Friedrich Hebbel
Gyges und sein Ring
Eine Tragödie in fünf Akten

[Motto]

Einen Regenbogen, der, minder grell, als die Sonne,

Strahlt in gedämpftem Licht, spannte ich über das Bild;

Aber er sollte nur funkeln und nimmer als Brücke dem Schicksal

Dienen, denn dieses entsteigt einzig der menschlichen Brust.

[8]

Personen

Personen.

    • Kandaules, König von Lydien.

    • Rhodope, seine Gemahlin.

    • Gyges, ein Grieche.

    • Lesbia,
    • Hero, Sklavinnen.

    • Thoas,
    • Karna, Sklaven.

    • Volk.

1. Akt

Erster Akt

Halle.
Kandaules und Gyges treten auf. Kandaules schnallt sich das Schwert um, Thoas folgt mit dem Diadem.

KANDAULES.
Heut sollst du sehn, was Lydien vermag! –
Ich weiß, ihr Griechen, wenn auch unterwürfig,
Weil ihr nicht anders könnt, tragt knirschend nur
Das alte Joch und spottet eurer Herrn.
Auch wird nicht leicht was auf der Welt erfunden,
Das ihr nicht gleich verbessert: wärs auch nur
Der Kranz, den ihr hinzufügt, einerlei,
Ihr drückt ihn drauf und habt das Ding gemacht!
THOAS
reicht ihm das Diadem.
KANDAULES.
Das neue Diadem! Was soll mir dies?
Hast du dich auch vielleicht im Schwert vergriffen?
Ja, beim Herakles, dessen Fest wir feiern!
Ei, Thoas, wirst du kindisch vor der Zeit?
THOAS.
Ich dachte –
KANDAULES.
Was?
THOAS.
Seit fünf Jahrhunderten
Erschien kein König anders bei den Spielen,
Die dein gewaltger Ahn gestiftet hat,
Und als du es das letzte Mal versuchtest,
Die alten Heiligtümer zu verdrängen,
Da stand das Volk entsetzt und staunend da
Und murrte, wie noch nie!
KANDAULES.
Nun meinst du denn,
Ich hätts mir merken und mich bessern sollen,
Nicht wahr?
THOAS.
O Herr, nicht ohne einen Schauder
Berühre ich dies Diadem, und nie
Hab ich dies Schwert am Griff noch angefaßt,
Das alle Herakliden einmal schwangen.
Doch deinen neuen Schmuck betracht ich ganz,
Wie jedes andre Ding, das glänzt und schimmert,
Und das man hat, wenn mans bezahlen kann.
[9] Nicht an Hephästos brauche ich dabei
Zu denken, der dem göttlichen Achill
Die Waffen schmiedete, und in dem Feuer,
Worin er Zeus die Donnerkeile stählt,
Auch nicht an Thetis, die durch ihre Töchter
Ihm Perlen und Korallen fischen ließ,
Damit es an der Zierde nicht gebreche:
Ich kenn den Mann ja, der das Schwert geliefert,
Und jenen, der das Diadem gefügt!
KANDAULES.
Nun, Gyges?
THOAS.
Herr, die Treue spricht aus mir,
Bin ich zu kühn, so bin ichs deinetwegen!
Und glaube mir: die vielen Tausende,
Die hier zusammenströmen, wenn sie auch
In feinrer Wolle gehn und leckrer essen,
Sind ganz so törigt oder fromm, wie ich.
Dein Haupt und dieser Reif, das sind für sie,
Trau deinem Knecht, zwei Hälften eines Ganzen,
Und ebenso dein Arm und dieses Schwert.
KANDAULES.
Das denken alle?
THOAS.
Ja, bei meinem Kopf!
KANDAULES.
So darfs nicht länger bleiben! Nimm denn hin
Und tu, was ich gebot.
THOAS
mit dem alten Schmuck ab.
GYGES.
Du tatst ihm weh.
KANDAULES.
Ich weiß, doch sprich: wie hätt ichs ändern können?
Wahr ist, was er gesagt! Hier gilt der König
Nur seiner Krone wegen und die Krone
Des Rostes wegen. Weh dem, der sie scheuert,
Je blanker, um so leichter an Gewicht.
Allein, was hilfts, wenn man sich nun einmal
So weit vergaß, weil mans nicht mehr ertrug,
Bloß durch den angestammten Schmuck zu glänzen,
Zu gelten, wie geprägte Münzen gelten,
Die keiner wägt, und mit den Statuen,
Die in geweihten Tempelnischen stehn,
Die schnöde Unverletzlichkeit zu teilen:
Man kann doch nicht zurück?
[10]
THOAS
kommt mit dem neuen Schmuck.
KANDAULES.
So ist es recht!

Er setzt das Diadem auf.

Das sitzt! Und alles, was mein Königreich
Im Schacht der Berge und im Grund des Meeres
An Perlen und Kleinodien nur liefert,
Nicht mehr, noch weniger, ist hier vereint:
Der Edelstein, den man bei uns nicht findet,
Und wär er noch so schön, ist streng verbannt,
Doch freilich ließ ich auch für den noch Platz,
Den man in hundert Jahren erst entdeckt. –
Begreifst du nun?

Zu Gyges.

Das andre eignet sich
Für einen Riesenkopf, wie eure Bildner
Ihn meinem Ahnherrn wohl zu geben pflegen,
Wenn er im Löwenfell mit plumper Keule
Von eines Brunnens moosgem Rand herab
Die Kinder euch erschrecken helfen soll.

Er gürtet sich das Schwert um.

Dies Schwert ist etwas leichter, wie das alte,
Doch dafür kann mans schwingen, wenn man muß,
Und nicht bloß draußen, unterm freien Himmel,
Wo die Giganten sich mit Felsen werfen,

Er ziehts und schwingts.

Nein, auch in menschlich engem Raum, wie hier!
Drum Thoas, spar dir ja die dritte Rede,
Die zweite hört ich heut!
THOAS.
Vergib mir, Herr!
Doch weißt du: nicht die jungen Glieder sinds,
In denen sich ein Wittrungswechsel meldet,
Die alten Knochen spüren ihn zuerst!

Ab.
GYGES.
Er geht betrübt.
KANDAULES.
Gewiß, er siehts nicht gern,
Daß jetzt der nächste Donnerkeil mich trifft,
Und das steht fest für ihn, es wäre denn,
Daß mich die Erde früher schon verschlänge,
[11] Wenn nicht der Minotaurus gar erscheint! –
So sind sie, denke darum aber nicht
Gering von ihnen! Nun, noch heute wirst du
Sie spielen sehn!
GYGES.
Und wünsche, mitzuspielen.
KANDAULES.
Wie, Gyges?
GYGES.
Herr, ich bitte dich darum!
KANDAULES.
Nein, nein, du sollst an meiner Seite sitzen,
Damit ein jeder sieht, wie ich dich ehre,
Und wie ich will, daß man dich ehren soll.
GYGES.
Wenn du mich ehrst, so schlägst du mirs nicht ab.
KANDAULES.
Du weißt nicht, was du tust! Kennst du die Lyder?
Ihr Griechen seid ein kluges Volk, ihr laßt
Die andern alle spinnen und ihr webt.
Das gibt ein Netz, wovon kein einzger Faden
Euch selbst gehört, und das doch euer ist!
Wie leicht wärs zugezogen und wie rasch
Die ganze Welt gefangen, wenn der Arm
Des Fischers nur ein wenig stärker wäre,
Der es regieren soll. Da aber fehlts!
Ihr könnt durch keine Kunst die Nervenstränge
Uns aus dem Leibe haspeln, darum stellen
Wir uns viel blinder, als wir wirklich sind,
Und gehn zu unsrem eignen Spaß hinein:
Ein kleiner Ruck macht uns ja wieder frei.
GYGES.
Wir feiern diese Spiele auch.
KANDAULES.
Ja, ja!
So unter euch! Da ringt der Dorier
Mit dem Jonier, und mischt am Ende
Gar der Böotier sich mit hinein,
So glaubt ihr, Ares selber schaue zu
Und merke sich mit Schaudern jeden Streich.
Gyges, und wenn du alle Preise dort
Errungen hättest, warnen müßt ich dich,
Hier auch nur um den letzten mitzukämpfen.
Denn wild und blutig ging es immer her,
Doch würbest du, der Grieche und mein Günstling,
Auch nur um einen Zweig der Silberpappel,
[12] Wie man sie heut zu Tausenden verstreut:
Du kämst mit deinem Leben nicht davon.
GYGES.
Nun habe ich dein Ja, du kannst mirs jetzt
Nicht länger vorenthalten!
KANDAULES.
Nimmst dus so?
Dann muß ich schweigen!
GYGES.
Herr, ich kam nicht bloß,
Zu bitten!

Er zieht einen Ring hervor.

