Der Lorbeerkranz

Nach dem Französischen.


1771.


Für die süße, zarte Liebe,
Was ist Lorbeer, was ist Kranz?
Wenn er dreimal ewig bliebe,
Für die süße, zarte Liebe
Nichts ist alles Ruhmes Glanz.
Unter allen Göttersöhnen,
Wer war einst wie Gott Apoll?
Er, der Schönste aller Schönen,
Zart am Herzen und in Tönen,
Muth- und Stolz- und Weisheit-voll.
Seht, und alle Götter neiden
Seine Tugend, bannen ihn
Ab vom Himmel; – raubt ihr Neiden,
Raubt es ihm die Himmelsfreuden,
Die ihm auch auf Wiesen blühn?
[301]
Auf der Au', im grünen Thale
Weidet, singet er, beglückt,
Mehr als dort im Göttersaale
Wird sein Herz zum ersten Male,
Wird sein Herz zum Gott entzückt.
Lieben lernt er! lernet lieben
Zärtlich – und auch glücklich? Wann
Warst Du glücklich, treue Liebe?
Wurdest bald von Thränen trübe
Und erstarbst im Jammer dann!
Kaum noch, als er kaum zu siegen
Blöde wähnet, blöde sie
Sanft erröthend will entfliegen,
Sich ihr Liebling um sie schmiegen,
Götter, ach, da starret sie!
Schrecklich starrt sie. Seine Arme
Ringen um den kalten Baum,
Ach, daß noch er sanft erwarme!
Daß sich noch ein Gott erbarme!
Aber ach, er lispelt kaum.
»Sind es Seufzer, die sich regen,
Treue Liebe, die da wägt
Dir die Zweige! ach, sie wägen
Schauernder – mit Herzensschlägen!
Todesangst ist, was hier schlägt.
Sie ist Baum! – O Baum, so wehe
Du mir Trost und süße Ruh,
Hier in Deiner heil'gen Nähe,
Wann ich weide, wann ich gehe,
Weh, o Baum, mir Labung zu!«
Also klagt' er, doch nur bänger
Ward ihm sein verödet Herz.
Was, o Jüngling, weilst Du länger?
Klagst dem Baume, süßer Sänger,
Klagst umsonst ihm Deinen Schmerz.
Und Apollo ging, und lichter
Ging er nun der Ehre Bahn,
Ward Apollo Musenrichter,
Held, Prophet und Arzt und Dichter,
Ging gar wieder himmelan.
[302]
Allgepriesen, allen Weisen,
Allem Erdenraum bekannt,
Jünglingen ein Muster, Greisen
Wie zu loben, wie zu preisen!
Und Apollo Alles – Tand!
Statt der Feste, statt der Kronen,
Schlich er oft zu seinem Baum:
»Süßer Baum, hier will ich wohnen!
Statt der Feste, statt der Kronen
Gieb mir meinen Jugendtraum!
Kränze mich, zwar dürr und wilde,
Aber mir ein süßer Kranz,
Meine Daphne mir im Bilde!
Daphne, schön und zart und milde,
Daphne in der Jugend Glanz!
Kränze mich!« Und seht, die Thoren
Sahn's und sahen nur den Brauch;
Daphne war für sie verloren –
Arme, weise, dürre Thoren,
Nahmen nun den Lorbeerstrauch!
Dürren Lorbeer! Und für Liebe,
Was ist Lorbeer, was ist Kranz?
Wenn er dreimal ewig bliebe,
Für die süße, zarte Liebe
Nichts ist alles Ruhmes Glanz.

Notes
Entstanden 1771.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Herder, Johann Gottfried. Der Lorbeerkranz. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-5967-2