: auch ich hasse nichts so sehr, als todte stillstehende Schilderungssucht, insonderheit, wenn sie Seiten, Blätter, Gedichte einnimmt; aber nicht mit dem tödtlichen Hasse, um jedes einzelne ausführliche Gemälde, wenn es auch coexsistent geschildert würde, zu verbannen, nicht mit dem tödtlichen Hasse, um jeden Körper nur mit einem Beiworte an der Handlung Theil nehmen zu lassen, und denn auch nicht aus dem nämlichen Grunde, weil die Poesie in successiven Tönen schildert, oder weil Homer dies und jenes macht, und nicht macht – – um deßwillen nicht.

Wenn ich Eins von Homer lerne, so ists, daß Poesie energisch wirke: nie in der Absicht, um bei dem letzten Zuge ein Werk, Bild, Gemälde (obwohl successive) zu liefern, sondern, daß schon während der Energie die ganze Kraft empfunden, und werden müsse. Ich lerne von Homer, daß die Wirkung der Poesie nie aufs Ohr, durch Töne, nicht aufs Gedächtniß, wie lange ich einen Zug aus der Succession behalte, sondern auf meine Phantasie wirke; von hieraus also, sonst nirgendsher, berechnet werden müsse. So stelle ich sie gegen die Malerei, und beklage, daß Hr. L. diesen Mittelpunkt des Wesens der Poesie »Wirkung auf unsre Seele, Energie,« nicht zum Augenmerke genommen.

Fußnoten

1 Laok. p. 155. [465]

2 Alle Körper, die in Homers Gedichte mitwirken sollen, werden mit so viel Zügen geschildert, als mitwirken sollen. Auf einen schränket sich Homer selten ein; wenn es auch nur ein Stein, Geräth, Bogen, u.s.w. wäre – er nimmt sich immer Zeit, so viel Eigenschaften seines Körpers anzuführen, als hier Episch energisiren sollen. Schildert er eine Sache nur mit einem Zuge: so ist dieser meistens allgemein, und für diesen Ort unbedeutend: es sind die gewöhnlichen Beinamen, die er zu jeder Sache hat, die ihm oft wiederkommt.

3 Laok. p. 154. 55. [464]

4 p. 173. 74. [474–5]

5 De arte poetica v. 14.

[157] 19.

Malerei wirkt nicht aus dem Raume allein, d.i. Körper: sondern auch im Raume, durch Eigenschaften desselben, die sie zu ihrem Zwecke anrichtet. Nicht blos also, daß kein Gegenstand der Malerei ohne Sichtbarkeit und Gestalt Statt finde; sondern Sichtbarkeit und Gestalt sind auch die Eigenschaften der Körper: durch die sie wirket. Poesie aber, wenn sie nicht durch den Raum wirket, d.i. coexsistent, durch Farben und Figuren; so folgt noch nicht, daß sie nicht aus dem Raume wirken, d.i. Körper von Seiten der Sichtbarkeit und Gestalt schildern könne. Aus dem Mittel ihrer Wirkung folgt dies nicht: denn sie wirkt durch den Geist, und nicht durch den successiven Ton der Worte.

Malerei wirket durch Farben und Figuren fürs Auge: Poesie, durch den Sinn der Worte auf die untern Seelenkräfte, vorzüglich die Phantasie. Da nun die Handlung der Phantasie immer ein Anschauen genannt werden mag; so kann auch die Poesie, so fern sie derselben einen Begrif, ein Bild anschauend macht, füglich eine Malerin für die Phantasie genannt werden: und jedes Ganze Eines Gedichts, ist das Ganze Eines Kunstwerks.

Nur da die Malerei ein Werk hervorbringt, das während der Arbeit noch Nichts, nach der Vollendung Alles ist, und zwar in dem Ganzen des Anblicks Alles: so ist die Poesie Energisch, das ist, während ihrer Arbeit muß die Seele schon alles empfinden; nicht wenn die Energie geendigt ist, erst zu empfinden anfangen, und erst durch Rekapitulation der Successionen empfinden wollen. Habe ich also eine ganze Schilderung der Schönheit hindurch nichts empfunden: so wird mir der letzte Anblick nichts gewähren. –

Malerei will das Auge täuschen: Poesie aber die Phantasie – nur wieder nicht werkmäßig, daß ich in der Beschreibung das Ding erkenne; sondern bei jeder Vorstellung es zu dem Zwecke sehe, zu dem es mir der Dichter vorführet. Die Art der Täuschung ist also bei jeder Gedichtart verschieden, bei allen Gemälden nur zwiefach: entweder täuschende Schönheit, oder täuschende Wahrheit. [158] Aus diesem Zwecke muß also das Werk der Kunst und die Energie des Dichters geschätzt werden.

Der Künstler also wirkt durch Gestalten für das Ganze Eines Anblicks, bis zur Täuschung des Auges; der Dichter durch die geistige Kraft der Worte während der Succession, bis zur vollkommensten Täuschung auf die Seele. Wer also Farbe und Wort, Zeitfolge und Augenblick, Gestalt und Kraft mit einander vergleichen kann, vergleiche. –

Manches zu dieser Aufgabe hat ein scharfsinniger Engländer 1 vorgezeichnet, der im Geschmacke des Shaftesburi ein Gespräch über die Kunst, und ein andres über die Tonkunst, Malerei und Dichtkunst gegeben. – Schade nur! daß er im letzten, statt blos denUnterschied zwischen diesen dreien Künsten zu entwickeln, auf die leere Grille geräth, den Vorzug zu bestimmen, den eine vor der andern habe. Zwischen völlig ungleichartigen Dingen läuft eine bloße Rangordnung auf einen so Schülerhaften Wettstreit hinaus, als vor einigen Jahren die Malerei, Musik, Poesie und Schauspielkunst, unter der Aufsicht eines Magisters der Weltweisheit, förmlich und feierlich haben eingehen müssen. 2

Lasset uns sehen, was Harris für Seiten des Unterschiedes findet. Zuerst macht er die sehr deutliche Eintheilung zwischen Künsten, die ein Werk liefern, und Künsten, die durch Energie wirken. Jene sind, deren Wirkung coexsistirende Theile hat, wie eine Bildsäule, ein Gemälde: diese, die successive wirken, z.E. Tanz, Musik. Der Mittelpunkt des Leßingschen Werkes, in welchen alle Stralen fallen, ist also schon von Aristoteles angegeben. Wenn die Wirkung einer Kunst Energie ist: so kann die Vollkommenheit solcher Kunst nur während der Dauer wahrgenommen werden; [159] ist sie ein Werk: so ist die Vollkommenheit nicht während der Energie, sondern erst nachher, sichtbar.

Malerei, Musik und Dichtkunst sind alle Mimisch, nachahmend; verschieden aber durch die Mittel der Nachahmung; die Mallerei mimisiret durch Figur und Farbe; die Tonkunst durch Bewegung und Töne – Malerei und Tonkunst durch natürliche; die Poesie durch ein künstliches und willkührliches Mittel. – Diesen Unterschied hat der Verf. der Philosophischen Schriften aufs gründlichste aus einander gesetzt.

Jede Kunst hat ihre Gegenstände. Die Malerei Dinge und Begebenheiten, die sich durch Figur und Farbe ausdrücken lassen: Körper: Kräfte der Seele, die sich im Körper äußern: Handlungen und Begebenheiten, deren Vollständigkeit auf einer kurzen und augenscheinlichen Folge von Veränderungen beruhet: Handlungen, deren Veränderungen alle die ganze Dauer der Folge hindurch sich stets gleichförmig sind: Handlungen, die in Einen Zeitpunkt zusammenlaufen: viel mehr bekannte als unbekannte Handlungen – Man sieht, daß von dieser Seite betrachtet, Leßings Laokoon nicht vollendet sey, da er überhaupt mehr für den Dichter, als Maler, geschrieben. –

Gegenstände der Tonkunst: Dinge und Vorfallenheiten, die vorzüglich durch Bewegung und Töne ausgedrückt werden können: diese sind allerlei Bewegungen, Töne, Stimmen, Leidenschaften durch Töne u.s.w.

Gegenstände der Poesie sind die Objekte beider vorigen Künste. Zuerst, so fern sie durchnatürliche Mittel nachgeahmet werden. Hier war leicht zu erachten, daß die Poesie der Malerei nachbleiben müsse: denn alles lief dahin aus, daß Worte keine Farben, und der Mund kein Pinsel sey. Auch das ist mir befremdend, wie hier die Poesie der Tonkunst an natürlichen Tönen gleichkommen könne: Kurz! die Vergleichung ist übel gerathen. Durch bedeutende Worte, als durch willkührliche verabredete Zeichen, und dies sollte eigentlich der Punkt der Leßingschen Vergleichung seyn.

[160] In den eigentlichen Gegenständen der Malerei (d.i. die durch Farben, Figuren, und Stellungen charakterisirt sind – deren vollständige Einsicht nicht von einer Folge der Begebenheiten abhängt – wenigstens von einer kurzen und in die Augen fallenden Folge – wo alle mannichfaltige Nebenumstände in einen untheilbaren Zeitpunkt zusammenlaufen) in allen diesen Gegenständen bleibt der Dichter dem Maler nach: dennerstlich jener ahmt durch willkührliche Zeichen, dieser durch die Natur nach: dieser zeigt alles in dem nämlichen Augenblicke, wie in der Natur; jener nur theilweise, zergliedernd; und also langweilig oder dunkel.

Es giebt auch Gegenstände, die der Dichtkunst eigen sind: Handlungen, die in die Länge dauern, und die ein für die Malerei prägnanter Augenblick in Eins bringt: Sitten, Leidenschaften, Empfindungen, und Charaktere an sich, die sich am meisten durch Rede zeigen. Hier bleibt die Malerei völlig nach, leidet keine Vergleichung – –

Harris geht nachher in die Gränzen der Poesie und Tonkunst, wo ich ihm nicht nachfolgen mag. Hier wünsche ich der Dichtkunst noch einen Leßing. Er betrachtet genauer den sittlichen, den geistigen Eindruck der Poesie: eine wieder unberührte Saite, die ich auch nicht berühren mag. Ich wollte meine Leser blos auf einen Schriftsteller aufmerksam machen, der mit Leßingen einerlei Gegenstand bearbeitet, in manchem weiter gekommen, und scharfsinnig gnug war, seinen Gegenstand kurz und bündig zu erschöpfen, wenn er statt des leeren Rangstreites auf nichts, als auf Unterschied, hiernach auf Gränzen, denn auf Gesetze hätte sehen wollen.

Fußnoten

1 J. Harris Gespräche über die Kunst: über die Musik, Malerei und Poesie: über die Glückseligkeit.

2 Wettstreit der Malerei, Musik, Poesie und Schauspielkunst: Reden – gehalten unter der Aufsicht Wolfgang Ludwig Gräfenhahns, der Weltweisheit Magisters. Baireuth 1746.

20.

Ich will nicht sagen, daß Hr. Leßing nicht, dem Hauptzwecke seines Buches nach, gegen Caylus, und gegen Caylus Affen an Unterscheidung Recht behalte: nur nicht immer an Gründen der Unterscheidung, und am wenigsten im Hauptgrunde. Er dünkt [161] mich immer noch auf dem halben Wege, als wenn die Poesiedurch Succession auf ein Werk arbeiten sollte, und nicht schon eben in der Succession ihr Werk liefere.

Der Dichter, z.E. der uns Schönheit malen wollte, es sei nun ein Constantinus Manasses, oder Ariost, gieng nicht darauf aus, um hinten nach zu fragen: wie sahe Helena, wie sahe Alcina aus? 1 uns mit seiner Beschreibung ein vollständiges Bild zu hinterlassen, u.s.w. Er führt uns durch die Theile, um jeden derselben als schön anschauend zu machen, um, wenn wir alle Theile vergessen hätten, so viel anscheinend zu wissen: Helena, Alcina war reizend. Hat Ariost auf Hrn. Leßing damit keine Wirkung gemacht, so wird er vielleicht auf diejenigen seiner Landesleute Eindrücke machen, die die Schönheit in einer Alcina wie in einer gehauenen Venus theilweise anzuerkennen gewöhnt sind: oder wenn Ariost selbst eine Alcina sähe, würde er vielleicht auf solchem Wege – Und überhaupt kann man hier aus einer Vergleichung wenig folgern. Homer malt seine Helena nicht; 2 warum? weil sie ihn nicht angehet, weil er von Anfange bis zu Ende seines Gedichts nicht zu der Frage Zeit hat: wie sahe sie aus? sondern immer, was trug sich hier und damit zu? Helena kommt, die Greise sehen sie: wie anders, als daß sie fühlen und sagen mußten, was sie fühlten und sagten; nicht aber läßt Homer sie das fühlen und sagen, um »durch Wirkung anzuzeigen, daß Helena schön sey;« – Ariost hingegen, der Homer Italiens, der aber vom Griechischen Homer Alles eher, als dies beständige Fortschreiten der Handlung hat, Ariost, der sein ganzes Gedicht durch nicht das Werk zu seiner Manier macht: »Es ward, es ward, es ward,« sondern auch »es war,« und »wie war es?« Ariost hätte entweder so nicht fragen sollen, oder er mußte uns durch die Theile führen. – Nicht, daß wir nachher die Theile sammlen, zusammensetzen; nicht, daß nachher die Phantasie streben soll, sich das Ganze Eines Kunstwerks [162] zu denken; im Schildern selbst, im Durchführen durch seine Theile hat er seinen Zweck erreichen wollen – ob er ihn erreicht? Davon mag jeder denken was er will; gnug, er wollte ihn während der Energie erreichen.

Wenn der Dichter die Schönheit lieber in Wirkung, in Bewegung, d.i. reizend vorstellet, so thut ers nicht, damit diese sich bewegende Schönheit dem sich bewegenden Verse entspreche; nicht als wenn jeder Zug der Schilderung, der Form, Gestalt, und nicht Wirkung, nicht Bewegung ist, deßwegen unpoetisch würde: 3 sondern ich generalisire den Satz lediglich so: »jede Schilderung der Schönheit wirke energisch« d.i. zu dem Zwecke des Dichters, zu dem sie da ist, und denn während jedem Zuge, den sie liefert. Hiernach möge sich Ariost verantworten: aber das Leßingsche Gebot: »Schönheit des Körpers zeige sich bei dem Dichter blos durch Wirkung, blos durch Bewegung,« 4 räumt zu viel auf.

Zu viel selbst in Homer; denn ich weiß wohl nicht, ob bei der ganzen Juno, wenn er sie nicht körperlich, wenn er sie nur durch ein Beiwort schildern wollte, kein wirksamerer, kein reizenderer Zug sey, als der, die weißellbogichte Juno, (man erlaube mir das ungeheure Wort!) ob dieser eine Zug der sei, durch den sie an der Handlung Theil nehme, der durch ihren Körper Handlung bezeichne, u.s.f. So seine schönknieichte Briseis, und seine blauäugichte Pallas, und sein breitschulterichter Ajax, und sein geschwindfüßiger Achilles, und seine schönhaarige Helena – wo ist hier Wirkung, Bewegung, Reiz, Handlung? – Immer ein schöner Zuruff an die Dichter: 5 »Malet uns das Wohlgefallen, die Zuneigung, die Liebe, das Entzücken, welches die Schönheit verursachet« – (wenn dies nämlich die Energie eures Gedichts will!) so habt ihr die Schönheit selbst geschildert, (nämlich so fern ihr sie nach der vorigen Parenthese schildern müsset:) Nicht aber umgekehrt: [163] ihr Dichter, schildert keine körperliche Schönheit; könnet ihr sie nicht durchgängig in Reiz, in Wirkung schildern; der Form nach müsse euch kein Zug entwischen: der Gestalt nach schildert sie nicht. – So umgekehrt habe ich auf den Satz wenig Zutrauen.

Wer kann leugnen, daß in mancher Gedichtart der erotischen Poesie körperliche Schönheit geschildert werden müsse, und wer muß nicht alsdenn auch zugeben, daß manche Theile dieser körperlichen Schönheit in Reiz, in Bewegung, nicht geschildert werden können? Einmal vorausgesetzt, daß Ariost ein Gemälde seiner Alcine liefern sollte und wollte: wie konnte er wohl ihre Nase, Hals, Zähne, Arme inWirkung schildern? Hr. L. fragt: 6 was eine Nase sey, an welcher der Neid nichts zu bessern findet: und ich frage: was eine Nase sey, die sich in Reiz, in schöner Bewegung zeige? – Ariost mußte also entweder solche Theile auslassen, und da ers nun einmal auf Schilderung angesetzt: so würde die Auslassung einem Italiener so geschienen haben, als jene seine Lobsatyre, auf ein schönes aber großnasichtes Mädchen, die alle Theile ihres Gesichts zum Himmel erhob, und bei Schilderung der Nase ohnmächtig aufhörte. Oder er mußte solche Züge, die sich nicht an ders, als durch die Form anschauend machen ließen, schon so schildern, und sich desto mehr an andern Reizvollen geistigen Zügen erholen. Ich halte diese Vermischung auch zu sehr nach dem Geschmacke der Italiener, als daß sie sich durch die vorstehende Leßingsche Critik diese und dergleichen Schilderungen, von denen ihre Dichter voll sind, würden rauben lassen. Noch minder gilt die Ursache, 7 warum Ariost mit seiner Schilderung Unrecht haben soll: »was für ein Bild geben diese allgemeinen Formeln? In dem Munde eines Zeichenmeisters, der seine Schüler auf die Schönheiten des akademischen Modells aufmerksam machen will, möchten sie noch etwas sagen; denn ein Blick auf dieses Modell, und sie sehen Stirn, Nase, Hand u.s.w. Aber bei dem Dichter [164] sehe ich nichts.« Eben als wenn der Dichter die Figuren, die er schildert, auch im Kupfer müßte vorstechen lassen? Wer hat nicht eine Nase, Hand, Stirn gesehen, und wem kostet es Anstrengung, sich eine Stirn, in den besten Schranken, den schönsten Schnitt einer Nase, die schmale Breite einer niedlichen Hand zu denken, jedesmal, da sie der Dichter nennet. Ich empfinde hierbei nicht so, wie Hr. L. mit Verdrusse die Vergeblichkeit meiner besten Anstrengung, so etwas einzeln sehen zu wollen; nachher aber jedes zusammen zu setzen, mir Alles in Einem, und Eins in Allem zu denken, die Alcina mir mit jedem dieser Theile im Ganzen, deutlich, wie ein Zeichenmeister, zu denken – o die Anstrengung fodert ja nicht der Dichter von mir! er führte mich theilweise, zeigte mir in jedem Theile die Schönheit: da energisirte seine Muse, und warum nicht? da sie kein akademisches Model von Schönheit, das man auf einmal in allen seinen Theilen sehen sollte, zu liefern unternahm.

Und soll die Dichtkunst keine schöne Gestalt schildern, weil ihre Theile coexsistent sind; so sollte Homer auch keine häßliche Gestalt, keinen Thersites geschildert haben, weil ihre Mißtheile eben so coexsistent sind, und auch coexsistent gedacht werden müssen, wenn ein Bild der Häßlichkeit werden soll. Leßing hat Homer durch sein Gewebe von kritischen Regeln selbst verwickelt, und nun will er mit ihm hinaus, wo er kaum durchkommt. »Eben weil die Häßlichkeit in der Schilderung des Dichters zu einer minder widerwärtigen Erscheinung körperlicher Unvollkommenheiten wird, und gleichsam, von der Seite ihrer Wirkung, Häßlichkeit zu seyn aufhöret, wird sie dem Dichter brauchbar.« 8 Mich dünkt, Hr. L. thue einen Fehlstreich, um die Verlegenheit zu zerstücken. Wäre die Frage: wie kann der Griechische Dichter einen Häßlichen schildern, da ihn doch der Griechische Künstler nicht schildern mochte? so mag die Antwort gelten: die Figur tritt uns nicht mit einmal vors Auge: in der Schilderung des Dichters ist sie minder widrig: sie [165] höret von der Seite der Wirkung auf unsern Anblick auf, häßlich zu seyn. Aber was soll das hier? Es wird einmal eine körperliche Gestalt geschildert, successive geschildert, da ihre Theile und Mißtheile doch zusammen exsistiren, da sie doch in Verbindung gedacht werden müssen, wenn der Begriff der Häßlichkeit aufkommen soll – weg also, mit dem Thersites, nach L. Grundsätzen, nicht weil er häßlich, sondern weil er ein Körper ist, weil er als körperliche Gestalt, und doch successiv, geschildert werden muß.

»Aber der Dichter kann ihn nutzen! er nutzt ihn zu 9 – –« so kann er doch also Formen, körperliche Schilderungen nutzen? und wenn er sie nutzen kann, sind sie ihm erlaubt? worüber streiten wir denn? Kann er häßliche Formen nutzen, wie weit eher schöne? und sind ihm jene erlaubt, wie weit eher diese? So kann er doch also, wenn er Energie in sie legt, auch körperliche Gegenstände schildern – was wollen wir mehr? Die Schärfe des Bogens hat nachgelassen: erschlaffet liegt er da! Mit einer solchen Zugabe hat Hr. L. den größten Theil seines Buches wiederlegt.

Fußnoten

1 Laok. p. 204. [492]

2 p. 202. 215. [491. 498]

3 Laok. p. 217. [499]

4 p. 215. [216 = 499. Freies Citat.]

5 p. 215. [499]

6 p. 210. [496]

7 p. 210.

8 p. 232. [508]

9 Laok. p. 232. [Freies Citat].

21.

Und wozu nutzet denn Homer den Thersites? Die Frage wird wieder Homerisch, und in Homerischen Fragen antworte ich so selten mit Hrn. L. gleich. »Homer macht den Thersites häßlich, um ihn lächerlich machen zu können. Durch seine bloße Häßlichkeit wird er nicht lächerlich; aber auch ohne dieselbe nicht seyn.« 1 , Auf diese Assertion bauet Hr. L. einen Theil seiner Theorie des Lächerlichen, der ich lieber einen andern Ort und Grundlage wünschte, als hier.

[166] In meinem Homer ist der Hauptcharakter Thersites nicht lächerlich, sondern häßlich; er ist kein lächerlich, sondern [ein] boshaft knurrender Kerl, er hatdie schwarzeste Seele unter allen vor Troja. 2 Alle sitzen ruhig; der einige Thersites lärmt noch umher: 3 er fängt, wahrhaftig nicht zum Spaaße, sondern mit der bittersten Galle an, zu zanken: er schmähet die Könige, aber gewiß nicht als Hofnarr, sondern als Feind, als Todfeind. Wie derb und empfindlich 4 schmälet er auf Agamemnon! auf seinen Geiz, auf seine Feigheit, auf seine Ungerechtigkeit! Und das alles, vor der Armee, verläumdend und lügenhaft, im dreustesten Tone, als ein Richter der Könige! und dazu, als wäre es im Namen aller Griechen, 5 als hätten ihn alle dazu gedungen! und in eben demselben Athem schimpft er die ganze Nation 6 selbst, schilt alle Griechen für Feige und Nichtswürdige, spricht in einem Tone, als hätte er mehr, als alle, gethan, müsse für alle sorgen, könne allen gebieten, könne über alle urtheilen! Und noch nicht gnug! er muß noch einen Abwesenden, 7 den Tapfersten der Griechen, den Achilles schmähen, und zwar mit der gräulichsten Lüge schmähen, daß Achilles kein Herz habe – O der nichtswürdige, häßliche Kerl! Nach Griechischen Begriffen konnte kein Nichtswürdigerer vor Troja gefunden werden.

Und wenn er noch das alles aus Dummdreustigkeit sagte! aber nun kennet ihn Homer besser: er war schon von jeher gewohnt, so Pöbelhaft sich gegen die Könige zu setzen, um – den Griechen eine Freude zu erwecken, einen Gefallen zu thun 8 – und nun wird [167] der Kerl noch niederträchtiger, noch häßlicher. Nach Griechischen Begriffen der Ehre, kann es keine häßlichere Seele geben.

Daher hassen ihn auch alle Griechen: 9 daher auch mitten in ihrer Betrübniß das Freudengelächter, 10 da sich Ulysses seiner erbarmet, und ihn mit seinem Zepter zum Schweigen bringt: daher die allgemeine Stimme: »Ulysses hat nie eine herrlichere That gethan, als jetzt, da er diesen bösartigen Schwätzer gezüchtigt.«

So schildert ihn Homer mit jedem Zuge: so zeigt er sich selbst mit jedem Worte: so begegnet ihm Ulysses mit Auge, und Mund und Hand. Er wirft ihm den verächtlichsten Blick zu; 11 spricht und handelt mit ihmen Canaille; so beträgt er sich hintennach selbst: er hängt die Nase, krümmt den Rücken, und weint – verächtlichste, häßlichste Seele vor Troja! Nach Griechischen Begriffen war der Werth eines Mannes, eines Soldaten, eines Helden auf edlen Stolz gegen sich selbst, auf Ehrerbietung gegen die, so Ruhm verdienten, auf Männliche Wahrheitliebe, auf Achtung gegen das Publikum, auf freien Gehorsam gegen die Obern, auf Ehre gebauet – in jedem Verstande war dies ein Ideal einer häßlichen Seele.

Und nach Griechischen Begriffen muß auch eine so häßliche Seele keinen andern, als den häßlichsten Körper, bewohnen: so schildert ihn Homer: »Am Gemüthe der Bösartigste, am Körper der Häßlichste aller Griechen vor Troja.« 12

Wo ist nun, daß Homer den Thersites häßlich macht, um ihn lächerlich zu machen? Ihn als Possenreißer vorführen, will er wahrlich nicht: blos ein Misverstand des Griechischen Ausdrucks 13 hat Hrn. L. und andre dazu verleitet. »Er war so niederträchtig,[168] sagt Homer, daß er seine Pflicht vergaß, mit den Königen zankte, sich Prügel verschaffte, blos, um den Griechen mit seinen Reden eine Freude zu machen;« – nichtswürdige Seele! die alle für so misvergnügt, so häßlich knurrend hält, als sich selbst, die allen durch ihre Bosheit einen Gefallen zu thun glaubt. So erkläre ich Homer, und finde diesen Zug dem ganzen Gemälde seiner Reden, seiner Handlungen gleich, niederträchtig, häßlich. So nimmt ihn Ulysses: er schilt seine Bosheit, verachtet seine Feigheit, straft seinen Trotz; so nehmen ihn die Griechen: sie hassen ihn, hören ihn mit Unwillen, und freuen sich, da sein Rücken blutet: so tritt er vor, so wird er abgefertigt.

Ich sehe also nicht, daß das γελοιον sein Hauptcharakter ist, noch minder, daß dieser Charakter ohne Häßlichkeit nicht seyn könnte, wie Hr. L. philosophirt. 14 Ein häßlicher Körper, und eine häßliche Seele, was giebt dann das für einen Kontrast des Lächerlichen! Nach Griechischen Begriffen gehört nichts besser zusammen, und auch Homer giebt ihm den häßlichen Körper, eben um den Unwillen gegen ihn zu bestärken, um seine häßliche Seele uns sichtbar vor Augen zu stellen, um uns den Kerl durchaus verächtlich zu machen. Das Lächerliche ist so wenig die Hauptfarbe im Thersites, daß selbst die Züge, die man dahin zu ziehen pflegt, sein unendliches Geschwätz, 15 sein vieles Geräusch, 16 sein Pöbelausdruck, 17 sein Zweck, 18 um den Griechen einen Gefallen zu thun – nicht den Lustigmacher, sondern nach Griechischen Begriffen, den in allem nichtswürdigen Menschen schildern. Selbst, daß die Griechen über ihn lachen, ist Schadenfreude, ist ein Gelächter des Hasses; nicht die unschuldige Freude über eine lustige Prise, die unschuldig lächerlich wird. Wäre Thersit ein solcher; er sey auch dumm, er sey auch häßlich am Körper; wenn er nicht boshaft handelte – o so [169] vergebe ich es Ulysses nicht, daß er so mit ihm umgehet. Laß den Häßlichen, der sich schön, den Dummen, der sich klug, den Feigen, der sich tapfer dünkt, nur immer ohne blutige Schwiele auf dem Rücken laufen! Laß o Ulysses, nur immer deinen Zepter ruhen, und wenn du nach deiner Klugheit dich selbst kennest, so sprich zu dem, der dir blos lächerlich auf der Nase spielt, was Onkel Tobias Shandy zu jener Fliege: »Geh, armer Teufel! warum sollte ich dir was thun? die Welt ist gewiß weit gnug, mich und dich zu fassen.« Thust du das nicht? willst du einen häßlichlächerlichen dafür abprügeln, daß er häßlich und lächerlich ist? Ulysses so – –

Doch so ist der Homerische Thersites nicht; er verdient, was er bekam: wir sagen mit den Griechen im Homer: »nie hat Ulysses edler gehandelt, als jetzt!« wir gönnen ihm gern seine Tracht Schläge. Wo bleibt also das Unschädliche, das ου φϑαρτικον, das Aristoteles zum Lächerlichen fodert? dem Ulysses und Agamemnon schadet freilich sein bösartiges Verläumden nicht; aber für seinen eignen Rücken geht es nicht so gut ab; denn wem wird ein blutiger Schwielenvoller Rücken, als ein ου φϑαρτικον τι, oder, als ein gutes Unterkleid dünken. Auch den Griechen konnten Schläge, als Schläge, kein Schauspiel des Lächerlichen scheinen; wenn ihr schadenfroher Haß gegen Thersites ihnen nicht in dieser Strafe das: Nicht zu viel! das Viel mehr verdient! hätte fühlen lassen. Der erste Strich vom Lächerlichen, dasUnschädliche, ist also ziemlich zweifelhaft: und der andre, der Contrast zwischen Vollkommenheiten und Unvollkommenheiten, erliegt bei Thersites unter dem Eindrucke desUnvollkommenen, des an sich selbst Häßlichen. Auch wer ein Grieche werden kann, wird Thersites in diesem Lichte sehen.

Nur weil Homer keine einzige Person seiner Welt zum Ideal des höchst Vollkommnen oder Unvollkommnen machet: so vertreibet er auch hier die übermäßige Farbe des Häßlichen etwas, daß sein Thersites nicht vor allen Figuren seines Gedichts vorruffe. Hat er kein Gutes, so hat er doch noch das Gute an sich, daß er auf sich [170] selbst einen Werth setzt, daß er, seine Beredsamkeit, seine Klugheit und Ehrlichkeit mag so leidig seyn, wie sie will, sich doch diese Häßlichkeit nicht zutrauet: so wird der sonst ganz und gar Verachtens-Hassenswürdige doch etwas leidlicher; es geht auf ein Lächerliches hinaus. Nur ist dieses Letzte so sehr Nebenzug, es liegt so wenig in seinem Charakter, daß es sich, als ein fremder Zug, nur vorübergehend, nur hinten nach einmischet. Homer läßt seine Häßlichkeit auf etwas Unschädliches auslaufen, um sein ganz Häßliches, ganz Verabscheuungswürdiges zu lindern; nicht aber umgekehrt: »Homer macht den Thersites häßlich, um ihn lächerlich zu machen: nicht seine bloße Häßlichkeit macht ihn lächerlich; aber auch ohne Häßlichkeit wäre er nicht lächerlich geworden u.s.w.« Schöne Unterscheidungen! nur Schade, daß Homer an ihnen so unschuldig ist, als ich. Sein Thersit ist ganz häßlich, nur es nimmt mit ihm ein lächerliches Ende. Gesetzt indessen, Thersites wäre der, für den ihn Hr. L. erkennet: so sind seine Beobachtungen überhaupt, Philosophisch und richtig.

Nun aber hat eben dieser lächerliche Thersites unschuldiger Weise zu einem andern Buche von 284. Seiten Gelegenheit geben müssen, in welchem er s.v. die Hauptfigur ausmacht. Hr. Klotz hat ihn würdig geachtet, meistens über ihn ein Bändchen Epistolarum Homericarum (vielleicht ein zweiter Riccius) zu schreiben, und ihn darinn feierlich in die Acht zu erklären, in den Bann zu thun, ins Feuer zu werfen – kurz, aus Homer auszurotten. Ich habe gesagt, daßüber Thersites die Homerischen Briefe geschrieben; denn außer dem, daß er ihnen den meisten Inhalt, d.i. die meiste Gelegenheit, umher zu schwärmen, verschaffet; so würde ich, wenn ich Verfasser der Briefe wäre, es meinem Leser danken, wenn er die übrigen Materien, so ohne Prüfung, vorbeischleichen lässet.

Hr. Klotz also macht nach einem Eingange von achtzehen Seiten, in denen er uns, nach seiner Gewohnheit, nichts mehr sagt, als: ich bin auf dem Lande, und lese, die sehr neue Bemerkung: 19 [171] daß ein großer Geist auch Fehler habe – daß Homer selbst zuweilen schlummere, daß man diese Stellen des Schlummers bemerken dörfe – daß Er – – und nach aller gesteigerter Erwartung kommt das große und breite Beispiel: 20 »daß Homer geschlummert, glaube ich, erhelle an den Orten, wo er, – es sey nun, daß er sich damit nach den Sitten seines Zeitalters bequemet, die noch nicht gnug gefeilt waren, und bei ihrer Einfalt etwas Bäurisches und Rauhes haben; oder weil es schwer ist, zurück zu halten, wovon wir glauben,es werde den Lesern Lachen erwecken; oder durch einen Fehltritt seiner Beurtheilungskraft – kurz! wo er sich zu dem herab läßt, wovon ich halte, es schicke sich zu der Würde und Ernsthaftigkeit des Epischen Gedichtes ganz und gar nicht. Ich meine aber, daß Homer dadurch, daß er zuweilen, an einem sehr unschicklichen Orte, seine Leser lachend machen will, daß er dadurch sein Göttliches Gedicht mit nicht leichten Flecken besudele, die ihm (dem Gedichte nämlich)eine nicht geringe Verunstaltung, dem Leser aber – Verdruß erwecken. Die Sache wird aus dem zweiten Buche erhellen – –« Ob ich gleich meinen ernsthaften Autor sehr ehrerbietig, wie ein Dekret der Sorbonne übersetze, und seinen Styl, der im vollen Monde gebildet worden,


– – for scull
That's empty, when the Moon is full,

mit allen seinen Gelenken und Gliedern gern ganz liefre; so kann ich doch ein Paar Seiten 21 überspringen, in denen er Homers Auftritt des Thersites vorbringt. Was Homer gesagt, ist mir was Altes, aber was darüber gesagt wird, etwas Neues. »Nun will ich nicht läugnen, daß Homer alles gesammlet, was den Anblick des Menschen häßlich und lächerlich machen kann; und auch das sehe ich leicht ein, warum Claudius Belurgerius (v. Nic. Erythraei Pinacoth. p. 205. & Vincent. Paravicini Singul. Erud. [172] Cent. III. n. 12. p. 150.) sich an diesem Bilde des Thersites, von der Hand eines geschickten Künstlers gemalt, so sehr ergötzet. Immer aber wollen wir den Spruch Quintiliani betrachten: Nihil potest placere, quod non decet, zu Deutsch: Nichts kann gefallen, was nicht anständig ist. Wenn dieser Mensch etwa in einer Satyre, ober in einem andern Possengedichte aufträte: so würde er mich nicht wenig ergötzen, und ich würde dem Dichter gern das Lob des Witzes, und der Erfindung ertheilen.


Sed nunc non erat his locus etc. etc.«


Mit Erlaubniß des Hrn. Chr. Ad. Klotzius, undClaudius Belurgerius will ich hier eine lange Stelle aus Horaz, und Beispiele aus Virgil, Tasso, und wer weiß woher? 22 übergehen, die von der Belesenheit des Hrn. Briefstellers zeigen, und den Satz hierdurch sich selbst, am besten bestätigen: daß manches zu sehr unrechter Zeit kommen könne. Ich will bei Thersites bleiben. »So wie es unschicklich ist, in einer Scherzsache Trauerspiele zu erwecken, so auch in einer ernsthaften Sache zu lachen, wer würde das für anständig halten? hier wollen wir nicht lachen, wir sind voll Erwartung, die uns der Poet selbst eingeflösset, was die Sache für einen Ausgang nehmen wird. Wir sehen das ganze Kriegsheer erregt, zusammen laufend: wir wollen wissen, ob die Griechen wieder die Waffen ergreifen, oder nach Hause gehen werden: und siehe! da stößt uns jenes Fratzengesicht (zu Griechisch μορμολυκειον!) auf, und hält uns Eilende bei der Schleppe zurück. Wir widerstreben, wir sind auf den un willig, der uns das Ungeheuer zuschickte, und da, wo wir ernsthaft, nicht blos seyn wollten, sondern auch mußten, lachen wir leider.« Alle Hochachtung für des Hrn. Klotzius Ernsthaftigkeit und seine Schleppe! wollte ich hier nur ein Paar Kleinigkeiten fragen: ob nämlich Homer uns mit einer Bürgermeister- oder Scholiasten-Perucke vorsinge? ob sein Thersites denn als eine Possenfigur, [173] als ein Ding zum Lachen auftrete? Ist dies nicht, tritt er jetzt in diesem kritischen Zeitpunkte, als ein Redner im Namen der ganzen Griechischen Canaille auf, alles abzusagen, was solche Thersites in der Griechischen Armee auf ihren Herzen hatten: gewiß! so kann Homer keinen gelegenern Zeitpunkt finden, als diesen, und das Colorit, in dem Thersites erscheint, ist so dem Epischen Tone gemäß, daß ich mir ihn in keinem andern denken kann. Nicht häßlicher; sonst verdient er den Augenblick todtgeschlagen zu werden; nicht frömmer; sonst würde er schweigen, und so würde kein Herold seyn, der auch die Stimme des Pöbels einmal hören ließe. Ich bin also vor meiner Schleppe und vor einem unanständigen Lachen sicher! Der ernsthafte Homer aber, der seinen Thersites ganz anders, nämlich als ein unnützes Fratzengesicht, als ein Ungeheuer, das sich zum Lachen vordrängt, kennet, und davor sehr bange ist, fährt fort:

»Wenn wir hingegen den Menschen weg werfen, wenn wir alle die Verse wegschneiden, laßt sehen, ob wir nicht eine ernste Mine behalten werden? 23 Ich sage es noch einmal, Homers Thersites gefällt mir nicht, und wird mir nie gefallen, wenn ihn auch Medea wieder verjüngte. Wegjagen wollen wir den Menschen, oder wenn er sich widersetzte, und sich erkühnte, Uns auch, so wie die Griechischen Feldherren, zu schmähen, so soll er mit umgedrehetem Genicke heraus. Zwar zweifeln wir nicht, daß auch Er seine Vertheidiger finden, daß sich Einige finden werden, die an den artigen Jungen nicht wollen Hand angelegt haben. Denn es giebt Leute, die mit den Musen und mit der Philosophia in keinem Umgange, in keiner Bekanntschaft stehen, die die Wissenschaften blos als Handwerk gelernt, die da schreien u.s.w. – « 24 Wehe mir! dieser scheltende sehr ernsthafte Ton geht eilf Seiten durch, und wie sollte ichs nun wagen, einen Thersites Homers zu retten, der ohne Grund und Ursache verurtheilt ist. Wehe mir! so gehöre auch Ich alsdenn unter die Leute, die [174] mit den alten Jungfern, den Musen, und mit der ehrbaren Dame Philosophia in keinem Umgange stehen, denn ich hätte geglaubt, Thersit wäre zu viel geschehen. Ich lege also voll ernsthafter Ehrerbietung die Hand auf den Mund, und reiche blos mit geziemender Achtung dem h.t. größten Kenner Homers in Deutschland diesen alten Dichter zum nochmaligen Durchlesen dar: denn aus diesen und andern Urtheilen, die er über Homer hie und dort gefället, haben viele Leser mit Recht gemuthmaßet, er kenne denselben vielleicht nur noch aus dem ersten flüchtigen Durchlaufe, den er, wie er uns selbst mit der liebenswürdigsten Offenherzigkeit erzählt, 25 einmal mit seinem Stubenburschen in 24 Tagen durch den ganzen Homer hin angestellet, um nur ohngefähr etwas von der Form des ganzen Werks zu wissen, und sich eineCopiam vocabulorum anzuschaffen. Nun kann dies freilich noch nicht heißen Homer in Homers Sinne lesen, und es scheint aus diesem flüchtigen Durchzuge ihm manches aus Homer entwischet zu seyn, manches aber sich in ihm angeklebet zu haben, was nur Er so bemerket. Künftig kann ich davon mehr Proben geben; jetzt wiederhole ichs von Thersites. Wie ich ihn kenne, ist er nicht da, um lächerlich zu seyn, um uns die Schleppe zu zerreißen, um uns zum ungeziemenden unartigen Lachen zu bringen. Noch ist er da, um blos häßlich zu seyn, damit doch nicht lauter schöne Leute vor Troja seyn mögen. Noch ist er am unrechten Orte da, daß man ihm das Genick umdrehen dörfte. Er gehört mit zur Handlung des Gedichts, und ist der Mund des Griechischen Pöbels, der sich jetzt erklären soll oder gar nicht. Er ist nicht lächerlich, sondern häßlich, und um nur [175] dies Häßliche einiger maßen zu lindern, so läßt es Homer auf Einen verkleinernden Zug hinauslaufen: statt ihn als Kronverbrecher zu tödten, ihn nur gelinder strafen; statt ihn ganz zum Abscheue zu machen, versöhnt er ihn durch einen Nebenzug zuletzt mit dem Herrn. Ihm einen andern Charakter zu geben, heißt aus der Lateinischen Uebersetzung urtheilen, und in Homerischen Briefen dieses an Tag zu legen, ist 26 – Doch ich kehre lieber zu meinem lieben Leßing, bei dem ich überall unterhaltende Gründe finde –

Fußnoten

1 p. 233. [234 = 508–9]

2 So machte ihn Ulysses

ου γαρ εγω σεο φημι χερειοτερον βροτον αλλον

Εμμεναι, οσσοι αμ' Ατρειδησ' υπο Ιλιον ηλϑον.

Iliad. β. v. 248. 249.

3 Iliad. β. 212.

4 v. 221. etc.

5 227. – – άς τοι Αχαιοι διδομεν x. τ. λ.

6 v. 235.

7 v. 241.

8 v. 215. ό, τι οί εισαιτο γελοιϊον Αργειοισιν Εμμεναι.

9 Iliad. β. v. 222. 223.

10 v. 270. etc.

11 v. 245. υποδρα ιδων.

12 Αισχιςος δ' ανηρ υπο Ιλιον ηλϑεν. v. 216.

– – ου χερειοτερος βροτος αλλος v. 248.

13 Τι οί εισαιτο γελοιϊον Αργειοισιν

Εμμεναι – – – v. 215.

14 Laok. p. 233. 34. [508–9]

15 Αμετροεπης.

16 Εκολωα.

17 Επεα ακοσμα, ου κατα κοσμον.

18 Τι οί εισαιτο γελοιϊον Αργειοισιν.

19 Klotz. epist. Homer. p. 24.

20 p. 24.

21 p. 25. 26.

22 p. 28–30.

23 [Epist. Hom. p. 31.]

24 [p. 44].

25 Hortabatur vero idem (Baumeisterus) me inprimis ad studium graecarum litterarum, quarum in me erat levis cognitio. Hinc una cum Neomanno, aequali et familiari meo, divina Homeri carmina non tam legi, quam deuoraui, ut intra viginti circiter quatuor dierum spatium omnia perlegeremus. Fuit enim tum nobis illud tantum modo propositum, ut formam aliquam magni operis et speciem animo informaremus atque verborum nobis compararemus copiam. In praef. Eleg. p. 8.

26 Die lateinische Uebersetzung freilich spricht vonverbis scurrilibus, von dem non prout decebat, von dem quodcunque videtur ridiculum Argiuis; und aus ihr kann man also sicher den Thersites, so in lateinische Phrases übersetzen: hic homo scurram agere, risum reliquorum Graecorum captare solebat, dedecet carminis grauitatem etc. Alles nach der lateinischen Uebersetzung gut und richtig; wer wird aber Homer in einer lateinischen Uebersetzung lesen?

22.

Und zwar jetzt zu ihm als Psychologen. »Der Dichter nutzt die Häßlichkeit, um die vermischten Empfindungen des Lächerlichen und Schrecklichen hervorzubringen.« 1

Zuerst bemerke ich: daß so verschieden an sich diese zwo Gattungen vermischter Empfindungen Schreckliches und Lächerliches seyn mögen, so bald können sie sich in einander verwandeln. Das Schreckliche, als unschädlich erkannt, wird eben, weil es uns schrecklich dünkte, lächerlich; das Lächerliche, als schädlich erkannt, eben weil es uns nur lächerlich dünkte, schrecklich. Vielleicht werden beide 2 also das Häßliche aus Einer Ursache, ihrer verwandten Natur nach, nutzen? Wir wollen forschen:

Nicht alles Lächerliche darf häßlich seyn. Unter der großen Menge unschädlicher Kontraste zwischen Vollkommenheiten und Unvollkommenheiten giebts zwar auch einen, der – häßlich schön heißt, [176] und sich auf mancherlei Weise äußert, z.E. häßlich seyn, und sich schön dünken, häßlich seyn und für schön erkannt werden, häßlich seyn, und durch Auszierung schön seyn wollen u.s.w. Allein, diese eigne Gattung lächerlicher Kontraste macht noch nicht alle Gattungen, die ganze Art aus. Der Schwach-starke, der klein Große, der unwichtig Wichtige in jeder Art, sind eben solche lächerliche Geschöpfe, als der häßlich Schöne.

So darf auch nicht alles Schreckliche häßlich seyn. Wenn ein Wesen seiner höhern Natur, seiner größern Uebermacht wegen, uns Schrecken 3 gebietet; so darf dies Schreckliche weder in dem Gegenstande mit Formen, noch in unsrer Seele mit Empfindungen des Häßlichen vergesellschaftet seyn. Ein Ungewitter z.E. oder wenn ichs in ein Bild verwandele, ein Donnerwerfender Jupiter, kann fürchterlich, schrecklich seyn, aber ohne Verzerrung des Gesichts, ohne häßliche Formen. Ein brüllender Löwe z.E. kann selbst, wenn ich mich in Sicherheit fühle, mir ein schrecklicher, ein Schaudervoller; keinesweges aber deßwegen ein häßlicher Anblick seyn.

Es folgt also: daß, um die vermischten Empfindungen des Lächerlichen oder Schrecklichen hervorzubringen, Häßlichkeit nicht jedesmal, nicht schlechthin als Ingrediens gebraucht werden dörfe. Es wird daher dem Wesen einer Kunst anheim gestellt werden können, ob sie das, was sie nicht brauchen darf, brauchen könne, was sie nicht schlechterdings brauchen darf, hie und dort brauchenwolle. Ich fahre fort:

Unter den unschädlichen Kontrasten, die das Lächerliche machen, giebts namentlich auch den Kontrast des häßlich Schönen; zum Lächerlichen also kann Häßlichkeit wirklich ein wesentliches Ingrediens seyn, um es hervorzubringen. In schrecklichen Gegenständen gehört die Form der Häßlichkeit eigentlich gar nicht mit zu der Idee des Schädlichen, des Furcht erregenden selbst; Schauder und Unwille [177] am Häßlichen sind zwo Empfindungen, die in ihrer Natur verschieden sind: folglich kann zum Schrecklichen das Häßliche nie eigentlich als wesentliches Ingrediens wirken: nie es also hervorbringen. In Parallelen läßt sich daher kaum ihr beiderseitiger Gebrauch behandeln.

Wo das Häßliche zum Lächerlichen zutrift: da treffe es wesentlich zu: es gehöre mit zum Kontrast: es kann nicht wegbleiben. Wo es wegbleiben kann, ists auch ein Kennzeichen, daß es wegbleiben muß – So erklärt Hr. L. mit Recht es für eine alberne Mönchsfratze, daß der weise und rechtschaffene Aesop in der häßlichen Gestalt Thersites durch dieselbe im Kontrast seiner schönen Seele lächerlich werden solle.

Träfe aber das Häßliche zum Schrecklichen; so könnte es blos als Nebenidee zutreffen; es gehörte nicht in die Empfindung des Schauders. Es muß also nicht anders als wie ein Nebeningrediens zugemischt werden: damit es die Hauptempfindung ja nicht schwäche, damit der Schauder nicht Unwille werde, wenn ers nicht werden soll.

Wo ein Gegenstand durch das Ingrediens des Häßlichen lächerlich werden soll; da kann er, so lange er in den Grenzen der Wahrscheinlichkeit bleibt und den Kontrast abwieget, nie zu häßlich seyn. Aber das Häßliche zum Schrecklichen kann allerdings zu sehr verstärkt, und als Hauptingrediens behandelt, das Schreckliche wirklich hindern. Einen Gegenstand ganz häßlich fühlen, so daß die Idee des Unwillens, des Ekels, jede andere verdunkelt, heißt gewiß nicht, ihn ganz fürchterlich empfinden. Das Gefühl des Schrecklichen ist Schauder der Furcht: das Blut tritt zum Herzen zurück: Bläße bedeckt das Gesicht: Kälte läuft den Körper herab; bald aber nimmt sich die Natur zur Selbstvertheidigung zusammen: das Blut tritt verstärkt in seinen vorigen Gang: die Wangen röthen sich: das Feuer breitet sich wieder aus: die Furcht ist vorbei: der Schrecken ist in Zorn verwandelt. So erzeugte, gebar und tödtete sich die Empfindung des Schrecklichen. – Aber die Empfindung des Häßlichen wie weit anders: der Mißton, die widerwärtige Erscheinung, [178] die wir häßlich nennen, wirkt auch in meinem Nervengebäude Mißton, Widerwärtigkeit: es bringt meine Saiten der Empfindung widrig an einander; es krallet in meiner Natur. Die Empfindung des Häßlichen durchläuft also meinen Körper ganz anders, als das Gefühl des Schrecklichen: sie gehören nicht in Eins.

Und auch zusammengeschlagen vermischen sie sich kaum. Der grausame Richard der Dritte 4 erregt mir Schrecken; der an Seele und Körperhäßliche Richard Abscheu. Die Häßlichkeit seiner Seele, den Abscheu meiner Empfindung gegen ihn, kann wohl die Häßlichkeit seines Körpers verstärken; mit meinem Schrecken aber, mit seinem Charakter des Fürchterlichen, hat sie nichts zu thun. Wenn ich die abscheuliche Seele Edmunds 5 aus einem wohlgebildeten Körper sprechen höre: so kann ich den schönen Körper noch beklagen, der einer so schwarzen Seele zur Wohnung dienen muß; ich kann ihn lieben, wenn ich seinen Einwohner hasse: der Abscheu an der Seele wird also durch den Körper nicht verstärkt, oder ich will noch mehr sagen, geschwächet. Aber der Schrecken, welchen die schwarzen fürchterlichen Anschläge Edmunds erregen, ist ganz etwas anders, er wirkt, ohngeachtet seines schönen Körpers, eben so in vollem Maaße. Edmund der Bösewicht, ist mir abscheulich; Edmund, der schädliche Bösewicht, schrecklich.

Wenn ich es also Hrn. Leßing zugebe: »daß schädliche Häßlichkeit allezeit schrecklich sey,« 6 so wird Hr. L. es mir zugeben, daß sie es nicht wegen ihrer Häßlichkeit, sondern blos wegen ihrer Schädlichkeit sey: daß also der Dichter durch das Häßliche nie die Empfindung des Schrecklichen hervorbringen, daß er sie, eigentlich gesprochen, nie verstärken könne: kurz, daß Schreckliches und Häßliches, zwo ganz verschiedene Arten der Gegenstände; Furcht und Abscheu zwo ganz verschiedene Arten der Empfindung seyn. Herr Leßing hat vielleicht sagen wollen: »Abscheu gegen die häßliche Seele des andern wird durch Abscheu an seinem häßlichen Körper verstärkt: [179] der Dichter könne sich also der Formen des Häßlichen bedienen, um Abscheu zu verstärken.« Alsdenn hat er Recht; aber auch keine Verschwisterung der Empfindungen angegeben: denn Abscheu bleibt Abscheu; das Häßliche, das Abscheuliche sey in Seele oder Körper.

Ich habe die Empfindung am Häßlichen der Formen Abscheu genannt: Hr. L. glaubt, 7 sie Ekel nennen zu können, und gehet darinn von Hrn. Mendelsohn ab, der Ekel nur in den niedrigen Sinnen Geschmack, Geruch und Gefühl; nicht aber in Gegenständen des Gesichts, und kaum des Gehörs finden will. 8 Der Sprachgebrauch, der in Sachen, wo es auf nichts als Gefühl ankommt, immer gehört werden kann, scheint auf der Seite des letztern Philosophen; nur, wenn ich nicht irre, mit folgenden Unterscheidungen.

Im eigentlichen Verstande scheint Ekel dem Sinne des Geschmacks zuzukommen; nicht aber blos übermäßige Süßigkeit, 9 sondern jede widrige Berührung unserer Geschmacksnerven verursachet Ekel. Daher die große Verschiedenheit des Geschmacks auf verschiedenen Zungen, nach dem ihre Fibern so und nicht anders gestimmt sind, so und nicht anders angenehm oder widrig [berührt] werden können. Hier ist also Ekel eine Haupteigenschaft des Uebelgeschmacks, der nicht von der zu langen Dauer einförmiger Berührungen unsrer Geschmacksfibern, wie Hr. Mendelsohn meinet: sondern, wie ich glaube, von jeder unserer Natur widrigen Berührung derselben herrühret. Gewisse Geschmacksarten sind ekelhaft nach der allgemeinen Empfindung; andere nach dem Eigensinne Einer Natur, das ist, nach der besondern Spannung der Fibern in diesem einzelnen Subjekte. Gewisse Arten des Ekels sind angebohren, wenn die Werkzeuge des Geschmacks ursprünglich so und nicht anders gebildet sind; andre sind angewöhnet, und durch lange Associationen der Ideen zur Natur geworden. Einiges ist ekelhaft, wenn wirs kosten; ein anderes, wenn wirs gekostet haben, nach dem die widrige Berührung schnell oder langsam [180] geschahe u.s.w. Das Ekelhafte, was in Gegenständen des Geschmacks das Auge präoccupirt, ist nichts als Wiederholung voriger Sensationen, aber eine so starke Wiederholung, daß sie selbst Sensation erregt, und also mit derselben vermischt wird. – In Gegenständen des Geschmacks hat also das Auge nichts Ekelhaftes.

Geschmack und Geruch sind in unsrer Natur durch ein geheimes Band der Organisation vereinigt: die Stärke des Einen pflegt nicht ohne die Stärke des andern zu seyn, und der Verlust des Einen den Verlust des andern nach sich zu ziehen. Zunächst also kommt der Ekel dem Geruche zu, durch eine widrige Bewegung der Geruchsfibern; darf ich aber sagen, daß er ihm blos zukomme, durch das Band der ähnlichen Organisation mit dem Geschmacke? Ich glaube fast: auch ein ekelhafter Geruch erregt Erbrechen, d.i. widrige Berührung der Geschmacksorgane. Er äußert sich also durch den Geschmack: er kommt dem Geruche zu, blos als einem mit dem Geschmacke verbundnen Sinne: jeder andere unangenehme z.E. zu starke, zu betäubende Geruch heißt nicht ekelhaft.

Dem Gefühle kommt Ekel schon sehr uneigentlich zu. »Eine zu große Weichheit der Körper, die den berührenden Fibern nicht gnug widerstehen,« 10 z.E. ein Antasten des Sammets, feiner Haare, etc. kann im eigentlichen Verstande eben so wenig ekelhaft heißen, als das sogenannte Kitzeln: es ist Widrigkeit, ein heterogenes Gefühl, eine heterogene Berührung, als ich mag: und zwar Widrigkeit durch das zu Sanfte. Nun giebts eine andere Widrigkeit, das Gefühl einer heterogenen Nervenspannung, durch das zu Heftige, zu Gewaltsame. So kreischt uns ein Griffel ins Ohr, der einen Stein hin unter krallet: wir fühlen unser ganzes Nervengebäude widrig erschüttert: wir wollen aus der Haut fahren; aber erbrechen wollen wir uns nicht. Widrig ist der Gegenstand für unser fühlendes Ohr; nicht aber ekelhaft.

Dem Gehöre, als solchem, kommt Ekel noch minder zu: denn »eine unmittelbare Folge von vollkommenen Consonanzen« 11 [181] kann Ueberdruß; aber eigentlich nur dem Ekel erwecken, bei dem Geschmack der Hauptsinn wäre, und die Süßigkeit der Töne nur empfände, so fern sie mit der Süßigkeit, in Ansehung des Geschmacks, Aehnlichkeit hätte. Ein solcher allein würde in der übermäßigen Consonanz auch eine Aehnlichkeit mit übermäßiger Süßigkeit, folglich an Tönen, Ekel empfinden; kein andrer! Ich sage mit Fleiße, empfinden, dunkel empfinden; denn von dem klaren Hinzudenken ist hier nicht die Rede.

Endlich: ekelhafte Gegenstände fürs Auge. Hr. L. glaubt, 12 »daß ein Feuermaal in dem Gesichte, eine Hasenscharte, eine gepletschte Nase mit vorragenden Löchern, ein gänzlicher Mangel der Augenbraunen, sich wohl so nennen ließen: daß wir etwas dabei empfinden, was dem Ekel nahe komme, daß, je zärtlicher das Temperament ist, wir desto mehr von den Bewegungen im Körper fühlen werden, die vor dem Erbrechen vorhergehen.« Ich mag bei so unsichern Sachen des dunkelsten Gefühls über Namen nicht streiten: indessen dünkt mich, daß das zärtlichste Temperament, und dazu im zartesten Zustande der Empfindung, z.E. eine schwangere Frau, solche Gegenstände eher widrig, als ekelhaft nennen, eher davor zurück schaudern, und in Ohnmacht fallen, als sich drüber erbrechen werde: daß die unangenehme Empfindung immer also eher Widrigkeit des Gefühls, Abscheu des Anblicks, als Ekel, zu nennen sey. Es sey indessen darum, daß ein solcher Anblick Bewegungen erregen kann, die vor dem Erbrechen voraus gehen: giebt Hr. L. eben damit das Erbrechen nicht für die sicherste Wirkung des Ekels an? Und da das Erbrechen eigentlich nur dem Sinne des Geschmacks zukommt: so muß, wenn das Auge Ekel empfände, es blos durch eine Association von Geschmacksideen solchen empfinden, und über die Zärtlichkeit des Temperaments mag ich nicht streiten.

Gnug für mich: daß Ekel eigentlich nur dem Geschmacke, und dem Geruche, als einem mit dem Geschmacke verbundnen Sinne, [182] zukomme. Das grobe Gefühl der übrigen Sinne empfindet Widrigkeit, und nicht Ekel; es sey denn, daß in diesem und jenem Subjekte das Gefühl eines Sinnes in der körperlichen Organisation, oder in dem zur Natur gewordnen Laufe der Begriffe mit dem Geschmacke, und dem Geruche, gleichsam in näherm Bande stehen. Es giebt nämlich Menschen, bei denen der Geschmack, mithin auch der Geruch, unter den groben Sinnen gleichsam die herrschendsten sind, und den sinnlichen Empfindungen insgesamt also Ton zu geben vermögen: bei solchen kann sich ein widerlicher Anblick, ein widriger Schall, ein widriges Gefühl mehr dem Ekel nähern: d.i. Bewegungen erregen, die vor dem Erbrechen voraus zu gehen pflegen. Allein, diese Besonderheit in der Stimmung des Nervengebäudes hindert nicht, daß auch in ihnen unmittelbare Widrigkeit des Gefühls, Gesichts, Gehörs, von der mittelbaren Widrigkeit in diesen Sinnen durch Hülfe eines fremden Sinnes, des Geschmacks, unterschieden seyn sollte. Das Ekelhafte kann sich mehr oder weniger, nach dem die Organisation gestimmt ist, in jede unangenehme sinnliche Empfindung einmischen; nicht aber jede unangenehme sinnliche Empfindung, jede Widrigkeit in einem Sinne ist deßhalb Ekel.

Kommt also der Ekel vorzüglich dem Geschmacke, und andern Sinnen nur so fern zu, als sie mit ihm verbunden sind, oder sich an seine Stelle setzen können: so –

Gilt erstlich auf die Frage: Warum ist in den schönen Künsten und Wissenschaften der Ekel nicht schön? die Ursache 13 so allgemein nicht; weil der Ekel blos den dunkeln Sinnen zukommt: denn dem dunkelsten Sinne unter allen, dem Gefühle, kommt er nicht zu.

Noch minder ist der Widerwille, den Häßlichkeit wirket, so gänzlich von der Natur des Ekels, als Hr. L. meinet; 14 denn Häßlichkeit äußert sich blos dem Auge; Ekel eigentlich nur dem Geschmacke.

[183] Am mindesten also kann sich zur Nachahmung das Ekelhafte vollkommen so, wie das Häßliche, verhalten. 15 Lasset uns jede der dreierlei Nachahmungen des Lächerlichen, Häßlichen, Ekelhaften durchfragen.

Fußnoten

1 Laok. p. 232. 233. [508–9. Freies Citat].

2 [p. 512. XXIV.]

3 Die meisten Homerischen Götter sind schrecklich; aber deßwegen auch häßlich?

4 Laok. p. 238. [511]

5 p. 237 [511]

6 p. 236. [510]

7 Laok. p. 247. [516]

8 Litt. Br. Th. 5. S. 101.

9 Litt. Br. eb. das.

10 Litt. Br. eb. das. [100]

11 Litt. Br. [101].

12 Laok. p. 247. 48. [516. 17]

13 Litt. Br. Th. 5. eb. das.

14 Laok. p. 247. [516. 17]

15 Laok. p. 258. [260 = 523. 4]

23.

Das Häßliche kann in der Dichtkunst gebraucht werden, um das Lächerliche zu erwecken, und, wie gesagt, hat die Dichtkunst alsdenn in Veranstaltung der Formen keine andre Einschränkung, als Wahrscheinlichkeit und Gleichgewicht des Kontrasts, nämlich das scheinbar Schöne. Aber das Häßliche, ein Ingrediens des Lächerlichen bei dem Maler? Kann der Maler sein Häßliches in Kontrast des seyn wollenden Schönen setzen, daß das Lächerliche hervorblickt: so wohl. Da dies aber selten ist, da selbst bei der geistreichsten Hogarthschen Composition die Malerei immer augenscheinlicher häßliche Formen, als den lächerlichen Kontrast durch häßliche Formen schildert: so bleibt sie gleichsam körperlich, um dem Dichter des Lächerlichen folgen zu können. Der Dichter trift den Geist des Lächerlichen durch das Häßliche; der Künstler bleibt am Körper des Häßlichen kleben – und die Hauptsache ist unsichtbar. Jener stimmt meine Seele, und mein Mund lachet willig; dieser kitzelt mich häßlich, und ich soll lachen!

Das Häßliche zum Schrecklichen? Nichts! in Poesie und Malerei nichts. Will aber der Dichter Abscheu erregen: eine abscheuliche, bösartige, grimmige Seele an sich schon, wird sich durch häßliche Verzerrungen äußern. Soll der Abscheu verstärkt werden; so gebe er ihr ganz einen häßlichen Körper: denn wie anders kann wohl das Wohnhaus seyn, das sie sich gebauet, in dem sie so lange gewirket? Soll der Abscheu sich in Mitleid brechen; will der Dichter in Entfernung eine Seele zeigen, die besser seyn könnte: so mildre er ihren Abscheu wenigstens durch Stralen ihrer guten Anlage, [184] durch einen nicht häßlichen Körper. Der Maler hat hier Schranken seiner Kunst: denn wie selten will diese wohl Abscheu, höchsten Abscheu erregen? und wenn sich mit dem Häßlichen kein Schrecken, sondern nichts, als Abscheu, erreichen läßt: wie frei geht der Künstler aus?

Das Ekelhafte endlich – hier bin ich mit Hrn. L. gar nicht einig. Das Wiesel, das Sokrates unterbrach, ist an sich kein ekelhafter Gegenstand, und die ekelhaften Züge, die Aristophanes sonst einmischt, sind ein Geschenk an den Griechischen Pöbel, das wir demselben auch lassen können. Alle Hottentottische Erzälungen, so bald sie den Ekel zur Hauptwirkung haben, so dünken sie mir Ausgeburten des Brittischen Ueberwitzes und bösen Humours. In Hesiods Abbildung der Traurigkeit bin ich mit Longin von einerlei Empfindung: es sey, aus welcher Ursache es sey – Ich mag die fließende Nase nicht sehen: ich mag nichts sehen, was wirklich Ekel erwecket. Ekel, als solcher, läßt sich schlechthin mit keiner andern gefälligen Empfindung verschmelzen; und wenn das Gräßliche nichts, als ein ekelhaftes Schreckliche, ist: so ist in diesem Gräßlichen, was sich vom Ekel darein mischet, allemal unangenehm, widrig.

Nur muß man auch freilich nichts für Ekel erregend halten, was nur einen Nebenbegriff des Ekels, durch weite Zurückerinnerung haben möchte: nichts für Ekel erregend, was, ohne dem Geschmacke und Geruche zuzugehören, blos widrig genannt werden könnte: nicht alles endlich in einer künstlichen Nachahmung für ekelhaft, was kaum in der Natur selbst, die keiner unangenehmen Empfindung solch eine enge Sphäre gegeben, als dem wahren Ekel – –

Doch ich vergesse aus meinem Kritischen Wäldchen beinahe gänzlich den Rückweg. Wie habe ich in demselben umhergeirret! Wie verschiedne Aussichten boten sich mir dar! Wie manchen richtigen und irrigen Gedanken mag ich auf meinem träumerischen Pfade gedacht haben! Es sey! Leßings Laokoon hat mir Materie zum Nachdenken verschaffet: Homer, und die Menschliche Seele waren die Quellen, aus denen ich dachte. »Wenn mein Raisonnement [185] nicht so bündig ist, als das Leßingsche, so werden vielleicht meine kritischen Erörterungen mehr nach der Quelle schmecken.« 1

Uebrigens sey jedes Wort, und jede Wendung verbannet, die wider Hrn. L. geschrieben schiene. Ich habe über seine Materien gedacht, und wo ich insonderheit nach Leitung der Alten davon abgehen mußte, sprach ich offenherzig, und wollte in Form eines Sendschreibens sprechen, wenn es die Abwechselung und der Inhalt der Materien zugelassen hätte. Wenn meine Zweifel und Wiedersprüche die Leser des Laokoons dahin vermögen, ihn nochmals, ihn so sorgfältig, als ich, zu lesen, und ihn aus meinen Zweifeln, oder meine Zweifel aus ihm, zu verbessern: so habe ich der Sache des Laokoons weit mehr gevortheilet, als durch ein kaltes Lob, hinter welchem jeder Leser, so, wie sein Urheber und Besitzer, gähnet. Meine Schrift selbst: wie würdig mir Laokoon geschienen, um darüber zu denken! sey ein Opfer meiner Achtung an den Verfasser desselben: Lobworte darzubringen habe ich nicht.

Fußnoten

1 Leß. Vorr. zu Laok. [375]

24.

Der Rest 1 beschäftigt sich mit einigen Fehlern der Winkelmannischen Schriften: ich wollte, daß die Aufmerksamkeit Hrn. L. lieber auf das Wesentliche derselben, und auf das ganze Gebäude seiner Geschichte gefallen wäre, das noch so mancher Schwierigkeit unterworfen ist. – –

Da ich Jahre her täglich zu den Alten, als zu der Erstgeburt des Menschlichen Geistes, wallfahrte, und Winkelmann als einen würdigen Griechen betrachte, der aus der Asche seines Volkes aufgelebt ist, um unser Jahrhundert zu erleuchten, so kann ich Winkelmannen nicht anders lesen, als ich einen Homer, Plato und Bako lese, und er seinen Apollo siehet.

[186] Indessen haben sich bei einem siebenmaligen Lesen freilich auch Zweifel bei mir zu Papier gefunden, die, was insonderheit sein Geschichtgebäude aus den Materialien der Griechischen Litteratur anbetrift, die Alten selbst zu Zeugen, zu Gewährsleuten haben dörften. Da ich also das Glück hatte, von Winkelmann einen ermunternden Blick des Beifalls zu erhalten: so war ich beschäftigt, mit mir selbst nochmals über seine Werke zu sprechen, und alsdenn in dem würdigen Tone vor ihn zu treten, in dem sich sein Geist offenbaret. Wie erhebend wäre der Gedanke gewesen, von ihm, dem Griechen unsrer Zeit, gebilligt zu werden, zur Vollkommenheit seiner unsterblichen Werke etwas beizutragen! –

Und ach! Winkelmann ist nicht mehr! durch die Hand eines Mörders, auf die entsetzlichste Weise der Welt, Rom, und seinem Deutschlande entrissen! O, wenn du Göttlicher, noch wie ein seliger Dämon, umherwandelst: so sieh die Bestürzung, mit der mich die Nachricht von deinem Verluste traf, die ungläubige Unruhe, die dich noch immer lebend sah, und endlich die Thränen der Wehmuth, die ich deinem Tode schenkte! Wie mancher Litterator und Alterthumskenner hätte statt seiner nicht blos sterben können, sondern auch vielleicht sterben sollen, damit die Welt nicht einst nichts, als verführende Spuren, von ihm aufzuzeigen habe!

Fußnoten

1 Laok. p. 261–298. [525–46]

Beschluß
Beschluß.

Ich bin Hrn. L. auf seinem Pfade gefolget, und, wenn sein Laokoon »mehr unordentliche Collektaneen zu einem Buche, als ein Buch selbst« 1 ist: was sind denn meine Kritischen Wälder? Sie sind zufälliger Weise entstanden, und mehr durch die Folge meiner Lectüre, als durch die Methodische Entwicklung allgemeiner Grundsätze angewachsen. Sie zeigen indessen, daß sich auch unsystematisch irren lasse, daß nicht blos, wenn man aus ein paar angenommenen [187] Worterklärungen, in der schönsten Ordnung, sondern auch, wenn man aus einigen ausgerißnen Stellen in der schönsten Unordnung alles, was man will, folgert, man dem Fehltritte gleich ausgesetzt bleibe. Ich bin übrigens zu sehr ein Deutscher, daß ich nicht, wenn sich ein Machtwunsch thun ließe, gleich lieber in meine Kritischen Wälder, Ordnung und System hinein wünschen wollte; und noch mehr wünsche ich ihnen »das Vorrecht der Alten, keiner Sache weder zu viel, noch zu wenig, gethan zu haben.« 2 Ich habe jetzt in der Materie, die Laokoon abhandelt, den Grund gesichert; die Folge wird zeigen, was sich darüber aufführen lasse?

Vor der Hand verbitte ich mir nur Eins, den Titel meines Buchs nicht zu einem Gegenstande artiger Wortspiele zu machen, an denen manche Witzige unsrer Kunstrichter nicht arm zu seyn pflegen. In mehr als einer Sprache hat das Wort Wälder den Begriff von gesammelten Materien ohne Plan und Ordnung; ich wünschte nur, daß meine Leser die etwas trocknen und verschlossenen Pfade dieses ersten Theils überstehen möchten, um hinter denselben zu freiern Aussichten zu gelangen.

Fußnoten

1 Vorrede zum Laok. [375]

2 Vorrede zum Laok. [373]

Zweites Wäldchen

Analytischer Inhalt
Analytischer Inhalt.
I. Ueber Hrn. Klotz Homerische Briefe.
  • 1. Warum es nicht so leicht sey, in unsrer Zeit Homer, in Absicht auf seine Sprache und seine Menschen, zu beurtheilen? Ob Homer das Maaß des Menschlichen Geistes? und ob es aus seinem Zeitalter wahrscheinlich sey, daß er das Lächerliche affektiren wollen?
  • 2. Hrn. Klotzens Tadel auf Homer ist längst bekannt, und kein Tadel. Ekphrase der Episode Vulkans, zum Beweise, daß er kein Possenreißer seyn wolle.
  • 3. Ein Blick auf Thersites und Irus in Homer. Rettung des Lope di Vega und Milton, in Absicht auf ihre Lachsucht. Kann eine Epische Hauptperson lächerlich seyn? Nein! Rettung des Homerischen Ulysses. Darf sie lachen? Warum nicht?
  • 4. Unterschiede, die Hr. Klotz übersehen. An sich ist lächerlich und belachenswerth; Haupt- und Nebenpersonen; die Theile eines Gedichts, und das Ganze; eine sich in andre auflösende Empfindung, und das Hauptgefühl der Epopee, nicht einerlei.
  • [191] 5. Kann man Mythologie in Religionsgedichte mischen? Zuerst: merkliche Schwierigkeiten in der Lateinischen Sprache. Zeiten und Länder unter scheiden noch mehr. Sonderbarkeit der Dichter, die in Italien bei Wiederauflebung der Wissenschaften sangen. Der Poetische Gebrauch der Mythologie muß alles entscheiden. Rettung der Mythologie in Milton.
  • 6. Einschränkung und Auseinandersetzung der ganzen Materie. Poetische Grenzen der Mythologie in Religionsgedichten. Ob ein geistlicher Dichter der Dogmatik zu gut schreibe?
  • 7. Proben der großen Wirkung heidnischer Ideen in Gedichten unsrer Religion. Prüfung der neuen Vorschläge, auf was Art die Mythologie für unsre Religion zu brauchen sey?
  • 8. Und für unsre Kunst. Ueber die Stralen, die Flügel, und den Donnerstral in der Kunstvorstellung unsres Gottes. Prüfung der Vorschläge hierüber nach Alterthums- und Religionsbegriffen. Ists was Unerhörtes, daß Christliche Dichter Gott auf einem Donnerwagen schildern?
  • 9. Von der Mythologie in Profangedichten unsrer Zeit. Ob sie durch Entdeckungen der Naturlehre, und der Geographie, oder gar durch Allegorie ersetzt werde? Ueber Ramlers Liebe zur Poetischen Allegorie.
  • 10. Kritik über den Rest, und Urtheil über das Ganze der Homerischen Briefe.
II. Ueber die Schamhaftigkeit Virgils.
  • 1. Ist die Keuschheitsvisitation eines Dichters der Poetische Zweck desselben? Muß man die bona fama eines Poeten, nach seinen Versen beurtheilen? Ungereimtheiten hieraus, und ein Wink auf die wahre Grenzscheidung darüber.
  • 2. Grund der Schamhaftigkeit in der Menschlichen Natur. Daß das κακοφατον ein schlechter Zeuge derselben sey. Rettung der Homerischen Episode des Paris.
  • [192] 3. Untersuchung der mancherlei Schambegriffe, bei der Liebe, bei dem Nackenden, bei gesellschaftlichen Ehrbarkeiten. Unterschied zwischen der natürlichen, gesellschaftlichen und Moralischen Schamhaftigkeit.
  • 4. Unterschied dieser Empfindungen bei verschiednen Nationen, Morgenländern, Griechen und Römern gezeiget. Rettung der Griechischen Freiheiten hierinn.
  • 5. Darlegung des Plans im ganzen Klotzischen libello. Voll Allgemeinörter, ohne Philosophische Bestimmung, ohne nationelle Unterscheidung.
  • 6. Und ohne charakteristische Beleuchtung Virgils. Wie ungewiß ihn Hr. Kl. rette, und wie unpassend mit Homer vergleiche?
  • 7. Ueber die persönliche Schamhaftigkeit Virgils. Ob, und wie sie gerettet werden könne? Abhörung des Donatus, Servius, Martialis und Apulejus darüber. Lob der Heinischen Ausgabe Virgils.
III. Ueber einige Horazische Rettungen und Erläuterungen.
  • 1. Seltne Art Hrn. Klotzens, mit Harbuin Krieg zu führen. Wie Harduin wiederlegt werden sollte?
  • 2. Vom Klotzischen Commentar über Horaz. Wie sehr er den Ton der Horazischen Poesie verfehle? an der ersten Ode Horaz gezeigt. Auch andre haben den Ton dieser Ode nicht getroffen. Von dem Poetischen Wortbaue des Choriamben.
  • 3. Auch aus dem Tone der zweiten Ode erläutert uns Hr. Klotz sicher weg. Prüfung einiger andrer so genannter neuer Erläuterungen Horazens.
  • 4. Wie wenig Hr. Klotz bisher zum Horazischen Geschmacke beigetragen? Zweifel gegen die Erläuterungsmethode Horazens, nach Batteux Manier. Wie sehr diese die Horazische Ode zerstücke und zerlege? Klotzens Begriff von den Digressionen, und dem Charakter Pindars.
  • [193] 5. Ueber die Parallelenmacherei bei einem Dichter. Ueber den Gemmengeschmack bei Lesung desselben. Ueber den Misbrauch gelehrter Commentare. Geßners schätzbares Zeugniß darüber.
  • 6. Meine Art, Horaz und neue Horaze zu lesen.
  • 7. Nachschrift und Enderklärung.
[194]
1. Ueber einige Klotzische Schriften
1.

Ich habe mich anheischig gemacht, auf mehrereKlotzische Anmerkungen über Homer zu merken, und ich muß mein Wort erfüllen. Der Tadel sowohl, als das Lob, das auf den Ersten der Dichter fällt, trift auf den Mittelpunkt der Griechischen Litteratur, und hat immer auch auf entferntere Punkte im Kreise der Gelehrsamkeit einen Einfluß. Es wird also lohnen, mit den Homerischen Briefen 1 in der Hand ein Lustwäldchen der alten Griechischen Musen zu besuchen.

Wie muß ich mich aber durch süße Freundschaftsbezeigungen, und lange Vorbereitungen durchwinden und durchdrängen, 2 um nur erst auf eine Materie zu kommen. Hr. Klotz irret in diesen Briefen so herum, daß seine Muse wohl nichts minder, als eine Schwester der Homerischen Muse, seyn kann, die statt vom Trojanischen Kriege, und vom Ei der Leda anzufangen, lieber gleich mitten in die Handlung hinein greift – μηνιν αειδε ϑεα, κ. τ. λ. – Der Homerische Briefsteller nimmt sich zu erst recht sehr Zeit, seinen Freund und Gönner zu umarmen, 3 die sehr mittelmäßigen Verse desselben, die von ganz Deutschland für mittelmäßig erkannt sind, Himmelhoch zu erheben, 4 uns auf dem Landgute desselben 5 (wie [195] Boileau von gewissen Wortmalern sagt) von Terrasse zu Terrasse zu führen, das Landleben, 6 und die unehelichen Kinder 7 zu loben, über die Härte der Regina Pecunia, 8 und über die Undankbarkeit unsers Jahrhunderts gegen Poeten 9 zu klagen, einen großen Minister, der fast durch ein solches Lob erniedrigt wird,deßwegen 10 zu rühmen, weil er ihm erlaubt, auf dem Lande einige Zeit zuzubringen. Er fährt fort, alle selige Vergnügungen daselbst 11 uns liebkosend vorzuzeigen: die Bücher, die er mit sich genommen, und endlich 12 – »Wie aber die Dichter vom Zevs, so will ich vom Homer beginnen.«

Noch sind wir nicht in der Materie. Hr. Kl. zeigt erst, daß er mit seinem Homerischen Tadel nicht zu ungelehrten Verächten: Homers gehöre, 13 daß niemand in der Welt die alten Schriftsteller mit mehr Bewunderung und Entzücken lese, als er, daß Homer bei allen diesen Fehlern, die Hr. Klotz ihm zeigen will, noch immer groß bleibe, 14 daß – und dies alles in so erregendem Tone, mit so viel, ob gleich längst bekannten, Beispielen und Allgemeinsätzen, daß man keinen andern, als jenen Cyklischen Dichter 15 liest, und jedes Blatt mit der bewundernden Frage umschlägt: was will aus dem Männlein werden? Was hat dieser große Mann dem fehlerhaften Homer Unerhörtes zu zeigen, das so viel Vorbereitung und Aufmerksamkeit verdiente?

Vielleicht ist mein Leser so ungeduldig, als ich, und auf mich unwillig, daß ich den neuen Homeromastix noch nicht selbst reden lasse; allein, wenn Hr. Kl. zween Bogen lang vorbereitet, wie würde es denn dem Tone meines Werks entsprechen, nicht auch vorzubereiten? Ich muß also Schritt halten: sonst kommen wir alle drei, Hr. Klotz, der Leser und ich aus dem Takte.

[196] Wie nun? Ists wohl so leicht, Homer zu tadeln? ich meine so leicht für uns, in unsrer Zeit, Denkart und Sprache? Es sollte scheinen. Denn sind wir nicht in Gelehrsamkeit und Wissenschaft, und Stuffe der Cultur ungleich höher, als das Zeitalter Homers? Ist die Welt nicht drei tausend Jahr älter, und also auch vielleicht drei tausendmal erfahrner und klüger geworden? Kniet also nicht der Altvater Homer vor dem Geschmacke und Urtheile unsers Zeitalters, wie vor dem Tribunal des jüngsten Gerichts? Und wie denn nicht vor einem Vorsitzer und geheimen Rathe desselben? Ich sollte fast glauben! oder beinahe nicht glauben: denn unser Jahrhundert mag in allem, was Gelehrsamkeit heißt, so hoch gekommen seyn, als es will und ist; so ists doch in allem, was zur Poetischen Beurtheilung Homers gehört, nicht höher; ja ich behaupte, daß es hierinn dem Jahrhunderte geborner Griechen, die Homers Zeitgenossen, oder wenigstens Landsleute und Brüder einer Sprache mit ihm waren, weit hinten nach sey. Wir sind nicht nur nicht höher hinauf, wir sind gewisser maßen aus der Welt hinaus gerückt, in der Homer dichtete, schilderte und sang.

Homers Sprache ist nicht die unsre. Er sang; da dieselbe noch blos in dem Munde der artikulirt sprechenden Menschen, wie er sie nennet, lebte, noch keine Bücher-, noch keine Grammatische, und am wenigsten eine wissenschaftliche Sprache war. Er bequemte sich also den Artikulationen der Zunge seiner Menschen, den Beugungen, und dem Wortgebrauche der lebenden Welt, in aller Unschuld und Einfalt seines Zeitalters. Wer kann ihn nun hören, als ob er spräche? Tausend Wörter haben ihren Sinn allmälich umwandeln, oder sich in ihrem Gebrauche seitwärts biegen und verfeinern müssen. Müssen, ohne daß es jemand wollte, und bemerkte; denn der Geist der Zeit veränderte sich. Man behielt immer das Wort, man glaubte auch immer, denselben Begriff zu haben; denn in der gemeinen Sprache des Umganges wechselt man klare, und nicht deutliche Ideen: und doch so, wie sich Lebensart, und der Geist des Jahrhunderts änderte, so hatte sich auch der [197] inwohnende Geist vieler Wörter verändert. Sehr spät endlich ward die Sprache wissenschaftlich. Der Wörtersammler, der die Begriffe aus einander setzen, deutlich machen sollte, fand einige vielleicht schon gar nicht in seiner lebenden Sprache; er mußte rathen, und die Muse gebe, daß er unter hunderten nur einmal übel gerathen hätte. Bei einem andern definirte er nach dem Begriffe seiner Zeit: wie aber, wenn dieser blos ein jüngerer, ein abstammender Begriff gewesen wäre? Bei einem dritten nahm er vielleicht gar nur eine verfeinernde Bedeutung des Philosophen, eine Nebenbestimmung dieser und jener Schule, Provinz, Sekte, Menschengattung, und trug sie ein. Nun komme nach drei tausend Jahren ein Mensch aus einer fremden Sprache, aus einer ganz andern Welt, urtheile und richte, und mäckle Wörter, sicherer würde er die Bücher der Cumäischen Sybille in Ordnung bringen!

Wer mir nicht glaubt, lese hierüber die Vorrede des arbeitsamen Johnsons zu seinem Englischen Wörterbuche, und er wird vor einer Kritik zittern, die ihn drei tausend Jahre zurück, in einen so frühen Zeitpunkt der Griechischen Sprache, als in welchem der Dichter ihrer Jugend Homer sang, werfen will. Wenn schon zur Zeit Aristoteles gebohrne Griechen über einzelne Wörter Homers zweifelhaft waren: werden wir alsdenn nicht weit öfter, wenn es insonderheit auf Würde der Wörter ankommt, in der Sprache des ehrlichen Sancho Pansa sagen müssen: Gott weiß, wie Homer hätte dichten sollen. Ich rede nicht von demSinne desselben, sondern von dem Gefühle seiner Epischen Würde in der Sprache: und zum Behufe des letztern, reichen die vielen Hülfsmittel unter den Griechen selbst da zu, Homer beurtheilen zu wollen?

Ich gebe ein Beispiel, das ich brauchen werde. Das Wort γελοιον hieß in den Zeiten der alten Griechischen Einfalt, überhaupt, was Freude, was Lachen erwecket, ohne daß dies Lachen der Freude noch ein Gelächter des Spottes sein dorfte. Das γελοιον in einem Menschen war der Charakter eines süßen innigen Gefallens: das γελοιον in einer Sache, in einer Rede, in einem Auftritte war Annehmlichkeit. Je mehr die Zeiten von dieser unschuldigen [198] Einfalt abwichen; desto mehr wurde der Begriff des »Lächerlichen« daraus. Das γελοιον in einem Menschlichen Charakter ward das »Piquante« des Witzlinges, und endlich ganz die Narrenkappe eines Gecken: das γελοιον in einem Austritte ward das »Lächerliche,« und endlich das »Belachenswürdige.« Welche Umwandlung von Ideen! Wer nun in einem alten Dichter der Einfalt dasγελοιον allemal für eine Possenreißerei nehmen will, weil etwa in der Lateinischen Ubersetzung »ridiculum« steht, und darnach einen Menschencharakter in Homer Längelang beurtheilen, und tadeln, und verdammen wollte, der könnte freilich sein Wörterbuch, und seine Uebersetzung, und die Meinung einiger alten Grammatiker auf seiner Seite haben, nicht aber darum auch den ursprünglichen Homer. Ueber den muß man nicht aus Uebersetzung und Wörterbuche, sondern aus dem lebendigen Gebrauche seiner Zeit urtheilen, oder das sicherste Wort wählen: ουκ οιδα!

Zweitens. Wenn die todte, die körperliche Natur, die Homer malet, sich seit ihm schon sehr verändert hat, wie viel mehr die Natur der Menschen, die Manier der Charaktere, die Nüancen, in denen sich Leidenschaften äußern! Eine Griechische Seele war gewiß von andrer Gestalt und Bauart, als eine Seele, die unsre Zeit bildet. Wie verschieden die Eindrücke der Erziehung, die Triebfedern des Staats, die Begriffe der Religion, die Einrichtung des Lebens, der Anstrich des Umganges! Wie verschieden also das Urtheil über die Würde der Menschheit, über die Beschaffenheit des Patrioten, über die Natur der Götter, über die Erlaubnisse des Vergnügens, über Anstand und Zucht – wie verschieden damals und jetzt! So weit Athen von Berlin, so weit müssen sich die Jugendeindrücke Homers hierüber von dem Urtheile eines seiner heutigen Kunstrichter entfernen. Wer die Geschichte des Menschlichen Geistes in allen Zwischenzeiten zwischen Homer und uns kennet, wer den Umwandlungen und Vermischungen der Begriffe von Menschlicher Natur, Religion, Gelehrsamkeit, Bürgerlichem Interesse, Sittsamkeit und Wohlstande in allen diesen Zeiten nachgespüret, wer Augen hat, um den Ort zu sehen, auf welchen ihn die zusammen [199] gesetzten Kräfte so vieler Zwischenjahrhunderte geworfen haben, der wird in allem, was Charakter einer Menschenseele ist, ungemein rückhaltend seyn. Er wird Homer, den Schöpfer Menschlicher Charaktere, studiren; er wird in den Zeiten desselben nach der damaligen Gestalt dieser so wichtigen Begriffe forschen: aber, wie ein Areopagit im Finstern urtheilen? Kaum!

Der Verfolg wird Beispiele liefern, wie schielend es sey, über den Uebelstand Homerischer Götter und Helden, und Menschen nach den Begriffen unsrer Zeit zu urtheilen. – Jetzt will ich nur fragen: ob Homer habe fehlen können, daß er sich nach den Sitten seiner Zeit bequemete? und nach welchen er sich denn hätte richten sollen? 16

Homer mußte sich nach den Sitten der Zeit vor ihm bequemen: denn aus dieser schilderte er seine Helden, und was er also in derselben für Begriffe von Heldengröße, Heldenklugheit und Wohlstand fand, ward die Basis seines Gedichts. Wenn diese Heldengröße ohne Leibesstärke, ohne Schnelligkeit, ohne Wildigkeit der Leidenschaft, ohne eine edle Einfalt in klugen Anschlägen, ohne eine kühne Rauhigkeit nicht bestehen konnte: so wurden auch alle diese Charaktere seinem Gedichte eigen.

Auf solcher Grundlage stand sein Gebäude: Ein Gedicht für seine Zeit. Die Vorstellungen der verflossenen Jahrhunderte sollten in der Sprache seines Zeitalters, nach dem Gefühle eines Sängers, der in diesem Zeitalter gebildet war, nach dem Augenmerke einer Welt von Zuhörern, die nach ihrer Zeit dachten, vorgestellet werden: so sang Homer, und anders konnte er nicht singen – Ein Barde voriger Zeiten für seine Zeit. Wer sich in diese zurück setzen kann, in Erziehung und Sitten, und Leidenschaften und Charaktere, und Sprache und Religion – für den singt Homer, für keinen andern.

Es ist lächerlich, vom Homer fodern, daß er sich nach den Sitten, einer künftigen Zeit hätte richten sollen. Dazu gehört Gabe [200] der Weissagung, und noch was mehr, die Gabe unmögliche Dinge zu thun. Wenn wir fodern, daß Homer für unsre Zeit und Denkart hätte schreiben sollen, so hätte es ein alter Indianer und Perser, der Homeren in seiner Sprache las, auch fodern können! So auch ein scholastischer Mönch des funfzehenten Jahrhunderts, wenn er über Homer kam! so auch ein Hottentottischer Kunstrichter, wenn einmal der Genius der Wissenschaften Europa verlassen, und mit Homeren in der Hand nach dem Vorgebirge der guten Hoffnung ziehen wird! so auch ein jeder Thor von Einsiedler, der auf einer Säule, wie Simon der Stylite, alt und grau wurde! Alle werden alsdenn im vereinigten Chore mit unserm Lateinischen Perrault anstimmen können: 17 Homerum dormitasse aliquoties, apparet. Quod iis in locis inprimis patere existimo, ubi ... suae aetatis moribus inservit nondum politis satis, & cum simplicitate rusticum aliquid & asperum habentibus. Und was würde aus Homer, wenn er sich nach jedem Kunstrichter hätte richten wollen?