Nimm! Es ist ein Königsring!
Du siehst ihn an, du findest nichts an ihm,
Du staunst, daß ich ihn dir zu bieten wage,
Du wirst ihn nehmen, wie vom Kind die Blume,
Nur um die arme Einfalt nicht zu kränken,
Die dir sie brach, nicht, weil sie dir gefällt.
Unscheinbar ist er, das ist wahr, und schlicht,
Und dennoch kannst du für dein Königreich
Ihn dir nicht kaufen, noch ihn mit Gewalt
Trotz aller deiner Macht, dem Träger rauben,
Wenn er ihn dir nicht willig reichen will.
Trägst du ihn so,

Mit Zeichen und Gebärden.

daß das Metall nach vorn
Zu sitzen kommt, so ist er bloß ein Schmuck,
Vielleicht auch keiner, aber drehst du ihn
So weit herum, daß dieser kleine Stein,
Der dunkelrote, um sich blitzen kann,
So bist du plötzlich unsichtbar und schreitest,
Wie Götter in der Wolke, durch die Welt.
Darum verschmäh ihn nicht, denn noch einmal:
Es ist ein Königsring, und diesen Tag
Ersah ich längst, ihn dir zu übergeben,
Du bist der einzge, der ihn tragen darf!
KANDAULES.
Von unerhörten Dingen kam auch uns
Die Kunde zu, man sprach von einem Weibe,
Medea hieß sie, welche Künste trieb,
Die selbst den Mond herab zur Erde zogen,
Doch nie vernahm ich noch von diesem Ring.
[13] Woher denn hast du ihn?
GYGES.
Aus einem Grabe,
Aus einem Grabe in Thessalien!
KANDAULES.
Du hast ein Grab erbrochen und entweiht?
GYGES.
Nein, König, nein! Erbrochen fand ichs vor!
Ich kroch nur bloß hinein, um mich vor Räubern
Zu bergen, die in großer Überzahl
Mir auf der Fährte waren und mich hetzten,
Als ich in abenteuerlichem Triebe
Das öde Waldgebirge jüngst durchstrich.
Die Aschenkrüge waren umgestoßen,
Die Scherben lagen traurig durcheinander,
Und in dem falben Strahl der Abendsonne,
Der durch die Ritzen des Gemäuers drang,
Sah ich ein Wölkchen blassen Staubes schweben,
Das vor mir aufstieg, als der letzte Rest
Der Toten, und so seltsam mich bewegte,
Daß ich, um meinesgleichen, meine Väter
Vielleicht, nicht unwillkürlich einzuatmen,
Den Odem lange anhielt in der Brust.
KANDAULES.
Nun? Und die Räuber?
GYGES.
Hatten meine Spur
Verloren, wie's mir schien, denn fern und ferner
Verhallten ihre Stimmen, und ich glaubte
Mich schon gesichert, wenn ich auch noch nicht
Mein dämmriges Asyl verließ. Als ich
Nun so auf meinen Knieen kauerte,
Erblickte ich auf einmal diesen Ring,
Der aus dem wüsten Trümmerhaufen mir
Mit seinem Stein, wie ein Lebendiges,
Fast an ein scharfes Schlangen-Auge mahnend,
Entgegenfunkelte. Ich hob ihn auf,
Ich blies die Asche von ihm ab, ich sprach:
»Wer trug dich einst am längst zerstäubten Finger?«
Und, um zu sehen, obs ein Mann gewesen,
Steckt ich ihn an. Doch das war kaum geschehn,
So schrie man draußen: »Halt! dort muß er sein!
Siehst du das Grab? Heran, heran, Gefährten,
[14] Wir haben ihn!« und rasch erschien der Trupp.
Ich aber, um nicht wehrlos, wie ein Tier,
Das man in eine Höhle trieb, geschlachtet
Zu werden, sprang hervor und stürzte ihnen
Entgegen, hoch in meiner Hand das Schwert.
Die Sonne war dem Untergange nah
Und strahlte, wie die Kerze, welche bald
Erlöschen soll, noch einmal doppelt hell.
Doch sie, als wär für sie allein die Nacht
Schon eingebrochen, stürmten, grimmig fluchend,
An mir vorbei und reihten sich ums Grab.
Das ward nun streng durchsucht, und als sie mich
Nicht fanden, höhnten sie: »Was tuts, er trug
Wohl auch nichts bei sich, als das trotzge Auge,
Das uns mit seinem kecken Blick so reizte,
Und dieses bläst ihm schon ein andrer aus!«
Nun abermals, doch langsam und verdrießlich,
Ja, spähend, und mir selbst ins Antlitz stierend,
An mir vorbei und wieder nicht gesehn!
KANDAULES.
Da dachtest du –
GYGES.
Nicht an den Ring! Noch nicht!
Ich glaubte, daß ein Gott mich durch ein Wunder
Gerettet, auf die Kniee warfs mich nieder,
Und zu dem Unsichtbaren sprach ich so:
Ich weiß nicht, wer du bist, und wenn du mir
Dein Antlitz nicht enthüllst, so kann ich dir
Das Tier nicht opfern, das dir heilig ist,
Allein zum Zeichen, daß ich dankbar bin
Und nicht des Muts ermangle, bring ich dir
Den wildesten von diesen Räubern dar,
Dies schwör ich hier, wie schwer es immer sei.
Nun eilt ich ihnen nach und mischte mich
In ihren Haufen, und ein Grauen faßte
Mich vor mir selbst, wie sie mich nicht allein
Gar nicht bemerkten, sondern durch mich hin,
Als wär ich bloße Luft, zusammen sprachen,
Ja selbst das Brot sich reichten und den Wein.
Mein Blick umflorte sich und schweifend fiel
[15] Er auf den Stein des Ringes, der mir rot
Und grell von meiner Hand entgegen sprühte
Und rastlos quellend, wallend, Perlen treibend
Und sie zerblasend, einem Auge glich,
Das ewig bricht in Blut, was ewig raucht.
Ich drehte ihn, aus Notwehr mögt ich sagen,
Aus Angst, denn alle diese Perlen blitzten,
Als wärens Sterne, und mir ward zumut,
Als schaut ich in den ewgen Born des Lichts
Unmittelbar hinein, und würde blind
Vom Übermaß, wie von der Harmonie
Der Sphären, wie es heißt, ein jeder taub.
Da aber fühlt ich kräftig mich gepackt,
Und: »Was ist das? Ei, wer hielt ihn versteckt?
Der Spaß ist gut!« erklangs um mich herum.
Zehn Fäuste griffen nun mir nach der Kehle,
Zehn andre rissen am Gewande mir,
Und, blieb die plumpste für den Ring nicht übrig,
So war ein schmählich Ende mir gewiß.
Doch plötzlich hieß es: »Ei, der ist nicht arm,
Das ist ein guter Fang, seht, blankes Gold,
Sogar ein Edelstein, nur her damit!«
Allein fast in demselben Odemzug
Erscholls: »Ein Gott! Ein Gott ist unter uns!«
Und alle lagen mir zu Füßen da.
KANDAULES.
Sie hatten, wie sie an dem Ring dir zerrten,
Ihn wieder umgedreht und schauderten,
Als du verschwandest, wie ein Wolkenbild.
GYGES.
So muß es sein. Ich aber drehte ihn,
Jetzt endlich eingeweiht in sein Geheimnis,
Stolz und verwegen noch einmal und rief:
Ein Gott, ja wohl, und jeder büßt mir nun!
Dann drang ich auf sie ein, und sie, entsetzt,
Als hätte ich den Donner in den Händen
Und tausend neue Tode mir zur Seite,
Behielten kaum zur Flucht noch Mut und Kraft.
Doch ich verfolgte sie, als müßte ich
Für die Erinnyen den Dienst versehen,
[16] Und nicht ein einziger kam mir davon!
Dann wollt ich mit dem Ring zurück zum Grabe,
Allein obgleich ich mir mit blutgen Leichen
Den weg bezeichnet hatte: nicht am Abend
Und nicht des Morgens ließ es sich mehr finden,
Und wider meinen Willen blieb er mein.
KANDAULES.
Das ist ein Schatz, wie keiner!
GYGES.
Sagt ichs nicht?
Ein Königsring! Drum, König, nimm ihn hin!
KANDAULES.
Erst nach dem Kampfe!
GYGES.
Herr, ich trug ihn nie
Seit jenem Tag und trag ihn niemals wieder!
Bist du mit Holz so geizig? Keines Waldes
Bedarf es ja zu meinem Scheiterhaufen,
Ein Baum genügt, und traue diesem Arm,
Er wird dir auch wohl noch den Baum ersparen!
KANDAULES.
So gib! Ich prüf ihn!
GYGES.
Und ich wappne mich!

