[181] XXII.
Der Hänfling des Pabstes Johannes XXIII.

Zwey Dinge haben sich noch nie verbinden können:
Ein Weib und recht verschwiegen seyn.
Abbt Grecourt sagts. 1 Ich muß ihn nennen,
Um mich Unschuldigen vom Argwohn zu befreyn,
Als fiele mir dergleichen ein.
Ihm will ich stets den Haß verschiedner Damen gönnen.
Zum spöttischen Beweis erzählt er ein Gedicht.
Ihr Schönen, was erzählt man nicht?
Der fürchterliche Pabst, der durch den Blitz des Bannes
Dem fünften Ludewig, dem Bayern, widerstand,
Der drey und zwanzigste Johannes,
War, wie Franzosen sind, bey Nonnen recht galant:
Galant; doch wie ein Pabst, ohn' Abgang seiner Würde.
Er sprach zu Frontevaux sehr oft den Schwestern zu,
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Theils zur Erleichtrung seiner Bürde,
Theils zur Befördrung ihrer Ruh.
Dies Kloster war ein Sitz geweihter Schwätzerinnen.
Sie suchten Alles auszusinnen,
Durch ihrer Zungen Fertigkeit
Den Schutz und die Gewogenheit
Des Oberhirten zu gewinnen.
Und die Hochwürdigen gewannen seine Huld.
Sie war kaum reichlicher, noch schöner anzulegen.
Was gab er ihnen nicht! Bald Ablaß, bald Indult;
Und bald, verschwendrisch, seinen Segen.
War ihnen das genug? O nein!
Wann weiß der Mensch vergnügt zu seyn?
Sie ließen sich gar von dem Wahn bethören,
Den Männern beichten sey nicht recht,
Und von dem weiblichen Geschlecht
Sollt' Eine stets der Andern Beichte hören:
Und dieses einzusehn, sey auch der Päbste Pflicht.
Er kömmt auch kaum ins Kloster wieder,
So wirft vor ihm sich die Aebtissinn nieder,
Küßt zärtlich seinen Fuß, und spricht:
O heilger Vater, hör' ein Flehen:
Laß bey dem Priester uns nicht mehr zur Beichte gehen!
Wir Alle schämen uns, ihm Alles zu gestehen.
Im Wachen und im Schlaf giebts manche Kleinigkeit,
Die, Männern zu vertraun, sich jede Nonne scheut.
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Laß künftig uns einander beichten.
Wir sind weit fähiger, die Sünden zu beleuchten.
Den Pabst befremdet sehr der Bitte Dreistigkeit.
Wie? sagt er: ihr wollt Beichte sitzen?
Ihr guten Kinderchen könnt sonst der Kirche nützen.
Wißt: dieses Sacrament erheischt Verschwiegenheit.
Die ward euch nicht zu Theil. Ihr denkt schön und erhaben,
Und ihr, Geliebteste, besitzet viele Gaben:
Doch eine nicht, die Zuverlässigkeit.
Allein ich nehm' es in Bedenken.
Vielleicht weiß Frontevaux sich klüglich einzuschränken.
Ist die Aebtissinn nicht verständig, wie ein Mann?
Zur Prüfung will ich hier noch heut' ein Kästchen senden.
Das überliefre sich nur ihren keuschen Händen!
Wenn sie, nichts ist so leicht, mir's wieder geben kann;
Doch uneröffnet, merkt dies an!
So bin ich ganz geneigt, euch Alles zuzuwenden.
Das Kästchen kömmt. Die Ankunft wird bekannt,
Und jeder Nonne Blick und Hand
Will, darf und muß es sehn, betasten und recht kennen.
Sie reißen sich darum. Die Eifernden zu trennen,
Kömmt die Aebtissinn, und die Nacht.
Das schöne Kästchen wird voritzt nicht aufgemacht.
Der Vorwitz quälet oft mehr, als der Alp der Sorgen.
Die Nonnen flieht der Schlaf: auch die Aebtissinn wacht,
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Voll reger Ungeduld, bis an den müden Morgen.
Die Messe geht nun an. Gebet, Gesang und Chor
Geräth erbärmlich schlecht: man zischelt sich ins Ohr,
Und singt nicht, sondern schwatzt, und fragt sich, und will wissen,
Warum sie nichts eröffnen müssen?
Die weibliche verschleyrte Klerisey
Versammlet sich, noch vor der Mittagsstunde,
Und stimmet, als aus einem Munde,
Gehorsamst der Aebtissinn bey,
Daß man, obgleich der Pabst es nicht erlauben wolle,
Das Kästchen untersuchen solle.
Selbst unserm Arbrissel stand etwas Vorwitz frey.
Es bleibt ja unter uns: wir Alle können schweigen.
Das eben soll uns selbst jetzt die Eröffnung zeigen.
Auch kein Koncilium erräth,
Daß wir im mindsten nur am Deckelchen gedreht.
Doch damit lassen wir die Frau Aebtissinn schalten.
Die nimmt den Deckel ab. Ein Hänfling fliegt heraus.
Ein Wunderwerk hatt' ihn erhalten.
Er flattert, singt, entwischt, setzt sich aufs nächste Haus.
Da mag für ihn der Vögel Schutzgeist walten.
Man klopft gebietrisch an. Wer wars? – der Pabst war da.
Er kam. Sobald er nun den frommen Haufen sah,
Wollt' er sein schönes Kästchen schauen:
Denn, sprach er, es enthält, was ihr so sehr begehrt,
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Die Bulle selbst, die euch den Beichtstuhl schon gewährt.
Allein! – darf man auf Weiber bauen?
Ihr zaudert, wie mich deucht. Gebt her! – Was seh' ich itzt?
Ist meine Bulle schon entflogen?
Das schönere Geschlecht ist sinnreich und verschmitzt,
Doch zum Geheimniß nicht erzogen.
Dem Priester nur geziemt, daß er euch Beichte sitzt.
Ein junges Nönnchen war dem alten Brauch gewogen,
Und sagt': ich liebe nicht dergleichen Neuerung,
Mein Beichtiger ist mir schon gut genung.

von Hagedorn.


Diese Geschichte ist dem Grecourt nacherzählt, so schön, als eine Grazie einem Faun nacherzählen kann, ob sie gleich mit einigen schlüpfrigen Anspielungen bereichert ist; wohin die Anspielung auf denRobert von Arbrisselle gehört; welcher Heilige den Leserinnen der Wieländischen Schriften bekannt seyn wird.

Fußnoten

1 Etre discrette & femme tout ensemble

Ce sont deux points, que jamais on n'assemble,

Et la moins femme, en ce sexe indiscret,

Garderoit mieux son bonneur, qu'un secret.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Heinse, Wilhelm. Erzählungen. Erzählungen für junge Damen und Dichter. Zweyter Band. 22. Der Hänfling des Pabstes Johannes XXIII.. 22. Der Hänfling des Pabstes Johannes XXIII.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-4D05-E