Nein! mein Homer soll sich nicht nach meinem Zeitalter gerichtet haben, die Sitten des seinigen mögen so weit abgehen, als sie wollen. Ich bin zu bescheiden, ihn summam vim & mensuram ingenii humani zu nennen: 18 denn wer bin ich, daß ich die gesammten Kräfte der Natur wägen, und das Maaß erfassen wollte, das die Mensur des Menschlichen Geistes enthält? Wer bin ich, daß ich die Linie ziehen könnte: so hoch reicht Homer, und so hoch kann der Menschliche Geist reichen! So sehr ich ihn, als die ädle Erstgeburt der schönen Dichterischen Natur in Griechenland, liebe; so gern ich ihn, als den Vater aller Griechischen Dichter, verehre: so blöde bin ich, ihn, als den Umfang, als das Maaß des Menschlichen Geistes, zu betrachten: so blöde, es abwägen zu wollen, wie [201] auch nur die Dichterische Natur ihre Kräfte in ihm erschöpfet. So lange mir Apollo nicht den Wunsch erfüllet, die Metamorphosen des Menschlichen Geistes auch in einer solchen Metamorphose meines Geistes durchwandeln und durchleben zu können: so lange ich nicht mit den Ebräern ein Ebräer, mit den Arabern ein Araber, mit den Skalden ein Skalde, mit den Barden ein Barde, wesentlich, und durch eine Umwandlung meiner selbst geworden bin, um Moses und Hiob, und Oßian in ihrer Zeit und Natur zu fühlen: so lange zittere ich vor dem Urtheile: »Homer ist die höchste Masse gesammelter Kräfte des Poetischen Geistes, das höchste Maaß der Dichterischen Natur.« Und ist schon bei Einer einzigen Seite der Natur, und des Menschlichen Geistes, als Dichterisches Genie ist, ist da dies Urtheil schon so schwer: wie kann ich den Umfang gesammter Geisteskräfte, das Maaß der ganzen Menschennatur in ihm berechnen! Wo weiß ich, ob die Natur bei Bildung eines Alcibiades und Perikles, und Demosthenes, als Geschöpfe ihrer Zeit betrachtet, sich nicht mehr erschöpft, als bei Homer? Wo weiß ich, ob ein Plato, ein Baco, ein Newton,


– – das Ziel erschaffner Geister,


dieser bildenden Mutter nicht mehr in ihrer Art gekostet, als Homer in der seinigen? Ein solcher Lobspruch geht ins Ungeheure; und wenn Homer summa vis, & quasi mensura ingenii humani ist, so wird der, so ihn noch beurtheilen und tadeln kann, ein völliger Uebermensch! hervorragend über die Schranken des Menschlichen Geistes. Da trete ich zurück, um den kritischen Gott anzubeten.

Ich betrachte Homer blos, als den glücklichsten Poetischen Kopf seines Jahrhunderts, seiner Nation, dem keiner von allen, die ihn nachahmen wollten, gleich kommen konnte; aber die Anlagen zu seinem glücklichen Genie suche ich nicht außer seiner Natur, und dem Zeitalter, das ihn bildete. Je mehr ich dieses kennen lerne, desto mehr lerne ich mir Homer erklären, und desto mehr schwindet der Gedanke, ihn, »als einen Dichter aller Zeiten und Völker,« nach dem Bürgerrechte meiner Zeit und Nation, zu [202] beurtheilen. Nur gar zu sehr habe ichs gelernt, wie weit wir in einem Zeitraume zweier Jahrtausende von der Poetischen Natur abgekommen, eine gleichsam Bürgerliche Seele erhalten, wie wenig, nach den Eindrücken unsrer Erziehung, Griechische Natur in uns wirke! wie weit Juden und Christen uns umgebildet haben, um nicht aus eingepflanzten Begriffen der Mythologie auch über Homers Götter zu denken! wie weit Morgenländer, Römer, Franzosen, Britten, Italiener und Deutsche, wenn ich den Rousseauschen Ausdruck wagen darf, unser Gehirn von der Griechischen Denkart weggebildet haben mögen, wenn wir über die Würde der Menschlichen Natur, über Heldengröße, über die Ernsthaftigkeit der Epopee, über Zucht und Anstand denken! Wie gelehrt muß also ein Auge seyn, um Homer ganz in der Tracht seines Zeitalters sehen: wie gelehrt ein Ohr, ihn in der Sprache seiner Nation so ganz hören: und wie biegsam eine Seele, um ihn in seiner Griechischen Natur durchaus fühlen zu können. Am sichersten, mein Urtheil über ihn sey nicht voreilend, damit ich ihm das nicht für einen Fehler anrechne, was Tugend seiner Zeit war.

Nun mag Hr. Kl. die unten gesetzte 19 Einleitung zu seinem Homerischen Tadel rechtfertigen; ich finde den einen Theil derselben am unrechten Orte; den andern Theil sehr zweifelhaft. Am unrechten Orte steht die Betrachtung, 20 daß Homer ein Mensch sey, Fehler habe, daß die Fehler der größesten Genies, eines Homer und Shakespear, ihrer Größe nichts benehmen, u.s.w. Für unsern Zweck wäre die Betrachtung gewesen: ob Homers Fehler, (als Griechischer Dichter seiner Zeit, und nicht als Mensch betrachtet,) von uns, und zu allererst von uns eingesehen, und Diktatorisch beurtheilt werden können? Und so zweifelhaft dies: so ungewiß wird mir das Folgende: 21 »daß Homer sein Gedicht mit nicht leichten Flecken besudelt, weil er sich entweder nach den Sitten seiner Zeit gerichtet, (das mußte er thun, und wenn ers thut, ists kein Fehler,) oder weil es schwer fällt, zurück zu halten, was dem Leser [203] Lachen erwecken könnte, oder aus einem Fehler seiner Beurtheilungskraft; kurz also, daß er sich zu dem herab läßt, wovon ich, Chr. Ad. Kl. achte, es schicke sich für die Würde, und den Ernst des Epischen Gedichts ganz und gar nicht.« Die erste Ursache ist unpassend: die zweite sehr unwahrscheinlich: die dritte zweifelhaft: und die Folge selbst, wie ich zu beweisen hoffe, falsch.

Unpassend die erste Ursache: »daß Homer mit nicht leichten Flecken sein Gedicht besudelt, weil er sich den Sitten seiner Zeit bequemt.« Homer mußte sich ihnen, und der Zeit seiner Helden bequemen; nicht aber der Zeit der Kapuciner, oder dem Jahrhunderte Ludwigs des vierzehenten, oder dem kritischen Jahrhunderte, das Hr. Kl. in Deutschland schaffen will. Es ist keine Sünde, zu behaupten, daß Homer an dies, und an die seligen Mohren in Afrika mit seinen Göttern, und mit seinem Unanständigen gar nicht gedacht habe.

Höchst unwahrscheinlich die zweite Ursache: »Homer habe sich zu dem herab gelassen, wovon ich halte, daß es sich für die Würde, und den Ernst des Epischen Gedichts ganz und gar nicht schicke, weil es schwer wird, das zurück zu halten, wovon wir glauben, daß es dem Leser Lachen erwecken werde.« Denn wenn Hr. Kl. das Zeitalter Homers, und seiner Helden kennet, wird er hoffentlich zugeben, daß demselben nichts fremder sey, als eine Sucht des Lächerlichen. Die Verfasser gewisser Bibliotheken mögen mit dem Marktausruffe vortreten:


Iocos ridiculos vendo: agite licitemini!


der Epische Dichter Homer weiß von solchen lächerlichen Grazien nichts. Das Zeitalter, das er besingt, war »die Zeit der Heldengröße, eines hohen Ernstes nach Griechischer Natur:« und die Zeit, in der er lebte und sang, »der Anfang des Bürgerlichen Jahrhunderts,« und also eines gesitteten Ernstes in edler Einfalt. So wie in der ersten der Held, der Tapfre, der größeste Mann war; so in der zweiten der Weise und Gute – in beiden war an den lachenden, oder Lachen erregenden Witzling nicht wohl zu gedenken; [204] sonst wäre statt Homerischer Epopeen nichts, als Crebillonsche Romane, oder komische Epopeen, die Erstgeburt der Griechischen Muse geworden. Bei Homer also, wenn er keinen Margites, sondern eine Helden-Iliade schreibt, bin ich vor dem unzeitigen, unwürdigen Lachen so sicher, als ichs bei den schönen und artigen Schriftstellern unsrer Tage wohl nicht bin: und dasvermöge des Homerischen Zeitalters.

Drittens endlich, dünkt mich die Ursache desbeschwerlich Lächerlichen in Homer eben so ungewiß, daß er aus einem Fehltritte seiner Beurtheilungskraft so unzeitig lächerlich, so lachsüchtig geworden: denn wer Homers Zeit kennet, wird zehn andre Fehltritte für wahrscheinlicher halten, als – doch warum so viel wahrscheinliche oder unwahrscheinliche Ursachen? Hr. Kl. komme nach vier und zwanzig Seiten einmal zum Beweise.

Fußnoten

1 Epist. Homer. Altenb. 1764.

2 p. 5–24.

3 p. 5. 6.

4 p. 6. 7. conf. Act. litter. Vol. I. p. 245–49.

5 p. 8. 9.

6 Epist. Homer. p. 10–12.

7 p. 12. 13.

8 p. 13. 14.

9 p. 15. 16.

10 p. 16. 17.

11 p. 18.

12 p. 18.

13 p. 19.

14 p. 20–23.

15 Fortunam Priami cantabo. Horat. A.P. [137]

16 Epist. Homer. p. 24.

17 Epist. Homer. p. 24.

18 p. 19. Ich weis diesen Ausdruck, als gewöhnliche Lateinische Phrasis; allein ich mag keine Phrasis, die es ursprünglich nicht war, die keine Wahrheit hinter sich hat.

19 p. 24 etc.

20 p. 21–23.

21 p. 24. 25.

2.

»Meine Meinung ist, 1 daß Homer manchmal an einem sehr ungeschickten Orte den Leser zum Lachen bringen wollen, und damit seinem Göttlichen Gedichte nicht leichte Flecken angesprützt, die demselben eine nicht kleine Unförmlichkeit, und dem Leser Verdruß erwecken. Hieher kann man in der Odyssee den Streit des Irus mit Ulysses, und im ersten Buche der Iliade den Ort rechnen, wo er den Gott Vulkan einen Gaukler (histrionem) spielen läßt – denn was spielt er anders, als einen Gaukler, da er den Göttern Wein einschenket, und diese den hinkenden Mundschenken mit großem Gelächter begleiten.« Noch mehr aber wird die Sache aus dem zweiten Buche erhellen – und nun kommt weit und breit die Geschichte von Thersites, die Hr. Kl. mal über mal für unanständig, unschicklich, ungereimt, unwürdig erklärt, und mit einem recht Thersitischen Geräusche völlig aus Homer verwirft.

[205] Nun wundre ich mich zuerst über die Verwunderung, »daß unter allen Feinden Homers noch niemand auf diese Geschichte gefallen, daß, so sehr man alles zu seinem Tadel gesammlet, man nicht diesen Ort angeklaget. Ich wundre mich, daß sich Hr. Kl. so viel Mühe giebt, es zu untersuchen, woher sich alle hätten betriegen lassen, diese Stelle nicht zu tadeln; daß er selbst eine Gedankencitation von Vida anführet, wo dieser wohl Thersites könne im Sinne gehabt haben, und – bei allem nicht den Franzosen, dem er, Hr. Kl. so manches Maleranekdotchen, und zehen gegen Eins, auch diesen ganzen Tadel schuldig ist, den er so unerhört, so weitläuftig, so wichtig vorzeiget.« Hr. Kl. wird doch seinen Leibautor, wenn es auf Malergeschichtchen ankommt, den berühmten d'Argenson, 2 , nicht verkennen?

Der Franzose sagt bei Gelegenheit seines Julius Romanus, und des lächerlichen Zwerges im Gemälde Konstantins: »es ist wahr, daß sich eine solche lächerliche Figur zu einem so ernsthaften Gegenstande gar nicht schicket; man müßte denn diesen Maler mit dem Homer entschuldigen wollen, der in der Iliade einen Vulkan, worüber die Götter spotten, und einen von aller Welt verachteten Thersites anbringt, um den Helden seines Gedichts einen Contrast zu geben.« Der Deutsche, oder vielmehr der Deutschlateiner, braucht diese Worte eben in der nämlichen Absicht, in demselben Zusammenhange, wie der Franzose, schmückt sie mit eben demselben Beispiele von Julius Romanus und andern bekannten Malern aus, die meistens d'Argenson selbst an ihrem Orte anführt, – und doch wird unter seinen Händen [206] den alles Neu und Unerhört. Ja endlich trübet er so gar d'Argensons bessere Anführung Homers. Dieser giebt dem Thersites einen »von aller Welt verachteten Charakter,« den ihm auch Homer giebt; Hr. Kl. macht ihn zum Possenreißer, was ein d'Argenson sich nicht einmal zu behaupten getrauete, und wovon Homer nichts weiß. Der Franzose läßt ihn und Vulkan vom Homer charakterisiren, um den Helden seines Gedichts einen Contrast zu geben; der Deutsche fährt über Homer her, daß er aus Ungeschliffenheit seines Zeitalters, aus der eitlen Sucht, dem Leser ein Lachen am unrechten Orte abzujagen, oder gar aus Mangel der Beurtheilungskraft, dem Gedichte so häßliche Flecken einbrenne, dem Leser zur Last wäre, ihm an unrechtem Orte ein unanständiges Lachen abzwinge, die Würde seines Epos aufopfere – Mit wem von beiden ließe sich also vernünftiger Homer untersuchen, mit dem vernünftig tadelnden Franzosen, oder mit dem sich brüstenden Deutschen? Leider muß ich mit dem letzten!

Was also Vulkan betrift: wird jeder Kenner Homers wissen, daß das Ideal seiner Götter nichts weniger, als das Ideal höchstvollkommener, geistiger, allerhöchster Wesen sey. Sie haben alle ihren Charakter, der nach Körper und Seele, nach Stärke und Denkart, nach Würde und Neigungen, nach Ansehen und Verrichtungen so bestimmt ist, als die Namen, die sie führen, oder die Partei, die sie im Homerischen Gedichte nehmen. Wie also bei den alten Künstlern die Bildung jedes Gottes ihr eigentliches Ideal, ihre Gestalt bis auf Bart und Haupthaar hatte: so sind auch in Homer ihre Charaktere gleichsam eine Reihe von eigenthümlichen Brustbildern, von Wesen, wo jedes aus sich, wo keins, wie ein drittes, handeln muß. Gegen Menschen gerechnet haben freilich alle Homerischen Götter ihr eigenes Anständige; aber unter sich selbst ist wieder ihre Würde, ihr Anstand, ihre Art zu handeln so eigen bestimmt, so sonderbar, als eines jeden Körper und Name. Man streiche in der ganzen Iliade alle Namen der Götter und Göttinnen aus; ich will jedes von ihnen aus ihren Reden und Handlungen errathen: und es kann aus Homer eine solche Gallerie von [207] Dichterischen Idealen seiner Götter erbauet werden, als Winkelmann seine Ideale derselben aus der Kunst aufstellet. 3

Hier also an unserm so unanständig lächerlichen Orte 4 – was war geschehen? Jupiter erscheint mit aller Ehrfurcht der Götter im Olymp, und die gebieterische Juno fängt über seine geheimen Rathschläge zu zanken an. Der oberste der Götter antwortet zuerst groß und unabhängig, und als Juno fortfährt und seine Rathschläge offenbaret, zornig und mächtig drohend. Verstummt vor Furcht, gebeugt in ihrem Herzen sitzt die hohe Juno da, und alle Himmlischen im Hause des Gottes versammlet, erseufzen. Eine Schauderhafte Stille, eine unruhige stumme Scene, wie vor einem Ungewitter, herrscht im Olymp!

Wer soll sie brechen? Soll Homer seinen Gesang schließen, und den Leser in einer bangen Besorgniß lassen, ob nicht auf dies Schaudervolle Verstummen nachher wirklich ein Ungewitter erfolget? ob nicht etwa die gebietende Juno den Streit erneuret, und also der mächtige Zevs seine Drohungen erfüllet? Unwürdige Besorgniß! der Hoheit des Epischen Gedichts, und dem Zwecke der Homerischen Handlung entgegen! Homer, der nirgend seine Handlung abbricht, sie mit jedem Worte weiter fortführt, thäte doppelt Unrecht, in seinem ersten Gesange, bei der ersten Versammlung der Alles lenkenden Götter uns nicht das Ende ihres Raths wissen zu lassen, und noch ärger uns auf sein ganzes Gedicht hin eine Idee von seinen seligen Göttern beizubringen, die uns wohl nicht den Zustand derselben sehr beneidenswerth vorstellte. –

Vollendet muß also der Auftritt werden, aber wie? und durch wen? Soll Juno ihren Zank erneuren, und vor unsern Augen unglücklich werden? Unwürdiger Anblick! Soll sie fußfällig abbitten? Ein niedriger Weg zum Frieden des Himmels, dazu ganz unjunonisch! Eher ließe sie sich auf die gedrohete Art strafen, lieber wollte sie einer höhern Tyrannei unterliegen, als so ihre [208] weibliche Hoheit verläugnen. Auf solche Bedingungen wird also kein Friede im Himmel!

Und wie denn? Es trete ein Friedensstifter auf zwischen beiden! Doch wer? Einer, der durch sein Ansehen rechte, und durch die Würde seiner Person, als ein himmlischer Nestor, Jupiter und Juno zum Stillschweigen bringe? Solch einer ist nicht im ganzen Olympus! Der Streit ist zwischen den höchsten Göttern: er betrift die Anschläge Jupiters, und die rechtmäßigen Drohungen seiner Macht: seine ganze Klugheit, sein obergöttliches Recht, seine Gewalt – alles ist mit im Spiele. Wer soll nun auftreten, ihm zu wiedersprechen, ihn ein beßres belehren zu wollen? Alle Anwesende sind Unterordnungen, Unterthanen, Kinder! Selbst die Göttin der Rathschläge, Minerve, ist die Tochter seines Haupts, und kennet ihren Vater zu gut, als daß er sich wiedersprechen, belehren lasse. Alle also, und ohne Ausnahme alle Götter von Würde, von Ernst handeln am besten, wie sie bei Homer handeln, stille sitzen und schweigen.

Anders also, anders wird die Zwietracht im Himmel nicht gestillt, als daß jemand Juno, die schwächere, und noch dazu die unbillige Parthei des Streites, besänftige – Wer soll dies thun? Etwa Einer, der Jupiter und Juno kenne, vielleicht beiden angehe, nicht zu erhaben sey, um beiden gute Worte zu geben, nicht zu ansehnlich sey, um seine Würde dabei in Gefahr zu setzen – Ein solcher seis, und hat er etwa in seiner Geschichte, in seinem Charakter, in seiner Gestalt Etwas, was Juno warne und besänftige, was die Macht Jupiters gleichsam redend, sichtbar zeige,Ihm also auch Recht gebe, ihn damit auch besänftige – ist ein solcher da, so trete er auf, und gebe den Göttern heitern Tag wieder!

Und siehe da! ein Gott von minderm Ansehen, ein himmlischer Handwerker; ein Gott, der Jupiter und Juno wohl gute Worte gäbe: ein Sohn beider; der in seiner Geschichte Beispiel gnug von der Macht Jupiters seyn kann: Zevs hat ihn vom Himmel geworfen; der in seiner Gestalt Warnendes gnug für Juno habe: sein noch hinkender, [209] und ewig hinkender Fuß – kurz! da ist der ehrliche Vulkan. Vulkan also fängt an im Namen aller himmlischen Untermächte zu reden, daß ein solcher Krieg die Ruhe der seligen Götter störe, daß die Sache der Menschen die besten Gastmale der Himmlischen verderbe. Vulkan spricht als ein ehrlicher Handwerker, der seine Gründe nicht weit herholet; aber seine Vorstellungen sind bündig, der Zeit und dem Orte angemessen, und so stark, als der Amboß, den er zu führen pflegt. Er und alle Götter sind ja zum Schmause erschienen!

Er wendet sich gegen die Mutter, ob er gleich wüßte, daß auch sie verständig wäre – der Ehrliche, in dessen Munde diese Worte so glaubwürdig werden, als sie es seyn sollen: in dessen Munde also auch die kindliche Anmahnung kein sich brüstender überhobner Rath seyn wird.

Er erinnert sie an die Macht des Donnergottes, der, wenn er wollte, alles vom Himmel werfen könne – der gute Vulkan redete aus Erfahrung, und wie sein hinkender Fuß ihn nicht anders reden läßt. Sein Rath ist also, Zevs abzubitten, und dem ganzen Himmel Heiterkeit wieder zu geben. – Wo ist bisher der Possenreißer, der hinkende Gaukler?

Aber abzubitten? dem Himmel Heiterkeit wieder zu geben? Und Juno selbst soll leiden, soll Unrecht behalten? – O daß sie nur nicht am Dornstrauche des letzten Worts hangen bleibe, und von neuem zürne! Siehe da, Vulkan! den Becher voll himmlischer Freude, die Schaale voll Nektar! Tritt zur Juno, daß sie diesen letzten Zug nicht fühle: tröste sie über ihre Traurigkeit und ihre Unterdrückung: führe deine eigne unglückliche Geschichte an! – Vulkan thuts, und siehe! da lächelt die Königin der Götter: lächelnd nimmt sie den Becher der Freude von der Hand ihres Sohnes.

Ihr hohes Lächeln hat den Olymp aufgeklärt: die Wolken sind vorüber. Die Ruhe, die himmlische Freude besucht die Wohnung der seligen Götter wieder: der süße Nektar fließt für alle: bei allen findet sich das unzerstörbare Vergnügen, die unauslöschlich [210] ewige Seligkeit wieder ein, und fängt an, da sie Vulkan so geschäftig zu ihrem Vergnügen sehen:


Ασβεστος δἀρ ενωρτο γελως μακαρεσσι Θεοισιν
Ως ιδον Ηφαιστον δια δωματα ποιπνυοντα.

So schmausen sie den ganzen Tag hinab bis zur untergehenden Sonne: ihr Herz begehrt nichts: sie speisen Ambrosia des Himmels, sie hören die Zitter des Apollo, und den Wechselgesang der Musen: sie gehen endlich vergnügt jeder in das himmlische Gemach, das ihm der künstliche arbeitsame Vulkan erbauet: Jupiter selbst besteigt sein hohes königliches Bette, und neben ihm die auf goldnem Throne prangende Juno! – Selige Götter! selige Wohnungen des Olympus!

Wie hat nun Vulkan seine Sache ausgerichtet? Stand er auf, um einen lahmen Gaukler zu machen, und nichts mehr? Unwürdige Vorstellung: Homer erweckte ihn, um die Götter aus einander zu bringen, um dem Olymp den Frieden zu geben. Erreichte er diesen Zweck durch Possen, durch Gaukeleien? Noch unwürdigere Vorstellung: er spricht so anständig, so charakteristisch, als ein Vulkan nur sprechen kann, und hier nur sprechen sollte. Läuft drittens der Auftritt auf ein Pöbelhaftes Gelächter hinaus, das sich Bauch und Seiten stemmet, und so fortwähret? Noch unwürdigere Idee, nicht werth, die seligen Freuden des Olymps auch nur von fern zu sehen. Und endlich: war gar dies Pöbelgelächter Homers Endzweck? – – Ich werde unwillig: wer die ganze Episode durch an nichts als an Vulkans hinkendem Fuße, und an den artigen Grimaßen des Mundschenken seine Augen weidet, wer nichts bei Homer als dies sieht, wer alle Götter hierinn nach sich beurtheilt, dem könnte es in diesem Himmel, wie vormals dem Vulkan selbst, gehen: der lache lieber in den Busen!

Homerus loco admodum inepto, dum risum lectorum captare voluit, non levibus carmen divinum maculis adspersit, quae illi non exiguam deformitatem, lectorique molestiam concilient. Huc referre potes locum, ubi deum Vulcanum histrionem agere iubet. [211] Quid enim aliud agit, quando diis vinum infundit, qui claudum hunc pincernam magno risu prosequuntur? etc. Hr. Kl. gestehe bei dieser Stelle, 5 entweder, daß er d'Argenson, oder der Lateinischen Uebersetzung Homers gefolget, oder wenigstens Homer nicht in seinem ganzen Sinne nehme. Die gemeine Lateinische Uebersetzung freilich, die weiß von einem immenso risu excitato, und einemBitaubé ists auch zu vergeben, wenn er den ganzen Himmelssaal von Gelächter der Götter über das Laufen und Rennen Vulkans erschallen läßt: (tous les Dieux, qui le voyant s'agiter et courir de tous côtés, font retentir d'un rire éclatant la voûte céleste). In der Sprache Homers aber, und insonderheit in der einfältigen Sprache seines Zeitalters ist »der ασβεστος γελως der seligen Götter« kein unwürdiger, unanständiger Ausdruck: er bezeichnet die ewige Heiterkeit, die unzerstörbare Freude, die ihre Stirn wieder einnahm, das selige Lächeln, das bei dem Anblicke des Nektarschenkenden Gottes auf ihrem Antlitze schwebte. Allerdings zugleich ein kleiner Zug von Lustigkeit über seine Gestalt, und daß er seine Sache so wohl gemacht, mischet sich ein; durchaus aber kein unendliches Pöbelgelächter über einen hinkenden, wackelnden Gaukler; durchaus tritt Vulkan nicht auf, einen solchen Narren vorzustellen, an dem man sich satt lachen solle. Wer ist der Homerist, im Geiste Homers, der ihn und seinen Vulkan, und seine Götter zu solchem Pöbel erniedrigen kann! 6

Ich wenigstens nicht. Bei mir erreicht das Geschäfte Vulkans, die Juno, und den Jupiter, und den Himmel zu besänftigen, seine Wirkung mit jedem neuen Verse. Mit jedem fühle ich gleichsam [212] einen gelindern Grad von der Bewegung des Sturmes, mit jedem einen neuen sanften Abfall zur Ruhe des Olympus: bis durch alle Stuffen des geminderten Schwunges die selige Freude, das himmlische Lachen der Götter hervorbricht, und nun das frohe Ambrosische Fest anfängt. Vulkan war Friedensstifter, Vulkan der Geber des Festes, und Homer erneuret noch das gute Andenken, das er sich diesen Tag gestiftet, dadurch, daß bei dem Schlusse desselben jeder der Gäste in das Gemach geht, »das ihnen Vulkan erbauet.« – Niemand kann sich eine Seele geben, die Er nicht hat: aber mich dünkt, daß von jedem besänftigenden Verse Homers, (nach Lucians Ausdrucke 7 bei seinem Ebenbilde der Schönheit,) eine Honigsüße Spur in mir zurück bleibe, daß mit jedem Worte sich der Aufruhr der himmlischen Unruhe mehr bändige, und endlich bei dem Ausbruche der seligen unzerstörbaren Freude bleibet ein Echo zurück, das mich die Citter des Apollo und den Gesang der Musen hören läßt, und so schließe ich Homers ersten Gesang.

Fußnoten

1 p. 24. 25. etc.

2 Leben der Mahler Th. I. p. 81. Eben der Tadel, nur verändert, ist Voltären und andern Franzosen eigen, und Hr. Leßing hat zu verschiednen malen die Sache von der Seite des Drama in Beleuchtung genommen; s. Dramaturg. 1. und 2. Band hin und wieder.

3 Geschichte der Kunst und Anmerk. dazu, p. 142. etc. [WW. 4, 85 fgg.]

4 Iliad. ά v. 595.

5 p. 25.

6 Ich hoffe doch nicht, daß man mir Plato's Urtheil (de Republ. L. 3.) dagegen anführen werde: denn Plato will hier, wie er, oder Sokrates in andern Stellen, keinen Ausleger Homers, sondern den Moralisten, den Staatslehrer seiner Zeit aus Homer machen. Und schlimm gnug, wenn der Pöbel der Griechen diese Stelle so nahm, wenn er die Götter sich hieraus als φιλογέλωτας dachte, und ihnen wenigstens im Gelächter nachstreben wollte!

7 Τι λείψανον ἐνδιατρίβειν, καὶ περιβομβειν τὰ ὦτα καϑάπερ ηχώ τινα παρατείνουσαν τὴν ἀκρόασιν, καὶ ἴχνη τῶν λόγων μελιχρὰ ἂττα κ. τ. λ. Lucian. εικον.

3.

Und so begleite ich ihn auch bei der Scene Thersites. Wenn Hr. Klotz dieselbe nicht aus der Lateinischen Uebersetzung beurtheilte, so würde er kaum das γελοιον, 1 sondern das αισχρον zu ihrem Hauptcharakter machen: wenn er sie nicht aus dem Zusammenhange risse, so würde er finden, daß sie nicht blos an ihrem Orte stehe, 2 sondern auch, welches noch kühner ist, nirgends anders stehen könne: und wenn Hr. Kl. sich auf die Zeiten Achills und Homers erinnerte: so würde er finden, 3 daß das Colorit des Niederträchtigen, Pöbelhaften, Häßlichen im Thersites Original Griechisch sey, nach den Sitten der damaligen Zeit nicht anders, und nach dem Epischen [213] Zwecke Homers nicht schwärzer, und nicht weißer seyn könne. Hier muß ich also Hr. Klotzen verlassen; denn er redet mir Bogenlang von einem Possenreißer, von einem unleidlichen Gaukler, von einem beschwerlichen unanständigen Lachenerwecker vor, den ich nicht kenne.

Beinahe eben so tief ists, wenn er den ZankUlysses und Irus tadelt. 4 Was dieses Gezänk in der Odyssee 5 ist, das sind die Zänkereien zwischenAchilles und Agamemnon 6 in der Helden-Iliade, nur nach Verschiedenheit des Stoffes und der Menschengattung: Zank bleibt an sich Zank. Und was dieser Hader unter Menschen, ist der Zank unter den Göttern, der sich noch mehr und öfter auszeichnet. – Und was dieser; das sind hundert Scenen, die alsdenn aus Homer wegmüssen, wenn eine solche ehrbar feine Critik unsres Zeitgenossen gelten sollte, kein Held der Iliade, die wenigsten Auftritte der Odyssee sind alsdenn für unsern Zoilus: denn heißt es aufs neue:


ibis, Homere, foras.


Wenn es darauf ankäme, könnte ich Hr. Kl. selbst noch eine Reihe unwürdiger, unanständiger, unartiger Züge in Homer anführen, »wo Homer geschlummert, als welches, ich glaube, aus den Oertern erhellet, wo er sich den Sitten seiner Zeit bequemet, die noch nicht gnug gefeilt, bei ihrer Einfalt etwas Bäurisches und Rauhes haben, wo er sich zu dem herabläßt, was der Würde und Erhabenheit des Epischen Gedichts, wie ich achte, gar nicht geziemet: wo er demselben nicht leichte Flecken angespritzt, wo er es nicht auf eine geringe Art verunstaltet, wo er dem Leser einen nicht kleinen Verdruß erwecket.« Ueber alles könnte ich mit vielen Beispielen aufwarten, und alsdenn im würdigen Ton auf Homer schmähen; ob aber daraus Homerische Briefe, oder eine Satyre würde: mag der Kenner Homers urtheilen, und Gott Lob! daß Deutschland wahre Kenner Homers besitzet!

[214] Jetzt muß ich Homer verlassen, denn ich sehe, daß Hr. Klotz, zornig, wie die Göttinn Ate bei Homer, auf den Köpfen der größesten Genies aller Zeiten und Völker wandelt. 7 »Lächerliches mit dem Ernsthaften, mit dem Nachdrucke Scherz, und das Große mit dem Niedrigen vermischen, hat zu aller Zeit für unanständig angesehen werden sollen, muß von jedem getadelt werden, es sey denn, wer mit Lopez di Vega glaubt, es stehe ihm frei, mit Vernachläßigung aller Regeln, was und wie ers wolle vorzubringen, und das Wahre mit der Fabel, die Komödie mit dem Trauerspiele, das Lächerliche mit dem Ernsthaften so zu vermischen, daß aller Unterschied zwischen dem Soccus und Kothurn aufhöre.« Und das sollte Lopez di Vega geglaubt haben? Das kann Hr. Klotz von einem Manne schreiben, dessen Namen ihm Ehrfurcht erwecken sollte? Der Spanische Dichter mag selbst reden, 8 er wird doch besser wissen, was er glaube, oder nicht glaube, als Hr. Kl. »Dem Himmel sei gedankt, noch ehe ich völlig zehn Jahre gewesen bin, habe ich die Bücher durchgelesen, die von den Regeln der dramatischen Dichtkunst handeln. Als ich aber zu schreiben anfieng, fand ich die Komödie bei uns beschaffen, nicht wie die Alten gedacht haben, daß man sie nach ihnen einrichten würde; sondern wie sie viele Unwissende verunstaltet, die dem Volke ihren groben Geschmack beigebracht haben. Dieser schlechte Geschmack ist so sehr eingerissen, daß derjenige, der es wagt, nach den Regeln zu arbeiten, in Gefahr steht, ohne Ruhm und Belohnung zu sterben; denn unter Leuten, die sich der Vernunft nicht bedienen wollen, vermag die Gewohnheit mehr, als alle Vorstellungen. Es ist wahr, daß ich zuweilen den Regeln der Kunst, die so wenige kennen, gefolgt bin; so bald ich aber, auf der andern Seite, jene blendenden Ungeheuer, wozu das Volk schaarenweise läuft, und welche das Frauenzimmer[215] vergöttert; so bald ich diese auftreten sehe, so kehre ich sogleich zu meiner barbarischen Gewohnheit zurück, und wenn ich eine Komödie schreiben soll, verschließe ich geschwinde den Aristoteles und den Horaz unter 5Schlössern, und lege den Terenz und Plautus aus meiner Studierstube weg, damit sie nicht zu klagen anfangen: denn die Wahrheit schreit aus vielen Büchern laut hervor, u.s.w.« Nur ein Hr. Klotz kann also schreiben: 9 Lupum Felicem de Vega, Carpionem persuasum habuisse, licere sibi, omnibus praeceptis neglectis, quascunque res, quocunque modo in scenam producere etc. ut omne socci et cothurni discrimen tollatur.

Von einem Herkules gehts zum andern, vom Spanischen Homer zum Brittischen: von Lopez zum Milton. 10 »So wie in großen Vorzügen, so ist auch hierin Milton dem Homer gleich: ich sehe ihn scherzen und spotten, wo er ernsthaft und nachdrücklich sein sollte.« Nun werden Stellen angeführt, die längst in England selbst bessere Tadler und zugleich ihre Vertheidiger gefunden, der Streit Gabriels mit dem Satan, der bittre Spott im Munde Satans, der Limbus der Eitelkeit u.s.w. Hr. Kl. schlage Addison, oder die erste beste Englische Ausgabe Miltons mit Anmerkungen, oder auch nur unsere ältere gute Schweizerübersetzung auf: – er wird finden, daß seine Vorwürfe wiederholt, mit Gründen vorgetragen, und mit Gründen widerlegt – veraltet sind.

Mit Gründen veraltet: und er hat geglaubt, Gründe nicht anführen zu dörfen. Der Satz selbst: »in einem Epischen Gedichte will man ernsthaft seyn, folglich soll man nicht lachen, folglich soll sich auch keine Spur des Lächerlichen einstehlen,« dünkte ihm Grund gnug: er wiederholt ihn also als ein Axiom, das wohl gar ein Hauptgesetz der Epopee werden könnte. Ein solches furchtbares Hauptgesetz über die höchste Dichtungsart des Menschlichen [216] Geistes verdient doch, ehe es so unbestimmt eingeführt würde, eine Berathschlagung.

Deutlich unterschieden hat das Problem verschiedne Seiten. Fodert es die Proprietät des Epischen Gedichts, und die Congruenz aller Theile desselben, daß kein Zug des Lächerlichen erscheine? Oder fodert es meine Empfindung, jede Bewegung meiner Seele, die sich zum Lachen neiget, zu unterdrücken, um nicht die Epische Wirkung in mir zu schwächen? Fodert es die Würde Epischer Personen, daß sie nicht lachen, oder daß ich nicht über sie lache? – Mir scheint die letzte Frage die faßlichste: Lasset uns also die Sache am leichtesten Ende angreifen.

Fodert es die Würde Epischer Personen, daß ich nicht über sie lache? durchweg lache, so lache, daß dies der Ton meiner Empfindung bleibe – wer kann noch fragen? Aus der Epopee wird alsdenn eine Burleske, ein komisches Gedicht: oder wenn der Dichter es eigentlich nicht einmal zum Zwecke hatte, Lachen zu erregen, und erregt es doch: schafft er Ekel, Verachtung, Mißvergnügen. Würdig sey der Epische Held; nicht aber seinem Hauptcharakter nach lächerlich.

Davon also war die Rede nicht; aber kann der Held nicht hie und da eine Blöße verrathen, die lächerlich sey? Ich bitte hier den Unterschied zwischen cherlich und belachenswerth zu beobachten. So bald der Held auch nur in einer Handlung eine Seite giebt, die nicht anders, als belachenswerth, seyn kann; aber belachenswerth nach Grundsätzen, und mit Rechte: freilich so hat sich der Dichter mit diesem Zuge selbst geschadet; denn nichts hebt die Würde seiner Person so sehr auf, als dieser Anstrich. Den Belachenswerthen verachten wir zugleich: er dünkt uns niedrig: und wie viel verliert ein Episches Subjekt, eine Epische Handlung, die dies wäre?

Hieher der Vorfall Ulysses mit Irus 11 – wäre er wirklich niederträchtig und unwürdig von Seiten Ulysses, verminderte er [217] die Hochachtung, die wir für den alten, weit gereiseten, abgehärteten Mann haben, müßten wir in der Folge verwünschen, ihn in dieser Situation gekannt zu haben; allerdings unterschreibe ich alsdenn: Iri cum Ulysse concertatio epici carminis gravitatem minime decet. Wer aber, der Homer auch nur aus der Uebersetzung kennet, wird dies finden? Der arme Ulysses, so weit herunter gekommen, daß er vor seiner eignen Thüre in Ithaka endlich, als ein elender zerlumpter Bettler, anlanget: und, siehe da! stößt ihm ein andrer Bettler in den Weg; ein Bettler von einer ganz andern Art, der fräßige, nichtswürdige Irus. Dieser Lüderliche will jenen ehrwürdigen Greis von der Thüre wegdrängen, wegstoßen, wegschrecken; und Ulysses, jetzt nichts, als ein Bettler, antwortet ihm so ruhig, so unneidisch, aber auch mit solcher gesetzten Fassung, daß der andre, wie es auch bei gelehrten Bettlern gewöhnlich ist, nur zu Schimpf- und Scheltworten seine Zuflucht nimmt. Der anwesende Antinous hört den Bettlergoliath, freut sich nach seinem Charakter darüber, erzälts den Freiern der Penelope, und hat den lustigen Einfall: der Junge und Alte sollten kämpfen – freilich ein Einfall, den nur die Seele eines Antinous für schön halten, und nur Schwelger, wie seine Mitgenossen, billigen konnten. Der unerkannte Greis redet wider die Unbilligkeit des Vorschlages, den man ihm, einem alten Manne, thue; aber, da hier die Sache seiner Ehre, als Bettler betrachtet, und als ein Hungriger die Sache seines Magens im Spiele ist: so fasset er Entschluß. Er gürtet sich, und selbst die üppigen Zuschauer bewundern den Bau seines Heldenkörpers. Er erwäget, ob Ein Schlag seinem zitternden, schwachen, und aus Fräßigkeit entnervten Gegner den Tod geben solle; und seine Großmuth spricht das mildere Urtheil. Er schont des Elenden: ein Backenstreich ist zu seinem Siege, zu der Entwafnung seines unwürdigen Feindes gnug: da liegt der jämmerliche Mensch blutend und ohnmächtig. Ulysses richtet ihn an die Wand auf, und giebt ihm seinen Bettlerstab in die Hand, um Hunde weg zu wehren, nicht um über Bettler den Herrn spielen zu wollen.

[218] Was ist nun in der Geschichte Unwürdiges, Unanständiges für den Ulysses? Daß er zum Bettler herunter gekommen? So muß man den ganzen Lauf der Odyssee, das Subjekt des ganzen Gedichts ändern. So muß die Muse Homers gar nicht den besingen, den sie besingen wollte:


ανδρα πολυτροπον – – ος μαλα πολλα
πλαγχϑη – – –
Πολλων δ᾽ ανϑρωπων ιδεν ασεα, και νοον εγνω
Πολλα δ᾽ ο γ᾽ εν ποντῳ παϑεν αλγεα ον κατα ϑυμον
Αρνυμενος ην τε ψυχην – – –

So schreibe man eine bessere; anständigere, artigere Odyssee, die ihren Helden im Wohlstande lasse, ihn in dem Arme einer Göttin nach Ithaka trage, auf ein weiches Polster setze, und was man mehr für Decenz hinein zu bringen wisse. Ich mag sie nicht lesen, kein Grieche wird sie lesen wollen.

Oder ists unanständig, daß Ulysses sich dem unverschämten Bettler nicht gleich, als Herr des Hauses, als Ulysses, als König entdecket – wahrlich! eine würdige, sehr gelegene, sehr glaubwürdige, sehr Epische Entdeckung!

Oder, daß Ulysses den Freiern bei seiner Penelope sich nach ihrem Zumuthen mit einmal verrathe? Wieder ein würdiger Verrath, der nichts mehr, als den ganzen Lauf der Odyssee, stört.

Oder, daß er keinem Bettler begegne? So wird aber in der sich nähernden Entdeckung eine Lücke; und ein Hauptaugenmerk Homers verschwindet, daß der ανηρ πολυτροπος sich auch in dieser tiefsten Situation, als ein Ulysses πολυτροπος zeigen sollte.

In dem sich zubereitenden Ausgange geschieht ein Sprung – und ich mag diesen Sprung nicht. Ich will gerne den Ulysses, als einen Bettler, sehen, wenn er auch nur in diesen Kleidern meine Achtung, als Ulysses, sich zu erwerben weiß; und wie sehr weiß er dieses? So, wie bei seiner Gürtung und Entblößung, seine Heldenhüfte, seine erhabne Brust, seine starken Arme, sein [219] vester Rücken den Helden auch im Bettlersrocke verrathen: 12 so soll dieser Sieg vor der Schwelle, und vor den Augen seiner schwelgerischen Feinde das Vorzeichen seyn von größern Thaten im Hause, von unerwartetern Entwickelungen. Nichts ist, was den großmüthigen und tapfern Ulysses auch hier erniedrigt; vielmehr würde mit Auslassung dieses Auftrittes, die Steigerung seiner Enthüllung, und der sanfte allmäliche Fortfluß der ganzen Odyssee gehemmet.

Wo ist nun das Belachenswerthe, das Unanständige? wo ists insonderheit, nach den Sitten Ulysses, nach den Zeiten, nach dem Zwecke Homers? Ich woll te, daß es Hr. Kl. zeige.

Eben so wenig finde ich die Neden in dem Munde Gabriels, auch nur einem Zuge nach, belachenswerth und unwürdig seiner Größe: denn eben die verächtliche Begegnung gegen den dumm spottenden Satan ist die Mine seiner Hoheit –


the warlike Angel mov'd,
Disdainfully half smiling thus reply'd etc.

Ich fühle in seinem Betragen so wenig Hervorspringendes, und so viel charakteristischen Gegensatz zwischen ihm, und seinem Gegenparte, daß ich mit Addison gern diesen Wortwechsel für einen der charakteristischen im ganzen Milton halte.

Der Charakter Achilles sey so groß in seinen Fehlern, als in seinen Tugenden; diese Fehler gehören zu einer Griechischen Heldenseele, zu einem Achilles; aber wahrhaftig belachenswerth, unwürdig, unanständig sey er nicht, und wo ist ers? Nur nehme man ihn, und jeden Helden einer Epopee nach den Begriffen seines Landes, und seiner Zeit; sonst kann freilich ein ehrbarer, seiner und ernsthafter Kunstlichter einen höhern Aether zum Athemholen nöthig haben, um einen Ulysses, wie einen aus der Canaille in Bettlerskleidern, und nicht in einem ansehnlichen Carosselle etwa, oder mit prächtiger Equipage, zu sehen – –

Doch ich kehre um: wenn eine würdige Epische Person nicht belachenswerth seyn muß, darf sie auch selbst nicht lachen? Welche [220] Frage! welche Verwirrung der Begriffe! Muß ein Held die Würde seines Epischen Charakters dadurch behaupten, daß er, wie ein Karthäuser, nur sein memento mori! ernsthaft und sauertöpfisch grunze? Vergeben die Götter dadurch ihrer himmlischen Hoheit, daß sie lachen? Stört Homer damit die feierliche Harmonie seines Gedichts, daß seine Griechen über den häßlichen Thersites nach seiner Züchtigung lachen? O die abentheuerliche Mönchsfeierlichkeit! So wollen wir das Wort γελαειν, mit allen seinen Abkömmlingen, aus Homer ausstreichen: so wollen wir die Mine des Disdainfully half-smiling von dem Antlitze des herrlichen Miltonischen Engels wegwischen, und in tiefe kritische Runzeln verwandeln: so soll aus der ganzen Iliade ein Gothisches Kloster, und aus seinen Helden eine Reihe feierlicher Prälaten werden, denen der Ernst häßliche Falten in die Stirne gekniffen, und die, wie der vortrefliche Hudibras –


a Knight he was, whose very Sight wou'd
Entitle him Mirrour of Knighthood
That never bow'd his stubborn Knee
To any Thing but Chivalry
His tawny Beard was th' equal Grace
Both of his Wisdom and his Face – –

Alsdenn, alsdenn wollen wir diese hochansehnlichen Personen, die Geschöpfe unsrer Ehrbarkeit, mit dem zufriednen Blicke ansehen, als unser Homerist, da er den Thersites aus Homer, in einer glücklichen Stunde seines Kopfs, auswerfen wollte, und zu sich selbst sprach: 13 »wie aber, wenn wir diesen Menschen hinaus würfen, und alle Verse wegschnitten, die von ihm handeln; laß sehen, ob wir nicht ernsthaft bleiben werden? nonne retinebimus animi gravitatem? –« Herrlicher Einfall! »wer lachen will, soll in einer Satyre und Komödie auftreten, nicht in einer Epopee [221]in gravi ridere, quis decere existimat?« herrlicher Einfall!

Ich thue es ungern, daß ich Hrn. Kl. Epischen Verboten so etwas Schuld geben muß; aber wie kann ich anders? Er führt ja Beispiele, wo kaum das Wort Lachen im Texte Homers steht, ohne zu untersuchen, ob wir, ob der Leser lache? ob eine Person sey, mit der wir Theil nehmend lachen? ob wir uns nicht vielmehr über das Lachen desselben ärgern? ob dieser Unwille nicht eben die Absicht des Dichters gewesen? Nichts von allem! Die Schwelger bei der Penelope lachen; Ulysses und Irus geben dazu Anlaß – in der Epopee soll keiner lachen: – Ulyssus und Irus aus der Odyssee hinweg! Die Teufel in Milton spotten und lachen: sie beweisen zwar dadurch nichts anders, als daß sie Teufel, dumme Bösewichter sind, und lachen so charakteristisch, als sie nicht reden könnten – aber doch lachen sie, und in der Epopee soll keiner lachen – weg damit!

Ehe nun ein so feierliches Gebot gegeben wird, soll voraus ausgemacht werden: ob das Lachen ein wirklich entehrender Zug eines Menschen- eines Helden-eines Götterantlitzes sei? Ob es nicht Fälle geben könne, da das Hohnlächeln sowohl, als das Hohnlachen, und das Lächeln der Freude sowohl, als das Freudengelächter, den Epischen Zweck mit befördern muß? Ob nicht ein hohnlachender Satan, und ein erhaben lächelnder Engel, selig lächelnde Götter, und närrisch lachende Wollüstlinge, und schadenfroh lachende Griechen zum ganzen Epischen Gemälde unentbehrliche Gruppen ausmachen können? Ob der Ton jeder Epopee gleich hoch gestimmet sey, und auch die Concente des Ernsts in gleichem Maaße haben müsse? Ob alle Personen, die im Epos erscheinen, wie in der Iliade, bis auf einen Thersites; wie im Paradiese Miltons, bis auf den Satan; wie in der Odyssee, bis auf die Freier; wie im Olymp, bis auf Vulkan; wie auf dem Theater, bis auf den Lichterputzer, gleich ernsthaft, groß, Heldenmäßig [222] Wunderwürdig seyn sollen? Sind diese Fragen ausgemacht, so kann das obige Gebot gegeben werden: so lange will ich mich indessen mit Tristram Shandy erholen, und vest versichert seyn, »daß dies kurze Leben nur dadurch etwas verlängert wird, wenn man beständig aufgeräumt ist; und noch mehr, wenn man lachet.« Wenigstens lache ich so lange für mich, und für keine Epische Person im Heiden- Christen- und Judenthume.

Fußnoten

1 p. 31.

2 p. 31.

3 p. 32.

4 p. 25.

5 Odyss. L. 18.

6 Iliad. ά.

7 p. 32. 33.

8 Neue Bibl. d. sch. W. 1. B. 2. St. p. 213.

9 Epist. Hom. p. 33.

10 p. 34. 35.

11 Odyss. σ᾽ v. 1–100.

12 Odyss. σ᾽ v. 66. etc.

13 Epist. Hom. p. 31.

4.

Doch ich sollte ernsthaft reden: wohlan also! wir wollen ernsthaftern Ueberschlag machen.

Kann die Epische Würde mit einem belachenswerthen Charakter bestehen, wenn dieser Hauptcharakter der Epopee seyn soll? Nein, und wenn er auch nur einige Unwürde in einzelnen Fällen hätte, noch nein! Aber kann ein würdiger Epischer Charakter auch lachen? Wenn am rechten Orte, wenn im gehörigen Maaße, wenn zu Erreichung des Epischen Zwecks – warum nicht? Der erste Unterschied, den Hr. Kl. nicht beobachtet: Lachen und Lächerlich seyn, d.i. zum Lachen da stehen – welch ein Unterschied!

Zweitens: die Würde der Epischen Hauptperson, gebührt die auch jeder Figur, die in der Epopee auftritt? Unmöglich! und eben bei keinen zwoen Personen muß diese Würde ganz gleich seyn. Einige müssen, eben um die Würde Epischer Helden ins Licht zu setzen, mit ihnen kontrastiren, und Unhelden seyn: Unkraut unter dem Weizen, und Satane um der Engel willen. Wenn es also Einen Achilles geben kann, den Tapfersten der Männer vor Troja, wenn mit ihm tausend Helden, die Stuffenweise an Tapferkeit herunter steigen; warum nicht auch Einen feigen Thersites. Wenn so viel edle, schöne, würdige Seelen; warum nicht auch Eine, die häßlichste unter allen, die vor Troja gekommen waren? Diese, das Bild der Unedlen unter den Griechen, kann mit der gehörigen Epischen Erhöhung so gut und zweckmäßig im Gedichte erscheinen, [223] als unter den Griechen vor Troja die Unedlen. Wenn in einem Trauerspiele schon nicht lauter Helden seyn müssen; so konnte in der weit größern Welt von Menschen, die Homer in der Iliade schuff, auch ein Thersites seyn müssen. Wird seine Einwirkung mit den übrigen Gewichten der Iliade nur zusammen gewogen: erscheint er an Orte und Stelle: nicht ohne Nutzen, mit Zwecke: – vortreflich! – Dies ist der zweite versäumte Unterschied. Die Würde der Epopee fällt auf das Ganze des Gedichts, auf jede einzelne, insonderheit jede Nebenperson nur in dem Maaße, in welchem sie zum Ganzen beiträgt: so muß gravitas epici carminis berechnet werden.

Nun hat, und wer weiß das nicht? die Proprietät, die Eigenheit des Epischen Werks im Ganzen nichts weniger, als das Lächerliche, zum Haupttone; aber kann nicht ein Belachenswerthes in einem Theile zur Congruenz des Ganzen gehören, und ein Thersites, ein Dämon mit zur Harmonie des Werks einstimmen? Nichts ist hier so sonderbar, als eine Scene heraus zu heben; ohne zu betrachten, wie sie mitten im Verfolge sich ausnimmt, oder, besser zu sagen, sich fortdränget, sich aus andern entwickelt, und andere vorbringet, so, daß sie nichts als eine Tonreihe zur Symphonie des Ganzen bleibet. Ein Thersites an sich sey, was er wolle, was ist er zum Ganzen der Iliade? Was ist er in seinem Verfolge? Mischen sich in ihm Homers Successionen der Auftritte, daß ihre Farben schneidend werden, daß der Poetische Maler sie nicht verschmolzen, daß sie in ihrer Succession nicht Ton halten, daß das Auge des Lesers keine Ruhestatt finde, nicht weiter gehen wolle? Wer kann das sagen?

Drittens endlich: die sicherste Kritik eines Gedichts ist die Reihe meiner Empfindungen; und in Absicht auf diese ist das Lächerliche sehr verschieden. Entweder so, daß ich lache, und es der Endzweck des Dichters war, mein Lachen zu erregen, er thue es ernsthaft, oder scherzhaft; oder daß ich etwas Belachenswerthes erblicke, und verächtlich lache, mich ärgere. So sind mir die üppig lächelnden Zuschauer bei dem vorgedachten Austritte zwischen[224] Ulysses und Irus zuwider: sie lachen; aber kaum lache ich mit ihnen. So wird der häßliche Thersites den Griechen belachenswerth; drum aber ist er nicht, um ihnen lächerlich zu seyn. So freuen sich die Götter im Olymp, und der sympathetische Leser soll sich mit ihnen freuen. – Auf die Art wechseln die Empfindungen unsrer Seele die Länge eines Gedichts herab, und nur der kann das Ganze beurtheilen, der die ganze Reihe dieser Successionen sich auf einmal anschauend machen könnte. Da dies aber unmöglich ist: so schwimme ich sanft den Strom herab, und folge dem Dichter, der Ein Gefühl nach dem andern in mir aufrufft, Jedes mit dem andern verschmelzet, und die Misklänge in einander auflöset: so wird der harmonische Einklang des Ganzen.

Ist diese Harmonie bei einer Epopee aber nicht Bewunderung? Freilich! Niemand aber denke, daß diese Hauptempfindung die Einzige, eine ganze Epopee hin, seyn müsse: denn wer kann einen langen starren Blick in die Höhe ertragen? Mitleiden und Schrecken, und Abscheu und Zorn, und Verdruß und Verachtung, alles kann nach einander, an seinem Orte, erreget werden, wenn sich nur jede Empfindung so aus einer andern, in eine dritte ergießet und verlieret, daß zu letzt ein Echo, wie die Stimme der Musen in meiner Seele, bleibe, das Bewunderung sey. Diesen Hauptunterschied hat Hr. Kl. nicht beobachtet: ob ich lache, oder mich über ein Lachen ärgere; freudig oder hönisch lache – ob ich etwas lächerlich oder belachenswerth fühle – alles ist ihm einerlei, wenn nur vom Lachen die Rede ist.

Und wer ists wohl, der die Empfindungen der Seele besser und natürlicher auf einander folgen lasse, als Homer? Kann denn ein Leser von Griechischem Gefühle, der Musik der Seele hat, es bei Homer unempfunden gelassen haben, wie er einen Ton der Seele aus dem andern entwickelt, und in einen andern auflöset – wie keine Stimmung bei ihm über die andern vorschreien, mehr als sie zum Ganzen Eindruck nachlassen soll. – Wer dies empfunden, wer dies als eine stetige Kraft der Homerischen Muse gefühlt: wie sollte der nicht zittern, den Tadel nieder zu schreiben; »Homer [225] weicht oft aus der Gravität und Dignität des Epischen Gesanges: Homer wirds schwer, zurück zu halten, was Lachen erregen könnte, und bringts am ungeschicktesten Orte an: Homer hat, durch solche Unartigkeit, sein Gedicht nicht wenig entstellt: er macht den Leser unwillig, verdrüßlich: man muß Stellen, Seiten aus ihm wegwerfen, um im Tone seines Gedichts zu bleiben.« O Göttlicher Sänger! wenn du auflebest, so gieb doch erst deinen Lesern Ohr: gieb ihnen Musik der Seele!

Die Kritik über den ehrwürdig lächerlichen Pater Ceva mit seinem Jesuskindlein 1 kann ich übergehen; sie gehört nicht hieher, denn Ceva wollte schon so ein Heroischkomisches Gedicht, oder lieber ein Narrengemische, schreiben: und welche Ehre! wenn ein Ceva zwischen Homer und Lope di Vega undMilton stehet! – So kann ich auch die lange Schuldeklamation wider die Geschmacklosen Kenner der Alten 2 überschlagen: die Gelegenheit, die sie an diesen Ort gebracht, scheint sie – – doch wer will deuten? – Ein Glück ists, in einem Buche, wie die Homerischen Briefe, wieder zwölf Seiten weg schlagen können; und siehe! es war Nichts! Nichts für Homer; für Wissenschaft, für Geschmack Nichts! –

Fußnoten

1 p. 36 etc.

2 p. 44–55.

5.

Statt uns Homerische Betrachtungen mitzutheilen, schüttet Hr. Kl. einen locum communem aus seinem Collektaneenbuche: ob es uns frei stehe, heidnische Mythologien in Gedichten zu adoptiren? 1 und, nach seinen Vorbereitungen zu achten, ist diese Abhandlung sehr wichtig.

Zu erst von der Mythologie in geistlichen Gedichten. Nonnus, Sannazaro, Claudian, (wie der nach Ordnung und Zusammenhang 2 hieher kommt, wisse die allsehende Muse) Camoens,[226] Dante, Petrarca, Ariosto, Marino,Tasso, Milton, Frischlin, Heinsius – welch Gemenge von Namen! – werden über der profanen Mythologie in ihren Gedichten scharf, und, nach der Reihe hin, getadelt. Ich glaube nicht, daß eine Kritik, die auf Dichter so verschiedner Zeiten und Gegenden mit einerlei Machtspruche fällt, so gründlich, so prüfend sey, als sie über Männer von so verschiedner Zeit, und so verschiednem Werthe seyn sollte.

Einige von diesen haben Lateinisch gedichtet: ein Punkt, der die Sache sehr verändert; denn wer kann genau ein Haar zwischen ziehen, wo die Lateinische Sprache aufhöre, und die Usurpation der Römischen Denkart anfange. Ich weiß, Hr. Kl. hat die Sache bei Gelegenheit der Recension eines gründlich Lateinischen Buches sehr leicht entschieden: 3 eine spashafte Verwunderung über furcifer, ein paar Unterscheidungen, und einige Gegencitationen – so ist der Knoten gelöset, und Alexander ist Sieger des Orients. Aber nachdenkende Liebhaber der Lateinischen Sprache werden bei manchen Worten und Ausdrücken noch sehr zweifelhaft bleiben; sie werden mit einem Goldgewichte abwägen, wie weit manche nichts, als Lateinische Phrases, andere schon Vehikula der Römischen Denkart sind: sie werden also auf die jetzige Lateinische Poesie ein Mistrauen setzen, daß sie uns nicht, statt Römischgroßer Gedanken, einen Teppich von Römischen Wortblumen sticke, daß man also vielleicht von mehrern neulateinischen Versmachern das Urtheil fällen könne, was Hr. Kl. über Sannazaro fället: 4 [227] Præter sermonis Latini elegantiam, nihil in iis carminibus, qoud multa laude dignum sit, invenio. Parum aut nihil potius finxit: complures versus Horatio surripuit: similis Horatio, sed ut simia homini etc.

Und allerdings ist auch bei der Mythologie für mich der Unterschied oft zweifelhaft gnug, wo die Redart aufhöre, und ein Gedanke anfange? Es hat Hrn. Kl. gefallen 5, bei Vida so gar zu billigen, daß das heilige Brot Ceres heißen könne, und daß, der poetischen Phrasis wegen, zu billigen, daß Christus dem Volke liba Cerealia ausgetheilet, bloß der Nachahmung Virgils wegen; und gilt das, was sollte nicht gelten? So wird mich immer die unmythologische Sprache platt, gemein, unpoetisch dünken können; und so wird endlich ein Lateinisches Gedicht eine Seifenblase, wo viel schöne Farben in der Sonne mir vorspielen; ich greife darnach, und sie sind nichts! – Es waren Lateinische Phrases.

Auch Hrn. Kl. so genannte Horazische Oden 6 sind nicht ohne Mythologie: sie reden vom Gravidus, und von der Venus, von Musis und Camoenis, vom pater Lyaeus, dem ein ganzer Dithyrambe Mythologisch gesungen wird, von Faunen und Dryaden, von Nymphen und Najaden, von Pierinnen, von Diis und Deabus, vom Phoebus, und vom Pindus, von Mavors und Bellona, von Cynthia und Flora, ein ganzes Heer Allegorischer Personen ungerechnet. Fragt man mich, was alle diese Namen hier sollen? nach der Manier Hrn. Kl. in seinen Homerischen Briefen muß ich entweder sagen: unschicklich, eitle Gelehrsamkeit: verdrüßliches, fremdes Geschwätz: oder ich sage: schöne. Poetische Phrases! Nun danke, mein lieber Leser!

Als die schöne Lateinische Poesie nach jener langen Barbarei wieder erwachte: als die Sannazars und Vida's, und Bembo's [228] und Fracastor's, geweckt vom Geiste der wieder aufgelebten Römer, sangen: welcher Phöbus Apollo hätte ihnen damals das Ohr zupfen können? »Dieser Ausdruck ist zu Mythologisch, dieses Römische Bild hat noch nicht gnug durch den Gebrauch, und durch die Gewohnheit seine Mythologische Natur abgelegt – weg damit! Aber hier mein lieber Vida! stehe Ceres statt panis; dort Musa stattpoetica facultas: Neptunus pro mari: Vulcanus pro igne: Lyacus pro vino. In his licet originem suam superstitioni debeant, tamen amissa fere est, ut ita dicam, prima vis & abolita: carmini vero Latino non exiguam elegantiam eadem conciliant!« 7 O der artige Phöbus Apollo! Wenn diese abergläubischen Wörter ihre erste Kraft verlohren haben, wenn sie ihre Natur ausgezogen, wenn ihr Gewicht weg ist; so mögen alle solche elegantiæ non exiguæ in den Orkus! Sie sind ein elender Flitterstaat, eine Poetische Sprache ohne Poetischen Sinn, ein Schulgeschwätz. Ist nur dann ein Mythologischer Ausdruck brauchbar, wenn ihm die Gewohnheit, der alltägliche Gebrauch seine ursprüngliche Bildvolle Bedeutung entnommen: so ist er ein Redezierrath ohne Wesen; und vor solcher Poesie behüt' uns liebe himmlische Muse!

Nein! für Schulmäßige Phrasesjäger will ich die Erwecker der Lateinischen Dichtkunst nicht nehmen; aber um so schwerer wird mir die Entscheidung: »wie weit kann eine wirklich Poetische, und in ihren Horaz und Virgil verzückte Seele, in ihrer Poetischen Begeisterung, auch gleichsam an seine Götter und geistigen Wesen gläubig werden? Wie weit kann sich die Horazische Laune, der Virgilianische Geist, insonderheit, wenn ich in ihrer Sprache singe, einstellen, daß ich Mythologie von ihrer Dichtungsart unabgetrennet und unabtrennlich erblicke, daß ich, indem ich, wie sie, singen will, auch mit ihrer Mythologie singe.« Wer kann hier aus dem Stegreife antworten? wer kann in der Seele derer, die wirklich mit Enthusiasmus dichteten, Grenzen ziehen, wie Römische [229] Begeisterung, Begeisterung aus den Römern geschöpft, Begeisterung, die sich selbst in Römische Sprache ergoß, hie und da einen Schritt weiter im Ausdrucke zurück bleiben, hie und da etwas vorsichtiger in der Mythologie seyn sollten: denn sie dichteten doch heilig. Nun ja denn! immerhin heilig; aber Vida und seine Mitgefährten dichteten auch Lateinisch, und, zum Unglücke, wollten sie auch Römisch dichten; nun stehen wir vor einer dreifachen Wegescheidung – wer kann alle drei mit einmal gehen, ohne auf keiner zu weit hin zu wanken?

Ich sehe keinen andern Rath, als daß man über einheiliges Sujet niemals Latein, ich meine Römisch Latein, gedichtet hätte! denn immer ist eine Mischung von Sprach- und Denkarten unvermeidlich. Der Orient soll sich in den Occident stürzen, Geist der Religion, und der Altrömischen Poesie sollen sich umarmen; ein seltnes Paar! aus Cicero soll ein Compendium der Theologie geschöpft, und doch kein Römischer Begriff dahin übertragen, und keinem Begriffe der Orthodoxie etwas von seiner systematischen Strenge benommen werden – schwere Verbindung!Sannazaro will de partu Virginis schreiben, und zugleich nie seinen Virgil verlassen: Buchanan einen Baptistes schreiben, und doch seine Juden Römisch sprechen lassen – widrige Vermischung! Ueberläßt sich der Dichter dem Geiste seiner Religion; so wird er Jüdisch- so wird er Christlichlatein zu sprechen in Gefahr kommen; folgt er dem Geiste der Römischen Poesie, Denkart und Sprache; wie weit von Judäa ab wird der ihn hinführen! Will er, als ein Helleniste, auf beiden Wegen gehen, und Gleichgewicht halten – unwürdige, ermattende Wachsamkeit! drückendes Joch des Geistes, der in der Poesie nichts so sehr, als Freiheit, liebet. Der furchtsame matte Dichter wird an der Erde kriechen, und nie sich aufschwingen können: denn er schrieb für die Censur zweier Inquisitionen, eine Christliche (oder Jüdische) und eine Römische! – Mein Rath also, daß man nie den Vogen der Römischen Poesie nach so weit von Rom entlegnen Gegenständen spannen wollte, wenn man auch Pindarische Pfeile hätte: man trift nicht!

[230] Es versteht sich, daß die Dichtungsarten nicht alle gleiche Schwierigkeiten haben. Eine Hymne, ein Lehrgedicht, eine Cantate ist eher geistlich und doch Lateinisch zu liefern; als ein Trauerspiel, eine Dichtung, ein Lustspiel, eine Epopee. Buchanans Juden treten als Juden auf; Lateinische, Römische Juden in Galiläa! Frischlins Ismael in Mesopotamien, und daselbst mit Classenlatein! Sannazars Cerberus, Centauren, Hydern, Proteus, im Stalle zu Bethlehem! bei einem Trauerspiele, Lustspiele, Heldengedichte, welche Disharmonie, und doch fast wie unvermeidlich! Hr. Kl. also hätte über alle diese Dichter nicht bloß sein kritisches Urtheil vom Throne hinunter sprechen, das von andern schon so oft gesprochen ist, sondern lieber auf die Ursachen dringen sollen, die diesen Männern Zwang auflegten. Ohne dieses ist seine Kritik eine gute lange Classenlektion, 8 und wem ist damit gedient?

Zweitens, auch die Zeiten und Länder muß man unterscheiden, in denen ein Dichter lebte, in denen und für welche er schrieb. Die meisten der gerügten Poeten sind Italiener, aus dem Lande der Alterthümer also, aus oder vor den Zeiten, da der Geschmack des alten Gräciens und Latiums wieder auflebte: Wer wird nun einen Dante, Petrarca, Sannazar, Vida, Ariosto, Tasso, Marino aus allen diesen Zeitverbindungen rücken, und so schlechthin vor das Gericht einer fremden Zeit, eines fremden Landes fodern; daß sie das Heilige mit dem Unheiligen vermischet? Der Geist der alten Griechischen Mythologie, aus seinem Vaterlande vertrieben, floh nach Italien: Italien gab er die Denkmaale seiner Größe in Poesie und Kunst und Weisheit: in Italien erwachte er wieder; erwachend aber fand er ein Land, mit einer fremden, der Christlichen Religion bedeckt. Indessen strebte er in die Höhe, schaffte sich Bewunderer, Anbeter und Nachahmer; Nachahmer, die in den Begriffen einer andern Religion, Denkart, und Sprache erzogen waren: was anders also, als eine Vermischung zweener fremder Ströme, die gegen einander brauseten, und endlich zusammen flossen. [231] Der Christliche Künstler, dem Apollo profan war, fiel doch vor ihm, als vor dem höchsten Denkmaale der Kunst, nieder: die Statuen der Götter waren Geschöpfe des Aberglaubens, aber auch Geschöpfe der schönsten Griechischen Kunst: Horaz und Virgil waren Dichter einer fremden Religion; zugleich aber Dichter der edelsten Natur, der vortreflichsten Sprache: die Mythologie eine Sammlung von Fratzenmärchen; aber auch eine Welt voll sehr Poetischer Ideen. Unter solchen also lebten damals Dichter und Künstler: sie wandelten unter heidnischen Statuen, und heidnischen Dichtern, und heidnischen Sprachen: das Neue, die Morgenröthe des Geschmacks, hatte dreifach stärkere Wirkung auf sie: sie wurden selbst Römische Dichter, und neugriechische Künstler und Christliche Heiden. Der Cardinal der Römischen Kirche war ein heidnischer Bembo, der neue Horaz Vida Bischof von Cremona: das Kind mit Christlichem Wasser getauft, ward mit heidnischen Begriffen des Schönen genähret: die Vermischung ward Geschmack der Zeit und des Landes. Leo der zehnte vergab Christliche Sünden, und wandte die heiligen Summen auf das unheilige Schöne der Heiden: in die Tempel Italiens kam David und Apollo, Christus und Belial neben einander, und die Geschichte Jupiters und Leda auf die Thüre des heil. Römischkatholischen Peters.

Wer kann nun ohne Rücksicht auf Zeit, Land, und Sprache Sannazar und Vida, Dante und Petrarca, Ariosto und Tasso, und wen weiß ich mehr? tadeln 9, ohne sie zu erklären, ohne uns auf ihre Jahrhunderte aufmerksam zu machen, da die scholastische Wortgrüblerei, und die Sprache der Mönchsandacht der Geist der Religion war, da das Land von dieser Seite unter Nacht und Dunkel lag, oder da der hellere Geschmack an den Antiken in Poesie, Kunst und Sprache überwand, sich in Alles hineindrängen, und dem Ganzen der schönen Litteratur seine neue Bildung geben mußte. Da also konnte Dante in seiner Göttlichen Komödie Christen [232] Juden und Heiden, Götter, Engel und Teufel durch einander mischen: da konnte Ariost


le Donne, i Cavalier, l' arme, gli amori
le cortesie, l' audaci imprese – – –
che furo al tempo, che passaro i Mori
d' Africa il mare u.s.w.

besingen, und mitten inne auch des Styx und Acherons erwähnen. So unbillig die Brittischen Prose-Critiks dem Spenser seine Feen, und Shakespear seine Hexen vorgerückt: so unbillig alte Italiener und Portugiesen, und Engländer nach dem Zeitbegriffe meiner Religion und Wissenschaft beurtheilen – auf die Weise wird alles ein Chaos.

Klopstock (ich weiß keine höhere Instanz!) Klopstock sang dem Messias seinen ewigen Gesang im Geiste der Religion seiner Zeit, nach den Gesichtspunkten seines Horizonts, nach den Eindrücken seines Herzens; wer einerlei Natur, einerlei Mittel der Bildung, Seiten der Anschauung, Ein Herz und Eine Seele mit ihm hat, wird ihn aus ganzer Seele lesen. Einem Oest, z.E. werden schon viele Vorstellungsarten Talmudisch dünken; einem Christlichen Schüler des Korans werden manche aus Arabien entlehnt vorkommen: einem Foster oder Sterne in England, und auch das sind Christen! werden manche noch weit befremdender erscheinen; und endlich einem orthodoxen Christen des zwölften oder zwanzigsten Jahrhunderts? – dessen Urtheil über den Meßias möchte ich lesen. Wie? wenn nun ein solcher nach seiner Zeit fromm und selig urtheilte? Unbilliger Richter! er sollte sich in unsre Zeit zurücksetzen, aus ihr denken und sprechen: er sollte mehr als des Nikomachus Auge haben, um Helena anzuschauen. So wie der oberste Richter allwissend seyn muß, um gleichsam die eigenthümliche Moralität eines jeden Herzens zu kennen: so sey (man erlaube mir die kleine Blasphemie vom Gleichnisse!) so sey der Richter über[233] Zeiten und Völker, auch des Geschmacks dieser Zeiten und Völker kundig, oder er greift blind in den Loostopf der Jahrhunderte, um nichts als ein mageres kritisches Regelchen herauszulangen.

Und Milton! – Wer Milton mit allen vorigen Mischern der Religionen in einen glühenden Ofen zusammen werfen will, 10 hat nicht bedacht, daß bei ihm diese Mythologischen Vorstellungsarten nicht wesentlich zum Baue seines Gedichts, sondern nur zur Auszierung desselben gehören. Er bringt sie nicht (wenigstens nie offenbar!) in die Zeit, aus welcher, sondern in die Zeit, für welche er singet: und so werden sie Gleichnisse, Schmuck,Verzierung seiner Gegenstände; nicht eigentlich Gegenstände selbst. Er singt für seine Zeit; dieser schweben unter andern auch aus heidnischen Schriftstellern Vorstellungen im Gedächtnisse, die seine heilige Vorstellung zehnfach verstärken, und einprägen – einprägen, daß es kaum in seiner heiligen Geschichte solche starke und Nachdrucksvolle Hülfsvorstellungen gäbe – warum also sollte er jene wartende Ideen in der Seele seiner Leser nicht wecken? warum sie nicht aufruffen, um seinen heiligen Gedanken desto tiefer in die Seele zu prägen? Und das thut Milton!

Er thuts an weit mehr Stellen, als mein Lateinischer Autor anführet; doppelt aber ärgerts mich, daß er eben die süßesten im ganzen Milton tadelt, aus einem Buche, 11 das die größesten Gegner desselben mit Lobsprüchen haben überhäufen müssen; nämlich »die selige Liebe der Stammväter des Menschengeschlechts in Eden.« Auch Winkelmann, der in Griechische Schönheiten entzückt, die Miltonischen Beschreibungen für schöngemalte Gorgonen erklärte, nimmt diese Scene von seinem zu Griechischen Urtheil aus, 12 und in der Sprache Miltons insonderheit selbst herrschet hier eine Süßigkeit, eine Anmuth, die uns in das Paradies selbst versetzet – und siehe! in diesem Paradiese eben zeigt sich eine kalte Hand des[234] Critikus, um uns einige der schönsten Früchte Todbringend zu berühren.

Milton hat sein Eden mit aller Pracht und Schönheit geschildert: Bäume, Flüsse, Quellen, Lustwälder, murmelnde Wasserfälle, das Chor der Vögel, der Hauch der Frühlingslüfte, der Geruch der Wiesen und Wälder – eins nach dem andern fließt wie Balsam in unsre Seele: meine Phantasie ist erfüllet: mein Auge, Ohr, und alle Sinne gesättigt: ich schwimme im Traume der Wollust. Und Milton will mich in diesem Traum erhalten! Da meine Sinne gesättigt sind; so spricht er zu meiner Seele: er rufft alle Ideen schöner Gegenden und Lustörter, die in meiner Einbildungskraft schlafen, auf: und wo giebt es mehr, als aus Griechenland und seinen Dichtern des Vergnügens? Diese sollen mich in meinem Traume fortwiegen, ich soll die Freude der Wiedersehung genießen, und so nachdem auf sanften und unmerklichen Stuffen meine Seele von dem Leblosen sich immer lebender hin, aufgeschwungen, und jetzt in dem Musikalischen Chore der Vögel und der Lüfte, und der zitternden Wälder schwebet: so fängt sie, wie aus einem sanften Schlaf erwacht, an, die holden Bilder voriger Zeiten, die Erinnerungen der Jugend zu sammlen: 13


– – while universal Pan
Knit with the Graces and the Hours in dance
Led on th' eternal spring. Not that fair field
Of Enna, where Proserpin gathering flowers
Herself a fairer flowr etc. – – –
– – – – – nor that sweet grove
Of Daphne by Orontes, and th' inspir'd
Castalian spring, might with this Paradise
Of Eden strive; nor that Nyscian ile
Girt with the river Triton etc. – –

So schwebt unsre berauschte Einbildungskraft weiter, und kommt endlich vom Berge Amara aus Aethiopien zurück, um im Paradiese [235] unendlich mehr, als in allen diesen Zaubergegenden zu finden. Ist dies eine Entheiligung des Gedichts? so ists eine Entheiligung des Höchsten unter den Propheten, des Poetischen Jesaias, Jehovah einen Gott der Götter zu nennen, und ihn Gesänge lang mit diesen heidnischen Klötzen zu vergleichen! aber wie erhaben!

Milton hat uns das erste Paar bis zum Entzücken geschildert, den Bau ihrer Glieder, und ihre vergnügte Mahlzeit, und ihre Liebkosungen, und die holde Umarmung der Eva und – das Lieblächeln Adams. 14


– – as Jupiter
On Juno smiles, when he impregns the clouds
That shed May flow'rs – –

Welch ein Bild! Ists Erniedrigung für Adam, in ihm den küssenden Jupiter zu sehen? Adam führt Eva zur Brautlaube, und da unsre Seele durch den sichtbaren Anblick derselben mit Freude und Ehrfurcht gleichsam erfüllet worden; da das Auge nicht mehr sprechen kann: siehe! so spricht die Phantasie, gleichsam in einen Traum voriger Zeiten versenket: 15


– – – in shadier bower
More sacred and sequester'd, though but feign'd
Pan or Sylvanus never slept, nor Nymph
Nor Faunus haunted. – –

So dichtet Milton: seine profanen Gleichnisse sind nichts als Hülfsvorstellungen zum Dienste seiner heiligen Vorstellungen: er nimmt zu ihnen seine Zuflucht, wenn Worte innerhalb dem Kreise seiner Religion nicht Triebfedern geben, seine Idee so hoch zu spielen, als er sie haben will: und nur dann irret seine Phantasie in diese Zaubergegenden der Griechischen Dichtung, wenn er schon unsre Sinne erfüllet, und jetzt der Seele Zeit läßt, die Bilder ihrer Jugend zu sammlen. Konnte er dies nicht thun, als Dichter? Eben dadurch schlägt er ja an unsern Geist, daß er gleichsam sich [236] selbst dichte. Oder etwa nicht als Dichter der Religion? Was ist der Religion würdiger, als solche Vergleichungen zu ihrer Erhöhung? Die Bibel, ja Jehovah selbst in ihr spricht also.

Nichts, nichts wundert mich so sehr, als daß ein compilirter Tadel, der in Britannien längst verlacht, und verachtet ist, den nur die Lauder's undMagni's und Voltaire's gegen Milton haben aufbringen können, und längst damit zur Ruhe gegangen, daß dieser, ohne Gründe und Ursachen, wieder aufgewärmt, in Deutschland angehört werden könne! Einem Critikus, der Milton blos aus ausgerissenen Allegationen kennen mag, kann so etwas erwartet kommen, dem aber mag ich keinen bessern Lohn für seinen Tadel wünschen, als daß er ihn nie im Zusammenhange kennen lerne! 16 – –

Schade, daß unserm Lateinischen Homeristen die Biblischen Epopeen, die wir in unsrer Sprache haben, z.E. ein Noah, Jakob, u.s.f. unbekannt oder nicht in seiner Compilation angeführt gewesen: welch ein gelehrtes Register Mythologischer Herrlichkeiten würde er da excerpirt haben, zur Freude aller frommen Christen, und zur Lehre der Männer in Zürich!

Fußnoten

1 p. 55.

2 Ich weiß, ohne die allsehende Muse nöthig zu haben, daß Hr. Klotz Parenthesen liebt, in Einer wieder Eine, und in dieser noch eine, und in der dritten zur Noth noch eine vierte machen kann; ist das aber Anordnung? – Zu dem, damit ich auch eine Parenthese mache, gebe ich dem seligen Geßner vor Hrn. Klotz, wenigstens bei mir, Recht, daß Ovids Proserpine zu nahe dem Kindischen sey (nimis puella), ohne daß darüber ein überladnes Gericht Claudianscher Mythologie gelobt werde.

3 Act. liter. Vol. I.P. III. p. 250. etc. Funccii de lectione auctor. classicor. P. II.

4 Epist. Hom. p. 58.

5 Epist. Hom. p. 83. 84.

6 Klotz Opusc. Poet. – Carmina omnia, und bei welchem Titel ihrer Titel man sie sonst, nennen will.

7 Epist. Hom. p. 82. 83.

8 Epist. Hom. p. 58–86.

9 Epist. Hom. p. 73–75. etc.

10 Epist. Homer. p.79.

11 Parad. lost. B. IV.

12 Gesch. d. Kunst, p. 28. [WW. 3, 137]

13 Parad. lost. Book IV. v. 266.

14 B. IV. v. 499.

15 B. IV. v. 705.

16 Daß Hr. Kl. ihn schwerlich so gekannt, könnte ich aus der offenbar ungerechten Anschuldigung beweisen: Milton sage hier nicht einmal sein Salva Venia:ut est in fabulis, ut poetae aiunt, aut alia einsmodi, quibus excusari illa possunt. Zwar, wenn ers auch nicht sagte? Nun aber muß ja Hr. Kl. v. 705. dasthough but feign'd nicht gelesen haben, und wer wird eine Stelle anführen, die man nicht gelesen hat?

6.

Man siehet, wie wenig Ueberzeugung das kahle Verbot ins Allgemeine hin: »kein Mythologischer Name komme in ein geistliches Gedicht!« für mich habe: ich muß mich also schon selbst nach Gränzen der Mythologie und eines Christlichen Gedichts umsehen.

[237] Zuerst rechne ich, wie gesagt, die Lateinische Sprache nicht mit: denn schwer ists, zu bestimmen, wo der Lateinische Ausdruck aufhöre, und der Nationalrömische, der Mythologische z.E. anfange. Noch schwerer ists, über so fremde Gegenstände, als ein heiliger Gesang liefert, Lateinisch, und im Geiste der Römer zu dichten; denn entweder wird der Jude und Christ romanisiren, oder der Nachfolger Virgils und Horaz judaisiren, hellenisiren müssen.

Zweitens rechne ich die Zeiten nicht mit, da die Mythologie gleichsam die zweite Mutter des Poetischen Geistes war: und dies ist die Wiederauflebung derselben in Italien. In der Kunst sprachen die schönsten Mythologischen Ideen dem Auge; in der wieder erstandnen Poesie dem Ohre: statt des trocknen Aristoteles ward der Mythologische, Allegorische Plato der Lieblingsweise Italiens: solche Begriffe füllten die Seele. Entweder wählte man die Lateinische Sprache dazu, und in ihr schien gleichsam die Mythologie schon eingewebt, und unabtrennlich; oder man wählte doch Mythologische Dichter zum Einzigen Vorbilde; wie konnte sich nun der begeisterte Nachahmer sagen: siehe! hier hört die Manier des Dichters auf, und da fängt seine Religion an! Und wer sich dies auch hätte sagen können, der wollte sichs nicht sagen, denn ächt Latein, ächt Römisch zu dichten, war ja nach dem Zeitbegriffe, der einzige, der höchste Zweck seiner Muse. – Solche Zeiten also soll man erklären, ein allgemeiner Tadel kostet wenig.

Drittens schreibe ich auch nicht von den Zeiten, da die Religion, so wie sie damals herrschend war, kein reines heiliges Gedicht geben konnte: da die Begriffe von ihr viel zu dunkel, unbestimmt, gebrochen und abergläubisch waren, als daß ein Gedicht, das für den herrschenden Verstand geschrieben wäre, für uns orthodox, wie ein Gebetbuch, seyn könne. So z.E. die Zeiten des Dante, Ariosts, Tasso, Camoens u.s.w. Wenn diese Dichter in dem elenden Geschmacke ihrer Zeit Poetisches Geräth, oder wenigstens Freiheit fanden, mit diesem und jenem Stabe des Aberglaubens Poetische Wunder zu thun, warum nicht? Das Heldengedicht eines Mönchs aus Padua auf seinen heiligen Antonius, oder eines [238] Mayländers auf seinen heil. Karl Borromäus sei immer den Legenden seines Ordens, seiner Stadt, seiner Zeit, seiner eignen Erziehung angemessen: denn anders kann der ehrwürdige Pater nicht dichten. Und wo werde ich an einen Riesen, an ein Geschöpf seines Jahrhunderts, mit einem Zwergmaaße meiner Zeit, mit einem kritischen Regelchen, hinzutreten, ohne daß mich seine Größe nicht beschäme!

Also blos von einem in der Religion erleuchteten Zeitpunkte: und wo weiß der Critikus, wenn dieser Zeitpunkt voll Licht, oder nur voll Blendeschein des Lichts ist? wo soll ers, als Critikus, wissen? Das mag der Gottesgelehrte, der Polemikus entscheiden; nicht der Poetische Kunstrichter. Der Dichter nimmt den herrschenden Religionsgeschmack, oder besser, sein eignes Religionsgefühl, wie er dazu gebildet worden, seinen eignen Horizont von Religionsaussichten, und dichtet. Und so muß der Critikus ihn richten. Nicht daß er absolute Wahrheit suche, nicht daß er frage, ob diese und jene Religionsvorstellung auch rechtgläubig genau, exegetisch richtig, philosophisch erwiesen; sondern ob sie wahrscheinlich sey, ob sie könne poetisch geglaubt, gefühlt, beherzigt werden. Das ist bei einem Jüdischchristlichen Gedichte nicht schlechthin die Frage: ob historisch genau, der Jude seine Affekten so gemahlt oder nicht; auf den Fuß wäre vielleicht kein Tod Adams, und kein Tod Abels möglich; sondern ob sie, nach gewissen allgemein angenommenen Voraussetzungen, so haben sprechen können. – Ich folge also dem Religionsbegriffe meiner Zeit, ohne weitere Umwege:wiefern verträgt er sich mit Mythologischen Ideen?

1. In jedem Poem, wo Dichtung herrscht, wo Personen der Dichtung auftreten, können freilich nicht Wesen der heidnischen und Christlichen Religion neben einander handelnd vorgestellet werden; nicht mit einander gleich wesentliche Substanzen zur Handlung des Gedichts seyn. Wenn die Muse und der heil. Geist, ein Gabriel und ein Apollo, eine Maria aus den Gegenden des Himmels, und eine Diane zugleich, auf einerlei Art Poetische Exsistenz, [239] Poetische Handlung auf dem Schauplatze eines heiligen Gedichtes bekommen; so stoßen sie sich in unserer Seele. Ihre Poetischen Substanzen heben einander auf: mein Auge fährt über ihre beiderseitige Gegenwart zurück: die Täuschung geht verlohren, und mit ihr der ganze Zweck ihrer Poetischen Erscheinung. Ein Trauerspiel solcher Art mag vielleicht noch in einem Winkel von Italien, Spanien, oder von Böhmen und Bayern ausstehlich seyn: eine Epopee von solcher Mischung mag der Christlichen Barbarei gefallen; rings um uns scheint das Licht einer geläuterten Religion zu stark, als daß nicht Eine solche Dichtung die andre in den Schatten drängen müßte.

Nur setze ich gleich eine Einschränkung hinzu. Nicht deßwegen können beiderlei Geschöpfe nicht auf Einem Schauplatze, in gleich starkem Licht erscheinen, weil die Eine Art wahre, die andere Lügenwesen, oder nach Hr. Klotzens Sprache, 1 inepta, ridicula, falsa, impia, uno verbo superstitionis propria sind, quae a veri Dei cultoribus usurpari non possunt. Denn ein solcher Dichter schreibt nicht eigentlich, als ein frommer rechtgläubiger Christ, als ein Diener des einzig wahren Gottes, der vor aller Mythologie als vor einem ungereimten, lächerlichen, gottlosen, abergläubischen Krame so viel Abscheu hat, wie vor dem bösen Feinde der Hölle; sondern – als Dichter. Er schreibt nicht eines seligen Todes und des Himmelreichs wegen, sondern nur, (der gottlose Mensch!) um poetisch seine Leser zu täuschen. Er verabscheuet also die Mythologie, nicht als ein ungöttliches Wesen, und als eine Geschichte weltlicher Lüste, sondern weil sie in seinem heiligen Poemseinem Zwecke, seiner Laufbahn der Gedanken fremde, und dem Poetisch anschauenden Leser widrig seyn muß. Auf einem andern Schauplatze könnte eben derselbe Leser diese unchristlichen, gottlosen Geschöpfe der Lügen ganz behaglich sehen, und vielleicht eben der Dichter, wenn er ein Wieland ist, mit Feuer bearbeiten; aber auf diesen gehören sie nicht »der Poetischen Wahrscheinlichkeit halben.« Denn [240] wenn die Maschinen der heidnischen Religion bis zur Täuschung geglaubt werden sollen; wie denn aus eben der Maschine Christliche Wesen? Sie wirken, dem anschauenden Auge gegen einander, sie heben an Wahrscheinlichkeit einander auf.

2. Auch wenn der Dichter allein spricht: so spreche er in Einem Gedichte von beiden nicht ganz auf Eine Art; als wenn er an beide gleichglaubte, und sie beide mit einerlei Wahrheit behandelte. Eine Anruffung an den heil. Geist und an die Kalliope zugleich ist ungereimt; nicht wieder als Gottlosigkeit, als Sünde wider den heil. Geist, sondern der Poetischen Täuschung halben. Entweder sind beide dem Dichter alsdenn Wesen von gleicher Poetischen Exsistenz; dies wiederspricht sich – oder beide nur Redezierrath, nur Poetische Figuren: dies beleidigt den Leser noch mehr, denn er kommt dadurch zu sich zurück, um den Wortkünstler ohne inneres Wesen und Leben gewahr zu werden – oder Eins von beiden hat nur Poetische Wahrheit; und warum steht alsdenn das Andere da? Es hindert die Wirkung des Ersten. In diesem Stücke hat freilich niemand so gesündigt, als Sannazar; ich wiederhole es aber nochmals – gesündigt, nicht wider den heil. Geist, sondern wider die Poetische Wahrheit und Illusion.