Beide ab.
Gemach der Königin.
Rhodope nebst ihren Dienerinnen, Lesbia und Hero darunter tritt auf.
RHODOPE.
Nun freut euch, liebe Mädchen, heute ist
Es euch vergönnt! So sehr ichs tadeln muß,
Wenn ihr an andern Tagen auch nur lauscht,
So hart ich meine muntre Hero gestern,
Als sie den Baum erstieg, gescholten hätte,
Wenn nicht zu ihrer Strafe gleich ein Zweig,
So leicht sie ist, mit ihr gebrochen wäre,
Weil er zu schwach für so viel Neugier war –
HERO.
O Königin, wenn dus gesehen hast,
So weißt du auch, daß ich den dichtesten
Von allen Bäumen unsers Gartens wählte.
RHODOPE.
Den dichtesten? Kann sein! Doch ganz gewiß
Den, der am nächsten an der Mauer stand.
HERO.
Den allerdichtesten! Ich kletterte
In eine wahre grüne Nacht hinein!
[17] Es war fast schauerlich, den goldnen Tag
So hinter sich zu lassen und im Dunkeln
Doch fortzukriechen.
RHODOPE.
Warum tatst dus denn?
HERO.
Nicht, weil ich dem Olymp um ein paar Fuß
Mich nähern wollte! Nein, das überließ ich
Der Nachtigall, die mir zu Häupten schlug.
Ich wollte – – Aber lache nicht! Ich kann
Das Wiegen nicht vergessen, und ich wollte
Mich oben etwas wiegen!
RHODOPE.
Weiter nichts?
HERO.
Und nebenbei, doch wirklich nebenbei,
Ganz nebenbei, ein wenig spähn, ich wüßte
Es gar zu gern, ob diesen unsern Garten,
Wie uns der finstre Karna immer sagt,
Ein See umgibt.
LESBIA.
Ein See!
HERO.
Du weißt es besser!
LESBIA.
Ei, hast dus hier noch jemals rauschen hören,
Und ist ein See so ruhig, wie du selbst?
RHODOPE.
Ich will nicht weiter fragen, denn ich weiß,
Daß dus nicht wieder tust. Nie fiel ein Mädchen
So sanft, wie du, und nie erschrak es so!
LESBIA.
Ja, alle Glieder waren hin!
HERO.
Ich wäre
Gar nicht gefallen, denn ein stärkrer Zweig
War nah genug, der aber schaukelte
Ein Nest mit jungen Vögeln, und ich wollte
Ihn nicht betreten, um die zarte Brut,
Die schon die federlosen Flügel regte,
Nicht aufzuscheuchen!
LESBIA.
Dieses also wars?
Sie flogen aber dennoch auf, du griffst
Zuletzt gewiß noch zu, um dich zu halten!
RHODOPE.
Neckt euch, solang ihr wollt, dies ist der Tag,
An dem für euch das enge Haus sich öffnet,
Nun treibt es, wie ihr mögt, und seht euch satt.
HERO.
Und du?
[18]
RHODOPE.
Schaut nicht auf mich! Was euch erlaubt,
Ist mir nur nicht verboten, heute kann
Ich euch nicht Muster und nicht Vorbild sein.
HERO.
So willst du abermals das Fest nicht sehn?
RHODOPE.
Um dich nicht in der Fröhlichkeit zu stören! –
Bei uns ist das nicht Sitte, und mir wärs,
Als ob ich essen sollte ohne Hunger
Und trinken ohne Durst. Auch scheint es mir,
Daß unsre Weise besser ist, als eure,
Denn niemals kommt ihr ohne Schauder heim
Von diesen Festen, die euch erst so locken,
Und das ist mir die Liebste, die den tiefsten
Empfindet und zum zweiten Mal nicht geht.
Das soll für euch kein Tadel sein, o nein,
Es freut mich nur, daß meine Lesbia,
Die unter euch erwuchs, so fühlt, wie ich!
LESBIA.
Wirst du mir heut vergeben – –
RHODOPE.
Was denn nur?
Was soll ich dir vergeben? Willst du mit?
O, hätt ich dieses Lob zurück! Sie schämt
Sich jetzt, die Tochter ihres Volks zu sein,
Und hats nicht Ursach. Bin ich selbst was andres?
Geh, geh und sag mir, wer der Sieger war!
HERO.
Gewiß wird auch der junge Gyges kämpfen,
Der diese schöne Stimme hat.
RHODOPE.
Du kennst
Schon seine Stimme?
HERO.
Ja, doch weiter nichts!
Heut werden wir ihn sehn, und glaube mir,
Auch sie geht nur, weil er erscheint!
LESBIA.
Ich kann
Noch immer bleiben und dich Lügen strafen!
HERO.
Du tust es nicht!
KANDAULES
tritt rasch ein.
Rhodope, sei gegrüßt! –
Doch – Weißt du, wer ich bin? Ein Hermenwächter,
Ein Grenzpfahlkönig, der die Ellen freilich,
Doch nie die Schwerter mißt und schuld dran ist,
Daß die zwölf Taten des Herakles nicht
[19] Durch vierundzwanzig andre, größere
Längst überboten sind. Wenn dus nicht glaubst,
So frage nur den grimmigen Alkäos,
Du kennst ihn nicht? Ich auch seit heute erst!
Und weißt du, wie ich Menschen glücklich mache?
Ich spreche: Jüngling komm, da ist ein Kern,
Den stecke in die Erde und begieße
Den Fleck mit Wasser, tu es Tag für Tag
Und sei gewiß, daß du mit weißen Haaren
Für deine Mühe Kirschen essen wirst,
Ob süße oder saure, siehst du dann!
Als Währsmann stelle ich den Agron dir,
Den würdgen Freund des würdigen Alkäos,
Ihm völlig gleich, nur nicht so weiß im Bart.
RHODOPE.
Du bist vergnügt!
KANDAULES.
Wie sollte ichs nicht sein?
Wenn auch Alkäos mir in offnem Aufstand
Entgegen treten will, sobald ichs wage,
Vor ihm so zu erscheinen, wie vor dir,
Ich meine mit dem neuen Diadem:
Agron wird mich beschützen, und ich soll
Zum Dank mich nur verpflichten, du wirst staunen,
Wie mild ers mit mir vor hat, nie den Putz
Mehr zu verändern und ein Schwert zu tragen,
Das meine ganze Kraft durchs Ziehn erschöpft.
RHODOPE.
Woher denn weißt du das?
KANDAULES.
Durch keinen Späher,
Noch weniger durch einen falschen Freund:
Von ihnen selbst, durch ihren eignen Mund.
RHODOPE.
Du spottest meiner Frage.
KANDAULES.
Nein doch, nein!
Ich sprech im vollsten Ernst! Ich stand dabei,
Wie sie, die Nägel in die Tische grabend,
Und mit gewetztem Zahn die eigne Lippe,
Als wär es fremdes, wildes Fleisch, benagend,
Sichs schwuren, und sie halten es gewiß.
Es gilt hier eine Art von Gottesurteil,
Der eine haut nach mir, der andre wehrt,
[20] Und Dike kann entscheiden, wenn sie mag.
RHODOPE.
So hättest du gelauscht? Das glaub ich nicht.
Wenn ich wo bin, wo man mich nicht erwartet,
So mach ich ein Geräusch, damit mans merkt
Und ja nicht spricht, was ich nicht hören soll,
Und du – nein, nein, das tut ein König nicht!
KANDAULES.
Gewiß nicht! – Doch, du kannst es nicht erraten!
Siehst du den Ring? Wie teuer hältst du ihn?
RHODOPE.
Ich weiß ja nicht, von wem er kommt.
KANDAULES.
Von Gyges!
RHODOPE.
Da wird er dir unschätzbar sein!
KANDAULES.
Er ists!
Doch ahnst du nicht, warum. Vernimms und staune,
Unsichtbar macht er jeden, der ihn trägt.
RHODOPE.
Unsichtbar?
KANDAULES.
Eben hab ichs selbst erprobt.
Nicht wieder klettern, Hero! Nur die Vögel
Verstecken sich im Laube!
RHODOPE.
Lesbia!
KANDAULES.
Durch alle Türen schreit ich hin, mich halten
Nicht Schloß noch Riegel fern!
RHODOPE.
Wie fürchterlich.
KANDAULES.
Für jeden Bösen, meinst du.
RHODOPE.
Nein doch, nein!
Für jeden Guten noch viel mehr!

Zu Lesbia.

Kannst du
Noch ruhig atmen, wirst du nicht in Scham
Verglühn, nun du dies weißt? Herr, wirf ihn fort,
Hinunter in den tiefsten Fluß! Wem mehr
Als Menschenkraft beschieden ist, der wird
Als Halbgott gleich geboren! Gib ihn mir!
Man sagt bei uns, daß Dinge, die die Welt
Zertrümmern können, hie und da auf Erden
Verborgen sind. Sie stammen aus der Zeit,
Wo Gott und Mensch noch miteinander gingen
Und Liebespfänder tauschten. Dieser Ring
Gehört dazu! Wer weiß, an welche Hand
Ihn eine Göttin steckte, welchen Bund
Er einst besiegeln mußte! Graust dich nicht,
[21] Dir ihre dunkle Gabe anzueignen
Und ihre Rache auf dein Haupt zu ziehn?
Mich schaudert, wenn ich ihn nur seh! So gib!
KANDAULES.
Um einen Preis! Wenn du als Königin
Beim Feste heut erscheinen willst.
RHODOPE.
Wie kann ich!
Du holtest dir von weit entlegner Grenze
Die stille Braut, und wußtest, wie sie war.
Auch hats dich einst beglückt, daß vor dem deinen
Nur noch das Vaterauge auf mir ruhte,
Und daß nach dir mich keiner mehr erblickt.
KANDAULES.
Vergib! Ich denke nur, der Edelstein,
Den man nicht zeigt –
RHODOPE.
Lockt keine Räuber an!
KANDAULES.
Genug! Ich bin ja an dies Nein gewöhnt!
Bläst auch der frische Wind an allen Orten
Die Schleier weg: du hältst den deinen fest.

Musik.

Der Zug! Da darf der König ja nicht fehlen.
RHODOPE.
Und die Empörer? Heute tuts mir weh,
Daß ich nicht mit dir gehen darf.
KANDAULES.
Hab Dank!
Doch ängstige dich nicht. Es ist gesorgt.
RHODOPE.
Gewiß?
KANDAULES.
Gewiß! Zwar nicht, weil ich mich fürchte,
Nur, weil ich strafen müßte, und nicht mag.
Das Leben ist zu kurz, als daß der Mensch
Sich drin den Tod auch nur verdienen könnte,
Darum verhinge ich ihn heut nicht gern!

Ab.
RHODOPE.
Nun geht auch ihr!
LESBIA.
Ich bleibe, Königin!
RHODOPE.
Ei nein! Dir sangs die Amme nimmer vor,
Daß Mannes Angesicht der Tod für dich!

Lesbia, Hero und die übrigen ab.

Das Träumen kennt hier keine! Auch der Besten
Ist Opfer, was mir einzge Freude ist!

Ab.
[22] Freier Platz.
Viel Volk. Der König auf einem Thron. Lesbia, Hero usw. an der Seite auf einem Balkon. Die Spiele sind eben beendigt. Allgemeine Bewegung und Sonderung in Gruppen. Ringer, Faustkämpfer, Wagenlenker usw. werden nach und nach sichtbar, alle mit Zweigen von der Silberpappel bekränzt. Wein wird gereicht, Musik ertönt, das Fest beginnt.
VOLK.
Heil, Gyges, Heil!
KANDAULES
in den Hintergrund schauend.
Im Diskuswerfen auch?
Zum dritten Mal? Das sollt ich übelnehmen!
Da kommt ja gar nichts auf die Meinigen.

Heruntersteigend und dem aus dem Hintergrunde kommenden Gyges, dem das Volk noch immer zujubelt und Platz macht, entgegenschreitend.

Bescheiden bist du, das ist wahr! Du nimmst
Nicht mehr, als da ist.
GYGES.
Herr, ich kämpfte heut
Als Grieche, nicht als Gyges.
KANDAULES.
Um so schlimmer
Für uns, wenn du die neue Regel bist!
Da tuts ja not, die alten Drachenhäute
Hervor zu suchen und sie auszustopfen,
Die, vom Herakles her, noch irgendwo
Im Winkel eines Tempels faulen sollen,
Den Balg der Schlange mit den hundert Köpfen
Und andres mehr, was euch erschrecken kann!
Du hörst mich nicht!
GYGES.
Doch! doch!
KANDAULES.
Ei nein, ich sehs,
Du bist zerstreut, du schielst zu jenen Mädchen
Hinüber, sie bemerkens auch, schau hin,
Die Kleine neckt die Große! Du wirst rot?
Pfui, schäme dich!
GYGES.
Mich dürstet, Herr!
KANDAULES.
Dich dürstet?
Das ist was andres! Wer so kämpft, wie du,
Der hat das Recht auf einen guten Trunk,
[23]
Und, wenn auch ohne Recht, ich trinke mit!
Nun kommt der Teil des Festes, den ich liebe!

