[135] III.
Die eilfertige Schäferinn.

Der junge Schäfer Tityrus
Empfand, was Jeder fühlen muß.
Er ward der Macht der schönen Schäferinnen,
An mancher unruhvollen Nacht,
Die er mit Wünschen zugebracht,
Und die ein Traum, sonst nichts, oft wahr gemacht,
Zu seiner schönsten Marter innen.
Er räumte Silvien allein
An Schönheit und an Witz den größten Vorzug ein.
Erst wünscht er nur, sie immer zu erblicken.
Doch dieser Wunsch ist viel zu leer:
Wer zärtlich liebt, der wünschet bald noch mehr,
Die Liebe suchet uns weit stärker zu berücken.
Er wünschte sie zu sehn,
Und seine Zärtlichkeit, mit Bitten und mit Klagen,
Der jungen Silvia zu sagen.
Doch dies war leichter noch gewünschet, als geschehn:
Sie und Lykoris trieben beide,
Als Schwestern, stets zugleich die Heerden auf die Weide.
Oft schleicht sich Tityrus zu ihren Triften hin,
Vielleicht ist sie allein, die schöne Schäferinn?
O nein! Er kömmt und irrt, und bleibt ganz traurig stehen,
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Man fragt ihn, was er will;
Er weiß es wohl, doch schweigt er still,
Und weil er gar nichts sagt, heißt man ihn wieder gehen.
So kehrt der Schäfer oft zurück,
Und ohne Kuß, und ohne Blick;
Nur mit Verdruß; nur mit vergeblichem Bemühen.
So ist die Zeit,
So ist das Glück und die Gelegenheit,
Kein Mensch sieht sie so stark, als ein Verliebter, fliehen.
Man nennt oft, übereilt, die Liebe seine Last.
So hatte Tityrus auch den Entschluß gefaßt,
Erst Silvien, und dann die Liebe zu vergessen.
Jedoch, wer dieses will, der hat es schlecht ermessen.
Kaum hat er einen Augenblick gesessen,
So rauscht der Zephyr durch den Wald.
Dies hört der junge Schäfer bald.
Er horcht, warum? Er springet auf, weßwegen?
Vielleicht, weil sich die Blätter stark bewegen?
O nein! er meynt, es käme Silvia,
Er meynt noch mehr, er meynt, sie sey schon da.
Weg, armer Tityrus, mit dem verhaßten Triebe!
Vergiß erst Silvien, hernach vergiß die Liebe!
Hast du den Augenblick nicht diesen Schluß gefaßt?
Wie kömmt es, daß du ihn zuerst vergessen hast?
Man nennt oft, übereilt, die Liebe seine Last.
Doch, weil sein schmeichelhafter Sinn
Ihm schon von seiner Schäferinn
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Oft viel gesagt und oft gelogen,
So warf er sich nun ganz verdrüßlich bey seinem Baume wieder hin.
Er dachte;
Vielleicht, was Silvia bey ihrer Heerde machte?
O nein! dies dacht' er nicht.
Was aber sonst? Wer liebt, wird dies von mir nicht fragen:
Was ein Verliebter denkt, kann er oft selbst nicht sagen.
Itzt springt er noch einmal von seinem Lager auf.
Doch nun betrügt der Zephyr ihn nicht wieder,
Kein rauschend Blatt ermuntert seine Glieder:
Er siehet Silvien, in vollem Lauf,
Die nichts als ihren Hylax mitgenommen,
Von ihrer Flur nach seinen Triften kommen.
Er siehet sie, drum springt er hurtig auf.
Ach! Silvia, geliebte Schäferinn,
Du eilst, woher? wohin?
O mache mir einmal die Freude,
Und bleib ein wenig hier, wo ich die Heerde weide.
So redet sie der junge Schäfer an:
Allein sie sagt, daß sie nicht bleiben kann.
Nein, spricht sie, Tityrus, mir ist befohlen,
Ein Schaf von Daphnens Trift zu holen.
Lykoris hütet itzt die Schafe ganz allein,
Deswegen muß ich nun bald wieder bey ihr seyn.
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Und wenn du mir gleich itzt die Heerde schenken wolltest,
So glaube, daß du mich doch nicht bereden solltest.
Er bittet nur um einen Augenblick.
Umsonst, sie gehet fort. Er hält sie gar zurück.
Sie schreyt, und fänget an, mit ihm zu ringen;
Ihr Hylax will auf den verwegnen Schäfer springen.
Allein sie sieht es noch zu großem Glück,
Drum stößet sie den bösen Hund zurück.
Dies fodert auch das Mitleid von den Schönen.
Ihr Mädchen, nehmt dies allemal in Acht;
Den kleinen Hund, der euren Schooß bewacht,
Müßt ihr zum Beißen nicht gewöhnen.
Der Schäfer fährt mit Bitten fort.
Ach! spricht er, Silvie, so höre nur ein Wort.
Sie hört. Er fanget an zu klagen:
Mich quälen Zeit und Glück seit mehr als sechszehn Tagen.
Kaum hat er dis gesagt, so will sie wieder gehn.
O, da dich Zeit und Glück seit sechszehn Tagen quälen,
So, spricht sie, kann ich zum voraus verstehn,
Du hast mir Vieles zu erzählen.
Er bittet noch um einen Augenblick.
Er küsset ihre Hand. Hält sie nicht dies zurück?
Sie bleibt. Die Liebe läßt ihn itzt viel kürzer sprechen.
Er blickt sie zärtlich an;
Wie viel hat nicht ein Blick oft kund gethan?
Er drückt die schöne Hand;
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Ein sanfter Druck macht oft das ganze Herz bekannt.
Ihr Auge fängt nun schmachtend an zu brechen.
Nein, spricht sie, laß mich gehn!
Sie sprichts, und dennoch bleibt sie stehn.
Ach! liebst du mich? fängt er recht zärtlich an zu fragen.
Wie nun betroffne Silvia?
Der Eigensinn verbeut dir, Ja,
Und die Empfindung, Nein zu sagen.
Doch für ein Mädchen sind auch dies die schwersten Fragen;
Gieb Acht, verliebter Tityrus,
Ich wette drauf, daß sie nun wieder eilen muß.
Ein Mädchen läßt sich nicht so leicht gewinnen.
Und wenn es halb gewonnen ist,
So sucht es doch mit angeborner List,
Zu fliehn, und dem Bekenntniß zu entrinnen.
Auch Silvie will sich davon befreyn,
Drum fället ihr das Schaf auf einmal wieder ein,
Und dieser Vorwand heißt sie fliehen,
Sich dem Triumph der Liebe zu entziehen.
Sie geht, doch nein, sie sagt erst, daß sie gehen will.
So, spricht der Schäfer, kannst du mich verlassen?
So willst du mich, weil ich dich liebe, hassen?
O schweig doch, Tityrus, mit diesen Klagen still.
Sie geht ja nicht, sie sagt nur, daß sie gehen will.
Ein Kuß,
Den ihr nur Tityrus,
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Und sonst kein Andrer reichen muß,
Zieht ihre flüchtigen und schönen Glieder
Ganz kraftlos in den Schatten nieder.
Hier sank die Ueberwundne hin.
Was war der Sieg? Dies hat mir Niemand wollen sagen.
Gnug, die Besiegte war die schönste Schäferinn;
Drum wußt' ichs, ohne viel zu fragen.

Rost.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Heinse, Wilhelm. Erzählungen. Erzählungen für junge Damen und Dichter. Zweyter Band. 3. Die eilfertige Schäferinn. 3. Die eilfertige Schäferinn. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-4D25-6