3. Wo dies nicht ist, wo die Poetische Wahrheit und Wahrscheinlichkeit nicht darunter leidet, wo es der Congruität des Gedichts nicht entgegen ist, an Mythologische Namen, an erdichtete Gegenden zu denken – immerhin! Die Mythologie ist einem guten Theile nach historisch, oder Allegorisch; selbst das Fabelhafte in ihr mischet sich mit Geschichte und Allegorie; warum sollte sie als solche nicht auftreten? Wenn sie bekannt gnug, anschauend, und eine Schöpferin großer Begriffe zur Würde eben des Christlichen Objekts ist: so kniet sie als ein Opfer vor dem Altare der Religion. Selbst Religion wollte sie hier nicht seyn, sie ward als Geschichte, als Allegorie, als alte Sage, oder als bekannte Dichtung gebraucht: und da oft mit einer Wirkung, die anders woher nicht ersetzt werden konnte – vortreflich! So Milton, so Young, so oft die Dichter der Offenbarung!

[241] Es kann nichts, als ein Rest der Lieblingssekte seiner Jugend 2 gewesen seyn, wenn Hr. Kl. jeden Mythologischen Namen, jedes fabelhafte Gleichniß aus Christlichen. Gedichten, als gottlos, falsch, ungereimt, lächerlich, abergläubisch auskratzen will.Abergläubisch? Muß ich denn einen Pluto glauben, wenn ich mich mit Milton an die schöne Flur (und an nichts mehr, als an die schöne Flur,) erinnere, wo er seine Proserpine entführt haben soll? Lächerlich? Nun warum denn, wenn ich mit einer Erinnerung an den küssenden Jupiter große Ideen erwecke? Lasset Jupiter vorjetzt nur der höchste Held seyn, den ein Dichter, denken konnte; wie erhöht das Miltons Adam! Ungereimt? Falsch? An sich selbst immer! aber der historische oder Allegorische Sinn, in dem ich sie anziehe, der ist nicht ungereimt, der ist nicht falsch! Und endlich gottlos? Nun ja doch, ja! und ich glaube es Herrn Klotzen so, als wenn ich ihn noch in der Vorstadt zu Görlitz 3 predigen hörte; allein Hr. Klotz wird alsdenn seinen Collegen kennen, der Abbten auch der Sünde wider den heil. Geist beschuldigte, weil er eine nichtswürdige Satyre verdeutschet hatte? Ich sehe in Milton, Young, und im vierzigsten Kapitel Jesaia, was mich anbetrifft, nichts Gottloses.

4. Aber viertens: wo in einem Christlichen Gedichte die Mythologie keinen Poetischen Nutzen schaffet; allerdings, da bleibe sie weg, denn jedes Müßige, jedes der Poetischen Wirkung Widrige muß wegbleiben. Ich danke also im Namen aller wahren Poeten eines h. Sujets Hrn. Klotzen freundlich für die Erlaubniß; »doch Neptun für das Meer, und Ceres statt Brot, und Vulkan [242] statt Feuer, und Lyäus statt Wein, auch im geistlichen Gedichte sagen zu können; denn diese Worte hätten schon ihre Mythologische Kraft verlohren; sie brächten aber eine nicht geringe Eleganz in das Gedicht.« Elende Eleganz! eben wo sie ihre alte Kraft abgelegt haben, und blos als Wortschmuck gelten; da wirds gerade das erste Gesetz des wahren Dichters, zumal des heiligen Dichters, den Bettel wegzuwerfen.

Ich sammle das Herausgebrachte, und da zeige ich ja doch beinahe ein Facit mit Hrn. Klotzen auf? Nicht völlig; und am meisten ist die Rechnungsart verschieden, wie wir unser Facit herausbringen. Hr. Kl. thut einen Machtspruch: kein Zug der Mythologie komme in ein geistliches Gedicht! ich nehme nur die Freiheit, den Satz so einzuschränken, daß er bei jedem Unwahrscheinlichen in der Poesie gelten muß. Hr. Kl. giebt statt Gründe die Namen: heidnisch, gottlos, fälsch, abergläubisch, dumm, lächerlich, ungereimt; ich darf sagen: immerhin! wenn es nur hier nicht unwahrscheinlich, unpoetisch, der Illusion entgegen ist; befördert es diese – vortreflich! Hr. Kl. tadelt die größesten Dichter; ich entschuldige einige, und rette sie aus ihrer Zeit; andre lobe ich, und könnte eine Abhandlung geben: »von der vortreflichen Würkung fremder Religionsideen in einem Christlichen Gedichte!« Hr. Kl. erlaubt die Mythologie nirgends, als wo sie aus dem gradu ad Parnasum geborgt, eine Blumenlese Poetischer Phrases ohne Mythologischen Sinn sey; ich warne vor nichts so sehr, als vor solcher sinnlosen Mythologie, vor solchem Mythologischen Unsinne! Hr. Kl. hat fromm und Christlich geschrieben; ich wünschte, als Kunstrichter der Poesie, gründlich, und nach dem Gefühle Poetischer Leser geurtheilt zu haben. So gehe ich über diese Materie mit Hrn. Kl. aus einander.

Fußnoten

1 p. 56. bis 86. auf jeder Seite.

2 Pro ingenii sui – favebat maxime Zinzendorfianorum partibus, nihilque aliquoties propius abfuit, quam ut corum sodalitati nomen daret. Harles. vit. philolog. in vita Klotzt. p. 184. P.I.

3 Gorlitii cum esset, dixit saepius in villis suburbanis pro sacris rostris ad populum, quod etiam aliquoties in patria (Ei ja!) ab illofactum est.Harles. vit. philol. ibid.

7.

War sie aber so langer Untersuchung werth? Ich glaube: denn welchen Bethlehemitischen Kindermord würde Hrn. Kl. Verbot [243] in dem Erhabensten unsrer geistlichen Dichter stiften! und unsre geistlichen Dichter (eine Gattung Poesie, in welcher wir Deutsche nur den Britten nachstehen) sind die Ehre unsrer Nation.

Der Heiligste unter allen, Klopstock, und das heiligste Gedicht desselben, der Meßias! Aber von welcher Wirkung ist die heidnische, die Mythologische Römerin in demselben, 1 Portia! Wie, wenn sie zu beten anfängt:


– – – Mit aufgehobnen ringenden Händen
Stand sie mit Augen, die starr zum dämmernden Himmel hinaufsahn,
Und so zweifelt' ihr Herz: O du, der Erste der Götter!
Der die Weit aus Nächten erschuff, und Menschen ein Herz gab!
Wie dein Namen auch heißt, Gott! Jupiter! oder Jehovah!
Romulus oder Abrahams Gott! – – –
Ist er dir so festlich, der Anblick, die leidende Tugend,
Gott! von deinem Olympus zu sehn? Er ist es den Menschen! u.s.w.

Sie fährt mit diesem hohen Gefühle zu beten fort, und ich bin über das Herz der Christlichen Leser des Meßias gewiß, daß dasselbe nur selten eine so hohe Stuffe der Bewunderung Jesu erreicht haben wird, als mit diesem heidnischen Gebete.

Portia erzält ihren Traum: 2 die Erscheinung des Sokrates! – – Himmel! wo gehört Sokrates, der heidnische. Sokrates, in einen Meßias? Und doch weiß ich, baß dieser Traum, um mit Klopstock zu reden, sich, vor vielen Episoden des Meßias, in die Seele des Lesers gießen, und immer aus den Lieblingsgedanken, die er am feurigsten denket, neue Gedanken entwickeln wird,


– – in seinem Herzen die feinsten
Zartesten Saiten gewisser zu treffen, und ganz ihn zu rühren.

[244] Schon wenn Portia anhebt: – –

Sokrates ... zwar du kennst ihn nicht; aber ich schaure vor Freuden,
Wenn ich ihn nenne! das edelste Leben, das jemals gelebt ward,
Krönt' er mit einem Tode, der selbst dies Leben erhöhte!
Sokrates ... immer hab' ich den Weisen bewundert! sein Bildniß
Unaufhörlich betrachtet, ihn sah ich im Traume. Da nannt' er
Seinen unsterblichen Namen: Ich, Sokrates u.s.w.

Wenn Hrn. Kl. einzige Ursache gelten soll: »das Heilige soll nicht mit den Unheiligen vermischt werden!« so müßten diese Episoden aus Meßias weg, und mir sind sie unter den theuersten.

Klopstocks Salomo! Ein Biblisches Sujet, und alle Leser haben mit mir, den Contrast der heidnischen Scenen für das Rührendste im ganzen Trauerspiele gehalten. Wenn Salomo rühren soll: wie anders, als durch seine heidnischen Zweifel. Wie, wenn der Trostlose klaget:


Hülfe! Selber meine Freunde
Vermögens nicht. –
Ein Rauch, dem Feind' ein süßer Opferdampf,
Mag dieses Haus verstiegen! meine Kinder
Zerschmettert werden – – –
– – ich will es leichter tragen,
Als was mir unter deiner Flügel Schatten,
O Friede! dies mein Herz verzehrt – das Leben
Zum Tode macht! und kaum des Müden Zuflucht
Den Tod noch bleiben läßt! Sie ist dahin
Die Herrlichkeit, die mir gegeben ward!
Dahin ist meine Weisheit, samt der Ruh,
Die sie mir gab! – Wenn du es bist, o Moloch!
Vor allen Geistern Moloch du!
[245] Der mir dies alles nahm; womit erzürnt ich dich?
Und hab' ich dich erzürnt, so laß doch endlich
Durchs Blut so vieler Knaben dich versöhnen!

Und bald kommen Sängerinnen Molochs! und Priester Molochs! und Opfer Molochs! ja selbst wagt es Klopstock, zween Götzen redend einzuführen. Ich mag über die letzte Scene nicht urtheilen; aber die rührendsten Auftritte bleiben in Salomo immer die heidnischen. Wie rührt z.E. die unmenschliche abgöttische Wuth im Opfergesange Molochs!

Ich mag die Bodmerschen Epopeen nicht durchgehen. Wären in ihnen die Mythologischen Dichtungen nur oft etwas wahrscheinlicher für die Zeit, und für den Ort ihres Schauplatzes; am Heiligen und Unheiligen, an Wahrheit und Erdichtung, an Jüdisch und Heidnisch liegt, wenn ich nichts anders dagegen hätte, nichts!

Ich fühle es, ein so unbestimmt gesagter Einfall ist zu strohern, als daß ich so viel Mine mache, ihn weg zu heben; Dichter, die gewiß keines überspannten Enthusiasmus beschuldigt werden können, wiederlegen ihn. Machtvoll ist z.E. in der Kamlerschen Rhapsodie von einem Gebete – Machtvoll in ihrer Verbindung für den, der den Persischen Nachdruck kennet, die kühne Anrede:


– Und Oromazes und Gott! –


ohne doch eine hübsche Wortphrasis seyn zu sollen. Stark ist in Kleists Christlichem Gedichte von der Unzufriedenheit der Mythologische Vorwurf:


– Denkst du, wie Riesen der Fabel,
Auf Felsen Felsen zu häufen, und, durch den Unsinn bewaffnet,
Den Sitz der Gottheit zu stürmen?

Und endlich in den vortreflichen Grenadiersliedern: von welcher Wirkung ist die harte Vermischung des Christenthums, und der Mythologie in dem Munde eines harten Soldaten. Sein Gott [246] ist ihm jederzeit, und in jedem Gesange alles: vor und nach der Schlacht: im Treffen, und im Siege.


– – – wär ihrer noch so viel,
So schlag ich sie mit Gott!
– – was kann wider unsern Gott
Theresia und Brühl – –

Mit rechtem Christenmuthe streitet er; und mit rechter Christendemuth, Gott dankend, preiset er Gott nach dem Siege; wie aber? hat der Grenadier darum an gehörigem Orte auch nicht seinen Mars und Apoll? kann er nicht darum auch von seinemFriedrich sagen:


Frei, wie ein Gott, von Furcht' und Graus
Steht er – – du hoher Paschkopoll
Sahst ihn, im Heldenangesicht
Den Mars, und den Apoll.

Und sollte deßwegen mein Grenadier kein ächter, guter Christenmann bleiben?

Der, wenn er stirbt, bekommt zum Lohn
Im Himmel hohen Sitz! –

Und deßhalb sollten seine Lieder nicht immer der Würde werth seyn, die ihnen Abbt anwünscht, vor der Schlacht gesungen zu seyn? Entweder muß überall die Mythologie hier nicht mehr Mythologie; eine liebe Wörterblume seyn, oder weg damit!

Indessen will Hr. Kl. uns auch in geistlichen Gedichten nicht ganz leer vom Nutzen der Mythologie ausgehen lassen, und schlägt vor: 3 »Beschreibungen der Göttlichen Weisheit und Macht, hohe Bilder der Göttlichen Majestät, oft so vortreflich, so erhaben, daß man sich kaum vorstellen kann, wie sie in den Geist ungläubiger Sterblichen haben kommen können, und durch deren geschickte Nachahmung der Poet seinem Gedichte die größeste Würde geben [247] könnte.« Der Vorschlag ist fromm, aber auch wenig mehr. Wenn Hr. Kl. nicht glaubt, daß Gott selbst in die Seele des Christlichen Poeten Bilder einschiebe, so kann ers nicht fremde finden, daß große Geister unter den Heiden auch große Dinge haben denken können, sie auch von ihren Göttern denken müssen. Ich mag keine Vergleichungen, insonderheit in Sachen, die gewisse Leser so gern umzukehren pflegen; allein wer wandelte unter edlern Bildern: der alte, oder der heutige Grieche? Jener zwischen seinen Göttern; dieser zwischen seinen gemalten Heiligen, der Papist zwischen seinen gehauenen Märtrern. Und bei wem war (ich rede blos von Poetischen Bildern) ein solcher Anblick gelegner, um große Gedanken zu wecken?

Zu dem: Beschreibungen der Weisheit, Macht, Majestät, sind eigentlich keine Mythologie mehr; es sind Dichterische Bilder über Mythologische Gegenstände; mit ihnen hat also Hr. Kl. keinen Gebrauch der eigentlichen Götterlehre vorgeschlagen. Dazu ist dieser Vorschlag so gemein, so bekannt, so gebraucht –

Ja, weint ich sagen soll, nicht einmal so hochnöthig. Ich gebe es gern zu, daß an Abbildungen der Schönheit, der Milde, und einer gewissenMenschlichen Würde der Gottheit, man von Griechen und Römern lernen könne, insonderheit, was die schöne Kürze, das unübertrieben Prächtige, das Angemessene im Ausdrucke solcher Beschreibungen betrifft. Aber Weisheit,Macht, Majestät, alles Hohe, und gleichsamUnbegreifliche in der Gottheit – darinn sind die Dichter des Morgenlandes, und die Ersten derselben, die Dichter des alten Bundes, eine weit reichere, unerschöpfliche Quelle. In solchen Bildern sind einSilius Italicus, Ovid, Virgil und Claudian gegen einen Hiob, Moses, Jesaias und auch David, wie ein Tropfen gegen einen Ocean: und Schande ists, an einem Tropfen zu lecken, wenn ein Abgrund von Größe, Hoheit, Majestät vor uns ist. Nur eine Gefühllose kritische Seele, die hierinn einenMilton und Klopstock hinter einen Silius Italicus und Claudian anführen; die verschossenen Purpurlappen aus einem Ovid und Silius den [248] geistlichen Dichtern unsrer Religion, als Raritäten, als theuere Vorbilder, vorhalten darf, und in unsern heiligen Büchern, und in unsern hohen Nachahmern derselben, das Sonnenmeer von Majestät, den Regenbogen von prächtigen Farben nicht erblicken will, in welchem »die Größe und Macht Gottes« gemalet wird.

Ich gebe es zu, baß diese Morgenländischen Bilder auch oft ein Morgenländisches Auge fodern: daß sie oft in einer Hülle des Orients erscheinen, die uns dieselben fremde, oder in einem Glanze, der uns dieselben betäubend macht. Ein geistlicher Dichter aber, und der Critikus dieses Dichters, sollte dem die Hülle unüberwindlich seyn? Sollte er nicht, den Spuren eines großen Michaelis folgend, sich solche Bilder gleichsam in die Sprache und Denkart seines Occidents übersetzen, und sie alsdenn mit Orientalischer Wärme fühlen! Die Proben, die dieser Verdienstvolle Mann gegeben, liegen in ihrer Entwickelung da, und wie verstäuben gegen sie die Schlacken eines Claudians! Blos das Leichte, das unsrer Denkart nähere, die für uns faßlichere Evidenz dieser Römischen Bilder ists, die uns dieselben empfielt. Wären die Orientalischen nach unserm Augenmaaße: so wäre der Vorschlag unleidlich. Kann man sie nicht aber nach seinem Augenmaaße stellen? nicht seinen Blick zu ihnen erheben? gewöhnen? und kannst du das nicht, so siehe die Sonne in diesem ihrem stralenden Wasserbilde. Siehe den Abglanz Orientalischer Hoheit in einem Klopstock; von Erde bist du, wenn du an einen Silius Italicus hierinn, als Vorbild, zurück eilest.

Fußnoten

1 Der Messias. Gesang 6.

2 Gesang 7.

3 Epist. Homer. p. 86.

8.

»Auch Künstler sollen Gott und Christus würdig bilden!« 1 Wie todt ist, was Hr. Kl. hierüber sagt, gegen das, was andre gesagt haben. Hier ist Klopstock, da er Winkelmann beurtheilet, und wem ist es nicht ein sehenswerther Anblick, zween solche [249] Männer, zwei Enden des Menschlichen Geistes, zwei Extreme Deutscher Originale, von denen der Eine unter, der andre über Deutschland seinen Ort fand – ich sage, ists nicht ein merkwürdiger Anblick, solche zween Markgrafen Deutscher Hoheit von ihren Grenzsteinen zusammen treten zu sehen, zusammen sprechen zu hören. Das Stück ihres Gesprächs im nordischen Aufseher 2 ist mir eine Art von Phänomenon! »Der einzige Weg für uns, unnachahmlich zu werden, sagt Winkelmann, ist die Nachahmung der Alten.« »Ich würde, versetzt Klopstock, diese Einschränkung hinzusetzen: in denen Arten der Schönheiten, die sie erschöpft haben. Denn welches Genie würde nicht erschrecken müssen, wenn es sich nicht erlauben dürfte, an der Allgemeinheit jenes Satzes zu zweifeln? Haben z.E. die Griechen die Vorstellungen ausdrücken können, die wir uns von Engeln machen müssen? Aber wie vortrefflich haben sie nicht oft die Götter vorgestellt! Sollten wir nicht die Engel so machen? Gewiß nicht völlig so! Wir sollten jene Vorstellungen der Götter übertreffen. Bisher zwar sind wir, von diesem Uebertreffen, sehr weit entfernt gewesen. Wir malen Kinderchen, Frauenzimmer, und wenn wir uns recht hoch schwingen, schöne Jünglinge; geben diesen Figuren Flügel, und bilden uns ein, Engel vorgestellt zu haben. So gar Raphaels Michael ist ein Jüngling; und er sollte doch wenigstens ein Jupiter seyn, der eben gedonnert hat. Wenn nun Raphael vollends einen Todesengel hätte machen sollen; z.E. einen, durch dessen bloßen Anblick der erstgebohrne Sohn Pharaos niedersinkt. Michael Angelo also, wird man sagen. Nein, der auch nicht: denn er übertrieb zu oft. Der Contour des wahren Großen ist sehr sein! Wenn die Hand nur ein klein wenig ruckt: so kann es übertrieben werden. Wer also? Vielleicht ein noch ungebohrner Künstler, dem es aufbehalten ist, die heilige Geschichte würdig vorzustellen, nämlich die meisten schon oft wiederholten, neu, und dann viele sehr erhabene, die noch niemals gemacht worden sind. Wie[250] würde ich mich freuen, wenn er schon lebte, und dieses läse. Er ist es, der noch viel was anders sagen würde, als die Griechen haben sagen können. Gott vorzustellen, würde er sich niemals unterfangen; niemals! Aber den Versöhner der Menschen einigermaßen würdig abzubilden, würde er alle Kräfte seines Genies anstrengen, und sich den großen Empfindungen, welche die Religion giebt, ganz überlassen.«

Ich lasse über diese Klopstockschen Gedanken gerne einem jeden seine Gedanken; aber, wenn ich sie, und die beiden Aufsätze desselben Verfassers über die Poetische Composition einiger Biblischen Gemälde, 3 und einige stille Winke Winkelmanns in den Schriften desselben, und verschiedene offenbarere Anmerkungen Webbs, über die Gemälde der Religion, zusammen setze: so dünkt mich dies Klotzische Gemische darüber


– – Staub, den der Wind zerstreut.


Hr. Kl. findet unter allen, die über den Glanz um das Haupt der Heiligen geschrieben, keinen, der die Maler darüber getadelt hätte: er thuts, und siehet nicht, was ein solcher Bogen zur Majestät Gottes thun sollte? Als Kreisbogen freilich nichts, aber wenn sich nur seitwärts einige rückbleibende Stralen verlieren: so sehe ich nicht, wie diese hinderlich wären. Bei Gestalten der Heiligen sind sie eine einmal angenommene Symbole, und der Gestalt Gottes, (wenn Gott anders Menschlich gestaltet werden soll,) ein Zeichen der Majestät, so fern, als der Dichter singet:


& avertens cervice refulsit,
Ambrosiæque comæ divinum vertice ododrem
Spiravere – –

oder so fern die Biblischen Dichter auch hierinn große Gemälde vom Glanze des Herrn geben. Diesen kann der Dichter innerhalb der Grenzen seiner Kunst so bescheiden folgen, als die Griechen den Poetischen Symbolen ihrer Religion folgten.

[251] Ferner hat Hr. Kl. den Einfall, 4 auch Flügel könnten aus den Göttlichen Bildungen der Alten beibehalten werden. Ich will glauben, er meine nur etwa Engel, oder den geflügelten Blitz in der Hand Gottes: denn der Gottheit selbst Flügel zu geben, halte ich, (Hr. Kl. führe mir noch ein so langes Register von Göttern an, die bekannter Weise geflügelt gebildet wurden,) unserm höchsten Gotte halte ich ein Paar Flügel ganz unwürdig. Kaum würdig der Engel, nach den edlen Begriffen unsrer Religion; wenn nicht, als unterscheidende Symbole, wenn nicht etwa im Fluge, um denselben dem Auge wahrscheinlich zu machen. Selbst die Griechen, nachdem sie die Allegorie nach und nach abgestreift hatten, in ihren schönsten und edelsten Bildungen, warfen dein Jupiter die Flügel ab, damit er nicht wie ein Ikaromenippus des Lucians erscheine, und gaben sie seinem Adler. In der That, den Allerhöchsten mit einem Paar Gänseflügeln vor mir zu sehen, ist unleidlicher, als, ihn graubärtig, und als Greis, zu erblicken. Dies giebt noch eine leidliche Allegorie von ihm, dem ewigen Vater; aber was soll jenes zu der Idee des Allgegenwärtigen? –

»Die Griechen bildeten Jupiter auf einem Donnerwagen.« Nun hat es Hr. Michaelis längst gezeigt, daß die Cherubim, die Donnerpferde der Juden, wahrscheinlich Geschöpfe der Aegyptischen Einbildungskraft sind, und daß die Griechen ihre Donnerpferde Jupiters ebenfalls daher ursprünglich entlehnet: könnte auch gezeigt werden. Hier fließen also aus Einer Quelle zween Flüsse, und die Poeten beiderlei Religionen scheinen nicht anders verschieden zu seyn, als daß sie sich Eine Vorstellung, jeder nach der Art seiner Nation, gedacht haben. Warum sollte also der Christliche Künstler nicht diese Bildung der verschwisterten Griechischen Vorstellungsart ablernen? warum sollte er nicht auch den wahren Gott wie einen donnernden Jupiter bilden, der seinen Donnerwagen und Donnerpferde mit dem Schalle des Schreckens durch den weiten Himmel jaget?

[252] Hr. Kl. hat für gut befunden, diese Vorstellungsart anzupreisen; 5 und ich fände es beinahe gut, davor zu warnen. Der Begrif der Gottheit, der jetzt, als Hauptcharakter, den Gemüthern der Menschen beiwohnet, ist erhabner und gereinigter, als daß er ein solches Bild ertrüge. In den sinnlichen Zeiten der Jüdischen Dichter war »furchtbare Macht« gleichsam der Hauptanblick, mit dem man sich den Herrn dachte; man schrieb nach einem Idol der Erziehung, und nach einem herrschenden Zeitbegriffe, dem Wagen Gottes die gewaltigen Donner zu, die über das Jüdische Land hinzogen, und dahin aus, auf diesen sinnlichen Begrif, gehen auch die höchsten Bilder der Propheten. Irre ich nicht, so ist die gemeine Vorstellungsart unsrer Christlichen Zeiten darinn sanfter. Das erste Bild, das wir uns von unserm Gotte machen, ist vielmehr das Bild von dem vollkommensten, weisesten, gütigsten Wesen, dem Vater, und unsichtbaren Erhalter der Welt; als von einem zornigen Donnerer, von einem allmächtigen Weltverwüster. Soll also ja der Höchste gebildet werden, so zeige man ihn in dieser, für uns der würdigsten Stellung, oder gar nicht. Die Propheten des alten Bundes schuffen Bilder für ihre Zeit, und auch in dieser nicht für den bildenden Künstler: nicht für den Anblick des Schönen; sondern für Poetische Seelen, und in diesen nichts als der Religionsbegriffe halben. Der Künstler unsrer Zeit thäte also Unrecht, wenn er sich solchenfalls damit, als mit Biblischen Vorstellungen, rechtfertigen wollte; denn der Kunst hat die Bibel wohl keine Bildergallerie liefern wollen.

Es bleibt also nur das Vorbild der alten Kunst übrig, die ihren Jupiter Donnerfahrend bildete – aber ich antworte, das war auch ihr Jupiter, und nicht unser Gott! Jener seine, Charakter nach der Donnerer, der


[253]
Ἐλατὴρ ὑπέρτατος βροντᾶς
ἀκαματόποδος
Ζεύς – –

wie ihn Pindar nennt, erhabner, als die spätern Dichter, die Hr. Klotz anführt. Jupiter hatte einmal nach altem guten Herkommen die Function, derὑψιβρεμέτης, καταιβάτης, fulminans zu seyn, und wie man ihn mehr nennen will; als solcher konnte er Pferde jagen und Rosse lenken: das Kar Jovialisch. Ein solcher aber ist nicht unser Gott dem Hauptcharakter nach; und eine solche Kunstvorstellung nicht Göttlich. Die Kunst arbeitet für Einen ewigen Anblick; welch ein Anblick aber, Gott vor meinen Augen verewigt zu sehen, als – einen zornigen Fuhrmann!

Dazu muß Hr. Kl. aus Homer, Pindar und allen Griechen wissen, daß in denen Zeiten, da sich Mythologie erzeugte, und die Kunst galt, ein Pferd, wie noch bei den Arabern und Aegyptern, ein sehr würdiges Geschöpf, und Pferdeverrichtungen sehr edle Handthierungen waren – bei uns nicht mehr. Was sagt mir also dies Bild Gottes? Nichts, oder etwas Unwürdiges. – Der Künstler brauche es also nicht, und lasse den Klotzischen Einfall immer lieber wieder verunglücken.

Ueberhaupt weiß ich noch keinen Durchweg, um zwischen den höchsten Federungen der Religion und der Kunst mit einer Bildung Gottes, insonderheit für sich selbst, mit Gnugthuung meiner selbst, durchzukommen. Die Religion zeigt mir den Vollkommensten, den Allgnugsamen, den Geist: die Kunst bildet Körper, Geister geben keine Figur, das Vollkommenste hat kein Bild. Hr. Kl. wende nicht ein: 6 »Gott schreibe sich ja selbst Hände, Hals, Füße, Nase zu.« Bekannt! aber jedes von diesen Theilweise, nichts mit dem andern zusammenhangend, daß es ein Ganzes bilden sollte, jedes Glied als ein sinnliches Bild Einer seiner Eigenschaften. Die ganze Anthropomorphie Gottes im alten Bunde ist also [254] nicht bildend, sondern andeutend, symbolisch: und in weitem Verstande der Alten also, Allegorie. Dazu ist diese Allegorie nur Poetisch: das sichtbare Bild wird von dem geistigen Glanze, den es bedeuten soll, verschlungen; es verschwindet mit dem Worte, und die Idee, die zurück bleibt, ist eine Eigenschaft der Gottheit.

Wenn kann nun der Künstler die Beschreibung der Bibel für eine Erlaubniß halten, Gott nachzubilden? Wenn er seine Bildung der Gottheit in jedem Gliede derselben auch so andeutend, so Allegorisch machen kann, daß das Zeichen verschwindet, und nichts als der bezeichnete Begriff zurückbleibt – in keinem andern Falle sehe ich Erlaubniß. Kann ich Gott so zeichnen, daß mir bei seiner Hand der Allmächtige einfällt, der Welten wägt, und Erden anrühret, daß sie vergehen; außer dieser Bedeutung der Allmacht aber das Zeichen, die Hand selbst, nichts sey: kann ich Gottes Ohr und Auge blos als Sinnbilder seiner Allwissenheit darstellen, daß sie weiter keinen Eindruck lassen: Gottes Fuß nicht an sich, sondern als den, dessen Schemel der Erdball ist, nicht als den Theil eines Menschlichen Körpers – kann ich so den Geist malen und bilden, daß der Körper nichts, als Sinnbild des Geistes, und zwar des vollkommensten Geistes, ist: so kann ich ein Bildniß des Höchsten machen aus Autorität der Schrift.

Da dies nicht ist: so lasse ich ihr Beispiel weg, und vergleiche blos Foderung der Religion und Bedürfniß der Kunst – und siehe! fast überall Gegensatz. Gott der Unmäßliche – das Wesen der Kunst im Großen und Schönen sind Schranken. Gott der Ewige, und siehe einen erzeugten Körper. Gott der Allmächtige, der da will und es geschieht; die Kunst kann keine Macht ausdrücken ohne Ankündigung einer Bewegung. Gott der Würksame;. die Kunst kennt keine Würksamkeit ohne Bewegung: Gott der Unwandelbare, und siehe! jeder Ausdruck der Kunst wandelbar und wegeilend! Wer kann ihn fassen? wer kann ihn bilden?

Der einzige würdige Ausdruck für ihn wäre die seligste, allgnugsame Ruhe; allein auch da erscheint er nur als der seligste, allgnugsame Mensch: und weil die Menschliche Ruhe nur bei einer [255] Feier von transitiven Handlungen möglich ist; so ist auch alsdenn bei der gebildeten Gottheit der Begrif von Unwürksamkeit beinahe unvermeidlich: der Begrif von Allmacht, Allwissenheit, Allweisheit, Einwürkung wird in seinen Ausdruck der Ruhe verschlungen, das Bild ist kein Gott mehr. Raphaels schaffender Gott steht mit gesenktem Auge, mit zeigendem Finger:


Kann der bewundern, Er, der die Sterne gemacht hat?


Raphaels ewiger Vater steht wie ein grauer Greis: ist das der Gott, der da bleibet, wie er ist? Gott sehe z.E. auf die Erde herab: ist das der Allwissende, was siehet er ewig auf die Kugel herunter? Siehst er auch was neben ihm ist? Gott wäge die Erde: sie hat ein Maaß gegen Gott, und muß dazu ein proportionirtes Maaß haben: was hat das Bild für einen Ball in der Hand, um damit zu spielen? – Nun setze man noch gar unwürdigere Vorstellungen: einen Klotzischen Postillon mit einem Brande in einer Hand auf einen Wagen – Blasphemien! »Wie wollet ihr mich bilden? und wem wollet ihr mich vergleichen?« spricht Jehovah.

»Christus als einen Apollo im Belvedere,« 7 eben als wenn Christus einen Python imZorne getödtet – doch hierüber mag ein Klopstock in der vorangezogenen Stelle, und ein Mann von der entgegengesetztesten Denkart, Webb, sprechen. Der Vatikanische Apollo wenigstens scheint nicht dem Charakter des Erlösers dem Hauptanblicke nach, und in der Bestimmung seines Lebens zu entsprechen, sonst – – Doch ich werde theologisch, da ich doch in der Schule eines Poetischen und Kunstcritikus bin – –

Und ei! da lerne ich wieder Etwas Neues! Gott auf einem Donnerwagen fahrend! »Von Christlichen Poeten erinnere ich mich keinen, der dieses Bild brauche, als Milton« 8 – Keinen von Christlichen Dichtern? Hrn. Kl. Gedächtniß muß ihm den ärgsten [256] Streich gespielt haben; denn das meinige erinnert sich bei allen Christlichen Dichtern keines häufigern, gemeinern, bekanntern Bildes. Denn ist Gleim, der Kriegssänger, kein Christ?


Wer hat dich, Pandur,
in Angst gesetzt, in Flucht gebracht?
Gott, der auf Wolken fuhr.

Ist Kleist kein Christ? –

Groß ist der Herr! Die Himmel ohne Zahl
sind seine Wohnungen,
sein Wagen sind die donnernde Gewölk,
und Blitze sein Gespann;
und wie der prächtige Ton weiter das Bild malet.Cramer kein Christ? –
Wenn nun dein Wagen, Gott der Götter,
Messias, donnert, und im Wetter
Dahin fährt – –
Ramler bei der Krippe Jesu kein Christ? –
Jehovah fähret durch den Himmel,
und sieht sein seliges Geschlecht.
Wir sehen Majestät! – –

Und so glaube ich, denn ich habe aus dem Gedächtnisse geschrieben, so Wieland, Bodmer und jeder Christliche Poet; ich kenne kein bekannteres Bild des donnernden Gottes. Nur Klopstock, wenn ich mich recht erinnere, braucht dies Bild nicht: sein Gottsteigt herunter, den Meßias zu richten: er rollt nicht auf einem Donnerwagen, er ist selbst zu erhaben, um zu donnern. Sein Seraph Eloa schon kann tausend Donner fassen, und auch der steht nur auf einer Wolke. Ohne Zweifel schien Klopstocken das Bild zu niedrig selbst in der Poesie, für den –


Der Welten geheim und still den Untergang zuwinkt –


[257] und Klotz darfs sehr vornehm für die Kunst empfehlen? So ists nach jenem Gemälde Galatons: was Homer ausspiee, war den andern Ambrosia!

Fußnoten

1 p. 97. 98.

2 Nord. Aufseh. 3. B. St. 150. [S. 259–261]

3 St. 173. 174. 186. Nord. Aufseh. 3. Th.

4 p. 108. 109.

5 p. 115–122. Ostendi uno, eoque satis illustri exemplo, quomodo imitari possint nostri artifices veterum monimenta – ist das nicht viel?

6 p. 98. Ipse Deus sibi manus tribuit, dorsum, nasum, pedes etc. ist der Grund nicht bündig?

7 p. 111. 112. Hr. Kl. hat für gut gefunden, bei der Gelegenheit die Winkelmannische Beschreibung Apollo's in sein Latein hinzugießen.

8 p. 120.

9.

Die Frage wird weltlicher. 1 Können Dichter, die nicht über Sachen der Religion dichten, die Mythologie brauchen? Ich thäte am besten, blos zu übersetzen; aber auch das wird mir schwer. Wer kann einen Mann ertragen, der die Mythologie nicht anders kennet, als daß es »Griechen und Römern so beliebt, 2 Neptun einen Gott des Meeres zu nennen,« als daß es »den Wiederherstellern der Wissenschaften so beliebt, 3 auch die Mythologie der Alten (ohne weitere Gründe,) beizubehalten:« als daß sie »auf dem Irrthum und dem Aberglauben 4 der Alten beruhe:« als daß sie »nichts als ein Namenregister, 5 Schälle ohne Gedanken enthalte,« als daß sie 6 »ein bloßer Flitterstaat mittelmäßiger Köpfe sey, um ihre Gedichte mit hundertmal gebrauchten Gleichnissen aufzustützen:« wer die Mythologie in Gedichten blos als so Etwas kennet, wie ist der eines Bessern zu belehren? Man müßte vom Anfange anfangen, daß von Homer bis zu Virgil noch etwas anders in dem Gebrauch ihrer Mythologie liege, als böse Irrthümer und unchristlicher Aberglauben – nämlich sehr Poetische Ideen. Und so hätte man erst eine Voraussetzung!

Darauf wäre zu zeigen, daß von den Wiederherstellern der Wissenschaften die Mythologie noch etwa anders woher habe können beibehalten werden, nicht als ein beliebiges Gutachten. Vielleicht nämlich der Sprache, der Kunst, der Poesie, und alten Einkleidungen der Platonischen Weisheit wegen. Ob sie sie übel nachgeahmet: davon ist die Rede nicht, sondern ob sie sie nachahmen [258] dörfen? Und wer weiß es da nicht, daß wir nothwendig mit der bösen irrigen Mythologie zugleich alles hätten verlieren müssen: Sprache, Poesie, Wissenschaft, Kunst der Alten – eine schwere Verbannung! Wir wollen den irrigen, abergläubischen Ketzer dulden; denn mit ihm hätten wir, wie die Christen zu Julians des Abtrünnigen Zeiten, zu viel verlohren! Das wäre die zweite Voraussetzung.

Hieraus würde auch die Erstaunensvolle Frage beantwortet: warum dies böse Ding, das doch blos auf dem Irrthum und Aberglauben der Alten beruhet, habe beibehalten werden können? eine Blindheit, die Jahrhunderte durch gedauret! Es wäre also unmaßgeblich zu zeigen: »daß die Mythologie in ihrem Gebrauche wohl etwas mehr, als Schall ohne Sinn, Worte ohne Bedeutung, unnützer Flitterstaat, Gottlosigkeit und Aberglauben gewesen sey und seyn könne.« Wie tief muß eine solche Deduction anfangen! Und was hat unser Christliches Taufwasser mit dem ganz andern Werke zu thun, in einer sehr bekannten, sehr Ideen-und Bilderreichen Sprache Poetische Zwecke zu erreichen?

Freilich könnte es eine feine Aufgabe bleiben: »wie weit wir im Gebrauche mancherlei Mythologischer Ideen den Griechen und Römern nur bescheiden nachtreten müssen?« Mein hieran ist bei meinem Autor, und bei dem berühmten Vorredner Apollodors nicht zu gedenken; hier kommt auch nichts weniger, als Irrthum und Aberglaube, in Betracht: die bei ihm alles sind. Gnug! daß es ihm beliebt, in allen neuern Dichtern die Mythologie für schallenden Unsinn, für hundertmal gebrauchten Flitterstaat zu erkennen, und nun frage ich jeden guten Dichter unsres Vaterlandes: ist so Etwas nicht unter der Kritik?

Wie aber, wenn Hr. Kl. 7 uns einen ganz neuen Ersatz der Mythologie gäbe? – Ehe wir sein neues Geschenk preisen, so lasset uns erst sehen, ob es der Annahme werth sey, und denn erst, ob es als Aequivalent gelten könne? »Was einige befürchten, [259] daß, wenn sie die alte Mythologie verlören, ihre Verse kalt und matt werden dörften – die Furcht ist vergebens. Liefert uns doch unsere heutige Welt solch eine Menge neuer Gedanken und Bilder, daß es einem glücklichen Kopfe nie an Zierrathe seiner Gedichte fehlen kann« (eben als wenn ein glücklicher Kopf den Bettel wollte und brauchte!). »Bedenke, wie manches in der Naturlehre durch die Bemühung der Menschen jetzt entwickelt ist, was vormals entweder unbekannt, oder sehr dunkel seyn mußte. Bemerke ferner, daß der Kreis der Erde in neuern Zeiten gleichsam erweitert sey, durch Entdeckung der Länder, die vormals unbekannt waren, und erwäge, welch eine Menge Zierrathen dem Poeten daraus erwachse, weit besser, als die Namen einer Juno, Pluto, Cerberus, Rhadamantus und Charon.« Ich weiß, daß dieser Rath in die Köpfe mehrerer ingeniosorum gekommen: denn Rathgeben, sagt Plato, ist doch eine Göttliche Sache; und gegebene Rathschläge prüfen, dächte ich, noch eine Göttlichere.

Ich setze voraus, daß hier die Frage nichts weniger, als Wortzierrath, Dichterischen Schmuck betreffe, denn jeder Zierrath, der nicht aus der Sache selbst entspringet, der erst gesucht werden muß, ist Fehler; wir suchen also eine innere Bereicherung der Poesie in ihrem Wesen statt der Mythologie.

»Entdeckungen der Naturlehre!« Allerdings! wenn sie so bekannt, so fähig der Poetischen Sprache, so reich an Bildern, so anschaulich sind – als die Mythologie; allerdings! So verschwinde jene, wie Schatten gegen die Sonne, wie Fabel gegen die Wahrheit: und die Schöpfung eines Newtons, Neuentyts,Swammerdams, Buffons, Reaumurs,Tourneforts und Hallers trete an die Stelle des Fabelkrams eines Apollodors, oder Nata lis Comes. Aber zu welcher eigentlichen Function soll sie dahin treten? Einzelner Gleichnisse, Bilder halber? Mit Vergnügen erinnere ich mich zwar der seligen Augenblicke, die mir die tiefen Naturgleichnisse eines Hallers, die unerwarteten Arzneigleichnisse eines Witthofs, der fast ganz aus dieser Welt von Wissenschaften gedichtet, die fast immer ökonomischen Bilder eines [260] Dyers gebracht haben; aber mit Misvergnügen auch der unseligen Augenblicke, die mir die gelehrt seyn sollenden Gleichnisse eines Curtius u.a. erwecket. Blos als Gleichnisse betrachtet, sind die Offenbarungen der neuem Naturkunde lange nicht so des Lichts der Anschauung fähig, oft so schwer poetisch und ohne Kunstsprache auszudrücken: so oft über die Sphäre des common sense unsrer Zeit, für welchen doch Gedichte geschrieben werden müssen, erhoben: so oft für diesen ohne Commentar dunkel, und wer will über ein Gleichniß denn einen Commentar lesen? endlich weit seltner an die eigentlichen Gegenstände der Poetischen Welt gränzend, um ein Drittes der Vergleichung zu haben, das beide nahe zusammenbringe – und das waren sie blos als Gleichnisse. Gleichnisse aber sind höchstens in Lehrgedichten das Wesen der Poesie: Gleichnisse aber sind gewiß nicht der wichtigste Gebrauch der Mythologie: Gleichnisse also machen hier keinen Gegensatz, nicht die Mythologie un nöthig, nicht die Naturlehre zur Mythologie.

Fabel, Dichtung, Handlungen, die bis zur Täuschung eindringen, sind das Wesen der Dichtkunst, und wie weit weniger kann hier die Naturlehre zutragen? Kann sie der Epopee und Heldenoper Maschinen schaffen, die mit der Individualität, mit der hohen und schönen Natur, mit der charakteristischen Bestandheit, mit der bekannten Anschaulichkeit, mit der Täuschungsgabe handeln können, als in Homer die Götter der Mythologie handeln – wohlan! so treten Gnomen und Sylphen, und Nymphen und Salamanders, die ganze Schöpfung des Theophrastus Paracelsus, und Cornelius Agrippa, die personifiirte ganze Naturkunde in die Stelle Mythologischer Wesen. Kann sie dem Drama, der Pindarischen und Horazischen Ode, der Fabel, der Erzälung, der Idylle so viele, so schöne und so reiche Dichtung schaffen, als die Mythologie der alten Dichter diesen Gattungen schuff, so trete sie auf. Hier lasse ich meine Leser mit aller Gemächlichkeit alle Dichter des Alterthums in allen Arten der Dichtkunst, und in jeder ihre glücklichen Fictionen aus dem Vorrathe der Mythologie – nachzählen: alle neuere Dichter, die aus dieser Quelle, es sey auf was Art es wolle, glücklich geschöpft, bis [261] auf unsern lieben warmen Wieland zu – alsdenn überschlage er, ob ihmdas alles Naturkunde ersetzen könne, und thue den Ausspruch. Meines Wissens giebt diese einzelne Begriffe, Känntnisse, Wissenschaft; die Poesie will Geschichte, Handlungsvolle Begebenheiten, täuschende Fabeln – welche beide Ende!

Ich sage nicht, daß nicht aus der Naturkunde unsre Dichtkunst noch sehr mit Wahrheiten und Bildern bereichert werden könne, daß aus diesen Wahrheiten und Bildern von einem Poetischen Kopfe nicht so glückliche Fictionen geschaffen werden müßten, als ein Fontenelle über die Wirbel des Des-Cartes witzige Einfälle dichten konnte – aber daß diese mögliche Ausbeute dem unzählbaren Reichthume Mythologischer Dichtungen und Geschichte und Fabeln je gleichkommen, daß sie denselben völlig überlei machen könnte, das leugne ich völlig! Aus der Mythologie eben lerne man, die Naturkunde dichterisch zu bilden, nicht aber aus der Naturkunde die Mythologie zu verbannen.

Zweitens: »neuere Entdeckungen neuer Länder und Welten!« und was haben uns diese für die Dichtkunst entdecken lassen, das der Mythologie gleich gölte? Bäume und Pflanzen? So viel ein Indianischer Plinius, ein Rumph, eine Merian u.a. die Welt des Kräuterkenners, und den Begrif der Schöpfung Gottes erweitern: so viel Vergnügen und Nutzen man in einem Malabarischen Garten finde; so doch das wenigste zum Gebrauche der wahren Dichtung. Die Namen der neuen Kräuter sind unpoetisch; ihre Gestalt und Unterschied nicht durchgängig bekannt, nur der Zeichner, nicht der Wortmaler, kann sie anschauend sinnlich machen. Zudem sind solcheBrockessche Malereien ja nicht Hauptzwecke der Dichtkunst, und was z.E. der Verfasser des Zuckerrohrs Poetisches in sein Poem gebracht, ist dem mindsten Theile nach aus der Pflanze selbst gepreßt; es ist Ausschweifung.

So Gegenden? Außerordentlich wilde Gegenden, Wüsten, Gebirge, Wasserfälle sind rührend, aber nur so fern sie bekannte Ideen wecken, die uns schonbeiwohnen. Ich würde Niagarens Wasserfall in Creuz nicht so fühlen, wenn ich nicht schon rauschende [262] Wasserfälle kennete, und hier blos meine Begriffe steigen dörften. Schlechthin neue Beschreibungen gewähren also diese Entdeckungen kaum: denn ob der alte Grieche und Römer die Wasserfälle des Nils, den Euripus, den Olympus, die Scylla und Charybdis mir über historische Wahrheit erhoben, ist nicht die Frage, nur ob er sie mir täuschend gedichtet? und von ihm also lerne man auch die neuerlicher bekannten Gegenden – Grainger seinen Amerikanischen Platzregen, und andre ihre feurigen Luftmeteore dichten; (denn nach historischen Bildern suche ich in Reisebeschreibungen) und fänden da die meisten solcher Scenendichtungen in den Alten, nur nach Beschaffenheit ihres Landes nicht schon Vorbilder? Wie feierlich ward aus dem Aetna die Werkstatt der Cyklopen, aus der Gegend bei Pozzuolo der Acheron, aus den Thessalischen Gegenden die Berge der Musen, aus den Inseln des Möris die Elysäischen Felder u.s.w. In Landgemälden mögen wir also neu seyn, im Geiste des Poetischen Landmalens, in Dichtungen darüber müssen wir von den Alten lernen. Dazu ist ihre Mythologie: ich sehe sie also nicht entbehrlich, ich sehe nicht einmal, recht genommen, einen Gegensatz.

»Vielleicht also neue Thier- und Menschen-Gattungen?« Gut! aber in die Naturgeschichte gehören diese besser, als in die Poesie; und wenn auch für diese, als Gegenstände, Bildergleichnisse – was trift dieses die Mythologie zum Gegensatze? Eine Fabel, eine Poetische Dichtungslehre ist ja kein Bildersaal Griechischer Thiere, Menschen, Pflanzen, Gegenden – beide heben sich noch nicht auf; vielmehr kann die Mythologie Muster bleiben, in dieser neuern Thierwelt zudichten.

Soll es Gegensatz werden, so muß die neuentdeckte Welt uns statt der Griechischen eine Gallerie solcher und besserer Fabeln, Geschichte, Dichtungen liefern. Die Hottentottische Götterlehre, Kunstbegriffe, Historien, Gedankeneinkleidungen müssen an die Stelle der Griechischen treten. Der Pachakamai der Peruaner wird Zevs, der Chemiin der Caraiben wird der große Pan, und der Areskovi der Huronen der schöne Apollo. Statt der schönen Genien der Griechen wollen wir die Hondatkonsonas der Iroquoisen, und [263] statt der edlen, Poetischreichen und schönen Fabelverrichtungen der alten Homerischen Götter, ihrer Einwirkung in die Welt, und ihrer Thaten unter den Menschen wollen wir Fratzengeschichte der Africanischen Regern – welch ein Tausch! Und Tausch soll doch seyn? die neuentdeckte Welt soll uns doch das reichlich und überreichlich geben können, was uns die elende Griechische Mythologie giebt? Und was giebt diese für die Poesie anders, als Dichtungen, Geschichte, Fabeln, in die Poetische Composition gelegt wird, uns zu täuschen, zu vergnügen.

Hätten unserm Verf. richtige und genaue Begriffe vom Wesen der Poesie, und vom wesentlichen Gebrauche der Mythologie in der Dichtkunst der Alten beigewohnt: so würde er sich sein Edikt gegen diese, und seine Vorschläge zur Schadloshaltung jener, selbst erlassen haben. Jetzt rächt sich an ihm Kalliope, wie dort Bacchus am Lykurgus, da dieser seinen Wein ausrotten wollte; sie läßt ihn nämlich die Linie passiren, und schickt ihn nach Mohren und Malabaren, um, wie ein Orpheus und Homer aus Aegypten zurückzukommen, – der Vater einer neuen Poesie, die seit Griechen und Römer Zeiten nicht gewesen.


Non usitata, nec tenui ferar
Penna biformis per liquidum aethera
Vates, neque in terris morabor
Longius, invidiaque maior
Vrbes relinquam: non ego pauperum
Sanguis parentum, non ego – –
Stygia cohibebor unda.
Iam iam residunt cruribus asperae
Pelles et album mutor in alitem
Superne: nascunturque leves
Per digitos humerosque plumae.
Iam Daedaleo ocyor Icaro
Visam gementis littora Bospori
[264]
Syrtesque Gaetulas canorus
Ales, Hyperboreosque campos.

Me Colchus etc. c. Heil zur glücklichen Reise!


Drittens und endlich »Allegorie: 8 Tugenden und Laster, diese und andre Gemüthsaffecten – wenn ihnen der Dichter Körper beileget, so wirb er theils auf allen Münzen und Edelsteinen, theils in Gedichten, welche finden, die er bequem gebrauchen kann;« und nun gehts in ein Register.

»Bequem gebrauchen kann?« Hr. Klotz beliebe zu sagen in welcher Gedichtart? In Epopeen? Nie können da Mes-Dames »Pudicitia, Fertilitas, Fides, Securitas, Copia, Justitia,Veritas, Voluptas, Ira, Discordia, Impudentia, Invidia u.s.w.« das ausrichten, was Homers Götter und Göttinnen wirken. Es sind Larven allgemeiner Begriffe, denen persönliche Bestandheit, individuelle Bezeichnung, historischer Charakter fehlt, bei denen man jeden Tritt aus dem Namen voraus sieht, die aus einem Worte, wie jene Prophetinnen, aus holem Bauche sprechen, Wortgespenster. Sie geben kein persönliches Interesse, keine individuelle Handlung, keine einzelne Charakterprobe: sie rühren nicht, sie täuschen nicht: sie zerspringen, wie Wasserblasen.


The earth hath bubbles, as the water has,
And these are of them. Whither are them vanished?

Also in Idyllen, Fabeln, Erzälungen, überall, wo es auf vorgestellte Fiction ankommt? Kaum! und eine lange Allegorische Dichtung, ein Allegorischer Traum macht mir in sonst vortreflichen Wochenblättern, 9 wenn er nicht außerordentlich kurz ist, Kopfschmerzen. Wenn Allegorie Wahrheit einkleiden soll, damit sie mehr einnehme, und stärkern Eindruck mache, so muß sie dieselbe nicht verdecken, und den Augen wegstehlen. Das Frappante, das [265] Außerordentliche im ersten Anblicke der Entwickelung gefällt, und läßt dauerhafte Spuren in der Seele; wird mir aber seitenlang die Mühe des Entwickelns zum ordentlichen Geschäfte gemacht; – soll ich nicht die Frucht hinter den Blättern unvermuthet erhaschen, sondern zum Tagwerke Blätter klauben, eine ganze Fiction hindurch die Allegorischen Masken entkleiden, und bei jedem Zuge neu entkleiden; warum ließ mich, da es hier blos auf Wahrheit und Mühe ankommt, der Dichter die Wahrheit nicht nackt sehen? ohne Mühe der Entkleidung? ohne langes Gesuch? Mitten im Allegorischen Traume unsrer Wochenblätter schlafe ich ein, und vielleicht viele Leser mit mir.

Nichts bleibt übrig, als kleine Gedichte, oder Einfälle in Gedichten: Bilder, Gleichnisse, Epigramme, Lieder, Oden – Bilder und Gleichnisse? wohl! und die alle Mythologie ist voll schöner Allegorien! Epigramme? Ein Epigramm ist ein Bon-Mot in der Dichtkunst, es gefalle durch seinen Stachel, oder seine außerordentliche Simplicität. AberLieder? Oden? Selten können lange durchaus Allegorische Lieder und Oden gefallen! Ich danke es Uzen, daß er mir seinen schönen Morpheus, als einen Traumgott, nicht als ein Allegorisches Gespenst der Träume, vorstellt. Ich danke es den Dichtern der Freude, und des Amors, daß sie diesem Gotte, dieser Göttin nicht, als Gespenstern eines abstrakten Begriffes, zu gut allegorisiren, sondern lieber einem Gotte der Liebe, einer Göttin der Freude zu Ehren singen. Jenes wird ein trockner Eichenkranz von symbolischen Prädicaten, dies eine Reihe von Empfindungen, die einem solchen gedichteten Wesen überhaupt geziemen – ein merklicher Unterschied!

Wenn Hagedorn der Freude singet, bleibet er freilich nicht mit jedem Zuge der Allegorie treu, und wollte es auch nicht bleiben. Seine Freude ist ihm eine Göttin, der das Vergnügen gefällt, nicht ein Allegorisches Gerippe derselben. Er kann sich also denken, daß sein Lied »dieselbe vergrößere, daß sie das Glück der Welt, die Kraft der Seele, das halbe Leben sei; daß sie die Vernunft erheitere, u.s.w.« Prädikate, die der Freude überhaupt zukommen, [266] nicht aber dem personisiirten Begriffe derselben, der Freudengöttin, der Hagedorn frohe Empfindungen opfert, nicht dem Allegorischen Wortgemälde – –

Ramler hat sein Lied in ein solches Gemälde verändern wollen. Er löschte die Striche aus, die bei der Allegorischen Figur nicht Statt fanden; er that neue hinzu, die sie sichtbarer machten. Er gab der FreudeKinder, er machte sie selbst zum Kinde des Himmels, er verwandelte die Kenner, personneller in Dichter der Freude; er machte lieber eine lange Parenthese, ehe er diese mit einer andern Allegorischen Person, dem Glücke, hätte vermischen lassen; er gebot ihr die Gesellschaft unvernünftiger Bacchanten zu fliehen; – kurz! er blieb, in jedem Zuge, dem Bilde einer Allegorischen Person treu. Hat er das Lied verbessert? Als ein Allegorisches Poem, freilich; aber, als ein Gesang der Empfindungen, der Freudengöttin gesungen, ohne dieselbe ins Stamm- und Wapenbuch zu malen? – kaum! alle, wie mich dünkt, haben Ramlern getadelt, und keiner den Grund berührt, der ihn verführt habe, und ein Ramler wird nie ohne Grund irren. Will ich ein Allegorisches Lehrlied auf die Freude; so wähle ich Ramlern – will ich einen Freudengesang, der Freudengöttin gesungen, so Hagedorn!

Nur gar zu sehr ist Ramler ein Freund solcher Allegorien, und zerstört dadurch oft die Harmonie des Liedes. Gefühl ist der Ton der Lieder, und nicht eine Charakteristik Allegorischer Wesen, die, wenn sie einmal eine todte Symbole mitten in die Reihe Lyrischer Empfindungen hinein stößt, alles, wie Eis, erkältet. Hagedorn singt im Tone des sanftesten Abendvergnügens seinen Morpheus, die Wünsche, das Verlangen seines Herzens: Ramler nimmt eine Aegyptische Kohle, und reißt eine Hieroglyphe daraus. Die schwarze Hieroglyphe aber schreckt das Chor aller Abendfreuden aus einander: – –


Gott der Träume, Kind der Nacht,
Das mit Mohn in Händen
Gaukelnde Gestalten macht – –

[267] Gnug! schön zu einer Devise auf ein Bild des Schlafes, nicht zum Lyrischen Gesange, nicht zu einem Hagedornschen Liede.

Sollte, in Gedichten der Liebe, Amor nichts, als die personificirte Liebe, das Abstractum dieses Begriffes in Allegorische Gestalt eingekleidet seyn – arme Dichter der Liebe! das Reich eurer Phantasie ist verwüstet. Nicht mehr der Mythologische Amor mit allen seinen Geschichtchen; eine Metaphysische Maske ist euer Gesang. Alsdenn z.E. sind die Jacobischen Tändeleien von Einem Amor, von diesem und jenem Amor, vom Amor, der Lerchen fängt, der jetzt verschwindet; jetzt uns eine Stunde Friede läßt; jetzt unvermuthet unter Schmiedeknechten beim Vorbeipassiren gefunden wird; jetzt, wie ein fliegendes Jucken in der Haut wiederkommt; fade. Alsdenn schrumpft das Reich erotischer Wesen in die wenigen steifen Herrlichkeiten ein, die Hr. Kl. von seinen Gemmen uns vorzält, und auch die sind nicht ohne Mythologische Züge – – Kurz! wenn Hr. Kl. seine Behauptungen nur halb überdacht, kaum hätte ers sich selbst verantwortet, den Mythologischen Achtsbann niederzuschreiben, der alle unsre Dichter aus seiner Poetischen Republik treibet. Ich hoffe, die Muse werde dem neuen Plato, für einen so bündigen Reichsschluß, sanfte Ruhe verliehen haben!

Fußnoten

1 Epist. Homer. p. 124–135.

2 p. 124.

3 p. 125.

4 p. 125.

5 p.126.

6 p. 127.

7 p. 126.

8 p. 127. 128. etc.

9 Ich führe nur Eins an, den Rambler, eine Schrift voll Menschenkenntniß, und voll schläfriger Allegorien.

10.

Der Rest der Homerischen Briefe wird uns, wie ich glaube, den Weg verkürzen.

Hr. Kl. lobt Homer über seine genaue Charakteristik der Helden; 1 längst längst bemerkt, bekannt, und besser ins Licht gesetzt.

Hr. Kl. vertheidigt Homer, daß er sich in Kleinigkeiten wiederhole. 2 Längst vertheidigt, und sonst schon genauer auf die »Ruhepunkte seiner Epischen Muse,« und auf eine kleine süße Geschwätzigkeit der Griechen zurück geführt.

[268] Hr. Kl. schweift weit aus über die Nachläßigkeit der Künstler im Nebensachen. 3 Nichts Neues!

Ueber die edle Nachläßigkeit der Schriftsteller. 4 Ein Gemische ohne Grundsätze und Bestimmung, das uns erst die weise Simplicität, und die strenge Schönheit im Ernestischen Aufsatze 5 dieses Inhalts um zehnmal mehr fühlen läßt. Ernesti, in dem Geiste des Cicero, bestimmt, beweiset, schränket ein, macht die edle Nachläßigkeit, die er empfielt, liebenswürdig; und da er zu eben der Zeit mit der abgemessensten Sorgfalt spricht: so kommt er dem Misbrauche seiner Lehre zuvor. Unter den Händen unsers Autors wird die liebenswürdige Nachläßigkeit zu einer Regellosen und unstäten Franchezza, so in seiner Lehre und so in seinem Beispiele. Vergebens gab ihm die Muse die Gabe des leichten Vortrages, wenn dieser unüberdacht, ohne Plan, Gründe und Ordnung umher schweifet. Keinem prüfenden Leser wird diese leichte Freiheit, »schöne Nachlässigkeit der Alten« dünken; dem Halbkenner aber, und dem läßigen Schüler, der nur auf solche Lehren wartet, wird sie sowohl im Unterrichte, als Beispiele, verderblich.

Hr. Kl. vergleicht das Homerische Bild der Zwietracht mit den Gemälden andrer Dichter. 6 Ich würde nicht vergleichen wollen, wenn ich die andern Dichter nicht gelesen. Das Bild der Zwietracht in Ariost, in Tasso, und wo weiß ich mehr? insonderheit das Klopstocksche große Bild der Religionszwietracht, 7 sollte nicht vergessen seyn: denn das letzte übertrift Homer.

Hr. Kl. giebt die Scene von Hektors Tode, und den Klagen über ihn, aus Homer. 8 Ich weiß nicht, wie ich die Gabe nennen soll. Nicht Uebersetzung, nicht freie Ekphrase: weder Lateinische Periodenprose, noch Homerische Cadenzen; ein widriges, und insonderheit, »in den Bindungen der Rede,« widriges Mittelding, in dem Homer, ohne Stärke und Leben, zerrissen da liegt.

[269] Hr. Kl. giebt uns zu diesen Menschlich rührenden Klagen Parallelen, und die bekannte Geschichte des Ugolino in Lateinischen Versen. 9 Nach dem Gradu ad Parnassum sind die Verse schön; mit der Meinhardschen Prose verglichen, matt und kraftlos. Die Macht der Simplicität des Italieners; die kurze Wuth des Schmerzes in demselben, bei jedem neuen Anfalle; die rührenden Einschiebsel desselben, die, wie ein einsilbiges Ach! die Rede stören, ist hier in schöne Lateinische Verse verflossen, ganz verflossen.

Hr. Kl. giebt den Auftritt der Andromache, und des Astyanax mit Parallelen rührender Kinderscenen. 10 Ich weiß nicht, wer ein Deutscher ist, und die Scene des Benoni im Meßias auslassen: ich weiß nicht, wer Kinderscenen parallelisiren, und nichts aus den Trauerspielen der Britten nennen darf. Nicht mit Homers Astyanax, aber wohl mit Shakespearschen Scenen konnte Lessings Arabelle verglichen werden, wenn es verglichen seyn sollte.

Hr. Kl. zeigt, daß die Römer oft Griechische Dichter und Künstler nachgeahmet. 11 Zu bekannt!

Daß Homer oft das Stillschweigen sehr glücklich gebraucht 12 Die angeführten Beispiele sind nicht gesondert. In einigen ists ein Stillschweigen der Weisheit, in andern der Hoheit, in andern des Affekts; gar nicht alle und jede zu einem und dem nämlichen Zwecke. In einigen ists ein eilfertiges, in andern ein betäubendes, in dritten ein schmerzliches, unaussprechlich schmerzliches Stillschweigen; und endlich ein Zug des Erhabnen. Den letzten hat Moses Mendelssohn entwickelt, und die ersten hätte Hr. Kl. so entwickeln sollen. – –

Das Ende der Homerischen Briefe verliert sich völlig im Sande. Der Verfasser bekennet: »er habe geschrieben, was ihm in die Gedanken, und in die Feder gekommen, daß er ein gutes Gewissen dem Ruhme gelehrter Verdienste vorziehe, daß ein andrer Ausleger Homers freilich auch andre Dinge über denselben sagen könne: ego vero quid habeo, quo me extollam? Voluntas atque ardor nunquam [270] defuit, sed defuere alia 13 – –« Nur wie? wenn Hr. Kl. Homerische Briefe schreiben wollte, warum, daß er nichts würdigers schrieb? wenn er das Andenken Homers erneuern wollte, warum that er nicht, wie jener Thersagoras bei Lucian, an Homer ein Gebet, ihn würdig schreiben zu lassen? Warum übergab er der Welt seine Scherbensammlung von Meinungen für Homerische Briefe?

Als Homerische Briefe hat sein Buch, dem Inhalte nach, der eines Theils nicht tief gnug überdacht, andern Theils, gar zu gemein, und auf allen Scheidwegen bekannt ist, und, dem Vortrage nach, der aus einer Parenthese von Materie, levissimus transfuga! in eine andre fällt, und keine erschöpft; in beiden haben die Homerischen Briefe vielleicht nur den sicheren Nutzen, Homer durch eine feine Figur, die man Ironie nennt, zu loben. Sie klagen ihn als einen unzeitigen Lacher, an, damit man es desto tiefer bei ihm fühle; alles sey bei ihm an seinem Orte. Sie beschuldigen ihn der Ungeschliffenheit der Sitten seiner Zeit, damit man in diesen die edle Einfalt so mehr bewundere, liebe, und kennen lerne. Sie fodern ihn vor, daß er dem Leser manchmal beschwerlich falle; und um so fleißiger übe ich mich, die Musik in ihm zu empfinden, die eine Empfindung, wie eine Welle aus der andern hebt, und in eine dritte fort wälzet. Sie loben nurπαρεργα an Homer, daß ich das eigentliche Wesen seiner Muse desto inniger verehren lerne. Sie scheinen, ihn nur aus Parallelen fühlen zu wollen; ich liebe die Schönheiten in ihm, die sich nicht plenis buccis vergleichen, die sich kaum in Augenschein setzen, kaum in Worte einfassen; aber desto mehr, an ihrem Orte, Homerisch empfinden lassen. Sie nehmen seinetwegen Gelegenheit, die Mythologie zu verbannen, und zu verkleinern; ich, die Schönheit, und Poetische Congruität der Homerischen Mythologie zu beherzigen. Sie halten es für die schönste Nachläßigkeit, vom Hundertsten aufs Tausendste zu kommen; mein Homer immer bei der Stange zu bleiben – – So will ich sie zu erst; alsdenn den Griechen selbst lesen, [271] und ihm nachher jedesmal ein Stück dieser Homerischen Briefe opfern!


– – animamque poetæ
His saltem accumulem donis, & fungar inani
Munere – –
Fußnoten
1 p. 136–144.
2 p. 144–147.
3 p. 148–158.

Note:

4 p. 158–188.

Note:

5 Ernest. Opusc. philol. critic. p. 126. Die Citation dieses Stücks im Indice des genannten Buchs ist zu corrigiren.

Note:

6 p. 188–223.

2. Ueber die Schaamhaftigkeit Virgils
1.

Der Verfasser Homerischer Briefe bietet nur seine Hand dar, 1 mich von der Bildsäule des Griechischen, zur Statue des Römischen Homers zu führen, und mir denselben in aller Größe und Liebenswürdigkeit zu zeigen. Daß dies sein Zweck sey, bezeuget der lange Eingang 2 von Klagen, daß man die Alten nicht recht lese, treibe; sie also auch nicht so lieben könne, als – als Hr. Kl. uns vermuthlich an Virgil zeigen will.

Dazu aber, dazu dünkt mich das Klotzische Thema wohl nicht das gewählteste. Noch so genau ausgeführt, kann es uns Virgil, als einen schaamhaften, keuschen, züchtigen Dichter, vorstellen, es kann ihn uns, als einen Moralisch reinen Gesellschafter, empfehlen; ob aber deßwegen, als einen unterhaltenden, liebenswürdigen Gesellschafter? ob, als einen vortreflichen Poeten, dessen Genie begeistern, dessen Poetische Kunst lehren könne? Das sehe ich, im Thema, nicht unmittelbar enthalten. Anmerkungen hierüber werden Ausschweifungen seyn müssen, oder – kurz! die lange Klagenvorrede vom unwürdigen, Genielosen, unpoetischen, unangenehmen [272] Gebrauche der Alten, steht nicht an ihrem Orte. Auch das selbst ist ein unpoetischer Gebrauch Virgils, wenn ich in ihm darauf ausgehe, Zucht und Keuschheit aufzusuchen; nicht sein Genie, seine Kunst, seine Poetische Ader. Statt die Schönheiten, die entzückenden Schönheiten seiner Muse, zu betrachten, ists wohl eine würdigere Ocularinspection, ob Virgils Muse auch – eine reine, keusche Jungfer sey? Würdige Bemühung, aber für fromme Großtanten, und für Kunsterfahrne Hebammen würdig, nicht für den entzückten Liebhaber in der ersten Umarmung.

Um aller keuschen Musen und Gratien willen! will ich der Schaamlosigkeit der Dichter nicht das Wort reden, und die Schaamhaftigkeit der Schriftsteller überhaupt heruntersetzen. Ich wünsche, daß der Geist der feinern Lebensart, oder warum darf ich nicht sagen? des züchtigen Christenthums, sich auch in Schriften zeige, und daß man minder die Ehrfurcht verläugne, die man der Würde des Publicums schuldig ist – ein Name, der den Meß-Schriftstellern unsrer Zeit beinahe so fremde, Utopisch und lächerlich geworden, als er, den Griechen, insonderheit die für Athen, für die Welt und Nachwelt schrieben, ehrwürdig war. Der Moralische Geist, mit welchem unser Jahrhundert durchdrungen seyn könnte, sollte uns einen Moralischen Verderb, den unsre Schrift stiften könne, wichtiger und gewissenhafter machen, als zehn Poetische Schönheiten. – – Dies gilt auch, und noch mehr von Poeten; denn ihr Gift ist süßer, fließt leichter ein, wirkt länger und stärker. – –

Auch will ich das nicht gesagt haben, daß man in Bildung der Jugend über die Moralischen Beschaffenheiten eines Dichters völlig hinweg, und nur die Poetischen Schönheiten ansehen solle: daß ein Virgil und Catull gleich gute Autoren der Jugend seyn, und die Priapea etwa die goldenen Sprüche Pythagoras abwechseln könnten. Vor wem soll man mehr Ehrfurcht haben, als vor einer unverdorbnen Jugendseele! Unter einer Menge beobachtender Jünglinge ist man vor den Schranken des schärfsten Publicums. – –

Dies alles an seinen Ort gestellt, ist hier die Frage: ob man bei Dichtern, als Dichtern, vorzüglich auf Bemerkung ihrer Schaam [273] und Reinigkeit ausgehen? ob der Poetische Kunstrichter zuerst ein Zuchtrichter seyn solle? Und das, glaube ich, soll er, vermöge Poetischer Zwecke, und des Poetischen Gefühls halben, nicht. Ich verstehe Hrn. Kl. nicht, wenn er sagt: 3 quanta enim stultita est, ea de se commemorare facinora, quæ si quisquam alius a nobis patrata esse diceret, cœlum commoveremus & terram, injuriamque nobis fieri clamaremus, gravi pœna expiandam, maculamque omni modo delendam nostræ famæ inuri? Hujus tamen bonæ famæ cur ipsi negligentes sumus? Denn Hr. Kl. wird doch nicht die bona fama eines Poeten für den Inhalt halten, den er besinget? Er wird doch nicht Leßings dann fama darnach beurtheilen, wenn er singt:


Es donnert. Ja es donnert sehr.
Weg mit dem Weine! Was? nicht trinken?
Nein, Bruder! nein! der Heuchler Heer
Mag knechtisch auf die Kniee sinken u.s.w.

Nicht seine bona fama daraus beurtheilen, wenn er an seiner Angelika nichts auszusetzen findet, als – –


– – Einen Fehler treff' ich an,
Der alles nichtig macht.
Sie liebet ihren Mann.

Nicht seine bona fama daraus beurtheilen, wenn er mit dem Tode capituliret, ein und kein Türke sein möchte, Alexanders Wunsch nachahmet, der Faulheit Loblieder singet u.s.w. Denn sonst, wenn Leßing Klotz wäre, certe cœlum commoveret & terram, injuriamque sibi fieri clamaret, gravi pœna expiandam, maculamque omni modo delendam suæ famae inuri; quod quisquam alius a nobis patrata esse diceret, quæ de nibis facinora ipsi commemorabamus. Unglück gnug aber, daß Leßing, Gleim, Uz, Weiße, Gerstenberg, Wieland auf solche bonam famam nicht achteten.

[274] Es wäre doch recht artig, wenn künftig ein Lobredner unsres Deutschen Anakreons der bonæ famæ desselben ein solches Ehrendenkmaal aus seinen Anakreontischen Liederchen erbauen wollte, als Hr.Harles aus einigen sehr charakteristischen Stellen der Klotzischen Gedichte, da er sich selbst, als Held, als Freund, als Gelehrter, als Weiser, als Dichter etc. mit Dichterischer Offenherzigkeit preiset, sehr ernsthaft und bündig hat errichten wollen 4 – – armer Gleim! wehe alsdenn deiner bonæ famæ!

»Schon in seiner Jugend, wird der Biograph desselben sehr Avthentik erzälen: schon in seiner Jugend zeigte sich in Gleimen der üppige Hang zum weiblichen Geschlechte, der ihm seine meisten Gedichte nachher eingegeben. Als sein Vater ihn die edle Rechenkunst 5 nach Pfunden und Thalern, und Winspeln und Centnern, und die güldene Regel-de-Tri lehren wollte, dachte der unartige Knabe schon an nichts, als Mädchen. Nichts sobald lernte er, als spielen, küssen, und war nachher Schaamlos gnug, andre in diese Schule einzuladen, und ihnen dies, als die erste Lection, anzupreisen. 6 Seine Eltern wollten, nach Christlicher Zucht und Ermahnung, 7 ihn zu etwas Nützlichem anhalten: seine fromme und Christliche Mutter bestimmte ihn zum ehrwürdigen Seelsorger: sein Vater zum Mediciner; aber nichts lernte der Knabe. Er bestimmte ihn zum Advocaten; auch da waren ihm nur die Händel der Verliebten sein Kram, und wer weiß, wie manche ungerechte Vertheidigung, um eines schnoben Lohnes willen – – doch ein Christ soll nicht lieblos urtheilen. Nur dauret mich das eigne Geständniß dessen, das er an sich selbst zu rühmen waget: Sein ganzes Geschäfte 8 schlafend, träumend, wachend, ist an Mädchen denken; ja oft, bekennet er, habe das [275] Rauschen der Küsse ihn zum Schlafe einwiegen müssen – wer weiß, was vorher gegangen? Selbst nicht die schönste Gegend, und die schöne Gesellschaft eines Kleists war dem Verwöhnten zum Vergnügen nicht gnug ohne seine Doris: 9 denn an dieser, und am Weine hieng sein Herz und seine Seele. In solcher Denkart ist es nicht zu bewundern, daß ihm insonderheit die Diener Gottes im Wege sind: 10 denn die werden zu seiner Ueppigkeit nicht stille geschwiegen haben; aber der Wohllüstige suchte sich lieber zu verhärten. Sein böses Gewissen mag ihm wohl zuweilen zugesetzt, haben; aber er entschlägt sich dem Geschrei desselben; er spottet über Hölle und Teufel; 11 er scherzt mit dem Tode, 12 wird aber seinen Spott unter den Händen desselben theuer gnug haben bezahlen müssen. Er verlacht den Eifer der Gottesgelehrten, und. hat sich eine Moral von Lebenspflichten 13 gezimmert, die Atheistisch, gottlos, und der ganzen Menschlichen Gesellschaft schädlich ist, und die wir anführen wollten, wenn wir es nicht für unsre Christenpflicht hielten, uns fremder Sünden nicht theilhaftig zu machen. Ja, wenn doch nur die blühenden Jahre unsers gefährlichen Schriftstellers mit solchen Tändeleien fort gegangen wären; nun aber wählt er sich noch u.s.w. – –«


BONÆ. FAMÆ. POETÆ

FRIDERICI. GUILIELMI. GLEIMI

HOC. MONVMENTVM

AD. REGVLAM. POETICO. CRITICAM

VIRI. PERILLVSTRIS

CHRISTIANI ADOLPHI KLOTZI

POSVIT, A.


[276] Gewiß, so wenig sich Bruder Yorik auf die Casuistischen Streitfragen seines Didius, und auf die Subtilitäten des alten Grüblers Shandy verstehen wollte: so unlieb will ich bei meinem Worte gehalten seyn, um jeder kleinen Schnurre von Gedichte ihre Moral und Keuschheit vorzuzeichnen, es bei dem frommen Wieland auszumessen und auszuwägen, wie viel Grade Christliche Zucht in seinen komischen Erzälungen, oder, wie viel Quentchen unschuldige Einfalt in Rosts Schäferstunden enthalten seyn mögen. Der Letzte ist gestorben, aber den bösen Wieland, Uz, Gleim und Leßing empfehle ich zur frühzeitigen Büßung und Bekehrung, bei Hrn. Klotz 14 die Todesangst, und die reuige Palinodie eines Campans, den bußfertigen letzten Wunsch des Laf-Fontaine, das schreckliche Ende der lüderlichen Leute Regnier und Grecourt, und die scharfe Epanorthose des Beichtvaters Young zu lesen, und thränendwäßrige Bußlieder, oder bis zum Gähnen erbauliche Kirchengesänge, als Opfer – doch ich bin ja kein Casuiste.

Alle rührende Todesfälle und Bußgedanken übergangen, nehme ich bei Herr Klotzen nur Eins in Anspruch, daß die bona fama, ehrlicher Dichter nicht nach ihren Gesängen beurtheilt werden müsse, daß sie seit ewiger Zeit das Privilegium von ihrem Lügengott Apollo empfangen, Dinge von sich selbst sagen zu können, die ihnen kein andrer, der bonae famae wegen, nachsagen darf: und daß man ihnen, diesen leichtsinnigen Schleuderern von Einfällen, eben nicht durchaus den Rücksprung wehren dörfe, den Teurer hinter den Schild Ajax nahm: castum decet poetam, versus etc. daß es wenigstens immer einen wesentlichen Unterschied zwischen der Sittlichkeit der Verse und des Lebens gebe u.s.w. Wer mit diesen Rettungen nicht zufrieden ist, wende sich an das Archiv des Apollo, wo er das Original des Privilegiums findet.

Ich rede als Privatleser fort. Der Dichter, als Dichter, macht sich anheischig, uns auf eine oder die andre Art mit einer [277] Fiction zu täuschen, täuschend zu vergnügen, dies ist sein Gesetz: Und dahin streben auch seine Zwecke, er mag Charaktere schildern, oder die Fabel dichten, oder die Rede bestimmen, oder selbst reden: Und da hinaus soll er auch beurtheilet und gelesen worden. Rehmet ihr denn, kann er sagen, mein Gedicht zur Hand, um Beichtväter meines Lebens abzugeben, um meine Zucht- und Ehrenwärter, oder um meine Poetischen Leser zu seyn? Wie, wenn ihr das erste wollet, warum blättert ihr lieber nicht in Henkels letzten Stunden, und traget dahin, außer andern Beispielen, auch das Ende bußfertiger Schriftsteller; eines an Leib und Seele kranken Campanus, eines Fontaine, aus dem seine Pflegerin, geschweige sein letzter Gewissensrath, machen konnte, was er wollte? Woher, daß ich euer Erbauungsstifter seyn soll, da ich mich gegen euch zu nichts verstanden, als euch durch meine Fabel, durch mein Drama, durch die Sitten meiner Personen, durch meine eigne Reden, zu – täuschen? Wollet ihr eure Seele diesem illusorischen Reize nicht öffnen; so schlaget mein Buch zu; wir sind keine Leute für einander; an mich habt ihr kein mehreres Recht, als ich euch gebe, nämlich daß ich euch mit Dichtungen in Traum setzen, nicht daß ich euch wachend lehren wollte. Auf unmittelbare Moralen, trocken und schläfrig, wie ihr selbst, kommt bei mir nicht zu Tische: wenn ihr euch meine lasterhaften Charaktere, meine Tändeleien Moralisch merken wollt, so thuts nicht um darnach zu handeln, sondern um sie zu erkennen. Gewöhnet euch, aus meinem leichtsinnigen und scherzhaftem Geschwätze nur immer dazu, auch in schwatzhaften Auftritten dieser Art, wo sie euch wirklich im Leben erscheinen, Geschmack zu beweisen, sie auch hinter ihren Masken nicht zu verkennen, und euer Urtheil schon längsther darüber sicher zu haben – Nutzen gnug von meinem Geschwätze. In meinem Buche könnt ihr immer ohne Kosten der Unschuld lachen; nur müsset ihr mich weder im Bösen noch im Guten, zuerst und vorzüglich für Etwas nehmen wollen, was ich nicht bin – Sittenlehrer durch Vorschrift oder Beispiele. Virgil ist ein Epischer Dichter, kein Custos des sechsten Gebots.

[278] Ich will nicht sagen, daß ich die Sorgfalt der Dichter für Ehrbarkeit und Zucht etwa verspotten, oder geringschätzig machen wollte: sie bleibt schätzbar und nachahmenswürdig. Aber auf sie, als auf Hauptaugenmerk ausgehen, kann keine Poetische Leser desselben bilden, zeigt keinen Poetischen Leser desselben an, verrückt vielmehr die Sphäre eines blos Poetischen Lesens völlig. Fromm mag sie seyn, aber auch nichts weiter; ich will das Auge meines Jünglings nicht verwöhnen, bei Dichtern dergestalt einen Kundschafter der Ehrbarkeit abzugeben, sonst wird er kein Poetischer Jüngling. Ein tugendhafter Jüngling aber? Recht gut! »Die Tugend, sagt der Landpriester von Wakefield, die immer und immer eine Schildwache nöthig hat, ist kaum der Schildwache werth!« – –

Fußnoten

1 De verecundia Virgilii. v. Klotz. opusc. var. argum. p. 242. etc.

2 p. 242–44.

3 p. 249.

4 Quod ad animum quidem attinet, aliquoties illius imaginem carminibus intexuit. Nam & in Opusc. poet. Humana inquit fortis subjiciam mihi etc. p. 172. 73. 74. 75. 76. 77. 78.

5 Gleims Lieder Th. 1. p. 2.

6 p. 23.

7 p. 29.

8 p. 16.

9 p. 3.

10 p. 3.

11 p. 3.

12 p. 19.

13 p. 39. Im Ernste weiß ich, daß ein sehr erbaulicher Schriftsteller sich über die Worte:

Soll ich mir den Himmel wünschen?

Nein! dann wünscht' ich ja zu sterben!

recht fromm geärgert, und sich gegen die Neckereien mit dem Tode auch in seinen bloßen Todesschriften oft gnug erkläret.

14 p. 151–153.

2.

Jener frug: was ist Wahrheit? und ich werde wohl sehr weitläuftig, was Schaamhaftigkeit sey? fragen müssen, da Hr. Klotz nicht etwa über die persönliche Schaamhaftigkeit Virgils allein, sondern auch und insonderheit über die Schaamhaftigkeit, die in seinen Gedichten herrscht, spricht, und mit Allgemeinsätzen auf so viel andre schaamhafte und schaamlose Griechen und Römer beian zieht, daß mir über das weite Thema Angst und bange wird. Man erlaube mir also, mich auf eine Besichtigung der Schaamglieder so vieler Schriftsteller, aus verschiedenen Zeiten und Völkern und Gattungen, zum Voraus mit der Frage zu wapnen: »worin die Schaamhaftigkeit überhaupt bestehe? wie sich einzeln äußere?«

In keiner Aeußerung ist die Schaam wohl Menschlicher und in unserm Wesen profunder, als wenn sie ein Schleier wird, die Neigungen der Liebe zu bedecken. Rousseau mag untersuchen, wenn der Mensch aus einem vierfüßigen Thiere ein aufrechtgehender Mensch geworden; seitdem er ein aufrechtgehender Mensch ist, so scheint dem Triebe der Liebe ein andrer Trieb zum Gesellschafter gegeben zu seyn, der heißt Schaam; insonderheit beim schwächern Geschlechte. [279] Selbst an Thieren will man etwas Aehnliches mit ihm bemerkt haben; wo aber auch nicht, so ist doch selbst bei Menschlichen Thieren, den Wilden, die natürlichste Handlung des Geschlechts nicht ohne diese Hülle; und man könnte vielleicht Wahrscheinlichkeiten angeben, warum sie darohne nicht seyn dorfte? Vielleicht ist bei Menschen der erste Trieb weniger Instinkt, weniger Naturzug, als bei Thieren; daß er also durch den Reiz eines Triumphs, durch kleine zu übersteigende Schwierigkeiten, durch die begleitende Schaam verstärkt werden mußte. Vielleicht war, insonderheit beim schwächern Geschlechte, dieser Schleier nöthig, weil in ihm, wie im Schleier der Venus bei Homer, die Liebe, der Reiz, und das Verlangen wohneten, weil er ein Band seyn sollte, Jupiter so an den Willen der Juno zu knüpfen, als Juno sonst, wenn es auf Gewalt ankam, an der güldnen Kette Jupiters hieng: vielleicht würde ohne diesen Vorhang wiederum der Trieb des andern Geschlechts, so wie die übrigen, nicht in den Schranken des Bedürfnisses bleiben, und denn, mehr als alle übrige, das Menschengeschlecht zu Grunde richten – Vielleicht sey Vielleicht: die Folge selbst ist gewiß: die Natur gab aus weisen Ursachen der Göttin Genethyllis eine Vorgängerin:


– – die wohlbewachte Schaam
Die Jüngste der Charitinnen.

Worte eines Weltweisen (dergleichen wir jetzt nicht so gar viele haben), dünken mich hierüber so neugesagt, und doch so altmenschlich empfunden, daß meine Leser ihn gerne statt meiner hören werden. 1 »Die Schaamhaftigkeit ist ein Geheimniß der Natur, so wohl einer Neigung Schranken zu setzen, die sehr unbändig ist, und indem sie den Ruf der Natur vor sich hat, sich immer mit guten sittlichen Eigenschaften zu vertragen scheint, wenn sie gleich ausschweift. Sie ist demnach als ein Supplement der Grundsätze höchst nöthig: denn es giebt keinen Fall, da die Neigung so leicht zum Sophisten wird gefällige Grundsätze zu erklügeln, als hier. Sie dient aber auch zugleich, um einen Geheimnißvollen Vorhang selbst [280] vor die geziemendsten und nöthigsten Zwecke der Natur zu ziehen, damit die gar zu gemeine Bekanntschaft mit denselben nicht Ekel, oder zum mindesten Gleichgültigkeit veranlasse, in Ansehung der Endabsichten eines Triebes, worauf die feinsten und lebhaftesten Neigungen der menschlichen Natur gepfropft sind. Diese Eigenschaft ist dem schönen Geschlecht vorzüglich eigen, und ihm sehr anständig. Es ist auch eine plumpe und verächtliche Ungezogenheit, durch die Art pöbelhafter Scherze, welche man Zoten nennet, die zärtliche Sittsamkeit desselben in Verlegenheit oder Unwillen zu setzen. Weil indessen, man mag nun um das Geheimniß so weit herumgehen, als man immer will, die Geschlechterneigung doch allen übrigen Reizen endlich zum Grunde liegt, und ein Frauenzimmer, immer als ein Frauenzimmer der angenehme Gegenstand einer wohlgesitteten Unterhaltung ist, so möchte daraus vielleicht zu erklären seyn, warum sonst artige Mannspersonen sich bisweilen die Freiheit nehmen, durch den kleinen Muthwillen ihrer Scherze einige seine Anspielungen durchscheinen zu lassen, welche machen, daß man sie lose oderschalkhaft nennet, und wo, indem sie weder durch ausspähende Blicke beleidigen, noch die Achtung zu verletzen gedenken, sie glauben, berechtigt zu seyn, die Person, die es mit unwilliger und spröder Mine aufnimmt, eine Ehrbarkeitspedantinn zu nennen. Ich führe dieses nur an, weil es gemeiniglich als ein etwas kühner Zug vom schönen Umgange angesehen wird, auch in der That von jeher viel Witz ist darauf verschwendet worden; was aber das Urtheil nach moralischer Strenge anlangt, so gehöret das nicht hieher, da ich in der Empfindung des Schönen nur die Erscheinungen zu beobachten und zu erläutern habe.«

Ich finde die Beobachtungen meines Philosophen so genau und unterscheidend, daß ich sie auf der Bahn meines Zweckes als ein würdiges Vorbild, nachzuahmen und zu erreichen wünsche. – Es giebt sich also die Frage; wie fern und worinn die Schaamhaftigkeit eines Schriftstellers sich äußern solle?

Hr. Klotz antwortet für seinen Epischen Poeten: darinn, daß der Inhalt seines Gedichts sorgfältig ausgewählt, daß wenn in demselben [281] Dinge vorkommen, die nackt gesagt, das Ohr beleidigen, er der Schaamhaftigkeit seiner Leser schone, daß er das κακοφατον, das ist, Ausdrücke, die zweideutig scheinen können, vermeide – man sieht, daß mit diesem Fachwerke noch nichts gesagt ist, daß dahinein erst Realien kommen müssen, ehe man urtheilen könnte. Da fängt Hr. Klotz zum Unglück am unrechten Ende, von κακοφατον, an. 2

Das κακοφατον ist nach Quintilians Beschreibung, 3 si mala consuetudine in obscoenum intellectum sermo detortus est: und nun sage man, wie es ein Kennzeichen der wahren Schaamhaftigkeit eines Volks? wie es die erste Probe von der Schaamhaftigkeit eines Schriftstellers, eines Poeten, seyn könne? Ein Volk, das in den Gränzen der wahren Schaamhaftigkeit bleibt, wird sich nicht einfallen lassen, diesen und jenen Ausdruck auf einen obscönen Sinn mit den Haaren herbei zu reißen, es wird nicht aus Worten,quae longissime ab obscoenitate absunt, occasionem turpitudinis rapere, es wird nichts vom κακοφατον wissen. So z.E. die biblischen Dichter in ihren Zeiten der unschuldigen Einfalt: so die allen Griechen; so, nach den Beispielen eben des Quintilians, die alten Römer. Ihr Sallustius dachte daran nicht, daß eine spätere üppige Zeit sein ductare exercitus und patrare bellum obscön verstehen würde: er sagte es sancte & religiose: er begieng also ein κακοφατον. Wer war nun ehrbarer, der es begieng, ohne daß ers wollte, oder der es zuerst zum κακοφατον machte, der die Bedeutung desselben obscön verdrehete, der den Ausdruck notzüchtigte? Ohne Bedenken, der letzte! und eben das Volk, der Schriftsteller ist der ehrbarste, der von keinem κακοφατον weiß – gerade das Widerspiel, als was Herr Klotz behauptet.