Winkt einem Diener.

Heran!
EIN DIENER
bringt einen Pokal mit Wein.
KANDAULES
gießt einige Tropfen auf die Erde.
Die Wurzel erst! Und dann der Zweig!

Er trinkt und will Gyges den Pokal reichen. Dieser sieht wieder zu dem Balkon hinüber.

Komm! – Ha! – Schwarz oder braun, das ist die Frage,
Nicht wahr?
GYGES.
O Herr!
KANDAULES.
Hat dir der Wein geschmeckt?
GYGES.
Ich trank noch nicht.
KANDAULES.
Das weißt du? Nun, so laß
Dich mahnen, daß du durstig bist und mach!
Ich stehe dir dafür, daß sie so lange
Verweilt, bis du heraus hast, was dich quält!
GYGES
trinkt.
Das kühlt!
KANDAULES.
O weh! hinunter geht dein Stern!

Die Mädchen entfernen sich, aber man sieht sie noch.

Nun, es war Zeit. Sieh dich nur um! Die drehen
Sich schon, als wärs um einen Thyrsosstab,
Der, plötzlich aus der Erde aufgeschossen,
Noch rascher, wie ein Pfeil, gen Himmel steigt
Und Millionen Trauben fallen läßt.
Der Wein ist für geflügelte Geschöpfe,
Nicht für die Welt, worin man hinkt und kriecht!
Die stellt er auf den Kopf. Der Alte da
Wär gleich bereit, den Tiger zu besteigen
Und sich die welken Schläfe zu bekränzen,
Wie Dionys, als er zum Ganges zog!
Doch das behagt mir eben! – War sie schön?
GYGES.
Ich weiß nicht, ob das schön, was mir gefällt?
KANDAULES.
Sprich ruhig: Ja! Ein Auge, wie die Kohle,
Die zwar nur glimmt, doch vor dem kleinsten Hauch
Schon Funken gibt, dabei ein Farbenspiel,
[24] Daß man nicht weiß, obs schwarz ist, oder braun,
Und dann, als liefe dieses ewge Schillern
Durch jeden Tropfen ihres Bluts hindurch,
Ein Wechseln zwischen Scham und stiller Glut,
Das ihr Erröten reizend macht, wie keins.
GYGES.
Du tust das ganz für mich, was halb der Wind,
Er lüftete den Schleier, du erhebst ihn!
KANDAULES.
Ich tus nicht, weil du vor ihr knieen sollst!
Nein! Wenn ich vor ein andres Bild dich führte,
Du würdest dies, so lieblich es auch ist,
Wie einen Fleck dir aus dem Auge wischen,
Der dir den Spiegel trübte!
GYGES.
Meinst du, Herr?
KANDAULES.
Gewiß! Doch halt! Man soll den Schatz nicht preisen,
Den man nicht zeigen kann! Man wird verhöhnt,
Wer glaubt an Perlen in geschloßner Hand!
GYGES.
Ich!
KANDAULES.
Gyges, schon der Schatten, den Rhodope
Im Mondschein wirft – du lächelst! Trinken wir!
GYGES.
Ich lächle nicht!
KANDAULES.
So solltest du! Wer kann
Denn nicht so prahlen? Sprächst du so zu mir,
Wie ich zu dir, ich sagte: zeig sie mir,
Sonst schweige still!
GYGES.
Ich traue dir!
KANDAULES.
Ei was!
Dem Auge soll man trauen, nicht dem Ohr.
Du traust mir! Ha! Vor diesem blöden Kinde
Erglühtest du und jetzt – – Genug, genug,
Ich will mich nicht mehr schwatzend vor dir brüsten,
Wie ichs so lange Zeit nun schon getan,
Du sollst sie sehn!
GYGES.
Sie sehn!
KANDAULES.
Noch diese Nacht!
Ich brauche einen Zeugen, daß ich nicht
Ein eitler Tor bin, der sich selbst belügt,
Wenn er sich rühmt, das schönste Weib zu küssen,
[25] Und dazu wähl ich dich.
GYGES.
O, nimmermehr!
Erwägst du – Für den Mann wärs eine Schmach,
Doch für ein Weib, und für ein Weib, wie sie,
Das selbst bei Tag –
KANDAULES.
Sie kanns ja nie erfahren!
Hast du den Ring vergessen? Und ich bin
Erst glücklich, wenn dein Mund mir sagt, ich seis.
Ei, frag dich selbst, ob du die Krone mögtest,
Wenn du sie nur im Dunkeln tragen solltest!
Nun, so ergeht es mir mit ihr! Sie ist
Der Frauen Königin, doch ich besitze
Sie, wie das Meer die Perlen, keiner ahnt,
Wie reich ich bin, und ist einst alles aus,
So kanns kein Freund mir auf den Grabstein setzen,
Und Bettler unter Bettlern lieg ich da.
Drum widerstrebe nicht und nimm den Ring!

Er reicht ihn Gyges, dieser nimmt ihn nicht.

Die Nacht bricht ein, ich zeig dir das Gemach,
Und wenn du siehst, daß ichs mit ihr betrete,
So folgst du uns!

Er faßt Gyges bei der Hand und zieht ihn mit sich fort.

Ich fordre es von dir!
Und bist dus deiner Lesbia nicht schuldig?
Vielleicht ist sie die Siegerin!

Beide ab.

2. Akt

Zweiter Akt

Halle.
Früher Morgen. Thoas tritt auf.

THOAS.
Ich will und muß noch einmal mit ihm reden,
Was hab ich hören müssen diese Nacht!
Ich ging gewiß nicht um zu horchen aus,
Doch komm ich so beladen heim, als wär ich
Ein wandelnd Ohr des blutigsten Tyrannen
[26] Und traute mich nur kaum zum Herrn zurück.
Empörung! Naher Überfall von Feinden,
Ja, eine neue Königswahl! Ists möglich!
Ich ahnte viel, doch so viel ahnt ich nicht!
Still, still! Sind das nicht Schritte? Ja! Wer steht
Denn mit den Greisen schon vor Morgen auf?
Der junge Gyges! Ei, wenn du das wüßtest,
Was ich jetzt weiß, du gingest nicht gebückt.

Er zieht sich zurück.
GYGES
tritt auf.
Schon wieder bin ich hier! Was will ich hier?
Es duldet mich im Freien nicht, ein Duft
Liegt in der Luft, so schwer und so betäubend,
Als hätten alle Blumen sich zugleich
Geöffnet, um die Menschen zu ersticken,
Als atmete die Erde selbst sich aus.
THOAS
tritt hervor.
Schon munter, Karna? Herr, vergib, ich hielt dich
Für einen andern! Du noch nicht zu Bett?
Der Ehrgeiz läßt dich wohl nicht schlafen, wie?
GYGES.
Der Ehrgeiz!
THOAS.
Nun, du hast so viele Kränze
Davon getragen –
GYGES.
Daß der Lorbeer sich
Vor mir nicht mehr zu fürchten braucht! Ich wollte
Nur zeigen, daß man Knochen haben kann,
Und Mark in diesen Knochen, wenn man auch
Die Saiten einer Zither nicht zerreißt,
Sobald man sie berührt. Dies weiß nun jeder,
Der es bisher vielleicht bezweifelt hat,
Und so ists gut.
THOAS.
Doch, warum schläfst du nicht?
GYGES.
Ei, warum trinkst du nicht?
THOAS.
Du standest wohl
Schon wieder auf?
GYGES.
Wenn ich schon lag: gewiß!
THOAS.
Das wüßt ich eben gern! Denn, wenn er hörte,
Was ich gehört – Nun, nun, er wird wohl nicht!

