[433] Blumen für meinen Wilhelm

Schneeglöckchen

Du, so eisig ist's im Thale,
Schnee bedeckt das grüne Moos,
Und die zarten Schwestern alle
Ruh'n noch in der Mutter Schooß.
Mich nur trieb ein warmes Lieben
Zu des Tages ros'gem Licht –
Wär ich nur daheim geblieben,
Ach, da unten stürmt es nicht! –
Trauernd muß zur Erde nicken
Meines Kelches reiner Stern. –
Aber willst Du, Freund, mich pflücken,
Brich mich nur, so sterb' ich gern.

[434] Schlüsselchen

Der Lenz schwebt hernieder
Aus schimmernder Luft,
Bringt Farben und Lieder
Und Wärme und Duft.
Und willst du mich ziehen? –
Bin zierlich und fein; –
So lieblich mein Blühen,
Mein Duften so rein.

Veilchen

Auch ich kam aus dem grünen Haus,
Mein Duften dir zu weih'n. –
Nimmst du mich auf in deinen Strauß?
Bin ich dir nicht zu klein?

Sternblümchen

Schaust du sehnend in die Ferne,
Wo manch' lichtes Sternlein blinkt?
Ach, sie bleiben fern, die Sterne,
Ob dir mancher freundlich winkt. –
[435]
Kannst die Lichten nicht erlangen
Erde hält dich noch zurück –
Und des heißen Herzens Bangen
Spricht sich aus im feuchten Blick.
Doch erfreust du dich am Bilde
Dessen, was dein Herz begehrt;
Sieh', der ew'ge Vater milde
Hat mich dir zum Trost bescheert.

Tulpe

Dir wohl ist der Sinn bewußt,
Der in meinen Farben blüht,
Trägst du mit dir in der Brust
Flamme, die dein Herz durchglüht.
Trag in Flammen eingehüllt,
Was nicht mit dem Lenz vergeht;
Ein geheimnißvolles Bild,
Das wohl Mancher nicht versteht.

[436] Maienglöckchen

Ich, ein Kind des Maien,
Blüh', umhaucht von Duft,
Um mich still zu freuen
An der stillen Luft.
Mich zog süßes Streben
Aus dem düstern Haus,
Und das zarte Leben
Hauch' im Duft ich aus.

Vergißmeinnicht

Ich blühete so still und rein
An Bächleins Ufer hier,
Und schaute in die Fluth hinein
Und spiegelt' mich in ihr.
Da suchte mich die Schwester dein,
Die weiht' mich bittend dir.

Cyanen

Wir steh'n so traut und heimlich hier,
Mit schlanken Aehren aufgezogen,
Im blauen Kleide nicken wir
Hervor aus reichen, gold'nen Wogen.
[437]
O nimm aus Schwesterhand uns hin,
Die wir an's Licht des Tag's uns mühten,
Und sieh' in unser'n schlichten Blüthen
Der Schwester einfach treuen Sinn.

Wasserlilien

Wir steigen auf aus feuchten Tiefen,
Da träumten wir so langen Traum
Umspült von linder Wellen Schaum,
Als uns des Lenzes Stimmen riefen.
Und manch' ein sinniges Gemüth
Ersieht in uns die schöne Kunde
Von dem, was unten Schönes blüht,
Wo's Fischlein spielt auf Meeresgrunde. –
Wie ist's hier oben all so bunt –
Doch unser Haus ist stiller, milder.
Lebt wohl, ihr Tages reiche Bilder,
Wir sinken wieder in den Grund.

[438] Iris

Auch aus feuchtem Grund gesprossen,
Steh'n wir da auf grüner Au';
Lieblich ist in uns verschlossen
Gelb in weiß und weiß in blau.
Und die Krone stolz gehoben,
Die vom Glanz des Himmels trinkt,
Schau'n wir unverwandt nach Oben,
Ob das farb'ge Blatt auch sinkt.

Passionsblume

Verehr' in meinem Bilde
Den Martertod des Herrn;
Die Christenseelen milde,
Die sehn mein Blühen gern.

Rosmarin

Grüne Blätter, blaue Flocken
Stehn wohl fein im blonden Haar –
Duftig weh' ich in den Locken,
Tritt die Jungfrau zum Altar,
[439]
Wenn des Dörflein's helle Glocken
Klingen feiernd, froh und klar –
Grüne Blätter, blaue Flocken
Stehn gar fein im blonden Haar.

Näglein Christi

(Kleine rothe Bergnelke)


Als der Heiland ausgelitten,
Legten sie den Leib in's Grab
Und die blut'gen Nägel fielen
In das junge Gras herab.
Und da sind wir still entsprossen,
Blutig roth aus grünem Gras,
Und mit reicher Nahrung tränkte
Uns der Mutterthränen Naß.
Und ein frommer Christ schaut sinnend
Unsrer Blüthe tiefes Roth,
Läßt drauf seine Zähre thauen
Und gedenkt des Herren Tod.

1815.


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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Hensel, Luise. Blumen für meinen Wilhelm. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-542B-E