Wie gutherzig ist nun die Bewunderung unsres Schriftstellers, der hinter allen Proben, die Quintilian von den verderbten Witze [282] seiner Zeit, Lüderlichkeiten zu finden, selbst nicht ohne Widerwillen giebt, ausruft: »Tantum in Romanisverecundiae studium! tam diligenter castistis auribus pepercerunt!« – Scilicet! Als wenn deßwegen die Französische Nation und Sprache die züchtigste Matrone wäre, weil sie einen Ueberfluß solcher Anständigkeiten hat, daß, wenn nicht jeder Ausdruck sehr sorgfältig, und nach der neuesten Modebedeutung gewählt würde, der ehrbarste, ernsthafteste Mensch jeden Augenblick in die Verlegenheit kommt, eine Gesellschaft Zweideutigkeitenkrämer lachen zu machen! Als wenn sich diese Sprache an Zucht und Ehrbarkeit so hoch heraufgeschwungen, als jetzt ein junger Witzling nach der Mode keinen ihrer alten Schriftsteller mehr, ohne Lächeln und Verlachen, ohne hundert anstößige und niedrige Ausdrücke zu finden, lesen kann! O die züchtige Nation! die züchtige Sprache! Tantum fuit in Gallis verecundiae studium! tam diligenter castis auribus pepercerunt! wird einst ein künftigerKlotz des neunzehnten Jahrhunderts sagen können.

Ich will den Unterschied ins Licht setzen. Zur Zeit einer einfältigen Unschuld hat jede Sache, die genannt werden soll, einen Namen, und das ist ihr Name.Darf die Sache nicht genannt werden: gut! so wird von selbst der Name auch nicht genannt werden; muß jene, warum nicht auch dieser? Michaelis, dieser Philolog von sehr richtigem Gefühle, hat Stellen aus Morgenländern angeführt, aus denen ihre Freiheit in Liebesausdrücken erhellet; er hat aber nicht den Urteilsspruch über sie gefället, daß sie deßwegen Leute ohne Ehrbarkeit und Schaam wären: denn bei ihnen waren einmal solche Redarten, Gleichnisse, Worte, insonderheit in der Sprache des Affekts, des Zorns, der Eifersucht nichts Schändliches. Schlimm gnug! wird man sagen; meinetwegen! schlimm gnug! aber wenn eine solche freie Offenheit keinen weitem Nutzen hätte, so wäre es der, daß neben ihr keine seine Zweideutigkeiten in der Sprache statt fänden. Wie sollte ein Volk schmeichelnde Feinde, verlarvte Freunde, listige Diebe brauchen, das sich aus einem Raube, aus Gewaltthätigkeit nichts machet? und wie sollte eine Sprache ein geheimes feines κακοφατον sorgfältig zu verhüten haben, da es kein [283] offenbaresκακοφατον hat, da es in den Schranken seiner Naturbedürfnisse jedes nennet, was es nennen muß; und nichts weiter nennen will? Wer wird mehr verstehen wollen, als was der andre sagt; er hätte ja, wenn dieser mehr hätte sagen wollen, es gerade aus gesagt!

Es versteht sich, daß ein solcher Zeitpunkt der offnen Natursprache Freiheiten haben müsse, die eine spätere Zeit »Unanständigkeiten« nennen kann. Sie nenne sie so; nur sie nenne sie nicht so in ältern unverholnern Zeiten, wo man von der Regelnschaam des Dekorum noch nicht so viel wußte. Ich bleibe bei einem mißbrauchten Beispiele meines Autors. Er vergleicht Homer und Virgil in Ansehung des Anständigen; und wie anders, wenn er aus seinem Kopf urtheilen wollte, als daß er für diesen sprechen mußte. 4

Ihm gefällt in Homer der Liebesantrag nicht, den Paris an seine Helena thut; und mir, wenn ich eine Iliade schreiben sollte, mißfällt die Stelle so wenig, daß ich dem Griechen die unschuldige Einfalt seiner Zeit beneide. Als ein feiger Flüchtling ist Paris dem Zweikampf entronnen: unrühmlich ward er unsichtbar: seine Beschützerin Venus mußte ihn den Händen seines streitbaren Gegners, Menelaus, entnehmen. Nicht gnug! sie muß ihm für seine Stunde der feigen Angst im Zweigefechte so gleich auch eine Stunde der Erholung in den Armen der Helena schenken: Helena muß sich zu einer so ungelegnen Zeit zu einer Schäferstunde mit dem bequemen, der sie ihrem rechtmäßigen Gemahl entwandt, und jetzt der Tapferkeit desselben nicht hatte Stand halten können, den sie in Absicht auf männliche Streitbarkeit verachten mußte. Ein solcher macht ihr jetzt den Liebesantrag – wie charakteristisch! wie malend! 5 – Der wohllüstige Ehebrecher steht uns vor Augen, der Menelaus sein schönes Weib entwenden, der aus dem Zweikampfe unrühmlich fliehen, der sogleich wieder in den Armen [284] der Helena seinen Ort suchen konnte – das ist Paris! Wir lassen den weichlichen Diener der Venus in den Armen der geraubten Gattin, und kehren mit Verachtung seiner zu der Armee zurück, wo man ihn sucht, und nicht findet! wo Menelaus wohl nicht glaubt, daß er da sei, wo er ist. Homer schließt seinen Gesang.

Wenn Homer für unsre Zeiten gesungen; freilich! so hätte er sich aus dem anständigen: non probo! eines ehrbaren Kunstrichters, was machen, oder nicht machen sollen; was geht es mich an? Aber jetzt, zu seiner Zeit auf eine so simple unschuldige Art, als ers erzählet: nein! da finde ich keine Spur vom Anstößigen, Unehrbaren, Schaamlosen: nichts, was die Ehrbarkeit seiner Zuhörer verletzt, und die Wangen seiner Epischen Muse mit Schaamröthe färben darf: nichts, als einen sehr charakterisirenden Zug des Paris. Soll ich ihn in galante Busenversuche eines französischen Abbé, soll ich das Betragen der Helena in züchtige Agacerien einer spröden Schönen verwandeln? Soll die fromme unschuldige Erzählung Homers ein sinnreiches: ich sage wohl nichts; aber ich will es sagen: ich merke! werden? Der ganze Zweck Homers, Paris und Helena uns im fortgehenden Strome seiner Epopee zu schildern, ist weg: nun ists ein artigesκακοφατον geworden. Bei Homer aber in einer Zeit, wo es kein κακοφατον war, die Sache selbst anständig zu nennen, bedorfte man kein κακοφατον, etwas anders dagegen zu nennen, und doch das Unehrbare zu verstehen: kurz! der ungalante Paris hat wenigstens keine züchtige Zweideutigkeiten nöthig. Ich sage, statt eines anständigen non probo! ein wahrhaftig ehrbares: haud equidem miror, invideo magis!

[285] Lasset sich aber die Zeiten ändern: es fange das ganz andre Ding zu wirken an, was wir Ehrbarkeit, Anstand nennen, ohne doch eben Tugend darunter zu verstehen: Dinge, die man auch ohne Neckerei und Zoten sagen wollte, wird man oft nicht nennen wollen, nicht nennen dörfen, und endlich nicht zu nennen wissen. Durch einen allgemeinen Reichsschluß auf dem Reichstage der Ehrbarkeit wurden solche Benennungen für unzüchtig erklärt, aus der Sprache geworfen; nicht aber darum auch die Sachen selbst für unzüchtig erklärt, nicht darum die Begierde weggeschaffet, solche Namenlose Sachen um so lieber nennen, und da man sie nicht nennen darf, artig andeuten zu wollen. Das ist der Ursprung galanter Zweideutigkeiten! Zween, drei Ausdrücke wurden aus der Sprache des Anstandes weggebannet, und dem Pöbel überlassen; zwanzig Umschreibungen aber, fünfzig verblümte Redarten, und hundert Zweideutigkeiten, wobei nur der seine Kopf etwas merkt, dagegen eingenommen, und das hieß gesittete, übliche, züchtige Sprache des Jahrhunderts. Züchtig! meinetwegen! so züchtig, daß Crebillonsche Romane alle mögliche Unzüchtigkeiten, mit aller feinen Zucht, vortragen, mit allen lüsternen Täuschungen, durch die, wie durch einen leichten Flor die üppigen Reize blos durchschimmern, uns alle Scenen und Akte der Unehrbarkeit sehr ehrbar mahlen können. Ueblich? allerdings so üblich, daß wer die neueste Verdrehung dieses oder des Ausdrucks, das Unglück hat, nicht zu verstehen, nach allen Gesetzen des Ueblichen, nach der neuesten Bedeutung des artigen Wörterbuchs, in Gefahr geräth, der ernsthafteste Zotenreißer zu werden. Gesittet? so gesittet, daß man mit dem Sittsamen der artigen Welt alle Sitten der Tugend beschämen, alle Musen und Gratien der wahren Sittsamkeit erröthend machen kann! Das sind die artigen Früchte des löblichen [286] κακοφατον! Tantum fuit in Romanis verecundiae studium castis auribus pepercerunt!

Quintilian selbst redet in der angezogenen Stelle, gegen die Sucht, κακοφατα zu finden, offenbar. Er nennet sie ein Verdrehen, ein Verderben der Rede: er setzt, wenn die üppigen Römer seiner Zeit, das was ein alter Schriftsteller sancte et religiose gesagt hatte, auf einen unehrbaren Sinn zogen, sein spottendes si diis placet! dazu: er wirst die Schuld auf die Lesenden solcher Art, daß sie die Rede verdürben, mißbrauchten; daß bei solcher Schaamlosen Schaamhaftigkeit endlich kein ehrbares Wort mehr ehrbar seyn werde: er hält es für ein verderbtes Zeitalter, dein er blos aus Noth nachgeben müsse, »quatenus verba honesta moribus perdidimus et evincentibus vitiis cedendum est.« Er hat also wahrlich nicht daran gedacht, daß hinter sein scheltendes: quod si recipias, nil loqui tutum est! ein ehrbarer Klotz des achtzehnten Jahrhunderts die frommen Seufzer: tantum fuit in Romanis verecundiae studium! tam diligenter castis auribus pepercerunt! im Ernste nachseufzen, und solche Verecundia mit allem Ernste zum ersten Stücke der Virgilianischen Keuschheit machen werde. Keusche Römerohren! artiges Jungfernlob auf Virgil! Das wenigste, das Herr Klotz gestehen wird, ist, daß erQuintilian nicht verstanden, und das wahre Wesen der Schaamhaftigkeit wohl nicht überdacht habe.

Fußnoten

1 Kants Betrachtungen über das Schöne und Erhabene. p. 61–65.

2 p. 254.

3 Instit. orator. VIII. 3.

4 p. 264.

5 Daß ich nicht der Erste bin, der das in Homer findet, mag Maximus Tyrius zeigen, der in seiner zweiten Rede von der Sokratischen Liebe die Liebesepisoden in Homer genau und Charaktermäßig claßificirt.

3.

Von Worten fange ich die Ehrbarkeit nicht an; sondern von Gedanken; und von welchen? Ich sehe, daß Hr. Kl. mich in zu tiefe Gelehrsamkeit, in zu bunte Philosophie führe; ich will lieber auf dem ebnen Stege der Natur bleiben. Nur gebe die Göttin, deren Wesen ich untersuche, daß, indem ichs untersuche, ich nicht selbst ihren Altar entweihe!

Zuerst: womit ist die Schaamhaftigkeit natürlicher gesellet, als mit den Neigungen der Liebe? Der Liebe ward sie von der Natur, als Schwester, als Gesellin, als Aufseherin, mitgegeben, an deren [287] Hand sie auch die Würkungen, die Macht, die Reize derselben so sehr befördert. Nichts ziert die Liebesgöttin so sehr, als die Farbe der Unschuld, sanfte Schaamröthe, die in sich geschmiegete Mine der bescheidenen Einfalt. Wenn also unter allen Tugenden Eine das Anrecht hätte, in der Allegorie als ein Frauenzimmer vorgestellt zu werden: so ist die Schaamhaftigkeit dazu die Erste. Sie ist der Reiz der Liebe, und die Tugend des Geschlechts, das die Natur zum liebenswürdigen Theile der Menschheit bestimmte: sie also eine weibliche Tugend. Ein Weib ohne Zucht, sagt das Arabische Sprüchwort, ist eine Speise ohne Salz: und noch füglicher könnte dies Sprüchwort von der Liebe selbst gelten. Eine Liebe ohne Scham ist nicht Liebe mehr: sie ist Ekel. Nichts ekelhafters in der Welt, als eine förmliche Exposition der Liebe.

Wenn dies in der Natur, bei einer so nothwendigen, und für das Menschliche Geschlecht unentbehrlichen Neigung, Statt findet: wie weit mehr in Worten! in Worten an die Welt und Nachwelt! in Worten, zum Vergnügen! Alle Empfindungen des Vergnügens zerfließen bei einem Schaamlosen Bilde; sie verwandeln sich in Ekel! Homer, in seiner Beschreibung der zweiten Brautnacht 1 zwischen Jupiter und Juno, mag alle Annehmlichkeiten, die sich vor Augen legen lassen, zeigen: die hohe Gestalt, den Schmuck, die Pracht der Königin des Himmels: alle Gratien und Reize inm Gürtel der Venus: alle Empfindungen der Liebe, und des Verlangens im Herzen Jupiters – aber nun? decke sie die himmlische Wolke! Da liegt sie in den Armen des höchsten Gottes, und unter ihnen blühen Kräuter und Blumen aus dem Schooße der Erde hervor; das himmlische Paar selbst aber umschatte die goldne Wolke, daß selbst die allsehende Sonne sie nicht erblicke! – So dichtet Homer; und ich sehe keinen Weg, weiter zu dichten, als die artigen Zweideutigkeiten, von denen er nichts weiß – –

[288] Zunächst äußert sich die Naturempfindung, von der ich rede, in Nennung der verborgenen Theile unsres Körpers, die unsre Sprache, zum Theile, schon mit dem Namen der Tugend selbst bezeichnet. Ich sage:zunächst; aber absteigend zunächst; denn es ist unstreitig, daß diese Gattung von Schaamhaftigkeit nicht schon allein von der Natur, sondern auch von der Politesse, Gesetze erhält. In einem Wörterbuche, in einer Naturlehre mag dieses und jenes Wort recht gelegentlich und schaamlos stehen; nur aber nicht so gelegentlich in offenbarer Rede, in Schriften, wo es nicht hin gehören muß, in Werken des Vergnügens, und der Gesellschaft. Seit dem Kleider die Hüllen der Schönheit und Häßlichkeit geworden: seit dem haben auch einige Namen, gleichsam verdeckt, selten werden müssen; und, mit der Zeit, sind sie gar unsichtbar geworden. Mit dem Unterschiede, daß, wo sie unsichtbar seyn konnten, weil sie nicht genannt werdendorften: da war ihr Verschwinden eine Folge einer Naturempfindung; wo sie aber genannt werden müssen, und doch nicht genannt werden dorften; da war ihre Unehrbarkeit eine gesellschaftliche Verabredung; ein Vertrag der höchsten Politesse.

Noch offenbarer sind andre Verabredungen, die immer heißen könnten, wie sie wollten; nur Naturempfindungen der Schaamhaftigkeit sollten sie eigentlich nicht heißen. Dies sind alle Beleidigungen des gesellschaftlichen Wohlstandes, wo man eine Art von Verweise befürchtet, oder sich selbst giebt. Ein Kind hält seine Kleider schmutzig, seine Strümpfe nachläßig, seine Haare unordentlich. »Schäme dich!« ist der allgemeine Zuruf der Mutter; und das Kind, insonderheit das Mädchen, lernt sich im Ernste schämen. Eslernt, sich schämen, und mußte es lernen: denn, als Naturempfindung, lag solche Schaam nicht in ihm. Sie lernte sie blos aus dem Worte: von da stieg sie ins Ohr, in die Seele, und zur Gesellschaft auch auf die Wangen: mit dem Worte ward endlich auch der Begriff, mit dem Begriffe die Empfindung selbst geläufig. An sich immer ein gesellschaftlich nothwendiger Begriff, eine gesellschaftlich vortrefliche Empfindung; nur nenne man sie immer lieber ein erworbnes Gefühl des geselligen Anstandes; oder soll sie ja Schaam heißen, so mag man sie, als [289] eine gesellschaftlich formirte Schaamempfindung, betrachten, mit dem Gefühle in uns, so wie es aus den Händen der Natur kam, eigentlich nicht Einerlei.

Unser Sprachgebrauch, und, was noch ärger ist, unsre gemeine Erziehung verwechselt sie: man lernt, sich von Jugend auf über eine widrige Wahl der Kleidungsfarben, über unmodische Stücke des Anputzes, über misrathne Komplimente schämen, bis zur Röthe schämen, sich schämen, als ob uns die Steine auszulachen schienen; aber wie lange hat man schon die Kunst in die Stelle der Natur gesetzt, und Menschliche Verabredungen zu Naturtrieben erhoben? Wie lange aber, frage ich weiter, hat es nicht auch halbkluge Spötter gegeben, die, da sie Etwas in solchen Sachen Menschlich verabredet, gesellschaftlich eingerichtet fanden; endlich alles im Menschen für Menschlich verabredet, für willkürlich eingepflanzet, hielten. Sie bestürmten also auch die heiligen Gesetze der Natur: sie entweiheten also auch den Altar der liebenswürdigsten Tugend Schaamhaftigkeit: ja sie, die frechsten Cyniker, und der Pöbel der Epikureer baueten endlich der Unverschämtheit selbst Altäre. Wenn die Vermischung des Angenommenen mit dem Natürlichen in dieser Empfindung also weit abführen kann: ich dächte, so könnte doch der Philosoph frei unterscheiden dörfen, und das Gesetz des Aristoteles anwenden: den Jünglingen macht Schaamhaftigkeit Ehre, den lehrenden Alten aber Schande. Ich fahre also fort.

Die künstliche gesellschaftliche Schaamhaftigkeit kann sich verschieden äußern: in der Sorgfalt, seinen Körper zu produciren: »Reinlichkeit, Anstand, u.s.w.,« in hundert Gebärden, Worten, Stellungen, Thaten, die, als artig, als schön, verabredet sind: da wollen wir sie »Anständigkeiten, Artigkeiten« nennen: gnug! sie sind gesellschaftlich gebildet. Die Empfindung darüber stieg nicht aus dem Herzen auf die Wangen, sondern erst aus eingepflanzten Begriffen ins Herz hinein: sie richtet sich also nach diesen eingepflanzten Begriffen. Da sie von der Kunst, man nenne diese Erziehung, oder Lebensart, oder Stuffe der Cultur, oder Geschmack, sich zu betragen, oder Politesse, oder Galanterie, oder, wie man [290] wolle – Ich sage, da sie von der Kunst einer Gesellschaft Gesetze empfängt, so hat sie sich auch immer nach der Beschaffenheit, nach dem Tone der Gesellschaft, nach Zeitalter, Nation, u.s.w. gestimmet. Sie ist ein Kind der Mode, und also veränderlich, wie der Geist ihrer Mutter. Jetzt wird sie in dieser Kleidertracht, in diesem Ausdrucke, in dieser Stellung beschämt, in welcher sie kurz voraus nicht beschämt ward, und bald hernach nicht mehr beschämt seyn wird. In dieser Gesellschaft wird die Deutsche Sprache, in jener die Deutsche Ehrlichkeit, in dieser der Französische Wind, in jener die Französische Sprache, Wechselsweise lächerlich und beschämend, oder anständig. Wer sich in solchen Sachen mit Anständigkeiten brüsten kann, wird sich auch über solche Unanständigkeiten beschämen lassen. Die Schaam ist hier ein Geschöpf des Wahns der Menschen, und muß sich also durchaus nach ihrem Schöpfer richten.

Ich habe mir noch eine Unterscheidung nöthig. Wie diese gesellschaftlich formirte Schaam nicht eigentlich ein Geschöpf der Natur ist; so ist sie auch nicht nothwendig mit Tugend einerlei: sie ist von der Moralischen Schaam völlig verschieden. Als jener Spötter vom Parterre herauf rief: »An diesen Damen ist nichts so keusch, als die Ohren!« so mag man ihn immer unverschämt, sündigend gegen die Gesetze des gesellschaftlichen Anstandes haben erkennen können: so unwahr, so gerade gegen Moralische Schaamhaftigkeit redete er eben nicht. Wenn man ihn gefragt hätte: wie? Unverschämter! muß denn an einer Dame das Ohr nicht keusch seyn? und das der Anständigkeit wegen! so hätte er erwiedern dörfen: und, eben der Anständigkeit wegen, darf da an eben derselben Dame wohl nothwendig Alles so keusch seyn, als das Ohr? – Nicht, als wenn es nicht seyn könnte, sondern seyn müßte: als wenn die Bürgerliche, schon die Moralische Schaamhaftigkeit wäre, und das ist sie nicht! Die Moralische Schaamhaftigkeit vor Einem Laster, als Laster, ist ganz etwas Anders!

Oft scheinen sie sich nahe zu kommen; aber oft zu nahe, so, daß die Eine die Andre unnöthig zu machen glaubt. Da die Politische Tugend oft als der Schein der wahren Tugend gilt: so läßt [291] man sich oft mit dem Scheine begnügen, und natürlich, daß man alsdenn um so mehr auf den Schein erpicht seyn wirb, je weniger man das Wesen hat. Wer mit gefärbtem Glase, wie mit Edelgesteinen, prangen darf, wird diese um so mehr aufputzen, sie um so mehr zur Schau stellen, und wehe dem! der alsdenn nicht auch gefärbtes Glas hat. Je weniger man vielleicht eine Tugend inne hat, desto mehr wird man sich vielleicht im Kanzleistyle dieser Tugend üben: je unzüchtiger man denkt, desto mehr vielleicht die Keuschheit seines Ohrs schonen, desto ekler, desto wähliger und üppiger in der Wortwürde werden; desto eher nach Zweideutigkeiten haschen. Wer diese am besten kennet, wer diese in einer Gesellschaft zuerst, und vielleicht einzig und allein, aufmerkt, und darüber anständig erröthet, und artig darüber in Unwillen geräth – artig, freilich artig und anständig ist dieser schaamhafte Unwille, ob aber auch deßwegen wirklich und nothwendig, eine Schaamröthe der unwissenden Unschuld, der unwilligen Tugend? Nicht nothwendig!

Ich habe blos den Unterschied der Begriffe, zwischen Naturempfindung, gesellschaftlicher und Moralischer Schaam entwickelt; und verhülle, wie Sokrates, da er von der Liebe dithyrambisirte, mein Gesicht, um keiner von dreien zu nahe zu treten. Nur eben aus Verehrung will ich die Naturempfindung nicht mit Coquetterie, und die schönste der Tugenden nicht mit ihrer Nachäfferin, der unzüchtigen Ehrbarkeitspedantin verwechselt haben. Vielleicht sind Leser, die auch die Erste von dreien für einen Gesellschaftstrieb halten, denen wiederspreche ich nicht; sie ist aber alsdenn wenigstens ein Zögling der Menschlichen, nicht blos Bürgerlichen, nicht blos artigen Gesellschaft: sie ist näher unsrer Natur; und das nur habe ich sagen wollen.

Fußnoten

1 Iliad. Ξ v. 346.

4.

Wie? wenn wir nun jetzt, da wir diese Göttinnen der Schaamhaftigkeit einigermaßen von Gesichte, oder nach ihren Hüllen wenigstens haben unterscheiden gelernet, uns nach ihnen unter verschiednen Völkern, in verschiednen Zeitaltern, umsehen würden: wie sie da[292] erschienen? – Mich dünkt, ohne Voraussetzungen hierüber läßt sich kaum von der Schaamhaftigkeit eines fremden Volks, einer abgestorbnen Zeit, oder gar fremder Völker, abgestorbner Zeiten reden; noch weniger lassen sie sich vergleichen, noch weniger aus einer fremden Schaamzeit beurtheilen. – Ich wage mich also an einen historischen und geographischen Blick über Zeiten und Völker – nicht aber an eine Geographie der Zucht, oder an eine Schaamhistorie aller Zeiten.

Wenn bei einen Weibe die wohlbewachte Schaam die Führerin ihrer Tugenden ist, wie Diana bei Virgil ihrer Oreaden: wenn, nach der weiblichen Moral, Schaam und Zucht vorzüglich Tugend heißet, und bei manchen auch beinahe die Stelle aller übrigen Tugenden vertritt: so wird man diese Empfindung auch eigentlich da wirken sehen, wo in den Neigungen der Liebe das zarte Geschlecht mit uns einerlei Gewicht in die Schaale legt, um den Ton der Liebe zu bestimmen. Dies ist in den Despotischen Morgenländern, wo die Weiberharems Behältnisse von Sclavinnen sind, nicht. Hier ist nur der Schleyer, und das Schloß das Siegel der Schaamhaftigkeit: nur die schwarzen Verschnittenen die eigentlichen Zuchtmeister, und Zuchtbewahrer: nur die Mauer des Serails die Grenze der Keuschheit. Da mit dieser Extremität, so gut der Keuschheit, als der Unkeuschheit, ihre Sphäre zu wirken benommen wird: da der Schleyer, und das Schloß nur die Gemüther der Weiber um so mehr erhitzen, so muß natürlich auch die Schaam, je mehr sie äußerlich bewacht wird, um so mehr vor dem entfliehen, der sie bewachen ließ, und so kann es kommen, daß oft das schaamhafte Geschlecht das schaamlose heißen könnte. Da es vermöge seiner Natur zu erst, und am stärksten, und am längsten die Neigungen der Liebe fühlt: was wird aus ihm, wenn man diesen Begierden die Decke, die Hülle wegnimmt, die ihnen die wohlthätige Natur gab?

Doch ich sage nur so viel. In einem Publikum, wo das Frauenzimmer nicht mit zum Publikum gehört: da kann auch ihre weibliche Sittlichkeit keine Einflüsse in den Ton des Lebens äußern, da wird nur der männliche Charakter die Denkart des Ganzen [293] bezeichnen. Und da nun die Schaamhaftigkeit, ich sage damit eben nicht, die innere Zucht, vorzüglich eine weibliche Tugend seyn sollte, um vielleicht, (doch was geht mich dies Vielleicht an:) so wird man sich in einer bloßen Mannsgesellschaft eine gewisse Offenheit nicht verübeln, die immer Unbescheidenheit hieße, wenn beide Geschlechter in gleichem Maaße ihre Stimme zum Tone des Ganzen geben. Die Gränzen des züchtigen Anstandes werden etwas weiter hinaus gerückt, die Schaamhaftigkeit wird nicht mehr, als eine wahrhafte männliche Bescheidung, seyn dörfen, und also auch keine Grazie der Weiblichkeit seyn wollen. Das ist der erste Unterschied, der sich eräugen kann.

Ein Englischer Weltweiser erklärt hierüber, ob er gleich eigentlich nur von der eigentlich gesellschaftlichen, Bürgerlichen Schaam redet, meine Gedanken: »Unter den Alten, sagt Hume, 1 ward der Charakter des schönen Geschlechts für durchhin häuslich gehalten: sie wurden nicht, als ein Theil der politen Welt, oder der guten Gesellschaft, gehalten. Dies vielleicht ist die wahre Ursache, warum die Alten uns kein einziges Stück der Plaisanterie hinterlassen, das vortreflich wäre u.s.w.« Ich nehme hier seine Worte noch allgemeiner, als daß sie für, oder gegen die Galanterie entscheiden sollten; sie sollen nur für die Schaamhaftigkeit entscheiden.

Nicht alle Climata und Nationen setzten also selbst den Vorstellungen und Ausdrücken der Liebe einerlei Schranken. Die hitzigen Morgenländer, die in ihren Gesetzen fast eine Belohnung auf den setzen, der in den ersten Zeiten der Wildheit ein einsames Frauenzimmer ehrbar gelassen, waren auch in Bildern dieser Art beinahe unbändig. Je mehr sie ihre Schönheiten verschlossen und überschleierten: desto unerröthender, Werke und Glieder der Liebe, insonderheit in der Sprache der Leidenschaft, der Eifersucht, des strafenden Zornes zu nennen. Man nenne ihre Freiheiten aber [294] nicht Freiheiten der Natur, sondern, einer entarteten Natur, eines Despotisch-orientalischen Weiberumganges. Michaelis hat bei den Morgenländern dies nicht blos angezeigt, 2 sondern auch zum Theile erklärt. Er war zu sehr Kenner der Orientalischen Natur, als daß er sie blos Christlich hätte verdammen, oder artig und wohlanständig darüber verunglimpfen sollen: er entwickelte den Grund ihrer Licenz.

Bei den Römern findet sich nur, auf eine andre Weise, eine Unterdrückung dieser Sittlichkeit, die ich aus ihrem, von jeher, rohem Charakter erkläre: aus dem Kriegerischen, das ihnen zur Natur ward, aus der männlichen Härte, die eine so zarte Empfindung leicht etwas ersticken konnte. In den meisten ihrer Dichter, und fast auch ihrer Schriftsteller überhaupt, herrscht eine solche männliche Schaamlosigkeit: wo wollte ich mir aber aufgeben, alle Proben davon aus ihrem Lucrez, Plautus, Horaz, Ovid, Petron, Juvenal, Martial, Catull, Tibull, Properz u.s.w. zu sammlen, und ein wahres Fest der Priapeen anzustellen. Hume mag also für mich reden: 3 the scurrility of the ancients, in many instances, is quite shoking, and exceeds all belief. Their vanity too is often not a little offensive; as well as the common licentiousness and immodesty of their style. Quicunque impudicus, adulter, ganeo, manu, ventre, PENE, bona patria laceraverat, says Sallust in one of the gravest and most moral passages of this history. Nam fuit ante Helenam cunnus teterrima belli Caussa is an expression of Horace in tracing the origin of moral good and evil u.s.w. Mit solchen Beispielen fährt der Philosoph fort, zu zeigen, daß die Römer oft unschaamhaft gewesen, auch wo sie nicht schaamlos, nicht unkeusch seyn wollten: und eben solche Beispiele müssen die Horizonthöhe einer Römischen Sittsamkeit bestimmen, wenn man nicht blos in die Welt hinein tadeln, oder loben will.

[295] Auch hier hielten die Griechen eine gewisse schöne Mitte zwischen Morgenländern und Römern. Die Asiatische Hitze in etwas abgekühlt durch die Europäische Mäßigkeit, bestimmte eben den mitlern Ton einer warmen Liebe, einer sanften Wohllust, der Materien dieser Art bei ihnen durchgängig zu charakterisiren scheint. Vielleicht hat keine Sprache der Welt ein so süßes Wörterbuch der Liebe, keine Nation eine Menge so einfältig unschuldiger Liebesgemälde, kein Zeitpunkt der Politur vielleicht die Urbanität auf den simpeln und feinen Weltgenuß zurück geführt, als der αςεισμος der Griechen. Die Liebesschilderungen ihrer Poeten, die Menschheitsgesetze ihrerbesten Philosophen, die historischen Gemälde ihrer Lebensart in den besten Zeiten, sind so sehr in den Schranken der schönen, unschuldig einfältigen Natur, als sie von unsrer heutigen Galanterie und Politesse, und Hofartigkeit entfernt seyn mögen. Ich wünsche dem Schriftsteller 4 Griechisches Gefühl, der über die Schaamhaftigkeit Homers schreiben will: so wie ichs einem andern, sonst feinen und schätzbaren Kenner 5 gewünscht hätte, da er von den Sitten Griechischer Dichter zu schreiben unternahm.

Ich weiß, daß ich in Beispielen dieser Art nicht blos die galanten Herren, sondern auch manche fromme Ehrbarkeitspedanten unsrer Zeit gegen mich haben würde, die mit dem ehrbaren Schriftsteller, über den ich schreibe, oft gnug ausruffen dörften 6: atque etiam fateor ipse, mihi non omnino probari hunc locum, quem reliquae epici carminis maiestati detrahere puto (der gewöhnliche Lieblingstadel unsers Verfassers) aber vielleicht auch, daß die Kenner der Griechen insonderheit in ihren Poetischen Zeiten auf meiner Seite seyn dörften: atque etiam fateor contra, mihi, tanquam Graeco, & Graece sentienti, omnino probari hunc locum, quem molli Graecorum de venustate iudicio optime respondere puto. Und in der That, wenn die feine Ionische Wohllust nicht [296] dem Poetischen Geiste der Griechen Charakter gegeben hätte: wie viel schöne Kinder der Poesie von Homer und Anakreon, und Sappho an, bis auf Theokrit und Moschus zu, würden Embryonen der Idealischen Wohllust geblieben seyn! Und wer, nach dem Klosterzwange unsrer Zeit, eine beurtheilen, uns eine rauben will, der raube uns lieber die Mutter mit allen Kindern! alle üppige Bilder Griechischer Wohllust! – Das ist ein würdiger, züchtiger, schaamhafter Kunstrichter unsrer Zeit.

Der zweite Punkt Griechischer Freiheit betrift das Nackende ihrer Bilder, und so auch ihrer Ausdrücke des Nackenden in der Sprache. Wer kennet hier nicht die Griechische Freiheit? allein, wer sie kennet, wird sie verdammen? Einem Lehrer der Kunst müssen Worte erlaubt seyn, die keinem andern, und einem Griechen, die keinem Deutschen erlaubt sind. Nicht nur, daß die herrlichsten Denkmaale der Kunst vor ihren Augen nackend, blos standen, und ihre Kunst überhaupt mehr das schöne Nackte, als das züchtig Verhüllte liebte: auch in der Natur selbst bildete sich hier eine Art von eigner Nationalgriechischer Schaamhaftigkeit des Auges, die niemanden fremde dünken kann, als wer unter ihnen noch kein Grieche geworden. Nackte Ringer, nackte Kämpfer, nackte Olympische Sieger, nackte badende Schönen, nackte Tänze, nackte Spiele, nackte Feste, halbnackte Trachten – und ihre Dichtkunst sollte einpressende Klosterlumpen dulden? Ihre besten Schriftsteller sollten eine Nonnenehrbarkeit sich einander eingestehen, die das Auge des ganzen Griechenlandes, und die Zunge der Aeltesten, Ehrwürdigsten und Feinsten des Publikum sich nicht eingestand? die sich selbst die Philosophen in ihren Sittenstunden nicht eingestanden? In einem Punkte, wo es so sehr auf Gewohnheit der Augen ankommt, sollte man, denke ich, eben diese Augengewohnheit doch wohl bei einem Volke zu Rathe ziehen, das sich in ihr so sehr auszeichnet. Noch jetzt ist das Gefühl der Italiener über diesen Punkt, von dem Gefühle Nördlicher Europäer, sehr verschieden: [297] und sie sind doch, dem einen Theile nach, selbst ja Nordliche Europäer: und sie sind doch, dem andern Theile nach, noch keine Griechen an Natur: und sie wohnen doch nur unter zertrümmerten Resten Griechischer Kunst: und sie haben doch eine Religion, die so sehr die Verhüllung liebet: und sie sind schon in einer Lebensart, die schon vom Bürgerlichen Wohlstande, und der Politesse gebildet worden – Wie? und die Griechen, zum Gefühle der Wohllust gebohren, von Jugend auf unter den Schönheiten der offnen Natur erwachsen, zur Lust und Freude bei ihren Spielen eingeweihet, und noch nicht zum sclavischen Puppenwohlstande verdammt, sie sollten nicht eine eigne Sittlichkeit des Nackenden haben dörfen? sie wollten wir verdammen, wenn sie nicht nach Nonnentrachten ihre Zeit schildern? sie sollen sich nicht der Jugend der Welt, der Unschuld ihres Zeitalters erfreuen dörfen, von unsern züchtigen Verhüllungen frei zu seyn? sie sollen verschleierte Persianische Figuren, Chineserschönheiten mit verhüllten Fingerspitzen werden? und ihre Dichter eine Briseis mit schönen Knieen, eine Spartanerin mit schönen Hüften, eine Venus Anadyomene, einen Bacchus mit schönem Bauche, einen Bathyllus, wie ihn Anakreon sehen will:


Ἁπαλων δ᾽ ὑπερϑε μηρων
Μηρων το πυρ εχοντων
Αφελη ποιησον αιδω
Παφιην ϑελουσαν ηδη.

nicht unschuldig züchtig nennen dörfen, da ganz Griechenland sie so siehet. So wenig ich diese Freiheiten zum Privilegium unsrer Zeit, statt einer uralten Deutschen Bescheidenheit, habe, will; so weing will ichs den Griechen, in der Morgenröthe ihrer Sittlichkeit angestritten haben. Ich will vielmehr mit der Unschuld, mit der Plato seinen Greisen erlaubt, die Spiele der muntern Jugend anzusehen, aus meinem greisen Zeitalter hinaustreten, und die Freuden Griechischer Jugend, und die Natursprache Griechischer Dichter, und nackte Schöne der Griechischen Kunst, und die Philosophie der Liebe bei einem Sokrates so betrachten, als wenn ich mich selbst in die [298] muntere Unschuld dieser Weltjugend zurücksetzen, und zu einem Griechischen Gefühle zurück verjünget würde – dann kann ich Griechen lesen.

Ein dritter Punkt Griechischer Freiheit kann eigentlich nicht Schaamhaftigkeit heißen, er betrifft den Anstand der Reinigkeit, der Zierde, der Würde, und wer kennet da nicht die Taubenreinheit der Griechen? Mich freuets, wie ernsthaft mein Autor über den Unterschied der Wortwürde zwischen ονϑος und κοπρος, zwischen κοπρος und κονις disputirt: 7 wie offenherzig er eine Stelle Homers mit seinem Kopfschütteln begleitet: me offendit fere, ut libere sententiam dicam, haec imago – wie er bei solcher Kleinigkeit Gelegenheit nimmt, auch der Ernestischen Ausgabe Homers einen Liebesstreich zu versetzen, daß sie dasονϑος, das dem derben Ajax um Mund und Nase fliegt, und den κοπρος, in welchem sich Priamus wälzet, nicht in ein artiges quidni potius per pulverem? verdollmetschet und verhöflichet hat. Mich freuet die würdige Dispüte, und ich empfehle nächstens den Unterschied zwischen ονϑος und κοπρος einen bündigen Concilio κοπρωνυμῳ, ut libere sentetiam dicat.

Was gölte es aber, wenn wir auch einen ehrlichen Scythen mit dahin schickten, der sich schon einmal mit Solon über eine solche Kothmaterie besprochen, der sich nicht gnug wundern konnte, da er die wettringenden Jünglinge sich im Staube wälzen sah, der über diesen mit solchem bösen Uebergusse gypsirten Figuren seltsame Augen macht, immer wieder darauf zurückkommt, und sich endlich von dem Griechischen Gesetzgebor schwer, schwer diese Kothübungen erklären läßt. Es ist der Anacharsis des Lucians. Dieser gute Kahlkopf mag lehren, daß die öftern freien Leibesübungen der alten Griechen von Jugend auf, auf Erde, Staub und Koth ihnen einen solchen Anblick des Ajax oder Priamus, den ihnen Homer vorlegt, wohl nicht so ekel gemacht haben dörften, als uns, die wir auf Pflaster und Polster treten. – –

[299] Von der eigentlichen Anständigkeit unsrer Zeit, von der Hofpolitesse unsres Wohlstandes haben die Griechen mit allem ihrem αστεισμος an der Hand der Attischen Venus nichts gewußt; ganz nichts gewußt. »Schade gnug für sie!« Immerhin Schade! nur noch mehr Schade um den ehrbaren Tadel unsrer Kunstrichter, die etwas in Griechenland suchen, worauf kein Grieche Anspruch machen will, und das nicht zu schätzen wissen, was sich an freiem edlen Gefühle unter den Griechen findet! O daß eine Muse, eine der Charitinnen selbst, aus Griechenland auflebte, um uns ihre Lieblingsfreundin, die Griechische Schaamhaftigkeit, zu zeigen, nur daß diese keine Kloster- oder Hofpuppe sey!

Fußnoten

1 Essays and Treatises of several of Subjects. Vol. I. Essai XVII. p. 192.

2 Lowth de sacra Poesi Hebræor. Hebræor. Præl.VIII. p. 135.

3 Essays Vol. I. on the Rise of Arts and Sciences, p. 181. etc.

4 Harles de verecundia Homer. libell. promissus.

5 Uber die Sitten der Griechischen Dichter Th. I.

6 p. 264. de verecund. Virgil.

7 p. 269. 270.

5.

Ich darf nicht weiter: denn ich habe nur den Unterschied, der zwischen Nationen und Zeiten seyn könne, anzeigen, und es merklich machen wollen, daß wer über die Schaamhaftigkeit Griechischer und Römischer Autoren urtheilen wolle, aus einem Nationalgefühle derselben urtheilen müsse. Hr. Klotz hat das erste gewollt, und das letzte nicht gewollt; in seiner Abhandlung also sind, die wahren und falschen Gattungen von Schaamhaftigkeit, die natürlichen und künstlichen Arten derselben, der Griechische und Römische Geschmack hierüber, alle Zeiten, und allerlei Schriftsteller beider Nationen auf eine so seltne Weise vermischet, daß der denkende Leser nach allen Gemeinsätzen hinten nach Lust bekommt, zu fragen: weiß dieser Redner auch, was Schaamhaftigkeit sey?

Ein paarmal habe ich meinem Verfasser schon Gemeinsätze, die er ausschüttet, Schuld gegeben, und in allen seinen Abhandlungen liegen gnug Beispiele davon vor Augen. Jede derselben ist damit so beladen, als ein Gothisches Gebäude mit Nebenwerken, daß man recht suchen muß, wo die Chrie selbst anfange. In der That, wenn ich die herzliche Liebe eines Autors zu solchen Collektaneenbrocken und Gemeinsätzen betrachte: so stehet mir in seiner bepackten Muse der leibhafte Junker Hudibras vor Augen:


[300]
His Back, or rather Burthen, show'd
As if it stoop'd with its own Load.
For as Aeneas bore his Sire
Upon his Shoulders thro' the Fire;
Our Knight did bear no less a Pack
Of his own Buttocks on his Back
Which now had almost got the Upper-
Hand of his Head, for want his Crupper.

Und wenn ich nun diese liebe Muse umkehre, und die herzliche Liebe derselben zu gelehrten Citationen noch zu Gesichte nehmen muß! siehe da steht auch der umgekehrte Ritter nach seinem Vordertheile:


To poise this equally he bore
A Paunch of the same Bulk before
Which still he had a special Care
To keep well – cramm'd with thrifty Fare;
As White – Pot, Buttermilk and Curds
Such as a Country – House affords 1 u.s.w.

Welch ein schönes Bild! Bekannte Gemeinörter an unrechter Stelle; gelehrte Citationen, die nichts zur Sache thun; Maschinen von tausend Büchern, um eine Kleinigkeit fortzuspielen, die kaum einen Fingerdruck verdient –: andre so viel überhaupt denken lassen, daß man besonders für seine einzelne Materie selbst zu denken vergißt, aus Wüsten in Moräste gerathen, wie anders? als daß dies endlich die verdrüßliche Frage dem Leser abzwingt: wo ist denn der Weg? wo sind wir? wie weit sind wir gekommen? – Ich mag nicht gern eine Beschuldigung ohne Beweis vorbringen; ich muß also die Schulchrie zergliedern.

[301] Init. Parum recte tractari a multis veteres scriptores. 2 Prächtiger Eintritt! nur daß er, wie ich bewiesen, nicht für diese Schaamuntersuchung gehört. Leßing, da er Horaz in einem ähnlichen Falle vertheidigen will, schwingt sich freilich nicht so hoch: sein Eingang gehört aber zum Gebäude.

Dictum: Verecundiam tribui Virgilio, sed mire. 3 Welche Verecundia? die persönliche oder die Schriftstellerische Verecundia des Virgils? Doch was brauchen wir das zu wissen, über ein unbestimmtes Thema läßt sich am besten rhetorisiren. Jezt also noch

Exord. Verecundia poëtae copiosius exponitur. 4 Man verstehe dies copiosius nicht so, daß es bestimmter, reicher an Gründen heiße: Denn wie wenig Hr. Kl. dies in seinem ganzen Libello beobachtet, wird der Verfolg geben. Dies Exordium ist, wie billig ein exordium seyn muß – ein vorläufiges Nichts!

Loc. commun. I. Stoicorum de turpitudine verborum opinio. 5 Was soll der allgemeine Tröster hier? soll man, um Schaamhaftigkeit zu bestimmen, von Worten anfangen? von der Lehrmeinung einer Sekte anfangen, die nicht hieher gehört: nicht für Virgil: nicht fürs Epische Gedicht: nicht für Virgils Sitten – können ausgerissene Citationen gelten, da wir wasturpia verba sind? wie sie beurtheilt werden sollen? noch nicht wissen – noch nicht wissen, wer Recht gehabt, ob der Stoiker, oder der Cyniker, oder der homo sui judicii, Peter Baile, oder der Hr. Gatakerus und Rittershusius, und Petitus, und Balzacius, undArnaldus, und Bergerus, oder der kahle Ausspruch des Herrn Klotzius hinten nach: 6 atque etiam, si accuratius rem considero, homines quasi consensisse inter se et firme statuisse videntur, unam eandemque rem certis verbis expressam laedere pudorem, eandemque aliis enunciatam aequis auribus audiri et salua verecundia. Wie? wenn das der ganze Ursprung der Schaamhaftigkeit ist, daß eine und dieselbe Sache mit gewissen Worten gesagt, schaamhaft, mit [302] gewissen, schaamlos sey – welche Luftblase von Schaamhaftigkeit? Welche Thorheit, mit solcher Luftblase kämpfen zu wollen? Welch ein würdiger Vertrag, solche Augenblende zum heiligsten Verbündnisse zu machen? O wenn man auf einer so weitläuftigen Reise von Belesenheit im gelehrten Utopien nichts mehr erlernet – meine Condolenz zur Wiederkunft mit allen gelehrten Citationen!

Loc. commun. II. Poetas inprimis decere pudorem! 7 Wer hat an dem Regelchen je gezweifelt? Wer hat es aber auch je deßwegen geglaubt, weil die Poesie das vortreflichste Geschenk der Götter, weil es eine Narrheit ist, das selbst von sich zu erwähnen, was kein andrer, ohne unsre bona fama zu beleidigen, von uns erwähnen könnte u.s.w. Elende Sachen!

Consect. Plinii opinio non probatur. 8 Die citirte Stelle, bei welcher dieser Randtitel steht, gehört meines Wissens dem Catull. Plinius hat mit seinen Briefen, als Römer, als ein Römer seiner Zeit Recht. Was soll der Consularis vir bei einigen muntern Zeilen? was soll die levitas Pliniana bei Vertheidigung solcher Zeilen? Plinius war ja kein Allonge-Bürgermeister in **; und einige lose Verse von ihm kein Rathschluß der Stadt Rom.

Loc. commun. III. Concedenta videtur aliqua libertas. 9 Gnädige Freiheit! Huldreichste Erlaubniß! für die alle Poeten von Anakreon zu Gleim, und von Ovid bis zu Wieland, unterthänig danken sollen. Daß man ja aber das Privilegium nicht mißbrauche, so ist aus der Poetischen Freiheit wieder nichts, als ein elendes Moralisches Regelchen, geworden, ohne Poetische Bestimmtheit, ohne genaue Eingränzung in die Gattungen der Gedichte, ohne hiesige Abzweckung. Und siehe! das Collektaneenbuch wird redender:


Illustr. I. a Campani Palinodia

II. a voto Fontanii
III. a morte Addisoni
IV. a Regnierii et Grecurtii levitate. 10

[303] Schöne Gesellschaft! der Papist Campanus, in seiner Religion, nach seiner Zeit, nach seinen Schriften, nach seiner damaligen Fassung – und der von je her reifbesonnene la Fontaine in seinem letzten Wunsche! – ehrwürdige Bußprediger! Welch ein Uz und Wieland wird nicht vor ihnen die Hände falten, seine Liederchen nicht gleich verbrennen! – Man thut uns einen Gefallen, wenn man uns religiös; nicht aber, daß man uns übergläubisch, und eine gute Sache durch den unüberdachten Beweggrund lächerlich machen will. –

Ueberdem was soll Addison hier? Ich verehre den seligen Young in diesem Zeugnisse von ihm: vielleicht hat er auch seine Absicht erreicht, um vom Andenken an denselben einige schwarze Züge mit Pope u.s.w. wegzuwischen, und eine im Untergehen glänzende Sonne in seinem Namen darzustellen – was soll das aber hier? – Und denn überhaupt thäte Hr. Klotz am besten, wenn er mit dem gottlosen Fontanio, Regnierio, Grecurtio und andern schaamlosen Französischen Dichtern, unter denen wohl Voltarius oben an stehen wird, ein Christliches Auto-da-Fe vornähme. Die Flamme würde weit zünden, und die schaamlosen Boccacios, Aretinos, Wielandios u.s.w. auch als einen Bann der Erde wegthun. Zum Nothfalle dörfte sich auch bei einigen dieser, die schon verstorben, ihr letzter Wille, als Bußspiegel, zur Berechtigung eines solchen Vertilgens von der Erde, vorfinden, wie etwa Virgil ein Testament über seine Aeneide gab: und wo es sich nicht fände, dörfte man nur die noch lebenden schaamlosen Dichter Christlich tödten, und ihnen den letzten Willen erzwingen: so ist das Auto-da-Fe gerichtlich und testamentarisch fertig, und –

Doch ich spotte, und wer kann wohl über so Etwas anders, als spotten. Neuig indessen finde ich mich zu meinem gelehrten libello zurück: und Gottlob! endlich am Thema.

[304] Them. Virgilii verecundia triplex. 11 Um Virgil mag ich mich nicht bekümmern, sondern nur erst über die Klotzischen Begriffe von Schaamhaftigkeit, und siehe! da ist wieder Crispin! sein liebes κακοφατον vor der Stirn.

I. Κακοφατον. 12 Es sei gnug, gezeigt zu haben, daß Hr. Klotz Quintilian nur halb verstanden, daß es nur ein sehr unzuverläßiges Jungfernlob über die Keuschheit eines Zeitalters, einer Nation, einer Sprache, eines Schriftstellers sey, über das κακοφατον sich zu wählig, zu ekel beweisen. Wer zur Satyre Lust hätte, könnte diese erste Jungfernprobe unsers Autors sehr ehrbar, als das Wesen der Schaamhaftigkeit und eben damit schon lächerlich darstellen.

II. Ab omni obscenitate per totum carmen et per partes abhorret. 13 Hier werden Griechen und Römer, wahre und falsche Obscönitäten, wahre und falsche Anständigkeiten durch einander geworfen: ohne Grundsätze und Bestimmungen liegen sie da: wer will den zusammengeflossenen Unrath sondern?

III. Verecundia in verbis et formulis. 14 Der vorige Klumpe! obscena, sordida, humilia etc. alles in einer Grube! ohne einigen bestimmten Begrif und Unterscheidung! Ob Vorstellungen, oder nur ihre Ausdrücke beleidigen? ob diese Beleidigung Ekel, oder Schaam, oder nur galanter Unwille sey, den sie erregen? ob es wider das Reine des Auges im Begriffe selbst, oder wider die Zucht des Ohrs im Ausdrucke? ob wider die natürliche Schaam, oder die gesellschaftliche Anständigkeit, oder nur wider die Sprachwürde sey? ob diese unter allen Völkern, zu allen Zeiten, in allen Gattungen der Schriftstellerei dieselbe sey? – Alles Einerlei und Unerwogen: so getadelt: so gelobt – wozu kann das Gemische dienen?

Fußnoten

1 [Aus dem »Neunten Brief« gegen Klotz im Zweiten Stück des Torso:] Hudibras Canto. 1. p.m. 29 und 30. Die Deutschen Leser mögen sich die schöne und treffende Beschreibung in der schätzbaren Zürchischen Uebersetzung p. 21. aufschlagen.

2 Opusc. var. argum. p. 242–244.

3 p. 244. 245.

4 p. 245. 246.

5 p. 247. 248.

6 p. 248. 249.

7 p. 249.

8 p. 250.

9 p. 250. 251.

10 p. 252. 253.

11 p. 254.

12 p. 254.

13 p. 255–266.

14 p. 266–283.

[305] 6.

Um Virgils Schadhaftigkeit zu beweisen. Wozu das aber ohne Bestimmung der Begriffe, ohne Ort und Ordnung? Es ist immer ein falscher Geschmack, ein Ueberbleibsel der alten Philologischen Notenmacher, Stellen und Sachen zusammen zu häufen, die so gut anders wo, als hier stehen können, die hier nichts zur Sache thun, sondern die Hauptfigur vielmehr auslöschen. Und das ist doch der Klotzische Geschmack in allen eignen Schriftchen desselben. Hier trete ich in einen so großen Wald kahler fremder compilirter Stellen, daß mein Schriftsteller Virgil fast darunter verschwindet.

Um die Schadhaftigkeit Virgils zu beweisen? hat unser Autor da gewußt, was er beweisen soll: und hat er, was er zu beweisen scheint, bewiesen? Virgils Schaamhaftigkeit kann zweierlei bedeuten: die Züchtigkeit seines persönlichen Charakters, oder seine Ehrbarkeit als Schriftsteller. Beide sind ganz verschiedne Sachen; Hr. Klotz hat sie nicht unterschieden; er beweiset auf alle beide los, und beweiset keine.

Nicht recht die Schaamhaftigkeit Virgils als Schriftsteller: Denn wodurch beweiset er sie? Durch das κακοφατον? Er, das κακοφατον eines Römers, eines antik sprechenden Dichters, eines gräcisirenden Epischen Dichters kennen, aufzählen, beurtheilen? Wer weiß es nicht, daß die feinsten Zweideutigkeiten blos auf dem schlüpfrigen Witze einiger Zeitgenossen, auf dem wandelbaren Eigensinne eines üppigen Sprachgebrauchs, oder Sprachmißbrauchs, beruhen? Wer weiß nicht, daß es am wenigsten zum κακοφατον gehöre, wie ein Wort ausgesprochen werde (quomodo veteres pronunciarint verba 1) sondern wie diese und jene Gesellschaft, dieser und der Wortmäckler sie verstanden, oder mißverstanden; (mala consuetudine in obscenum intellectum detorserint.) Wer weiß nicht, daß eben ein archaisirender Schriftsteller, wofür Virgil [306] bekannt ist, am ersten Gefahr läuft, den Neulingen der Sprache obscön zu werden? daß ein Epischer Dichter, insonderheit der dem Genie einer fremden hohen Sprache nacheifert, der erste sey, unschuldige κακοφατα zu machen, wie sie ja für unsre verblichene Gottschedianer keiner mehr, als Klopstock, gemacht hat? Wer weiß nicht, daß ein Epischer Dichter immer lieber einen hohen alten starken Ausdruck sancte et religiose setzen, als für die Ohren einiger Zuchtkrämer auslassen wird? Und wer weiß nicht, daß nach der Auslegung des Servius, und nach der Tortur, die Celsus dem Virgilischen


incipiunt agitata tumescere


anthun konnte, kein Dichter vielleicht unschuldiger Weise für die Witzlinge jüngerer Römer mehr κακοφατα gemacht haben kann, als eben Virgil? Und wenn solche Stellen nicht vor Mißdeutungen sicher geblieben, welche wären's denn? Und welch ein unwürdiger Begriff, einen Epischen Dichter zuerst und vornehmlich zu solchem Ehrbarkeitspedanten zu machen? Und wie vergeblich, jetzt in Virgil Proben desκακοφατον, oder des vermiedenen κακοφατον auffinden zu wollen? – – O des Schutzredners für Virgil! Er ist im Stande, ihn mit seiner Schutzrede selbst in Verdacht zu bringen, selbst schaamroth zu machen! – – Am besten, daß er hinter das ganze Non-sense dieses Hauptstücks hinten nach sagt: Vom Virgil wußte ich hierüber nichts zu sagen!

Oder soll es die Schaamhaftigkeit Virgils ausmachen, daß man ihn gegen die Auslegungen eines Servius rettet? 2 So hat man ihn längst, und wir werden sehen, wie fern gerettet.

Oder soll es die Schaamhaftigkeit Virgils ausmachen, daß er die Umarmung der Dido nicht malen wollen? 3 Und wer wird sie malen wollen? Hat denn Homer seine Umarmung der Helena gemalet? Ohngeachtet des höflichen non probo! unsers Autors finde ich Homeren in seiner unschuldig einfältigen Erzälung keuscher, [307] als Virgilen in seinem Shandyschen: Macht die Thür zu! und des kahlen: non decet talis pictura carminis epici dignitatem! bin ich, wenn nichts weiter ist, herzlich müde.

Bei Homer ist blos das Charakteristische im Antrage des Paris der Zweck der Muse; wenn der Antrag, und zwar zu der Zeit, in der Situation wegfällt; so falle die ganze Stelle weg: so braucht die Muse diesen Schritt nicht. Bei Virgilen ists die Umarmung seines Paares selbst, die in das Wesen des Gedichts verflochten ist: diese Schäferstunde, dieser Eingang in die Höle ein Hauptknoten seiner Epopee:


Ille dies primus leti, primusque malorum
Caussa fuit.

Wer ist nun schaamhafter, der eine solche Sache, nur beiläufig, nur ihrem Antrage nach, nur als Charakterzug, mitnahm; oder der sie in das Wesen seiner Epopee mit einknüpfte, der von ihr so viel abhangen läßt, der auf sie, als auf eine Haupthandlung, unser Auge richtet? – Jenes thut Homer; dies Virgil – wessen Muse verdient eher ein non probo?

Ueberdem ists unpassend, die Junonische Liebesscene in Homer mit der Didonischen auch nur von weitem in Vergleich zu setzen; 4 sie sind so wenig zu parallelisiren, als Götter und Menschen überhaupt. So in Homer, als in Virgil, haben die Götter ihr eigenes Etiquette: und beiden setze man also Götter in Vergleichung, oder nichts. Da stehe also gegen den Homerischen Jupiter und Juno, 5 ein Virgilianischer Vulcan und Venus, 6 und wer malet schaamhafter, der Grieche oder der Römer? Der Grieche, der, uns bei den schönen Vorbereitungen zu ergötzen, seine Kunst anleget; oder der Römer, der sein Werk darauf setzet, um die erregten Empfindungen selbst auszumalen? Der Grieche, der mit seiner Poetischen Schilderung von Pracht und Schönheit der Juno, [308] mit seiner schönen Allegorischen Dichtung vom Gürtel der Venus, unser Auge stiehlt; oder der Römer, der es recht eigentlich auf die Liebesumarmung selbst richtet? Der Grieche, bei dem wir die edle Bildung der Juno in einer ganz unschuldigen Gelegenheit antreffen, da sie sich schmückt: oder der Römer, der uns die Schneeweißen Venusarme nur alsdenn zeigt, wenn sie sich um Vulcan schlingen, wenn sie ihm den Elektrischen Funken der Liebe durch Leib und Seele jagen? Der Grieche, der uns die himmlische Königin in ihrem Brautgemache, nur bei verschlossenen Thüren, entkleidet, sie nur badend, salbend, zierend zeigt, und das Uebrige unter den Gürtel der Venus verhüllet; der sie auf Ida um Nichts so lange, so angelegentlich besorgt seyn läßt, als um Verborgenheit, um nicht gesehen zu werden: beschämt zeigt sie Zevs den ringsum offnen Ida: schaamhaft bezeuget sie, wie, wenn sie von andern belauschet würden, sie keinem Gotte unter die Augen würde treten können: züchtig schlägt sie ihm sein Ehebette, seine Schlafkammer vor: sie läßt sich nicht anders, als durch die dickste goldene Wolke sicher machen: der Römer überhebt seine Venus aller dieser Besorglichkeiten: ungestört fängt sie ihr Liebesspiel selbst an. Bei Homer muß Juno in einer ganz andern Absicht den Ida vorbeiziehen, ganz, wie es scheint, ohne Absicht, ihm das Herz entwenden, sich anhalten, und durch ein außerordentliches Verlangen ihres Ehegemals, durch das offne Liebesbekänntniß, daß diese Schäferstunde alle, alle seine Schäferstunden nach Namen und Zahl übertreffe, u.s.w. sich weigernd in die goldne Wolke ziehen lassen: bei Virgil setzt es Venus mit ihren Umarmungen offenbar darauf an. Bei Homer ist die Schäferstunde nur ein Mittel, die Augen des Jupiters durch den Schlaf zu fesseln; bei Virgil ist sie der Marktpreis, daß Venus ihre Absichten erreiche – Wer ist schaamhafter, anständiger, edler? Gewiß: so weit Juno die Venus an Hoheit und Adel: so weit übertrift Homer seinen Römischen Nachahmer an innerer Würde und Schaamhaftigkeit. Jener erzälet [309] unschuldig, offenherzig und, wenn man will, langweilig: der Römer versteckt, verkürzet; er hat sein: Ich könnte mehr sagen! Jener erzält Episch, übergehend: dieser malet, damit er Funken errege – wer verliert bei der Vergleichung?

Es bleibt Virgils Zucht in Worten und Formeln über. 7 In Worten und Formeln? Darüber sollte Mäcenas urtheilen: wir, jetzt, nach der Analogie unsrer Sprache, nach den wenigen Hülfsmitteln zu einem Lexicon der Wortwürde damaliger Zeit, kaum! Kein Theil der Sprache hängt so sehr von Nebenbegriffen des Gebrauchs, vom Eigensinne der Mode ab, als dieser: und in meinem Autor finde ich so wenig Materialien zu einem Wörterbuche der Sprachwürde über Virgil: so wenig Virgil ein Lexicon der Liebe geben wollen. Ueberdem was thuts zur Schaamhaftigkeit Virgils, ob er stercus oder fimus gesagt; 8 ob er das vomere genannt, oder noch ekler, umschrieben. Was thuts zur Schaamhaftigkeit Virgils, wie fein und schlüpfrig er hier und da das Wort Liebe verhöflichet, wenn nicht bewiesen wird, daß in den Vorstellungen selbst hier nichts, als Züchtiges, enthalten sey, und das alles in Virgil, als dem Römer.

In Virgil, als dem Römer. Denn hätte dessen Bescheidenheit nicht darnach bestimmt werden sollen, was für ein Geist der Schaamhaftigkeit, nach Sprache, Verfassung, Lebensart und Empfindung, sich einmal unter den Römern formirt und gebildet? was für Eindrücke, besonders dem Schriftstellerpublicum der Römer, ihre erste Schriftsteller und Dichter gegeben? wie weit diese Decenz den Griechen gefolget, oder sich von ihnen abgelenket? wie hoch sie zur Zeit Virgils gewesen? wo er das Muster der Griechen befolget, oder verlassen? wo muthmaßlich verlassen müssen, wo nachzufolgen zu blöde gewesen? Wie weit wir jetzt über diesen Punkt urtheilen können, oder schweigen müssen? – So hätte der Römische Virgil erscheinen sollen: der Römer seiner Zeit: der Dichter: der Epische Dichter: Virgil.

[310] Und der erscheint in unserm Lateinischen libello nirgends. Nichts, was seinen ursprünglichen, Nationellen, Zeitmäßigen, Lateinischen, Poetischen, Epischen Charakter, von dieser Seite aus, entwickelte; uns, von ihr aus, in die Welt der Römer führte; diese uns in abstechendem Lichte gegen die Sittsamkeit der Griechen, und der Neuern zeigte, und uns alles andere vergessen lehrte – davon Nichts. Man hätte uns mehr gesagt, wenn der erste beste Schultröster, wo Blumen und loci communes aus Virgil gesammlet sind, wie er z.E. amare, amor, amicitia, Venus etc. Poetisch ausdrückt: etwa ein andrer dazu, wo er mit den Griechen gegen einander gehalten ist, zur Hand genommen, und in Reflexion gezogen wäre. Wenn ich alles Fremde, Unnütze wegwerfe, was bleibt mir über die Bescheidenheit Virgils übrig? Der Flitterstaat ist der Puppe abgezogen; da steht die Stange Holz mit ihrem bemalten Kopfe! die dürre Abhandlung mit ihrem lockenden Thema!

Fußnoten

1 p. 255.

2 p. 256.

3 p. 261–263.

4 p. 264.

5 Iliad. Σ. [292–351]

6 Aeneid. VIII [370–406]

7 p. 266.

8 268. 69.

7.

Und das betraf nur die Schaamhaftigkeit Virgils, als eines Schriftstellers; nun war aber diese, wie mich dünkt, eben nicht das, was ich suchte. Hr. Kl. legt die Stellen Donatus und Servius zum Grunde, 1 und was könnte also der Leser erwarten, als daß er sich über diese Stellen, über die Anschuldigungen derselben, kurz! über die persönliche Charakterschaamhaftigkeit Virgils erklären möchte; vielleicht aber, daß ihn seine Collektaneen über diesen Punkt verlassen haben; denn er lenket sein artig ab. Donatus sagt: Virgil soll schöne Knaben geliebet; er soll die Plotia Hieria gekannt; er soll in diesem Punkte nicht die Jungfer gewesen seyn, für die er galt. Servius sagt beinahe eben das; und Hr. Kl. hätte wissen können, daß schon lange vorher auch Martial und Apulejus auch so Etwas gesagt hatten, daß es eine allgemeine Sage von Virgil gewesen, daß – kurz! alles das sagt das Gerücht, und Hr. Kl. [311] beweiset, daß seine Aeneide, und die Gedichte seines Namens keine Hurenlieder sind – wer will das bewiesen haben?

Hr. Kl. meinet zwar, 2 daß Eins das Andre aufhebe; daß es eben so sey, als wenn ihn jemand für einen gelehrten Grammaticus hielte, und ihm doch zeige, daß er weder Griechisch noch Lateinisch recht verstanden; allein, das meine ich nicht. Virgil kann immer ein schaamhaftes Gesicht gehabt, anständig gesprochen(ore probus), immer eine fromme, edle Seele (animo probus), und eine anständige Lebensart bewiesen(caetera vita probus); und doch schöne Knaben geliebt, und doch die Plotia Hieria gekannt haben. Ich sehe nichts, das sich aufhebe, und insonderheit zu den Zeiten Mäcenas, hätte aufheben dörfen. Ists denn so wiedersprechend, daß ein Mensch, zur sanften Wohllust geboren, auch dies Sanfte in seiner Mine zeige, daß das, was in der weiblichen Mine schmachtend, ein Liebreiz der Venus wäre; in einem männlichen Gesichte eine Art von Unschuld, von jungfräulicher Bescheidenheit, von schaamhafter Frömmigkeit werde? Ohne die Physiognomien der Liebe studirt zu haben, sehe ich beides nicht zusammenhangend, und da also ore probus Virgilius. Muß ferner der, der schöne Knaben liebt, denn damit aller Bürgerlichen Ehrbarkeit, und, der sie unschuldig liebt, aller Tugend der Seele entsagen? Und siehe! da ist animo, cætera vita probus Virgilius – wo ist der ungereimte Widerspruch, insonderheit zu den Zeiten Mäcenas?

Es sey indessen, oder nicht; was will Hr. Kl. mit seinem ganzen Büchlein? Ein Heldengedicht, ein Gedicht von der Feldwirthschaft, Schäferpoesien, können Virgilen immer, als Dichter, und, wenn man will, als bescheidnen Dichter, zeigen; aber auf sein Leben, auf seinen Charakter, und insonderheit auf die fromme Mine seines Gesichts können sie weniger beweisen, als Swifts Predigt über die Dreieinigkeit beweisen kann, daß er in die Biergesellschaften, als ein verkleideter Satyr, gegangen; daß er sein Märchen von der Tonne geschrieben. Wenn diese Abhandlung beweisen soll, [312] daß er im Verstande Donatus ore probus gewesen, beweiset sie nichts. Wer wird sagen, daß deßwegen D. Luther züchtig ausgesehen; oder, daß er in seinen Tischreden jedes Wort auf die Goldwage gelegt, weil sich nichts von solcher Art in seinem Gesangbuche befindet? Wenn Virgil scriptis probus ist: muß er darum auch ore probus gewesen seyn? Ich weiß nicht, wie durch solchen Weg Etwas auf Virgils persönlichen Charakter folge.

Für uns ists schwer, etwas auf ihn auszumachen; ob es aber ganz unmöglich sey, ob Virgils persönlicher Charakter ganz zweideutig bleiben müsse, sehe ich auch nicht so helle, daß ich Hrn. Klotzens non licet aliquid certi hac de re statuere 3 unterschreiben dörfte. Mir fehlet die Kunst Leßings, Virgil, seinem gewöhnlichen Charakter nach, so zu retten, als er seinen Horaz gerettet hat; und außer dem fehlet mir der Ort dazu. Ich will also wenigstens einige Materialien anführen, die ein andrer vermehren und ordnen könnte, um Virgils Schaamhaftigkeit zu retten, oder wenigstens genauer des Gegentheils überzeugt zu werden.

Der Hauptzeuge über Virgils Unmäßigkeit pflegt Donatus zu seyn: aber wer ist Donatus? Aller Wahrscheinlichkeit nach, ist das Leben Virgils, das unter seinem Namen geht, von jüngerer Hand, und kann kaum den Grundzügen nach, dem Grammatiker selbst zugehören. 4 Der Autor der Anklage ist also ungewiß, und so, wie er sie vorträgt, die Anklage selbst. Fama est, eum libidinis pronioris in pueros fuisse, und von wem rührt diese Fama her? Das liebe Soll, das gewöhnliche Man sagt hat, wie Leßing sich munter ausdrückt, schon manchen ehrlichen Mann um seinen ehrlichen Namen gebracht. – – Kurz! als Hauptzeuge, als erster Ankläger, kann dieser Donatus ohne Kopf und Mund nicht gelten: er trete zurück, bis die Reihe an ihn kommt.

Servius tritt auf: aber Servius ist ein Ausleger, ein Grübler über Virgil; und was läßt sich nicht ausgrübeln? Seine spätere Sage gilt noch weniger, als die erste; denn was ließ sich zwischen [313] Virgil und Servius nicht alles sagen, und wieder sagen? ohne daß es jemand zuletzt bekräftigen, ohne daß es jemand wiederlegen konnte? Ein Zeugniß also, Jahrhunderte nachher, aus einer so trüben Quelle, oder vielmehr aus dem so weit abgeleiteten Abflüsse einer so trüben Quelle gilt nicht. Es müssen frühere Zeugen gegen Virgil auftreten, von denen etwa die Sage kam, die der Begebenheit näher waren, und da sind: Hr. Kl. hat sie nicht für gut befunden, anzuführen oder abzuhören, Martial und Apulejus.

Und was sagt denn Martial aus? 5 Er singt das alte Lied, daß ein Mäcenas einen Maro mit seinen Geschenken hervor gebracht: daß es gut sey, ein Virgil zu werden, wenn man sein Landgut zurück, wenn man Reichthümer oben darüber, wenn man alles bekommt, was unser Herz wünschet; z.E. einen schönen Alexis –


Accipe divitias & vatum maximus esto
Tu, licet & nostrum, dixit, Alexin ames.
Adstabat domini mensis pulcherrimus ille,
Marmorea fundens nigra Falerna manu;
Et libata dabat roseis carchesia labris,
Quæ poterant ipsum sollicitare Jovem.
Excidit attonito pinguis Galathea poetæ
Thestylis, & rubras messibus usta genas.
Protinus Italiam concepit, & arma, virumque –

Was hat nun Martial Böses ausgesagt? Ungründliches, seichten Halbwitz, der ihm nicht viel Ehre macht, wohl; aber Böses, das Virgils Namen befleckt? Nichts. Ich lerne Virgil aus diesem Epigramm blos als einen glücklichen Dichter, als einen ungemessenen Günstling seines Herrn, und, wenn man will, als einen seinen Wohllüstling, kennen; anders nicht. Seine geraubten Güter hat er zurück; reiche Geschenke nach reichen Geschenken; ihm steht der schöne junge Alexis bei Mäcen kaum an, und sogleich ist er sein eigen. Da sitzt nun Virgil an seiner Göttertafel, und sein [314] schöner Ganymedes vor ihm! bei solchem Ganymedes läßt sich freilich seine vorige feiste Landschöne, Galathea, wohl vergessen; da läßt sich wohl ein arma virumque anstimmen – – Man siehet, wo Martial mit seinem hinkenden Schlusse hinaus will; aber im mindesten nicht auf Virgils Ehre. War es denn Schaamlosigkeit, einen Alexis vom Mecänas zum Geschenke annehmen, ihn lieben, sich an ihm, als Mundschenken, bei Tafel erfreuen, schöne Leute und, nach Römischer Wirtschaft, schöne Knaben um sich zu sehen? Ich weiß nicht, welcher Ehrbare nicht in der Stelle Virgils, in seiner Gunst Mecänas, in seiner seinen Art, diese Gunst zu genießen, seyn könnte. Von bösartiger Anspielung sehe ich im Epigramm nichts, ganz und gar nichts. Und ist Martial wohl der Mann, so Etwas Zu verschweigen, wenn ers hätte sagen können? Ist er nicht eben der, der gewiß zu erst die berüchtigte Virgilianische Ekloge angezogen hätte, wenn sie ihm unter einer bösartigen Allegorie, und nicht anders, hätte bekannt seyn müssen? Wer den witzigen Menschenfreundlichen Martial kennet, wird in solchem Falle solch Betragen sehr epigrammatisch, sehr Martialistisch finden. Da er gegentheils nichts darüber äußert, an mehr als einem Orte nichts äußert: so ist Martial nicht blos kein Zeuge gegen Virgil, sondern durch sein Stillschweigen fast auch ein Zeuge für ihn. Ein böser Witzling, wie er, hätte Virgilen gewiß nicht so höflich durchwischen lassen, wenn er Schaamlosigkeit als Virgils Hauptvergnügen gekannt hätte. Wie? er hätte Virgils Glück und Vergnügen beschreien wollen, und so etwas sich können entwischen lassen?

»Schon aber Apulejus 6 deutet ja die berüchtigte Ekloge auf seine Liebeshändel mit dem Alexis.« Gut! ich nehme sein Wort für Etwas mehr, als Deutung, für Zeugniß an; und wofür mehr kann ichs nehmen? Virgil also habe sein Schäfergedicht auf den Knaben seines Freundes gemacht; er seys, der unter dem NamenCoridons spreche, und fühle, und seufze, weil es Apulejus sagt – wozu aber sagt es Apulejus? – Etwa um Virgils Unmäßigkeit [315] zu tadeln, und seine bösen Sitten zu schelten? Umgekehrt! mitten unter Apologien für die Liebhaber der Schönheit führt er ihn noch mit einem Lobe der Bescheidenheit an, daß er der Namen seiner Günstlinge im Gedichte geschonet. Schlechtes Lob! wird man sagen, über eine Tadelswerthe Handlung; elende Bekleidung eines Fehlers, ihn Namenlos zu begehen! Aber wo mag der Fehler, die Tadelswerthe Handlung denn bei Apulej wohnen?

Ich mag keine neue Vertheidigung der Sokratischen Liebe übernehmen, da schon mehr, als einer, sie vertheidiget hat: ich betrachte Virgil nicht mehr, als Sokratischen Liebhaber seines Alexis, sondern als den Liebessänger desselben; und welch ein brennender Liebesgesang? wer könnte die Flamme noch entschuldigen? – Ich bins, der sie entschuldigt; und eben der Apulejus, der meinen Eklogisten für einen Liebessänger in seinem, ob gleich verdeckten, Namen angiebt, mag ihn auch rechtfertigen. Er rede: Quanto modestius Mantuanus Poeta, qui itidem, ut ego, puerum amici sui Pollionis Bucolico ludicro laudans – – Wie? so ist Virgils Ekloge, nach Apulejus Zeugniß, blos ein scherzhaftes Lob- ein scherzhaftes Hirtengedicht gewesen? so unschuldig, daß Apulej sich nicht sicherer stellen kann, als mit ihm in eine Classe? so unschuldig, daß es zu Apulejs Zeiten offenbar nur für einen Spaß, für eine scherzhafte Tändelei galt? – Was soll den Apulej gegen ihn; er ist der beste Freund für ihn.

Und was ist wahrscheinlicher, als Apulejus Nachricht? Ich stelle nur den hübschen Jungen des Pollio, und das schaamhafte Jungfrauengesicht, den züchtigen Virgil, vor, wie er nach ihm schielet; wie er sein Auge an ihm weidet, ihn lobet, ihm liebkoset. Pollio macht die Sache zum Spaße: sein Freund soll erst ein Coridon werden; soll erst um Alexis werben. Virgil wird Coridon: er verwandelt sich in einen Poetischen Schäfer: ahmt Theokriten nach, und setzt sich nach Sicilien mit seinem Alexis. Da klaget er den Wäldern ungefühlte Leiden: da ächzt er über seine unempfundne Verzweiflung: da seufzt er über seine Verachtung, über die Sprödigkeit seines Lieblinges – da wird seine zweite Ekloge. [316] Ein feines Lobgedicht auf Alexis! eine schöne Poetische Liebeswerbung – werth eines schönen Knaben, werth eines Alexis. Virgil hat ihn sich ersungen: da steht er nun, wie Martial dichtete, vor dem Tische seines neuen Herrn, ein irdischer Ganymedes, und gießt mit weißer Marmorhand Falernerwein: da kostet er mit Rosenlippen den Trank, den ein Jupiter selbst beneiden könnte. Da kann der im Schauen gesättigte Dichter wohl seine alle gesunde Landgalathee, seine verbrannte. Thestylis vergessen: der feine Wohllüstling, der enthaltsame Virgil, hat bessere Freuden, die ihm – sein ludicrum Βουκολικον, sein feines Lobgedicht brachte.

So sprach das Alterthum vom Virgil: aber von jeher hat es auch nicht an Klotziis 7 gefehlt, die diebona fama eines Dichters aus seinen Gedichten beurtheilen, die den feinen Schluß machen konnten: Quid? ea de se ipse commemorat facinora poeta, cur non alius quisque ab illo patrata esse diceret? Von jeher hat es nicht an Leuten gefehlet, die nicht nach den Schriften, sondern nach den Anekdotchen eines Autors begierig, solche Personalien halb aufhörten, und halb dichteten, und sie denn, wenn sie bescheiden waren, mit einem ungebetnen Er soll! der Welt empfahlen, oder, wenn sie die Bescheidenheit nicht brauchten, mit einem gewissenhaften Er hat! aufdrangen. Und das ist das Unglück Virgils, das ist das Unglück so mancher Unschuldigen gewesen.

Zuerst Donatus – doch nein! wie gesagt, Donatus nicht selbst, sondern sein Zusammenstoppler, sein Ergänzer – dieser Pseudo-Donatus also, was konnte er besser, als den Biographischen Grundriß, den er vorfand, mit Anekdotchen zu ergänzen, mit personellen Lügen zusammen zu stoppeln? Und zu dieser so angenehmen, den Lesern so belustigenden Sache, wie gelegen war ihm der Brocke, den Apulej entfallen lassen! Apulejus erzält: Virgil habe seine Lieblinge nach Sokrates Art gehabt – freilich, das unleugbar! aber bilde es aus; sage: wen Virgil so geliebet? und setze den [317] höflichen locus communis voraus: eum libidinis pronioris in pueros fuisse – Freilich ein ungereimter Wiederspruch! eine unerhörte sich selbst strafende Lüge: denn wo hat Sokrates so geliebt? Aber, was schadet das? ein man sagt; ein fama est! kann schon Etwas bei dem Pöbelleser zur Noth zudecken; und für wen andern werden Anekdoten fabricirt? So war eine Lüge, eine widersinnige Lüge fertig: widersinnig, denn welcher Mensch, der bei sich selbst ist, wird ohne Rücksicht beides glauben können, eum libidinis pronioris in pueros fuisse, und doch eum amasse ut Socrates – und doch vita et animo probum fuisse. So wenig ich mir von der Sittlichkeit der damaligen Römerwelt große Begriffe mache: so kann der Wiederspruch doch in sich selbst nicht Statt finden. Er ist Chikane, er ist Verläumdung, Verdrehung eines alten gutherzigen Autors.

Woher aber die Knaben, die man ihm unterschob? Was weiß ich das? Gnug! Apulejus hatte den Namen Alexis für einen erdichteten Namen angegeben, und nun konnte unter ihm was eher, als ein Alexander, verborgen liegen, der nur ins Sylbenmaaß nicht konnte? Nur noch ein Cebes, eine Plotia Hieria, oder Leria, oder Aleria, oder wie man dieAelia Lälia Crispis nennen wolle, dazu, und die Tradition ist zum völligen Märchen geworden. Wie anders, als daß jetzt jeder gründliche Ausleger der Coridonsekloge solche artige Erläuterung nicht auslassen kann? Er lasse lieber, um derselben noch mehr Gewißheit, um seinem Texte mehr Anschaulichkeit zu geben, noch gar das fama est, vulgatum est, weg: denn wer will hier Geschichte? das Märchen erläutert ja so schön! – armer Virgil! der Stab ist über dich gebrochen! deine schaamlose Ekloge liegt ja der Welt vor Augen! Da ist dein Servius!

Nun sage mir ein Poetischer Leser, wie, wenn die Ekloge eine historischwahre Liebesflamme seyn soll, die besten Stellen erklärt werden sollen. Wo waren denn die dunkeln Wälder, die Corydon mit seinen Klagen erfüllte? Wo ist die Wahrheit des Schäferreichthums, den er preiset? Wo sind seine Heerden in Sicilien, seine [318] Amaryllis, Thestylis, Menalkas? Wo der Bach, in dem er neulich zuerst sich gesehen? Wo seine ganze Schäferwelt, in der die Ekloge lebet? Ist sie Poetisch, ist sie Dichterisch – wie? und der Inhalt soll nicht Dichterisch seyn? Ihr wollet, was ihr nicht deuten könnet, der Muse, und was ihr nicht deuten sollet, dem Virgil, als Menschen aufbürden? Ihr wollet das Gedicht zu einem Ungeheuer von historischer Ekloge, von Allegorischer Geschichte verdammen? Wie? wenn ich jedem Dichter das auf seinebona fama anrechnen wollte, was seine Muse singt – Tyrannische Verstümmelung! wer wollte noch Dichter seyn?

»Ja aber, alte Sage, historische Tradition!« Was Tradition? Sie hat sich aus Martial, aus Apulejus, und wo weiß ich mehr her? entiponnen, und Martial und Apulejus strafen die Tradition selbst Lügen. Der eine schweigt, der eine nennt es ein »scherzhaftes Lobgedicht«: ich habe Zeugen, die älter sind, als die Tradition.

Aber das ist Schade, daß man auf der andern Seite rettend fast immer zu weit gegangen, und damit Virgils guter Sache selbst geschadet. Die Ekloge soll blos Poetisches Exercitium, soll ganz ohne die geringste lebendige Anspielung, Corydon und Alexis sollen ganz Romantische Wesen seyn, und dies ist freilich, nach dem, was Martial und Apulejus sagen, zu viel verneinet. Virgil kann immer der verkleidete Corydon, Alexis immer der schöne Junge des Pollio, die Ekloge immer ein Individualgedicht seyn: nur es ist eine Poetische Maskerade; ein feines Lobgedicht, ein ludicrum, nach Theokrits Manier.

Man thut also am besten, wenn man diese entwickelt, wenn man die dem Griechen nachgeahmten Stellen anmerket, wenn man zeigt, daß der ganze Bau des Gedichts keine Halbgeschichte, und keine Halbpoesie, zulasse, daß der Poet nach seinem Plane einmal so habe dichten müssen, daß – doch was zähle ich das her, das in der letzten, schönsten Ausgabe Virgils so fein und genau 8 erfüllet [319] worden. Es ist keine Partheilichkeit, wenn ich bekenne, daß dieHeinische Ausgabe Virgils die Erste in ihrer Art sey, und daß sie in dem bisher so sehr versäumten Geschäfte, einen Schriftsteller des Alterthums in dem eigenen Geschmacke desselben, jedes Wort und jene Note an ihrer Stelle, neu und unentbehrlich, ohne den Dunst unendlicher Parallelstellen und unbrauchbarer Citationen, mit dem stillen Fleiße, und dem ruhigen Gefühle der Schönheit – ich sage, einen schönen Schriftsteller des Alterthums so zu commentiren, dazu macht die Heinische Ausgabe Virgils Epoche.

Fußnoten

1 p. 244.

2 p. 245.

3 p. 245.

4 v. Hein. Virgil. p. CXVII.

5 Lib. VIII. 56.

6 Apul. Apolog.

7 Opusc. var. arg. p. 249.

8 Eclog. II. p. 14. etc.

3. Ueber einige Horazische Rettungen und Erläuterungen
1.

Von Rettungen des schaamhaften Virgils auf Rettungen meines Horaz. Vindiciae Horatii Flacci. 1 – –

Ich, Endesunterschriebener, bekenne, gelobe und schwöre vor dem Hochgelahrten Apollo, vor seinen lieben Töchtern, und vor allen ächten und unächten Söhnen des- und derselben, daß ich glaube und für wahr halte, wasmaßen ein Horatius Flaccus s. Horazius Flaccus, auf der Welt gewesen, und die Oden, Satyren und Briefe verfertigt, die von ihm verfertigt sind, die ich also demselben auf keinerlei Art absprechen und entwenden, noch nach meinem besten Wissen und Gewissen andern nicht zuerkennen, noch den Heillosen Behauptungen des Harduins und aller Harduine beitreten, sondern vor aller Welt behaupten will, daß Horaz kein andrer in der Welt als Horaz gewesen: so wahr – –

[320] Nun! wie komme ich an eine so schreckliche Eidesformel? Ach! mein lieber lesender Freund! wozu kann man nicht im ersten feierlichen Gefühle kommen, wenn man aus einem ängstlichen Traume, von Morrast, von Sandwüste mit Ehren hinaus ist? – Wisse also, daß ich mich eben, dem großen Apollo sei Dank! durch ein Buch, oder vielmehr durch ein Gewimmel von Citationen durchgearbeitet, das auf 280 Seiten, s. zwei hundert und achtzig Seiten, mit einem Schatten aus Swifts Monde, mit einem Narren sicht, und nichts beweiset, als daß Horaz Horaz gewesen – dies aber mit so vielen Citationen rück- und vorwärts beweiset, daß, wenn ich die Hälfte davon aufschlagen müßte, mich vielleicht der jüngste Tag mit allen heiligen Engeln überraschen könnte. Gott Lob also, daß ich durch bin, und kaum will ich wieder zurück.

Bedächtlich schreibe ichs nieder: kaum wieder zurück: denn so gerne ich in vortreflichen Schriften die zweite Reise thue: so sehr ichs mir zum Gesetze gemacht, kein vortrefliches Buch nur einmal hinzulesen: so erfreulich mir der erste beste Wink ist, die Schriften unsrer Winkelmanns und Leßings, Hagedorne und Mendelssohne noch, und nochmals zu durchwandern: so schwer wird mir die Rückkehr hier; und ich glaube, meinen Lesern einen wahren Liebesdienst zu thun, wenn ich sie durch Vorzeigung meines Reisejournals auf den sandigen, morrästigen und immer ausschweifenden Weg vorbereite.

Man kennet Harduin, und seine, es sei nun aberwitzigen oder leichtsinnigen Behauptungen, daß das meiste Alterthum kein Alterthum sey. Mag aber hinter seinen gelehrten Narrheiten auch so viel Jesuiterei stecken, als da will – ich glaube, man hätte nur immer summarisch gegen ihn verfahren, auf einzelne Einwürfe sich denn nur einlassen dörfen, wo diese durch Sonderbarkeit und falschen Anstrich blenden könnten. Viele von ihnen sind, völlig unter einer Widerlegung: keiner Aufmerksamkeit, keiner Antwort werth. Viele sind Bäche, die sich von selbst im Sande verlieren, wenn man die Quelle verstopft. Viele fallen auf die Erde, wenn man nur den statum caussae, den Punkt der Frage, nicht aus der Acht [321] lässet: und das letzte muß keiner, der einigermaßen gegen einen Harduin würdig schreiben will. Bei einem lebenden, noch schreibenden Autor kann man es nöthig haben, auf einzelne nugas sich kritisch herablassen zu müssen, wenn er nämlich eine Zunft hat, die solche nugas anbetet: aber über Harduin ist schon gerichtet. Die Nachwelt, so viele würdige Männer, die über einen unsinnigen Todten urtheilten, haben das Urtheil schon gegen ihn gesprochen: das Urtheil ist allgemein angenommen: der Zustand unsrer Litteratur macht, wenn auch hier und da noch eine neue Pilze, ein junger Harduin, aufschösse, eine lange formelle Wiederlegung in allen Nichtswürdigkeiten, langweilig, nichtswürdig, ekelhaft. Ich sehe ein kleines kindisches Mädchen, das, nachdem einmal der Saal aufgeräumt worden, sich hinten nach damit abgiebt, in einem Winkel unnützen Staub wegzuwischen, und glaubt, sie habe den Saal aufgeräumet.

Ich kann nicht verhelen, daß bei den Vindiciis, die vor mir liegen, dies mehr als einmal mir eingefallen. Harduins Behauptungen in ihrer Quelle kaum angesehen: jede seiner einzelnen Verdrehungen und widersinnigen Einfälle langsam mitgenommen, mit gelehrten Citationen bis zum Ueberdrusse wiederlegt: dabei immer so entfernte Umschweife, so schöne Auswege, daß man oft nicht weiß, wo man sey? wie das hieher komme? – Denke man sich einmal solche Vindicias und urtheile. Oft ists zum Lachen, wenn ein thörichter Einfall, ein Einwurf der Unwissenheit oder Kühnheit so ernsthaft, so gelehrt, so gründlich wiederlegt wird, ohne daß man dabei Etwas, als citirte Büchertitel lerne. Noch öfter aber ists zum Aergern, wenn man alles Nothwendigo und Nutzbare vorbei, so weit abgeführt wird, daß man den aus dem lieben Collektaneentröster ausgeschütteten locus communis wohl überall anders, nur nicht hier, suchen und finden wollte.

Harduin z.E. schießt den stumpfen Pfeil gegen Horaz ab: daß, da die Satyren desselben so ganz anders, als seine Oden [322] seyn, Horaz die Oden nicht geschrieben habe, solche Oden kaum habe schreiben können. Harduin also weiß so sicher zu schließen, als in unser Zeiten Hr. Dusch, der es Leßingen in die Augen demonstrirt hat, daß Er, Leßing, der Catull in Kleinigkeiten, durchaus kein tragisches Genie seyn könne. Was soll nun der Retter Horaz? Den Harduinschen Anfall als thöricht zeigen, und dazu sind für Vernünftige ein Paar Worte gnug! – Ja! mein Leser! so wohlfeil kommen wir bei unserm Vindex nicht ab! Auf sechs langen Seiten 2 schüttet er uns den communis aus, den er, etwa als Knabe, vormals in seine Collektaneen zusammengetragen; non omnia possumus omnes; sunt autem, quibus etiam plura tentare licuit! und so treten wider das Luftspiel des tollen Harduins nicht weniger, als zwei und fünfzig bewafnete Männer auf, Beispiele, die zuerst, nach Kriegslist, mit ihm gemeinschaftliche Sache zu machen scheinen. Plötzlich aber bricht der Hinterhalt hervor, und Harduin! du bist verlohren! – Nun sage man: soll diese Exempelarmee gegen Harduin streiten? Nichts kleingrößers! nichts lächerlichers! oder soll sie eine Auseinandersetzung des Satzes seyn: wie fern ein Genie sich an Einerlei und an Mehrerlei wagen dörfe? so kenne ich nichts armseligers. Es ist ein zusammengetragnes Register bekannter Maler- und Dichternamen, das ich sogleich aus dem Gedächtnisse vermehren könnte: es ist eine gelehrte Uebung, die ich nirgends, als im Tageregister der Lectüre eines Jünglinges, lesen mag: ohne Grundsätze und Gränzscheidung: ohne Kopf und Fuß – rudis indigestaque moles.