Langsam ab.
GYGES.
Sie schlummert noch! O, wer sie wecken dürfte!
[27] Das darf die Nachtigall, die eben jetzt
Noch halb im Traum ihr süßes Lied beginnt,
Das darf – – Er kommt! Was denkt er wohl von mir?
KANDAULES
tritt auf.
Sie wacht und stellt sich doch, als ob sie schliefe! –
Du, Gyges? Schon? – Wie, oder sag ich: Noch?
Doch nein, ich hab dein Wort!
GYGES.
Hier ist der Ring!
KANDAULES.
So früh? So schnell?
GYGES.
Er ist dein Eigentum.
KANDAULES.
Du traust dich nicht, ihn länger zu behalten?
GYGES.
Warum nicht? Doch wozu? So nimm ihn hin!
KANDAULES.
Dies sagt mir mehr noch, als dein Seufzer mir
Schon in der Nacht gesagt.
GYGES.
Vergib ihn, Herr!
KANDAULES.
Wie sprichst du nur? Er war ja mein Triumph.
GYGES.
Hast du ihn denn allein gehört?
KANDAULES.
O nein!
Sie fuhr empor, sie schrie – Ist alles das
Dir ganz entgangen? Nun, da brauch ich dich
Nicht erst zu fragen, ob ich Sieger bin!
GYGES.
Es ist mir nicht entgangen!
KANDAULES.
Leugne noch,
Daß du verwirrt gewesen bist! Ich habe
Noch einen besseren Beweis, du hast
Sogar den Ring gedreht und weißt es nicht.
GYGES.
Und weiß es nicht!
KANDAULES.
Sie zitterte, als sie
Den Laut vernahm, sie rief: steh auf, steh auf,
Im Winkel ist ein Mensch versteckt, er will
Dich morden oder mich! Wo ist dein Schwert?
Ich stellte mich erschreckt, wie sie, und tats,
Und plötzlich standest du, vom hellsten Strahl
Der Ampel grell beleuchtet, vor mir da,
Ist das genug? Verstummst du nun vor mir?
GYGES.
Ich wollte sichtbar sein!
KANDAULES.
Das sagst du jetzt,
Um meinen Sieg zu schmälern! Wäre ich
[28] Nicht zwischen dich und ihren Blick getreten,
Bevor er dich noch traf, so hätte ich
Dich töten müssen!
GYGES.
Herr, dies wußt ich wohl,
Und nur, weil ich dich dazu zwingen wollte,
Dreht ich den Ring in hastgem Ruck herum.
KANDAULES.
Wie, Gyges?
GYGES.
Ja! – Denn frevelhaft erschien
Das Wagnis mir!
KANDAULES.
Ich hatt es dir erlaubt.
GYGES.
Wohl! Doch mir war in jener schwülen Stunde,
Als hättst du nicht das Recht dazu gehabt,
Und strafen wollt ich dich, wie mich, denn gern
Hättst du mich nicht getötet!
KANDAULES.
Bösewicht!
GYGES.
Und jetzt noch schauerts durch die Seele mir,
Als hätt ich eine Missetat begangen,
Für die der Lippe zwar ein Name fehlt,
Doch dem Gewissen die Empfindung nicht.
Ja, wenn ich dir den schnöden Totenring,
Den du mir wieder aufgesteckt, im Zorn
Nicht vor die Füße warf, anstatt mich seiner
Zur raschen Flucht noch einmal zu bedienen,
So unterließ ichs bloß aus Scheu vor ihr.
Ihr wollt ich das Entsetzen sparen, ihr
Die ewige Umschattung ihres Seins,
Dir nicht – Verzeihs, mich fieberte – die Tat!
KANDAULES.
Du bist ein Tor!
GYGES.
Ein Tor! Es trieb mich fort,
Als müßte sich, wenn ich noch länger weilte,
Ein neuer reinrer Sinn in ihr erschließen,
Wie vor Aktäons Spähn in Artemis,
Und ihr, wie der, verraten, was geschehn.
So werd ich nicht nach einem Morde fliehn.
KANDAULES.
Doch wars kein Mord!
GYGES.
Wer weiß! Die Götter wenden
Sich vom Befleckten ab! Wie, wenn sich jetzt
[29] Die goldne Aphrodite, schwer beleidigt,
Von ihrer liebsten Tochter wenden müßte,
Weil sie ein Blick aus fremdem Aug entweiht!
Sie tuts nicht gern, sie säumt noch, weil sie hofft,
Daß eine rasche Sühne folgen wird,
O, Göttin, lächle fort! Ich bringe sie!
KANDAULES.
Das sprach der Grieche.
GYGES.
Herr, gewähre mir
Die letzte Bitte!
KANDAULES.
Tausend, wenn du willst,
Nur nicht die letzte! Diese kommt zu früh!
GYGES.
Nimm mich als Opfer an! Ich schenke dir
Mein junges Leben! Weis es nicht zurück!
Es sind noch viele schöne Jahre mein,
Und jedes wird dir zugelegt, wenn du
Sie am Altar des Zeus empfangen willst!
So folge mir, daß ich mit einer Hand
Dich fasse und mich mit der anderen
Durchstoße, wie der heilge Brauch es fordert:
Frohlockend, ja mit Lächeln, solls geschehn.
KANDAULES.
Fast reut mich, was ich tat! Hier Raserei
Und drinnen Argwohn – Ei!
GYGES.
Was zögerst du!
Wie oft ward solch ein Jünglingsopfer willig
Nicht einem Kriegesfürsten dargebracht,
Wenn ihn des Todes Schatten auch nur streifte,
Wie oft nicht einem bloßen Wüterich!
Warum nicht einmal einem Seligen,
Warum nicht dir, damit du lange noch
Beglücken und dich glücklich fühlen kannst!
Mir raubst du nichts! Was hab ich, und was kann ich
Erlangen, sprich? Doch dir gewinnst du viel,
Denn neidisch sind die Götter, und vielleicht
Zerschneidet dir die eifersüchtge Parze
Nur allzu schnell den goldnen Lebensfaden,
Indes sie meinen tückisch weiter spinnt.
Komm ihr zuvor und gib der Lust die Dauer,
Die sie der Qual bestimmte! Tus sogleich!
[30]
KANDAULES.
Nichts mehr davon! Du weißt, was du mir bist!
Und würd ich auf der Stelle auch ein Greis
Mit trocknen Lippen und mit welken Adern,
Ich borgte mir nicht neue Glut von dir!
GYGES.
Doch würdest du dabei auch jetzt nichts wagen,
Denn könnte ich mein Blut mit deinem mischen:
Wie heiß es sei, es bliebe, wie es ist!
KANDAULES.
Du bist in dieser Stunde noch verwirrt,
Und weißt nicht, was du sprichst und was du tust.
GYGES.
Vergibs mir, Herr!
KANDAULES.
Ich schelte dich ja nicht!
Das ist ein Rausch, wie der vom Duft der Reben,
Ein kühler Hauch des Morgens bläst ihn fort.

Indem er geht.

Ich hoffs zum mindesten und werd es sehn!

Ab.
GYGES.
Warum gab ich den Ring zurück! Ich hätte
Verschwinden, nie mehr sichtbar werden sollen,
Dann könnt ich ewig um sie sein, dann würd ich
Sie sehen, wie sie nur die Götter sehn!
Denn irgend etwas sparen die sich auf:
Ein Reiz der Schönheit, den sie selbst nicht kennt,
Ein Blitzen in der tiefsten Einsamkeit,
Ein letzter, ganz geheimnisvoller Zauber,
Das ist für sie und wär jetzt auch für mich!
Zwar würd ich ihrer Rache nicht entgehn,
Wenn ich verstohlen aus dem Kelche nippte,
Der einzig für sie selber quillt und schäumt.
Es würde plötzlich in den Lüften klingen,
Und Helios, durch einen Flammenwink
Der zorngen Aphrodite angefeuert,
Den sichersten von all den sichren Pfeilen
Versenden, welche er im Köcher trägt.
Dann stürzt ich hin, allein das täte nichts,
Denn im Verröcheln würde ich den Ring
Noch einmal drehen und zu ihren Füßen,
Mein Auge zu dem ihrigen erhebend
Und ihre Seele, wie die meine wiche,
Aus ihren Blicken durstig in mich saugend,
[31] Verhaucht ich meines Odems letzten Rest!

Thoas kommt mit der verschleierten Lesbia.
THOAS.
Der König schenkt dem Gyges, seinem Günstling,
Die schöne Sklavin, die ihm wohl gefällt!
GYGES.
Der König will mich höhnen, und das habe
Ich nicht um ihn verdient, auch duld ichs nicht!
THOAS.
Die Gabe ist zwar reich und auserlesen,
Doch zweifle nicht, es ist des Königs Ernst.
GYGES.
Schweig, Unverständigster der Unverständgen,
Der Ernst des Königs ist der ärgste Spott!
THOAS.
Tu du den Mund auf, Mägdlein, sags ihm selber,
Wenn ers dem meinigen nicht glauben kann!
GYGES.
Kein Wort!
THOAS.
Verschmähst du das Geschenk des Königs?
GYGES.
Ja!
THOAS.
Gyges! Doch, du weißt ja, was du tust!
GYGES.
Der König schlug mich tot und drückt der Leiche
Jetzt ein Juwel fürs Leben in die Hand.
THOAS.
Ich kann dich nicht verstehn und werde melden,
Was ich gehört! – So komm mit mir zurück!
LESBIA.
Du siehst mich nicht zum zweiten Mal! Vergib,
Daß ich gesprochen, klingt es doch gewiß
In deinen Ohren rauh!
GYGES.
Nein, holdes Kind!
Stell dich nur hinter den Platanenbaum,
Und sprich, wie jetzt. Dann ruft ein heißer Jüngling:
Die erste Nachtigall, die nicht bloß singt!
LESBIA.
Du bist kein Jüngling!
GYGES.
Ich bin weniger!
Das siehst du ja! Zwar kam es mir schon vor,
Als sei ich nicht der letzte in den Waffen,
Als hätt ich dies und das getan, als zupfe
Mich keiner ungestraft mehr bei den Ohren,
Als rufe man mich gar, wenn just kein beßrer
Zu Haus sei, in der Stunde der Gefahr;
Doch das sind Knabenträume! Peitscht den Buben,
Er trank wohl Wein zur Nacht!
LESBIA.
Erst bringe mir
[32] Ein Reis vom Lorbeerbaum, dann peitsch ich dich
Und winde dir nachher den Kranz!
GYGES.
So hast
Dus mit geträumt? So wärs vielleicht gar wahr?
Und doch den Hohn?
LESBIA.
Den Hohn? Wo ist denn Hohn?
GYGES.
Stehst du nicht da?
LESBIA.
Das schmerzt!
GYGES.
Nicht so! Nicht so!
Gewiß, nicht so!
LESBIA.
Du tötetest schon manchen,
Hast du je einen wieder aufgeweckt?
GYGES.
Du bist sehr schön! Ei freilich! Ein Gemisch
Von Lilien und Rosen, die im Beet
Bunt durcheinander stehn, und die der Wind
In gauklerischem Spiel so neckisch schaukelt,
Daß man sie nicht mehr unterscheiden kann!
Jetzt bist du rot, jetzt blaß! Und nicht einmal!
Du bists zugleich!
LESBIA.
Was weißt denn du von mir?
Das träumtest du! Ich seh ganz anders aus!
Erschrick!

Sie will sich entschleiern.
GYGES.
Nein, nein!