Harduin führt eine Münze von Horaz an, der Harduin selbst das Alterthum abspricht, die nichts zur Streitfrage thut. Herr Klotz also hätte den spanischen Reuter stehen lassen, oder still wegschieben können; er steht ihm ja nicht im Wege. Nicht doch! so würden ja neunzehn Seiten leer bleiben, 3 »daß uns allerdings alte Münzen auf Gelehrte übrig sind! auf welche? zu welcher Zeit gepräget? «ein Verzeichniß der Bücher hierüber etc. War der Harduinsche [323] Nebeneifall: »nur auf Fürsten hat das Alterthum vorzüglich Münzen gepräget,« diesen großen Umsprung werth? Ich nenne ihn Umsprung: Abhandlung, vollständige Abhandlung über die beregte Materie ist er nicht: in den Horazischen Zwist gehöret er nicht: er ist ein locus communis, in einer müßigen Stunde aus dem Münzenfache einer Bibliothek zusammengetragen.

Der Jesuit will das Wort ales carminis nicht verdauen, und der weise Geßner, der Maaß wußte, hat in einer kleinen Note gegen ihn gnug gesagt. Klotz ist gelehrter und gründlicher: ausführlich zeigt er, 4 daß Poeten, daß Gedichte mit Vögeln verglichen werden: ausführlich setzt er nach Schmids Register zum Pindar, eine Reihe von Stellen her, da er sich mit einem Adler, wer weiß? womit mehr – vergleiche: ausführlich die Stellen, auf die ihn wieder Pindar brachte – – Der Mann ist sehr gelehrt! Welche Belesenheit! wel che Citationen! Nun aber schlage, mein lieber bewundernder Knabe! deinen Uz, deinen Gleim, deinen Gerstenberg, deinen Ramler, deinen Cramer, deinen Creuz, und wen du wollest, auf: du wirst einen Uz hören:


Wohin, wohin reißt ungewohnte Wuth
Mich auf der Ode kühnen Flügeln u.s.w.

und nicht blos das Gleichniß, die hohe Pindarische Allegorie selbst, in dieser und andern Uzischen Oden; in Gleims Kriegsliedern oft einen Gesang,


Hoch wie des Adlers Sonnenflug,

im Ramler den Anfang

Zu dir entfliegt mein Gesang, u.s.w.


und in den dir so lieben Tändeleien gar eine ganze mehr als Horazische Verwandlung in einen Vogel finden. Nun sage! kannst du nicht mit deiner Belesenheit eben das, was Hr. Klotz mit der seinigen?

[324] Geßner will bei dem bekannten: animae magnae prodigum Paullum einen Gegensatz finden, und findet freilich damit nur ein frostiges Wortspiel. Herr Klotz nimmt Geßnern sein Wort so hoch auf, als hätte er selbst das gräulichste Wortspiel begangen, und in eben dem Othem führt er eine Reihe von Wortspielen 5 an, die man bei den Alten, den Griechen, den Römern, die doch auch der aulae Augusti gefallen wollten, fände. Wider wen redet der Vindex, wider Harduin, wider Geßner oder wider sich selbst? Und für wen ist er so gelehrt?

Er findet ein Bild des Cupido. 6 Siehe da! in Alciphron, in Aristänet, in Musäus, in Uz, in Tasso auch ein Bildchen! Wir wollen die Figuren zusammentragen – ei! da steht ja eine ganze Gallerie von Kupido's! Schon über das Zusammentragen kann sich ja das leicht fröliche Herz eines Autors so freuen, als wäre man der Albano, der alle diese Liebesgötter gemacht hätte. Freilich sind diese paar Gestalten des Amors immer armselig, gegen die, die mehrere Dichter von Anakreon bis zu Gleim und andern Uzischen Schilderungen gegeben – was hindert das aber zu einer künftigen Geschichte des Amors? Eine gute Sache ist an jedem Orte gut, und diese gute Sache also -- bewundre, wer will; ich überschlage sie.

Der einzige Fall, wo ein solcher Philologischer Parallelenkram noch einiger maßen leidlich wird, ist – nun was anders, als ein Streit über ein Wort; Schade aber, daß Harduin hier meistens unter der Critik ist. Sein Geschrei: das ist nicht Latein! das ist Unpoetisch; verräth oft grobe Unwissenheit, oft noch gröbere Kühnheit, die Sprache der Römer zweitausend Jahre zurück kennen, und die Neologische Sprache eines Horaz zweitausend Jahre zurück prüfen zu wollen. Wie wenig Glauben weiß sich Harduin von dieser Seite auch nur bei einem Halbkenner der Lateinischen [325] Sprache zu verschaffen und wie summarisch war gegen einen solchen Thoren zu verfahren? – Aber nun! sind da nicht eine Menge von Hülfsmitteln? unsägliche Commentatoren über die Römischen Schriftsteller, die nie eine Stelle blos für sich, an ihrem Ort erläutern, sondern bei Veranlassung eines Worts, alle anderweitige mögliche und unmögliche Vorkommenheiten desselben beiläufig aufhäufen. Wie? hat hier nicht die ganze Genealogie Lateinischer Wortkritiker und Notenmacher vorgearbeitet? kann hier nicht ein mäßiger Besuch dieser Wortmärkte, dieser Sammelplätze fremder Belesenheit Wunder thun? – So komme denn, liebe Göttin gedankenloser Geduld! komm zu Hülfe! – Nimm Lexica und Register zur Hand, jage, und werbe nach ähnlichen Worten und Redarten, mache ein Gestöber von Citationen und Wortstellen, um – einen todten Hund schweigend zu machen! – In der That! nach meinem Gefühle muß ich bekennen, daß ich eine solche Philologische Mühe nie anders, als nach Zwecke und Gebrauche, schätzen kann; wo der aber verschwindet – o! da ist unser Jahrhundert Gott Lob! so weit, unnütze Namenregister und Collektaneen selbst zu überschlagen.

Der Jesuit läugnet, daß das Wort parens sonst von Jupiter gebraucht werde. Laß es nicht gebraucht werden: der Schriftsteller der Horazischen Oden brauchts, und Harduin kann ja keinen Beweis führen, daß werparens brauche, kein Horaz seyn könne. – Herr Klotz aber 7 nimmt sich die Mühe, Stellen zu citiren: wo parens und wo genitor, und wo pater, und was weiß ich mehr? vorkomme, und thut dabei so wichtig, als wenn der, der parens gebraucht, wirklich Horaz seyn müßte. Horaz singt: stat nive candidum Soracte; und Herr Klotz weiß, 8 wie eine lebendige Concordanz, wer sonst das stat in diesem eben nicht, aber gnug! in anderm Verstande gebraucht habe. Ist ein Wortregister nicht eine [326] herrliche Sache? – Ich beruffe mich auf meine, Leser. Man thue einen blinden Griff in die Vidicias meines Autors: Drei gegen Eins, und man wird eine Reihe Bücher- oder Wortcitationen ohne Nutzen und Gebrauch eines denkenden Liebhabers Horaz aufgreifen.

Wie klein hätten die Vindiciae Horatii ohne diesen elenden Wortgeschwulst seyn müssen! Harduin da wiederlegt, wo ers verdient: ihm den Weg gleich anfangs verhauen: nur die scheinbarsten seiner Einwürfe entblößt: (denn die schwächsten am weitläufigsten wiederlegen, ist Papier- und Zeitverderb!) jedesmal in den Punkt der Frage, ohne Umschweife eingedrungen: so spreche man. So hat neulich (denn die ältern will ich nicht anführen) neulich noch gegen Harduin Michaelis 9 gesprochen; aber als Michaelis, als gegen Harduin, würdig, kurz, bündig. Nur ach! seine Abfertigung ist ja kaum acht, und nicht 180 Seiten lang; sie ist ja leider! nur Ein Paragraph, leider! ohne hundert unnütze Citationen, und (das größte leider!)selbst gedacht. – Lugete, Veneres, Cupidinesque!

Indessen tröste ich mich mit einem Reisenden in Italien, den ich gerne lese: 10 »Man kann hoffen, sagt er, daß der gute Geschmack und die Gründlichkeit, welche die Herrschaft über die Wissenschaften und Gelehrsamkeit bereits ausgebreitet haben, endlich den abgeschmackten Ton verbannen werde, welcher noch in den mehresten gelehrten Abhandlungen Italiens herrschet, daß man diese Abhandlungen nur auf dasjenige, was sie versprechen, einschränken, und sie von den locis communibus einer scheinbaren Gelehrsamkeit und tausendmal wiederholten und überall anzutreffenden Sachen reinigen werde.« Ich weiß keinen meiner Landesleute, dessen Schriften sämmtlich und sonders ich ein solches Critisches Fegefeuer mehr wünschen dörfte, als den libellis des Autors, über den ich schreibe. Zwar dörfte von seinen bisherigen alsdenn wohl [327] wenig übrig bleiben; warum aber soll man nicht in Zukunft bei ihm noch einmal die Zeit eines bessern Geschmacks und einer reellern Gelehrsamkeit hoffen?

Fußnoten

1 Klotz. Vindic. Horat. Flacc.

2 p. 18–23.

3 p. 33 etc.

4 p. 95. etc.

5 p. 119. seq.

6 p. 249.

7 p. 118. seq.

8 p. 110.

9 Einleit. ins N.T.p. 15.

10 Großley Nachrichten von Italien.

2.

Accedit Commentarius in carmina poetae. Schon einige Harduinsche Streitigkeiten können freilich dem Rächer Horazens Gelegenheit schaffen, ihn zu erläutern, und ich wollte, daß Hr. Klotz keine solche Gelegenheit versäumt hätte. Indessen wünschte ich denCommentarius immer von den Vindiciis lieber abgesondert: denn nun, wenn Hr. Klotz seine Streitigkeiten mit Harduin, und seinen Commentar über Horaz, und denn noch manche liebe Beiseitgedanken unter einander fortlaufen läßt, die Citationen des Dichters unter hundert andere Citationen vergräbt, bei Harduin Gelegenheit zu commentiren, und beim Commentar wieder Gelegenheit nimmt, auszuschweifen – welche Verwirrung! welch ein Chaos von Buche!

Ueberdem ist eine Fechtschule nie der rechte Platz, einen Dichter ruhig zu lesen, mit ganzer Seele zu fühlen, und gleichsam mit neuer Heiterkeit der Seele zu erläutern; die Exegeten des heiligsten Buches haben von dieser Wahrheit zu betrübte Beispiele gegeben. Wenn Harduin sagt: dies Wort ist Barbarisch, Unpoetisch u.s.w. und Hr. Kl. sich wieder befleißt, die Latinität, die Poesie des Worts zu erhärten: wie leicht ist da die Ausschweifung auf der entgegen gesetzten Seite, Harduin zum Possen mehr Nachdruck darinn zu finden, als darinn liegt, als Horaz hinein legen wollte. Ich bin gewiß, daß, wenn Hr. Klotz, bei künftigen Jahren, wieder seinen Commentar commentirete; er manches zurückziehen werde. [328] wo er jetzt in einzelnen Worten, als ein guter Coccejaner, zu viel Nachdruck fand. So hat es allemal die jugendliche Einbildungskraft der Ausleger gemacht, daß sie nur gar zu oft, bei ihrem einzelnen Nachdrucke, den Nachdruck, den Ton des Ganzen schwächten: es mochte nun dies Ganze die Bibel, oder ein Poet seyn. Alsdenn folgt gemeiniglich auf den emphatischen Ausleger ein anderer von der weisen Mäßigkeit eines Geßners, wenn er hinter Baxter, oder eines Ernesti, wenn er hinter Clarke einher spatzieret, und mit kaltem, ruhigem Blute die Auslegung seines Vorgängers wäget. Hr. Kl. würde dieser Uebertreibung des Ausdruckes mehr entgangen seyn, wenn er nicht eben im Streite mit einem andern den Poeten hätte commentiren, sondern sich den ruhigen Eindrucken desselben, ohne einen fremden Gegenstoß, hätte überlassen wollen.

Ja, ich habe noch Eins auf dem Herzen, das ich beim Lesen der Klotzischen Schriften über Horaz mehr, als einmal, empfunden. Niemand in der Welt spricht bei aller Gelegenheit vom ingenio amœno, vom sensu boni & pulcri lieber, als Hr. Kl. und niemand in der Welt hat die Kritiker mehr, und bis zum Ueberdrusse mehr getadelt, tamquam omnis venustatis expertes, als Er. Bei dem Anfange eines jeden Schriftchens, in der Mitte, und am Ende, findet er immer Gelegenheit und Platz, sein ingenium venustum, elegans, pulcrum zu preisen, gegen die Criticos aller Zeiten zu preisen, es seiner Zeit, als eine Ausnahme, als den Anfang einer Epoche, als den Stifter einer neuen güldnen Zeit des Geschmacks anzurühmen; indessen sehe ich doch dies ingenium venustum nicht immer, wo ichs sehen will. Hr. Klotz, den ich nicht die Ehre habe, von Person zu kennen, scheint eine feurige, zarte Seele zu haben, die den Eindruck des Schönen lebhaft fühlet, und mit der Einbildungskraft oft ausbildet. Will man mir indessen ein Aber erlauben: so glaube ich diese Eindrücke seines Gefühls noch zu schnell, zu vorübergehend, als daß sie Grundsätze, selbstgefühlte Grundsätze des Schönen zurücklassen, und einen gewissen und vesten Geschmack bilden könnten. Er erhaschte, was ihm auf der ersten Flucht begegnete; allein selten scheint dies Empfundne noch zu der [329] Vestigkeit der Seele gediehen zu seyn, die man nur durch eignes reifes Nachdenken, und durch Selbstprüsung erhält. Ueber einzelne Bilderchen, über die Oberfläche des Geschmacks, so weit Wortkritik, eine flüchtige Empfindung oder Gedächtniß hinreicht, mag ihm sein Urtheil gelingen; wo aber die Empfindung in den Verstand gleichsam übergeht, wo es auf ein reifes selbstgebildetes Urtheil über ein Ganzes, kurz! wo es auf Grundsätze ankommt, da kenne ich wenige, die sich im Urtheile so untreu werden könnten, als Er sich selbst. – – Doch ich will, ohne vorgefaßte Meinung zu seinem Commentar: wie schwer wirds, in diesem Staube Gold zu suchen.

Hor. L. 1. Od. 1. Ich beklage, daß Hr. Kl. uns mit seiner gelehrten Erläuterung ganz aus dem Tone, der im Ganzen der Ode herrscht, wegerläutert: uns mit seinen furchtbaren Citationen den ganzen Sinn des Liedes, die ganze schöne Stimmung der Seele, in der Horaz sang, wegcommentirt – und wer könnte gefährlicher commentiren? – Baxter hat diesmal den Hauptton der Ode mit seiner Ueberschrift sehr gut ausgedrückt: Horatius fatetur, se cum cæteris mortalibus insanire. Er zält nämlich seinem Mäcen die ganze Mannichfaltigkeit der Menschlichen Bestrebungen her: daß freilich jeder seine Neigung habe; daß es aber keiner an ihrer kleinen Dosis von Thorheit fehle. Der sammlet sich Olympischen Staub; dem ists sein höchster Wunsch, ein Ziel umzufahren; den macht ein Palmenzweig selig, wie die Olympischen Götter: groß, wie die Herren der Erde. Dieser, wenn ihm der wandelbare Pöbel ein Paar, ein Drei Ehrenstellen zuerkennet; jener, daß, was in Libyen geerndtet wird, eben in seiner, und in keines andern Menschen Scheure liege u.s.w. kurz! jeder hat seinen Kopf, und der ist ihm sein Glücksgott, warum sollte ich nicht den mei nen haben? Der kann eines wilden Schweins wegen Nächte lang unter freiem, kaltem Himmel dauren, und ich –


Me doctarum hederæ præmia frontium
Dis miscent superis: me gelidum nemus etc.

[330] Wenn jeder auf seine Art schwärmt, warum sollte ich nicht auch auf die meinige schwärmen? Man lasse mir das Glück, daß ein paar Zweige auf meiner Stirne mich in meiner Empfindung unter die Götter versetzen, daß ich in kalten Hainen mit Satyren und Nymphen Umgang pflege; daß ich Alles habe, wenn meine Muse mir eine Dichterstunde gönnet, und wenn du mich, o Mäcen! würdigest, mich unter die Lyrischen Dichter einzutragen – o so reicht mein erhabener Scheitel bis an die Sterne! – Leser von Horazischem Gefühle werden im Ganzen dieser Ode den von mir angegebenen Ton nicht verkennen: sie werden finden, daß sich eine kleine Schattirung in die Farbe des Lächerlichen, über die Charakteristik Menschlicher Neigungen, in dieser Ode ausbreite: daß es eigentlich der Zweck Horaz sey, jede derselben, eigentlich bei einer feinen Schwachheit, zu fassen, nur so gelinde zu fassen, als es überhaupt Horazens Art ist, nur weise, nur mit ehrbarer Mine zu lächeln, zu spotten, als ob er die Wahrheit sage. – So redet er von andern, so auch von sich.

Nun denke man sich, den komischen Auftritt, wenn der Commentator, der diese ganze Horazische Manier nicht fühlt, dazu kommt, um ein solches Liedchen seiner Laune, seines stillen vergnügten Anlächelns, als ein Lehrbuch voll ernsthafter Diktatorischer Sprüche, annimmt, ihm recht gelehrt aufhorcht, und, was er noch nicht gelehrt gnug gesagt, noch gelehrter umschreibet. Man denke sich dies, lese: 1 Dis immixtum esse superis & secerni populo unam quidem, eandemque rem designant, sed illud significantius est, remque clariorem reddit. Utraque sententia nihil aliud innuit, quam ingenium Poetæ lyrici concipiendis visionibus aptum, impetum, virtutem, eumque furorem, quo afflatus sibi in nemora & specus agi, in societatem Deorum admitti, in cœlo versari, numina videre, Bacchum carmina etc. etc. Man lasse mich nicht weiter schreiben, was alles der Lyrische Enthusiasmus sey? wie ihn Boileau beschreibe? wie er zum Lyrischen Dichter nöthig sey? [331] Vortrefliche Sachen: nur von deren Lehre Horaz sich hier nicht träumen läßt. Vielleicht, daß man sich in der muntern Gesellschaft Mäcenas über den Poetischen Paroxysmus, über sein Gefühl für eine Dichterstunde, über seine Liebe zur Einsamkeit, und Poetischen Stille, über seine Begierde, nach Dichterlobe, kurz! sein Poetisches Temperament lustig gemacht; und da rächet sich Horaz. Er bringt seinem lieben Mäcenas ein Gedichtchen, das ganz unschuldig und ehrbar anfängt: freilich sind Leute, die anders denken: der so, und jener so; der liebt diese: und der jene Thorheit; etwas Schwäche muß man ja jedem Liebhaber seiner Sache verzeihen: warum mir nicht das Bißchen Thorheit bei der meinigen? – So launigt aber, mit so halblächelndem Ernste, so unwichtig wichtig in der Charakteristik jeder einzelnen Neigung, und seines eignen Temperaments, daß eben diese Mine ja der Ton des ganzen Stücks wird. Wie würde sich nun der urbane Römer freuen, wenn er sein schalkhaftes Selbstlob so ciceronianisch commentirt läse: Si tuum, inquit, docte Mæcenas, judicium accesserit, si tibi placuerint carmina mea, tuque me in lyricorum, quos Græcia admirata est, numerum retuleris tum mihi beatissimus videbor, tum nihil ad gloriam, ad laudem, ad felicitatem meam addi poterit: quemadmodum simili sensu dicitur: cœlum digito attingere. Vide de formula Schraderum in Observ. ad Musæum c. 10. p. 203. etc. Wenn er sich so ehrbar ausgelegt sähe, 2 wie würde er lächeln? oder vielmehr, wie würde er uns über unsre gelehrten Ausleger bedauren?

Denn nun wird der Ode ihr Geist, die lebendige Grazie der Anschaulichkeit genommen: der Ton eines Liedes verfehlt, und Sinn und Leben, und Affekt und Alles verfehlt. Was ist unangenehmer, als ein Musikalisches Stück in einer widersinnigen Temperatur: und ein Gedicht, im widersinnigen Tone zu lesen! weg mit dem Leiern! Hat Horaz ein ernsthaftes, vollständiges, gründliches Bild von der Mannichfaltigkeit Menschlicher Charaktere geben [332] wollen, wie ungründlich, unvollständig, wie sehr von einer Nebenseite, wie oft nahe am Kindischen? hat Horaz seine Dichtergabe, und seine Dichtergesinnung ernsthaft und vollständig schildern wollen: unausstehlich! kleingroß, kindisch! Ein Lorberzweig soll ihn unter die Götter versetzen: die Nymphen und Satyren sollen Poetische Phrases für seine Lyrische Begeisterung seyn: wenn Mäcen seinen Namen in sein Dichterbuch einträgt, will er mit seiner Scheitel an die Sterne! – O der Thor! und mit aller Phraseologischen Auslegung noch ein Thor! Die Laune der ganzen Ode ist weg: sie ist ein unausstehliches Dichterexercitium!

Ich will nicht nachblättern, ob mehrere die Ode so weise commentirt: vermuthlich! Denn was ist doch für das Heer der Scholiasten und Wortcommentatoren eine unerhörtere Sache, als auf Laune, auf Stimmung des Dichtertons zu merken? aber das weis ich, daß ich mit Mitleiden die kritische Tortur gelesen, die die Ausleger, und unter ihnen auch Hr. Kl. dieser Ode angethan. Ists nicht zu bedauern, wie sich Bentlei über die impeditam & salebrosam orationem der Ode zermartert: wie er sie zerreißt, wie ernsthaft er darüber kunstrichtert: daß doch der kein Narr sey, der nicht zu Schiffe wolle; daß es doch wahrhaftig kaum wahr sey, daß ein großer Reichthum uns unter die Götter erhebe; daß dahin der Weg so leicht, so gebahnt nicht sey, daß die Olympischen Sieger würklich ισοϑεοι gewesen u.s.w. was giebt sich der arme Bentlei für unnütze Mühe? Was für unnütze Mühe, wenn Hr. Kl. Phrases aufsucht, wie ein Lorbeerkranz die Sieger würklich habe zu Göttern machen können? wie Horaz sich habe unter die Götter versetzt, sich an den Himmel empor ragend denken können? Was für eine recht lustig Tragikalische Nachahmung, wenn Horazianer recht Horazisch zu seyn glauben, wenn sie, wie er, schon mit dem Scheitel an den Himmel stoßen; und was er launisch sagt, mit recht guter Besinnung, und, so Gott will! recht Horazisch nachplappern! Was für ein hübsches Ebenbild endlich in der Langischen Uebersetzung, wenn diese fein schalkhafte Mine Horaz, ins ehrbarste Priestergesicht umgebildet, und mit allem korpulenten Ernste anhebt:


[333]
Mäcen, – –
Mein Schutz, und süßer Ruhm! Es freuen sich viele,
Wenn der olympische Staub den Wagen bebecket u.s.w.
Und wenn ein marsisch Schwein das Garn durchgerissen,
– ∪ ∪
Und mich gesellt gelehrter Stirnen Lohn, Epheu,
Den Göttern zu; mich unterscheidet vom Pöbel
Ein kühler Wald – –
Wenn du mich zu den Odendichtern gesellest,
So rühr ich mit erhabnem Nacken die Sterne!

Ist Horaz nicht ein braver Kerl? – Und dazu macht ihn auch Hr. Klotz, wie ich denken sollte.

Ich weiß, ich komme nicht bei allen gelehrten Lesern Horaz damit an, daß ich sage; so etwas wiederspricht dem Tone des Ganzen; es zerstört die Harmonie des ganzen Lyrischen Gesanges; denn was ist Ton, Harmonie des Ganzen? Die Empfindung davon läßt sich dem Ohre keines Menschen geben. So muß ich denn, leider! umgekehrt sagen, daß der Ton des Ernstes schon exegetisch Wiedersprüche in die Ode bringe: daß es ja nichtswürdig von Horaz wäre, von den Olympischen Siegern nichts zu sagen, als daß sie Staub sammlen, und mit dem Rade umlenken; daß unter den Römern die edlen, Göttergleichen Spiele sich eigentlich nicht so gefunden, wie bei den Griechen; daß das Beiwort wandelbare Römer alsdenn dem Sinne Horaz selbst entgegen, daß es magrer Gegensatz zwischen proprio horreo, und Libycis areis sey; daß das wahre ηϑος in dem patrios agros, die beste Kraft des numquam dimoveas verlohren gehe: daß der Wiederspruch in dem metuens, und mox reficit rates frostig werde: daß das nec partem solido de die, aller Klotzischen gelehrten Erläuterung ungeachtet, kein wahrer Gegensatz mehr bleibe: daß ich alsdenn nicht sehe, warum vom Kriege eben der lituo tubae permistus sonitus reizen, warum die Kriege hier eben matribus detestata heißen müssen: warum eben das Marsische Schwein eben vor Horaz zu stehen kommt: warum er eben solche Armseligkeiten, als Lohn der [334] Dichtkunst, anführen; warum er Götter und Volk, und Sterne, einen armseligen Lohn! dreimal sagen; warum er eben die Nichtswürdigkeit wählen müsse; in ein Dichterregister gekleckt zu werden, als ob auf der alles beruhe: warum eben ein so possirliches Bild schließen soll. – Kurz! Horaz muß so nüchtern, so zusammenhangend, so kleingroß in der Ode, in seiner ersten Ode werden, als ich schon nicht zuerst dies bemerkt, als jeder aber werden muß, wenn man ein launisches Stück von ihm ernsthaft umschrauben will. – Da heißts:


Ein Thor sagt lächerlich, was Cato weislich sprach.


Der arme Horaz! seine erste Ode bildet alsdenn wohl kaum das προσωπον τηλαυγες, was Pindar zur Ehrenpforte eines Lyrischen Gebäudes wollte.

Ueber einzelne Klotzische Erläuterungen kann ich mich nicht einlassen: manche haben verfehlen müssen, weil der Sinn des Ganzen verfehlt ist. Warum aber wiederholt Hr. Klotz so viel bekannte Sachen: als, daß terrarum dominos eine Apposition zu deos, was das partem solido de die demere sey? Geßner ist ja in aller Händen. Quid vero docti videamur? removeamus paullum illam eruditionis speciem, & simpliciter interpretemur. 3 Ich wollte diese Worte zum Wahlspruche des ganzen Klotzischen Commentars haben.

Noch ein Wort über die erste Ode, denn wer wird nicht von Horaz wenigstens die Erste Ode inne haben? Hr. Kl. referirt 4 das dimoveas sechs Verse rückwärts, bis auf hunc & illum; oder umgekehrt dashunc & illum auf dimoveas; allein die Relation dünkt mich dem Baue des Horazischen Perioden in diesem Sylbenmaße entgegen; sie macht den Flug des Choriamben matt. Man erinnere sich des Bildes, das das stolzhörende klopstocksche Ohr 5 von dieser Art Choriambischer Ode hinwirft: »mitten im Fluge schwebt sie, und setzt alsdenn mit einmal wieder den Flug fort.« Nun [335] fliege man einmal auf den Fittigen dieser Ode; man fühle, wie Horaz die Absätze seiner Materie und seiner Perioden so recht in den Sylbenklang einfüge: wie beinahe jedes Wort, und jeder Gedanke von seiner Stelle Stärke empfange: wie in jedem Verse Anfang, Cäsur und Ende auch den Sinn jedes mal unterscheide, aufhalte, stütze, hebe: wie die Einpassung aller einzelnen Redeglieder das Ganze zu einem künstlichen Gebäude, auch in Absicht des Lyrischen Ausdrucks mache? – Wer dies empfindet, dem wird der Lyrische Bau, das symmetrische Sunt, quos – hunc – illum – wohl nicht Zeit lassen, in einem zweiten Stücke des Gebäudes, das sich mit einem Participium schon wieder, als ein eignes Ganze anfieng, hinten nach ein dimoveas zu suchen: sollte auch im Fluge der Choriambe das hunc, illum, mitten inne zwischen iuvat und dimoveas ohne eigentliche Kuppel stehen bleiben. Immer Römisch, Poetisch, Choriambisch: da jenes zwar gut Prosaisch und Constructionsmähig, aber die Fülle, den schwebenden Flug des Sylbenmaßes zerstört. Dignum certe Critico, sagt Hr. Kl. von Bentlei, qui singula verba examinat, nec tam se Horatianae eloquentiae flumine abripi patitur, quam etc. Von wem gölte dies bei Auslegung des Ganzen der Ode noch wohl mehr, als von Bentlei?

Fußnoten

1 Vindic. p. 65. 66.

2 p. 66.

3 p. 63.

4 p. 61. 62.

5 Von Nachahm. der griech. Sylbenmaße. Messias B. 2. [S. 10]

3.

Horat. L. 1. Od. 2. Alles Unnütze und Nebenwerk bei Seite! nichts, als wahre und neue Erläuterung, suchend; ach! so – erläutert mich Hr. Kl. wieder aus dem Tone der Ode; er zerstört mir die Harmonie des Lyrischen Ganzen. Mich widert der Klumpe vonlocus communis, 1 in welchem Allerlei August mit Merkur habe können würdig verglichen werden, denn er stürzt, wie eine einsinkende Bombe das ganze Gebäude des Gesanges nieder. Ich will mich erklären.

[336] Horaz fängt mit einer Erzälung schrecklicher Zeiten, grausamer Vorbedeutungen einer Göttlichen Rache, trauriger Wunderzeichen, und noch traurigerer Vorfälle an. Er wendet sich: wem wird Jupiter das Amt auftragen, das Volk zu entsündigen? Wird Apollo, oder Venus, oder Mars, oder Merkur erscheinen? Plötzlich bricht er ab, und wendet sich an Augustus, aber so geschickt, daß selbst der strengste Republikaner das Lob billigen, die Wendung schön finden konnte. Der schnelle unvermuthete Uebergang von Göttern auf den Kaiser, von rächenden, drohenden, schrecklichen Göttern auf den Vater des Vaterlandes, von Göttern, die am Blute der Römer Rache genommen, auf den, der sein Schwert gegen die Barbaren wandte – Dies ist der Gang der Lyrischen Muse, dies ist der Hauptzug des Horazischen Lobes.

Und wie schön weiß er die beiden Stücke des lobenden Gegensatzes zu verschränken. Das Land ist voll schrecklicher Vorboten, und voll Strafe der Götter gewesen: das Strafwetter ist vorbei; wer wird sich der Römer, sie zu entsündigen, annehmen? Apollo? Er ist augur Apollo. Venus? Sie ist die Mutter der Römer. Mars? Er ist der Vater derselben. Merkur? Er ist der Bote der Götter mit seinem Caduceus. Einer steige herab Rom zu entsündigen. Wer ists? hier ein verstolner Wink auf Augustus thut große Wirkung: der Bote der Götter ist da! Merkur in der Gestalt August. Als Bote der Götter, also hat er Cäsars Tod gerächet:


patiens vocari
Caesaris ultor

Als Bote der Götter giebt er jetzt Rom Entsündigung und Friede. Sogleich verschwinden Wunderzeichen, Götter und Rächer. »Lang, o Kaiser, und glücklich sei unter deinem Volke: und wende deinen Arm (von den Feinden deines Vorgängers und Hauses ab, lieber) auf die Feinde Roms, die Barbarn! Das sind Kriege, (nicht wie die, die du im Namen der Rachgötter geführet hast: bella non habitura triumphos, sondern) die dir Triumphe bringen können: dann bist du ein Vater deines Vaterlandes. – Irre ich nicht, so [337] ist das der Ton, der im Ganzen der Ode herrscht! und die Feinheit, die vorige Rache des Cäsars, den strafenden Göttern, die jetzige entsündigte Ruhe Roms dem Kaiser zuzuschreiben, ist gleichsam die lebende, die Römische Grazie der Ode.«

Nun komme jemand, und schreibe Seitenlang den Mythologischen locus communis aus: was Merkur für ein guter Mensch, daß er beredt, auch ein Erfinder der Citter, auch ein Aufseher der Kampfspiele, und was weiß ich mehr? gewesen, daß August wirklich mit ihm verglichen werden könne – elender Auswurf der Mythologie! So wenig, als mit Merkur, dem listigen Betrüger, dem Schafdiebe; so wenig wird er mit Merkur dem Erfinder der Citter, dem Aufseher der Kampfspiele u.s.w. verglichen. Hier ist Merkur »ein Bote der Götter,« Cäsars Tod zu rächen (patiens vocari Caesaris ultor) oder wenn man noch mehr will, Rom zu entsündigen; nichts mehr! Der Poet giebt auch nicht so eigentlich und ausführlich dem August die Prädikate Merkurs, daß ein künftiger Ausleger so manches Schöne darüber sagen könne: Augustus personam Mercurii induens pacifer, salus generis humani, eloquens etc. Wir von Gottes Gnaden, unter dem Bilde Merkurs, der Friedengeber, die Lust der Welt, beredt, ein Liebhaber der Musen, und was der Mythologische Kram uns vom Merkur mehr sagen möge. So viel ich sehe, so macht Horaz nur eine polite Einkleidung. Nicht August soll es seyn, der Cäsars Tod vormals gerächet: die Götter selbst sinds gewesen, und der Bote der Götter selbst. Hätte es dem Dichter gefallen, den rächenden Apollo oder den erzürnten Mars zuletzt zu setzen: so hätte er, nur mit umgeänderter Einkleidung, den Römern denselben Gedanken sagen können, der jetzt die Ode durch herrschet: »die Zeiten der Strafen und Strafbedeutungen sind vorbei: man denke nicht mehr an Unfälle, wobei die Götter selbst ihre Hand im Spiele gehabt: jetzt haben wir einen Entsündiger, einen Vater des Volks, einen August!« Und welche Ode konnte mit der Einkleidung, die Horaz gewählet, der Zeit würdiger seyn, die Geßner bei dieser Ode annimmt.

[338] Schon gesagt, daß ich mich über einzelne Wortstreitigkeiten nicht einlasse, aber welche unwürdige Schwierigkeit, die sich Hr. Klotz über die Worte macht: 2


ulmo,
nota quae sedes fuerat columbis;

eine Schwierigkeit, bei der er so gar zum gefährlichsten Mittel greifen muß: quid prohibet, quo minus Horatio aliquid humani accidisse dicamus? Ich wollte wissen, wo Horazen denn hier Menschlichkeiten dörfen entfallen seyn. Ich bin kein Jäger, aber das weiß ich, daß mehr als eine Gattung von Tauben, die sogenannten Ringeltauben, oben auf Bäumen nisten; und columba ist ja ein Hauptgeschlecht. – Einige Blätter Harduinsche Nichtswürdigkeiten weggeschlagen, und da fallen mir wieder die schrecklichen Worte ins Gesicht: 3 immo totus locus non recte intellectus ab interpretibus. Laß sehen!


L.I. Od. IV. dum graves Cyclopum
Vulcanus ardens urit officinas.

Nun höre man den Erläuterer: graves expono per sulphureas officinas;has officinas urit i.e. igne et flammis implet: Vulcanus ardens i.e. qui plenus est flammis, dum in loco, ubi omnia lucent igne, versatur. Quid prohibet, quo minus hunc locum ita interpreteris? Gilt die Frage: quid prohibet? auch mich: so antworte ich: alles ist zuwider! das ganze Horazische Bild verschwindet dannt. Jetzt sehe ich den vor Hitze und Arbeit glühenden Vulkan; nicht einen, dem der Glanz des Feuers das Gesicht röthet: nicht einen, der einen Feuersbrand in die Schwefelhöle trägt, und damit sie voll Flammen macht: sondern, der sichs sauer werden läßt (indeß daß seine Gemahlin tanzt) es sei nun, daß er das Feuer anfacht, oder bas glühende Eisen mit dem Ambose, auf der eigentlichen Werkstäte der Cyklopen, hammert. Gnug urit officinas, und zwar graves officinas; ich kann kein vielsagender kontrastirender Beiwort zu der in kühler Nacht bei stillem Mondscheine tanzenden Venus [339] finden. Die Klotzische Erläuterung kann gelehrt und Bergwerksmäßig seyn: sie kontrastirt nicht, sie ist nicht poetisch.

Iam te premet nox, fabulaeque manes. 4 Das Comma, das mit so vielem Geräusche zwischen fabulae und manes gesetzt wird, ist nichts Neues: und doch lasse ich nicht einmal zu sehr commatisiren, denn sie gehören zusammen: »eine Todtenbekanntschaft, von der so viele Geschichtchen lauten.« Ich schlage einige Oden weiter, und wieder eine neue und vielleicht wieder verfehlte Erklärung:

Od. X, 3. steht unter Merkurs Lobsprüchen das Sabinische Wort: catus:


– – qui feros cultus hominum recentum
Voce formasti catus –

und wer weiß, was catus ist? Hr. Klotz soll es sagen. 5 Non sola voce hoc fecit, sed catus h.e. acutus studia uniuscuiusque sectatus ad animos velut descendit, et callide ita quemque movere studuit, ut illius cupiditates poscere videbandur. Entweder ich verstehe Horaz nicht, oder Hr. Klotz hat ihn nicht verstanden. Merkur, denke ich, bildete die ersten Wilden, theils, daß er, der scharfsinnige Merkur, ihnen Sprache gab; theils daß er ihre Glieder bildete; jenes, nach der allgemeinen Tradition, die Menschen seyn durch die Sprache gesittet geworden; dies, um ihnen die thierische Plumpheit des Körpers abzugewöhnen. Ist dies der Verstand des Dichters: so ist das quomodo leniverit hominum animos wohl nichts; so ists wohl kein Gegensatz:, non sola voce hoc fecit, sed catus: so hat mein Commentator ein Non-sense gesagt. Ist dies aber nicht der Verstand des Dichters; wollte er sagen: Merkur habe den Thiermenschen täglich eine beredte Predigt gehalten, in der er catus auf die Neigungen und Gemüthsart jedes seiner respektiven Herren Zuhörer gesehen, sich zu ihnen herabgelassen, und nach vollbrachter Predigt sie zum Fechtplatze geführt – ist dies der Sinn des Dichters, so bitte ich, der ich nicht so catus wie Merkur bin, um Verzeihung.

[340] Od. XII. 42. 43. Horaz singt: saeva paupertas tulit hunc et illum etc. und wie bekannt, daß eine schwere Armuth, eine drückende Noth die größesten Männer hervorbrachte? Ecce autem supercilium dialectici distinguentis: 6 saeva paupertas aliis videtur, non visa est Camillo Curioque. So genau eben wollte ich das nicht behaupten. Eben auch den härtlichen Römern konnte doch oft die Last der Dürftigkeit, des Elendes, der Verbannung empfindbar, würklich empfindbar seyn. Ein Camillus, ein Heinrich von Navarra, konnte würklich den Druck der Noth fühlen, und eben dies Gefühl, die Last der Notwendigkeit bildete sie, wie nach der bekannten Fabel, der gedrückte Palmbaum.

Noch immer beim ersten Buche des Horaz? Ja! und ich sehe die Striche am Rande meines Buchs sich nicht mindern: sondern mehren. Wenig Erläuterungen, die neu wären, Stich hielten, eine neue Ausgabe verdienten. Meistens strauchelt der Commentator, indem er erläutert, selbst aus dem Pfade der Ode Horaz, und die wichtigsten Rettungen gegen Harduin finde ich in der Geßnerischen Ausgabe Horaz schon vorgezeichnet, aber nach Geßnerscher Weise, das ist weise, kurz, und bündig – Wozu indessen soll die unselige Mühe, jeden Strich auf dem Rande meines Eremplars in viele Worte erst zu, verwandeln: hier Parenthesen, wo Seiten und Blätter nicht hergehören: dort Fragezeichen, wo ich ungewiß; hier Nullen, wo ich gegenseitiger Meinung bin, und dort ein öfters! zum Zeichen eines herzlichen Ohe. Ich will damit lieber auf die Lectiones Venusinas warten; jetzt eine allgemeine Anmerkung.

Der unverschämte Harduin spricht 7 dem wohlklingendsten der Lyrischen Römer allen Wohlklang ab, alle Barbarei zu: Hr. Klotz also sollte Horazens Lyrischen Wohlklang retten; allein – er hat ihn nicht gerettet. Er wiederlegt Harduin durch Citationen, und durch einige schale Beispiele, daß dieser und jener Vers bei ihm ein Echo seines Sinnes sey; allein wem war an Etwas gelegen, was Stümpern oft mehr glückt, als Dichtern, wenigstens jene oft [341] gnug übertreiben. Er hätte uns auf den, dem Horaz eigenen, Lyrischen Wohlklang aufmerksam machen, in diesem und jenem Sylbenmaaße die Lieblingsgänge Horaz bemerken sollen, nach denen er die Worte stellet, und sich einen Perioden schaffet. Einmal wäre es Zeit, daß ein Deutscher Dionysius es entwickelte, wie das allgemeine Ding, was wir Periode nennen, nur eigentlich Reden zukomme, und daß übrigens, so wie jede Gattung des Vortrages, so auch jedes Hauptsylbenmaaß der Dichtkunst, gleichsam seinen eignen Perioden von Vinktur, Junktur, und Concinnität, das ist seine eignen Wortbindungen, Verschränkungen und Wohlklänge habe, worüber sich, wer sich wie Klopstock auszudrücken wüßte, bei Horaz gewiß zuerst die angenehmsten Betrachtungen machen ließen. An so Etwas hat Hr. Klotz nicht gedacht.

Fußnoten

1 p. 77–82.

2 p. 69.

3 p. 93.

4 p. 94.

5 p. 112.

6 p. 122.

7 p. 51. 52.

4.

Und hat überhaupt mit seinm bisherigen Horazischen Schriften wenig zum Behufe des Poetischen Lesens, zum Lesen Horaz in Horaz Sinne beigetragen. Einzelne Bilderchen, etwa ein sectis in iuvenes unguibus, ein Oscula quae Venus quinta parte sui etc. hat er mit Gefühle des Schönen aus einander gesetzt; mit der Methode, mit dem Geschmacke überhaupt, zu dem seine Schriften führen, Horaz zu lesen, bin ich um so weniger zufrieden.

Seine Schrift, de felici audacia Horatii, 1 (die, eine Menge frostiger Allgemeinsätze 2 abgerechnet, eine seiner besten Schriftchen, und mehr als ein specimen Academicum ist,) diese Schrift, sage ich, ist, so sehr sie sich mit ihrer schönen Critik selbst vorzeigt, für mich kein Muster des Geschmacks, Horaz zu lesen. Sie ist nach [342] dem Fachregister des lieben Batteux gezimmert, wie man bei einer Ode Sprung, Abreißung, Umschweifung, Anfang und Ende, u.s.w. bemerken und sich abstecken müsse, 3 eben als wenn Horaz je nach solchen Absteckungen, wie über ein Schulthema, gearbeitet hätte. An sich ist solch Fachwerk, eine solche Topik der Ode, immer gut, so fern es nur den Bemerkungsgeist bei einzelnen Oden stärken will. So bald es aber ordentliches Gerüst, und nothwendige Erklärungsart der Ode wird: so ists mir zuwider. Ich weiß, daß ich hier gegen die Mode schreibe; denn seit einiger Zeit zirkeln wir Deutschen kein Gedicht so gern ab, als eine Ode, so wie die Franzosen ihr Drama nach allen drei Einheiten nur abzirkeln können; und das heißt denn die Manier Horaz. Und ich kenne keine Manier, in der Horaz mehr zerrissen, und seichter nachgeahmt werden könnte, als diese. Ich habe angefangen, die Stellen Horaz, die hinter jeder Klotzischen Rubrik: abgerissener Anfang, Sprung, Digression, u.s.w. stehen, aufzublättern; ekelhaft aber ward mir mein Aufblättern bald, und ich verlohr oft dabei den Sinn meines lieben Horaz. Ich schlug das Buch zu, und lernte aus Erfahrung, daß Horaz auf keiner Tortur mehr könne gedehnt und gemartert werden, als auf solchem Regelngerüste.

1. Abrupta carminum initia. Wie? wenn es hier Gesetz der Horazischen Ode würde: 4 arripit lyram poeta, nec quaerens verba, quibus ordiatur carmen, non sollicitus, quam formulam primo loco ponat, quodcunque ii, quibus excitatur, motus verbum suggerunt, eloquitur – welcher unförmliche Parenthyrsus würde unsere Horaze bezeichnen. Nur von wenigen Horazischen Oden kann man eigentlich diese plötzliche Abgebrochenheit des Anfanges sagen, und bei jeder, wo sie sich findet, hat sie eine Art von Besonderheit in ihrer Ursache. Das so oft mißbrauchte: quo me, Bacche, rapis? ist kein allgemeines Gesetz, es ist ein einzelnes, [343] und darf ich sagen, sonderbares Beispiel. Der Poet dichtet die ganze Ode durch eine förmliche Trunkenheit: voll seines Bacchus in Hölen und Wälder getrieben, weiß er selbst nicht, wie ihm geschieht: sein Geist schwebt umher, oder vielmehr wird hinweggerissen, nichts Kleines, nichts Sterbliches zu singen und – er singet August. Schöne Lobeseinkleidung; wie Plato seinen Sokrates vom trunkenen Alcibiades loben läßt: so kann hier der trunkene Flaccus dithyrambisiren; es stimmt mit dem ganzen Tone der Ode. In Absicht auf diesen ist der Anfang nicht abgebrochen, weil alles in der Ode abgebrochen, hingeworfen, trunken ist: ja, die ganze Ode, kurz und bündig, ist ein abgebrochnes Stück eines Poetischenενϑεϊσμου. Nun komme ein nüchterner Classifikateur, und mache ihn folgendergestalt zum locus communis: 5 Poeta admiratus egregia facta Augusti, atque plenus hac cogitatione, Augustique magnitudine excitatus sibi a Baccho abripi videtur, so ist die Harmonie der ganzen Ode zerstört. Welcher Zusammenhang, die Thaten Augusts bewundernd überdenken, und vom Bacchus fortgerissen werden? Nüchterne Trunkenheit! Unhorazischer Horaz! Nein! mein Römer berauscht sich nicht Gesetzmäßig, um Augustus zu singen: er singt August, weil ihn Bacchus treibt, weil er sich begeistert fühlt. Das Lob des Kaisers verliert alles, wenn es ein studirtes Lob ist: es ist also nur ein hingeworfner, mitten in der Begeisterung gefühlter Gedanke, und Horaz folgt seinem Bacchus weiter, ohne an August zu denken. Die Klotzische Erklärung des Anfanges ist also nüchtern, sie ist wider den Ton der Ode.

Ich lasse mich auf die übrigen Beispiele nicht ein; sage aber nur so viel: Jeder unvermuthete Anfang scheint abgebrochen; so bald aber der abgebrochene Anfang merkbar wird, und den Ton der ganzen Ode überschreiet: so ist er keine Schönheit mehr, er ist ein Fehler der Ode. Er frappirt nicht mehr angenehm, sondern er [344] bestürmet unser Ohr entsetzlich. So sind die neuern Horazianer oftmals; sie fangen an, als wollten sie mit ihrer Ode den Olymp bestürmen, und siehe da; sie liegen im Sande. Zevs niest, esblitzt! fieng jener an, und ich – wünsche ihm, sich auszuniesen.

Kein Anfang also kann ohne den Ton des Ganzen in Betracht kommen: kein abgerißner Anfang an sich ist ein Zeichen der Kühnheit, wenn er nicht verfolgt, wenn er nicht ausgeführt wird. Und eine durchhin ausgeführte Abgebrochenheit der Gedanken hat Horaz nur bei wenigen Oden: etwa, wo eine Dichtung, ein Gesicht, (II. 19. Epod. 7.) ein schneller Vorfall, eine auffodernde Stimme dazu Gelegenheit giebt. Und solche Oden unterscheiden sich durchaus im Ganzen.

Andernfalls macht Horaz solche schreiende Anfänge sich wohl nicht zur Gewohnheit. Die mehresten seiner auch erhabnen Oden fangen sich mit einer langsamen Gesetztheit: seine lehrenden Oden ruhig: und seine Oden der Freude meistens sanft an. Wo in der Ode: quis desiderio sit pudor aut modus etc. der kühne abgebrochne Anfang sey: 6 sehe ich nicht. Was ist sanfter und beinahe Elegisch, als wenn einGleim um seinen Stille anstimmt:


Wer mäßigt sich in so gerechtem Leide?
Der meine Freud' und aller Menschen Freude,
Der Musen Ehre war,
Der ist nicht mehr!

Die erhabensten, die kühnsten der Uzischen Oden fangen sich mäßig an: nur denn ist der Anfang abgebrochen, wenn etwa ein Lyrischer Ueberfall, ein Lyrisches Blendwerk uns bereitet werden soll, und das ist meistens kurz, außerordentlich. Die abgebrochne Hymne des Callimachus ist ενϑεϊσμος, und die vortreflichsten Pindarischen Oden sind dem Anfange nach sehr gesetzt, und mäßig. Ich kenne keine Regel, die als locus communis von Horaz abgezogen, und ohne Verbindung zum ersten Stücke seines Lyrischen[345] Odenbaues erhoben, auch abgebrochner, das ist halbirt und mehr zu mißdeuten sey, als die: »er schreit abgebrochen, ohne erst Worte zu suchen, auf!«

2. Longae digressiones. Ein neuer Canon der Horazischen Ode, und oft ein sehr mißbrauchter Canon. Meistens liegt in Horaz bei dem Anscheine einer solchen Digression was Wichtigers zum Grunde, was er mitnehmen, aber nicht zum Gesetze, sondern nach der Individualsituation seiner Ode so mitnehmen wollte; oft ists auch wirklich keine Digression, was wir so zu nennen belieben. Horaz ermuntert den Thaliarchus zur Frölichkeit: sey gutes Muths, und permitte divis cetera, qui simul stravere ventos etc. Wer kann sich nun den Erklärer so einfallend denken: 7 Permitte divis cetera. Hic desinere poterat poeta. Ad sensum nihil requirebatur amplius. Poëtae vero vividum ingenium, dum deos cogitat, statim descriptionem aliquam immensae potestatis deorum praebet. – Was kann Präceptormäßigers gesagt werden? Ich sehe Horaz, wie einen Schulknaben über sein Thema arbeiten, und den Lehrer darneben: gut! gnug! der Verstand ist aus: zum Thema wird nichts mehr erfodert; aber nun! eine kleine Amplification. Permitte Divis cetera war das letzte: Götter also – wie können Götter etwa umschrieben werden? fällt deiner lebhaften Einbildungskraft – – O des armen Horaz! Wenn Thaliarch zur Freude ermuntert werden mußte, was natürlicher, als daß er mißvergnügt war, daß er Unglück hatte? Und was für ein Poetischer Bild vom Unglücke, als Sturm, Seesturm? Und was für ein paßlicher Bild in das Ganze dieser Winterode? Wer fühlt nicht sein Caminfeuer mit doppeltem Freudenschauer gleichsam, wenn der Wind um die Fenster raset, wenn man sich Seestürme dabei gedenkt, wenn von Meersgefahren daneben erzählt wird? Wo ist hier die mindeste Digression vom Thema der Ode?

[346] Es ist keine Digression, 8 wenn Horaz in seiner zweiten Ode eine kurze Beschreibung der Zeiten Deukalions giebt: denn so sollen die damaligen Schreckwunderzeiten in Rom gedacht werden. Er vermehrt also das Grausen im Zurückdenken an sie, wo ers nicht durch ihre eigne Schilderung thun konnte, durch ein ausgemaltes Gleichniß alter, grauser, schrecklicher Zeiten. Die Empfindung, der Ton der Ode wird mit dem Zuge der grausen Unordnung verstärkt, und ist das Digression? Nur ein Gefühlloser Scholiast konnte schreiben: leviter in re tam atroci, & piscium, & palumborum meminit; denn ihm fiel nichts, als das Gericht Fische und die Tauben, ins Gesicht; wenn Hr. Klotz aber das Grausen des Andenkens an Zeiten fühlt, wo Fische auf den Gipfeln der Bäume schwimmen, und die armen Waßerscheuen, furchtsamen Tauben Angstvoll in den Fluthen arbeiten: so sollte er nicht den Scholiasten nachschreiben.

I. 34. Vbi currum Iovis memorat, soll Horaz eine Digression machen? 9 Und wer wüßte denn nicht, daß hier die eine, oder die andere Erklärung der Ode angenommen, der Donnerwagen Jupiters das Bekehrungsmittel des Horaz, folglich nach jedem möglichen Sinne der Hauptgegenstand der Ode ist? Ists denn Digression, ein Donnerwetter zu beschreiben, wenn der gerührte Dichter sich hinsetzt, es zu beschreiben; oder gar, wenn es seine ganze Denkart ändern kann? Ich denke: eine Ode aufs Ungewitter, ohne Ungewitter, ist nichts.

I. 22. Vbi lupum, qui ipsi pepercerat, nominat. Digression? 10 Eben das Abentheuer mit dem Wolfe ist ja die Veranlassung der Ode: eben darüber macht ja Horaz die Poetische Bemerkung, mit der er anfängt: und eben darüber faßt er ja den Poetischen Entschluß, mit dem er endigt. Es ist doch grausam, uns vor sehenden Augen den Mittelpunkt des Zirkels zum Berührungspunkte der Tangente machen zu wollen.

Was soll ich die weitern Citationen eines Commentators nachschlagen, der sein Gefühl darüber verläugnet, was Hauptgegenstand, [347] was Hauptton der Ode sey oder nicht? wer kann mit einem solchen darüber einig werden, was Digression sey, quod ad argumentum pertineat, nec ne? Hr. Kl. hat schon zu einer andern Zeit 11 Gedanken über die Digression, und zwar bei dem Poeten, in dem sie am merkbarsten wird, bei Pindar geäußert, die mich beinahe verzweifeln lassen, daß ich Pindar kenne, und den Plan seines ειδος studirt habe. Ich habe zwar nicht den Leisten des Rückersfelders, noch die Schuldisposition des Erasmus Schmid; aber auch gewiß nicht die Digressionen in ihm gefunden, die Hr. Kl. Rückersfeldern vordemonstrirt.

Non recte Vir Cl. intellexisse videtur naturam & originem digressionum illarum Pindaricarum. Schön! unser Vir Cl. setzt sich also zurecht, dem Niederländer die Natur, und den Ursprung Pindarischer Digressionen zu erklären.

Odam, quae hoc nomine digna sit, Pindaricam animo valde commoto oriri, facile mihi dabunt, qui vel legerint eiusmodi carmina. Und wenn ich auch durch den Trumpf, den Hr. Kl. auf seine Behauptung setzet, für einen Unwissenden in Pindar gelten müßte: so kenne ich keine, ich sage mit Fleiße keine Ode in Pindar, die zu ihrem Charakter hätte, aus einergerührten, erregten, sehr erregten Seele zu entspringen. Als einen hohen, erhabnen, fliegenden Geist, der, nach seinem eignen Bilde, die höchste Blüthe jeder Poetischen Schönheit bricht, kenne ich meinen alten Pindar wohl; aber eine erregte, sehr erregte Seele, die dieses erregten Zustandes wegen auf Digressionen ausschweift? – Ich zucke die Achseln! nur ein größerer Kenner Pindars, als ich, kann grandes affectus 12 zum Charakter Pindars, zu seinem Unterschiedscharakter von David machen.

Quid cantavit Pindarus, certe in iis, quæ ad nostram ætatem pervenerunt, carminibus? vnum idemque est omnium argumentum: victoria e ludis reportata. In his quomodo poterat & [348] varietatem adhibere, & fastidio occurrere, nisi liberius hanc rem tractaret etc. 13 Der alte lahme Tröster von Entschuldigung! Freilich, wer seine Gesänge blos aus der Ueberschrift: Ολυμπιονικαι, Πυϑιονικαι, Νεμεονικαι, Ιστμιονικαι, der kann Pindar herzlich beklagen, daß er über solch eine Kleinigkeit so viel habe leiern, und ihm schon im Voraus Ablaß ertheilen, wenn der arme Leiersmann hat ausschweifen müssen, um doch Etwas zu sagen. Wer aber die Griechischen Zeiten, und das National- und Stadt- und Familien- und Personalinteresse der Griechischen Spiele und Sieger kennet, der wird jede Pindarische Ode für nichts, als wofür sie Pindar giebt, für ein Individualstück halten: ein ειδος seines Siegers, ein Bild desselben nach Griechischen Begriffen, und o! welch ein Thema ist je reicher, als ein solches Individualthema! welch Thema reicher, als das Lob eines edeln Griechischen Jünglinges, eines Helden, eines Siegers! und von allen seinen Lobwürdigen Seiten! und nach jeder Aussicht Griechischer Schätzbarkeit! Hier ein National- dort ein Familien-dort ein persönliches Lob! – Wer kann nun mit dem, der das Hauptthema Pindars in seinen Zeiten, und in seinem Individualfalle für eine wüste und wilde Ausschweifung seines aufgebrachten Gehirns hält, wer mag mit dem weiter über eine Digression streiten? einzelne Exempel untersuchen? Wer das ganze Pindarische Gesanggeschäfte für ein Poetisches Exercitium hält, eine abgedroschene Materie, einen Spielkämpf, einen Wettlauf, ein Ballschlagen; denn was ist jenes mehr? neu ausgeziert, schön variirt, prächtig amplisicirt in Verse zu zwingen: dem Kenner Pindars ist erlaubt zu schreiben: 14 Nempe, si quid videmus, de tota re ita iudicandum est: Exornandi argumenti causa adsumere Pindarum plerumque ea, quae cum illo aliquo modo conjuncta sint: interdum verecunde (welch ein Präceptorurtheil!) in his versari & modeste, saepius audacius, liberiusque euagari, atque etiam, quae longius petita sint, non tam [349] adducere, quam trahere (wie ungleich wäre Pindar dem Vorbilde seines Gesanges, dem edeln Jünglinge, der gewiß ja die kürzeste Bahn nahm!) diutius etiam interdum in iis morari, quam reliqua pati videantur, sed habere poetam non solum excusationem necesitatis – – Ich schreibe nicht weiter. Für solchen theuren Schulpindar mit allen seinen Digressionen danke. Vielleicht wird mir ein andrer Ort Muße geben, den edlen Griechischen Pindar zu zeichnen, den man so sehr verkennet: und da auch die Horazischen Oden mitzunehmen, die ich in Pindars Manier glaube.

III. Saltus in carmine ab alia re in aliam. Mich dünkt, der Verfasser wird selbst den Spott, über die so genannte scientifische Methode, 15 hier nicht für Ortmäßig, und seine Beispiele nichts immer für die gewähltesten halten. Der Ton der ganzen siebenden Ode wird zerstört, wenn man sie in der Paraphrase des Verfassers lieset. 16 Wie? Horaz wollte es dem Plancus vorraisonniren, daß zuverläßig Rhodos, Mitylene, Corinth, und eine ganze Geographie schöner Gegenden, nicht so viel Reize habe, als die Tiburtinische villa des Plancus: das wollte mein läßiger Horaz behaupten wollen? Nichts minder! er läßt jedem Orte seine Vorzüge: er läßt jeden, was er will, loben: »mir gefällt meine villa, und auch Du sey in deinem Tibur vergnügt: es wird schon alles gehen: alles Schlimme schon mit der Zeit besser werden.« Ich sehe hier keinen Poetischen Sprung, keine Stapelgerechtigkeit der Ode; es ist ein Politischer Uebergang, die artige Wendung eines Hofmannes, der sich nach seinen Zeiten richtet – Wer wollte daraus einen locus communis der Odenkühnheit machen?

Weiter hin will ich nicht nachsuchen. Ich sage überhaupt, daß ich nur meinen Horaz selbst in seiner Lyrischen Kühnheit nicht nach solchen Allgemeinfächern will zerhacken lassen, so sehr sie unter uns (Hr. Kl. hat einige Wortmäßig aus Batteux übersetzet 17) Mode geworden. Seit dem wir in Deutschland diese künstliche Odenform [350] mit ihrem abgebrochnen Anfange, und ihrer schönen Digression, und ihrem künstlichen Sprunge, und ihrer künstlichen Unordnung, und ihren schönen Strophenübergängen, und artigen Enjambements recht Handwerksmäßig geformet und gegossen: seit dem ist wenig Neues im Geiste hoher Oden erschienen. Glückliche Theorie von der hohen Kühnheit eines Dichters, die uns das eigne Gefühl solcher Dichterkühnheit einschläfert.

Fußnoten

1 Opucc. var. argum. p. 114.

2 Audacia et fertilitas scriptoribus tributa: audacia poetis necessaria: etc.

3 p. 130–40.

4 p. 130.

5 p. 131.

6 p. 132.

7 p. 135.

8 p. 136.

9 p. 136.

10 p. 136.

11 Klotz. act. litter. Vol. I. p. 122.

12 Klotz. act. litter. Vol. II. p. 151.

13 Klotz. act. litter. Vol. I. p. 124.

14 Klotz. act. litter. Vol. I. p. 128.

15 Opusc. p. 137.

16 p. 138.

17 p. 130. 135. etc. conf. mit Batteux Einleit. 3. B. p. 20. 21.

5.

Der zweite Abweg, Horaz zu lesen, ist, wenn sie Hauptgeschmack wird, die Parallelenmacherei. Hr. KI. darf nur ein großes Bild, einen gefallenden Gedanken in einem Dichter finden: so steht ihm bald ein andrer, und noch ein andrer, und endlich so viele andre zu Dienste, daß der vorige Gedanke glatt weg ist. Nun ist eine solche Arbeit bei einer mäßigen Belesenheit, oder einem mäßigen Gebrauche von Registern, Anthologien, Florilegiis, und wie die Sammelplätze mehr heißen, ziemlich leicht: sie kann auch bei Anfängern, oder bei dunkeln, verdeckten Stellen manchmal nutzbar seyn; im Ganzen ist sie verderblich. Schade um die Schönheit, die ich erst aus hundert Vergleichungen schön finden soll: Schade um die Schöne, die mich erst durch ihren Namen reizet, die mir nur denn gefället, wenn sie neben andern stehet. Der Anblick, das innere schnelle Gefühl eines Poetischen Bildes muß das Herz entwenden: wer blos durch Vergleichungen, durch Parallelen Empfindung bekommt, dem schadets nicht, wenn er keine habe.

Das schönste Bild eines Autors muß mit den Worten, an der Stelle, das schönste seyn, da ers saget, da es stehet: eine Blume, die in ihrem Erdreiche die natürlichste, die schönste ist. Man wurzle sie aus, man verpflanze sie unter zehn andre Gattungen ihres Geschlechts, aber nicht ihrer Art, ihres Himmelstrichs, ihres Bodens, und man hat [ihr] ihren Platz, ihre Natur, ihre beste Schönheit genommen. Jede Gattung der Poesie, jeder eigenthümliche [351] Zweck giebt auch dem Bilde Geist und Leben, nicht blos Colorit und Gewand: man reiße es aus seinem Orte, aus seiner Verbindung, aus seiner Localwirkung, und es ist ein Schatten. Immer ists ein Verderb der Dichtkunst gewesen, aus ihr Anthologien zu sammlen, und fast immer ein kalter Gebrauch des Dichters, ihm einzelne Federn zu entrupfen, sie mit andern zusammen zu legen: da wird, nach der alten Fabel, die weißeste Schwanfeder von der struppichten Adlersfeder verzehrt.

Ich könnte zehn gegen ein Beispiel meines Autors über diesen Parallelengeschmack anführen; denn es ist ja sein allerliebster Geschmack. Und für mich immer der kälteste. Solche Bilderchen an sich sind Spielwerk: so hinter einander gestellt, wer mag sie lesen? Er ist auch sehr unsicher. Der Epische Dichter giebt seinem Gedanken ein Episches, der Lyrische ein Lyrisches, der Dramatische ein Dramatisches Gewand: jede Zeit, jede Sprache, jeder Zweck giebt dem Bilde wieder seine eigne Farbe. Nun flicke ein belesener Mann von Geschmacke eine Reihe solcher Bilder ohne Absicht und Zweck an einander – ein Bettlerrock! ein Harlekinsputz! Er ist auch selten weder erläuternd, noch Poetisch. Ich könnte Beispiele geben, wie weit man uns mit solchem Geschmacke wegerläutern, und vom Tone des Poeten fortleiten könne. Man wird nie das Ganze eines Dichters, eines Gedichts recht innig fühlen, recht mit seiner Seele verfolgen, wenn man an Stellen klebt. Mitten im Sonnenlichte wird man blind, wenn man mit einer Menge Lichter, Lampen, Fackeln, Kerzen kommt, unter dem Vorwande, daß eine Reihe solcher Blendwerke hinter einander doch recht schön lasse. Recht schön für den, der Lust hat.

Noch weniger kann ein Genie mit der Geschmacksvollen Erklärungsmethode zufrieden seyn, die ich den edlen Gemmengeschmack nennen will. Ich lobe die stillen, die edlen Verdienste eines Lipperts um den Geschmack an den Antiken in Deutschland; aber Hr. Kl. sollte kaum der Lobredner desselben seyn: durch das Beispiel seines eignen Gebrauchs lobt er ihn schwerlich. Welcher leidige Kram der meisten Gemmengelehrsamkeit in den Klotzischen Schriften! [352] Selten, daß er eine wichtige Stelle neu erläutert: oft, daß er müßig da steht, und oft, daß wir ihn gar wegwünschen; denn er bringt uns aus dem Poetischen Tone des Ganzen. Der Cupido, der als Künstler vor dem Kopfe des Sokrates, Plato, Horaz sitzt, schnitze ihn, nur er verstümmle ihn nicht, er schone ihm Nas' und Wange.

Ohne baß man mirs vordemonstrire, erkenne ich den vielfältigen, nutzbaren Gebrauch der geschnittenen Steine, und wünschte bei der Klotzischen Schrift, daß nicht blos der Nutzen der Lippertschen Daktyliothek so obenhin (denn das mehreste neue Nutzbare dieser Schrift wird man bei Lippert selbst, und vielleicht edler und einfältiger finden) sondern in manchen Proben so gezeigt wäre, wie Demokrit die Bewegung demonstrirte: nämlich, ich bewege mich selbst! Aber das müßte uns Hr. Klotz doch nicht bereden wollen, daß bei Lesung der Dichter der Anblick der Gemmen uns eigentlich Poetischen Anblick gewähre. Eine Hauptfigur, eine Stellung, etwa ein Charakter, so fern er sich körperlich äußert – das kann die Kunst schildern. Aber dem Dichter, dessen Blick immer aufs Ganze geht, wie der freie Blick der Juno, der mit jedem einzelnen Bilde. nur auf die Hauptwirkung seiner Energie fort arbeitet: der nicht für das Auge artige, spielende Figuren und Puppen, und Bilder und Tändeleien, (wohin unsre Zeit verfällt:) sondern für die Seele, für die Einbildungskraft, für den Verstand, für die Affekten feurige Gedanken reden will, dem berührt sie nur immer den Saum seines Kleides. Will sie sich an ihn hängen:, soll ich bei jedem Bildchen Homers, Pindars und Horaz erst nachsehen, wie denn dieser und jener alte Künstler das Figurchen gebildet: soll ich hier lange Klotzische Compilationen durchlaufen, wie es von einer andern Seite aussehe – hinderndes Säumniß! es hält den Dichter auf, und zerstückt ihn mit seinen Erläuterungen; oder dieser gewaltige Läufer reißt sich los, und eilt zu seinem Ziele unaufhaltsam: der Gemmenzähler aber – da liegt er Längelang auf dem Rücken!

Insonderheit bitte ich für den Poetischen Jüngling im ersten feurigen Lesen eines Dichters: daß man ihn doch da nicht mit schönen Münzerläuterungen und Gemmeneinsichten in dem Poetischen [353] Laufe seiner Einbildungskraft störe! daß man ihn doch nicht jeden Augenblick zurück halte, um doch ein Steinchen zu bemerken, und ihn vom süßen fortwallenden Traume seiner Lieblingsidee zu wecken, und die unaufhaltsame Ergießung seiner Seele augenblicklich zu verstopfen. Ich mag nicht Caylus in der Hand haben, wenn ich Homer lese, und noch weniger wünschte ich, ihn zur Hand gehabt zu haben, da ich ihn das erstemal las. Hr. Kl. 1 freue sich in der Idee, wie schön sich Virgil mit allen Erläuterungen aus geschnittenen Steinen müsse lesen lassen: ich will ihn mir nicht so vorlesen lassen. Für mich liegt Horaz unter dem Klotzischen Commentar, wie jener Riese unter einem Berge voll Lava und Steine: ich finde seine Glieder zerstückt und zerstreuet, wie die Glieder jenes Absyrthus. Ists denn nicht einmal Zeit, Gelehrsamkeit, Belesenheit und Kunstgeschmack schätzen, und doch die Schranken ihres Gebrauchs bestimmen zu dörfen?

Damit der nicht ein Barbar heiße, der so etwas sagen darf: so rede der Quintilian Deutschlands, der gelehrte Geßner: 2 »Seit dem die aus den Quellen selbst geschöpfte Gelehrsamkeit abzunehmen anfing; die seltner wurden, die jede Gattung alter Schriftsteller selbst nachschlugen; noch aber solche übrig waren, die etwa Einen derselben kennen und verstehen mochten: seit dem entstand das Auslegergeschlecht, das aller Orten her, aus Gedächtniß- und Denkmaalen zusammenschleppte, was nur etwa zur Erläuterung desselben dienen könnte; so daß die, denen der übrige Vorrath von Gelehrsamkeit fehlte, die sich nicht alles selbst verschaffen konnten, was zur Erklärung seines Sinnes gehörte, durch die Arbeit andrer unterstützt, nichts missen dörften. – – Bei Wiederauflebung der Wissenschaften fanden sich Gelehrte, die durch weitläuftige, und nach dem Geschmacke der damaligen Zeit, weit [354] und breit belesene Vorlesungen die alten Schriftsteller erklärten. DesMancinelli, Pomponii, Beroaldi, Calderini, Ascensii Vorlesungen wurden mit großem Fleiße gehöret, und noch jetzt füllen ihre Bände ganze Bibliotheken. Vor andern ist hier die Mühsamkeit des Nic. Perotti. bekannt, der, um Ein Buch Martials zu erklären, ganze Schätze Lateinischer Sprache und Gelehrsamkeit ausschüttete, und ein Cornu copiæ gab, aus dem fast alles gesammlet werden kann, was man jetzt aus Wörterbüchern sammlet, und aus dem sich auch die Wörterbücher sehr bereichert – – Nachher gab Salmasius uns sein ungeheueres Werk über den Solinus; in dem er aber weder mit Gelehrsamkeit, noch Digressionen Maß wußte u.s.w. – – Dieser Gewohnheit folgen oft die Lehrer der Philologie; die zur Erklärung eines Buchs, so viel sie nur können, den größten Apparat von Gelehrsamkeit zusammentragen, und nichts unangeführt lassen, was sich nur einiger maßen, auch nur durch Umschweife, dahin wohl könnte ziehen lassen. Fehlen einigen hiezu eingesammlete Hülfsmittel – ei! die nehmen die Commentarios anderer, Wörterbücher, und solche Tröster zu Hülfe, und wissen es so weit zu bringen, daß man ihre Aufsätze für große Schatzkammern ansehe. Mögen sie doch! (Neque carbones esse dixerim equidem, sagt Geßner: wer will, sage es nach) oft aber kann man sich solchen Reichthum mit minderm Zeitverluste sammlen.« Statt zu deuten, fahre ich in Geßner fort: er redet jetzt eigentlich vom Zerbröckeln eines Autors in der Schule; allein der Schade ist überall derselbe.

[355] »Wir wollen uns also einmal die Fabel jenes von seiner Schwester zerstückten Absyrthus gedenken, und sie uns vorstellen, daß sie ihren Bruder nicht Glieder- sondern Gelenkweise zerhacket, und hier ein halbes Auge (die andre Hälfte liegt weit ab!) dort die Hälfte vom rechten Ohre, hier den dritten Theil der Nase, dort ein Stück vom Augenbraune u.s.w. hingeworfen, alles weit aus einander geworfen hätte: wie doch? hätte der Vater auch wohl argwöhnen können: das sey sein Sohn? Eben so wenig, als ein der Optik Unerfahrner eine Anamorphose sich wird sammlen, und recht vors Auge bringen können. Ists aber nicht eben so mit der heutigen Erläuterungsmethode der Classischen Schriftsteller? jedes einzelne Wort erklärt, die Perioden aus einander gezogen, jeden vierten Tag, ein kleines Pensum auf die Art in kleine Brocken zerstückt. Ists möglich, daß ein Jüngling auch von Seelenkräften, und gutem Gedächtnisse, diese mit Erklärungen überladnen und ausgedunsteten Theile, sich so gegenwärtig erhalten, sie so verbinden könne, daß ein Körper, ich will nicht sagen, ein schöner Körper; nein! nur allenfalls ein Körper, daraus werde; daß er nur, was er lese, behalte, und darüber Rechenschaft gebe.« Geßner giebt Beispiele, die eigentlich nicht für mich gehören; ich erinnere meine Leser daran: wie oft es möglich sey, solchergestalt seinen Schriftsteller so ganz aus dem Gesichte zu verlieren, daß man endlich nichts minder, als ihn, erläutert, anführet und kennet. Er fahre fort:

»Auch daher, oder ich müßte mich sehr irren, auch daher unter andern rührt der stupor pædagogicus, der fast zum Sprichworte geworden, daß man Leute sieht, die einen guten Theil ihres Lebens unter den weisesten Geistern von der Welt zubringen, und [356] doch daher nichts, als Worte, mitbringen; statt ihnen gleich zu werden; statt, wie sie, denken, schließen, reden zu lernen. –

Um so minder kann jemand bei solcher Langsamkeit von der wahren Gestalt und Schönheit eines Buchs einen Eindruck bekommen: denn, je lebhafter, um so verdrüßlicher wirds ihm seyn, sich zu bewegen, und nicht weiter zu kommen (se movere quidem, sed non promovere) insonderheit da er, der Umschweife wegen, eine Stelle, ein Bild zwei, drei, viermal hören mußte.

So wie aber bei solcher Zerstückung und Zertheilung der Begriff der Sache verlohren geht: so ermattet, oder erlöschet auch die Lust zu lesen, die sonst vorzüglich dadurch erhalten und angefeuert wird, daß wir zu Ende eilen, daß wir den ganzen Verlauf zu wissen verlangen. Schon dieser Reiz macht, daß Leute, die sonst übrigens keine Lesesucht haben, einen Telemach, Robinson, Gulliver gleichsam verschlingen, und sie nicht weglegen, ehe sie zu Ende sind; ein Homer, Virgil, Plautus, Terenz, Ovid, Sueton, Curtius hingegen, eben so angenehme Schriftsteller, erregen der Jugend Schauder, weil sie nie ein beträchtliches Stück, gleichsam in einem Othem weglieset, um vom ganzen Körper zu urtheilen, um durch die Erwartung des endlichen Ausfalles angefrischt zu werden. – –

Und gewiß durch ein so stätiges, mühsames und ängstliches Lesen wird man kaum die Alten verstehen lernen. Wenige Worte haben einen so gewissen und bestimmten Sinn, daß sie überall Einerlei bedeuten: aus der Nachbarschaft, aus dem Zusammenhange der ganzen Rede, aus der Reihe der Sachen, bekommen sie [357] ihren Werth; anderswo, im Munde andrer Personen, in andrer Materie bedeuten sie anders. Um dies überall zu verstehen; um es sogleich zu erreichen, nicht, was ein Wort bedeuten könne, sondern bedeute, kann nicht anders, als durch vielfaches Fortlesen vieler Bücher, geschehen u.s.w.«

Geßner redet noch weiter vom Schulgebrauche fort: ich will nur hinzusetzen, daß, wenn kaum der Wortverstand, kaum der gewöhnliche historische Sinn bei solchen Commentarien und Erläuterungen erreicht werde: ei der erste feurige schnelle Anblick, der da bildet? ei das Poetische Auge, das mit einem Adlersblicke aufs Ganze, und vom Ganzen auf Theile hinläuft? ei der edle unnennbare Sinn, der allen fremden Plunder wegwirft, und hinzueilet, das nackte ganze Bild vom Geiste eines Autors zu umarmen, zu lieben, anzubeten? Ei der? –

Er höre den süßlallenden Autor: 3 »Wenn man einem jungen Menschen, dem die Natur eine feine Seele und ein empfindliches Herz gegeben, diese Steine zeigt, erklärt, und sie mit den Homerischen Versen vergleicht, welche Früchte kann man sich nicht von einem solchen Unterrichte versprechen! Die Erzälung geht selbst in Handlung über: wir glauben nicht mehr die Geschichte zu lesen, wir sehen sie selbst mit an: wir wohnen den Auftritten bei: in der Einbildungskraft versetzen wir uns nach Troja, in das Griechische Lager, und schauen die unsterblichen Helden von Angesicht. Auf diese Art fühlen wir das Nachdrückliche, das Erhabne, das Schöne der alten Dichter doppelt, und ein zartes Gemüth nimmt einen Eindruck an, den es beständig behält, und der sich in den edelsten Wirkungen äußert. Seitdem ich den Neptun gesehen, wie ihn die Göttliche Kunst eines alten Steinschneiders abgebildet, hat der Virgilianische Neptun in meiner Einbildung Leben und Seele bekommen. Vier Pferde« – – o wer kann den süßen Ton weiter hören! Das alles, wird der Poetische [358] Jüngling sagen, das alles erst, seit du das Steinchen sahest? So hatte der Virgilianische Neptun vorher nicht Leben und Seele? So gieng bei dir die Homerische Erzälung nicht in Handlung über? Du sahest sie nicht selbst? du wohntest nicht den Auftritten bei? du warst nicht in Troja? im Griechischen Lager? kanntest die Griechischen Helden nicht blos von Angesichte? sondern von Seele, von Seele? sahest sie sprechen, Affektvoll sprechen, handeln, wüten – – das alles sahest du lesend nicht? Nur vom Steine bekamest du Eindruck? O du hättest Homer nicht lesen sollen! bei mir lebte, da ich las – Doch warum wollen wir den Poetischen Jüngling weiter reden lassen? Bei wem wird denn die Schilderung Homers in allen Stellungen, Empfindungen, Reden, Handlungen im fortgehenden Strome des Epos, denn, mit den einzelnen Bilderchen, die uns ein Abdruck gewährt, einerlei Wirkung thun? auch nur zu vergleichen seyn? Und die ganze Poetische Energie Homers? –

Fußnoten

1 Ueber den Gebrauch der geschnittnen Steine hin und wieder.

2 Præf. in Liv.

3 Ueber die geschn. Steine. [S. 144].

6.

Nochmals gesagt: man müsse auch in Poeten den Gebrauch so aller, so auch der Kunstbelesenheit (Kunstkänntniß, Philosophie der Kunst, kann ichs wohl bei Hrn. Klotzen kaum nennen) sehr loben, wo er zu rechter Zeit kommt: aber daß eine Iliade in Steinen mehr, als die in Versen, des Poetischen Anblicks fähig, mehr als jene zur Bildung eines Poeten, oder auch nur zur Poetischen Illusion mit jener gleich energisch sey, das wolle mich niemand bereden. Kunst gewährt Kunstanblick; der ist mit der successionen Energie des Dichters gar nicht einerlei, kaum zu vergleichen, und Herr Klotz fechte immer in der Stille mit dem Schatten des Laokoons, nie zu verwirren. Ich wollte, daß Hr. Klotz durch seine Gelehrsamkeit und Kunsterläuterungen uns nie die Kraft des Dichters, die sich nur fortgehend äußert, gestöret hätte.

Ich schreibe über Horaz: wer will, der höre mich von meiner Erklärungsmethode dieses Dichters schwatzen. Zuerst ist das ausgemacht, [359] daß keiner meiner Horazianer aus Horaz Latein oder Römische Alterthümer lernen solle. Lieber komme ich jedem zuvor: lieber prävenire ich ihn unvermerkt, mit der Welt, in der ich ihn führen will, mit der Sprache, in der der Dichter sprechen wird: unvermerkt suche ich ihm die ganze Situation unterzuschieben, ihm den Pfad von Gedanken und Bildern von weitem zu zeigen, wo wir den Dichter finden werden. Ich fange an: und ohne Bemerkung einzelner Schönheiten, schöner Ausdrücke, gewählter Phrases, jage ich seine Ode hinab; ich fliege mit ihm, oder schwimme den Strom seines Gesanges hinunter. Unlieb, wenn mich mein Zuhörer störte, unlieb, wenn sein Auge an Kleinigkeiten hangen bliebe: denn so würde der ganze Zweck des Dichters, die Art von Täuschung gestört, in die mich sein Gesang setzen soll. Ich bin darinn gesetzt, ich bin zu Ende: das Ganze der Ode, Ein Haupteindruck, in wenigen, aber mächtigen Zügen, lebt in meiner Seele: die Situation der Horazischen Ode steht mir vor Augen, und – mein Buch ist zu. Nicht vom Papiere, aus dem tiefen Grunde meiner Seele hole ich diese wenigen, mächtigen Eindrücke hervor: nur ist die Ode ein Ganzes der Empfindung geworden. Dies bewahre ich: die wenigen zusammenfließenden Züge des Bildes bleiben in meiner Seele: dies ist Energie, die mir die Muse successiv bereitet, sie will ich um keine spätere Divertissements in Klotzischen Commentarien geben.

Das Buch wird wieder aufgeschlagen, und nun habe ich kleine Ruheplätze, Ausschweifungen, Umwege aber nicht. Der Lauf des Dichters ist nur Augenmerk, und wenn ich mir sage: hier war der Gesichtspunkt – wie reich, wie prächtig, wie anlockend! das alles nahm der Dichter ins Auge: so mußte er anfangen, und fortfahren. Jenes und dies kam dem Dichter in seinem Laufe zur Hand, und wie ein Strom, in den sich Ströme stürzen, wälzt sein Gesang sich prächtiger fort. Hier ein Fels: anprallend nahm er andern Weg, oder schlängelte sich durchs geblümte Thal: überall aber der Römer, der Römer seiner Zeit, als –Dichter. Ich sage, wenn ich mir dies jetzt deutlicher entwickle; so um des Gottes willen! denke ich an [360] keine Allgemeinregeln! an keinen Longin und Batteux, an keine Fächer der Odenfabrik. Dieser Römer, und dieser Dichter, und diese Situation, und diese Ode ist mein Alles jetzt. So weit das Odengenie und –

Noch denkts an keine Gelegenheit, selbst – wie? etwa Wortkritiken zu machen? etwa über einen Geßner, eines kleinen Fehltritts wegen, seitenlang die Achseln zu ziehen? etwa die Bentleys und Baxters und Sanadons zu verläunden? – o wer wird noch an so etwas denken? Es denkt selbst noch nicht an – eine Gelegenheit, diese Ode nachzubilden. »Das ist viel!« wird man sagen. Ja das ist viel! und vortreflich, daß es an so etwas nicht denkt. Einst stoße ihm eine Situation auf: Apollo wecke ihn mit der Leier: er wird singen, Horazisch oder – vielleicht mehr als Horazisch singen; ohne aber, daß dem geneigten Leser dabei nichts, als Purpurlappen des Römers, zu Gesichte kämen, ohne ihm die proelia virginum, und die iras faciles und das mea virtute me involvo etwa nachzulallen.

Nun gebe ich ihm einige sogenannte Horatios secundos in die Hand. Er läuft die erste Ode durch: 1 »Ach der ganze Bau derselben schon bekannt; aber eins vermisse ich, Horaz den Baumeister. Freilich sind hier die fontes vitrei und der in nemore obvius Amor, und die gaudia, amantium, und die risus hilares, und die blandi oculi, und die colla lactea, und die mellea basia, und die grata silentia – – alle diese Horazische Blümchen sind hier auf einen Haufen, aber ach! zusammengelesen und verdorret.« Hier äußert sich der ignis insolitus, und die vis in pectore nova dadurch, daß der Dichter sich in seiner ersten Poetischen Wuth – »Nun! nicht etwa den Hals abschneidet, oder sich, wie jener Löwensche Romanzenpoet, mit dem Federmesser in die Augen läuft?« So böse nicht! daß er sich ein Myrthenkränzchen flechtet. »Nichts mehr?« Noch etwas! auf die Recommendation des Amors, (man denke! aber er kannte das Närrchen auch genau: es war der Gemmenamor, [361] alis conspicuus Amor) auf die Empfehlung desselben fängt der, der im Walde ruhig lag, auf einmal an, – seine Lateinische Chloe zu besingen,


ihre schöne schwarze Augen,
ihre süße Honigküsse,
ihre leichte drohnde Minen,
ihre – –

kurz, hundert Dinge, die er auf die Empfehlung Amors so unerhört und ungesehen singen kann, als der Ritter von der traurigen Gestalt seine Dulcinea. Ich sage singen; aber besser:


Die es ihm jetzt beliebt, in Versen vorzutragen,


(juvat dicere versibus.) Und dies beliebt ihm, so oft die stille Nacht anbricht, so oft die Luna ihr schönes Haupt vorstreckt, so oft es der Echo beliebt nachzuseufzen. – Mein unverdorbner Leser Horaz wirst solche Horaze zurück, es fehlt ihnen Eins: der Geist Horaz im Ganzen der Ode.

Wer aber kein Odengenie ist? der soll wenigstens ein Jüngling von Geschmacke werden. So sang der Römer, das ist seine Welt; so wir nicht – wer hat Vorzüge? So sang Horaz: das ist sein Wortbau, seine Lieblingsgegenstände, seine besten Uebergänge, die Composition seiner Gemälde, die Einpflanzung derselben in dies und jenes Sylbenmaaß: dies wählt er jetzt, dies irgendwo anders. Nun endlich – wie ausgesucht Alles! Gedanke, Wendung, Ausdruck, Wort! das ist seine Manier, das ist mein lieber Horaz! – Und wenn mein Jüngling auch von der Kritik Profession machte: wenn ich ihm auch nachher vollständiges kritisches Geräth zur Hand legte, und die vornehmsten Abwege der Kritiker zeigte – niemals weiche er doch aus dem Gleise, aus der Odenillusion des Dichters – – Wie weit sich Herr Klotz mit seinen bisherigen Horazischen Werkchen um diese verdient gemacht, beurtheile ein andrer.

Fußnoten

1 Klotz Carm. Omn. Carm. I.

[362] 7.

Ich schließe, und finde nöthig, folgendes hinzu zu setzen. Freilich habe ich diesmal, statt in Kritischen Wäldern, oft in Kritischen nugis herumwandeln müssen: allein warum schreibt Hr. Klotz solche am liebsten? warum hat er fast nichts, als solche, geschrieben? warum spricht er bei ihnen in so vornehmen Tone? warum läßt man sich von diesem Tone so überstimmen, daß man sie als Offenbarungen Apollo's lobet?

Das muh uns freilich Herr Klotz nicht überreden wollen, daß seine Vorweise, und Lobsprüche auf Homer, daß seine Mythologischen Achtsstralen, daß seine schöne Kunstvorschläge aus unsrer Religion, daß seine Schaamvisionen, daß seine Horazischen Einfälle Etwas, auch nur einen Funken Neues enthielten; blos den mittelmäßigst belesenen Leser kann seine Mine so Etwas überreden. Aber daß alle diese sogenannten Alterthumsschriften voll Fehler und Irrthümer, und durchgängig mit dem seichtesten Urtheile abgefasset sind: das will ich nicht den Leser überreden, das mag er selbst beurtheilen.

Wie ich aber an dies Urtheil komme? Nicht anders, als auf einem sehr erlaubten Wege. Ich habe nicht die Ehre, Herrn Klotz von Person zu kennen, oder mit ihm in einiger Verbindung zu stehen; aber seine Schriftchen habe ich gelesen, überdacht, seicht gefunden, und endlich mich gewundert, daß jemand sie anders finden können. Zwar warum mich gewundert? mich selbst hat beim ersten Lesen die Lateinische Sprache, und die leichte und doch so vornehme Mine blenden können; aber beim zweiten Lesen war der Duft verflogen, und eben die Mine, mit der er seine Schrift über das Studium des Alterthums, seine Münzenschmeckereigeschichte u.s. w. schreiben – die gute Deutsche Ehrlichkeit, mit der so viele diese Mine haben ansehen können; freilich! die, und nichts mehr, hat mich zu einem kritischen Spatziergange in seinen Schriften lüstern gemacht, mit dem ich fortzufahren gedenke.

Ich habe eigentlich nicht für, auch nicht gegen Hr. Klotz geschrieben. Ist aber jemand, der meinen Gründen Gegengründe, [363] und meinen Zweifeln Beweise entgegen setzen will: wohl! mein Name ist keine Sünde, ihn wolle man also nicht errathen, oder weißagen; wenn aber meine Schrift Sünde seyn soll, so bin ich der Erste, sie auf den Ersten Wink zu prüfen; zu verdammen oder zu vertheidigen. Nimmt aber Jemand zu dem elenden Mittel seine Zuflucht, die Sache in Personellvermuthungen, in leere Allgemeinsätze, in Nebensachen, oder gar in die Gegend des Lächerlichen, oder der Pöbelschimpfe zu spielen: so erkläre ich mich, daß ich dies als das sicherste Kennzeichen vom Treffenden meines Urtheils ansehen, und ruhig fortfahren werde. Und überhaupt habe ich zu viel Achtung gegen mich selbst, als daß ich mit dem Verfasser des Anti-Burmannus, des Funus Petri Burmanni secundi, der Rede des Milphio ad compotores, und des Schulmeistergedichts auf den Tod Burmanns, einen gelehrten Streit führen wollte; vielleicht wird das Publikum auch Etwas von der Achtung gegen mich haben, mir einen solchen Streit zu erlassen.

[364]

Drittes Wäldchen

Vorrede
Vorrede.

Ein Kunstrichter soll nicht anders, als ein böses Herz, haben können – ist dies, so wehe dem Verf. der Kritischen Wälder. Er hat mit Grimm und Bitterkeit: er hat, weiß Gott, aus welchen schwarzen Gründen und zu welchen bösen Absichten geschrieben – niger est! – –

Also muß ein Kunstrichter ein böses Herz haben! warum? weil er Fehler aussuchet, und wer Fehler aufsuchet, der – Aber mit einer Erlaubniß! wenn er sie nicht aufsucht, nicht aufsuchen darf, wenn sie ihm in vollem Maaße selbst zuströmen? – Dann sollte er sie bedecken! Fehler bedecken, das thut die Menschenliebe! – Bedecken also? aber wenn sie sich nicht bedecken ließen, wenn sie, bedecket, und mit einem sanften Vehikulum verschlucket, um so schädlicher wären, ists da nicht doppelte Menschenliebe, sie zu entlarven? Doppelte Menschenliebe; denn so wird der junge unerfahrne Leser gewarnet, sie nicht für Tugenden anzusehen und anzunehmen: der fehlerhafte Schriftsteller selbst, wenn er noch zu bessern ist, gebessert, oder wenigstens dahin gebracht, nochmals zu prüfen, auszutilgen oder zu verstärken. Ich sehe in keinem Falle Nutzlosen Menschenhaß.

Was der webende Wind wachsenden Bäumen ist, Stärkung ihres Stammes, das ist der Wiederspruch für unsere Meinungen und Lehrsätze. Ein freundschaftliches Gespräch, ein Pro und Kontra im Umgange, oder im lebendigen Vortrage, bringt oft weiter, als hundert einsame Discussionen auf einem und demselben Pfade. Dort wird jede Idee gewandt, ventilirt, geprüft, und also entweder bestärkt, oder geschwächt: der Geist wächset in dem Zwiste der Akademie, wie der Leib in den Uebungen der Palästra.

[367] »Aber dazu sind Journale, Zeitungen!« Auch meine Kritischen Wälder mögen so etwas seyn, und wollen noch mehr seyn. Ein Journal gibt Auszüge und nur über dies und ein anderes Einzelne seine Meinung: der Zergliederer eines ganzen Buchs thut mehr, als – vielleicht selbst sein Verfasser gethan. Sich in den Plan des Ganzen setzen, hier und im Einzeln auf die Fehler oder Schönheiten zeigen, ergänzen, das thun vielleicht nur einige Journale! das ist so schwer, als selbst Schreiben, und eben bei dem elendesten Buche am schwersten. Klotzens Münzbüchlein wird ihm nicht die halbe Arbeit gekostet haben, die seine Analyse mir; vielleicht aber wird diese auch um die Hälfte nützlicher werden können, als jenes selbst. Ein zergliedertes Buch ist doch bildender, als ein zusammen geschmiertes.

Sollte mein Zeugniß hierinn nicht gelten: so mag der Englische Swift 1 zeugen: er giebt so umständlichen Zergliederungen einen Werth, von dem ich mir gern auch nur die Hälfte zueignen wollte. Eben daher wird man auch das oft Kleinfügige in meinen Disputationen entschuldigen. Sollte das Ausgefundne oft nicht wichtig seyn: so suche man an der Methode selbst zu lernen.

Ich habe dazu Schriften gewählt, die bekannt gnug waren, und über die, wenn ich gefehlet habe, ich wenigstens auf meine Kosten gefehlet. Von Leßings Laokoon erinnere ich mich keine einzige Erinnerung, die ich gemacht, sonst gelesen zu haben, und über Klotzens Schriften war, was ich urtheilte, auch noch nicht geurtheilt. Da ihr Verf. sich der meisten Zeitungen und Journale in Deutschland versichert hat, und diese doch leider! für das Publikum schon gelten: was war nicht der Mann geworden? und was sind seine Schriften! Was ist nicht Hr. Riedel geworden? und was sind seine Theorie und seine Briefe?

Hier den Ton der Gleichheit und des Verdienstes herzustellen: jene Lobschreiende, alles überschreiende Stimmen etwas [368] zu mäßigen, das war meine Absicht. Leßings Laokoon war, dünkte mich, noch nicht würdig gelobt: denn er war noch nicht bis auf sein Wesen durchdrungen. Klotzens Schriften überschwänglich gelobt, und verdienten nicht, angesehen zu werden. Riedels Theorie übermäßig gelobt, und ist das mittelmäßigste, unordentlichste Werk, das ich mir bey einer Theorie denken kann. Hier der Kritik die Stimme der Freiheit wieder zu geben: das Unwürdige öffentlich zu tadeln, damit dem Verdienste sein Lob noch angenehm seyn könnte – das war meine patriotische Absicht!

»Aber so ernsthaft, so bitter!« Noch immer patriotischer Ernst! ich mag die süßtönende Lammartige Stimme nicht: mag nicht den schmeichelhaft sich bückenden Ton, in dem die sprechen, die wieder gelobt seyn wollen. Man tadle mich! man tadle mich heftig! ich mag nicht kriechen! und wenn es Mode des Jahrhunderts wäre!

»Ernsthaft also, aber warum bitter? warum mit Galle?« Mit Galle gegen die Person im geringsten nicht. Da ich nicht das Glück habe, in Halle oder Erfurth zu leben: warum sollte ich den Lehrern daselbst ihren Beifall beneiden? aus Eifersucht schmälern? aus Habsucht an mich ziehen wollen? »Aber mit Bitterkeit gegen den Schriftsteller, und dazu unwürdig, unhöflich, ungezogen!« Die Vorwürfe sind hart, und sie wären siebenfach hart, wenn man sie von meinem ersten Wäldchen sagen könnte! Aber in einem Zeitpunkte, wo das Schmeicheln Mode wird, wo der Geschmeichelte mit dem Publikum, mit Welt und Nachwelt im hochtrabendsten Tone spricht, uns auf seinen eingebildeten Werth so sicher rechnet, als der Kaufmann auf seine Papiere – wie? ist's da dem Patrioten so unverzeihlich, wenn er auch in der Gegenstimme ausschweift? wenn er seinen rechtmäßigen Tadel mit Feuer sagt? O sollte mancher so viel zurückzahlen müssen, als er unrecht zu empfangen gewußt, wie viel ist er noch schuldig? – Und zudem, ist hier wohl die Hälfte der Ungezogenheiten, die die Klotzische Bibliothek gegen die besten [369] Schriftsteller Deutschlandes bewiesen? und ist bey einem Klub, wo sanfte Kritik den Lauf des Muthwillens nicht stören kann, ein andrer Weg möglich?

»Aber warum Namenlos, aus dem Dunkeln hervor?« Habe ichs nicht schon, gesagt: mein Name ist keine Sünde! War mein Buch wider den Charakter der Ehrlichkeit seines Schriftstellers: war es wider die Religion und den Staat; so ging es die Censur, so sollte es nicht gedruckt werden! Und in diesem Fall allein ist der Name des Schriftstellers und seine Person in sein Werk verflochten! – Aber nun! nichts als kritische Streitigkeiten, Ventilationen dieser und jener Frage, Zergliederungen von Schriften, um den Werth und Unwerth derselben zu zeigen – wozu da der Name? Der Verf. darf ihn nicht, und wird ihn auch nie entdecken: er wird nie das Buch unter die Kinder seines Namens aufnehmen: denn es war nicht dazu. Es war blos für eine Zeitverbindung geschrieben, die der Litteratur schädlich ward: in einem Tone geschrieben, der für das Ohr dieser Zeitverbindung eingerichtet war: über Sachen, wovon damals jeder sprach und schwatzte. Er kann also wohl einmal einzelne Materien ausheben, und für die seinigen erkennen, die etwa dauren können: der Wald selbst aber hat keinen Namen – αγωνισμα μαλλον, ου κτημα ες αει.

Fußnoten

1 Bertheid. des Mährchens von der Tonne.

Inhalt
[370] Inhalt.
I. Ueber Hrn. Klotzens Buch vom Münzengeschmacke.
  • 1. Die Schrift ist weder schön im Vortrage, noch Beitrag zur Geschichte, noch im würdigen Ton geschrieben. Was der süße Kammerton unsrer Zeiten sey?
  • 2. Probe von der Feinheit der Klotzischen Empfindungen. Rettung der Münzgelehrten, die mehr thun, als schmecken. Einfügung der Geschmackslehre auf Münzen mit andern eben so nutzbaren Zwecken.
  • 3. Ein langes Register von Stellen, wo Addison mit unserm Klotz gewandert. Vorzüge des Deutschen vor dem Britten an Rednerischem Schmuck, an Bestimmtheit und Ordnung.
  • 4. Vorzeichnung zu einer historischen Theorie des Geschmacks alter und neuer Münzen. Vorzüge der Griechischen Numismatik erklärt, aus ihrem Nationalcharakter, aus ihrer Succession auf die Aegypter in der Bildersprache, aus ihrer Religion, ihren Allegorien von Städten und Ländern, abzubildenden Sachen und Begebenheiten, Personen und Inschriften, aus ihrer Bilderdenkart, und Poetischen Cultur des Publikum – alles im Kontrast unsrer Zeiten.
  • 5. Hiernach eine Pragmatische Münzengeschichte des Geschmacks. Prüfung der Klotzischen Ideen darüber. Ob sich auf alten Münzen nur schöne Gestalten finden? Ob Winkelmann seine Gesetze der Allegorie für Münzen gegeben? Ob eine Münze freies Kunstwerk sey? Ihre wahre Natur ist symbolisch.
  • 6. Wie weit sich aus Münzen auf den Geschmack einer Nation schließen lasse? Nach Einer, nach allen Griechischen, nach den Römischen, nach den Gothischen und Barbarischen der mitlern Zeiten; nach der Numismatik unsrer Zeit geprüft. Wunsch nach einem Numismatischen Goguet.
  • 7. Wie fern die bildenden Künste die Denkart des Künstlers verrathen? Wie fern eine Münze dies kann? Ob sie die Denkart des Fürsten schildere? Proben der Alberheit dieses Satzes. Ob der Moralische Charakter ganzer Nationen auf Münzen zu suchen sei? Beispiele an den mitlern Zeiten, Holländern, und Deutschen. Lobrede auf die Epoche des Geschmacks, die Hr. Klotz in Deutschland macht.
  • [371] 8. Wenn Münzen vom Geschmack der Nation zeugen sollen: so müssen sie ein Werk des Publikum, und ein freies Kunstwerk seyn. Ob sich von ihnen die Bildung des Geschmacks anfange?

Statt des Beschlusses der Auszug aus einem Briefe.
II. Proben von der Gründlichkeit und Unpartheilichkeit des kritischen Urtheils der actorum.

Ueber Harles Vitas philologorum. Ob sich ein biographischer Charakter aus Oben entwerfen lasse? Lächerliche Kleinigkeiten in Hrn. Klotzens eignem Leben.

Ueber den Charakter Pindars. Rettung und Erklärung der ausschweifendsten Pindarischen Ode.

Ueber Breitenbauchs Schilderungen, der uns einen Horaz liefern wird.

Hausens Geschichte: dergleichen noch nie erschienen.

Ueber D'Argens Julian. Charakter Julians, wie ihn Hr. Klotz kennet.

Ueber Damms Lexikon. Nutzbarer Gebrauch desselben.

Ueber die Briefe eines Mentors. Beste Probe von charakterisirenden Anekdoten.

Hausens Weltgeschichte. Seine schöne Gabe zu charakterisiren. Charaktere Karls des Großen, Ludwigs des Frommen u.s.w. Ueber die Charakterstellung überhaupt.

Urtheil über die acta überhaupt in ihrer Schreibart, und kritischem Geist.

  • 1. Hr. Klotz sollte sich nicht mit der Theologie befassen. Seine Claßification mit Teller und Basedow. Ob unsre Orthodoxie in Klotzisch Latein umgegossen werden solle?
  • 2. Die Reichsgeschichte ist nicht à la Grecque oder à la Françoise zu schreiben. Unterschied unsrer Geschichte von andern in der ältesten Zeit, und in den mitlern Jahrhunderten. Ob eine Deutsche und Reichshistorie zwei Dinge sind? Bemerkungen über die Eigenheit unsrer Geschichte und wie sie Idiotistisch zu schreiben sei.
  • 3. Satyren auf die Metaphysik und Philosophie. Sie rächet sich gegen ihre Verächter.
  • 4. Von dem Buche über geschnittne Steine. Dessen Belesenheit, Ordnung und Eintheilung wird gelobt. Proben von dem guten Tone in ihm. Allgemeines Urtheil. – –

– Leßings Antiquarische Briefe. Schluß –

1. Ueber einige Klotzische Schriften
1.

Münzenschmeckerei – das Wort scheint verächtlich: wie aber, wenn ein Titel Geschichte des Geschmacks und der Kunst aus Münzen 1 seiner Ausführung nach nicht besser, als so, könnte zusammen gezogen werden? – Ich will mich, so viel ich kann, nach Griechenland zurück setzen, und lesen, als ob ich einen Griechen – läse. Das Attische Publikum in Deutschland sei zwischen ihm und mir Zeuge.

Zwar Griechisch schön im Vortrage ist dies Schriftchen wohl eben nicht, daß nämlich einfältige Hoheit, nachdrückliche Kürze, und feine Schönheiten des Styls sich in ihm vereinigen sollten. Der Klotzische Styl mag immer die Schönheiten haben, die der Kupferstecher Allechement nennet; aber Richtigkeit der Zeichnung, und Kraft entgeht ihm völlig. Der Freund und Beurtheiler 2 Hr. Klotzens, »bei dem seine zärtliche Liebe gegen den Verf. diesmal über seine großen Einsichten, und scharfe Beurtheilungskraft die Oberhand behalten,« mag davon sagen »was Hr. Klotz ihm nicht verbothen; 3« ich kann nicht anders, als durchgängig einen langweiligen homiletischen Ton finden, der fast nie so recht Griechisch oder Deutsch heraus sagt, was er sagen wollte. Langweilig jedes [373] Punktum her geholet, gekettet und umwunden, nach einem zehn Seiten langen Eingange, der eine höfliche Empfehlung sein selbst und weiter nichts enthält, alsdenn erst ein prächtiges ebenfalls zehnseitiges Exordium vorausgeschickt, alsdenn ein halbblindes Thema Kanzelmäßig in zween Theile zerstückt, so mit beständigen Ausschweifungen, in lauter Geschmacksvollen Anmerkungen, mit öftern höflichen Freundschaftsbezeigungen zweihundert Seiten hin deklamirt, als wenn jede Periode aus dem Lateinischen übersetzt wäre, als wenn zu jedem Stäubchen zween Windmühlen und zur Schriftstellerhöflichkeit beständig fortscharrende Komplimente nöthig wären – zu einem solchen Vortrage würde ein Griechischer Longin frei heraus sagen: φλοιωδης γαρ ὁ ανηρ και φυσων, κατα τον Σοφοκλεα »ου σμικροις μεν αυλισκοισι .. φορβειας δ᾽ατερ« .. ουδεν δε φησι ξηροτερον υδρωπικου. Wer da will, verdeutsche das Urtheil.

Was ein Grieche mit dem Worte Geschichte verbände, ist hier nicht verbunden: ich mag das Titelwort Beitrag zur Geschichte so diminutivisch nehmen, als ich kann. Hier wird weder Zeitfolge sorgfältig bemerkt: noch die überhingeworfnen Anmerkungen wenigstens durch einzelne Beispiele der fortgehenden Zeitfolge scharf bewiesen: noch weniger von einer Nation nach der andern, insonderheit in den neuern Zeiten, Beispiele der successiven und coexsistenten Geschmacksveränderungen gesucht; noch weniger die Ursachen des veränderten Geschmacks aus dem Chaos der Geschichte heraufgeholt – ist das Beitrag zur Geschichte? Zu einigen allgemeinen und zu sehr bekannten Bemerkungen, die über Völker und Zeiten durchhingeworfen, und fast immer halbschielend wiederholt werden, zu diesen einige leidliche Exempel beizutragen, die aus bekannten Büchern, und im ganzen süßen Flußwasser des Buchs doch nur rari nantes in gurgite vasto sind – – aus diesen von der Ehre und Schande aller neuern Münzen so allgemein und entscheidend zu reden, als hätten sich alle zur Musterung dargestellt, und doch [374] nichts als die allgemeinen Geschmacks- und Barbareiperioden, jede mit Einem Beispiele vielleicht auszurüsten, und diese ausgerüstete Figur dann mit halbem Leibe uns hinzustellen – ist das die Ciceronianische Ankündigung »der Sache, die ich mir vorgesetzt habe? Meine Absicht ist, aus den Münzen gleichsam eine Geschichte des Geschmacks und der Künste zusammen zu setzen, und ihre Blüthe, oder ihren Verfall aus den selben zu beurtheilen. Ich werde daher die alten Münzen, welche besonders unsre Aufmerksamkeit auf sich ziehen, mit den neuern vergleichen:Ich werde die merkwürdigsten Perioden in der Geschichte der Kunst durchgehen, die Münzen,welche zu jeder derselben gehören, betrachten, und nach der größern Anzahl guter oder schlechter Stücke mein Urtheil fällen.« 4 O Dea Moneta, wo ist dies alles in meinem lieben Büchlein?

Noch minder ist der Ton getroffen, in dem die Griechen etwas, was zur Geschichte gehörte, lesen wollten: der Ton des bescheidnen Anstandes, der weisen Mäßigkeit. Kein Herodot, ob er gleich mit seiner Historie als ein Wunder seiner Zeit auftrat, keinThucydides, kein Xenophon, oder jeder andre Geschichtsartige Schriftsteller kündigte sein Thema so kostbar, so selbstwichtig an, als wenn man blos der Stirne nach von aller Welt schon mit zurückfahrender Bewunderung empfangen werde, 5 »Augen voll Entzückungsvoller Aufmerksamkeit habe, die Niemand hat, die nur ein Nikomachus, Pietro di Cortona, Angelo, Addison, oder wie die Litanei der Geschmacksnamen nach der neuesten Mode weiter heiße, ohngefähr habe: als wenn man an Münzen hören, sehen, schmecken, und fühlen könne, was sonst niemand sah, als wenn man von allen Vorgängern in der Münzwissenschaft, (einen Addison ausgenommen) verschieden, als eine Seltenheit seiner Tage, als ein Rüstzeug des guten Geschmacks auftrete, eine Epoche machen, und der Welt Tag geben solle u.s.w.« so würde ein Grieche nicht [375] sprechen. Nicht bei Ankündigung seiner Schrift, nicht mitten in der Materie zur Zeit und Unzeit, nicht bei dem Schlußseegen, nirgends würde er sich als eine Mauer für den Geschmack eines ganzen Landes gegen die Ausländer vorziehen, allen Zeiten vor ihm die Spitze bieten, auf einen Zug von Nachfolgern hinter sich rechnen, überall im Tone des Rednerego sprechen – ein Grieche spräche so nirgends.

Am wenigsten wüßte ein Grieche von dem seligen Privattone, in dem unsre Zeit, die so sehr das Natürliche liebt, in manchen schönen und überschönen Schriften liebkoset. Jene redeten vor dem Publikum, als vor einem Kreise würdiger Kenner und Richter; nicht aber so freundschaftlich süße, amicus ad amicum, oder wie Cicero ad familiares. In ihren besten Zeiten kannten sie die Lalagen des Styls nicht,dulce ridentem, dulce loquentem; sie sprachen mit dem Publikum doch Etwas anders, als der Ehegatte in seiner Schlafkammer, oder der süße Schriftsteller im Cabinette seines lieben, seines herzlich lieben Freundes.

Ein Grieche dachte selbst – – doch wozu der fortgesetzte Name eines Griechen? Hr. Klotz ist kein Grieche; er läßt andre für sich denken und schreibt; eben dadurch aber wird, was andre gedacht haben, und er anzuführen beliebt, sein. Im Alterthume ist seine Kunstmuse von Winkelmann, Leßing, Du-bos, Caylus; und in Neuern von Addison, Hagedorn, Watelet, Du-bos und einigen andern Franzosen so ganz besessen, daß, wie gesagt, immer Herr Klotz spricht, und fast immer ein andrer durch ihn. Er weiset andre durch andre, Winkelmann durch Wacker, Leßing durch Wacker, Caylus durch Winkelmann, und Leßing durch Caylus zurecht; so zurecht, als wenn alle diese, als Unterbibliothekare seiner Bibliothek unter der Aufsicht des Herrn Geheimden Raths, sich wechselsweise verbessert und das entscheidende Urtheil darüber durch eine bündige Citation Ihm überlassen hätten. Ueberhaupt gehört hinter jede leidliche Anmerkung ein fremder Name, und wo er nicht steht, wollte ich ihn zuschreiben. Zu diesem Münzbüchlein wenigstens dörfte ich nicht eben lange nachsuchen: denn was Plato zum [376] Antimachus sagte: würde ich hier zu Addison sagen können: hic mihi instar omnium! und Abdison, welch ein guter Tröster!

Da nun Hr. Kl. als Critikus über den Geschmack gesammter Völker und Zeiten urtheilen; alsSammler Belesenheit zeigen: als ein Schriftsteller von sittlich feinem Geschmacke schön schreiben: als ein Ehrenmann Hofmäßig sprechen: als ein Gefühlvoller Freund, Dankbarkeit und Ergebenheit bezeugen: und bei allen als Magister der freien Künste zuweilen noch eine kleine lustige Schnurre anbringen will; so denke man sich in diesem Gemische den würdigen Ton eines Lehrers über die Geschichte der Kunst, den wir an Winkelmann so tief bewundern. Man vergleiche diesen artigen Beitrag mit des andern seiner Geschichte, und siehe da! Winkelmann in klein Octav! – Verzogne Anpreisungen des guten Geschmacks wechseln mit sittlichfeinen Artigkeiten, mit spaashaften Anekdoten, mit herzlichschönen Complimenten an seine Freunde und Gönner ab: bald spricht »ein Kunstrichter von richtigem Geschmacke, Du Bos, bald der unsterblicheMengs, bald ein Mann, welcher die tiefen Einsichten, und alle Eigenschaften eines großen Genies durch sein Menschenfreundliches und tugendhaftes Herz veredelt, und von welchem man sagen kann, daß seine Schriften die Schilderung des liebenswürdigsten Mannes sind,« bald Hr. von Voltaire in seinem temple du goût: bald thut der Verf. »für Deutschland das Gebet, das Hr. Watelet an die himmlische Venus abschickt:« bald befielt er den Fürsten im Namen der Nachkommenschaft, wenn sie Münzen schlagen lassen, Longin zu lesen. Der Abt Böhmer und »jene geistreiche Engländerinn Montague:« Spanheim und ein Französischer Landjunker: Young in seinen Nachtgedanken und Lucian, und »ein witziger Mann, der Abt Trublet« – auf zwei Blätterchen 6 kommt diese seltne Gesellschaft zusammen, und drückt sich so auf einander, daß der Verf. mit einmal »ermüdet von Scholiasten und gesättigt mit der Gelehrsamkeit stolzer Kunstrichter, in Leßings, Weißens, Duschens,Uzens und Hagedorns [377] Schriften Erquickung sucht, von furchtbaren Folianten in die lieblichen Umarmungen des freundschaftlichen Gleims flieht, oder bewundert in den Schriften des Patrioten Mosers erhabne Züge der deutschen Redlichkeit.« 7 O wenn einst Griechen wieder aufleben – unpartheiische Nachwelt, die entfernt von unserm Familienton und süßen Zeitgeschmack unsre viros suavissimos wägen wird – oder du unser Deutsches Publikum, das von jeher entmannete Weichlichkeit, und verwelkte Rosen verachtet hat, dessen Gesinnung immer ernste Vernunft, Kraft, und das Nahrhafte des Geschmacks gewesen, wirst du dich mit einem schönen Blumengespinste, das man wie jenen alles übertreffenden 8 Tryphonischen Schleier, dir überwirft, dich immer täuschen lassen? – Ich schreibe für Deutschland, und ich weiß, die stillen Kenner (und sie sind das wahre Deutsche Publikum) auf meiner Seite: der große helle Haufe lobt und wird gelobt, allein – – the charm's wound up!

Warum aber so lange bei dem Gerüste eines Buchs? Denkart eines Schriftstellers, Denkart, die sich in allen Schriften desselben äussert, Denkart, die sich, wie eine Lustseuche des guten Geschmacks, so gern weiter ausbreitet, ist mehr als Gerüst. Und wenn es auch nur dies wäre: ins Gebäude selbst wage ich mich kaum; es drohet über mich einzustürzen. Ich fürchte: ich fürchte, die ungeheure Anheischung: »aus Münzen eine Geschichte des Geschmacks und der Künste zusammenzusetzen, und ihre Blüthe, oder ihren Verfall aus denselben zu beurtheilen« sey, so wie sie Hr. Kl. nimmt, eine farbichte Luftblase, sie ist das prächtige Thema des Buchs.

Geschmack aus Münzen: wie weit lassen sich Münzen schmecken? was lassen sie für Geschmack auf der Zunge?

[378] Geschichte des Geschmacks aus Münzen: läßt sie sich geben? wie weit ist sie sicher? Geschichte des Geschmacks und der Künste aus Münzen nach Zeiten und Völkern? Kann die Göttin Moneta eine sichre Zeugin über so Etwas seyn?

Man sieht, ich muß anfangen, wo der Autor nicht anfing, von Grundaus; ich werde zeitig gnug ans Gebäude und endlich auch ans Gerüste zurückkommen.

Fußnoten

1 Beitr. zur Gesch. des Geschm. und der Kunst aus Münzen vom Hrn. Geheimdenrath Klotz, Altenb. 1767.

2 Klotz. eigne Bibliothek St. I. Vorr.

3 Ebendas. Seite 71.

4 [S. 23.]

5 Eigne Worte Klotzens. S. 3. 4. 5. 6. – –

6 S. 98. 99. [100. 101 102]

7 [S. 103].

8 Die Allegorie der Griechen und Römer (das muß ich doch sagen, Hr. Klotz mags wollen, oder nicht, daß diese Stelle vortrefflich ist!) ist wie der leichte Schleier des Tryphon. s. Klotz. Bibl. [I]. S. 64.

2.

Geschmack aus Münzen. »Vielleicht äussern einige Antiquarien unsers Vaterlandes über meine Absicht, das Wachsthum und den Verfall des Geschmacks und der Künste bei einem Volke aus dessen Münzen zu zeigen, eben die Verwunderung, mit welcher man vor Zeiten die entzückungsvolle Aufmerksamkeit begleitete, die die Augen des Nicostratus auf des Zeuxes Helena geheftet hatte. Ich wünschte, daß ich mich durch das Bewußtseyn größerer Verdienste und Einsichten in die Kunstberechtigt fühlte, mit dem edlen Stolze des Malers ihnen antworten zu können: ›Ihr würdet euch nicht wundern, wenn ihr meine Augen hättet.Es ist gewiß, daß viele Personen einerlei Gegenstand betrachten, und gleichwohl viele nicht dasselbe an ihm bemerken können, was sich dem Auge eines Einzigen in einem reizenden Glanze darstellt. Manchen wird der Anblick einer Gothischen Cathedralkirche eben so sehr rühren, als des Pantheons zu Rom, und die Entzückung, welche Pietro di Cortona bei dem Anblicke des Pferdes des Marcus Aurels in dem Hofe des Capitols die Worte oft ablockte: ›So gehe doch fort, weißt du nicht, daß du lebendig bist?‹ kann von den wenigsten auch nur begriffen werden. Wie viele Künstler waren nicht von jenem Rumpfe einer alten Bildsäule weggegangen, ohne die glückliche Entdeckung gemacht zu haben, die Michel Angelo fand! Er [379] bemerkte blos an ihm einen gewissen Grundsatz, welcher nach Hogarths Urtheile, seinen Werken einen erhabnen Geschmack gegeben, der den guten Stücken des Alterthums gleich kommt. Ich glaube, daß Addison aus einer Empfindung, die er sehr oft in seinem Leben erfahren haben muß, die Vorzüge eines glücklichen Geistes geschildert habe. ›Ein Mensch, sagt er, von einer geschärften Einbildungskraft, wird in mancherlei große Vergnügungen geführt, die der gemeine Mann zu bekommen nicht fähig ist.‹« u.s.w. 1 So aufmerksam man bei Erzählung solcher vornehmen Empfindungen und Erfahrungen seyn mag, wer kann dem Geschmackvollen Autor bis auf Felder und Wiesen folgen? Gläubig höre ich den Parenthyrsus unnennbarer Gefühlsarten: »entzückungsvolle Aufmerksamkeit, die die Augen anheftet, die mit Verwunderung begleitet wird: das Bewußtseyn, das sich wozu berechtigt fühlt: Die Bemerkungen an dem, was sich dem Auge eines einzigen in einem reizenden Glanze darstellt: die Entzückung, die Worte ablockt, und die von den wenigsten auch nur begriffen werden kann: die Bemerkung eines Grundsatzes, der den Werken erhabnen Geschmack gibt: die Empfindung, die der und jener sehr oft in seinem Leben erfahren haben muß u.s.w.« Diesem ästhetisch-psychologisch-mystisch erhabnen Jargon von Kunstgefühlen, der jetzt in die Stelle abgelebter Theosophischer Empfindungen und Seelenerfahrungen tritt, höre ich andächtig zu, und antworte Hr. Klotzen auf sein »Ei ja! wenn ihr meine Augen hättet!« durch den herzlichen Seufzer: »Ach! hätte ich Deine Augen!«

Er fährt epanorthotisch fort: 2 »Wie verschieden sind nicht die Absichten, welche die Gelehrten bei dem Studio der alten Münzwissenschaft haben! Unter einer großen Anzahl derer, welche sich damit beschäftigen, habe ich nur sehr wenige angetroffen, die einen andern Nutzen davon zu ziehen gewünscht hätten, als welchen der gemeine Haufe der Antiquarien bei seinen mühsamen [380] Arbeiten kennet. Zufrieden mit sich selbst und vergnügt über die Lasten, welche sie ihrem geduldigen Gedächtnisse auflegen, lachen diese bestaubten Männer über unsre gutgemeinte Frage, ob sie auch in den Tempel des Geschmacks gehen wollen? und antworten muthig: Nein! dem Himmel sei Dank! das ist nicht unsre Sache. Geschmack ist nichts: wir besitzen die Geschicklichkeit, fremde Gedanken durch lange Auslegungen zu erweitern; aber selbst denken wir nicht. Die nützlichsten unter ihnen sind die, welche die alten Münzen um deßwillen lieben, weil sie ihnen Gelegenheit geben, chronologische Untersuchungen anzustellen. Ihre Arbeit müssen wir mit Dank erkennen, und sie selbst verdienen ein aufrichtiges Mitleiden, weil ihnen das Vermögen versagt ist, bey ihrer Gelehrsamkeit zugleich das Vergnügen zu genießen, welches andern ein guter Geschmack gewähret. Spon, unterrichtet in den Geheimnissen der Physiognomie, las die Denkungsart und die Eigenschaften der Menschen auf dem Gesichte, das ihm die Münze vorstellte, undAddison, höherer Gedanken fähig, verglich die Bilder auf Münzen mit den Gedanken der Dichter, und rechtfertigte hiedurch seine Hochachtung für das Alterthum. Ich wünsche meinem Vaterlande mehrere Nachfolger des letztern, und ich werde mich freuen, wenn unsre Gelehrten künftig an den Gott der Künste und des Geschmacks eben die Bitte thun, die Ajax beim Homer an den Jupiter that: O! Vater vertreibe die Nacht, laß es helle werden, und gib, daß unsre Augen sehen!«

Alle Hochachtung für Spons Sibyllenweissagungen, für Addisons Vergleichungen, für unsrer Deutschen Ajaxe Gebet an den Jupiter, oder für das Gebet des Aegyptischen Cynocephalus, daß der helle Mond wiederkehre; indessen dünkt mich doch das »aufrichtige Mitleiden,« mit allen Gelehrten, die nicht, wie Hr. Klotz, an einer Geschichte des Geschmacks der Völker, Zeiten und Künste, aus Münzen, arbeiten, sehr entbehrlich. Es wäre, umsonst, die Nutzbarkeit des Münzenstudium zur Geschichte, Chronologie, Geographie, Naturwissenschaft, Mythologie, Rechtslehre und [381] der ganzen Känntniß des Alterthums, erweisen zu wollen, da solche in dieser Wissenschaft große Namen vor dieser Materie stehen, oder da viele, welches noch besser ist, durch ihr Beispiel die Sache selbst erwiesen haben. Nur so viel also gegen Hr. Kl., daß die Bearbeitung der Münzwissenschaft aus einem andern Gesichtspunkte; er sei nun Geschichte, oder Rechtsgelahrheit, oder Mythologie, oder eine Theorie der Medaillen überhaupt, noch gar nicht dem Geschmack an Münzen wiederspreche, ihn nicht verdränge; ihn vielmehr voraussetze, und mit ihm als Führer einerlei Reise thue. Hier den Geschmack als ein entlegnes eignes Land ansehen, ist eine Aussicht nach Utopien hin; und eben so viel, als Lebenslang die Logik studiren, ohne sie und alle ihre Zauberkünste jemals anzuwenden, sich Lebenslang den Geschmack zu kitzeln, ohne sich einige Nahrung dadurch erschmecken zu wollen. Der wahre Tempel des Geschmacks ist nicht eine Orientalische Pagode, ein Ruhesitz, wo man als am Ende seiner Wallfahrt sich niederläßt; er ist vielmehr wie der Tempel des Marcellus gebauet; die Pforte des Geschmacks, auch in Münzen, ein Durchgang zur Wissenschaft: zur Wissenschaft, welche es wolle.

Der Pöbel der Münzverständigen freilich – aber wer wollte sich (es sei nun zu eignem Lobe, oder zum Tadel anderer,) unter den Pöbel mischen? Die Nutzbaren, die würdigen Münzgelehrten gerechnet; und bei denen sollte ihre Gelehrsamkeit dem Geschmacke wiedersprechen müssen? dieser von jener nicht oft eine Gesellin, oft gar eine verdeckte Minerva haben seyn dörfen, selbst wenn es auf wissenschaftliche Untersuchungen ausging? – Nicht zweifeln soll einmal diese Frage; sie soll blos die Erinnerung wecken! Wie? alle die großen Bearbeitungen in den Feldern der Numismatik, ohne Geschmack der Münzen bewerkstelligt? unter allen um diese Wissenschaft so verdienten Namen, wäre ein Addison, und Klotz das einige Duumvirat des Geschmacks? Jene Münzensammler und Münzenerklärer, weil sie nicht offenbar und allein vom Geschmacke schrieben; weil jener einen Theil der Geschichte, dieser einen Theil der Alterthümer, ein andrer einzelne Stellen der Alten und ein [382] vierter die Chronologie aus Münzen aufgekläret; darum sollten sie vom Geschmacke nichts gewußt? nicht die Schönheit der Bilder, und das Bedeutende der Allegorien, und die Weisheit der Inschriften gefühlt haben, an denen sie eine so unersättliche Augenweide fanden? Nicht im Mechanischen der Münzen Geschmack besessen, dafür sie eben auch in der Abbildung sorgten, und das mit Entzücken priesen, was sich nicht abbilden ließ? Wie? daß sie bei diesem Selbstgefühl nicht stehen blieben, und eben mit der Erfahrenheit ihres Auges, und mit der Gelehrsamkeit ihres Geschmacks höhere Zwecke auszurichten suchten; nicht mit dem Instrument pralten, sondern lieber Werke aufwiesen, die ihr Instrument in stiller Werkstäte verfertigt: soll dies ihnen gegen den zum Nachtheile 3 gereichen, der nichts als sein Instrument vorzeiget, der blos von Geschmacke redet, ohne, was er damit zur anderweitigen Nahrung ausgekostet?

Hr. Kl. hat ungefähr sagen wollen: daß es Leute gebe, die bei einer Münze vorzüglich auf Gelehrsamkeit sehen, und bei denen dieser Hang zur Belesenheit, das, was er Geschmack nennt, verschlinget; daß es Leute gebe, die bei einer Münze das Mechanische der Kunst richtig im Auge haben, und (man nenne dieses nun Kunstwissenschaft oder Kunstgeschmack,) von ihnen, als Geprägen urtheilen, und wenn sie muntern Geistes sind, sich über ein Kunstbild freuen können; daß es endlich auch Leute gebe, die vorzüglich auf das Schöne ihr Auge richten, und weder von Gelehrsamkeit noch dem Kunstmäßigen Hauptwerk machen. Wir wollen jene Münzgelehrten: die mitlern Kunstkenner: die letzten Liebhaber nennen; sie sind alle drei unterschieden, ihre Unterschiede aber fließen, so wie die Farben eines Regenbogens, oder eines spielenden Seidengewandes, [383] in einander. Der Künstler kann mehr oder weniger Liebhaber, der Gelehrte mehr oder weniger Kunstkenner, der Liebhaber mehr oder minder Gelehrter seyn. Nichts schadet dem andern: eins muß dem andern aufhelfen: und der wahre Philosoph der Numismatik ist alles Drei. Niemand also zum Nachtheile, wenn er seine Münzenwissenschaft auf Chronologie, auf Geschichte, auf Genealogie, auf Alterthümer gewandt: hätte er dem Publikum auch nichts als solche wissenschaftliche Untersuchungen geliefert, und den Geschmack an Münzen für sich behalten – unbeschadet! Köhlers historische Münzbelustigungen mögen nichts als historische Belustigungen, Gatterers Theorie der Medaillen nichts als Theorie der Medaillen; Vaillants Münzenreihen der Könige, Städte und Colonien nichts als Numismatische Geschichte seyn: das Schöne, das überdem gesehen, und gefühlt werden kann, finde jedes Auge, jede Seele von selbst; wenn ihm nur das Bild des Schönen vorgehalten, wenn auch nicht jede Seite herab Geschmack gepredigt wird – denn über haupt läßt dieser sich wohl wenig predigen.

Von jeher sind darüber Beeinträchtigungen gnug entstanden, daß Ein Gelehrter, oder überhaupt Ein Werkmeister die Arbeit einer andern Gattung über die Achseln angesehen: und es wäre Zeit, solche Blicke wenigstens öffentlich einzuhalten. Der Münzenschmecker, der auf das Schöne ausgeht, wirft dem Münzenkenner, der auf das Seltne, auf das Gelehrte, auf das Erläuternde sieht, vor, er habe nichtseine Augen. Habe er doch nicht! Hast du denn die seinigen? Wollte jeder nur das Schöne auf Münzen erjagen, wer würde sich um die Zeitpunkte bemühen, da es nichts Schönes auf Münzen gibt? Wer das Rechtsmäßige, das Urkundliche, das Zeitberechnende, das blos Seltne, auf ihnen bemerken? Und ob dies etwa nicht auch nöthig oder nützlich. Freilich sagt Heusinger zu viel, daß sich über die Münzen des mitlern Zeitpunktes ein so schönes Buch, als Spanheim, schreiben ließe; nicht aber ein so nützliches Buch? Der Rechtsgelehrte, der Diplomatikus, der Geschichtschreiber, der Alterthumskenner Deutschlands und so viele fleißige Beispiele reden. Sollen wir nun einen Joachim [384] mit Mitleiden ansehen, weil er kein Klotz ist, und die Verdienste eines Gatterers übersehen, weil er auf keine Ikonologie des Schönen arbeitet? Unbilliges Achselzucken! so bleibt Eine der nützlichsten Quellen von Urkunden unberührt! die nach unserer jetzigen Weltverfassung in guten Ausflüssen ausgebreiteter seyn dörfte, als blos ein Gericht vom Münzengeschmacke.

Weg also aus dem Schriftlein unsers Autors – durch und durch weg mit dem gezierten hochtrabenden Tone, der sich überall brüstet. Herr Klotz lasse jeden die Münzen ansehen, wie er wolle; wenn er sie nicht des Geschmacks wegen ansiehet, gehört er eigentlich nicht vor diesen Richterstuhl. Noch weniger schließe man, daß, wenn jemand mit seiner Münzwissenschaft zu der und jener andern nützlichen Absicht angeschlagen, er deßwegen nicht das Gefühl des Schönen besessen, nicht der Grazie geopfert habe, und wie die Modeausdrücke mehr heißen. Am wenigsten halte sich Herr Klotz für den ersten Apostel des Geschmacks in Deutschland. Viele, viele vor ihm Münzenkenner, Münzensammler, Münzenbeschreiber, Münzenzeichner, und selbst Münztheoristen vor und neben ihm, die das Schöne in den Alten geliebet, angepriesen, und zum Theil selbst nachgeahmet; die lange vor ihm über den bösen Geschmack geklagt; aber Hindernisse fanden, die Herr Klotz mit seinen süßen Vorschlägen übersiehet. Ob also viel Neues, und Gründliches im Klotzischen Buche sey, wollen wir noch nicht wissen; daß aber durchaus viel Geziertes, ein falscher Federschmuck, ein unausstehlich selbstwichtiger Ton herrsche – o ich will nicht alle Stellen auszeichnen, wo Herr Klotz »von dem gelehrten Auge des Kenners, von der jetzigen und erst jetzigen Epoche des Geschmacks in Deutschland, von den classischen Autoren desselben, von dem Zeitpunkte, der auch den spätesten Nachkommen bewundernswürdig seyn wird, von einem Manne, der die Vorzüge der Alten kennet, von einer ganz eignen Art von Augen, Kunstwerke zu sehen u.s.w.« so sehr in seiner Person spricht, daß der geneigte Leser nichts als Komplimente gegen einen Schriftsteller machen kann, [385] der sich selbst so gut kennet, und so artig de se ipso ad se ipsum und ad familiares zu reden weiß, daß nichts drüber.

Fußnoten

1 S. 3. 4. 5. 6. etc.

2 S. 6. 7. 8. 9. 10.

3 Schon lange haben gründliche Kenner des Alterthums es beklagt, daß man so gern mit einigem schönen Blendewerk aus den Alten davon prale; ohne die Antiquität zur Wissenschaft anzuwenden. Noch neulich hat Ernesti in der Vorrede zu seiner Archäologie darüber geklagt, daß diese versäumt – er hätte dazu setzen können, daß sie nach der neuesten Mode gar verspottet werde.

3.

Dies bei Seite, so ist doch das Schriftlein vielleicht eine Aesthetik, eine Geschmackslehre der Münzen, die in den Händen aller, deren Sache diese sind, von der Münzobrigkeit bis zum Münzenschlager Wunder thun müßte. Oder vielleicht eine Philosophische Grundlage zur Geschichte der Numismatik; oder – – wir wollen nicht zu viel erwarten.

Ein wohlbekannter Autor Joseph Addison hat wohlbekannte Gespräche über den Nutzen und die Vorzüge der alten Münzen geschrieben, die auch unter uns durch zwo oder drei Uebersetzungen bekannt sind. Nun kommt ein wohlbekannter Autor,Christ. Ad. Klotz, der die Gespräche des Engländers so artig in seine Deklamationen verpflanzen kann, daß es eine Freude ist. Er sagt selbst: Er könne nicht dafür, wenn er sich mit diesem Autor manchmal begegne: ich glaube wohl; aber wer kann denn dafür? – – Wir wollen uns das Vergnügen machen, die beiden Wandrer neben einander traben zu sehen: aber keine Nationalwette! der Deutsche kommt gewiß vor.

Addison, oder vielmehr sein Philander, giebts als Unterschied zwischen alten und neuen Münzen, »daß er sich auf jenen keiner Bilder von Einnehmung der Städte erinnere, weil damals noch kein Pulver und Blei im Gebrauche gewesen; unsre hingegen stelleten Belagerungen, Risse von Vestungen u.s.w. mit allen ihren Theilen vor.« – – So Philander, und sein Mitsprecher Eugen zeigts ironisch als sehr recht und billig an, daß ein Fürst Modelle von dem Platze hinterlasse, den er verwüstet. – – Addison der zweite trift hier so unvermuthet auf das Paar, als fände ers vornehm und unverhofft selbst als einen besondern Einfall, auf neuern Münzen ganze Plane abzuzeichnen u.s.w. 1 [386] – – Kein Wunder, sagt Hr. Klotz, 2 denn »wenn zwei Wanderer auf verschiedenen Wegen nach einer Stadt gehen, so kann man nicht sagen, daß einer dem andern als seinem Wegweiser nachfolge.«

»Die alten Münzen, sagt Addison, gehen in ihren Komplimenten gegen den Kaiser weiter, indem sie Gelegenheit nehmen, seine Privattugenden zu rühmen: nicht nur, wie sie sich in Thaten geäußert: sondern auch, wie sie überhaupt aus seinem Leben hervorgeleuchtet haben. Dies geht so weit, daß wir Neronen auf der Laute spielen sehen u.f.« Als Unterschied führt Hr. Klotz so Etwas nicht an, denn wer wird mit Addison Einerlei Weg nehmen wollen? unvermuthet aber und an desto unrechterm Orte trift 3 er mit ihm, wer kann dafür? so ansehnlich zusammen, als folget: »ob es gleich unter den Römischen Kaisern wunderliche Leute gegeben hat, und ein Nero selbst mit einer Citter auf Münzen erscheint: so haben sie doch niemals etwas auf dieselben gesetzt, daß diesem gleich käme.« Und dies wunderliche Dies ist? ein Deutsches Weinfaß. O wer nun noch sagen wollte, daß der Deutsche dem Britten folge, selbst wenn er ihm folget! Welche Neuheit im Kontrast! welche Richtigkeit in der Vergleichung! welche Genauigkeit zu charakterisiren! »Wunderliche Leute von Kaisern: denn selbst Nero mit einer Citter! Wunderliche Leute von Deutschen: denn ein Weinfaß auf der Münze!« Schöne Vergleichung, Citter und Weinfaß, Nero und der Deutsche! – – Die wunderliche Citter ins wunderliche deutsche Weinfaß gespündet – welche Neuigkeit!

»Münzen wurden, sagt Addison, bei den Römern nicht zu Spöttereien angewandt: bei den Neuern oft,« und die beiden Sprechenden wechseln darüber ihr unterhaltendes Pro und Contra. – – Der deutsche Addison wird bestimmter. Was jener blos als Unterschied, mit gehöriger Einschränkung und Gegeneinanderabwägung, angegeben, wird bei diesem der Nationalcharakter einer [387] Nation, und das Münzenlob einer ganzen Republik. 4 »Man hat den Holländern oft eine beleidigungsvolle Verachtung gegen Könige und Fürsten vorgeworfen. Ob man ihnen gleich die Begierde über andre zu lachen und zu spotten gelassen, so hat man doch die Artigkeit, Höflichkeit und den Anstand von ihren Satyren getrennet.« Kurz! nach einer langen Einschaltung, wo Herr Klotzens Saite wieder auf seine liebe Burmanns springt (denn wo kann Freund Sancho ans Wirthshaus denken, ohne daß ihm nicht zugleich das Luftfliegen und der Balsam Fier a bras einfalle?) nach einer unpassenden Einschaltung also läufts wider die Spottmünzen der Holländer hinaus, die ihr Nationalcharakter werden. – Welch eine neue, und mehrere Bestimmtheit!

Addison besinnet sich nicht, auf Römischen Münzen das Gesicht einer einzigen Privatperson gesehen zu haben, und wendet sich artig darüber weg, unsre neuern Privatcomplimente auf Münzen anders als mit einem stillen Winke anzuspotten. – – Doch wasstille Winke! was doch sich artig vorbeiwenden! Hier eben 5 fand unser Landsmann von Geschmack recht Zeit, auszuschütten, und zu dehnen, und zu verspotten, und mit einem Ueberguß der besten Laune zu tadeln. Kein Wunder! »wenn zwei Wandrer nach einer Stadt gehen: so ists natürlich, daß beide oft einerlei Gegenstand wahrnehmen müssen, und es ist auch eben so wahr, daß der eine einen Blumenreichern und angenehmern Weg, als der andre nehmen kann«, wie Hr. Kl. mit vieler Feinheit bemerket.

Addison kommt auf die Inschriften; »eine Ciceronianische Weitläuftigkeit sei bei den heutigen der erste Fehler.« Hr. Klotz kommt auf die Inschriften: 6 »eine Ciceronianische Weitläuftigkeit ist bei den heutigen der erste Fehler.« Wie aber, mein Deutscher Hr. Addison, und beim Nachschreiben, beim trocknen Ausschreiben kein Fehler? bei einem recht Ciceronianisch weitläuftigen und desto unbestimmtern Wiederkauen kein Fehler?

[388] Addison giebt Proben von der Machtvollen Kürze der Alten, ihre Kaiser zu loben, und folgt eben dadurch ihnen, daß er statt schielender allgemeiner Lobsprüche Beispiele giebt. Was Beispiele? was Proben? Hr. Klotz, um nicht Addison zu seyn, zieht eine lange Scheltrede 7 daraus über die weitläuftigen Titel der neuern Fürsten, über die Schwachheit und Eitelkeit derselben, über – – und was weiß ich,worüber mehr? Der Deutsche wandelt auf einem Blumenreichen Pfade.

Addison redet wider Wortspiele und Spitzfündigkeiten auf Münzen. Er redet dagegen: Hr. Klotz wählt sich einen bessern Weg, darüber zu schelten 8, Seitenlang erbärmlich zu schelten, und das arme Deutschland, dessen Krone ohne Zweifel aus solchen Wortspielen geflochten seyn muß, redlich zu beseufzen. Gott tröste den Deutschen Patrioten!

Addison spricht wider die Münzverse, Hexameterausgänge etc. kurz und bündig. Der Deutsche Wandrer auch, aber mit der Mine, als wenn er so etwas nur über die Achsel im Vorbeigehen ansehe 9 – – Denn siehe! da kommt etwas, was den Patrioten billiger beschäftigt.

Addison schreibt uns Deutschen die Münzchronostichen als Eigenthum, als Erb- und Lieblingseigenthum zu. – Uns armen Deutschen! Und siehe! da steht der rüstige Deutsche auf: läßt alles, was er unter Händen hatte, liegen, um, als ein wahrer Gottsched! seine Nation darüber zu entschuldigen, 10 »das wären nur Zeiten der Barbarei gewesen, jetzt nehme schon die Liebe zu solchem Spielwerk ab, jetzt da der Geschmack wachse, jetzt da – –« Alles gut; aber gegen wen redet der Mann? Vor wem entschuldiget er? Warum wendet sich seine Scheltmine auf einmal ins Antworten hin? – – Ach! die beiden Wandrer sind wieder zu nahe zusammen: Die Addisonschen Dialogen haben dem Pulte des Deutschen [389] zu nahe gelegen: der Britte beschuldigt, muß nicht der brave Deutsche entschuldigen? – so wenig schläft der Verräther. Doch verrathen, oder errathen? ich schreibe ab:


Addison


»Die Römer erscheinen allezeit in der gewöhnlichen Tracht ihres Landes, so gar, daß man die kleinsten Aenderungen der Mode auf der Kleidung der Münzen wahrnimmt. Sie würden es für lächerlich gehalten haben, einen Römischen Kaiser mit einem Griechischen Mantel, oder einer Phrygischen Mütze zu kleiden. Hingegen unsre heutige Münzen sind voll Togen, Tuniken, Trabeen und Paludamente, nebst einer Menge von andern dergleichen abgekommenen Kleidern, welche seit tausend Jahren nicht mehr gewöhnlich gewesen. Man siehet oft einen König von England oder Frankreich als einen Julius Cäsar gekleidet: man sollte denken, sie hätten bei den Nachkommen vor Römische Kaiser angesehen seyn wollen – – –

Wir müssen die Münzen, als so manche Denkmale ansehen, welche der Ewigkeit übergeben werden, und die vermuthlich noch fortdauern, wenn alle andre Nachrichten verlohren gegangen sind. Sie sind eine Art des Geschenks, welches die jetzt lebenden denen übermachen, die etc.«


Klotz 11 rednerisch


»Ich kenne die Freyheit, mit welcher der Künstler an Statuen und Münzen das Alterthum nachahmen darf; allein« (man denke sich den schönen Gegensatz!) »allein ich kenne nicht die alten Originale, nach welchen die geharnischten Brustbilder auf den meisten neuen Münzen gezeichnet seyn sollen. Es bleibt diese Abbildung doch alle Zeit für unsre Zeiten fremd, und sie stellt eine Sache vor, die wir in der Natur nicht mehr sehen. Haben sich die Römer jemals in Egyptischer Kleidung oder mit Parthischen Tiaren abbilden lassen? Würden sie nicht, wenn sie das gethan hätten, was unsre Fürsten thun, der Nachkommenschaft ganz falsche Begriffe von den Trachten ihrer Zeiten beigebracht haben? u.s.f. – – –

Longin ermahnet die Schriftsteller, an das Urtheil zu denken, welches dermaleinst die Nachkommenschaft von ihren Schriften fällen werde. Ein Fürst, welcher [390] seine Schaumünzen als Denkmale ansieht, die er der Ewigkeit widmet und die zugleich der spätsten Nachkommenschaft etc.«


Da stehen die Menechmen zusammen! zwei Wandrer, auf einem Wege nach einer Stadt, mit einerlei Fußtritten! Nur freilich daß der unsre Blumen lieset, oder wie er beliebt, sich Blumenreichere Wege wählt – er wird gelehrt; er gibt den Fürsten an, was sie ihren Künstlern aus Lichtwers Fabeln und Lucian antworten sollen: er geräth in Patriotische Seufzer, und will zwar den Wunsch des Ajax nicht wiederholen, thut aber für Deutschland ein Reimgebetlein, das Hr. Watelet an die himmlische Venus abschickt, macht einen Non-sens von Gegensätzen: »ich kenne allerdings – – aber ich kenne nicht«, ermahnet die Fürsten, Longin zu lesen u.s.w. lauter Tand von Auszierung, wo Addison immer Addison bleibt. Und gnug, das merkwürdigste bei Hr. Kl. in Vergleichung alter und neuer Münzen ist Addison jämmerlich geraubt: jämmerlich, denn der Britte redet bestimmt, bündig, angenehm; der kopirende Deutsche kopirt und kompilirt unordentlich, unbestimmt, mit schönem Non-sense durchstückt! O Ehre unsrer Nation und Zeiten!

Auf Hrn. Kl. möchte ich am allerwenigsten so ein Wort hingesagt haben, wovon nicht die Probe den Augen aller Welt vorläge: hier sind noch ein Paar Streiche mehr, die den Kompilator verrathen; den Kompilator, der nichts, gar nichts in seinem Original umsonst gelesen haben will, und der sich doch wieder nie will merken lassen, daß er abschreibt; der immer den Schweif hängen läßt, um seine Spuren zu vertreiben, und der seinen Schleichgang eben damit desto sichrer verräth – laß sehen!

Bei Addison sprechen drei Freunde: jeder auch in diesen Münzmaterien von eigner Denkart, ein eigner Charakter. Cynthio, dem die Münzwissenschaft unnütz dünkt, kann also Einwürfe machen, die Eugen nicht machen kann, die Philander beantworten muß. Eugen hält zwischen beiden das Gleichgewicht, und bleibt Eugen: Philander [391] ist Philander – und eben daher, aus dem Unterschiede der Charaktere wird eine freundschaftliche Gruppe. Jeder steht in seiner Gestalt, in seinem Lichte da, und Addison, der gesellschaftlichste Schriftsteller Britanniens, der den guten Ton worinn anders setzt, als in artige Complimente, ist auch hier Gesellschafter. Er hat die Rollen vertheilt, jeder der Dialogisten nimmt von seiner Seite Antheil: aus der Verkettung, dem Contraste, den Wendungen des Dialogs wird das schöne Ganze, das Leben des Stücks.

Hr. Klotz aber immer in seiner Person, und da er dem ohngeachtet auch die Vorwürfe des Cynthio gegen die Münzwissenschaft, nicht will umsonst gelesen haben, und sie also auf die Geschmacklosen Münzenkenner bannet: so wird was bei Addison durch den dialogischen Contrast bestimmt und gemildert wurde, bei ihm, der immer in seinem Namen spricht, und immer in seinem Namen schilt, eine Misgeburt, dogmatische Satyre, und satyrische Dogmatik. Philander, Cynthio, Eugen sprechen alle durch eine Röhre auf einmal – –


an odd promiscuous Tone
as if h' had talk'd three Parts in one
which made some think, when he had gabble,
Th' had heard three Labourers of Babel. – –

Nun laß es noch gar seyn, daß Cynthio Seitenlang den Oberton behalte, noch gar dazu schreien, was Pope dem Addison im Namen des Cynthio gesagt, noch gar, was andre ehrliche Leute gegen den schlechten Münzengeschmack gesagt: – ei! da ist der schöne bunte Rock fertig, Farbe über Farbe, Lappe an Lappe, Tuch über Seide und Leinwand über Tuch – ei! da ist der schöne belesene gute Ton des Hrn. Klotz.

Ein andrer Streich, den Addison seinem Deutschen Mitwandrer spielt, ist noch ärger. Fast immer lockt er ihn von seinem Wege ab, und da dieser doch durchaus mit ihm nicht einen Weg nehmen will, und sich also immer wieder besinnet, um zurück zu reisen, und immer sorgfältig die Spuren vertritt, auf denen er zu ihm [392] gekommen, und immer doch zu ihm zurückkommt: so hat er endlich gar keinen Weg. Er geht ab und zu: ist, wie jenes Ding


– – das ging und wiederkam:
wie wird der Wandrer nach der Stadt kommen? – –

Alle Präliminarausschweife abgerechnet, fange ich an, von »der Sache, die ich mir vorgesetzt habe. Meine Absicht ist, aus den Münzen gleichsam eine Geschichte des Geschmacks und der Künste zusammen zu setzen, und ihre Blüthe, oder ihren Verfall aus denselben zu beurtheilen. Ich werde daher die alten Münzen, welche besonders unsre Aufmerksamkeit an sich ziehen, mit den neuern vergleichen; ich werde die merkwürdigsten Perioden in der Geschichte der Kunst durchgehen, die Münzen, welche zu jeder derselben gehören, betrachten, und nach der größern Anzahl guter oder schlechter Stücke mein Urtheil fällen!« 12 Wie groß ist das Ich werde! des Verfassers; aber der böse Addison! Er ist im Stande, einen vielversprechenden Wandrer so weit von seinem Ich werde! abzubringen, so weit in Kreuzgänge zu verführen, daß er endlich mit dem alten Fabelhansen Aesop wohl sagen kann: weiß ich doch selbst nicht, wohin ich gehe!

Kaum ist das Thema in alle seinem Werde gesprochen: so wird nichts. So gleich kommt der Autor auf eine Meilenlange Parenthese, 13 was er zu einem Zeitalter des Geschmacks rechne? so gleich auf eine Addisonsche Parallele zwischen den Alten und Neuern, 14 und das aus Einer Münze.

Er besinnt sich an sein Thema, und kündigt die Theile seiner Abhandlung ab: 15 und unvermuthet 16 ist er wieder bei Vergleichung der A. und N. bei Addison. Es fängt eine lange Parallele an, da doch der Autor etwas anders, als Parallele, schreiben wollte.

[393] Jetzt will er von der Allegorie auf Münzen überhaupt reden: er will; aber da 17 sind ihm wieder die Bilder der Alten und die Vestungsplane der Neuern vor Augen – aus Addison.

Jetzt kommen ihm Winkelmann und Leßing in den Weg, 18 und werfen ihn wie einen Ball umher: er kommt zu sich und findet sich bei Addison. 19 Der gute Schriftsteller wollte von Vorstellungen des Geschmacks überhaupt reden, und redet von Parallelen.

Er erinnert sich wieder an seinen Weg: ei aber! da 20 sind die Hrn. Mengs und Hagedorn – ganz unvermuthet! Ach! und eben so unvermuthet bei dem Cynthio Addisons, und Pope an Addison, und nachdem er über die klassischen Schriftsteller seiner Zeit hinweggeschweifet ist, wieder bei dem Costume Addisons auf alten Münzen. 21

Und nun haben sich die beiden Wandrer schon so lieb gewonnen, 22 daß sie sich seltner trennen. Inschriften, Wortspiele, Verse, Chronostichen sind Addisons und Klotzens Weg, und da bei dem letztern ein kleiner freundschaftlicher Zwist vorfiel: so beugt der Deutsche in Entschuldigung ab: eine Addisonsche Bemerkung kommt als Stempel darauf und – – »Soviel vom ersten Theile.« Er sollte freilich eine Theorie des Münzengeschmacks nach Vorstellungen, Sinnbildern und Aufschriften – er sollte gar eine Geschichte dieses Geschmacks nach Völkern und Zeiten enthalten – durch ein Zusammentreffen der Wege aber ward er ein unordentliches Gemisch fremder Bemerkungen, Regeln und Beispiele, aus welchen nur der zärtliche Freund Hrn. Klotzens, und Hrn. Klotzens eigne Bibliothek, den schönsten Plan und Ordnung ausspinnen kann. – Mich dünkt, Hr. Gatterer behalte zu seiner Theorie der Medaillen, zu welcher er schon einen lesenswerthen Beitrag gegeben, die Materie ziemlich ganz übrig.

Fußnoten

1 S. 34. 35. 36.

2 S. 30.

3 S. 22.

4 S. 20.

5 S. 96. 97. 98. etc.

6 S. 85. u.f.

7 S. 88. 89.

8 S. 90. 91. 92. u.s.f.

9 S. 92.

10 S. 93.–97.

11 S. 79. [78].

12 S. 22. 23.

13 S. 24. u.f.

14 S. 26. 27.

15 S. 27.

16 S. 30.

17 S. 32. 33. u.f.

18 S. 38. 39–51.

19 S. 52.

20 S. 65–69.

21 S. 70–79.

22 S. 85–99.

[394] 4.

Noch hab' ich erst nach Grundsätzen zur Theorie des Geschmacks auf Münzen nachgesucht: nun aber ein Beitrag zur Geschichte des Geschmacks? Auch mir ist die Numismatik vorzüglich eine Aesthetik des Schönen, und eine Urkunde zur Geschichte der Völker, und da ich in dieser überhaupt am liebsten die Geschichte des Menschlichen Geistes studire: nach allem Betracht eine Geschichte des Geschmacks auf Münzen; welch ein Geschenk! So nahm ich das Klotzische Schriftchen zur Hand und – – legte es mit der beschämten Mine weg, mit der ein Bogenschütze den lieben Bogen weghängt, den er freudig und Hoffnungsvoll nahm, mit dem er aber – – nichts getroffen.

Nichts thun, als den Geschmack der Alten auch von Münzen herab loben, und in allgemeinen Ausdrücken preisen – kommt heute etwas zu spät: Hierüber liegen schon Denkmale und Sammlungen der Welt vor Augen, daß man sich eine Lobrede ins Allgemeine hin, ohne Beispiele und fast ohne Grundsätze, ersparen kann. Nichts thun, als den Geschmack der mitlern und neuen Zeiten fein lächelnd auszischen, oder ansehnlich ausschelten – immer auch zu spät, da schon so viele Klagen vergebens in die Winde verflogen sind, und selbst bessere Bemühungen nichts ausrichten können. Am besten also, weder preisen, noch tadeln; sondern – erklären. Die Alten sind auch in diesem Stücke so weit vor; was hat ihnen dahin geholfen? wir ihnen so weit nach; was hält uns zurück? was hat uns so lang zurück gehalten? – – Auf die Weise steigt man in die Tiefen der Geschichte alter und neuer Zeiten, und kann die schwere Frage lösen: wie weit können wir ihnen auch in diesem Felde nachahmen? wo sie erreichen? wo sie übertreffen? und so wird eine Geschichte des Geschmacks auch auf Münzen für unsre Zeit Pragmatisch.

Da Hr. Kl. sich auf diesen schlüpfrigen Weg nicht hat begeben wollen, und ich in allem, ohne welches ich keinen Beitrag zur Geschichte des Geschmacks mir denken konnte, meine Erwartung betrogen [395] fand, so entwarf ich, wie sie mir einfielen, einige Linien, die wenigstens zeigen mögen, daß ich über diese Materie Geschichtmäßig und Antiquarisch nachgedacht hatte: ein Riß, aber nur ein unvollendeter Schattenriß, den ich dem künftigen Verfasser einer Theorie und Geschichte der Medaillen übergebe.

Die Numismatik, als Kunst und als Wissenschaft ist, so wie jede Wissenschaft und Kunst, die Produktion einer Nationalgesellschaft. Aus der Verfassung, der Regierung, der Denkart, der Religion, den Unternehmungen, den Zwecken, den Bestrebungen eines Volks muß sich also Ursprung, Blüthe, und Verfall dieser so wohl als jeder andern Kunst und Wissenschaft, erklären. Nun will ich nicht vom Ei der Leda anfangen, wie es mit Nationen stehe, die keine Münzen haben und brauchen? welches Volk sie in Gang gebracht? wie die ersten Münzen, die niemand gesehen, ausgesehen haben? u.f. Warum, frage ich allein, warum kamen die Münzen in Griechenland und Rom zu dem Glanze, daß sie Vorbilder, und meist unerreichte Vorbilder der Neuern seyn können?

Die Liebe der Griechen zum Schönen bleibt wohl die erste Triebfeder auch hier. Sie, die von Dichterideen die erste Bildung ihrer Jugend erhielten: sie, deren Auge überall das Schöne zu erblicken gewohnt war, im Schooße der wohllüstigen Natur geboren, und an den Brüsten schöner Kunst genähret – sie sollten das Metall, das ein Kennzeichen des Werths für ihre Hand war, ohne Werth für Aug' und Seele lassen? sie eine Gold- oder Silberfläche, die der Nachkommenschaft bestimmt war, leer in die Hände derselben senden? sie Tafeln, die täglich ihren Blick auf sich zogen, ohne Augenweide bei sich vorbeistreichen lassen? Das Griechische Auge suchte Schönheit; eine Griechische Seele Weisheit in Schönheit, und so ward auch ihre Münze der Schönheit, und der schönen Weisheit, der Allegorie, gewidmet. Gewiß! so natürlich, daß, wenn in dem Cirkellaufe der Weltveränderungen ein Nordisches Volk auf den Platz des Commerzes und der Cultur getroffen wäre, auf dem jetzt die Griechen stehen, so gewiß ihre Münzen mit Nordischer Wissenschaft, mit Buchstaben und Amuleten und Fratzengestalten [396] überhäuft wären, so natürlich, daß der Grieche seine Münze der Schönheit und offnen Allegorie weihete – –

Der Charakter der Griechischen Nation, der sich in allen ihren Nationalproduktionen, (ich will es Hr. Klotzen überlassen, sie herzurechnen) zeigte, der muß sich, die Numismatik sei auch eine kleine, eine unbeträchtliche Nationalproduktion, nach Maaß auch in ihr zeigen, und welche Triebfedern lagen also für diese, wie für alle Künste des Schönen, in der Nation!

Die vortreflichste Bildersprache war ihr. Sie, die im Plane des Schicksals der Völker zunächst hinter die Aegypter trafen, und Cultur, Kunst und Weisheit, ja wenn man will, auch Politische Glückseligkeit aus den Händen dieses Reichs, wie einer ablebenden Matrone, empfangen, sie, die den über Völker und Zeiten fortgehenden Faden der Cultur des Menschlichen Geschlechts da auffassen sollten, wo er zunächst aus Aegyptischen Händen kam: sie erbten von diesen Allegoristen auch die reichste, die bedeutendste Bildersprache, die auf der Welt gewesen. Aus den Händen einer Nation, die überall Bedeutung suchte, und Bedeutung gnug in ihn gelegt hatte, kam also ein Bilderschatz in die Hände einer Erbin, die für ihr Theil nichts als Schönheit sehen und denken wollte. Reich, Bedeutungsvoll, schön, was kann man von einer Bildersprache mehr sagen?

So manche gelehrte Werke wir über dies Allegorische Alterthum haben: so fehlt uns eine wahre Geschichte der Allegorie noch, die das insonderheit zeige, wie aus der Bedeutungsvollen Bilderlehre Aegyptens die schöne Ikonologie Griechenlandes zum Theil geworden? Und die Untersuchung hierüber ist sie nicht oft der Schlüssel zur Bildergallerie Griechischer Dichtkunst, Kunst und Weisheit? Die Hieroglyphen der Aegypter, ihre Hierographische und Kyriologische Bildersprache, behalten, oder verschönert, oder verbessert, wie manches hat sie in Griechenland hervor bringen können? Und wenn auch nur dies, daß da auf solche Art die Griechen einen Schatz von Bildern aus der Geheimnißdunkelheit der Aegypter gezogen, und auf den Märkten gleichsam dem Volke gemein machten, die [397] schöne Bilderdenkart einer Nation entstehen können, die sich in allen Werken der Griechen und auch auf Münzen äussert –

In solcher Bildersprache sprach ihre Religion. Ihre Gottheiten waren dem Auge sichtbar, in schönen Gestalten sichtbar, in ihren Verrichtungen Menschlich, in der Geschichte ihrer Tugenden und Schwachheiten Dichterisch, in allem sinnlich. Es ist bekannt, welche vortrefliche Münzenfolge mit den Bildern der Götter und Göttinnen, der Schutzgottheiten einzelner Länder, Provinzen, Städte, Familien und Personen prangen – wer kann ihnen diese nun nachbilden, so daß jede Gottheit, das, was sie ihnen war, bliebe? Ueber eine Dreifaltigkeit unter dem Bilde eines dreiköpfichten Janus lachen, 1 ist leicht, sehr leicht; aber ein beßres Bild der Dreifaltigkeit angeben, das die Probe Griechischer Bildsamkeit hielte, wäre schwerer, ja unmöglich: dieses Bild also gar zur Vergleichung unsrer mit den Alten nehmen, ist unzeitig. Die Griechen hatten keine Dreifaltigkeit, wie wir; sonst würden sie dieselbe so wenig, als wir, haben bilden können. Unser Gott ist ganz über das Sinnliche der Kunst erhaben: die gewöhnlichen Vorstellungen der Dreieinigkeit in den Gestalten einzelner Personen von dem göttlichen Greise an bis an die himmlische Taube sind nicht gnugthuend: der Triangel blos eine tropische Symbole: die Glorie mit dem heiligen Namen nichts als eine Epistolische Hieroglyphe: die Wirksamkeit unsrer Gottheit ist nicht bildsam: einzelne Schutzgötter hat unsre Religion nicht: die Vorsteherschaft besondrer Wesen über besondre Dinge kennet sie nicht – wer wird sich hier mit den Heiden vergleichen wollen?

Wo unsre Religion noch sinnlichen Vorstellungen Raum gibt, wo sie sich einer Poetischen Bildersprache bequemt: da ist sie – Orientalisch. Unter einem Volke gebildet, das ihr Gott auf alle Art von Bildnissen abwenden wollte, in Gegenden, die das Uebermenschliche suchten, in Nationen, die Verhüllungen des Körpers, und Geheimnisse des Geistes lieber verehren, als das offne Schöne lieben wollten – im Geist und in der Sprache dieses Volks die [398] sinnliche Bildersprache unsrer Religion also geoffenbaret; wer wird in ihr Offenbarungen für die Kunst suchen wollen. Ueber das Bild von der seligen Abfahrt Gustav Adolphs ist wieder leicht spotten, 2 und der Spott fast so verächtlich, als das Bild selbst; gar aber dieses Bild als einen Revers mit der Römischen Vergötterung anführen, vergleichen wollen? Der Spötter gebe uns nach Christlichen Begriffen eine Reihe solcherVerhimmelungen, als sich auf Griechischen und Römischen Münzen Vergötterungen finden, und wir wollen ihm danken.

Ich ward auf eine unangenehme Weise hintergangen, da ich des Mery Malertheologie in die Hand nahm, um meinen alten Wunsch ausgeführt zu lesen: wie weit sich von den vornehmsten Gegenständen unsrer Religion Malerische Vorstellungen geben lassen? Und eben so unangenehm getäuschet, da ich bei der Recension dieses Buchs in den actis literariis 3 ein genaues Urtheil, und die tief eindringenden Ergänzungen erwartete, die ein würdiger Kunstrichter jedesmal seinem Autor über solch eine Sache wiederfahren lässet. Unser Künstler hat noch eine Ikonologie unsrer Religion zu wünschen, die ihn nicht blos vor unwürdigen Vorstellungen bewahre, sondern ihn mit würdigen Bildern versehe. – Auch auf Münzen ließe sich in keiner Sorte von Abbildungen eine solche Reihe abentheuerlicher, lächerlicher, und unwürdiger Vorstellungen geben, als in dem, was an Religion trift: wer wird aber durch solch ein Lachen Geschmack zeigen wollen? den ersten besten Griff in eine Münzensammlung Christlicher, und insonderheit der mitlern Barbarischen Mönchszeiten, und man wird von Gott und Belial, von Himmel und Hölle, von Engeln und Teufeln, von Märtrern und Heiligen Bilder finden, nicht geschwind gnug zu überschlagen. Selbst die beste Vorstellung des Christenthums, die betende Mine, die kniende Figur der Andacht scheint nicht für einen ewigen, offnen Anblick der Kunst die beste, so häufig uns der Gothischpapistische Mönchsgeschmack damit beschenket hat. Das wahre Gebet flieht in [399] eine stille Kammer: es will sich nicht zur Schau stellen lassen: die vor allem anschauenden Volke verzückte Mine kommt bei dem langen Anblicke, der ärgernden Mine des Heuchlers zu nahe, und das ist noch eine der würdigsten Kunstvorstellungen aus unsrer Religion!

2. Sinnbilder von Städten, Provinzen, Ländern geben auf den alten Münzen eine einfachere Bildersprache, als in Zeiten, da die Heraldik eine zusammengesetzte, künstliche Wissenschaft geworden, die allein beinahe die Lebenszeit eines Mannes fodert. Eine einfache Figur war dort die Symbole einer Stadt, einer Kolonie, eines Landes; unsre Wapen sind eine Zusammensetzung vieler Figuren, um deren Eine oft Ströme von Menschenblut vergossen, deren keine also, wo es die Ehre und das Erbrecht des Münzherrn erfodert, ausgelassen werden darf, an deren Einer in künftigen Zeiten vielleicht ein ganzes Land gelegen seyn kann. Nun ists leicht, in solchem Fall über die mit Bildern beladnen Münzen der Neuern Geschmackvoll zu spotten: 4 aber wie zu ändern? Der Rechtsgelehrte, der Staatskundige, der Heraldikus künftiger Zeiten wird, da die Sache einmal so ist, uns für die Geschmacklose Ueberladung der Münzfiguren vielleicht so danken, als ein Grieche vergangener Zeiten sie wegwerfen würde. Wie also, da es höherer Ursachen wegen nicht anders seyn kann?

Die Wapen, wie bekannt, sind eine Erfindung und Anordnung der mitlern Gothisch-Barbarischen Turnierzeiten; ihre Schilde und Kreuze, und Sparren und Bandstreifen, und Thierfiguren und Fahnen haben ihren Ursprung dem Zeitgeschmacke zu danken, der sich, als eine Vermischung des Nordischgothischen, des Spanisch-Arabisch Ritterlichen, des Barbarisch-Christlichen Mönchsgeschmacks über Europa daher zog, Ritter- und Riesenkämpfe, Turnier- und Kreuzzüge gebar, und er wäre, was er wolle, nur wenig Ideen von der Tapferkeit eines Griechischen oder Römischen Helden in sich hält – welcher Thor wird also diese unter jenen suchen? So verschiedne Geschöpfe ein alter Griechischer und ein Gothischer Held [400] der mitlern Zeiten: ein Römischer Patriot, der für sein Vaterland, und ein andächtiger Kreuzkrieger, der auch, aber für ein anders Rom, Römisch gesinnet, für Papst und Kirche fochte – so verschieden diese: so verschieden auch die Bilder ihrer Tapferkeit. In den Schilden und Helmen, in den Heroldsfiguren und Ehrenstücken, in den Lilien, die keine Lilien sind, in Drutenfüßen und Alpenkreuzen, in Kronen und Mützen, Helmdecken und Wapenzelten wird da wohl eine Dea Roma oder das einfache Sinnbild einer Griechischen Stadt wohnen? – Einmal sind schon die Wapen höchst verwilligte oder brüderlich beliebte Charakterzeichen der Personen, Familien und Länder, daher die Anordnung und der Plan der Wapen; das Herkommen hat sie geschlagen: jedes Fähnlein hat seine Rechte und Deutung, woran nach unsrer Verfassung mehr liegt, als an einem Gericht Geschmack: sie sind Urkunden und Diplome – wer will sie ändern? wer, wo sie erscheinen müssen, als überladen schelten? wer den Kaisern, Königen, Fürsten, Grafen und Herren, Erzbischöfen, Bischöfen und Aebten, Ländern und Städten, Aemtern und Familien in Europa neue Gnadenwapen nach altem Griechischen Geschmacke geben, daß sie doch nicht so Gothisch-Papistisch-Barbarisch überladen aussehen – wer ist der Münzenlehrer vom Geschmack?

Zu dem waren in den alten Zeiten der Griechenweniger Städte und Länder, die als Unterscheidungszeichen auf Münzen kamen, als jetzt. Ich weiß die ansehnliche Zahl Griechischer Münzen von Städten und Colonien, und auf Römischen die öftern Bilder von eroberten Ländern und Provinzen; alles aber reicht auf keine Art, an die dreißig tausend Wapen unsrer Zeit, die Gatterer als die mindeste Zahl der zuverläßigen angibt. Die Münzen Griechischer Städte waren Patronymisch; jede hatte den Genius, oder den höhern Schutzgott, oder die Symbole ihres Orts, und damit wohl! Die Römischen Münzen stellen die eroberten Provinzen nicht anders, als erobert vor: sie wählten sich also ein Merkmal des Landes, wodurch sich dasselbe für sie, nach dem Gesichtspunkte ihrer Unwissenheit oder Politischen Absichten unterschied, [401] personificirten es zur Symbole: damit wohl! Wo reicht dies aber an die Menge, an die Beschaffenheit, an die Bestandheit, an die Politischen Rechte und Absichten der Wapen, der Unterscheidungszeichen unsrer Länder, Städte und Provinzen? Man erlasse mir über Sachen von solchem Augenscheine alle leidige Gelehrsamkeit, die ich in solchem Falle immer lieber bei Hrn. Klotz lesen mag. Die mittelmäßigste Känntniß der alten und neuen Geschichte, so fern sie alte und neue Münzen erläutert, macht den Himmelweiten Unterschied begreiflich, wie die Alten ihre Städte und Länder symbolisiren und personificiren und allegorisiren konnten, nach dem damaligen Zustande der Länderkenntniß, oder der Politischen Absicht: und wie wir sie nach der Verfassung unsrer Welt andeuten müssen – hier vergleichen, heißt in den Wind vergleichen! 5

3. In Ansehung der abzubildenden Sachen, und Begebenheiten überhaupt hat die Numismatische Welt der Alten vor der unsern große Vorzüge –

Selten waren die dort vorzustellenden Sachen und Begebenheiten so verwickelt, so sehr mit Umständen begleitet, mit Bestimmungen umlagert, als in jetzigen Zeitläuften. Ein Sieg zu Lande oder Wasser hatte einmal seine Victorie mit dem Kranze in der Hand, seine Minerva, seinen Jupiter mit dem Adler, und andre Symbole, die in ihrer schönen Einförmigkeit so gern auf alten Münzen wiederkommen, und so oft sie wiederkommen, noch immer dem Auge gefallen. Die öffentlichen Anreden und Geschenke, die Vergötterungen, Adoptionen, Vermählungen, Spiele, überhaupt die öffentlichen Gelegenheiten zu Münzen waren unverworrener, als jetzt, da man oft mit allen Bildern rings um die zusammengesetzte Idee herum gehet, ohne sie zu treffen, sie entweder halb und schielend ausdrückt, oder die Münze mit Symbolen überladen muß. Die Anlässe zu Münzen haben sich ins Große, und im Detail der anzudeutenden Umstände so sehr ins Kleine vermehret, daß mir grauet, über alle Politische, kirchliche, gelehrte, Kunst- und wissenschaftliche [402] Situationen und Merkwürdigkeiten unserer Zeit Münzen nach alter Art anzugeben, wo man sie fodert, und fodern kann. Gatterer hat angemerkt, daß die Französischen Münzen auf die Geburt eines Kronprinzen sämtlich nicht die concrete Idee ausdrücken, die sie ausdrücken sollen, sie sagen entweder zu viel, oder zu wenig – und wie, wenn sich ein Philosophischer Theorist der Medaillenwissenschaft nun überhaupt darauf einlassen müßte, die Vorstellung aller vornehmsten Merkwürdigkeiten unsrer Politisch so verfeinerten Zeiten, nach dem Geschmacke der Alten zu verbessern – welch Labyrinth! Ich sage kein Wort davon; denn wie viel wäre sonst zu sagen?

Wenigstens also nicht so ganz unsinnig, daß die neuern Münzen in ein Topographisches, oder historisches, oder Ceremoniendetail 6 abgewichen sind, das die Alten nicht haben: die heutigen Zeit- und Staatsläufte sind damit überhäuft, wie konnten die Bilder derselben frei bleiben? Geburt und Tod, Schlachten und Siege, Belagerungen und Eroberungen, Krönungen und Jubelfeste, Stiftungen und Friedensschlüsse, Aemter und Stände sind mit einem Getümmel individualisirender Umstände begleitet, die diese Begebenheit von allen ähnlichen Begebenheiten unterscheiden sollen. Nun ist freilich hier die Regel leicht zu geben: Abstrahire von allen diesen concreten Umständen einen Hauptbegrif, kleide ihn in [ein] Bild nach Art der Alten und du hast eine Münze von Geschmack: allgemein hingesagt, ist dies Recipe, misce, fiet, leicht; aber anzuwenden? Daß jedesmal die Sache nur eben die bleibt und keine andre wird? Daß unter dem abstrakten Begriffe im Bilde, nicht die concrete Begebenheit verschwinde? Wahrhaftig schwerer! und ein vollständiges Repertorium besserer Vorstellungen geben im Geschmacke der Alten, und doch, daß unsre Welt omnimod angedeutet werde, vielleicht unmöglich. Ueberweg also vergleichen, trift nicht. Das Mittelstück der Vergleichung schwankt; die sinnlich abzubildende und abgebildete Welt der Alten ist nicht mehr unsre Welt.

[403] Nichts weniger, als daß ich hiemit die Topographischen Beschreibungen unserer Schlachten und Siege, die Risse unsrer Städte und Vestungen, das Getümmel von Figuren bei einer Krönung, oder Ankunft, das Gewühl von Kriegsgeräthschaft bei einer Belagerung, das lächerliche Freudenleben bei manchen Jubelfesten, alles Kinderzeug bei Geburten, und Himmelsanstalten bei dem Hintritt eines Wohl- oder Hochseligen retten oder loben wolle. Wer mag alle unzeitige oder gar lächerliche Münzhistorien lange ansehen? Daß aber überhaupt unsere Münzvorstellungen mehr ins Historische, ins genau bestimmende einschlagen, als die alten, das, sage ich, ist oft unvermeidlich, oft nöthig, und wenn man erlauben will, auch nützlich. Münzen sind Denkmale einer Merkwürdigkeit an die Nachwelt – was sind sie, wenn sie nicht deutlich, nicht bestimmt reden? und wenn sie über unsre Welt von Denkwürdigkeiten nicht immer nach der Weise der Alten reden können? Immer lasset sie sich alsdenn ihre eigne Weise nehmen. Mit allen Vorzügen der Alten hierinn sind nicht viele ihrer Münzen deswegen für uns undeutlich, weil sie zu wenig historisch, zu wenig individuell, zu abstrakt, zu allegorisch sind?

Nun stelle man sich nach Jahrhunderten eine Nachkommenschaft auf unsern Gräbern vor; eine gegen uns so fremde Nation, als wir gegen Griechen und Römer, eine, die mit eben der Begierde in der Geschichte von uns forschen wollte, mit der wir unter den Alten forschen – Oder wenn mir ein solches Gericht einer Nation nicht erwarten dörfen: so lasset nur im Verfolg der Zeiten nachkommenden Gelehrten und Staatskundigen an genauen Denkmalen der Vorwelt gelegen seyn dörfen: wird ihnen etwa eine reine würdige historische Vorstellung nicht gelegner kommen, als eine hinter die Allegorie versteckte? als eine allegorisch halb gesagte? als eine nur im Nebenbegriffe angedeutete? – In diesem Falle ist der Unterschied so, wie in den mancherlei Erzählungsarten der Geschichte. Die älteste Geschichte war Gedicht, war Epischer Gesang – schön allerdings, in rührende Bilder gekleidet freilich, so gar mit täuschenden Fiktionen untermischt; aber Geschichte? Trockne Zeugnisse der[404] Wahrheit? Wie verlassen ist der Geschichtschreiber in diesen Gegenden schöner Poetischer Halbwahrheit, oder schöner halbwahrer Dichtung! Und was diese Mischung einen langen Mythologischen Gesang hinunter; das ist sie, wenn eine neue Begebenheit hinter eine halb andeutende Allegorie versteckt wird, auf einer Münze, auf einem Denkmale für die Nachwelt.

Eben dazu ists schon, daß die Neuern ihren Medaillenvorstellungen eine grössere Fläche, als je die Alten, eingeräumt haben. Möchten sie nur auch die historische Begebenheit so kurz, so anschaulich, so entladen von entbehrlichen Nebenumständen, von Zierrathen einer fremden Zeit, und von verwirrender Dichtung vorstellen: möchten sie nur statt immer neue Vorstellungen zu erkünsteln, bei wiederkommender Veranlassung auch gute, obgleich schon gebrauchte, Abbildungen wiederholen, und das Individuelle des gegenwärtigen Falls nur so leicht bestimmen, als möglich: freilich, so könnten wir, weil sich auch unsre Welt von Merkwürdigkeiten doch so oft wiederholet, auch einmal zu einer für uns eignen Ikonologie kommen, so bestimmt, als die Antike in ihrer Art; nur freilich ein gut Theil historischer, Politischer, detaillirter.

4. Die vorzustellenden Personen nehmen in etwas an dieser Schwürigkeit Theil. Wenn es in den mitlern Zeiten Reichsgängig war, den Kaiser sitzend auf einem halben Cirkel, oder auf einem Thore zwischen zween Thürmen abzubilden, als wären die Füße dem Bauche entwachsen; wer dörfte da bei solcher kaiserlichen majestätischen Stellung nicht an die Mine Vespasians beim Sueton gedenken: velut nitentis! Er mit Kron und Scepter, Schwert und Reichsapfel – einen Fürsten mit Helm und Panzer, in seiner Hermelindecke und Hermelinmütze, mit Fahn und Wapen reitend – der Bischof mit Hut und Stab und Kreuz und Oberrock – drei Heilige auf einer Zürcher Münze, mit einem Nimbus oben statt des Haupts, das jeder Rumpf zum Zeichen ihres Märtrerthums in der Hand hält. – Diese erzwungene Tracht und Stellung, die fast jedes Land des guten Herkommens wegen seinen Fürsten und Herren gibt, durchlaufen; und denn an das freie [405] Kopfbild eines Alexanders, zurück gedacht – welch ein Unterschied! wo wohnt das freie Schöne?

Mich wundert, wie Hr. Kl. über die geharnischten Brustbilder auf unsern Münzen so fremde wie ein Kind thut: 7 »Wider das Costume sind sie doch: den alten Römern sind sie nicht nachgeahmt, den byzantinischen Kaisern auch nicht so recht: sie müssen endlich wohl aus Rüstungen verschiedner Zeiten zusammen gesetzt sein.« – – So wenig ich in dergleichen Reichsurkundlichen Sachen belesen seyn mag, so weiß ich doch außer der Zeit unsres Costume, (in die kein Schüler der Numismatik ihre Erfindung setzen wird,) außer der Römischen und Byzantinischen Rüstung, noch eine mitlere Zeit Deutschen Ritterthums, da die Herzoge und Grafen von den Kaisern in denen ihnen anvertraueten Ländern zu Heerführern der Ritterschaft verordnet gewesen, da diese durch solche Turnier- und Heldenrüstung sich unterschieden, da also die Herzoge ihr Heerführerthum durch Harnische und Ritteraufzüge auch auf Münzen signalisirten, sie als herzogliche Insignien und Gerechtsame behielten u.s.w. Dies weiß ich, und wer sollte das nicht wissen?

Und weiß man das; wem wird die weitläuftige prächtige Anmahnung: »die Fürsten sollten doch bedenken, daß sie ihre Münzen für die Nachwelt schlagen lassen, daß diese ja der spätesten Nachkommenschaft ihren Geschmack verkündigen sollen: die geharnischten Brustbilder wären doch wider das Uebliche unsrer Zeiten: an Münzen und Statuen des Alterthums fände er doch solche Rüstung nicht: an byzantinischen Kaisern auch nicht so ganz; sie bleibe doch für unsre Zeiten fremde: sie stelle doch eine Sache vor, die wir in der Natur nicht mehr sehen: die Römer hätten sich doch nie in ägyptischer Kleidung, oder mit parthischen Tiaren abbilden lassen: man brächte damit der Nachkommenschaft nichts, als ganz falsche Begriffe von den Trachten unsrer Zeit bei« – – und was der Verf. darüber auf sieben Seiten Gelehrtes,[406] Wohlschmeckendes und Zurechtweisendes von Heliogabalus und Childerich, von Alexander und Aristobulus sagen möge, das artige Gebet des Hrn. Watelets, und den artigen Spaas vom Löwen und Affen d.i. vom Fürsten und seinem Künstler, von der friedfertigen und mit frommem Abscheu gegen alles Morden und Blutvergießen verwahrten Bürgerkompagnie, von der lockichten Perucke und Ihrer Herrlichkeiten breitem Halskragen – – diesen artigen Spaas mit eingeschlossen, wer wird die ganze Ermahnungsrede nicht so fade, als möglich, finden? Wenn die liebe Nachkommenschaft nur etwas weiß, so weiß sie, daß dies nicht eine Tracht unseres Ueblichen im gemeinen Leben, sondern ein fürstliches Herkommen, das Insigne eines gewissen Ranges, gewesen: so weiß sie, daß, wenn den Geheimden Räthen unsrer Zeit diese Kleidungstracht, wie billig, unbräuchlich ist: sie bei fürstlichen Installationen in Deutschland urkundlich sey: so weiß sie, daß, wenn der Papst nicht täglich seine dreifache Krone trage, er sich dieselbe doch anmaaße, und daß, wenn Ihre Herrlichkeiten den breiten Halskragen nicht über den Harnisch zu binden befugt sind, sie es auch nicht thun werden, wie der Hr. Verf. meinet: so weiß sie – – und das weiß ja jeder Schüler der Reichsgeschichte.