Hält sie ab.
LESBIA.
Zur Königin zurück!
Sie gab mich nicht mit Freuden her, sie nimmt
Mich willig wieder auf!
GYGES.
Dann sage ihr,
Der Gyges hätt dich gar nicht angesehn!
LESBIA.
O Schmach!
GYGES.
Nicht doch! Du weißt, wie oft ich gestern,
Und früher hab ich dich ja nie erblickt,
Nach dir gespäht!
LESBIA.
Ich habe dann wohl immer
Was Albernes getan! Wie schäm ich mich,
Daß ich das jetzt erst merke! Doch die andern
Sind schuld daran mit ihrer Neckerei!
GYGES.
Ich sah nur, was mich reizte!
LESBIA.
O gewiß,
[33] Denn, was uns reizt, das lieben wir verhüllt!
Komm, Alter!
GYGES.
Warum eilst du so?
Ich bin dein Herr! Doch zittre nicht vor mir,
Ich will von dir nur einen einzgen Dienst,
Dann magst du wieder ziehn!
LESBIA
zu Thoas.
So geh allein!
GYGES.
Bleib, bleib! – Doch nein! – Dem König meinen Dank!
Ich nehme sein Geschenk, und wie ichs ehre,
Werd ich ihm zeigen!
THOAS.
Wohl!

Ab.
LESBIA.
Und nun der Dienst?
GYGES.
Du sollst so lange weilen, bis das Lächeln
Dir wieder kehrt!
LESBIA.
Das wird nicht schnell geschehn!
GYGES.
Und in der Zwischenzeit ein wenig plaudern!
Du bist ja um die Königin, ihr schmeckt
Der Pfirsich sicher nur, wenn du ihn brachst:
Sprich mir von ihr!
LESBIA.
Von ihr!
GYGES.
Ich meine nur! –
Von etwas andrem, wenn du willst! Vom Garten,
In dem sie wandelt, oder von den Blumen,
Die sie am liebsten pflückt! Auch von dir selbst!
Ich hör es gern! Worin seid ihr euch gleich?
Sags rasch, damit du rasch mir teuer wirst!
An Wuchs? Nicht ganz! Noch minder an Gestalt!
Doch dafür ist das Haar dir schwarz, wie ihr,
Nur nicht so voll – ihr kriecht es ums Gesicht
Herum, wie um den Abendstern die Nacht! –
Was hast du sonst von ihr?
LESBIA
macht eine unwillkürliche Bewegung.
GYGES.
Nein, bleibe stehn!
Im Gange ist sie einzig! Wenn du schreitest,
So sieht man, du willst dahin oder dorthin,
Dich reizt die Dattel, oder auch der Quell,
Doch wenn sie sich bewegt, so blicken wir
Empor zum Himmel, ob nicht Helios
[34] Den goldnen Sonnenwagen eilig senke,
Um sie hinein zu heben und mit ihr
Dahin zu ziehn in alle Ewigkeit!
LESBIA.
Ja, sie ist schön!
GYGES.
Du schlägst die Augen nieder?
Ei, Mägdlein, die erhebe, denn mir deucht,
Die sprühen, wie die ihrigen!
LESBIA
lacht krampfhaft.
Vielleicht
In dieser Stunde!
GYGES.
Tat mein Wort dir weh?
LESBIA.
Ich glaub, ich lachte, und nun darf ich gehn!
GYGES.
Nicht ohne ein Geschenk! Ja, holdes Kind,
Du sollst an Gyges noch mit Liebe denken!
Er ist zwar rauh und schlägt oft eine Wunde,
Eh er es ahnt, besonders mit der Zunge,
Doch ließ er nie noch eine ungeheilt.
KANDAULES
tritt auf.
Nun?
GYGES.
Herr, du kommst im rechten Augenblick!
KANDAULES.
Dann müßte ich zwei Glückliche hier finden!
GYGES.
Noch nicht, doch gleich!

Zu Lesbia.

Gib Deine Hand einmal!
Wie zart ist sie! Wie hart die meinige,
Wie schwielenreich von Schwert und Spieß! Das paßte
Doch gar zu schlecht! Die muß ein Rosenblatt,
Das sich zusammenrollt, schon schmerzlich spüren,
An meiner stumpft der schärfste Dorn sich ab!
Sie zuckt, als ob sie eingeschmiedet wäre,
Kind, fürchte nichts! Ich fasse dich nicht an,
Weil ich dich halten will! Der König weiß,
Daß ich nicht bloß sein klares Wort verstehe,
Daß ich auch seinen Wink mir deuten kann.
Er sah mit Schmerz, daß die Natur für dich
So viel getan und nichts das arge Glück,
Er will, daß ich das Glück bei dir vertrete:
Ich tu es

Läßt sie los.

Und erkläre dich für frei!
LESBIA.
Die Freiheit, sagt man, ist ein hohes Gut,
Ich kenn sie nicht, ich ward als Kind geraubt,
Allein für hohe Güter muß man danken,
[35] So danke ich für meine Freiheit dir!
GYGES.
Bist du zufrieden, Herr?
KANDAULES.
Ich bin erstaunt!
GYGES.
Und da du denn nicht weißt, wo dir die Mutter
Nachweint, und wo das Haus des Vaters steht,
So geh, bis du es findest, in das meine,
Ich schenke dirs und hol nur noch mein Schwert!
LESBIA
ab.
KANDAULES.
Was machst du, Gyges?
GYGES.
Herr, ich danke dir,
Daß du dies Werk durch mich vollbringen wolltest:
Es bleibt das deinige!
KANDAULES.
Du willst, wie's scheint,
Den Enkel des Herakles einmal sehn,
Nimm dich in acht, er schläft nicht gar zu fest!
GYGES.
Konnt ich dich heute kränken?
KANDAULES.
Nein! Vergib!
Doch geh sogleich und nimm dir aus dem Schatz
Das Doppelte von dem, was du verschenktest,
Dein Tun verdroß mich, und es schmerzt mich noch!
GYGES.
Verzeih mir, wenn ich nicht gehorchen kann!
Das alles ward auf einmal mir zur Last,
Und da sich jetzt zu Gold und Edelstein
Die schöne Sklavin noch hinzu gesellte,
So nutzt ich ihren schlanken weißen Nacken
Und hing die Kostbarkeiten daran auf.
Ich kann nichts weiter brauchen, als mein Schwert,
Doch, wenn du dich mir gnädig zeigen willst,
So schenke mir die Köpfe deiner Feinde,
Ich sammle sie bis auf den letzten ein.
KANDAULES.
Du bist ein andrer, Gyges, als du warst.
GYGES.
Ich bin es, Herr.
KANDAULES.
Du liebst!
GYGES.
Ich hätt das Mägdlein
Zusammenhauen können: liebe ich?
KANDAULES.
Du liebst Rhodopen!
GYGES.
Herr, ich kann dir bloß
Nicht länger dienen.
[36]
KANDAULES.
Scheide, wenn du mußt!
Es tut mir weh, doch darf ichs dir nicht wehren!
Und da du nichts von mir empfangen willst,
So kann ich auch von dir nichts mehr behalten:
Hier ist dein Ring!
GYGES.
Gib mir dein Schwert dafür!
KANDAULES.
Ich danke dir, daß du so edel bist!

Will ab.
GYGES.
Noch etwas!

Er zieht von seiner Brust einen Stein hervor.

Nimm!
KANDAULES.
Das ist?
GYGES.
Du kennst ihn wohl!
KANDAULES.
Rhodopens Diamant!
GYGES.
Ich nahm ihn mit,
Weil er an ihrem Hals – Erlaß es mir,
Es ist gebüßt!
KANDAULES.
Erinnyen, seid ihrs?
O, es ist wahr, ihr habt den leichtsten Schlaf!
GYGES.
Du grollst mir?
KANDAULES.
Nein! Nicht dir! Leb wohl, leb wohl!
Doch niemals dürfen wir uns wiedersehn!

Ab.
GYGES.
Niemals! Ich geh sogleich! Wohin denn nur?
Was wollt ich doch, eh ich mit diesem Lyder
Zusammentraf? Vergaß ichs schon? Ei nein!
Mich triebs hinunter an den alten Nil,
Wo gelbe Menschen mit geschlitzten Augen
Für tote Kön'ge ewge Häuser baun.
Nun, meine Straße setz ich fort und löse
Dort unten einen ab, der müde ist!

Ab.
[37]

3. Akt

Dritter Akt

Rhodopens Gemach.
Hero und andere Dienerinnen sind mit Ordnen beschäftigt.