Nun mag es etwa der Affe eines Löwen, das ist nach Hr. Kl. Fabeldeutung der Künstler und Historiograph eines Fürsten ausmachen, wie weit Seine Durchlauchten dies Erz abschütteln könne, oder nicht? Aber dazu gehört wahrhaftig kein Geheimder Rath, es auszumachen, daß kein Fürst unsrer Zeiten diese Rüstung ersonnen, um »der spätesten Nachkommenschaft seinen Geschmack zu verkündigen, um den Enkeln die vortheilhafteste Schilderung von sich zu überlassen.« Dazu gehört auch kein erster Philologe der Nachwelt, um etwa das Costume unsrer Zeit daher zu muthmaßen, so wenig die Ammonshörner Alexanders und Lysimachus uns auf den Verdacht bringen, als wäre er eine gehörnte Mißgeburt gewesen. Wenn sich indessen ein Fürst einem solchen Insigne auch nur des Herkommens, des Ranges, des Nationellen bei seiner Huldigung und Krönung wegen bequemt – immer sei er zu [407] beklagen; denn hinter welchen Fässern und Gewändern muß ich nicht einen solchen König Saul suchen? aber auch der Unterschied werde erwogen zwischen einer Zeit, die ihre Fürsten frei hinstellt, und einer Zeit, die sie nach Recht und Herkommen zu einem spanischen Mantel, oder zur Tonne des Diogenes, verurtheilt – wer wird das verkennen?

5. Ich komme auf die Inschriften, zu denen ich hier so wohl Titel, als Legenden rechne. Titel! mit welchem Ballast sind unsre Fürsten nicht überladen? mit diesem des Erbrechts, der Familie, eines historischen Umstandes, einer Protestation wegen, mit jenem der wirklichen Besitze halben – wo ist hier die edle Armuth der Griechen und Römer? Der Römer warHerr und Kaiser der Welt, nichts mehr dünkte er sich, aber auch nichts weniger: Ein Titel also seiner Römischen Größe und Hoheit; jeder übrige Zusatz nach Provinzen und Ländern wäre für ihn (ich nehme den Fall der Eroberung aus) verkleinernd. Ein Imperator, Caesar, Dictator, Pater Patriae, war genug, um gleichsam den Einen zu bezeichnen, der nicht seines gleichen hat –


Vnde nil maius generatur ipso
Nec viget quidquam simile aut secundum.

Das Titulaturrecht unsrer heutigen Fürsten muß von dieser Römischen Größe mehr in die Currentmünze der Titel gehen. Hier diese Acquisition, dort jene Gerechtsame, dort jene Anwartschaft von Gottes Gnaden: sie muß nicht vergessen werden, und so kommt eine Titelreihe heraus, die oft auch die Münze besäet. So mache man, wird man sagen, diese zu keiner Heroldstafel, und lasse sie weg! Gut, aber die lasse man doch nicht weg, die in dieser Situation mit zur Bestimmung, zur historischen Erklärung gehören? Und eben dies, wie sehr läufts oft ins Detail? Um nur der Nachwelt deutlich zu seyn, um diesen von so manchen andern Fürsten zu unterscheiden – welche Unterschiedenheit, von der ein Grieche und Römer nichts wußte! Um eben diese und keine andre Denkwürdigkeit der Nachwelt aus unsrer Staatsverfassung zu erklären – welche Unterschiedenheit, von der ein Grieche [408] und Römer nichts wußte. Die bloße Schuldeklamation des Hrn. Geheimdenraths 8 über die Schwachheiten der Fürsten, über eine Eitelkeit, von der sie keinen Nutzen ziehen, reicht hier kaum zu: in diesem und jenem einzelnen Falle würde ihn mancher andre Geheimderath eines bessern belehren.

Griechen und Römer inscribirten in ihrer Sprache, und man kennet dieselben nach ihrer Stärke und Hoheit, nach ihrer Kürze und Nachdruck; verläumden will ich die unsrige nicht: sie hat in manchem so gar Vorzüge; aber zur schönen Aufschrift einer schönen Münzallegorie ist sie nicht gebildet. Nicht gebildet dazu in der Form der Buchstaben, in den hart und vielfach zusammengesetzten Bestandtheilen der Wörter, in dem Bau der Rede, der sich weniger mit einem ausgerißnen Casu, oder einer ellipsirten Construktion verträgt, in dem Geiste der Sprache, der sich hierinn eben so weit von der offnen χαρις der Griechen, von der elegantia inscriptionum der Römer, als von der Französischen Pointe, entfernen dörfte. Unsre Sprache hat ihre Gothischen Buchstaben, die gut erscheinen mögen, nur nicht auf Metall: sie hat ihre vielen Konsonanten, die in einem starken Gedichte so prächtig klingen, als sie auf einer Münze schwer zu buchstabiren, noch schwerer abzukürzen sind: sie liebt den vollen Bau der Rede mit Artikeln, Verschränkungen und Construktionen ohne Ellipsen, ohne einzelne Redetheile: sie liebt auch im Sinne mehr das voll- und ausführlich gesagte, als das schön Andeutende der Griechen und Römer: sie ist also nicht, wie diese, zur Münzenaufschrift. Was soll hier ein Geschmackvoller Tadel über den Mangel an Geschmack in einer Sache, wo es an etwas mehr fehlt, als diesem?

So nehme man die Römische Sprache statt der unsrigen! Gut gesagt! aber ist denn auch die Münze so National, als die Römische war? so einem jeden verständlich? so fürs Publikum, als jene? – Zudem: »man brauche die Römische:« aber, ans Landübliche, ans Costume nicht zu denken, wird man sie auch als [409] ein Römer brauchen? Ist die Römische denn auch fürunsre Welt von Münzdenkwürdigkeiten gebildet? wird man nicht oft, indem man alte Worte auf neue Gebräuche anwendet, Centauren schmieden? Vermischungen der Zeiten und Länder, die einem Nachkommen befremdlich seyn müssen, schielende Uebertragungen Römischer Worte und Begriffe unter Deutsche oder neuere Begriffe überhaupt, für einen Kenner beider Zeiten unausstehlich. Die Griechische und Römische Sprache war National: die Denkwürdigkeiten, welche auf Münzen kamen, National, eines also für das andre gebildet: Körper und Seele. Ist aber die Römische Sprache für unsre Welt von Merkwürdigkeiten, oder diese für jene ursprünglich gebildet worden? und doch soll eine die andre ausdrücken? So stoßen sich zwo Zeiten und Völker, wie jene Zwillinge im Leibe der Mutter! – –

Will man also zur Nationalsprache zurück kehren, und einiger maaßen doch die sinnreiche Einfalt, die edle Kürze, gleichsam die Poesie in Gedanken und Worten ersetzen, die sich bei den Alten findet – ach! unsre Sprache bietet uns auch eine Poesie dar, aber sinnreiche Leberreime, oder gar frostige Wortspiele. So wie die Nordländer in der Dichtkunst die Harmonie der Alten durch Reime nach ihrer Art zu ersetzen gesucht: so auch auf Münzen durch Reime – aber welche Ersetzung? National freilich, oft sinnreich gnug und oft nicht blos für den Pöbel, sondern auch für den Weisen, sinnreich; aber eine Ersetzung der Griechischen und Römischen Einfalt? Ich sehe von beiden Seiten Schwürigkeiten: Hr. Kl. sieht keine, er stimmt eine Elegie über den Pöbelhaften Geschmack der Neuern an – wie vornehm!

Weiter mag ich mich nicht einlassen in die unendliche Verschiedenheit der alten und neuen Numismatischen Münzgesetze, Künstler, einzelnen Veranlassungen, des äußern Werths und Zubehörs; noch zum Schluß eine allgemeine Anmerkung, die Anfang hätte seyn sollen.

6. Die Alten hatten überhaupt mehr Bildersprache, mehr Allegorische Dichtung, als wir. Von Dichtern war ihre Sprache [410] gebildet, und da bei den Griechen insonderheit die ältesten Dichter Liebhaber von Bildern, Metaphern, und Allegorien waren, welch ein Schatz lag gleichsam schon in der Sprache theils im Geschlechte, theils in Form, theils in Bedeutung der Worte! Ihre Dichterische Sprache war Allegorischen Aufschriften gleichsam in die Hand gebildet! Allegorien wurden aus der Sprache geschöpft, und mit der Sprache, aus der sie geschöpft waren, begleitet – welche gute Lage!

Zudem: Die erste Schrift und die erste Sprache ist eine Malerei von Begriffen: mit der Zeit kommen in beide künstliche Abkürzungen der Bilder: mit der Zeit verlieren sich gar viele Bilder selbst, und es bleiben allgemeine Begriffe. Wo sind wir nun in der Reihe der Völker und Zeiten? ohne Zweifel diesem Ende näher, als jenem. Die meisten Allegorien allgemeiner Begriffe nach Griechen, Römern, zumal Aegyptern, sind uns schon fremde: die meisten, die z.E. auch Winkelmann aus den Alten anführt, erkennen wir kaum mehr unter solcher Gestalt: sie sind nach unsrer Horizonthöhe beinahe schon über das sinnliche Bild erhoben, oder wenigstens so oft von jenen Vorstellungen abgewichen, als wären sie nicht mehr dieselben. In dieser, meines Wissens noch nicht so bemerkten Aussicht sollte man das Winckelmannische Werk 9 durchgehen, so würde man sehen, wie vorzüglich bei den Aegyptern, (denn sie sind die ältesten,) so dann bei Griechen und Römern Tugenden und Laster, und abstrakte Ideen von allerlei Art fast immer eine andre Gestalt gehabt, als bei uns, wenigstens hie und da von einer Nebenseite angesehen worden, die sie bei uns verlohren. Oft ist das Allegorische Bild einer Tugend, einer abstrakten Idee nach Griechischer Art mit dem Namen derselben nach dem [411] Sinne unsrer Zeit, eine Gesellschaft zwoer Personen, die sich sehr seltsam zusammen finden.

Noch eine augenscheinliche Folge. Dichter haben den Alten ihre Allegorie und Sprache angebildet: National war also ihre Bildersprache, und wenn sie entlehnt war, so wurde sie nationalisiret. Der Unterschied wird wichtig: denn bei uns ist eine Bildersprache so Patronymisch nicht. Dort konnte alles auf einem Wege fortgehen: der Dichter hatte durch seine Poetische Bildersprache das Volk gebildet: derWeise, der nach ihm kam, trat, so viel er konnte, in seine Fußstapfen: er bediente sich des Bilderschatzes, den jener in die Sprache gelegt, nach seinen Zwecken: er bildete die Allegorien des erstern zu Wesen seiner Art um: er wurde ein Plato gegen einen Homer. An seiner Hand gieng der dritte Mann, der Künstler, und erhob jene Bildersprache der Dichter und Weisen zum schönsten Anschauen. Die Götter, die derDichter dem Volke sang, und der Weise erklärte, schuff der Künstler ihm vor: die Ideen, die es in alten geerbten und früherlernten Gesängen auf der Zunge, und aus dem Munde des Weisen gleichsam im Ohr hatte, standen ihm in den Werken des Künstlers vor Augen – durch alles ward also ein Poetisches, ein Allegorisches Publikum gebildet, das die Bildersprache verstand, fühlte, beurtheilte, fortpflanzte. Die Allegorie hatte tiefe Wurzeln in allem was National heißt, geschlagen, in Sprache, Gedichten, Philosophien, Kunstwerken: sie gehörte zur Cultur des Volks, sie ward Denkart des Publikum.

Unser Publikum ist aus diesem Gleise der Cultur, aus diesem Vehikulum der Denkart hinaus. Wenige Bilder ausgenommen, und die Ikonographie der Alten ist uns nicht Nationell. Nicht aus unsrer Sprache geschöpft, und oft nicht einmal mit dieser stimmend; nicht aus unsern angebohrnen Idolen, in denen wir uns als Kinder allgemeine Begriffe denken, gebildet, und oft denselben wiedersprechend – nicht also dem Auge des gemeinen guten [412] Verstandes unter uns kennbar, nicht also National. Die Idole etwa und Märchen, in die unsre Kindheit allgemeine Begriffe kleidet, sind Gothisch, oft ungeheuer, fast niemals für die Kunst. Sie sind nicht von Griechischen Dichtern der Schönheit, sondern durch Nordische Märchen eingepflanzet: einige von ihnen bestätigt unsre Sprache, die sich nach ihnen bequemet: alle aber sind gegen die Menge Griechischer Nationalbilder ein verschwindendes Zwei oder Drei. In den Schatten der Jahrhunderte sind sie verschwunden; und für die Kunst haben wir auch an solchen Gothischen Gestalten der Einbildungskraft nichts verlohren. Die reinere Wissenschaft, die in unsern Nordischen Gegenden durchaus freier von solchen Hüllen der Mittagsländer gedacht wird, die Cultur des Publikum nach unsrer unsinnlichen Religion, und unsinnlichen Philosophie hat sie vertrieben: wir haben also kein Dichterisches, Allegorisches Publikum mehr.

Und können uns die Allegorien der Alten dazu machen? Selten sind diese ja unserm Volke, (ich sage nicht, unserm Pöbel,) kennbar: oft ihm ja so unverständlich, als die Lateinische Ueberschrift ringsum. So wie es nach unsrer gelehrten Handwerksbildung in manchen Ländern dem Pöbel zur Synonyme geworden: er ist ein Lateiner, das ist ein Gelehrter: so wenigstens in diesem Falle ist die Ikonologie der Alten eine Ueberpflanzung fremder Nationalbilder, sich in ihnen Götter zu denken, die wir nicht haben, Städte und Länder in Schutzgöttinnen und Genien zu denken, die wir nicht kennen, Tugenden und Laster zu denken, wie wir sie nicht denken wollen, allgemeine Begriffe zu denken, ohne daß wir sie in der Symbole sehen. Sie ist also ein gelehrtes Rüst- ich will nicht sagen Spielzeug aus fremden Ländern, das unter uns keinen Markt des Anschauens, kein Publikum hat.

Eben hiemit ist Herrn Klotzen ein unerklärlicher Leidesvoller Unterschied erklärt; 10 »Mit den Sinnbildern auf alten Münzen konnte der Lehrer des Geschmacks, der Dichter, der Künstler [413] zufrieden seyn. Den neuern Vorstellungen widerspricht oft Vernunft, Geschmack und Kunst. Wer wollte es wagen, die Vorstellungen auf neuern Münzen mit den Bildern unsrer Dichter zu vergleichen? Gleichwohl hat Addison mit den alten Münzen und Versen dieses gethan: Er hat oft eine große Aehnlichkeit zwischen beiden bemerkt, und Ursache gefunden, den feinen Geschmack dessen zu loben, der die Vorstellung zu einer Münze angegeben. Der Poet hat die Idee mit eben dem Bilde ausgedruckt, welches der Stempelschneider gebraucht, um einen Gedanken sinnlich zu machen.« Wie man sieht, bleibt Alles im Unterschiede der Alten und Neuern bei ihm eine qualitas occulta des Geschmacks zum Staunen. Freilich konnte der Dichter mit solchen Münzvorstellungen zufrieden seyn: denn sie waren aus ihm geschöpft, oder wenigstens nach der Denkart gebildet, die er dem Weisen, dem Künstler, dem Lehrer des Geschmacks, die alle Söhne seines Geschlechts waren, angeschaffen. Freilich lassen sich Verse und Münzen unter den Alten vergleichen: was aber jetzt in Addison eine solche gelehrte und Geschmackshexerei ist, das konnte unter den Alten ein jeder wohlerzogner gebildeter Mann. Wenn er durch Dichter gebildet war, wenn einem Publikum in Griechenland Dichterverse und Poetische Bilder ihrer Mythologie im Kopfe schwebten, ohngefähr auf die Art, als unserm Volke Kirchenlieder, Bibelsprüche, (eine Vergleichung, die hier blos Nationalunterschied seyn soll,) wenn die Sprache und die Erziehung solchen anschaulichen Vorstellungen entsprach – was natürlicher, als eine Vergleichung zwischen Bildern und Versen? was aber auch unnatürlicher, als bei uns solche Vergleichung zu fodern? Die Münzallegorien sind uns meistens überbrachte Ideen: unsre Dichter, der Muse sei Dank! aber uns National – ich sehe keine Parallele. Die Münzvorstellungen aus den Alten entsprechen höchstens auch den Dichtern der Alten; und so sehr diese auch unsrer lieben Schuljugend eingeprägt werden: so haben wir doch nimmer ein Attisches, ein Römisches Publikum, das, wie jenes,nach diesen Dichtern gebildet wäre. Die [414] lange Deklamation des Hrn. Kl. über die Parallele, vom Geschmack auf Münzen, 11 der sich zu unsrer Zeit, unter der Regierung Friederichs des Großen (vermuthlich zu Halle) angefangen, und von Classischen Schriftstellern, die unsern Zeitpunkt allen Völkern und der spätesten Nachkommenschaft bewundernswürdig machen werden, die ganze Parallele ist in Vergleichung der Alten link.

Fußnoten

1 S. 53.

2 S. 26.

3 Vol. III.

4 S. 33. u.f.

5 S. 35. 36.

6 S. 32. 33. 34.

7 S. 79. 80. u.f. [Freies Citat]

8 S. 88. 89.

9 Ueber die Allegorie. Getadelt gnug hat man diesen Versuch, der doch nichts als Versuch seyn sollte; aber recensirt, in der vorgesteckten Aussicht durchgegangen? ich weiß nicht. Und sie ist die einzige, nach der man die Frage entscheiden kann, wie weit wir den Alten nachallegorisiren können, oder nicht?

10 S. 55. 56.

11 p. 70–76.

5.

Doch wie anders, als link ists, wie unser Verf. am liebsten redet? Ein Büchlein über die Geschichte des Geschmacks auf Münzen; und dies Büchlein wird seinem größesten Theile nach nichts, als eine Vergleichung der Alten und Neuern: und diese Vergleichung wieder nichts, als ein Preis des Geschmacks der Alten, und eine Satyre auf den Münzengeschmack der Neuern. Beiderlei Arten des Geschmacks als die Produktion einer ganzen Zeitverfassung und Nationaldenkart anzusehen, den Unterschied zu entwickeln, der sich zwischen der Numismatischen Welt der Alten und der Neuern in Bildersprache der Religion, in den Symbolen der Länder, in den Allegorien der Begebenheiten, in dem Cerimoniel der Personen, in der Sprache der Aufschriften, in dem Publikum, das Münzen erfand, sah und beurtheilte, in allen äußern Umständen der Numismatik ereignet, diesen Himmelweiten Unterschied, von dem ich einige Schattenzüge entworfen, vergißt er; schreibt dem lieben Addison nach, macht dessen Gespräche zur feinen Satyre, zur lahmsten, Lendenlahmsten Strafpredigt über den übeln Münzengeschmack unsrer Zeit, von Fürsten an, bis zu Münzenstemplern zu –

Und das ist sein Beitrag zur Geschichte des Geschmacks auf Münzen. Wie? von allen Nationen, wie im Traume, durchhin reden? bei keiner ihre historischen Data, als Erfolge, die aus einer Ursache entspringen, ansehen? bei keiner auch nur darauf kommen, [415] die Natur des Faktum, aus einem seiner Umstände und Veränderungen in Entwurf zu bringen? bei keiner auf den Boden der Sache sehen, aus dem sie sich erhob und aufblühete? die verschiedensten Zeitpunkte überweg vergleichen, die kaum einer Vergleichung fähig sind? O des armseligen Alterthumskenners! keines Namens unwürdiger, als dessen! Sein klingender Beitrag ist eine Satyre auf unsre Zeiten und Völker, so fein, so gründlich, so treffend, als seine mores eruditorum, als sein genius seculi. Nichts als ridicula kann er schreiben; aber seine ridicula literaria und monetaria sind von einem Gepräge.

Eine Geschichte des Geschmacks auf Münzen, was ist sie, wenn sie uns bei den Griechen die Ursachen des Geschmacks nicht entwickelt: jetzt Griechen und Römer vergleicht, und auch bei diesen nichts erkläret? Was ist sie, wenn sie nicht genau auf die Veranlassungen merket, durch welche der Geschmack fiel, den falschen Geschmack, der sich statt des Römischen einschlich, nicht zergliedert, diesen neuen Gothisch Christlichen Geschmack nicht bis auf seine Quellen, und bis in die Abgründe der Diplomatik, Heraldik und Staatsgeschichte, die seine Abflüsse sind, verfolgt, auf keine seiner Hauptveränderungen merket, die Reformation des Geschmacks, die eigentlichen Verdienste der Reformatoren nicht bestimmet, dem Laufe ihrer Verbesserungen nicht nacheilet: die Reste des alten Herkommens, die sich ihm widersetzten, nicht prüfet: und an eine Anleitung denkt, uns zu unsrer Numismatischen Welt ein Münzenkabinett nach dem Geschmacke der Alten zu sammlen – was sie ist, wenn sie nichts von diesem ist? Und ists nach Einem der angegebnen Gesichtspunkte der Klotzische Beitrag auch nur im dürresten Grundrisse, (vom Mechanischen der Kunst rede ich noch nicht,) so will ich umsonst gelesen haben.

Ein paar mal kommt er auf so etwas, aber beidemal ists Ausschweifung, und es wird grobe Falschheit. »Bei den Griechen, sagt er, 1 hatten die Künste überhaupt engere Schranken, als bei [416] uns. Wir erlauben ihnen größtentheils die Nachahmung eines jeden Körpers, ohne daß die Kunst durch die Würde des Gegenstandes veredelt würde. Der Grieche hatte ihnen blos die Nachahmung schöner Körper verstattet.« Wer Leßings Laokoon gelesen, weiß, wem die Bemerkung zugehöre: dafür aber, daß Leßing Klotzen eine Bemerkung lieh, schenkt dieser ihm großmüthig eine Verbesserung: »Entgegengesetzte Zeugnisse der Schriftsteller und Beispiele der Künstler bestim men mich, dieser Beobachtung engere Gränzen zu setzen, und sie blos auf öffentliche Denkmäler einzuschränken. –« Die Verbesserung in ihrem Werthe und Unwerthe, was thut dies auf die Münzen? gehören die auch zu den öffentlichen Denkmälern, die nichts, als das Schöne, bildeten?

Allerdings, sagt Hr. Kl. 2 »Auf alten Münzen finden wir weder häßliche, noch schreckliche Vorstellungen. Zwei derselben zeigen uns die Furien: aber in welcher Gestalt? Nicht mit den furchtbaren Gesichtszügen, welche der Grimm auf neuern Werken vorstellt. Blos Fackeln und Dolche zeigen diese Göttinnen an. Uebrigens ist auch die Münze, welche die Einwohner Antiochiens zu Ehren des jüngern Philipps haben schlagen lassen, aus der Zeit, da die Blüthe der Künste längst verschwunden und mit ihr zugleichder Begriff der Schönheit aus den Seelen der Sterblichen entwichen war. Wie ungleich sind hierinnen die neuern Stempelschneider den Alten.« Offenbarer gesagt kann nichts seyn. Es werden in der Folge 3 an dem himmlischen Gesichte der Meduse so gar die Schlangen in Erwägung gezogen, und aus vier verschiednen Ursachen gerechtfertigt, daß »diese ein Sinnbild des Wohlthuns und des Heils gewesen, daher sie viele Götter zur Symbole geführet, daß Hogarth in ihnen das Wellenförmige Schöne suche, daß sie mehr zieren, als verstellen: daß endlich und insonderheit Griechen und Römer über diesen Punkt ein von dem unsern ganz verschiednes Gefühl, einen ganz besondern [417] Schlangenappetit gehabt;« und der Recensent des Herrn Klotz, (»bei dem diesmal seine zärtliche Liebe gegen den Herrn Verfasser über seine großen Einsichten und scharfe Beurtheilungskraft im Kampfe die Oberhand behalten«) findet eben die letzte Bemerkung von den Schlangen gar nach dem Geschmack der Alten, vorzüglich wichtig. Ich kann also nach Hrn. Kl. bis auf die Schlangen, bis auf zwo Münzen mit Furien nichts allgemeiners vestsetzen, als »daß auf alten Münzen sich gar nicht, weder häßliche, noch schreckliche Figuren finden.«

Ich nehme indeß ein Paar Bücher zur Hand, die Hr. Kl. zur Hand gehabt haben muß, weil er sie anführt, und so zuerst den lieben Beger: und in ihm mehr als eine Vorstellung auf alten Münzen vonSchweinen, fürchterlichen Löwenhäuptern ohne die freundliche Mine der Meduse, die zum Küssen einladet, das bekannte unförmliche Sinnbild Siciliens, drei Füße, rings um ein Haupt voll Schlangen, und andre, nicht eben so unhäßliche, oder unschreckliche Figuren, die Eule der Minerva ungerechnet. Ich nehme Haym: da Scorpionen, Elephanten, brüllende Löwen, Ochsenhäupter, Nachteulen, kämpfende Schlangen: so Geßner, so andre – keine Sammlung alter Münzen geht von solchen Vorstellungen ganz leer aus – wenn ich nur dem Fleiße des Herrn Geheimden Raths nachfolgen und Bilderchen aufsuchen wollte.

Ja, wird Hr. Kl. sagen, das waren Sinnbilder von Städten, von Ländern. Nicht alle, und doch von Griechischen Städten? von Griechischen Ländern? doch Vorstellungen auf Griechischen Münzen? Sie stehen mit keinem mindern Rechte darauf, als Furien nicht darauf stehen können, weil sie keine Schutzgöttinnen, keine Sinnbilder von Städten waren. Wie? weil Ganymed oder Antäus auf keiner Münze Bild gibt: wer wollte deßwegen deuten? Erst beweise man, daß Furien auf Münzen gehören, wenn, daß sie nicht da sind, etwas beweisen soll.

Ueberhaupt bestimmet Herr Kl. das Allegorische der Münzen so, daß man sieht, er habe vom Münzenartigen seltne Begriffe. [418] Winkelmanns Erklärungen der Allegorie zu folgen, ist gut; nur ihnen mit Einschränkung auf Münzen zu folgen, noch besser. Da er seinen Versuch von der Allegorie überhaupt für die bildenden Künste, nicht blos für die Münzen, geschrieben: so sind seine Regeln ohne Bestimmung auf diese zu lax, zu weit, und nichts unsichrer, als der Klotzische Satz: »die Pflichten des Malers sind auch die Pflichten des Stempelschneiders, nur daß jener ein geräumiger Feld hat.« Um Gottes Willen nicht! die Allegorien auf Münzen haben ihre eigne Natur; sie sind nicht etwa blos wie Malereien, der Kunst selbst; sondern allemal der Deutung wegen da: sie sind Mnemonisch. Das Bild als Bild ist Nichts; der Sinn des Bildes ist Alles. In allen Schriften wirft Hr. Klotz Münzen, Gemmen, Malereien, Statuen grausam durcheinander; und kaum kann Etwas verschiedners an Natur, Zweck und Gesetzen seyn! Ein Kunstwerk ist der Kunst wegen da: aber bei einer Symbole, sie sei der Religion, oder der Politischen Verfassung, oder der Geschichte gewidmet, ist die Kunst dienend, eine Helferin zu einem andern Zwecke, so bei der Münze. Lasset uns also die Griechen nicht auf unrechte Art loben: sie wiedersprechen solchem Lobe, und es wird Tadel auf sie: es wird Unwissenheit für uns.

Auf der andern Seite, lasset uns auch die Neuern nicht ohne Ursache tadeln. Ich will ihre »durch die häßlichsten Verzerrungen des Gesichts verunstalteten Ungeheuer,« die Hrn. Kl. vornehmes Auge beleidigen, »das sich an die griechische Schönheit gewöhnt hat« nicht vertheidigen; aber so billig sollte man doch auch seyn, zu fragen: ist dieses Ungeheuer die Haupt-oder nur eine Nebenvorstellung? Wenn z.E. ein Herkules, als Drachentödter, zum Sinnbilde der Tapferkeit da stünde, und der Drache selbst ein häßliches Ungeheuer wäre: nicht der Drache, der Drachentödter ist das Bild, und jener nur eine unterliegende Vorstellung. Daß die Alten eben so gedacht haben, bezeugen eine Menge Gemmen, und Gemälde, die ja doch eigentlichere Kunstwerke, als Münzen, sind. –

[419] Nebenfiguren also; aber, wenn sie auch selbst Hauptfiguren wären: noch sind sie auf Münzen nichts, als Revers; man kehre um, so hat man die Deutung. Das ekle Auge meines Verfassers, das sich an Griechische Schönheit gewöhnt hat, wird am meisten von Holländischen Münzen beleidigt. »Die Zwietracht, die Tyrannei, die Grausamkeit sind als Ungeheuer mit der größten Häßlichkeit vorgestellt,« und so gleich hat Hr. Kl. den bekanntesten Tadel ihrer Maler und ein Sprüchlein aus Hagedorn fertig, das hier so hingehört, als Faust aufs Auge. Auch ich sehe lieber das Schöne, als das Häßliche, lieber das Liebliche, als Carrikaturen; wie aber? wenn die Enthauptung Karls des ersten durch kein lachendes Gesicht, und durch keine Amors angedeutet werden konnte, und das wütende vielköpfichte Volk also als ein vielköpfichtes Schlangenungeheuer erscheint – und neben an das traurige Haupt des Königes auf dem Boden – wird da nicht die Vorstellung von dem Sinne, von der Allegorie gleichsam verschlungen? Und ist dies Bild denn anders geschlagen, als um so verschlungen zu werden? und wird je eine Münze als absolutes Kunstwerk gepräget? Ist sie je unter den Griechen anders, als zum Denkmale gepräget worden? – – Man denke sich einen Autor, der so ganz die ersten Grundsätze der Künste vergißt, der so sehr ihre Gränzen verwirret, und eben auf diese Verwirrung den halben Theil seines Buchs bauet, wie schief, wie elend wird er bauen? Alle die süßen Anmerkungen über die Griechische Lieblichkeit und Schönheit sind entweder hier Halbsachen, oder Hr. Kl. kennt die Natur der Münzen halb. Er nimmt sie als Kunstwerke und nicht als Denkmale; die Kunst bei ihnen nicht als Hülfsmittel des bedeutenden, den Künstler nicht als Handarbeiter – so schreibt er von ihnen, und verkennet ihre Natur.

Und das ist Alles, was Hr. Klotz unter den Griechen fand, um ihnen ihren Rang im Münzengeschmacke zu geben? – ja! und unter den Römern an ihrem Theil nichts besondres? Wenig, als eine sichre Parallele mit den Griechen, die hier nicht hingehört, und über die ich zu anderer Zeit reden werde. Und nichts bestimmtes [420] an Ursachen, die den guten Geschmack herunter gebracht? Nein! und nichts vom Diplomatischen, Heraldischen und Rechtlichen Ursprunge unsers Münzengeschmacks? Auch nein! – O des sonderbaren Beitrages zu einer Geschichte!

Fußnoten

1 S. 40. [42.]

2 S. 43.

3 S. 46.

6.

Ich thue dem Verfasser vielleicht Unrecht: »Ein Beitrag kann ja so viel oder so wenig beitragen, als er will.« – – Ei! so muß Hr. Klotz nicht großsprechen: denn wie er jetzt ankündiget, hat er über einem weit weitern Thema gearbeitet, als ich gesucht habe – nicht blos an einer Geschichte des Geschmacks auf Münzen, sondern gar an einer Geschichte des Geschmacks und der Künste bei einem Volk aus Münzen. Diesen Faden will er über die merkwürdigsten Perioden der Geschichte, über Völker und Zeiten verfolgen, und aus ihnen liefern eine Geschichte des Geschmacks und der Künste überhaupt aus Münzen.

Das ist freilich noch mehr! auf einer Münze mag sich immer der Geschmack einer Nation offenbaren dörfen: aber daß sie eigentlich eine Tafel des Geschmacks einer ganzen Nation vorstellen sollte, vorstellen müßte? – dem ersten Anblicke scheint das schon gewagt. Auf einer Münze mag sich immer Kunst, und wenn man will, auch Künste, offenbarendörfen; daß sie aber eigentlich eine Zeugin über die Kunst, ja über die Künste seyn sollte, seynmüßte – noch gewagter: und das ist doch »die Ausführung der Sache, die ich mir vorgesetzt habe. Meine Absicht ist aus den Münzen gleichsam eine Geschichte des Geschmacks und der Künste zusammenzusetzen, und ihre Blüthe, oder ihren Verfall aus denselben zu beurtheilen. Ich werde daher u.s.w. – –« Mich dünkt, der Verfasser übernahm, was niemand, als etwa ein Sohn der Sibylle, ausführen kann.

Die schöne Griechische Münze, und freilich läßt sich viel daraus ersehen. Das Volk, dem sie gehört, muß gebildet seyn, Commerz haben; Sinnbilder haben; eine gebildete Sprache haben; Zeichner [421] und Stempelschneider haben, oder gehabt haben: das sehe ich. Träte ich auf ein fremdes Eiland und fände Münzen, von denen ich vermuthen könnte, daß sie kein Fremder verlohren: so wären diese Muthmaaßungen fertig. Aber eine Geschichte ihres Geschmacks und ihrer Künste, den Inbegrif ihres Geschmacks und ihrer Künste – unmöglich. Ob sie Dichter oder Weltweise, Bildhauer, Tonkünstler und Tänzer neben ihren Stempelschneidern gehabt, ob ihr Zeitpunkt des Geschmacks ihnen eigen oder eine Colonie, ob ein langes oder kurzes Drama gewesen, sehe ich das aus einer Münze? Und ist nicht eben diese frappante Intonation: ich will aus Münzen eine Geschichte des Geschmacks und der Künste geben! nach allen Zeitungspanegyren auf Hrn. Kl. sein erstes Verdienst bei diesem ganzen Buche? Indianer, Perser, Araber! was kann man aus euren Münzen nicht weissagen?

Jetzt eine Sammlung, oder, wenn man kann, die ganze Menge Griechischer Münzen: und zwar, welches noch angenommener heißt, in ihrer Zeitfolge nach und neben einander – allerdings kann man jetzt vieles auf die Nation schliessen, was Geschichte, Regierung, Beschaffenheit ihres Landes, ihre Kleider, Waffen, Gebräuche, Gebäude, Religion und dergleichen anbetrift. – Hieraus läßt sich ohngefähr ein Nationalcharakter bilden, der viel in sich hielte, aber keine Geschichte des Geschmacks und der Künste? – ich wollte, daß ein Numismatischer Goguet so ein Werk schriebe. Wohlverstanden, daß er in seinen Schlüssen keinen Schritt vergebens thue, bei jedem den Grad der Wahrscheinlichkeit in Maas nehme, und den seltnen Philosophischen Genius hätte, einzelne Data niemals zu allgemein zu generalisiren, noch auch diesseit des Ziels stehen bleibe, auf welches man zu schließen könnte – wäre dies, was sich bei Hrn. Kl. fast alles im Gegentheile zeiget: so hätte man freilich »eine Geschichte des Geschmacks und der Künste bei den Griechen aus Münzen,« aber auch zugleich ein in Beispiele gebrachtes Lehrbuch der historischen Wahrscheinlichkeit, eine [422] Logik historischer Schlüsse, nicht solch eine Sammlung kahler Allgemeinsätze, als dies ist.

Vorausgesetzt wird hier zum Grunde der ganzen Schlußfolge: daß die Griechen auf der Bahn ihrer Kultur selbst fortgegangen, nicht etwa von der unsichtbaren Macht fremder Völker darauf fortgetrieben, und umhergestoßen seyn, daß also aus ihrem Laufe die Kraft der Nation mit Grunde berechnet werden könne. Was es für Fehlschlüsse gebe, diesen Lauf anzunehmen und zu berechnen, wo er nicht ist, werde ich an anderm Orte an den Griechen zeigen; hier die Römer.

Aus der Römischen Münzenfolge eine Geschichte ihres Geschmacks und der Künste ist durchaus trüglich: denn nicht sie, eine fremde Nation ists, die durch sie wirket. So viel aus ihren Münzen geschlossen werden mag; auf ihren Geschmack und Liebe zu den Künsten wenig. Was in dem Römischen Geschmacke und Künsten denn eigentlich Römisch, was hingegen nur von Griechen geformt nach der Römer Weise gewesen? wo die Römer selbst gedacht, und gearbeitet, oder nur denken und arbeiten lassen? verliert sich in den Schatten, und ist dies nicht eben das Hauptlicht »einer Geschichte des Geschmacks und der Künste Roms aus Münzen?« Wie? wenn die Griechen bis auf jedes Einzelne verlohren gingen wie würden die Römer nicht Siegprangen? Da sie aber nicht verlohren sind, da wir aus andern Quellen, als aus Münzen, es wissen, wie sehr sie in den Geschmacks- und Kunstlauf der Römer unsichtbar eingewirkt: welchen Behaupter wird das nicht zweifelhaft machen, aus Münzen ihre Geschmacks- und Kunstgeschichte zimmern zu wollen?

Die Zeit der so genannten Gothischen Münzen. Daß ihre Urheber keine Griechen und Römer weder an Geschmack, noch an Kunst, noch an irgend Etwas gewesen: das sieht der Blinde; ja es lassen sich die Ursachen so gar einsehen, warum sie nicht das Eine, nicht das Andre, haben seyn können? Es läßt sich so gar der falsche Geschmack, der diese Völker angefüllt, nach seinem Ursprunge und Geschichte berechnen; und ob ich gleich kein Polykarp [423] Lyser bin: so wünschte ich diesen Zeiten einen solchen Berechner, aber einen, der sich vor dem Namen der Barbarei nicht scheue, noch dies Wort so überhin nehme, als wir gemeiniglich im Zeitlaufe der Geschichte, wenn wir aus Griechen und Römern, voll von ihrem Geschmacke, kommen, hinzuwerfen pflegen. Ein Erklärer ist mehr als Tadler; und der muß er seyn, weil unser Erbgeschmack alle sein gutes Herkommen von daraus ableitet.

Wieder also ein Beitrag zur Geschichte des Geschmacks und der Kunst? Immer ja! da diesem Zeitpunkte aber sein Geschmack und seine Kunst nicht so ganz eigenthümlich, da die Litteratur dieser Völker so verdorben, als sie sey, ursprünglich eine fremde Colonie ist, die sich im Stillen mehr oder weniger ausgebreitet haben kann: so wird, nach Maaß dieser Ausbreitung, in eben dem Maaße auch eine Geschichte des Geschmacks und der Kunst aus Münzen unsichrer. Es ist keine Hypothese, es ist eine von den Kennern der mitlern Zeit längst angenommene Sache, daß die Reformation der Wissenschaften wahrhaftig nicht mit einmal losgebrochen: sondern lange im Stillen genähret, gewachsen, gereift sey. Und eben dieser Fortgang des stillen Wachsthums ist der auf Münzen bemerkbar? Galt hier nicht einmal für alle Herkommen, Nationalgeschmack, der bleierne Druck des Zeitgeistes? unter diesem konnte nicht immer viel reifender guter Geschmack liegen, der sich nur nicht äußern dorfte, und am wenigsten ja auf Münzen zuerst äußern konnte? galt wohl auf diesen etwas mehr, als Herkommen, das Joch des Jahrhunderts? Wie viel verliere ich aber in einer Geschichte des Geschmacks, wo ich diese reifenden, ausbrechenden Saamenkörner verliere? Wie oft kann ich irren? Wie oft auf das Ganze unzuverläßig schliessen?

Endlich die neuere Münzgeschichte, und eben sie ist die unzuverläßigste auf einer Geschichte des Geschmacks und der Künste bei ganzen Völkern und Zeiten. In diesen ist die ganze schönere Numismatik ein Zweig Griechischer und Römischer Zeiten, in die Geschichte des damaligen Zeitgeschmacks eingepfropfet; nichts weniger aber, als ein im Boden des Jahrhunderts selbstgewachsener Stamm. [424] Bilderschrift, Sprache und Kunst ist Nachahmung der Alten: immerhin also eine Zeugin, daß der Urheber dieser Münze die Alten gekannt und nachgeahmt; um ein Haar aber auch nichts weiter. Ob der gnädigste Fürst, der auf der Münze steht, und dem Urheber und Künstler seinen guten Geschmack allergnädigst vergönnet; ob jedermann, der diese Münze in seiner Tasche getragen, ob das ganze Publicum, Land, Volk und Zeit, eben den Geschmack gehabt, ist dem ersten Anblicke nach die abentheuerlichste Folge. Wie kunterbunt würde doch in den neuern Zeiten die Geschichte des Geschmacks und der Künste laufen, wenn hie und da ein einzelner guter Medailleur, ein Antiquitätenprofessor, dem eine Münzenallegorie und Inschrift geräth, so gleich ein Zeuge seyn sollte: wie sehr sein durchlauchtiger Herr den Geschmack geliebt und gehabt, wie erleuchtet sein Jahrhundert im Geschmack und in Künsten gewesen? – fast nichts kann mehr Mitleiden verdienen, als diese Schlußfolge. Wie? ein um Lohn gedungener geglückter oder verunglückter Münzenschmidt, ein Schulfuchs, der seinen lieben Alten eine Allegorie und Aufschrift entwenden kann – der ein Rüstzeug für den Geschmack und die Künste seiner Zeit, der ein Apollo und Praxiteles seines Jahrhunderts an die Nachwelt? Schöner Apollo! Ohne daß sein Jahrhundert vielleicht ihn versteht, beurtheilt, schätzet, soll er ihren Geschmack und Kunst predigen – Was für ein leichter Wegweiser zum Tempel des Geschmacks, und zur Unsterblichkeit ist doch der Geschmackvolle unsterbliche Klotz!

Eben so unbegreiflich ist die Gegenseite der Schlußfolge auf den bösen Geschmack neuerer Zeiten und Völker aus Münzen. Ein Land, das einem Staatssysteme, einem Cerimoniel, einem Herkommen alter Jahrhunderte von bösem Geschmack unterworfen ist: eine Zeit, deren Religion höhere und geistigere Zwecke hat, als in Allegorien auf Münzen zu paradieren: ein Volk, dessen Sprache fast vortreflich, wissenschaftlich und genau seyn kann, nur daß sie, gerade aus gesagt, keine Münzensprache ist: eine Nation, deren Merkwürdigkeiten eben so verwickelt von der Politischen Wissenschaft sind, daß eine einzelne Münzensymbole sie nicht vorstellen kann, ein [425] Volk, das aus der verblümten Bilderzeit hinaus, Wahrheit suchet, und Wahrheit findet: ein Volk endlich, in dem die Münzen und der Geschmack auf denselben durchaus für keine Produktion des Publikum gelten kann – ein solches Volk soll sich seine Geschichte des Geschmacks und der Kunst aus Münzen weissagen, sich ein Buch durch mit einem andern, dessen Numismatik Himmelweit von der ihrigen abliegt, hämisch vergleichen lassen? wer ist Bürger dieses Volks, und sagt nicht: unde mihi lapides?

7.

Nun so arg kann es doch Hr. Klotz nicht gemacht haben, da ihm ja öffentlich so viele Ehrensäulen schwarz auf weiß gesetzt sind, ihm, dem Patrioten, der für den Geschmack seiner Nation, seines Vaterlands eifere – – o ja! Eifern ist gut, aber wohin kann Eifer nicht führen? ich habe im vorigen Abschnitte mich nicht durch seine Beispiele unterbrechen wollen: lasset uns seiner Gedankenreihe folgen.

»Ueberhaupt können wir die bildenden Künste als verborgne Verrätherinnen der Denkungsart desjenigen ansehen, welcher sich mit ihnen beschäftiget. Die Wahl des Gegenstandes und die Bearbeitung desselben mahlen uns den Künstler auf eine ihm selbst unbemerkte Art. Ein Werk eines Künstlers ist oft eine noch getreuere Schilderung seines sittlichen Charakters, als eine Schrift das Bild des Schriftstellers. Wir lesen in jenem noch deutlicher, als in dieser, die Triebfedern, die den Geist des Künstlers in Bewegung gesetzt, und die Neigungen, welche gleichsam seine Hand geleitet.« 1

So unbestimmt und Moderecht, als dieser Allgemeinsatz hier stehet, ist er wieder blos das Meteor von einer Bemerkung. Welche bildende Künste sind Verrätherinnen der Denkungsart desjenigen, [426] der sich mit ihnen beschäftigt? Ohne Zweifel, die ihm Wahl, Eigenheit, und Eigensinn erlauben: dieses sind nicht alle in einem Grade, ja die vollkommensten der bildenden Künste erlauben am wenigsten. Die Bildhauerkunst, die Baukunst hat bei ihren Idealen so hohe und strenge Regeln, daß es wohl kaum dem Künstler frei stehet, mit der Kunst gleichsam zu buhlen, die eine Göttliche königliche Juno ist. – – Die Malerei, die in Allem ungemein viele Eigenheiten, Veränderungen, und willkührliche Pinselstriche erlaubt, mag an ihrem Theile eine [so] verborgne Verrätherin der Denkart seyn, als alle Sibyllenbrüder wollen: die Modebeispiele, die Hr. Kl. anführt, 2 vom sanften Raphael und vom ernsthaften Angelo, vom hitzigen Hannibal Caraccio und vom schreckhaften Ribera, und vom niedrigen Brouwer, vom versäumten Kupetzki, und vom fühlbaren Vandyk – alle diese Taschenraritäten, mit denen er sich so gern umher trägt, sind aus ihr, der Malerei, und in so gutem Tone sie auch mögen gesagt seyn, was gehen sie an die Münzkunst? Unter allen kann diese am wenigsten vom Künstler verrathen: selten ist der Erfinder der Medaille auch der Zeichner, der Stempelschneider, der Arbeiter: meistens ist dieser nur der Handarbeiter von dem Kopfe des ersten – und wie nun? daß die Münze »eine noch getreuere Schilderung seines sittlichen Charakters seyn soll, als eine Schrift das Bild des Schriftstellers« – welch ein Dunst! – Unter allen bildenden Künsten ist das Münzengepräge am wenigsten freies Kunstwerk. Landesherrschaftliches Hoheitszeichen, Denkmal einer Begebenheit, veranlaßte Symbole – also der Hofherrlichkeit, der Geschichte, des Bedeutenden wegen, dazu ists. Das Schöne tritt zurück, und wie weit hinten nach die freie Wahl des Künstlers? die Willkühr seiner Bearbeitung? seine Denkungsart? zudem die Triebfedern, die ihn in Bewegung gesetzt? zudem gar sein sittlicher Charakter? und gar deutlicher, als eine Schrift das Bild des Schriftstellers mahlet? Das alles, liebe Göttin Moneta! auf einer Münze! O der erleuchtete Münzenschauer!

[427] Es ist nicht gut, daß es dem Verf. beinahe zur Gewohnheit geworden, die Gedanken andrer so anzuführen, daß sie sich selbst kaum mehr ähnlich sehen, und so selbst mit seinen Leibautoren. Hier 3 citirt er z.E. so seltsam und weitschweifig, als der verspottete 4 Grillo seinen Pindar nicht beiruffen kann, um einige Seiten des unbestimmtesten Gemisches zu bestätigen: »So wahr ist der Ausspruch eines Mannes, welcher die tiefen Einsichten und alle Eigenschaften eines großen Genies« u.s.w. – wie? und dieser wirklich große Mann sollte mit seinem Ausspruche das vorhergehende Getümmel von Halbwahrheiten bestätigen? Er es bestätigen, daß alle bildende Künste überhaupt als verborgne Verrätherinnen der Denkungsart desjenigen [anzusehen] sind, der sich mit ihnen beschäftigt? Er es bestätigen, daß Ein Werk eines Künstlers eine noch getreuere Schilderung seines sittlichen Charakters (seines sittlichen Charakters!) sey, als eine Schrift das Bild des Schriftstellers? Er die erniedrigende Besichtigung anrathen, in einem Kunstwerke die Triebfedern lesen zu wollen, die den Geist des Künstlers (wie eines Taglöhners) in Bewegung gesetzt, und die Neigungen, welche seine Hand geleitet? Er mit dem Geister sehen zufrieden seyn, in Kunstwerken nichts so eigentlich, als das vornehme oft so unverstandne Wort: sittlicher Charakter! sehen zu wollen? – So schielende Anführungen, die Hr. Kl. zur Zeit und Unzeit auf der Zunge hat, entehren, und einen von Hagedorn entehren sie doppelt. – – Wir wollen es unterwegens lassen, aus der Lippe Leopolds des Großen auf seinen Münzen den sittlichen Charakter, die Triebfedern, die Neigungen, den Geist, die Denkungsart seines Stempelschneiders zu weißagen.

Ich wünsche unsrer Zeit, die sich beinahe darein verliebt hat, aus Dichtungs- und Kunstwerken den sittlichen Charakter des Dichters und Malers zu studiren, einen zweiten Leßing, der die Gränze zwischen Dichtkunst und persönlicher Sittlichkeit, zwischen Kunstwerk [428] und Charakter scheide. Auf den Münzmeister aber, der seine Denkungsart auf Münzen offenbaret, wird der sich wohl nicht einmal herablassen wollen und dörfen: denn dieser wischt durch die Hände. – – Das war der Künstler und

2. Der Fürst. 5 »Auf eine zwar verschiedne, aber eben so deutliche Art scheint der Fürst, welcher die Bilder zu Münzen entwirft und die Aufschrift dazu setzt, seine Denkungsart an den Tag zu legen.« Und wie viel Fürsten sinds denn, die Bilder zu Münzen entwerfen, und die Aufschrift dazu setzen? Und wenn sie es thun, wie werden sie sich auf Denkmälern anders schildern, als sie sich der Welt und der Ewigkeit zeigen wollen? Worauf kann ich also mit Zuverläßigkeit schließen? Da auf alten Münzen selbst die entschlossensten Geschichtforscher aus der Numismatik nicht Herz gnug gehabt, jede Vorstellung eines Kaisers oder Königes für ein Sinnbild seines Charakters anzunehmen: wie? so hätten wirs bei den Neuern? Was für eine einförmige und falsche Charakteristik, der Fürsten ihre Denkungsart (man überdenke den wichtigen Namen) aus ihren Münzen zu studiren? Welcher Römische Tyrann wäre alsdenn nicht Vater des Vaterlandes? Welcher schläfrige Monarch neuerer Zeiten nicht auf seinen Münzen thätig, tapfer, groß und edel?

Statt daß man die Wahrsagungskunst des Hrn. Kl. aus Münzen durch einen Kontrast neuer und alter Beispiele lächerlich machen könnte: will ich im ganzen Buche seine Beispiele aufsuchen, da er mit der Geheimnißvollen Mine eines Weißagers herantritt: ei doch! habe ich nicht getroffen? – Nur ei doch, daß ich nicht lauter Meteoren von prächtigen Perioden abschreiben müßte: »der gothaische Ernst, 6 welcher seinen Unterthanen da ein Muster gab, wo er ihnen keine Gesetze geben konnte, schämte sich auch nicht auf seinen Münzen zu bekennen, daß er sich überzeugt habe, es sei das Glück und die Pflicht eines Fürsten, ein Freund und Verehrer der Religion zu seyn. Wir lesen auf seinen Münzen [429] den Charakter eines Prinzen, der seinen ehrwürdigen Beinamen, welchen der Kaiser Ludewig durch Einfalt und thörichte Freigebigkeit von den Mönchen erkaufen mußte, durch die Rechtschaffenheit seines Herzens erlangt hat, und dessen vortrefliche Gesinnungen desto größere Hochachtung verdienen, da er sie nicht aus einer Schwachheit und einem Unvermögen im Nachdenken angenommen hatte, sondern weil er nach Prüfungen, deren sein großer Geist fähig war, sie für wahr gefunden.« Welcher Parenthyrsus von Denkungsart, den kaum ein Geschichtschreiber, der sein ganzes Leben vor sich hätte, anstimmen sollte, von Denkungsart, die kaum sein Busenfreund so unwiedersprechlich predigen wollte! o was kann Hr. Kl. aus Münzen nicht alles lesen?

Nun aber die Medaillen andrer Fürsten, die nach der Geschichte auch rechtschaffen und fromm gewesen; ihre Münzen indessen haben nichts auszeichnendes und Schautragendes von Frömmigkeit – was gölt' es, wenn man im Gegensatze unsres Autors sie als Negativen charakterisirte? Nun alte Münzen, die auch mit der Pietas prangen: was gölt' es, wenn man im Tone unsres Klotz ihre Frömmigkeit charakterisirte? Was? wenn man allen Fürsten, die nicht wie Ernst die Münzen zu Heroldstafeln ihrer Frömmigkeit gemacht, diese und die ewige Seligkeit ab–; allein denen, die davon auf ihren Münzen gepredigt, sie zuspräche – Weißager! Weißager! wo kommen wir hin?

»Offenbahret sich der Geist Ludewigs des XIV, welcher seiner Ehrbegierde keine Gränzen wußte, und ihr mit Freuden Treue, Menschenliebe und das Wohl seiner Länder aufopferte, nicht eben so deutlich auf den Münzen dieses Königs, als in allen seinen Handlungen?« 7 Nichts weniger! und mich wundert, daß ein Gesunder so etwas behaupten könne. Vielmehr ist auf Münzen nichts, als die Größe, die Tapferkeit, der Heldenmuth Ludwigs, recht das Ideal eines Ludwigs des Großen sichtbar. Eine Gränzenlose [430] Ehrbegierde, eine freudige Aufopferung der Treue, der Menschenliebe, des Wohls seiner Länder offenbart sich da nicht, und Ludwig würde es der Akademie schlecht verdankt haben, wenn sie so etwas auf Münzen hätte offenbaren wollen. Umgekehrt kann beinahe kein Fürst seyn, dessen würkliche Handlungen und Münzvorstellungen, was Geist, was Charakter anbetrift, uneiniger seyn können, und Gnade allen Königen und Fürsten des Jahrhunderts Ludewigs und unsrer Zeit, wenn die Nachwelt so, wie der Richter unsrer und der Vorwelt, Hr. Klotz, aus Münzen ihr Urtheil fällen, auf Münzen Geister sehen, Charaktere kennen, Denkungsarten erforschen, und so den Rang bestimmen wollte. Wie sehr riefe alsdenn Ludwig vor allen Neuern hervor? und wie klein ist oft die Veranlassung zu seiner prächtigsten Münze.

»Mir wenigstens, fährt Klotz fort, 8 gibt die Akademie, welche dafür bezahlt wurde, daß sie ihren Stifter durch pralende Münzen vergnügte, keinen geringern Beweis von der damals in Frankreich herrschenden Schmeichelei und allgemeinen Bemühung, den König leichtsinnig zu vergöttern, als jener Bischof, welcher von dem Strome der Niederträchtigkeit hingerissen, als ihm Ludwig –« ich kann den Rednerischen Ton bei dem Geschichtchen eines Bischofs, der Ludwigen zu gefallen keine Zähne haben will, nicht aushalten – fühlt denn Hr. Kl. nicht, daß dies Eine Geschichtchen sein ganzes System der Hieroscopie aus Münzen umwerfe? Konnte eine ganze Akademie, die dafür bezahlt wurde, auf ihren Münzen nichts als schmeicheln? Kann eine Legion von Münzen noch so wenig Zeugin über den Charakter eines Prinzen werden: ein ganzes Jahrhundert beinahe konnte im Strome prächtiger Lügen fortgehen – »ach Sire! wo findet man alsdenn jemand, der Zähne hat?« wer wird alsdenn den Charakter, die Denkungsart, die Wahrheit eines Fürsten aus dessen Münzen lesen wollen?

Des Fürsten Hauptbeschäftigung etwa könnte man noch endlich aus vielen Münzen, am liebsten aus allen seinen zusammen genommen, [431] ersehen: ohngefähr die Richtung seiner Nase und das Profil seines Gesichts. Aber Geist, Denkungsart, historischer Charakter, Wahrheit? – Alle Münzen haben gleichsam den Ton, den sie als Münzen anstimmen müssen; so wie eine Epopee eine Erhebung über die Geschichte, und das Drama eine Erhöhung über das gemeine Leben zum Wesen hat. Wer nun eine Epopee zur Urkunde, und ein Drama zur Moral des Lebens machen kann, der studire auch die Geschichte vom Geiste und Charakter eines Prinzen aus seinen Münzen, und aus seinem Grabmonumente, wo, ohne noch an unterthänige Schmeicheleien und Lügen zu gedenken, beide schon ihren Ton, ihr Epos haben, der immer, ja auch bey der wahrsten Aufschrift, Poetische Natur hat, und keine historische Natur haben will. – – Wie sehr könnte ein Fürst den Hrn. Geheimdenrath in Verlegenheit setzen, aus den Münzen seiner Vorfahren die Geschichte ihrer Denkungsart zu entwerfen? Und zu folge dieses Grundsatzes würde ich ihm wahrhaftig nicht seine Paränesis über die Münzen neuerer Zeiten nachschreiben, um diese nach seinem Calcul zu charakterisiren, und Augen zu zeigen, die nur ein Angelo, Pietro di Cortona, Nikostratus, Addison und Klotz haben!

Drittens aber gar, und endlich: 9 »Ich glaube nicht zu irren, wenn ich den moralischen Charakter gewisser Nationen und gewisser Zeiten auf den Münzen suche, und entdecke.« O ganz Göttlich! Weiß Hr. Kl. was eine Nation, eine Zeit, ein Moralischer Charakter einer Nation und Zeit sei: die Feder würde ihm entfallen seyn, da er so etwas schreiben wollte. Nicht auf den Moralischen Charakter der Griechen und Römer einmal, als Zeiten, als Nationen betrachtet, läßt sich aus ihren Münzen, aus allen ihren Münzen zusammengenommen, schließen: und in neuern Zeiten, auf neuere Völker, wo die Numismatik beinahe ganz Privatsache, beinahe ganz historische Urkunde ist, im Tone des Herkommens, das auf Münzen einmal gäng und gäbe geworden – da aus ihnen auf den Moralischen Charakter ganzer Nationen und Zeiten schließen? – O Logik! Logik! Logik!

[432] Hr. Kl. führt Beispiele. 10 »Die Gewalt des Aberglaubens und einer sklavischen Unterwerfung gegen die Priester herrscht in den Büchern und Briefen jener finstern Zeiten eben so sehr, als auf den Münzen, welche die Fürsten, vornehmlich in Deutschland, damals schlagen ließen, als man theils zu ohnmächtig und schwach war, sich der geistlichen Herrschaft zu widersetzen, theils noch der wohlthätigen Hülfe der Weltweisheit, dieser Freundin und Schwester der Religion, entbehrte, um die Fesseln des Vorurtheils zu zerbrechen. Ist es zu verwundern, daß ein Zeitalter« – nun kommen ein Paar schöne Possen, die ich übergehe – – »daß ein solches Zeitalter nichts lieber auch auf Münzen sah, als Kreuze, Schlüssel, Bücher, Bischofsstäbe und Kirchen. – –« Der Vielwisser Klotz muß nichts wissen, was er wissen soll. Wie? die mittelmäßigste Känntniß der mitlern Geschichte und Rechtsgelehrsamkeit, die diplomatische Stavrologie und Sphragistik, zeigt sie nicht, daß Kreuze und andere Zeichen altes Herkommen gewesen, das freilich im Anfange aus Aberglauben aufkam, nachher aber Jahrhunderte hinweg urkundliche Gewohnheit, bestimmtes Rechts- und Hoheitszeichen u.s.w. blieb – wie also in jedem Jahrhundert, und in jedem Subjekt ein Zeuge auf Moralischen Charakter? Wie manche von diesen werden noch heut zu Tage signiret, wo sie ihres Orts sind? und in den damaligen Zeiten sollte man sie aus gutem Wohlgeschmack unterlassen, sich den Haß der Geistlichen, und vielleicht die Ungültigkeit der Gepräge zuziehen, die sich dem Herkommen nicht unterwerfen? Nicht lieber ein Kreuz signiren, wo es Zeit- und Landüblich war, als ein Thor und ein Ketzer des guten Geschmacks wegen seyn wollen? Unzeitiges Anbringen des guten Geschmacks zuerst auf einer Münze, noch unzeitiger aber da, wo alles Herkommen ist, guten Geschmack suchen und verurtheilen wollen – was in der Welt geht über die Halbkänntniß!

»Man hat den Holländern oft eine beleidigungsvolle Verachtung gegen Könige und Fürsten vorgeworfen. Ob man [433] ihnen gleich die Begierde, über andre zu lachen und zu spotten gelassen, so hat man doch die Artigkeit, Höflichkeit, und den Anstand von ihren Satyren getrennet. Die bei vielen Gelegenheiten in Holland erfundenen und geschlagenen Münzen bestätigen jenes Urtheil vollkommen.« 11 Aber wer hat sie erfunden? wer hat sie prägen lassen? Gewiß nicht die ganze Nation, über deren sittlichen Charakter der Hr. Geheimderath nach dem Völkerrechte so billig urtheilt: oft Privatpersonen, und oft Fremde. Wer die Freiheit der Holländischen Münze kennet, den Zusammenfluß so vieler Nationen daselbst, das Interesse, das dies Volk des Commerzes wegen an den Begebenheiten der meisten Länder hat, und denn die ehrliche Dreustigkeit, die sich der Holländer nimmt, seine Meinung heraus zu sagen, und denn die ehrliche Dreustigkeit andrer, die sich hinter diesen Schirm verstecken – der wird sich, ohne in den Loostopf der Sibylle greifen zu dörfen, die Menge satyrischer Münzen, die in Holland herauskommen, erklären können. Wird er aber auch den weisen Schluß [machen] auf den Charakter und zwar den Moralischen Charakter der Nation »beleidigungsvolle Verachtung gegen Könige und Fürsten: Begierde über andre zu lachen und spotten: Mangel der Artigkeit, der Höflichkeit und des Anstandes?« ich weiß nicht; wenigstens kenne ich den Holländer zwar als einen Menschen, der seinen trocknen Spotteinfall reinweg sagt; aber als ein Thier, das so begierig wäre, über andere zu lachen und zu spotten, das eine Beleidigungsvolle Verachtung gegen Könige und Fürsten eben zu seinem »Moralischen Charakter« hätte? – das mag ein Holländer wissen.

Ueber Holland kommt Hr. Kl. an sein liebes Vaterland, um den sittlichen Charakter desselben aus Münzen zu erklären. 12 »Es war eine Zeit, da Deutschlands Fürsten es für eine Ehre hielten, große Weinfäßer zu bauen, so wie etwan andre Fürsten sich beeiferten, ihren Geschmack an der Bildhauerei und Baukunst zu zeigen. Damit auch die Nachkommenschaft die wichtige Geschichte [434] des Heidelbergischen Fasses erführe, wurde dieselbe im Jahre 1664 durch zwei Münzen verewiget, wovon die eine mit den elendesten Reimen angefüllet ist. – – Ich als ein Deutscher schäme mich, den Schluß hieraus zu ziehen, welchen ein Ausländer leicht machen wird.« – – Nur herausgesagt! der Schluß soll vom Weinfasse einer Münze auf nichts minder, als den sittlichen Charakter, den ganzen sittlichen Charakter, die Denkungsart, den Geist der Deutschen gehen: denn Deutschland verräth sich ja gegen die Ausländer hiermit so stark, daß Er, Hr. Kl., als ein Deutscher, sich deßwegen gegen die Ausländer fast schämet, ein Deutscher zu seyn. –

O welchem Leser wird es nicht in die Länge unausstehlich, mit mir durch alle die Schlüsse hinzuschleppen, die Hr. Kl. Längelang seines Buchs aus einigen Münzen auf den Geschmack seiner Nation, seiner ganzen Nation so sicher macht, als wäre er zum Dictator formandi gustatus einhellig von seinem Vaterlande gewählt. Mehr als einmal ist seine Patriotische Schlußfolge: »was müssen sich nicht die Ausländer von dem Geschmacke unsrer Großen für Begriffe machen, wenn sie dergleichen Münzen zu sehen bekommen? doch sie haben es uns leider! deutlich gnug gesagt, was sie denken.« 13 Er wirft die Frage auf: 14 wie es vor seiner Zeit um den Geschmack in Deutschland ausgesehen? und beantwortet sie durch eine andre feine Frage: »wenn hat Deutschland in seiner Sprache Schriftsteller bekommen, denen man von den Enkeln den Titel classischer Autoren unsers Vaterlandes versprechen kann?« Er ist zwar zu furchtsam, diese Epoche zu bestimmen; aber doch auch, wie er sich höflich ausdrückt, so kühn, zu sagen, daß man nicht allzuweit zurückgehen müsse. Er bestimmt endlich, nach artigen Verweisen, diese Epoche mit dem Anfange seiner und seiner Freunde Zeitalter, und schließt urplötzlich: »Brauche ich mehr zu sagen, um die Ursachen zu erklären, warum die Erfindung und Vorstellung auf so vielen deutschen Münzen schlecht, kindisch, undeutlich, lächerlich sey.« Durchgängig also sieht er aus einer Münze sehr mitleidig [435] auf den Geschmack seiner Nation herab, und wie sein Freund und Beurtheiler 15 uns versichert, ist dies ein Eiser im Patriotischen Tone, ein edler Enthusiasmus für sein Vaterland. Eine andere Bibliothek, 16 die sich sonst durch ein gründliches und kaltes Urtheil vor andern so sehr auszeichnet, hält dem Verfasser eben in seinem artigen Tone eine förmliche lange Lobrede darüber, »daß er mit seinen geschmackvollen Vergleichungen seine Landesleute eine sehr lächerliche Rolle spielen lasse.« – –

Ich kann also nichts, als dem Hrn. V. zu seiner Logik, und Deutschland zum Hrn. Verfasser Glück wünschen.

Fußnoten

1 S. 10. 11.

2 S. 12.

3 S. 14.

4 S. Klotzens Bibl. St. 3.

5 S. 15.

6 S. 17.

7 S. 19.

8 S. 19.

9 S. 15.

10 p. 15.

11 S. 20.

12 S. 21.

13 S. 55.

14 S. 70.

15 Klotz. Bibl. St. I.S. 61.

16 N. Bibl. der sch. W.

8.

1. Münzen können nicht eigentlich auf den Geschmack eines Volks, einer Zeit zeugen, wenn das Münzwesen nicht ein Werk des Volks und der Zeit ist. Nichts ist deutlicher, als diese Einschränkung: nichts räumt auch mehr auf. In Griechenland, zu den Zeiten der Republiken war das Münzwesen eine Sache des Publikum: die Vorstellungen waren entweder öffentlich bestimmt, oder wenn sie neu bestimmt wurden, so von der Obrigkeit, die den Staat vorstellte. Man konnte also in gelindem Verstande sagen, diese wählten im Namen des Volks, das wenigstens ihr Bild und Aufschrift kannte, beurtheilen konnte, und vielleicht gebilligt hatte. – – In den Republikanischen Zeiten Roms weiß man die strengen Münzgesetze, die kein Privatbild auf die Münzen zuließen. In diesen Zeiten kann man noch sagen, daß die Münzen ein Werk des Publikum; allein man weiß auch, wie simpel und einförmig beinahe sie damals gerathen, da man in freien Republiken nie gern ohne Noth Abänderungen machet.

Zu den Zeiten einer Monarchie kann sich aus vielen Ursachen die Münzenkunst mehr aufnehmen: allein um so uneigentlicher [436] schon ein Werk des Publikum. Unter einem Philippus, und Alexander dem Großen, und den Ptolomäern, und den Seleuciden, und den Cäsaren sind die Münzen vortreflich: sie können über nichts als die Unverwerflichkeit derer zeugen, denen der Hof die Münzsorge aufgetragen, und wenn man will, über die Güte des Hofgeschmacks. Unter Ludwig XIV war die Akademie der Inschriften das Publikum, das Münzen schuff – sie dem ganzen Frankreich, das sie größtentheils nicht verstand, zur Last zu legen, wäre ungerecht. Zu Christinens Zeiten waren ihre Antiquitätenlieblinge das gebildete Schwedische Publikum, das sich nach ihrer Antiquarischen Königin bequemte. Und die Cultur Rußlands aus den guten Münzen zu berechnen, 1 die unter der Kaiserin Anna und andern geschlagen, ist für Rußland eine sehr leidige Ehre, die ihm ein Mitglied der Akademie und ein Stempelschneider verschaffen und verderben kann. Ich weiß, daß Hr. Kl. alle diese Beispiele für sich anziehet, und in seinem süßen Molltone singet: »wie genau mit der Verbesserung der Wissenschaften und Künste in einem Lande auch eine bessere Gestalt der Münzen verbunden sey, können wir unter andern auch aus Rußlands Beispiel sehen u.s.w. Man mag mir immer einwenden, daß die Künstler Ausländer sind: es zeigen doch allezeit jene Schaustücke den Geschmack der Großen des Landes und die Liebe des Hofes zu den Künsten –« und da er sich also nichts einwenden läßt: so zucke ich die Achseln.

Hume soll für mich reden. Er macht bei seiner vortreflichen Abhandlung von dem Ursprunge und Fortgange der Künste und Wissenschaften gleich anfangs den Grundsatz: »was auf wenige Personen ankommt, muß großentheils dem Zufalle oder verborgnen und unbekannten Ursachen zugeschrieben werden: nur was aus einer großen Anzahl herkommt, kann oftmals aus bestimmten und bekannten Ursachen erkläret werden.« Er giebt von diesem Grundsatze die scharfsinnigsten Gründe, und mit ihnen fällt das [437] Gebäude des ganzen Klotzischen Werks. Bei neuern Münzen kommt es nur auf zwo Personen an, einen Erfinder und einen Künstler: so ist das Ding gut oder böse. Und wie kann hier der Zufall tyrannisiren! Der Erfinder, vielleicht ein Mann von Geschmack und Wissenschaft, ist eben kein Münzenkopf, er ist ein Grübler – die Münze ist verdorben! Er hat eben jetzt sein böses Stündlein: ihm will kein Münzeneinfall glücken – verdorben! Er hat in diesem und dem Punkte seinen Eigensinn – verdorben! Er ist ein Ausländer, vielleicht durch einen Zufall dahingespielt, vielleicht ungeschätzt, vielleicht verachtet: vielleicht durch einen Zufall zur Ehre, Erfinder zu seyn, gekommen: vielleicht zu einem glücklichen Einfalle durch das Aufschlagen eines Buchs, vielleicht in einem glücklichen Traume zu diesem glücklichen Einfalle gelanget, ich weiß nicht, wie? – So auch sein Künstler: sie mögen sich secundiren oder entgegenarbeiten – es sind zwo Privatpersonen: und sie sollen mit ihrer Armseligkeit für oder gegen den Geschmack eines ganzen Landes streiten? – O Logik ohne ihres gleichen!

Wenn aber viele Münzen von einerlei Art – o so sind auch viele Reihen von Zufällen von einerlei Art: gnug! bei uns ist keine Münze National, keine Sache des Publikum, so kann auch ihr Zeugniß nicht öffentlich seyn. Der größeste Theil des Klotzischen Buchs ist auf diesen Schluß gebauet, und Gnade Gott dem Schlusse. Er hat vermuthlich seinen Grund in den Augen, die Nikostratus und Klotz, Michael Angelo und Klotz, Pietro di Cortona und Klotz, Addison und Klotz hat, und sonst niemand!

2. Nie kann etwas ein Zeugniß vom Geschmacke seyn, wenn es nicht ein freies Kunstwerk ist, und das ist die Münze bey uns selten. Leßing hat die alten Religionskünstler von der Regel seiner strengen Kunst beurlaubet, und Klotz redet ihm zu Gefallen die Beurlaubung nach, die er doch in allen seinen Schriften so schlecht anwendet. Schon bei den Alten war die Münze Symbole – bei uns gar Historisch-Politisch-Kirchlich-Landesherrliche Urkunde – wer will sie nach Gesetzen der Kunst richten? Geldeswerth tritt voran: Herrschaftszeichen hinten drauf: Denkmal der [438] Geschichte alsdenn: nun erst Symbole – und nach allem erst Geschmack: will dieser sich vordrängen, wie übel kann er oft zurückkommen. Ich habe den Unterschied gezeigt, ich mag ihn nicht wiederholen.

Eben daher nimmt sich in sehr unabhängigen Monarchien, wo alles auf die Willkühr und den Geschmack des Landesherrn ankommt, die Münzenkunst eben so leicht auf, als sie in einem Lande voll Fürsten und Stände, voll Staatsrecht und Herkommen, wie z.E. Deutschland ist, dem anderweitigen guten Geschmacke unbeschadet, leider! zurückbleiben muß. Ich wünschte, daß ein Mann von Staatskunde zugleich der Lehrer des Geschmacks, der Könige und Fürsten geworden wäre; die Satyre meines Verf. über Deutschland ohne Einsicht in die Deutsche Verfassung ist mit nichts, als der Satyre über das Deutsche Publikum, zu vergleichen, die er selbst an seinem liebsten Grillo so süß verspottet hat. 2

3. So sehr ich auch den Münzen Geschmack wünsche: so sehe ich doch eine Reformation ihrer am wenigsten als die Reformation eines Landes an. Nach unsrer Verfassung kann von ihnen am mindesten der bessere Geschmack ausgehen, da sie nur durch das schwächste Band mit der Cultur einer Nation in Wissenschaften und Künsten zusammenhängen. Und nimmer – doch gnug! die Klotzische Schrift, ihrem Tone und Inhalte, ihrer Schlußart und Ordnung nach, zusammt den Lobsprüchen, die sie ertheilt und erhalten, wird unsrer Nachkommenschaft eine so schöne Probe vom bündigen Geschmacke unsrer Zeit geben, daß ich ihr also mit gutem Herzen die Ewigkeit wünsche, und unwillig die Feder wegwerfe – –


– statt des Beschlusses


ein Auszug aus einem Briefe.


Nun das heißt Geduld! Sagen Sie mir doch, welcher gütige oder ungütige Dämon Sie bei einem Buche hat vesthalten können, [439] das für mich eins der langweiligsten unsres Jahrhunderts gewesen? welcher Dämon sie vestgehalten, die Schlüsse, die Schlußreihen zu entblößen, die keine Schlüsse, die die größten Armseligkeiten des feinen Geschmacks sind, der von unerklärlichen Empfindungen kommt, und wieder zu unerklärlichen Empfindungen hineilet. – –

Und Ihre Analyse dieses Münzenwerks soll gedruckt werden? Sie wollen es wagen, den Artigsten unsrer Schriftsteller in dem Jämmerlichen zu zeigen, was er wiederkauet, in dem völlig Unbestimmten, wie ers herlallet, in dem Unzusammenhangenden, wie er fremde halbverstandne Gedanken neben einander stoppelt? Und wissen Sie denn nicht, wie sich dieser urbane Mann betragen wird? Mit einer vornehmen Mine auf Sie herab hohnlächeln oder gar spotten: sagen, daß Sie aus unedlen Gesinnungen gegen ihn geschrieben hätten: daß Sie ihn nicht verstanden: daß er so etwas nicht habe sagen wollen: kurz! ohne auf einen Ihrer Gründe und Vorwürfe bestimmt und gründlich zu antworten, wird alles dahin auslaufen,daß es Ihm, und nur Ihm allein frei stehe, so unbestimmt, so schielend, so sehr mit fremden Federn zu schreiben, als er wolle.

Glauben Sie mir, Freund! ich weiß keinen Deutschen, der ohne alles A.B.C. der Wissenschaft, über die er schreibt, so wie Klotz schreiben kann. Ist Ihnen im Münzenbüchlein die Stelle entgangen: mittelmäßige Künstler müßten mit guten zusammen leben: so fodre es die Natur der Dinge: so wie in einem Gemälde neben große Schatten große Lichter gesetzt werden – ein Mann, der so etwas schreiben kann, und doch immer von Kunst und Kolorit predigt, ist der nicht unter der Critik? u.s.w.

Fußnoten

1 Seite 170.

2 S. Klotz. Bibl. St. 3.

2. Proben von der Gründlichkeit
Ueber die Gottesgelahrtheit
[459] Ueber die Gottesgelahrtheit.

Wie kommt Herr Klotz, der Vielschreiber, dazu, daß er sich bei allem Anlasse, zur Zeit und Unzeit, hinter die Basedowe und Heilmanns und Tellers, als ein Märtrer der Wahrheit hindränge, und sich in Klagen und Kontestationen zu Männern nebenansetzet, mit denen er nichts gemein hat? Das Publikum schläft eine Viertheilstunde, oder ist über Feld gegangen; nachher aber machts genau Unterscheid, wohin jemand gehöre, und wohin es ihm beliebt, sich zu classificiren; und spricht alsdenn gerade hin: Freund! rücke hinweg!

Herr Klotz hat die Namen einiger Theologen auf der Zunge, selten mit Ehren, ohne daß Er doch über sie Richter und der Ueberweiser ihrer Meinungen gewesen wäre. Einer davon ist Götze. SeniorGötze mag seine Fehler, und wenn man will, seine Irrthümer haben: gut oder nicht gut, daß er dieselbe vertheidigt: aber was gewinnt der liebe Leser für Wahrheit und Ueberzeugung, wenn er in einer Klotzischen Satyre das Pasquill lieset:


[459]
Goetzius Hamburgi clamoribus omnia complet,
Voce tonat rauca, turris templumque tremiscit.

Was hat man damit anders gelesen, als daß Hr. Götze eine durchdringende Stimme habe und Hr. Klotz ein – – Spötter sey. Will der Verf. antworten: das Fehlerhafte, das Irrige haben ihm und seines Gleichen schon andre Theologen gezeigt, worauf ich mich gleichsam mit einer stummen Anzeige berufen darf: o schön! die Richter haben ihr Urtheil gesprochen, und wer sind die nun, die sich auf der Straße hinzufinden, die dem Verurtheilten nachruffen, nachspotten – wer sind die?

In unserm Kritischen Jahrhunderte sollten wir endlich einmal so weit seyn, auf eignem Boden und nicht nach solchen fremden Postulaten zu urtheilen. Alle Annehmenswürdigkeit der Kritik fällt weg, wenn man, ohne Gründe und Beweise, mit einer Schimpfsentenz losbricht, ohne daß man weiß, woher und wo hieher? Solche Fußung auf fremde Machtsprüche, mit einem Machtstreiche begleitet, sind immer Vorboten vom Verfalle der Litteratur gewesen: und zu unsrer Zeit ist dies ja der Lieblingston dieser und jener Zeitungen und Journäle. So bekommt mancher ehrliche Mann einen Banditenstich, wo er sichs am wenigsten versah.

Ferner: Der schöne, reinlateinische Styl ist bei Hrn. Klotz so nahe mit dem Herzen seiner Litteratur verwandt, daß er an mehr als einem Orte die Dogmatische Barbarei der Theologen, aus ihres Königs theologia positiva, oder Neumanns aphorismis sich sehr vornehm leid seyn läßt. Mich dauert der manchmal unnöthig verflogne Seufzer. Barbarei ist nirgends gut, und bei dem Lehrer der Religion, der uns Geschmack an den Wahrheiten derselben beibringen soll, am wenigsten; nie aber kann die Reinigkeit des Styls, die Süßigkeit der Lateinischen Schreibart, nach Hrn. Klotz Halbbegriffen in der Theologie Souveraine seyn, oder es wird noch ärger. Die Wahrheiten der Religion sind uns nicht in Cicerons Büchern von der Natur der Götter, sondern in andern Sprachen, offenbart aus denen in ihren Vortrag bei aller einzelnen Wortreinigkeit sich ein Orientalischer Hellenismus einschleichen wird, und vielleicht [460] als Geist des Ganzen. Der gute Geßner hat mit Recht aus Cellars Latinitas ecclesiastica viele Barbarismen canonisirt: und der strenge Schriftausleger wird noch weit mehr canonisiren: wo ihm an dem Ganzen, dem Unverfälschten, dem Unverworrenen des Begriffs Alles gelegen ist. Wer will nun lieber eine nach den Büchern der Offenbarung streng gesagte, unhalbirte Theologie; oder süßes Lateinisches Geschwätz, wo das Runde des Biblischen Begriffes in dem Spülwasser schöner Umschreibungen zerfließt? Wem ist nicht die Sicherheit seines theoretischen Glaubens mehr, als Alles? – Zweytens: Aus den Händen der Exegeten, wird nun erst die Wahrheit in die Hände der Dogmatiker geliefert, denen es wiederum Hauptgesichtspunkt ist, ihre Sätze von den Verwirrungen so vieler Jahrhunderte, von dem Gewebe so mancher Ketzer und Ketzermacher loszuwickeln, und sie so rund, so gewiß, so klar darzustellen, als es hinter den Denkarten und Vermischungen so vieler Perioden der Religion geschehen kann. Auch hier also ist die Strenge des Begriffes und Beweises Alles. Wer will jenen und diesen im Gefolge süßer und reiner Worte erst aufsuchen? Ein Ernesti, (und wessen Zeugniß kann hierinn mehr seyn, als dieses theologischen Cicero?) hat über Materien, die hiezu die Grundlage seyn müssen, geredet, und selbst an Heilmann die Schwürigkeit gezeigt, Lateinische Worte und Ausdrücke Gedanken des Systems zu substituiren. Einige neuere Dogmatiken, wovon ich selbst die Schriften Mosheims nicht ausnehme, bestätigen es, wie viel von der genauen Präcision und Dogmatischen Vestigkeit oft durch den schönen Styl verloren gehe, und denn selbst in Reden sind die Bergerschen Orationes selectiores Zeugen von den Schwürigkeiten, beides zu gatten. – – Geschmackvoll also mögen solche Klagen über die Dogmatische Barbarei der Theologen immer seyn; nur gründlich? – – Am besten, daß sich Hr. Kl. nicht darein mische, und die Namen guter und böser Theologen dem Urtheile andrer überlasse.

Ueber die Reichsgeschichte
[461] Ueber die Reichsgeschichte:
ein historischer Spatziergang.

Was müßte ein vernünftiger Alter denken, wenn er auflebte, und unsre Geschichte betrachtete? Die Lehren unsrer historischen Kunst, und den Kontrast in Ausübung derselben? – Doch, ach! wenn dies nur der einzige unverantwortliche Wiederspruch in unsrer Litteratur zwischen Lehren und Thaten wäre!

Die Alten, Griechen und Römer, haben uns so vortrefliche Muster der Geschichte hinterlassen, daß es ein canonisirter Spruch geworden: hos sequere! und wer wäre es, dem man diesen Spruch, und das Nachahmungswürdige Schöne ihrer Historiographie erst vorbeweisen müßte. Warum ziehet der kleine südliche Strich von Europa, Griechenland und Rom, Jahrhunderte durch die Augen aller Welt so auf sich? Warum gehen wir an die Geschichte der mitlern Zeiten, im Occidente und so gar im Oriente, so ungern daran? Warum ist in dem Körper unsrer Welthistorie die Beschreibung dieser beiden Völker uns gewiß nicht blos Nationalgeschichte, Thaten, die im Winkel geschehen, sondern Merkwürdigkeiten der Welt? – – Eine kleine Vergleichung mit andern Zeiten und Gegenden wird zeigen, wie vieles dazu auch der Ton der Stimme beitrage, der Alles dies der Welt verkündigte.

Das ist nun gut für Griechen und Römer: aber warum, daß wir unsre Geschichte nicht eben so verkündigen? und den Ton unsrer Stimme nicht auch würdig unsres Vaterlandes und unsrer Zeit machen? – Regeln gnug liegen da. Historische Gesellschaften sind errichtet. Jeder arbeitet an der historischen Kunst: nur, an der Historie selbst – wenige. Und selbst unter den wenigen, wo sind die Thucydides, Xenophons, Livius, Tacitus, und Hume's unsres Deutschlandes? – – Ist es einem Wanderer, der nicht ein Dogmatischer Künstler der Geschichte seyn will, und kein Praktischer Künstler seyn kann, erlaubt, den mitlern Weg der Untersuchung zu nehmen: nicht, worinn und warum sich die Historiographie [462] der Neuen und Alten unterscheide? denn dieses große Thema ist für diesen Ort zu groß; sondern nur, warum sich die Deutsche Geschichte nicht so schlechtweg à la Greque oder à la Françoise behandeln lasse, wie unsre Gräcisirenden und Französirenden Schönsprecher wollen.

Zuerst, die ältesten Nachrichten von Deutschland haben eine andre Bewandniß, als die alte Geschichte des Griechischen oder Römischen Ursprunges. Wenn diese Altmüttermärchen ist, so ist sie es wenigstens im Munde ihrer Landesmütter, im Munde ihrer Liedersänger, ihrer Dichter, ihrer Fabelschreiber. Aus dieser Blume von eigner Nationalmythologie wird mit der Zeit die Frucht reifer währer Geschichte, ohne wundersame Einpfropfungen und Bezauberungen, nach dem Laufe der Natur. Und eben das Ordentliche dieses Naturlaufes ergänzet ungemein die Lücken der ältesten Geschichte. Die ersten historisch Dichterischen Mythologisten waren eine Produktion ihres Zeitalters: der Zeitgeist nahm ihnen allgemach immer mehr von ihrem Dichterischen Wunderbaren: sie fanden das Zeitalter der Wahrheit – Wie viel läßt sich nun bei diesem ungestörten Naturlaufe rückwärts schließen? wie manche Wahrscheinlichkeit zurück ausfinden, wo sonst nur Fabel wäre? Wie ungemein viel von der Veränderung solcher Landesscenen mit Gründen und Ursachen erklären? Philosophie tritt hier der Geschichte zur Seite, wo sie kaum noch Geschichte ist: sie leuchtet auch selbst, Chronologisch gerechnet, der Wahrheit gleichsam vor: die älteste Halbgeschichte wird Pragmatisch – wenigstens ein lehrender, ein bildender Dichterischer Roman.

Nicht so unsre älteste Landesgeschichte. Unsre Barden sind vertilgt, mit ihnen also auch die sinnreichen Dichtungen vertilgt, die sich aus den Altgriechischen Dichtern zusammenlesen und zu dem Tempel voll ehrwürdigen Ruinen aufhäufen lassen, an dem die Antiquarien seit Jahrtausenden gebauet. Aus Dichtern und über Dichter läßt sich auch historisch am besten dichten: wie aber, wo keine solche Dichter da sind? Man tritt in den Tempel der Griechischen Geschichte: Chöre von Sängern empfangen uns, und hinter [463] ihnen dringen Dollmetscher ihrer Gesänge doch unmittelbar an. Dollmetscher der Wahrheit? freilich nicht! aber so mancher Wahrscheinlichkeit, so mancher Erzählung, die den Boden der Geschichte nicht ganz leer läßt, so mancher Sage, die ungemein klug machen kann: durch die Griechen und Römer ihrer Geschichte so viel Farbe des Pragmatischen Ursprunges gegeben, die manchen Schulgrübler geblendet, die unsre Hübners mit so artigen Mährchen ausgefüllt, die so viel Antiquarische Hypothesen und Untersuchungen veranlasset – alles nicht bei der Deutschen Geschichte. Ich trete in ihren Tempel und – die Stimme der Barden schweigt. Kein Laut, kein Echo vergangener Zeiten.

Aber die Taciti unter den Römern? Sie haben mit ihren einzelnen Sylben und Stückwerken von den Deutschen uns mehr Ton gegeben, als ganze Liedersammlungen der Barden. Sie, Schriftsteller eines gebildeten Roms, Geschichtschreiber, die an den Merkwürdigkeiten so viel anderer Völker ihren historischen Geist gebildet hatten: sie, Geschichtschreiber der Deutschen nach Römischer Weise – – und eben des alles wegen sehr einseitige Schriftsteller Deutschlands. Da sie die Deutschen nur über und von den Gränzen aus, nur als Fremde, nur als ungesittete Barbarn, nur als Feinde kannten: so kannten sie sie nur immer, so fern sie nicht Römer waren, und das ist wenig. Wer sich nicht in die eigenthümliche Denkart eines so verschiednen Volks versetzen, aus dem eigenthümlichen Geiste desselben, aus den Geheimnissen seiner und ihrer Erziehung urtheilen kann, der weiß nur immer wenig: und wer als fremder, unbekannter, Politischer Feind, und was über alles ist, als Mensch einer andern Denkart schreibet, immer wenig. Er kann blos die von seinem Volke und seiner Cultur abstehende, oder höchstens die ihnen zugekehrte Seite zeichnen, und freilich die zeichnen Römische Taciti vortreflich.

Indessen sieht man, was hier zu einer Pragmatischen Geschichte fehlt? wie sehr sie in diesem verlassenen Anfange von der Römischen und Griechischen Historie, die die Origines ihres Volks, in einländischen alten Schriftstellern besitzen, absteche? in welchem [464] Gesichtspunkte man allein die Römer brauchen? auf welche Lücken man lieber zeigen, als sie hinterlistig verbergen? kurz! daß von den alten Deutschen keine innere Pragmatische Geschichte zu geben sey – –

So bis auf Karl den großen: in ihm aber entwickelt sich ein Zeitpunkt, der freilich so vieler historischen Intuition fähig ist, als einer seyn kann, nur daß er noch keinen so intuitiven Philosophen über sich gehabt. Karl könnte in der Nacht seiner Zeiten, wie ein Stern seyn, der über Frankreich, Deutschland und Italien leuchtet.

Jetzt aber sein Geschlecht – wie viel gehet hier von dem Stempel der Pragmatischen Geschichte weg. Ein Zeitpunkt der Barbarei und des Aberglaubens; siehe da! diese Larve liegt auch auf allen Gesichtern der Zeit, sie ist Gesichtspunkt der Begebenheiten, Triebfeder der Thaten, Farbe der Veränderungen, Ton der Historiographen. Nun wolle ein Griechischer Portraitmahler Charaktere zeichnen: und siehe! da stehet eine Reihe voll heiliger oder unheiliger Affengestalten, Kreuz in der Hand, und Kreuz auf dem Haupte, vor oder gegen die Pfaffen beschäftigt, entweder canonisirt oder im Fegefeuer, weder im Guten noch Bösen frei, eigenthümlich, Römisch, Griechisch. – Einförmige Mönchspatrone, oder Mönchsfeinde, ein in Nichtswürdigkeiten wühlender Unheiliger, oder was noch seichter ist, ein – Heiliger Ora pro nobis – Eine Gallerie solcher Köpfe, was ist sie gegen die Reihe Römischer und Griechischer Helden und Unmenschen in Plutarch und Tacitus? – Hausen sei Gewährsmann unter Carolingern, Sachsen und Franken. Er betet seine einförmigen Charaktere so wiederholentlich her, als eine Nonne die Vaterunser ihres Rosenkranzes: und Häberlin, der nicht hinter her beten wollte, muß also nur zu Ende der Zeiträume charakterisiren – wie viel klüger!

In dieser Zeit fängt sich an das heutige Römische Reich zu bilden. Die große Wasserblase ist zersprungen: kleinere reißen sich los: und durch ein wechselndes Zerspringen und Werden ist die Menge kleiner Fürsten, gleichsam am Rande des Gefäßes, gesichert.[465] Hauptgesichtspunkt ist also nicht blos der Reichs-, sondern der Deutschen Geschichte überhaupt, daß man diese allmäliche Schöpfung zum heutigen Staatskörper bei jeder Progression der Umbildung merke, genau aus Urkunden anmerke, auszeichne.

Einige süße Herren unsers Jahrhunderts haben sich mit guter Manier von diesem dunkeln und beschwerlichen Wege losgezählet, und vornehm zwischen Reichsgeschichte und Geschichte Deutschlands, zwischen genauen Nachrichten von der jedesmaligen Staatsverfassung, und zwischen einer schönen Geschichte voll Charaktere und hübscher Moralischen Reflexionen unterschieden. Das Citiren der Urkunden, die veste Bestimmtheit bei jedem Schritte, das gerade Hinblicken auf Staatskörper u.s.w. ist eine Pedanterie, die man einem Professor des Staatsrechts allenfalls verzeihen könne: die Mascove, Bünaus und Hahne sind veraltete Bibliothekenwächter: diePütters und Gatterers endlich noch zum leidigen Gebrauch ihrer Reichsurkundlichen Zuhörer: dieHausens und alle neuere schöne Geister schreiben besser: schön, malend, Pragmatisch. Schade der trocknen Reichs- und Staatsgeschichte.

Und was ist denn eine Geschichte Deutschlands, die dies nicht wäre? Eine Griechische und Römische war eine Geschichte von Republiken ganz andrer Art, oder einzelnen großen Welthändeln, eines großen Mannes, oder einer großen Versammlung, die das Triebrad der größten Begebenheiten waren. Deutschland im Verfolg seiner Jahrhunderte ist weder Athen noch Rom, weder eine Monarchie, noch eine Republik, die der ganzen Welt (dieser orbis terrarum sei nun so groß, als er wolle) Ton gäbe: weder ein Schauplatz Griechischer Cultur und Freiheit, noch des Römischen Eroberungsgeistes. Es ist in sich eingezogenein werdendes heiliges Römisches Reich, das noch heute in seiner Einrichtung das sonderbarste von Europa ist; es ist Jahrhunderte durch ein Chaos, aus dem sich Herzoge, Grafen und Herren, Bischöfe und Prälaten heben: ohne die es kein Deutschland gibt. Wie also eine Geschichte Deutschlandes, die keine Staats- oder Reichsgeschichte [466] sei? Eine Reihe von Römischen Kaisern in ihren Brustbildern, in ihren Privatanekdoten, in ihren Leibes- und Seelenbeschaffenheiten, zusammt ein Paar ihrer Thaten, füllet nichts aus, so lange Deutschland kein Schauplatz des Despotismus oder der Diktatur gewesen; ja das Meiste von diesem allen hat oft nicht einmal aufs Ganze Einfluß. Eine Kaiserhistorie für eine Geschichte Deutschlands genommen: so wird alles neben ihnen vergessen, was doch das wahre Deutschland ist: das liebe Herz der Kaiser mahlen, das doch nicht eben, wie der Charakter Alcibiades, Alexanders, Augustus und Nero, zugleich das Herz Deutschlands war? Eine Kaiserkrone schildern, die auf ihrem Küssen oft ruhig lag, und gewiß den Kopf von Deutschland nicht ausmachte. – –

Jeder siehet, daß hier kaum eine Pragmatische Geschichte nach Art der Alten möglich ist. Dort gingen alle Fäden an gewisse Hauptenden zusammen, aus denen sie sich gesponnen: hier steht man Jahrhunderte durch am brausenden Meere, damit aus ihm eine Menge von Inseln werde. Wo hier Einheit? wo Evidenz? wo Interesse nach Art der Alten, wenn ihre Geschichte das Muster seyn soll? Die Geschichte von Deutschland muß so ein Original seyn, als Deutschlands Verfassung.

Und ist diese werdende Verfassung Hauptgesichtspunkt, wo kommen wir hin, wenn wir Urkunden und Diplome, u.s.w. verachten, und schön Französisch dichten? Dichten läßt sich noch zur Noth der Roman eines Monarchen, einer einfachen Republik: aber über die trockne Frage: wie ward jeder in Deutschland, was er ist? was ist er in jedem Zeitalter gewesen? über die läßt sich nicht dichten. Eine Geschichte voll Geist und Thaten, wie die Alte, wird unsre nie werden; sie ist eine trockne Geschichte des Ranges, des Rechtes, des Zanks; aber eine Französische sollte sie nie werden wollen, weil sie bei ihren Materien mit Wahrheit und Genauigkeit Alles verliert. Nicht der Geist des Vernünftelns kann ihre Seele seyn; denn wie wenig ist in Deutschland durch Vernünftelei geworden? fortgehende Aufklärung ihres ganzen Seyns ist ihr Geist und Leben –

[467] Die Geschichte der Carolinger, Sachsen und Franken ist hiezu eine wichtige, aber wie verdrießliche, wie verwirrte, wie unannehmliche Scene, wenn wir Französisch denken, wenn wir blos malen, vernünfteln, überraschen, und darf ich noch dazu setzen, blos bilden wollen? Der Charakter der Deutschen hat von jeher das Trockne gehabt, sich um einen Ceremonienrang, um dies und jenes urkundliche Hoheitszeichen, um ein und das andre Recht, nicht weil es Vortheil, sondern weil es Rechtsfoderung war, zu interessiren, sich interessiren zu lassen, sich oft die Hälse zu brechen. Diesen Charakter wird auch die Geschichte Deutschlands nicht verläugnen, und muß sie es nicht, wenn wir sie nach einer andern, sie sei Griechisch oder Römisch, Brittisch oder Französisch, modeln wollen? Der Geist, der alle diese Völker belebte, und wenn wir ihn auch jedesmal Ehre nennen wollen; Himmel! wie sehr ist nicht die Griechische Ehre, und die Römische Ehre, und die Brittische Ehre, und die Französische Gloire und der Deutschen Rang verschieden? oder wenn wir diese Triebfeder hier und da auch Freiheit nennen wollen, nicht noch immer verschieden? – – Und wenn nun eine Idiotistische Nationalgeschichte der Deutschen, Merkmale dieser Deutschen Freiherrlichkeit, einige Franzen dieses Ceremonienhimmels, und wenn sie auch so sehr auf Kosten ihrer Nation gesponnen wären, haben muß; wird da nicht eine gewisse trockne Pünktlichkeit, ein steifer gemessener Schritt von Urkunde zu Urkunde oft beinahe unvermeidlich seyn?

Und für Deutsche fast unentbehrlich. Es sei Ungelenkigkeit, oder was es sei, daß ich bei Geschichte auf schönen Vortrag und Weltweise Anmerkungen nur immer zuletzt sehe, bei jedem Factum trockne und genaue Nachricht, bei jedem Datum sichere Gewährleistung verlange, und bei manchen schönen Geschichtsromänen mal über mal mit Unwillen frage: Redest du das von dir oder haben dirs andre gesagt? daß ich mit Unwillen umherirre, wenn ich nicht weiß, ob dies Sache, That, Geschichte – oder Bemerkung, Einfall, Meinung des Geschichtschreibers ist: daß ich mit Peinlichkeit unterscheide: ist dies Geschichte Englands, wie sie geschehen ist, oder [468] wie Hume meint, daß sie sich hätte zutragen können? ja, daß ichs für Fehler und Verderbniß aller Geschichte halte, auf nichts als Historische Kunst, Epische Anordnung, Pragmatische Bemerkungen, Philosophische Einlenkungen zu dringen, unter denen ich den nackten wahren Körper der Geschichte so wenig erkennen kann,wie er ist, als wenn der Emil des Bruder Philipps vor seinem Gänschen stille stehen, und aus dem äußerlichen Anzuge, und dem Reifrocke, und der Schnürbrust desselben auf die verborgene wahre Gestalt des geputzten weiblichen Körpers weissagen sollte. – – Bei aller unsrer Zurichtung der Historie für den guten Geschmack sollte es also Hauptregel seyn, genau dem Leser die Gränze zu bezeichnen, wo Geschichte aufhört, und Vermuthung anfängt; ja genau den Grad der Gewißheit bei jedem Tritte. Gehört dies nun der ganzen Geschichtskunde als Eigenthum zu: vielmehr unsrer strengen trocknen Deutschen. Bei uns kommt das Wort Geschichte, nicht vonSchichten und Episch ordnen, und Pragmatisch durchweben, sondern von dem vielbedeutenden strengen Worte: geschehen her, und darüber will ich auch nicht bis auf Einen Punkt in Ungewißheit bleiben.

Darf ich mein Gutachten zu einer Deutschen Reichsgeschichte fortsetzen? Viele Jahrhunderte durch ist Deutschland in die Geschichte eines andern Landes rechtlich, und dazu kirchlich verwickelt gewesen, und eine rechtlich-kirchliche Verwicklung ist für Deutschland nach seiner Verfassung, und für einen Geschichtschreiber, der dieser Verfassung folgen will, die größte Verwicklung. Dies Land ist Italien. Pfaffen waren die Bekehrer der Deutschen zum Pabst, und diese Päbstlichen Apostel, vom heil. Bonifacius an, wurden die ersten Reichsfürsten: Pfaffen und Bischöfe wurden die ersten Reichsstände und Freiherrlichkeiten: die ersten kleinen Souverainen und Friedensstörer. Nicht blos also daher, daß Deutschland gleich von seiner ersten Formung vor andern eine sehr kirchliche Gestalt bekam, sondern auch, daß lange nachher seine Kriege so oft nahe an Pfaffenstreitigkeiten und Bischofsvorzüge gränzten. Und da diese Rang- und Rechtsgeistliche zwei [469] Häupter hatten, eins in, und eins außer Deutschland: wie anders, als daß daher der Mittelpunkt Deutscher Thaten und Geschichte so lange und oft außer Deutschland fällt, nach Italien, nach Rom hin – eine neue Quelle historischer Verwirrungen! Und wie anders, als da diese Päbstisch-Italienisch-Deutschen-Geschichte so lange und oft wieder nichts als Rang-Kirchen- und Rechtsstreitigkeiten enthalten, diese die trockensten, verwickeltsten, und oft eckelhaft seyn müssen? Und doch müssen sie es seyn. Und doch ist eben diese Entäußerung Deutschlands Deutsche Geschichte. Und doch eben diese Streitigkeiten und Rang- und Römerzüge der Ursprung Deutscher Verfassung – wie wenig Französiren kann hier unsre Geschichte! Der Historiograph muß hier schon Schild- und Wapenträger des heil. Römischen Reichs werden, er wolle, oder nicht.

So läuft die Geschichte viele Kaiserreihen herunter, wo der Historikus auf einem Gebirge sitzen muß, um auf Deutschland und Italien seine Augen fliegen zu lassen, um keine bloße Fürsten- noch Kaiser- noch Pabstgeschichte, sondern eine Historie Deutscher Nation zu schreiben, wo diese sich findet, in Kreuz- oder Römerzügen; wo sie lernet, in Neapel bei den Saracenen, oder in Schwaben bei den Sängern der Liebe: womit sie sich beschäftigt, es sei mit dem Faustrechte oder Guelfenstreite – überall Deutsche Geschichte: und jedesmal der Geschichtschreiber ein Hausgenosse, ein Ministerial des Zeitgeistes. Helle Punkte, leuchtende Sterne, Milchstraßen gibts überall, insonderheit im Schwäbischen Zeitalter: aber der Grund bleibt nächtlicher Himmel: Reichsurkundliche Trockenheit!

Bis auf die mitlere Habsburgische Geschichte, wo sie sich mehr entwickelt, aber auch mit jedem Zolle der Entwickelung rechtlicher und Reichsurkundlicher wird. Das Gerechtsame, das Reichskräftige wird immer augenscheinlicher Deutschlands Geist, und so auch Geist Deutscher Geschichte. So fort bis aufMaximilian und Karl den fünften, deren Zeitalter ich für den Mittelpunkt aller Geschichte hinter den Römern, für die Basis aller neuern Europäischen Verfassung, und für einen Raum halte, der durch alle [470] Länder Europens hinüber der vortreflichste zu der besten historischen Bearbeitung seyn müßte. Von hieraus fängt sich alles an, Staats-Litteratur-Religionsveränderung – eine neue Geburt des Menschlichen Geistes durch ganz Europa.

Weiter gehe ich nicht: wie sich die neueste Deutsche Geschichte Pragmatisch behandeln lasse, werden Adelung und Hausen beantworten, jener ein Zeitungsstoppler, dieser ein Geschichtmaler zur Gnüge. Ich ziehe aus meinen Miscellaneen nur dies heraus: daß die Deutsche Geschichte sich gar nicht Halbgriechisch oder Halbfranzösisch behandeln lasse – ein Thema, das ich an anderm Orte mit verunglückten Beispielen beweisen werde. Hier nur so viel: daß Hr. Kl. ohne innere Känntniß der Sache urtheile, wenn er die Mascove, und Bünaus, und Pütters so tadelt, wie er tadelt, und ohne Känntniß der Sache urtheilet, wenn er die Hausens auf Kosten dieser Männer lobet. Eine Deutsche Geschichte soll freilich noch geschrieben werden: aber wahrhaftig nicht nach Klotzischem Ideal, da dieser Vielwisser aus einigen Proben 1 nichts weniger zu wissen scheint, als Deutsche Geschichte – –

Und Griechische Geschichte – wenn ich manche seiner Urtheile über das Innere Griechenlandes, und am meisten seinen süßen in lauter Hogarthschen Wellen- und Schlangenlinien schleppenden Stil betrachte – nie hat Hr. Kl. weiser geurtheilet, und weiser geschrieben, als da er dem Auszuge aus der Allgemeinen Weltgeschichte, wichtigerer Thaten wegen, entsagte.

Fußnoten

1 Siehe zurück in die Beurtheil. des Beitr. zur Geschichte der Münzen.

Ueber die Philosophie des Hrn. Klotz
Ueber die Philosophie des Hrn. Klotz.

Klotz und die Philosophie! das Paar scheint sich nicht sonderlich zu lieben, und wenn beide gar offenbar gegen einander antipathisiren, [471] was wollte sie verbinden? Nur sollte das Männlein auch also das arme Fräulein unbeschimpft lassen, und nicht an ihrer Ehre kränken.

Gegen die Metaphysik hat Hr. Klotz feierlich eine satyrische Lobrede 1 gehalten: er hat ihre allweite Herrschaft, ihre Abstammung von der Zankgöttinn, ihr Regiment über die Theologen, Juristen und Poeten, ihre Nutzbarkeit zu Zänkereien und Erfindung neuer Wörter, ihre Annehmlichkeit und Unsterblichkeit – so fein und langweilig ausgezischt, daß ich nicht weiß, was ich erst fragen soll? ob nach der Gründlichkeit der Materie, oder der Neuheit der Ironie, oder der Bestimmtheit des Spottes, oder der Kürze in Wendungen – wornach zuerst? Hr. Kl. geruhet, die ganze Metaphysik, ohne Einschränkung und Bestimmung, ihrem Wesen und Nutzen, und nicht ihrem Misbrauche nach, ohne Reim und Ursache, schaal und matt auszuzischen – O des Philosophischen Satyrs im achtzehnten Jahrhundert.

Gegen die scientisische Methode, und gegen die Systematische Philosophie und gegen die Barbarischen Kunstwörter der Philosophie hat Hr. Kl. einen magern, wiederholten Spott sich so zur Falte eines verrunzelten Geistes werden lassen, 2 daß er auf dieser Saite sehr gerne, leiert. So tief wie Cicero, und so systematisch wie Montagne, sollen unsre Philosophen philosophiren; sie sollen die Metaphysische Grundlage, die Polybius und Tacitus geliefert, weiter ausbauen: sie sollen so genau und bestimmt wie Baco sprechen, und Montesquieu, wie wir schon eine Probe haben, in ein Compendium bringen: das will Hr. Klotz, oder redet wenigstens so unbestimmt, und der trocknen Philosophischen Genauigkeit und Ordnung so gehäßig, als ob er dies wollte.

»Sie rächet sich gegen ihre Verächter!« dies sagt Luther von der Grammatik der Worte, und noch mehr ließe es sich von der Grammatik der Gedanken, von der Philosophie, sagen. Sie rächet [472] sich gegen ihre Verächter, und sie hat sich reichlich an Hrn. Klotz gerochen. Sie, die genaue Philosophie ists, die jeden Satz in seinem Münzengerichtlein bestimmt und vest gemacht hat: sie, die genaue Philosophie ists, die sein Büchlein von der verecundia Virgils geschrieben, die mit ihm über Homer critisiret, die die Mythologie verworfen und uns eine neue geschaffen, die gegen Leßing gestritten, die aus geschnittnen Steinen eine Aeneide und Iliade erbauet, die die Hallische Deutsche Bibliothek, wie ein Weltgeist, und ein rector Archaeus füllet; die in alle Schriften meines Hrn. Verfassers Ordnung bringet; die ihn nie ein Wort zu viel und unzeitig und unerträglich schielend schreiben lässet; die die Baumgartensche Aesthetik, und die Wolfische Philosophie in Stücken zerhauen; 3 die in einem Athemzuge ohne ein stummes Wort des Beweises »Hollmann zum Schulphilosophen und Paläologus, der nichts, was schön ist, kennet, Crusius zum Diebe Hoffmanns, und die Darjesianer ihrem meisten Theile nach zu Barbaren ohne Geschmack, ohne Wissenschaft und Känntnisse« macht: sie ists, die große Freundin des Hrn. Klotz, die Philosophie. – – Sie rächet sich gegen ihre Verächter!


Nun komme ich endlich in das rechte Feld des Hrn. Kl., wo er unter geschnittenen Steinen und Münzen und Scherben dasitzt, wie ein Kind unter Schnecken, und bunten Steinchen und Spielzeuge: Ich soll von seinem Buche reden:

Fußnoten

1 Ridic. litter.

2 Opusc. var. argum. Ueber das Stud. des Alterth. u.s.w.

3 S. Klotz. Bibl. vom Anfange an bis zum künftigen seligen Ende.

Ueber die geschnittnen Steine
Ueber die geschnittnen Steine.

Wo doch Hr. Kl. wahrhaftig alle seine Belesenheit, recht häßlich weite Gelehrsamkeit, und recht Honigsüßen Geschmack bewiesen hat? Habe er doch! Mein einziges Urtheil ist dies, daß, wenn ein Mann würklich so viel große, schöne, kostbare Werke nachgelesen, [473] nachgeschlagen hat, und nichts mehr, als die elenden, trivialen Anmerkungen, das halbkluge und verzuckertsüße Geschwätz herauslesen und herausaufschlagen kann, was Hr. Kl. hier vorzeiget: so schlage man ihm die Bücher zu. Mit allem seinen Lesen wirdder belesene Leser in seinem Leben nichts Rechts herausbringen.

Ein denkender Schriftsteller, der da irrt; und ein irrender Schriftsteller, der da denkt; und ein strauchelnder Schriftsteller, der noch nicht gnug gelesen, aber lesen kann: der nehme Bücher in die Hand; er wird denken, er wird nützliche und große Sachen hervordenken: sein Geist wird wachsen. Aber der Anagnoste, der da lieset, um gelesen zu haben, und citirt, was er nicht gelesen, und mit allen seinen Citationen nichts herausbringt, als was nicht jeder Halbgelehrte weiß: an dem gebe man die Hoffnung auf; der flickt sich einen Rock von Citationen zusammen, um seine Blöße zu decken. – –

Für wen ich zu frei schreibe, der sage mir: was der Stein- Münzen- und Bilder- und Buchstabenbelesne Klotz denn bisher mit seiner Lecture Neues gesagt? Wer mit so vieler Belesenheit über Tyrtäus, und Homer, und Virgil, und Horaz, und den Geschmack auf Münzen, und den Nutzen der geschnittnen Steine nicht mehr sagt, als Er, der hat mir nichts gesagt: der sage Nichts.

Herr Klotz hat aus Ursachen, die ich nicht weiß, und nicht wissen will, den guten Vorsatz gehabt, die Lippertsche Dactyliothek der Welt und insonderheit den Schulen anzupreisen. Es sei guter Vorsatz. Es sei, daß dazu die Anpreisung unsrer halbhundert Deutschen und Lateinischen Journale, Bibliotheken, Akten, Zeitungen nicht gnug war: es sei, daß das eigne Lippertsche Verzeichniß, woraus ich mich nicht schäme, manches gelernt zu haben, nicht gnug war: es sei, daß die Anpreisung der Bibliothek d. sch. W., der Göttingschen Zeitungen, und aller der Journale, in denen Hr. Klotz, als ein Proteus, in mehr als einer Zunge und Sprache redet, nicht gnug war: aber warum mußte denn Hr. Klotz sogar Lipperten plündern, und was dieser in Reihen sagt, Seitenlang wiederkauen?[474] warum denn Caylus und Winkelmann plündern, die doch jeder Halbkenner kennet! warum so ein unordentliches Gemisch von Anmerkungen, wo man nicht weiß, ob der Steinleser mit Knaben oder mit Künstlern, oder Gelehrten, oder Liebhabern spreche? warum nach allen solchen Anführungen so arm, wie eine Kirchenmaus, erscheinen? – –

Es wird mir schwer, mich über Einzelnheiten zu erklären, und das wiederzufinden, was ich im Buche des Hrn. Kl. vorbeiging. Ohne Abschnitte und Theilungen watet man in ihm eine Strecke von zweihundert sieben und dreyßig Seiten, ich hätte beinahe geschrieben, Meilen, durch eine große Sandwüste, ohne Ruheplätze, voll lauter Mischmaterien, in denen der Autor bald mit der lieben Jugend, bald mit dem lieben Künstler, und bald mit dem Antiquariensammler ohne Geschmack, und bald mit dem Liebhaber voller Geschmack, und mit Einem, wie mit dem Andern redet – so wallet man eine Dürre von eignen Gedanken durch, um hinten auf ein sehr unterrichtendes Furienhaupt 1 zu kommen, das mich nicht aus dem Gedächtniß herfragen sollte, was ich gelesen? So watete Alexanders Heer die Lybische Sandwüste durstig und in der Sonnenhitze gebraten durch, und fand – ein Ziegenbild, einen gehörnten Jupiter Ammon.

Fallen wir Deutsche nicht immer von einem Aeußersten aufs andre? Vor kurzem der Geschmack in Paragraphen: aus Paragraphen wurden zerschnittne Brocken von Capiteln à la Montesquieu: nun wieder Akademische Diskurse ein ganzes Buch durchweg, ohne Kopf und Hand, eine langgestreckte sich fortringelnde Schlange, ein liebes Bild der Unendlichkeit. In Kritischen Wäldern herumspatzieren, heißt freilich nicht wie ein Seiltänzer schreiben; aber in einem Werke, wie des Hrn. Klotz, wo er die Künstler lehret, und den Liebhabern vorschmecket, und den Antiquaren vorerklärt, und die [475] liebe Jugend umarmet, und überall so wichtig und vornehm spricht: da keinen Plan und Ordnung haben? – –

Doch ich weiß, warum ihn Hr. Klotz nicht haben mag; wenigstens darf ichs rathen. Ist ein Buch genau eingetheilt: steht jedes Chor unter seinem Hauptmanne: so ists leicht zu übersehen und, wenn ich dazu setzen darf, auch leicht zu prüfen. Das Auge läuft drüber weg, und da es jedes seine Stelle weiß, so weiß es auch: wo dieses her? warum jenes nicht da ist? Es hält scharfe Musterung im Einzelnen und im Ganzen, es prüft, wie viel jede Materie neu, wahr, vollständig sey. Wer seine Völker aber nach Codomannus Art, auf gut Scythisch oder Persisch stellt: freilich, der ist auf eine sehr eigne Weise unübersehbar.

Ich nehme z.E. das Winkelmannische Gebäude der Kunstgeschichte – welch ein großer ergötzender Blick, der sich an der Ordnung, Harmonie und Vollkommenheit der Theile und des Ganzen weidet! Einheit und Mannichfaltigkeit! Größe und Schönheit! zum Anstaunen und zur süßen Anschauung des Schönen! Ein Griechischer Pallast, an Materialien ein Werk der Cyklopen, an Bauart und Form ein Mächtniß der Götter, in Auszierung eine Arbeit der Grazien und Musen – wer wünschte sich nicht, es gebauet zu haben? Ich nehme Klotzens Buch über die geschnittnen Steine; mit allem seinem kleinen Mannichfaltigen ists ein Haufen kleiner Ruinenstücke und Scherbchen.

– – Und sein Vortrag, sein Styl? damit es nicht heiße, als suche ich mißgünstige Stellen auf: o so lese man den honigsüßen, bis zum Ekeln süßen Anfang:

»Wenn die gute Absicht, die ein Schriftsteller bei seiner Arbeit gehabt hat, zugleich für dieselbe eine Empfehlung seyn kann: soverspreche ich diesem Buche einigen Beyfall und ihrem (des Buchs oder der Absicht?) Verfasser von den Freunden der Künste und des Geschmacks Dank.« An guter Absicht hat es bisher, Gott sei Dank! noch keinem Schriftsteller gefehlt; und kann schon die gute Absicht nach Hrn. Kl. süßer Manier zu schreiben: Empfehlung seyn: so verspreche ich allen Betrübten [476] und Blöden Beifall, und von allen Freunden der Künste und des Geschmacks den ergebensten Dank.

»Dieses Bekänntniß macht nicht aus der Ursache den Anfang meiner Schrift, aus welcher es von vielen für ein wesentliches Stück ihrer Vorreden angesehen wird. Diese mögen allein und aus eigner Erfahrung die Stärke die ser Worte kennen, und man mißgönne ihnen die Kunst nicht, hiedurch entweder gutherzige Richter zu ihrem Vortheile einzunehmen, oder wenn ihnen diese Hoffnung mißlingt, das Publikum, dessen größerer Theil sich aus gewissen eignen Empfindungen auf die Seite des getadelten Schriftstellers schlägt, zum Mitleiden zu bewegen.« – Tand! lauter süßer Tand! Hr. Kl. will nichts mit dem gemeinen Haufen der Schriftsteller gemein haben, als was er mit ihnen gemein hat, und mit ihnen das nicht gemein haben, was er mit ihnen nicht gemein hat, und alles dies läuft in die kleinzähligen Brüche von Absichten, von Empfindungen ein, deren Aesthetometrie ich nicht verstehe.

»Ich rechne mir den aufrichtigen Wunsch, daß die gründliche Gelehrsamkeit etc. inmeinem Vaterlande ausgebreitet werde, zu einem Verdienste an, dessen Werth ich nie verkennen werde, und dessen Bewußtseyn mir den Mangel andrer Verdienste ersetzen muß u.s.w.« Wie? so ist dies der ganze Unterschied des Verfassers von den vorigen Schriftstellern? So ist ein Wunsch, ein krüppelhafter Wunsch schon ein Verdienst? ein Verdienst, das man sich selbst vor den Augen des Publikum anrechnen, so kühn anrechnen kann, daß es der Welt bei dem Anfange der Schrift dreust vorschwöre: »ein Verdienst, dessen Werth ich nie verkennen werde, dessen Bewußtseyn mir den Mangel andrer Verdienste ersetzen muß.« Und das alles ein Wunsch? Und das alles heißt Urbanität, guter Ton, Patriotismus? –

»Eben um deßwillen halte ich es auch für meine Pflicht, die Lehrer der Wissenschaften auf gewisse Mittel, wodurch sie sich diesem Endzwecke, der auf das Wohl unsrer Mitbürger und das Glück der Nachkommenschaft abzielt, nähern können,aufmerksamer [477] zu machen, als sie es bisher gewesen sind, oder vielmehr haben seyn können.« – Und was sind diese geheimen gewissen Mittel, die so sehr aufs Große der Welt und Nachwelt gehen, die keiner bisher hat wissen können? – es kommt im Meteorenzuge: »Ist aber ein Mittel leichter, gewisser und edler, als wenn man ihnen behülflich wird, das Herz unsrer Jugend den sanften Eindrücken des Schönen zu öffnen, und welches allezeit eine Folge von der aufrichtigen und weisen Cultur der Wissenschaften ist, es selbst gegen die Reize der Tugend hierdurch fühlbarer zu machen? –« Und das ist alles: und wer hat dies Mittel nicht längst gewußt? nöthig erkannt? angepriesen? Von Quintilian bis auf unsre Quintiliane, wer hört damit etwas Neues? und wenn es, bestimmter als Hr. Klotz gesprochen, auf die Bildung der Kunst abzwecken soll: wer kennt nicht auch hierüber die vortrefliche Winkelmannische Abhandlung? Und was hat Hr. Kl. unter dem, was er geschrieben hat, und schreiben wird, was hiebei gestellt zu werden verdiente? Und was bleibt ihm also übrig, als sein frommer Christlicher Wunsch, und ein Honigsüßes Geschwätze?

Das letzte zieht sich fort: Er lobt die heutige Verfassung der Schulen, beklagt den Mangel an geschickten Männern, bekennet endlich, »daß einige vernünftige Männer das Glück gehabt (denn an den Siegen über Vorurtheile und Unwissenheit hätte das Glück einen viel größern Antheil, als unsre Kräfte und Arbeiten) andre zu überzeugen, daß der gute Geschmack – –« Gottlob! so gehört schon das außerordentlichste Wunderglück dazu, um das Publikum von der Nützlichkeit des guten Geschmacks zu überzeugen: so sind wir nicht weiter, als daß einige vernünftige Männer, und das blos durch ein Glücksspiel, andre davon überzeuget: so tief hätte ich mir doch nicht unsre Zeit gedacht!

Doch Hr. Klotz weiß es gut zu machen. Er frohlockt, wie weit man in Verbesserung der Schulen gekommen, malet eine Seitenlang verkleckte Aussicht über die Gelehrsamkeit, und empfiehlt sich folgender Gestalt: »Meine Schrift wird einsichtsvollen Richtern vielleicht nicht mißfallen, wenn man es ihr gleich ansieht, daß ihr [478] Verf. sie nicht mit der seufzenden und düstern Mine geschrieben hat, welche so viele unsrer Verbesserer der Schulen annehmen. Das Bewußtseyn meiner Absicht, und dieUeberzeugung von dem Nutzen, welchen mein Vorschlag nothwendig haben muß, gibt mir den Muth, mich unter dem Haufen derer, die einerlei Endzweck mit mir haben, hervorzudrängen, und zu verlangen, daß man mich anhöre – –« Sachte! sachte! Ueber nichts, als eine Schulmaterie, wer wird sich unter dem Haufen aller u.s.w. hervordrängen: über eine Materie, über die andre schon besser geschrieben, deren schüchterne Mine gewiß mehr gefallen wird, als die fodernde unsres Schreiers, der sich hervordrängt, und verlangt, daß man ihn höre: über eine Materie – Kurz! hier ist mein Urtheil:

Hat Hr. Klotz für Schulen geschrieben: so finde ich sein Buch weder zu einem bildenden Buche in die Hand der Jugend, noch in die Hand der Lehrer würdig. Für jene ein Ruinenhaufen von alten Schlössern, in dem sie wahrhaftig nicht werden umher klettern wollen: für diese ein Mengsel von unbestimmten, zusammengerafften Materien, wo eben das fehlt, was sie zu Bildung der Jugend deutlich, ausführlich, gründlich, bestimmt suchten.

Hat Hr. Kl. zu Lipperts Dactyliothek geschrieben: schlecht! Die schönsten und einzigen Anmerkungen sind aus Lipperts Commentar: und welcher Liebhaber, welche Schule diesen hat, wirft jenen weg.

Hat ers für Liebhaber, für Exoterische Leser geschrieben, wie etwa ein Algarotti, ein Fontenelle; – ich habe Proben seines schönen Styls, seiner Ordnung, seines guten Tons gegeben.

Soll es endlich für Gelehrte, für Künstler seyn –

Und da kommen mir eben Leßings Antiquarische Briefe, die ich gern eher gehabt hätte! Welch ein hinreissender Strom! welche Belesenheit! welche Känntniß des Alterthums! welcher Scharfsinn! [479] – Schade, daß Ein Leßing seine Zeit verschwenden muß, um einem Klotz das zu sagen, was ihm jetzt mehrere von Gesicht ansehen werden.

In meinen Wäldern wird bisher wohl niemand eine Spur von Verabredung. und Einstimmung haben erträumen wollen, und daher so entfernt L. von mir lebt; so einen Stral von gutem Vorurtheile geben mir seine Briefe für manches, das ich an Klotz ausgesetzt. Ein Schriftsteller, wie dieser, von dem unser Lustrum bisher so willig gelernt, ist ja auch wohl werth, daß das zweite Lustrum an ihm lerne.

So wenig die Grazien im Styl des Hrn. L. meine Freundinnen seyn mögen; so wünsche ich doch mich in Entschuldigung meines oft scharfen, oft Antiquarischen Ausdrucks an ihn anzuschließen. Mit ihm sage ich: »der schleichende süße Komplimententon schickte sich weder zu dem Vorwurfe, noch zu der Einkleidung; auch liebt ihn der Verfasser überhaupt nicht. Die Alten kannten das Ding nicht, was wir Höflichkeit nennen. Ihre Urbanität war von ihr eben so weit, als von der Grobheit, entfernet.

Der Neidische, der Hämische, der Rangsüchtige, der Verhetzer, der ist, er mag sich noch so höflich ausdrücken, der wahre Grobe;« und wer in diesem süßen Tone seine Seichtigkeit und Halbgelehrtheit verbirgt, für alle, die er anlockt, sich nach ihm zu bilden, der schädlichste Gleißner. – Die Klotzische Episode in der Deutschen Litteratur Schande, wahre Schande!

– – Doch, wie viel Zeit habe ich verlohren – –

Fußnoten

1 Ich habe es beigefügt, um Hr. Leßing zu überzeugen, daß die alten Künstler u.s.w. [S. 242]

Anmerkungen

[480] Anmerkungen.

7, 7. »Erscheinungen – Demokritus.« Aus Winckelmanns »Erläuterung der Gedanken über die Nachahmung« u.s.w. (WW. I, 147): »Nach des Demokritus Vorgeben sollen wir die Götter bitten, daß uns nur glückliche Bilder vorkommen.« Plutarch. Vit. Aemil. c. 1.

8, 9. »Ilyßus« – Die Schreibung mit y, wie 9, 10Syrenen, wie anderwärts Hypokrene,Phthya; ebenso das th an unrechter Stelle in griechischen Namen (Absyrthus u.a.) gehört zum »Costüme« und ist absichtlich beibehalten. – »blödsinnig, wie Claudius« – vgl. I, 171, 62. Hier sollte es vielmehr heißen: »wie Caligula« (Sueton. Calig. 34.)

9, 10. a. Ernst Ludwig Dan. Huch († 1774. Prof. am Gymnas. zu Zerbst): »Verdienste des Archilochus um die Satyren; mit einer Nachlese wider den Harduin.« Zerbst 1767. (R.)

10, 12. »jenem Griechischen Künstler« – dem Praxiteles die Aphrodite. – »Kleists Amynt« – Gedichte. Berlin 1756. S. 128. (Amint – Galathee.)

14, 17. a. Soph. Phil. 732 ss.

15, 19. ἀπολωλα ss. v. 745.

16, 21. Hudemann (Ludw. Friedr.) Der Brudermord des Kain. Trauerspiel. Bützow. 1761.

23, 32. versus querimoniae – Horat. A. P. 75. vgl. Bd. II, 302.

25, 35. b. (I.F. Schröter) Allgemeine Geschichte der Länder und Völker von Amerika. Nebst einer Vorrede Siegm. Jac. Baumgartens. Halle 1752. 53. 2 Bde. 4° Die Schilderungen, welche das betreffende Capitel »Von der Todesart der Sclaven im mitternächtigen America« enthält, sind von Herder in sehr freier Weise wiedergegeben. (R.). Reminiscenzen aus Haller mischen sich ein: Züge aus dem Gedichte »Die Falschheit menschlicher Tugenden« (Versuch Schweiz. Gedichte. IX. Aufl. 1762. S. 91–93), die Herders Phantasie schon in früheren Jahren beschäftigt hatten. »Am Marterd fest des Eskimaux,« Sujet eines »Dithyrambus,« nachher als »Todten-Lie- eines Eskimaux am Marterpfal,« findet sich in einem Königsberger Notizenhefte (1763) verzeichnet.

27, 38. b. Fragmente der alten Hochschottländischen Dichtkunst. Hamburg 1764. vgl. Adrastea V, 341.

[481] 30, 42. »ein Silberton« – Klopstock, Ode am Feste der Souveränetät (Das neue Jahrhundert); vgl. II, 385.

31, 43. Roger de Rabutin, Comte de Bussy (1618–93). Discours du bon usage des afflictions et des adversités. – Haller, Sehnsucht nach dem Vaterlande. 1726. (Gedichte S. 5 fgg.) – Kleist, Sehnsucht nach Ruhe. 1744. (Gedichte 1756. S. 130 fgg.) (R.)

32.* Joh. Jac. Reiske, Proben der Arabischen Dichtkunst in verliebten und traurigen Gedichten, aus dem Motanabbi. Arabisch und Deutsch, nebst Anmerkungen. Leipzig 1765. (R.)

33, 45. Haller, Trauerode beim Absterben seiner geliebten Mariane. 1736. (Gedichte S. 216 fgg.). Ueber eben dieselbe. 1737. S. 223 fgg. Ueber den Tod seiner zweyten Gemahlin. 1741. (S. 260 fgg.) – Klopstock; Hinterlaßne Schriften von Margareta Klopstock, Hamburg 1759. S. VII fgg. vgl. Band I, 477, 222. – Canitz, Klagode über den Tod seiner ersten Gemahlin; Gedichte, Berlin u. Leipzig 1750. S. 309 fgg. (R.) – Über Georg Wilh. Oeder vgl. Adrastea V, 2, 293. Redlich zu Lessings Werken XII, 556.

35, 49. »Briefe zwischen Mannspersonen« – Briefe von Herrn Gleim und Jacobi. Berlin 1768. vgl. Lebensbild I, 2, 324. Mit den nächsten Sätzen im Texte scheint es Herder abgesehen zu haben auf die »Romantischen Briefe« eines Anonymus, deren erster Band 1769 bei Nicolai erschien. Vgl. Lebensbild I, 2, 409. 426. 442. 450. Lessing Schriften 12, 205. 13, 154. L.

36, 50. »wie ein – Pappelbaum« Hom. Iliad. Δ, 473–489. Protesilaus B, 698 ss.

47, 67. »Skävopoeie« – Herder eignete sich das Kunstwort in der fehlerhaften Schreibung Lessings an; richtig wäre »Skeuopoeie.« (σκευοποιΐα Anfertigung der Masken). Blümner, Laokoon S. 66.

e) »den Ersten ihrer Verfasser« – Mendelssohn. Das Referat Herders giebt den Inhalt kurz und in eigenem Ausdruck; Anführungsstriche gebraucht Herder auch sonst bei ganz freien Citaten.

53, 75. Pireicus – Lessings Schreibung, statt Piraeicus (Plin. N. H. 35, 10, 37).

55, 78. a. Chr. Gottl. Heyne Programma, quo proluduntur nonnulla ad quaestionem de causs. fab. s. myth. phys. Gottingae 1764. (R.)

56, 79. a. Klotz, Über den Nutzen und Gebrauch der alten geschnittenen Steine und ihrer Abdrücke. Altenburg 1768.

57, 81. »Venus« – nicht »bei Moschus« – vgl. 91, 132 – sondern bei Bion. Bionis Ἐπιτάφιος Ἀδώνιδος. (Idyll. I) v. 1–12.

[482] 58, 84. b. Über die von Herder mit Recht beanstandete Übersetzung des Ausdrucks διεστραμμένους τοὺς πόδας vgl. Blümner, Laokoon S. 140. 141.

62, 88. a. Eurip. Iphig. Aul. 1547–50. Nauck.

64, 92. tibi cum – Ovid. Met. IV, 19. 20. »wie den Seeräubern Homers« – Hymni Hom. VII, 3 ss. (νεηνίῃ ἀνδρὶ ἐοικώς); vgl. I, 320, 323.

67, 96. Servius – zu Virg. Aen. II, 201.

69, 99. »acht an Zahl – Kleinen.« Die Übersetzung geht vielleicht nicht ohne Absicht in das originale Metrum über (v. 313. 314).

71, 103. »Terrasson – Sethos.« Jean Terrasson (1670–1750) Séthos, Histoire ou Vie tirée des monuments anecdotes de l'ancienne Egypte, Paris 1731. Terrasson hat den Diodor übersetzt; daraus erklärt sich der Zusatz »mit dem Diodor« u.s.w. (R.) – Über Terrasson, Ramsay (A new Cyropaedia), den besten von den »andern« Verfassern historisch-geographischer Romane, vgl. Adrastea II, 167 fg. (Aus dem Séthos p. 70 stammt wahrscheinlich die »Arzneikammer der Seele« II, 328 Z. 10 v.u., für welche bisher ein Nachweis fehlte. Es heißt daselbst, die Überschrift der Bibliothek zu Memphis sei gewesen »La Nourriture de l'Ame.« Dunlop, Gesch. der Prosadichtungen, übers. v. Liebrecht. S. 509. Anmerk. 439).

78, 112. a. Sammlung vermischter Schriften zu Beförderung der schönen Wissenschaften und der freien Künste. Sechs Bände. Berlin 1759–63; von Nicolai ins Leben gerufen. Sulzers Portrait in Bd. 5. (R.)

113. »Eintheilung des Aristoteles« – Eth. Nicom. I, 1, 2.

79, 115. a. Die aus dem Mendelssohnschen Briefe angeführte Stelle ist frei behandelt. Der Schluß lautet in den Litt. Br.: »und bloß die Dichter sollten nach dem Ausspruche Plutarchs genöthigt sein, Gutes mit Bösem, und also Schönes mit Häßlichem zu vermischen?«

83, 121. nudam effigiem – Juvenal. Sat. XI, 106 s. Blümner Seite 99.

89, 129. »nach Damms Lehrart« – vgl. S. 451, 139 fg.

95, 138. b. Horatii Eclogae, una cum scholis veteribus ed. Baxter. Editionem secundam cur. M. Gesner. Lipsiae 1752. Über William Baxter († 1723), den Herausgeber des Horaz, vgl. Adrastca V, 61 fgg.

97, 141. a. Addisons Dialogues – zuerst London 1726 in 12° gedruckt. Von den »zwo oder drei Übersetzungen,« die das Dritte Wäldchen 386, 36 erwähnt, erschien eine schon 1740 in Bayreuth. (R.)

98, 142. 143. Les Poésies d'Horace, traduites en françois avec des remarques et des dissertations critiques par Sanadon. Paris 1728. ›attirail patibulaire‹ nach Sanadons Ausdruck. Lessing 6, 444. L.

101, 147. a. Über Bentleis Horaz (Cantabrigae 1711) vgl. Adrastea V, 27.

[483] 102–104. Über die »epischen Maschinen« hatte sich Herder schon erklärt in der Recension von Joh. El. Schlegels Werken, Allg. D. Bibl. V, 1, 165. Lebensbild I, 3, 2, 20–22.

104, 152. »Winkelmanns Werk« – Versuch einer Allegorie besonders für die Kunst. 1766. WW. 9, 3–270.

109, 159. b. Callimach. hymn. V. εἰς λοῦτρα τῆς Παλλάδος v. 53 ss. Hymnus III εἰς Ἄρτεμιν hat auf die »badende Diana« keinen Bezug. Das Citat ist so unsicher wie der Text, zu dem es gehört; ›Kalydon,‹ der Überrascher der Göttin, ist eine höchst fragwürdige Gestalt, an deren Dasein vielleicht eine misverstandene Virgilstelle (VII, 306) den meisten Anteil hat.

110, 160. a. Anthol. Graeca IX, 625. Das Citat im Texte ist ungenau. Nach der ältesten von Planudes selbst herrührenden Einteilung müßte es L. IV. c. 18ep. 33 heißen; nach der Anordnung des Stephanus (Paris 1566) IV, 19, 20.

111, 162. »In einer Wolke steigt sie zum Jupiter« – A, 497.

113, 165. Die Belegstellen sind: E, 407 ss. Z, 122ss. X, 7 ss.

117, 171. Die Homer-Ausgabe von Samuel Clarke 1735–40, die von Ernesti 1759–64. Vgl. Band II, 165. 375.

117, 171. »Mikromegas« – Anspielung auf Voltaire's Micromégas, histoire philosophique (1739 geschrieben). (R.)

125, 184. d. Theoph. Chr. Harles, De Fato Homeri, Gottingae 1763. De Jove Erlangae 1763 (nach Meusels Angaben); wieder abgedruckt unter dem Titel De Theologia Homeri in Harlesii Opuscula varii argumenti, Halis 1773. (R.)

126, 184. Joh. Nik. Meinhard, Vf. der »Versuche über den Charakter und die Werke der besten Italiänischen Dichter« und Übersetzer von Home's Elements of Criticism, † 16. Juni 1767. vgl. Lb. I, 2, 259. Seiner (nicht zur Ausführung gekommenen) Homerübersetzung wird gedacht in Lessings Briefwechsel. (Schriften XIII, 164. L.)

127, 187. b. Friedr. Just Riedel, Denkmahl des Herrn J.N. Meinhard, an den Herrn Geheimen Rath Klotz. Jena 1768. (R.)

132, 193. »Eupolis – von Perikles« – τὸ κέντρον ἐγκατέλειπε τοῖς ἀκροωμένοις (Meineke Fragm. Comicor. Gr. Vol. II. 1. p. 458). Herder entnahm das Citat aus Plin. Epist. I, 20; eben daher die Interpretation der Homerischen Worte von der »Sprechart des Ulysses« (Iliad. Γ 222) »orationem similem nivibus hibernis, id est crebram et adsiduam et largam.« Vgl. Lebensbild I, 3, 2, 124. (Recension von Denis' Ossian-Übersetzung).

[484] 151, 222. »aus seinem Poem vorruffe« – vgl. 170 Z. 2 v.u., 225 Z. 4 v.u., 334 Z. 2 v.u., 392, Z. 11 v.u. – charakteristisch für Herders Sprache, wie er Ton- und Schallausdrücke figürlich zu verwenden sucht.

159, 233. a. James Harris, three treatises, the first concerning art, the second concerning music, painting and poetry, the third conc. happiness. London 1744.

161, 236. »Hier wünsche – Lessing.« So schon im Oktober 1766 an Scheffner: »Hier lebe noch ein Lessing auf, der uns einen Plato über die Gränzen der Poesie und Musik gebe.« Lebensbild I, 2, 195.

163, 239. Die »schönknieichte Briseis« – kommt im Homer nicht vor; bloß ἠύκομος (Iliad. II, 689) und καλλιπάρῃος (XIX, 246. XXIV, 676) sind ihre Epitheta. Sollte die lateinische Übersetzung des letzteren Wortes (pulchris genis liegt ja von pulchris genibus nicht weit ab) das Misverständnis herbeigeführt haben? Von ähnlichen kleinen »wörtlichen Schwächen« ist Herder auch in reiferen Jahren und auch in Sprachen, die er völlig beherrschte, nicht frei. Möglich allerdings ist auch, daß ihm καλλίσφυρος vorgeschwebt hat.

164, 211. »jene seine Lobsatyre« – eine solche findet sich unter Ariosts Satiren nicht. Ein Irrtum Herders liegt nicht außer der Möglichkeit; sonst wäre, wie es S. 21. Z. 17 unbedenklich geschehen konnte, »seine« in »feine« geändert worden.

170, 249. οὐ φϑαρτικόνAristot. Poet. 5, 1. (p. 1449a 35).

171, 251. »ein zweiter Riccius« – Man kann zweifeln, ob die Anspielung auf den Epistolographen Bartolomeo Ricci (1480–1569) geht, von dem acht Libri Epistolarum Bononiae 1560 erschienen sind (wiederholt in seinen Opera ed. Emaldus, Patav. 1748), oder auf Angelus Maria Riccins, den Verfasser der Dissertationes Homericae. (Florent. 1740). Das erstere ist wahrscheinlicher.

172, 253. for scull – Butler, Hudibras I, 159 fg. (R.)

173, 254. »Trauerspiele erwecken« – eine vielleicht absichtlich steife Übersetzung von ›tragoedias excitare.‹

185, 273. Longin – De Sublim. 9, 5.

187, 276. »von Winkelmann – Blick des Beifalls.« – Auf einem jetzt nicht mehr zu ermittelnden Wege müssen die Zeilen voll erkenntlichen Beifalls für den »pindarischen Scribenten,« den Verfasser der Fragmente, die Winkelmann an zwei Freunde in der Schweiz am 2. und 13. Januar 1768 schrieb, von dort aus an Herder bestellt worden sein. Sämtliche Werke XI, 451. 453.

188, 278. »Artige Wortspiele« – hatte Hamann in den Königsbergschen Zeitungen (1768 Stück 53. Schriften III, 413) mit dem Titel der Schrift über Thomas Abbt getrieben; ihm gilt die Schlußwendung und er [485] beherzigt sie als Recensent der Wälder (Schriften III, 429). Für die Klotzianer aber wurde die empfindliche Verwahrung ein Fingerzeig zu recht unartigen Sticheleien. (vgl. Haym, Herder I, 1, 306).

191, 3. Den durchgehenden Fehler »di Vega,« den schon Klotz rügt, habe ich nicht beseitigt.

195, 8. »Freund und Gönner« – Georg August von Breitenbauch; vgl. S. 448, 134 fg. Band I, 259, 210. 346, 364.

196, 8. »einen großen Minister« – Gerlach Adolf Freiherr von Münchhausen, hannöverischer Minister seit 1765, † 1770.

9. »was will aus dem Männlein werden?« Anspielung auf Ev. Luc. 1, 66.

202, 18. »das Ziel« – Haller, Versuch Schw. Ged. 1762. S. 61.

204, 22. Jocos [jetzt logos] ridiculos etc. – Plaut. Stich. 1, 3, 68 (v. 221).

206, 24. a. Den Gedächtnißfehler d'Argenson statt d'Argensville rügt wiederum Klotz zuerst. – Das Buch, Abrégé de la Vie des Peintres, erschien in einer Übersetzung (»Leben der berühmtesten Maler« u.s.w.) von I.I. Volckmann. Leipzig 1767. 8.

212, 34. b. Plato de Rep. III p. 388 E (φιλογέλωτας) 389 A (ἄσβεστος γέλως).

214, 36. ibis, Homere – Band II, 164. 374.

215, 37. Ate – Iliad. XIX. 93. – 38. b. Aus Lope's »Versuch einer Dichtkunst für das Theater.«

220, 45. the warlike – Milton, Parad. lost IV, 902 fg. (R.)

221, 47. a Knight [statt wight] he was – Hudibras I, 1, 15–18. 241. 242. (R.)

226, 54. P. Tommaso Ceva (1648–1737), Verfasser eines epischen Gedichtes Puer Jesus (1699), das von burlesken Zügen nicht frei war. Über ihn Klotz in den Epist. Hom. p. 36.

228, 57. Marcus Hieronymus Vida 1470–1566. Seine Christias in sechs Büchern, seine Hymni de rebus divinis sowohl einzeln als in seinen gesammelten Werken öfters gedruckt. (R)

»ein ganzer Dithyrambe« – Carmina Omnia 1766p. 14. Vindemia. Dithyrambus.

230, 60. Sannazaro (1458–1530). Sein Gedicht De partu virginis, drei Bücher, mehrfach gedruckt. – George Buchanan (1506–82). Sein Baptistes s. calumnia. Tragoedia. Edinb. 1578, dann auch in seinen Werken. (R.)

231, 61. Frischlin (1547–90). Für seine Comoedia Rebecca (1575) wurde er von Kaiser Rudolf II zum Poeten gekrönt.

[486] 233, 64. Le Donne – Ariost. Orl. Furios. I, 1. –Prose-Critiks – wol Warton, Observations on the Fairy Queen. Lond. 1762. – Joh. Friedr. Oest – vgl. Band I, 97. – Foster – wahrscheinlich der Anabaptistenprediger James Foster, 1697–1753, von dem Sermons, London 1733 fgg. und Discourses on all the principal branches of natural religion and social virtue Lond. 1749 gedruckt sind. (R.) – Nicomachus – vgl. I, 276, 241. II, 386. Nach einer schlechten Lesart bei Aelian. Var. Hist. XIV, 17 wird unten 432, 108. 438, 118 derselbe Maler Nikostratus genannt.

237, 70 Über Lander (Lawder) Essay on Milton's use and imitation of the moderns in his Paradise lost, London 1750, vgl. Redlich in Lessings WW. IX, 226 Hempel. – »Voltaire« – im Dictionnaire philosophique s. v. épopée. (R.)

71. (Bodmer) Jacob und Joseph, Zyrch 1751.Jacob und Rachel. Ein Gedicht in zween Gesängen, Zyrch 1752. Im ersten Bande der Calliope: Jacob. Rahel. Joseph. Jacobs Wiederkunft.

239, 74. Sal. Geßner, Der Tod Abels. In fünf Gesängen. 1758. Sämmtliche Werke. Wien 1789 I.

242, 77. a. De vitis Philologorum nostra aetate clarissimorum auctore Harlesio I. Bremae 1764. Vgl. S. 441, 122.

244 a. b. Der Messias, II. Aufl. (1760) II, 23. 44.

245, 83. »Klopstocks Salomo« – Werke 1806. IX, 24.

246, 84. »und Oromazes« – Ramler, Der Anbeter der Gottheit. Poetische Werke 1825. II, 195. – Kleist, Die Unzufriedenheit der Menschen. Gedichte (1756) S. 88.

247, 85. Die angeführten Stellen stehen in Gleims »Preußischen Kriegsliedern« I. Ausg. S. 13. 31. 16. 12. 6. Werke hg. v. Körte IV, 5. 14. 7. 5. 2. (R.)

251, 91. Dan. Webb, An inquiry into the beauty of painting and the merit of the most celebrated masters. Lond. 1760. (Untersuchung des Schönen in der Malerey und der Verdienste der berühmtesten alten und neuen Maler. Zürich 1766). Auszüge in Herders Heften beweisen ein sorgfältiges Studium.

92. et avertens – Vergil. Aen. I, 402.

254, 95. Ἐλατὴρ ὑπέρτατοςOl. IV, 1.

256, 98. »[Doch] kann der« – Messias, Gesang 6. (Halle 1756. II, 23.)

99. »Wie wollet – vergleichen?« – Jesaias 40, 25.

257, 100. »Wer hat dich« – Kriegslieder, I. Ausg. S. 26. Werke IV, 12. – »Wenn nun dein Wagen« – zuerst in der »Sammlung vermischter Schriften von den Vff. der Bremer Beyträge.« Leipzig 1749. I. 5. [487] S. 341. Cramer, Sämtl. Gedichte, Leipzig 1783. III, 251. (R.) – »Groß ist der Herr« – Anfang von KleistsHymne (Werke 1761. I.S. 7) Herders »Lieblingsstück;« vgl. Lb. I, 3, 1, 571. Gott 1787. S. 154. – In dem letzten Citat, aus Ramlers »Hirten bei der Krippe zu Bethlehem« (Z. 63 fgg.) sind gerade die beiden bezeichnendsten Zeilen »Unschädlich rollt sein ehrner Wagen Hoch über unsern Häuptern hin« ausgelassen. – Die Bemerkung über Klopstock geht vielleicht zu weit; »die ihm der Donnerer anschuf« heißt es z.B. im zweiten Gesange (Hall. Ausg. I, 42 Z. 3 v.u.) – Das nächste Citat »Wenn er (A: Der) Welten – den Untergang (A: dem) zuwinkt«: Messias, zweiter Gesang, I, 40 Z. 1 v.u.

258, 101. »Gemälde Galatons« – vgl. Bd. I, 443, 157. 546.

259, 103. Bibliothek des Apollodors. Aus dem Griech. übers. von I.G. Meusel. Nebst einer Vorrede von Herrn Klotz. Halle 1768. »Vorredner« – vgl. Band I, 74. 535.

260, 105. »Rathgeben, sagt Plato,« – Theages p. 122 B. (λέγεταί γε συμβουλὴ ἱερὸν χρῆμα εἶναι). – Bernhard Nieuwentijt, praktischer Arzt und Bürgermeister zu Purmerend in Nordholland (1654–1718); Johannes Swammerdam, berühmter Anatom und Naturforscher (Entomologe) (1637–1680); Joseph Pitton de Tournefort (1656–1708), ausgezeichneter Botaniker; Mitglied der Pariser Akademie der Wissenschaften; seine Forschungsreisen brachten dem Studium der Botanik reichen Gewinn.

261, 106. John Dyer – vgl. I, 118. 536. Grongar Hill, Lond. 1757. The Fleece in five books, Lond. 1757. – Michael Konrad Curtius (1724–1802). An seinen Lehrgedichten (Von dem Schicksale der Dichtkunst; Vom Zustande der Seelen nach dem Tode) tadelt Mendelssohn in den Litt. Briefen (IX, 185–188) besonders die weit hergeholten Naturgleichnisse.

107. Cornelius Agrippa von Nettesheim (1486–1535) wegen seiner Schrift De occulta philosophia libri III Colon. 1533 neben Paracelsus genannt.

262, 108. »Fontenelle – Descartes,« nach Kant in den »Beobachtungen üb. das Gefühl des Schönen und Erhabenen«, WW. in chronol. Reihenf. II, 253. – Georg Eberhard Rumpf (Jöcher: Rumph), geb. 1637 in Hanau, gest. 1706 in Amboina, von der Academia Naturae Curiosorum wegen seines Werkes Museum Amboinicum (1705) mit dem Beinamen Plinius Indicus geehrt. – Maria Sibylla Graff, geb. Merian, berühmte Naturforscherin, aus Frankfurt a/M. gebürtig (1647–1717). Ihre Untersuchungen über die niedere Thierwelt von Surinam veröffentlichte sie in einem illustrirten Prachtwerke, Amsterdam 1705. – »Malabarischen Garten« – Hortus Indicus Malabaricus von Henrik van Rheede. – »Der Verfasser [488] des Zuckerrohrs« James Grainger (1724–1767) The sugar cane, Lond. 1764; vgl. die Recension von Dusch's Briefen, Lebensbild I, 3, 2, 73.

109. »Niagarens Wasserfall« – »Vielleicht in der ersten Ausgabe der Gräber, Frankfurt 1760 (vgl. Bd. I, 484, 235). In den ›Oden und andern Gedichten‹ I. Ausg. 1750. II. 1769 finde ich Nil, Niger, Oby, Orinoko, aber nicht Niagarens Fall.« R.

264, 111. »Bacchus am Lykurgus« – Apollodor. III, 5, 1, 3. 4. Ovid. Met. IV, 22.

265, 113. The earth – Macbeth I, 3. b) The Rambler, eine von Samuel Johnson herausgegebene Zeitschrift, erschien vom 20. März 1750–14. März 1752. (Hettner, Gesch. der engl. Lit. S. 423.)

266, 114. »Uzens Morpheus« – Lyrische Gedichte, IV. Aufl. Leipz. 1765. S. 75. Sämtl. Poet. WW. Leipz. 1768. I, 108. (R.)

115. »Hagedorn der Freude« – vergl. Bd. I, 106. 536. II, 280, 39. 380. (Oden und Lieder. Hamburg 1747. S. 42.)

267, 116. »Hagedorn – seinen Morpheus:« An den Schlaf. Oden und Lieder. S. 168. Ramler,Lieder der Deutschen. Berlin 1766. S. 114. (R)

268, 117. »Jacobischen – Tändeleien.« Briefe von Herrn Johann Georg Jacobi. Berlin 1768; besonders S. 24. 33. (R.)

270, 120. Vgl. S. 126, 184. – »Benoni« – Messias, zweiter Gesang (I, 37 fgg. Hall. Ausg.)

121. Moses Mendelssohn – Gesammelte Schriften I, 324 fgg. (R.)

271, 121. »Thersagoras bei Lucian« – Demosthenis Enconium. c. 2. Reitz III. p. 492. Das Citat ist wahrscheinlich aus einer Schrift Winkelmanns entnommen.

272, 123. animamque poetae – nach Vergil. Aen. VI, 884–86. vgl. Bd. II, 245.

274, 126. »Es donnert« – Lessings Schr. I, 70. L.M.

127. »Einen Fehler« – a.a.O. S. 89; »mit dem Tode capituliret« – S. 76; »ein und kein Türke« – S. 55; »Alexanders Wunsch« – S. 56; »der Faulheit« – S. 61.

275. 276, 128. 129. Die Citate aus Gleim beziehen sich auf dessen »Versuch in scherzhaften Liedern« (Erster Theil) Berlin 1744. Das Citat e) p. 16 gehört zum »Rauschen der Küsse« 276 a), und zu 275 e) ist zu citiren: p. 15. (R.)

276, 129 e. »ein sehr erbaulicher Schriftsteller« – Stichelei auf Sebastian Friedrich Trescho, dessen »Tägliches Andenken des Todes zu einem vergnügten Leben« oder »Sterbebibel« i.J. 1766 bereits in dritter Auflage erschienen war.

[489] 277, 130. »Bruder Yorik – verstehen wollte:« – Tristram Shandis Leben und Meinungen (übers. von Bode) Hamburg 1774. IV. S. 195 fgg. (R.) – Wieland, Komische Erzählungen, o.O. 1766. rep. 1768.

131. Joh. Christoph Rost, Schäfererzählungen. Berlin 1742. Versuch von Schäfergedichten – Dresden 1744. 5. Aufl. 1768. – Campan (vgl. S. 303, 171) ist wol Johannes Antonius Campanus 1427–77, unter dessen Epigrammen nach Bayle sehr lascive stecken. Seine Palinodie steht nach Klotzens Angabe in seinen Briefen ad Cardinalem Papiensem. – »Der bußfertige Wunsch Lafontaines« in den Anmerkungen zu Boileau's Werken IV. p. 117. – Mathurin Regnier, der Vater der französischen Satire, 1573–1613. Satyres et autres oeuvres, Paris 1608. Von ihm führt Klotz ein Epigramm an: J'ai vécu sans nul pensement etc. – Die »Epanorthose des Beichtvaters Young« steht im Anfange seiner fünften Nacht. Die Stelle in Klotzens Libellus de Verecundia, welcher diese Angaben entnommen sind, ist Opusc. p. 252–253, nicht wie im Texte 277 a) steht: 151–153. (R.) – »castum decet esse, [pium] poetam« etc. Catull. 16, 5.

278, 132. Erdmann Heinrich Graf von Henkel, Freiherr von Donnersmark, Die letzten Stunden einiger der evangel. Lehre zugethanen und in diesem und nächst verflossenen Jahren selig in dem Herrn verstorbenen Personen, von unterschiedenem Stande, Geschlecht und Alter, zum Lobe Gottes und zu allgemeiner Erweckung, Erbauung und Stärkung sowohl denen jetzo Lebenden, als den Nachkommen aus gewissen und wohlgeprüften Nachrichten zusammengetragen. 4 Theile. Halle 1720–33. (R.)

279, 134. »Die Tugend« – Landpr. v. Wakef. Cap. 5. zu Ende. – »Jener frug:« Ev. Joh. 18, 38.

135. »auf so viele – ziehet« – Ausdruck der alten Rechtssprache: »auf einen ziehen« s.v.a. sich auf Jemand als »Zeugen« beziehen.

280, 136. a. Kants Schriften in chronol. Reihenf. II, 257 fg.

282, 139. b. Bei Quintilian (Inst. Or. VIII, 3, 44) liest man jetzt κακέμφατον.

284, 142. »in Homer der Liebesantrag« – Iliad. III, 441–446.

285, 144. »haud equidem« – Umstellung eines Virgilverses (Buc. I, 11: Non equidem invideo; miror magis).

292, 154. »Sokrates – dithyrambisirte,« – Plat. Phaedr. p. 237 A. 243 B.

293, 155. »Diana bei Virgil ihrer Oreaden« – vgl. Band II, 264, Anmerk. 1.

296, 160. a. Harles – libellus promissus – bei derAnkündigung ist es geblieben; das Schriftchen ist nicht herausgekommen. (R.) – b) vgl. Bd. II, 145.

[490] 298, 163. ἁπαλῶν δ᾽ ὕπερϑεBergk, Poetae Lyrici Graeci III, 1056. Anacroentea XX. 16. [29] v. 34 ss.

299, 165. Anacharsis – Lucian. Anach. 1. (p. 883).

301, 167. His Back – 168. To poise – Hudibras I, 1. 287–294. 295–300. Die »Zürchische Übersetzung« v.I. 1765 ist nicht von Bodmer, sondern von Heinrich Waser. Vergl. Deutsches Museum 1784. 1. S. 511 fgg. (R.) So nennt den Übersetzer auch das Vierte Kritische Wäldchen, Lebensbild I, 3, 2, 507.

303, 171. »Der Consularis vir« – »quam legem [nämlich die zu 277, 131 angegebenen Verse Catulls] Plinius, consularis vir, verissimam dicit.« Klotz.

304, 172. Youngs Zeugnis von Addison nach Klotz (vgl. zu 277, 131) in den Conjectures on original composition. Vielleicht denkt Herder auch an Youngs Letter to Mr. Tickell, occasioned by the Death of .. Joseph Addison, Esq. Lond. 1719. (R.)

305, 173. »da ist wieder Crispin« – Iuv. Sat. IV, 1. Ecce iterum Crispinus, et est mihi saepe vocandus In partes.

307, 176. incipiunt – Verg. Georg. I, 357. Quintil. Inst. Or. VIII. 3, 47.

308, 178. Ille dies – Verg. Aen. IV, 169. 170.

312, 185. »Swifts – Märchen von der Tonne.« – »A tale of a tub« erschien zuerst 1704. Den späteren Ausgaben ist eine vom 3. Juni 1709 datirte Apology for the author vorgesetzt. In derselben die Stelle, auf welche sich Herder S. 368, 6 bezieht: to answer a book effectually, requires more pains or skill, more wit, learning, and judgement, than were employed in the writing it. The works of D. Jonathan Swift. Edinburgh 1761. Vol. I. p. 6. Derselbe Band enthält p. 254 fgg. fünf Predigten, deren erste die on the Trinity (über 1. Joh. 5, 7) ist. R.

315, a. Apulej. Apologia c. 10. p. 405 s. Oudendorp.

320, 196. »Heinische Ausgabe« – Virgilii opera, varietate lectionis et perpetua annotatione illustrata curavit C. G. Heyne.

197. »Jean Hardouin (1646–1729) hatte in seiner Prolusio chronologica de nummis Herodiadum 1693 behauptet, alle Schriften der Alten außer Cicero, Plinius' Naturalis Historia, Virgils Georgica und Horaz' Sermonen und Episteln seien Fabrikate des 13. Jahrhunderts. Für Horaz suchte er das noch weiter in seinem Pseudo-Horatius nachzuweisen.« R.

324, 203. »Wohin, wohin« – Uz, Lyrische Gedichte. Berlin 1749. S. 5. Werke, Leipzig 1768, I, 48. – »Hoch wie Adlers« – Gleim, Kriegslieder [491] S. 102, WW. IV, 46. – Ramler, Allgemeines Gebet. Lyr. Gedichte. Berlin 1772. S.388. (R.) – Gerstenberg, Tändeleyen. 1760. S. 54. Ode. (Nachahmung vonHorat. C. II, 20.)

325, 204. – »Albano« – Albani, Francesco (1578–1660). Bekannt ist sein Amorettentanz in der Dresdener Gemäldegalerie.

327, 207. b. Pierre Jean Grossley, geb. zu Troyes 1718, gest. 1785. Das Original seiner Observations sur l'Italie et sur les Italiens, die er zwei schwedischen Edelleuten in den Mund legt, soll 1764 erschienen sein. Die citirte Übersetzung (von I.M. Schröckh u.A.) hat den vollständigen Titel: »Neue Nachrichten und Anmerkungen über Italien und über die Italiener von zween schwedischen Edelleuten.« 3 Theile. Leipzig 1766. (R.)

329, 209. »Coccejaner« – Schüler des Joh. Coccejus (1603–1669), Prof. der Theologie zu Leyden, der als Exeget hohes Ansehen genoß. Seine Interpretationsmaxime: id significant verba, quod significare possunt in integra oratione sic ut omnino inter se conveniant. Hagenbach, Der evangel. Protestantismus. 1871. II, 251.

335, 219. »Ein Thor sagt« – Haller, Versuch Schw. Gedd. S. 89. – προσωπον τηλαυγες Pind. Ol. VI, 3.

341, 228. »der gedrückte Palmbaum« – als Emblem zu dem Motto ›Premor, non opprimor‹, nicht als Fabel bekannt; es schwebten Herder wol die Verse seines Landsmannes Simon Dach, den er sehr liebte, vor: Volkslieder, I Buch, 20. Redlich erinnert an Benj. Schmolkes 1715 gedichtetes Trostlied: »Je größer Kreuz, je beßrer Glaube, Die Palme wächset bei der Last.«

342, 229. »Deutscher Dionysius« – vgl. II, 368.

344, 232. »Plato – loben läßt:« Sympos. p. 212 D. 215 A. – 222 B.ἐνϑεϊσμος, wie ἐπιχειραγαϑος (I, 542) ein Wort, das Herder selbst fabricirt hat.

345, 234. Quis desiderio – C. I, 24. – »Gleim um seinen Stille« – Ode, als der Hochwohlgeborne Herr, Herr Christoph Ludwig von Stille, Generalmajor des Königs, pp. den 18. Oct. 1752 in die Ewigkeit gegangen war. 2 Bogen Fol. WW. III, 14. (Z. 3. Und aller Weisen Ehre war). (R.)

348, 238. Rückersfelder – Schmid – I, 71. II, 374.

239. (Pindar) »nach seinem eigenen Bilde« – vgl. II, 373 zu 141.

350, 241. »Vielleicht wird mir – glaube.« Vgl. 446, 131. Unter den Rigenser Manuskripten, in den Collectaneen- und Studienheften, findet sich viel Material zu einer philologischen und ästhetischen Arbeit über Pindar: Zergliederungen der Oden, Schematisches zu einem Commentar, auch einige Übersetzungen. Erhalten ist ferner der Anfang einer solchen zusammenhängenden Arbeit: Einleitung und einiges vom ersten Kapitel (3 Seiten in [492] gr. 4°), i.J. 1766 verfaßt. Die schiefen, den dichterischen Werth verkennenden Urteile der Zeitgenossen rühren, so heißt es darin, davon her, daß man den Dichter nur aus der lateinischen Übersetzung kenne. »In ihr ist, wo Pindarus die Ordnung, das Licht, die Kürze, die Schönheit selbst ist, alles ein dunkles, weitschweifiges Labyrinth, das uns ermüdet. Man suche in Allem, den Pindarus aus seiner Zeit zu kennen, man beurtheile ihn nicht nach spätern willkührlichen Regeln der Dichtkunst, des lyrischen, des Pindarischen Gesanges, sondern nach sich, so hat man von ihm das Urbild. Ich wandle auf einem unbetretnen Pfade, wenn ich dies thue: allein ich hoffe auch von ihm einen Begrif zu geben, den niemand vor mir gab.« – Auch über den Bau der Horazischen Oden sind Schemata und Notizen in Fülle erhalten.

241. a. »über die – scientifische Methode« – Horatius (noluit enim methodo mathematica, aut, quod pulchrius, scientifica scribere hic philosophus et magnus quidem, licet eheu! nullum compendiolum scripserit philosophus) ... saepe ab aliqua re ad aliam ... transit etc.

352, 244. »nach der alten Fabel« – vgl. Barth. Ringwald, Die lautere Wahrheit (1597) S. 329: »Wenn man ein Adlersfeder zu andern Federn legen thut, so frißt sie der ein ganzen Hauf.« (Nach Grimms Wörterbuch s. Adlersfeder.)

353, 246. »Der Cupido« u.s.w. – Anspielung auf die Titelvignette des Buches über die geschnittenen Steine: »Amor als ein Bildhauer verfertigt den Kopf des Sokrates.«

247. »wie Demokrit« – vgl. Winckelmann, »Sendschreiben über die Gedanken« u.s.w. WW. I, 67. (Ebenda, S. 69 Fundort des Citates: »Den Gästen soll – gefallen« in Bd. II, 280, 39.)

354, 248. »wie jener Riese« – Ovid. Met. V, 353. 354. –

248 b. Cum Praefatione Jo. Matthiae Gesneri sind T. Livi Historiarum Libri Qui Supersunt erschienen MDCCLV Lipsiae in Officina Weidmanniana. Die Vorrede, 20 Seiten lang (36 Paragraphen) ist datirt Gottingae Kal. Nov. MDCCXXXIIII. Herders Übersetzung umfaßt, mit Übergehung mehrerer längerer Stücke und ganzer Paragraphen (3 halb. 6. 9. 14. 15) und etlichen kleinen Auslassungen den Abschnitt § 3–16. p. II-IX. Sie liefert einen praktischen Beleg zu den Bd. II, 331–343 entwickelten Gesetzen, nach denen das periodische Latein in das Deutsche zu übertragen ist. Herders Verehrung für Gesner spricht sich stets auf das wärmste aus; so schon I, 77. 286. II, 137; besonders aber in der Anzeige von Gesneri primae linae Isagoges in erud. univ. in der Lemgoischen Auserlesenen Bibliothek der neuesten D. Litteratur. 1776. IX, 548–560.

355, 249. Über die als Erklärer alter Schriftsteller, besonders römischer Dichter hier genannten Philologen des funfzehnten und sechzehnten [493] Jahrhunderts einige Notizen nach Jöcher: Antonio Mancinelli, geb. 1452. In der Sammlung seiner Werke (1493–98 zu Venedig erschienen) ein Emporium latini sermonis. Julius Pomponius Lactus, gest. 1497 zu Rom, berühmt als Kenner der römischen Altertümer und der lateinischen Sprache (Commentar zu Quintilian). Philippus Beroaldus der Ältere (nur dieser kann hier gemeint sein), geb. 1453 zu Bologna, Professor daselbst; außer vielen Commentaren hat er auch seinePraelectiones selbst erscheinen lassen. Dominicus Calderinus (von seinem Geburtsorte Caldera bei Verona), gest. 1477 zu Rom. Jodocus Badius (Ascensius nannte er sich von seinem Geburtsort Assen bei Brüssel), 1462–1535, Herausgeber und Commentator vieler römischer und griechischer Autoren. Nic. Perottus (Perot), gest. 1480, Schützling des Cardinals Bessarion, Erzbischof von Manfredonia. Von ihm Cornu copiae sive commentaria latinae linguae.

(5) Claudii Salmasii (Claude de Saumaise, 1588–1653) Plinianae exercitationes in Caii Julii Solini Polyhistora.

361, 259. »jener – Romanzenpoet« – Joh. Friedr. Löwen, Romanzen. Neue Aufl. Leipz. 1771. S. 71.Der sich selbst geblendete Dichter. (R)

364, 263. Von Klotz erschien ein Anti-Burmannus, Jenae 1761, Funus Petri Burmanni Secundi 1762. Gegen die erstere Schrift Petri Burmanni Secundi Anti-Klotzius Amstelaedami 1762. Vgl. S. 441. 443. (R.)

367, 3. niger est – Horat. S. I, 4, 85.

373, 16. »Allechement« – »Schönheit, Reinlichkeit im Stichel. Man muß damit Richtigkeit und Kraft der Zeichnung verbinden.« Excerpt »Aus Pernetty Lexikon«; vgl. II, 384 zu 351.

374, 17. φλοιώδηςLongin. de Subl. 3, 2. – »ein Grieche – Geschichte« – vgl. I, 535 zu 74. II, 123. In dem ältesten »Critischen Wäldchen« (vgl. Einleitung S. XI): »Das Wort Geschichte nach seiner weitern Griechischen Bedeutung heißt Besichtigung, Kenntniß, Wißenschaft, und den Machtnamen verdient die Historie.«

»rari nantes« – Vergil. Aen. I, 118. Entnommen aus Winckelmanns »Erläuterung der Gedanken« u.s.w. WW. I, 178.

376, 20. Addison; vgl. S. 483. 97. Joh. Friedr. Wacker (1730–95), Inspektor des Dresdener Münzencabinets. »Sendschreiben von einigen seltenen und einzigen Griechischen Münzen.« Dresden 1767. – Claude Marie Watelet, L'art de peindre. Paris 1760. (R.)

377, 21. »Plato zum Antimachus« – umgekehrt vielmehr, wie schon richtig Bd. I, 422, 116. vgl. 546. (Plato mihi unus instar est centum milium. Cic. Brut. 51, 119).

[494] 22. »ein Mann, welcher« – jedenfalls Chr. Ludw. v. Hagedorn; – Voltaire, Oeuvres ed. Didot. II, 538 fgg. Le Temple du goût. – Justus Christoph Böhmer (1671–1732) Abt von Loccum. Von ihm De providentia Augustorum ex nummis. (R.) – Trublet – vgl. I, 123–125.

378, 23. a. Der Recensent führt die Stelle »Die Allegorie« u.s.w. als Stilprobe an. Der von Herder gekürzte Schluß lautet: »Schleier, welchen die Hand des Tryphon über das Gesicht des Cupido und der Psyche warf, nicht um es zu bedecken, sondern ... liebenswürdiger zu zeigen.« – »the charm's wound up« Macbeth I, 3, wieder citirt in dem Vorwort der Metakritik S. XX. XXIII und übersetzt S. XXI: »Der Zauber ist vorüber.«

381, 28. Jacques Spon (1647–85) Recherches curieuses d'antiquités, Lyon 1683; Miscellanea eruditae antiquitatis, Lugd. 1769. (R.) – »Ajax Gebet«:Iliad. XVII, 645. 6.

382, 29. »Tempel des Marcellus« – Honoris et Virtutis; eine passende Beziehung zu Herders Worten kann ich in den Stellen der Alten, die von dem Bauwerk handeln (Cic. in Verr. IV, 55, 122 s. Valer. Max. I, 1, 8. Plut. Marcell. 28, 1 u.a.), nicht auffinden.

383, 31. a. I. A. Ernesti Archaeologia literaria. Lipsiae 1768.

384, 32. 450, 137. Joh. David Köhler (1684–1755) erster Professor der Geschichte in Göttingen, Vorgänger Gatterers: Historische Münzbelustigungen. Nürnberg 1729–64. XXII. 4°. Gatterer hat den 22. Band vollendet. – Jean Foy Vaillant (1632–1729) Verfasser zahlreicher numismatischer Schriften über Rom, römische Colonien, Arsaciden, Seleuciden, Ptolemäer, Achämeniden u.s.w. – 33. Ezechiel Spanheim aus Genf (1629–1710) De usu et praestantia numismatum antiquorum, I. Ausg. Rom 1644. – Joh. Friedr. Joachim aus Halle (1713–67) Das neu errichtete Münzcabinet. Nürnberg 1761–73. IV. Neu eröffnetes Groschencabinet. Leipzig 1749–53. IV. (R.)

386, 35. de se ipso ad se ipsum – Anspielung auf den Titel der Schrift des Marc Aurel, der in lat. Übersetzung Libri XII eorum, quae de se ipso ad se ipsum scripsit, lautet.

388, 38. »Das Luftfliegen« – Don Quixote I, Kap. 17. – »Der Balsam« Cap. 10. 17. 18. (»ein Glas Balsam, von des Fier a bras seinem« heißt es in der 1767 erschienenen neuen verbesserten Ausgabe der Leipziger Übersetzung, der Herder wahrscheinlich in der Schreibung des Namens folgt.)

391, 43. 407, 69. »aus Lichtwers Fabeln« – Vier Bücher Aesopischer Fabeln, II. Aufl. Berl. 1758 S. 107 Der Löwe und der Affe (»Laß, sprach der Großsultan, das Erz herunter schaben, Ich will ein Löwenbildniß haben.«) (R.)

[495] 392, 45. an odd promiscuous – Hudibr. I. 1. 99–102 (R.)

393, 46. »Das ging und wiederkam« – Aus Ramlers Ode An die Feinde des Königs (1760). Oden, II. Aufl. Berl. 1758 S. 26. – 46. »Fabelhausen Aesop« – nach der alten Vita Aesopi. Die Stelle lautet in der Steinhöwelschen Übersetzung (Freiburg 1545): »Als aber Esopus gieng, begegnete er dem Hauptman der stat, der kennet jn, das er ein knecht Xanti was und sprach zu jm, wo gestu hin du lustiger knab. Esopus sprach, freilich ich weis es nit. Der Herr wenet er spottet sein und lies jn in den thurn legen.« (R.)

399, 56. La Théologie des Peintres, Sculpteurs, Graveurs et Dessinateurs par M. l'Abbé Mery. Paris 1765. (R.)

405, 66. velut nitentis – Sueton. Vespas. c. 20.

408, 70. »Fässern und Gewändern« – 1 Samuel. 10, 22. 71. Unde nil maius – Horat. C. I, 12, 17.

410, 74. »jene Zwillinge« – 1 Mos. 25, 22.

418, 86. Lorenz Beger aus Heidelberg (1653–1705) Vf. mehrerer numismatischer Werke, z.B. Thesaurus ex thesauro Palatino selectus, Thesaurus Brandenburgicus. – Nicolo Franc. Haym aus Rom (gest. 1729) Thesaurus britannicus s. museum nummorum. Wien 1760. 61. – Joh. Jac. Gesner aus Zürich (1707–87) Thesaurus universalis numismatum antiquorum, Tiguri 1734 fgg. (R.)

422, 93. Numismatischer Goguet – vgl. II, 370 zu 62, 161.

423, 95. Polykarp Lyser (1690–1728) Verfasser mehrerer historisch-diplomatischer Schriften über das Mittelalter, hier genannt wegen seiner Oratio de ficta medii aevi barbarie.

426, 98. unde mihi lapides? – Horat. S. II, 7, 116(lapidem).

427, 100. »Kupetzky« Über die armselige Erziehung des »versäumten K.« (1666–1740) citirt Klotz das »Leben George Philipp Rugendas und Joh. Kupetzky« (von Joh. Kaspar Füßli dem älteren) Zürich 1758. S. 38. (R.)

428, 101. »Grillo seinen Pindar« – vgl. II. 373 zu 140.

102. »Dieser wirklich große Mann« – Friedr. Ludw. v. Hagedorn; vgl. Bd. I, 219, 146 fgg. 530. II, 351. »mit seinem Ausspruche« – Betrachtungen über die Malerei S. 138: »Der Geschmack an dem sittlich Schönen und der Geschmack an dem Schönen in den Künsten fließen aus einer Quelle.« – »unsrer Zeit – sittlichen Charakter;« vgl. II, 145 151.

430, 105. »sein Busenfreund« – K. Renat. Hausen in der Pragmatischen Geschichte der Protestanten in Deutschland. Halle 1766.

436, 114. b) Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften V, 1, 98. (R.)

441, 122. Acta Litteraria. Scripsit Chr. A. Klotzius. Altenburgi. Vol. I. 1764. II. 1765. III. 1766.

[496] 123. Si ante lucem – Plaut. Trinum. IV, 2, 44.

443, 127. »Burmannische Streitigkeit« – vgl. 494, 364 – von Klotz begonnen, weil Peter Burmann »seinen Freund, den berühmten (Christophorus) Saxe« (Prof. zu Utrecht, Vf. des Onomasticon litterarium) des Plagiats überführt hatte. Außer in den oben genannten Streitschriften führte Klotz seine Angriffe aus an verschiedenen Stellen der Acta Litteraria. (R.)

444, 127. Pastillos – Horat. S. I, 2, 27. – bene, bene respondere – Molière, Malade imag. III. Intermède.

128. Blondel, Comparaison de Pindare et d'Horace. Leyden 1704. (auch in lateinischer Übersetzung als Anhang zu Palmerii Apologia pro Lucano erschienen). – Guillaume Massieu (1665–1722). Von ihm Réflexions critiques sur Pindare in den Schriften der Académie des Inscriptions. (R.)

445, 129. »abgetheilten« d.i. apanagirten; s. Grimms Wörterbuch s. abtheilen.

446, 130. το παν ερμηνεωνPind. Ol. II, 152.

449, 136. Hausen, Politische Historie des achtzehnten Jahrhunderts – enthaltend sowohl überhaupt die Geschichten der vornehmsten Europäischen Reiche, als auch insbesondre des Teutschen Reichs. Regensburg 1744–66.

450, 137. Burchard Gotthilf Struve (1671–1738) Prof. der Geschichte in Jena. – Franz Dominicus Häberlin (1720–1787) Prof. der Geschichte in Helmstädt. 138. Georg Friedrich Meier (1716–77) Prof. in Halle: »Beurtheilung der Betrachtungen des Herrn Marquis von Argens über den Kaiser Julian. Halle 1764.« Wilhelm Crichton (1732–1805) Betrachtungen über des Kaisers Julians Abfall von der christlichen Religion und Vertheidigung des Heidenthums. Halle 1765. (R.)

451, 139. Nov. Lexicon Graec. Etymologicum et Reale, cui pro basi substratae sunt Concordantiae et Elucidationes Homericae et Pindaricae: coll. et digess. Christian. Tobias Damm. Berol. 1765.

453, 141. Lettres de Mentor – traduites de l'Anglois par M. l'Abbé Prevôt. Londres 1764.

142. »Geschichte des Menschlichen Geschlechts.« – vgl. II, 371 zu 113. – Simon Friedrich Hahn (1692–1729) Prof. zu Helmstädt: »Vollständige Einleitung zu der Teutschen Staats Reichs und Kayser Historie und dem daraus fließenden Jure publico.« Halle u. Leipzig 1721 fgg. – Joseph Barre de Beaumarchais (1692–1764) Histoire générale d'Allemagne, Paris 1748. XI. Deutsch, Leipzig 1749–53. VIII. 4°. (R.)

454, 144. Bossuets Discours sur l'histoire universelle jusqu'à l'empire de Charlemagne hat Joh. Andr. Cramer in Verbindung mit [497] Joh. Ad. Schlegel übersetzt und »Abhandlungen zur Erläuterung der Kirchengeschichte« beigefügt. (Einleitung in die Geschichte der Welt bis auf Karl d.G. fortgesetzt und mit Anmerkungen von Cr. Leipzig 1752–1786. VII.)

458, 149. Georg Christian Gebauer (1690–1773) Prof. in Göttingen: Vestigia iuris Germanici antiquissima in C. Cornelli Taciti Germania obvia, Gotting. 1766. vgl. Act. Litt. III, 4. p. 355 ss. (R.) – Joh. Frid. Herelii Satirae tres. Altenburgi 1767. In der Beschreibung von Moropolis, wie in der »zu bitter geschriebenen Vorrede« hatte Herel den Stupor seiner Vaterstadt Nürnberg in grob anzüglicher Weise verspottet (Allg. D. Bibl. IX, 1, 117.) – »Schütze« – gemeint ist der Jesuit Henric. Schüz, Prof. in Ingolstadt. Sein Comment criticus de scriptis et scriptoribus historicis, Ingolst. 1761, von Klotz maltraitirt Act. Litt. 1, 3 p. 300 ss. – Joh. Friedr. Fischer (vgl. Bd. I, 77), Conrector der Leipziger Thomasschule. Klotz verhöhnt seine Ausgabe von Theophrasti Characteres in den Act. Litt. I, 1. p. 78 ss. in unanständigstem Tone. (R.)

459, 152. »Das Publikum schläft« – Anspielung auf 1 B.d. Könige 18, 27. – »Freund, rücke« – Nach Ev. Luc. 14, 10.

460, 152. Goetzius Hamburgi – Klotzii Carmina omnia 1766 p. 100, am Schluß der dritten Satire.

153. Joh. Friedr. König (1619–64) Prof. der Theologie zu Greifswald, dann zu Rostock. Seine Theologia positiva, Rostock 1664, ist mehrfach aufgelegt. (R.) – Neumanns aphorismi – vergl. II, 384 zu 354.

461, 154. Christoph Cellarius (1638–1707) Prof. zu Halle. – Joh. Aug. Ernesti (1707–81) Prof. zu Leipzig. Wahrscheinlich bezieht sich Herder auf seinProgramma, quo demonstratur, maius et utilius esse Latinos auctores intelligere, quam probabiliter Latine scribere, Lips. 1738. – Joh. Wilh. v. Berger, Prof. der Eloquenz zu Wittenberg (gest. 1751). (R.)

464, 159. Johann Hübner (1668–1731) zuletzt Rector des Johanneums zu Hamburg: »Kurze Fragen aus der politischen Historie, bis auf die jetzige Zeit continuiret, nebst einer nützlichen Einleitung vor die Anfänger.« X. Leipzig 1697–1707. (R.) vgl. II, 373 zu 148.

468, 166. »Redest du das« – Ev. Joh. 18, 34.

469, 167. »Emil des Bruder Philipps« – vgl. II, 375 zu 174.

168. Herder ist der erste, der auf die enge Verknüpfung der Geschichte von Deutschland und Italien im Mittelalter hingewiesen hat. Vgl. [498] Allg. Deutsche Bibl. 17, 467 in der Besprechung von Pilati's Geschichte des Deutschen Reichs und Italiens.

471 170. Joh. Christoph Adelung: Neue Schaubühne der vorfallenden Staats- Kriegs- und Friedenshändel, Erfurt 1759–61. Neue Denkwürdigkeiten der gegenwärtigen Geschichte von Europa, Gotha 1764. 5. Allgemeines Staatsmagazin zum Behuf der politischen Geschichte, Leipzig 1766–68. u.a. (R.)

473, 173. 174. »Hollmann zum« u.s.w. – freies Citat aus der Recension von Feders Grundriß der philosophischen Wissenschaften in Klotz D. Bibl. I, S. 18. (R.) Vgl. Erdmann, Grundriß der Gesch. der Philos. II, 204. 216.

475, 177. »Alexanders Heer« – Curtius De gestis Alex. M. IV, 7, 13–15. – »Ziegenbild« nach Herodot. II, 42 (κριοπρόσωπον τὤγαλμα).

476, 178. »nach Codomannus Art« – Curtius III, 4.

478, 181. »unsre Quintiliane« – vgl. S. 354, 248 (Gesner). – »Winkelmannische Abhandlung« – Von der Fähigkeit der Empfindung des Schönen in der Kunst und dem Unterrichte in derselben. WW. I, 235–273.

479, 183. Algarotti – Versuch über die Architektur, Malerei und Musik (Deutsch Basel 1760); von Fontenelle – vgl. Bd. I, 545 zu 394, 65 – vielleicht die Historie de l'académie des sciences gemeint. (R.)

480, 184. »der schleichende süße« – Lessings Schr. VIII, 2 L.

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TextGrid Repository (2012). Herder, Johann Gottfried. Theoretische Schriften. Kritische Wälder. Kritische Wälder. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-596D-5