RHODOPE
tritt herein.
Warum sind diese Spiegel nicht verhüllt?
HERO.
Die Spiegel, Königin?
RHODOPE.
Und diese Türen,
Wer stieß sie so weit auf?
HERO.
Du hast es gern,
Hinauszuschauen in den hellen Morgen
Und einzuatmen seinen frischen Hauch!
RHODOPE.
Wer sagt dir das? Genug! Verschließe sie
Und wende alle Spiegel um!
HERO
schließt die Türen und wendet die Spiegel um.
RHODOPE.
Es ist!
ich suche mich umsonst zu überreden,
Daß ich mich täuschte! Kehre wieder, Nacht,
Und birg mich in den dichtesten der Schleier,
Ich bin befleckt, wie niemals noch ein Weib!
HERO.
Doch diese Rose wirst du nicht verschmähn,
Die ich dir schon vor Sonnenaufgang pflückte!
RHODOPE.
Hinweg mit ihr! Sie welkt bei mir zu schnell!
HERO
indem sie sich mit ihren Begleiterinnen entfernt.
Ich heiße Hero und nicht Lesbia!
RHODOPE.
Ihr ewgen Götter, konnte das geschehn?
Ich hab euch schon mit reiner Kinderhand
So manches fromme Opfer dargebracht!
Euch fiel die erste Locke meines Hauptes,
Eh ich noch ahnte, daß ihr allen Segen
In Händen haltet, der dem Menschen frommt!
Nie hat die Jungfrau euren Dienst versäumt,
Und selten stieg mit ihrer Opferflamme
Zugleich ein Wunsch zu eurem Sitz empor:
Sie suchte jeden, der sich regen wollte,
Mit Scham und Angst bis unter das Bewußtsein
Hinab zu drücken, denn sie warb allein
Um eure Gunst und nicht um eure Gaben,
[38] Sie wollte danken, aber nichts erflehn!
Auch hat das Weib sich durch kein Traumgesicht,
Wie es die Tyndariden-Tochter schreckte,
Erst mahnen lassen an die heilge Pflicht,
Sie kam von selbst und schmückte den Altar.
Und dennoch – Warum weiht euch denn der Mensch
Den besten Teil von allen seinen Gütern,
Wenn ihr nicht gnädig ihn beschirmen wollt,
Wo er sich selbst nicht mehr beschirmen kann!
Den Löwen hält das Schwert dem Manne fern,
Wenn er, von Hunger oder Wut getrieben,
Hervor stürzt um die heiße Mittagszeit:
Kein Tapfrer ruft zu Zeus um seinen Blitz!
Doch, daß ihn nicht die Schlange feig beschleiche,
Wenn er, vom Kampf ermattet, ruhig schlummert,
Ist euer Werk, denn euch gehört die Nacht!
Und ich – und ich! Ruht denn ein Fluch auf mir,
Ein Fluch von Anbeginn, der eure Kraft
Im Styx gebunden hält, daß ihr den Frevel,
Den keiner gegen meine letzte Sklavin
Nur zu versuchen wagte, an mir selbst
Gelingen ließt, als wärs die frömmste Tat?
HERO
tritt ein.
Der König!
RHODOPE.
Schon? – So kommt der Tod mit ihm!
Nun, der verhüllt mich in die Nacht der Nächte,
Wovon die irdsche bloß ein Schatten ist,
Was beb ich denn? Die wünschte ich mir ja!
KANDAULES.
Vergibst du?
RHODOPE.
Herr, ich weiß, du kannst nicht anders,
Da gilt die Stunde gleich. Was fragst du viel?
KANDAULES.
Ich kann dich nicht verstehn.
RHODOPE.
Sei offen, König!
Du findest mich bereit!
KANDAULES.
Bereit! Wozu?
RHODOPE.
Ich kenne deine Pflicht, und danke dir,
Daß du sie rasch erfüllen willst. Sie würde
Ja nur die meine, wenn du zögertest.
[39] Du hast geforscht, entdeckt und gleich gerichtet,
Ich sehs dir an, nun trifft die Reihe mich!
KANDAULES.
Wohin verirrst du dich!
RHODOPE.
Erscheinst du nicht
Als Rächer hier?
KANDAULES.
Bei allen Göttern, nein!
RHODOPE.
So lebt noch jeder, welcher gestern lebte?
KANDAULES.
Warum nicht?
RHODOPE.
Mancher frevelte vielleicht!
KANDAULES.
Ich weiß von keinem!
RHODOPE.
Und was führt dich her?
KANDAULES.
Hätt ich nach dieser Nacht kein Recht, zu kommen?
Warst du, wie sonst? Hast du mir nicht sogar,
Als säßest du, die Lilie in der Hand,
Noch unter dem Platanenbaum, wie einst,
Den einzgen Kuß versagt, um den ich bat?
RHODOPE.
Das wirst du mir noch danken!
KANDAULES.
Aber fürchte
Dich nicht! Zwar triebs mich zu dir, wie am Morgen
Nach unsrer Hochzeit, doch du brauchst mir nur
Zu winken, und ich gehe, wie ich kam!
Ja, schneller werde ich von hinnen eilen,
Als hätt ich, um zu trinken, einer Quelle
Mich still genaht, und sähe, daß ihr eben
Die schüchterne Najade scheu entsteigt.
RHODOPE.
Bleib!
KANDAULES.
Nein! Nicht eines Odemzuges Dauer,
Wenn es dich ängstigt! Und es ängstigt dich,
Ich fühl es wohl. Dies ist gewiß die Stunde,
In welcher du, wie dus so lieblich nennst,
Dich innerlich besiehst! Die will ich nicht
Entheiligen. Und hätt auch Aphrodite,
Holdselig lächelnd diesem frühen Gang,
Den goldnen Gürtel, den sie nie verschenkt
Und kaum verleiht, mir für dich zugeworfen:
Ich käm ein ander Mal und reicht ihn dir!
RHODOPE.
Halt ein! Das klingt zu süß und macht mir bang,
[40] Denn meine Amme sagte: wenn der Mann
Sich allzu zärtlich seinem Weibe nähert,
So hat er im geheimen sie gekränkt!
KANDAULES.
Das trifft mich auch! Ich habe dich gekränkt
Ich weiß ja, wie du bist, ich weiß ja auch,
Daß du nicht anders kannst; dein Vater thront,
Wo indische und griechsche Art sich mischen,
Dein Schleier ist ein Teil von deinem Selbst.
Und dennoch zerr und zupf ich stets an ihm
Und hätt ihn gestern gern dir abgerissen!
Nun, das bereu ich, und ich schwöre dir –
Dies trieb mich her! – es soll nicht mehr geschehn!
RHODOPE
lacht.
KANDAULES.
Denn nie noch sehnte ich mich so, wie heut,
Nicht bloß das Leid, das tief ins Mark sich gräbt
Und Narben hinterläßt, dir fern zu halten,
Nein, auch den kleinsten Schatten, welcher dir
Die Seele trüben könnte, zu verscheuchen,
Und würf ich einen solchen Schatten selbst!
Dich hüten will ich, wie die treue Wimper
Dein Auge hütet: nicht dem Sandkorn bloß
Verschließt sie sich, auch einem Sonnenstrahl,
Wenn er zu heiß ist und zu plötzlich kommt.
RHODOPE.
Zu spät! Zu spät!
KANDAULES.
Was wär zu spät, mein Weib?
RHODOPE.
Ich – – Nein, ich sags ihm nicht, ich kanns nicht sagen,
Er mags erraten, und wenn ers errät,
So knie ich stumm und lautlos vor ihm nieder
Und deute auf sein Schwert und meine Brust!
KANDAULES.
Hat dich ein Traum erschreckt?
RHODOPE.
Ein Traum? O nein,
Für mich war keiner übrig, einer Warnung
War ich nicht wert! Der Stein, der schmetternd fällt,
Hat seinen Schatten, daß der Mensch ihn merke,
Das rasche Schwert den Blitz, doch was mich traf –
Kandaules, sprich, ich sehe, du willst fragen,
So frage endlich!
[41]
KANDAULES.
Ich? Nun ja doch, ja!
Am liebsten deine Hand!
RHODOPE.
Rühr sie nicht an,
Den Fleck nimmt dir kein Wasser wieder weg.
KANDAULES.
O Gyges! – Nun, wenn du die Hand mir weigerst,
Auch deine Wange sagt mir schon genug:
Du glühst im Fieber! Doch der beste Arzt
Steht vor der Tür. Warum ist sie verschlossen,
Indes ein Morgen, welchen alle Horen
Beschenkten, draußen, wie ein Bettler, klopft.
Rasch auf mit ihr, und gleich bist du geheilt!

Er will öffnen.
RHODOPE.
Halt! Öffne lieber eine Totengruft!
Nicht finstrer wird der reine Sonnengott
Sich von zerbrochnen Aschenkrügen wenden,
Als von dem Weibe, das du dein genannt!
KANDAULES.
Unselige!
RHODOPE.
Sprich! War im Schlafgemach – –
Antworte doch!
KANDAULES.
Ein Mörder? Nein doch, nein!
Ei, frag dich selbst, hätt ich ihn nicht getötet?
RHODOPE.
Wenn du ihn sahst!
KANDAULES.
Und mußt ihn ich nicht sehn?
Die Ampel war nur eben angezündet
Und brannte hell.
RHODOPE.
So scheints! – Und doch vernahm
Ich mancherlei Geräusch, das nicht von dir
Und auch von mir nicht kam.
KANDAULES.
Die Nacht ist reich
An Schällen und an seltsam fremden Klängen,
Und wer nicht schläft, hört viel.
RHODOPE.
Es rasselte.
KANDAULES.
Ein Mauerwurm!
RHODOPE.
Es klang, als ob ein Schwert
An etwas streifte.
KANDAULES.
Mags! Wo wär der Ton,
Den die Natur in wunderlicher Laune
Nicht irgend einem possenhaften Tier
[42] Als Stimme einverleibte? Reiß einmal
Dein Kleid entzwei und merke dir den Laut,
Ich schaff dir ein Insekt, das ganz so schnarrt.
RHODOPE.
Auch seufzen hörte ich.
KANDAULES.
Und seufzen Mörder?
RHODOPE.
Nein, nein! Das ists!
KANDAULES.
Der kühle Nachtwind wars,
Er wollte dir um Mund und Wangen spielen
Und seufzte, als er nur auf Mauern stieß.
Ei, gibts doch Bäume, die, wie jener Stein
Das Licht des Tages trinkt, um es im Dunkeln
Zurück zu geben, Klang und Schall verschlucken,
Die singen, plappern, ächzen dann bei Nacht!
RHODOPE.
So nimmst du es? Noch mehr! Mir fehlt ein Schmuck.
KANDAULES.
Ein Edelstein vielleicht? Ein Diamant?
Der da?
RHODOPE.
Du hast ihn? Du?
KANDAULES.
Wer sonst? Du siehst!
RHODOPE.
Dank, ewgen Dank, ihr Götter, und vergebt
Den Zweifel eines Herzens, das sich schuldlos
Zertreten wähnte! O, ihr seid uns nah,
Wie Licht und Luft!
KANDAULES.
Erinnyen, hinab! –
Da!
RHODOPE.
In den Tempelschatz mit ihm! Ich bin
Den Gnädigen ein reiches Opfer schuldig,
Vor allem ihr, der Allverknüpferin!
Aus goldnen Körben sollen ihre Tauben
Von heute an die weichsten Körner picken,
Aus Marmorbecken löschen ihren Durst!
Und du, Kandaules, du – – –
KANDAULES.
Der Jüngling küßt,
Wenn er des Mädchens denkt, die eigne Hand,
Die sie ihm drückte, als sie von ihm schied,
Der Mann braucht etwas mehr.
RHODOPE.
O Tag des Glücks!
Ist dir dein Weib so teuer? Nun, da bitt ich
Dir stilles Unrecht ab. Ich sorgte immer,
[43] Es sei mehr Stolz auf den Besitz, als Liebe,
In der Empfindung, die dich an mich fesselt,
Und deine Neigung brauche schon den Neid
Der andern, um nicht völlig zu erlöschen!
Nun fürcht ich das nicht mehr.
KANDAULES.
Und niemals sollst
Dus wieder fürchten! Weiß ich doch, was dir
Das Herz vergiftet hat. Du glaubtest dich
Verkürzt durch Gyges! Und es ist gewiß,
Daß ich gar manchen Tag mit ihm verbrachte,
Und fast ein Jäger ward, weil er es ist.
Zwar griff das nicht in deine Rechte ein,
Denn, was den Mann mit einem Mann verbindet,
Ist für das Weib nicht da, er brauchts bei ihr
So wenig, wie den Schlachtmut, wenn er küßt.
Doch, muß ich deine Furcht auch törigt nennen:
Ich spar kein Mittel, um dich rasch zu heilen,
So höre denn: mein Günstling Gyges geht!
RHODOPE.
Wie?
KANDAULES.
Heute noch!
RHODOPE.
Unmöglich!
KANDAULES.
Wär dir das
Jetzt nicht mehr recht? Du schienst es sonst zu wünschen!
RHODOPE.
O, daß ich dies in meinem Freudenrausch
Vergessen konnte!
KANDAULES.
Was denn?
RHODOPE.
Deine Hand! –
Der wars, der stand auf einmal mir vor Augen,
Als wär sein feur'ger Umriß in der Luft
Zurück geblieben! O, wie fürchterlich
Bestätigt sichs. – Gib her! – Er hat den Ring!
KANDAULES.
Der ist mein Eigentum!
RHODOPE.
Sprich, hast du ihn
Nicht wieder abgelegt, seit du ihn trägst?
Auch nicht verloren, oder sonst vermißt?
KANDAULES.
Unglückliche, was quälst du dich mit Schatten!
RHODOPE.
Er weicht mir aus! – Du schickst den Gyges fort?
Auf einmal fort, wie einen Missetäter?
[44] Warum?
KANDAULES.
Das sagt ich nicht. Er geht von selbst.
RHODOPE.
Er geht von selbst? Was treibt ihn denn von hinnen?
KANDAULES.
Ich weiß es nicht und hab ihn nicht gefragt.
RHODOPE.
Du weißt es nicht? So will ich dir es sagen:
Er hat an dir gefrevelt, wie noch keiner,
Und du mußt strafen, wie du nie gestraft!
KANDAULES.
Rhodope, welch ein Wort! Er ist gewiß
Der Edelste der Edlen.
RHODOPE.
Ist er das,
Wie kannst du ihn so ruhig ziehen lassen?
KANDAULES.
Weil auch der Beste wider seinen Willen
Statt Segens stillen Fluch verbreiten kann.
RHODOPE.
Ist das sein Fall? Und hat ers selbst gefühlt?
KANDAULES.
Und wenn auch nicht – Sein Sinn ist stolz, er strebt
Nach großen Dingen, und er darf es wagen.
RHODOPE.
Meinst du?
KANDAULES.
Kein Königsthron steht ihm zu hoch.
Und wenn er geht und mir den Grund verbirgt:
Gib acht, mit einer Krone kehrt er wieder
Und spricht dann lächelnd: diese trieb mich fort!
RHODOPE.
Ja?
KANDAULES.
Teures Weib, dich hat die Nacht verstört,
Der Schreck –
RHODOPE.
Kann sein!
KANDAULES.
Du hörtest allerlei –
RHODOPE.
Was nicht zu hören war! Fast glaub ichs selbst,
Denn – nun besinn ich mich – ich sah auch falsch!
Du hast den Ring nicht wieder abgelegt,
Du hast ihn nicht verloren, noch vermißt,
Und mir kams dennoch vor – ich spähte scharf,
Und Morgen wars, und alles andre sah ich –
Als fehlte er an deiner Hand. So zeugt
Denn Sinn hier gegen Sinn, das blinde Auge
Verbürgt das taube Ohr. Vergib mir nur,
Daß ich dich quälte, und vergönne mir
Ein wenig Einsamkeit, um mich zu fassen.
KANDAULES
will reden.
[45]
RHODOPE.
Ja wohl! Ja wohl! Vergib nur, Herr, und geh.
KANDAULES
ab.
RHODOPE.
Kein andrer ists, als Gyges – das ist klar!
Er hat den Ring gehabt – das ist noch klarer!
Kandaules ahnts, er muß – das ist am klarsten!
Und statt das Ungeheure ungeheuer
An ihm zu ahnden, läßt er ihn entfliehn.
So wird ein Rätsel durch ein andres Rätsel
Gelöst, das mich von Sinnen bringen kann,
Wenn es mir dunkel bleibt! Ein Gatte sieht
Sein Weib entehrt – entehrt? Sprich gleich: getötet –
Getötet? – Mehr, verdammt, sich selbst zu töten,
Wenn nicht des Frevlers Blut zur Sühne fließt!
Der Gatte ist ein König, trägt das Schwert
Der Dike, braucht von der Erinnys nicht
Den Dolch zu borgen, hat die heilge Pflicht,
Den Greul zu strafen, wenn die Liebe ihn
Nicht antreibt, ihn zu rächen, muß den Göttern
Das Opfer bringen, wenn ers mir versagt!
Und dieser Gatte, dieser König zückt
Nicht Schwert, noch Dolch, er läßt den Frevler fliehn!
Doch das soll nicht gelingen! Mir auch fehlts
Nicht an erprobten Dienern. Nicht als Sklavin,
Als Königstochter trat ich in dies Haus,
Und mein Geleite war ein königliches.
Die alten Vielgetreuen ruf ich auf,
Daß sie dem Fliehenden den Weg vertreten,
Dann sprech ich zu Kandaules: hier bin ich,
Dort ist der Günstling, wähle, dieser Dolch
Ist für mich selbst, wenn nicht dein Schwert für ihn!
LESBIA
tritt herein.
Vergibst du, Königin?
RHODOPE.
Was denn, mein Kind?
Daß du zu mir zurück kehrst? O, vergib
Nur du, daß ich dich von mir lassen konnte,
Mir war – ich wußte selbst nicht, was ich tat.
Doch mein ich, daß der König zu mir sagte,
Du gingest gern, und ach, ich hatte ihm
In jener Nacht so viel schon weigern müssen,
[46] Daß mir der Mut zum neuen Nein gebrach.
LESBIA.
So bin ich nicht mehr frei? So darf ich mich
Zu deinen Dienerinnen wieder zählen?
RHODOPE.
O nein! Als Schwester komm an meine Brust.
LESBIA.
Was ist geschehn? Du bist bewegt, wie nie.
RHODOPE.
Entsetzliches, das keinen Namen hat!
Denn eh ichs nennen kann, hat sichs verändert
Und ist noch grauenvoller, als es war.
Ja, Nachtgeburt, die mir entgegen grinst,
Mir deucht, dein erstes Antlitz könnt ich küssen,
Nun dämmernd mir das zweite sich enthüllt.
LESBIA.
Kann ich was für dich tun? – Die Frage ist
Wohl törigt, nicht?
RHODOPE.
Du kannst nicht töten, Mädchen,
Und wer nicht töten kann, der kann für mich
Auch nichts mehr tun.
LESBIA.
Gebieterin!
RHODOPE.
So ists!
Du starrst mich an, du kannst es gar nicht fassen,
Daß solch ein Wort aus meinem Munde kommt.
Ja, Lesbia, ich bins! Rhodope ists,
Die euch so oft gewarnt und abgehalten,
Dem Tode in sein traurig Amt zu greifen,
Und wenn es auch nur eine Spinne galt!
Ich hab es nicht vergessen, doch das war,
Als ich im frischen Morgentau mich wusch
Und in dem Strahl der Sonne trocknete:
Jetzt rufe ich nach Blut, jetzt ist von mir
Nur so viel übrig, als die Götter brauchen,
Um das zu rächen, was ich einmal war!
LESBIA.
Weiß dein Gemahl denn nichts? Am Rächer kanns
Der Königin von Lydien nicht fehlen.
RHODOPE.
So scheints! Und doch – Nun, wissen will ichs bald!
Geh, Lesbia, und ruf mir Karna her!
LESBIA.
Du meinst, ich soll ihm etwas von dir sagen.
RHODOPE.
Das ist vorbei! –
LESBIA.
Doch deinen Schleier willst du!
RHODOPE.
Nein! Nein!
[47]
LESBIA.
Mich graust! Es ist das erste Mal!

Ab.
RHODOPE.
Er kann den Freund nicht opfern, darum wird
Sein Weib verschont. Denn sonst ertrüg ers nicht!
LESBIA
tritt mit Karna ein.
RHODOPE.
Karna, du weißt, was du geschworen hast,
Als dir dein Herr, mein königlicher Vater,
Am goldnen Tor die Tochter übergab.
Saß ich auch hoch auf meinem Elephanten,
War ich auch tief verhüllt in meinen Schleier,
Doch hab ich wohl beachtet, was geschah,
Und nicht ein Wort vergessen, das du sprachst.
KARNA.
Auch ich nicht, und ich hoffs dir darzutun!
RHODOPE.
So such den Griechen Gyges auf und künd ihm,
Daß ich ihn sehen will.
KARNA.
Du?
RHODOPE.
Eile dich,
Damit er nicht entkommt, verfolge ihn,
Wenn er entfloh, und bringe ihn zurück,
Noch eh es Nacht wird, muß er vor mir stehn.
KARNA.
Ich liefre ihn, lebendig oder tot.

Ab.
LESBIA.
Was hör ich? Gyges wär es?
RHODOPE.
Gyges ists!
LESBIA.
Er hätte dich gekränkt?
RHODOPE.
Er hat gefrevelt
Am Heiligsten, er hat den schwersten Fluch
Auf mich herabgezogen, jenen Fluch,
Den alle Götter wider Willen schleudern,
Weil er nur Menschen ohne Sünde trifft,
Er ist es, der mich töten lehrt!
LESBIA.
Er nicht!
Ich schwöre dirs!
RHODOPE.
Wie kannst du?
LESBIA.
Königin,
Auch ich erlebte etwas, und ich weiß,
Daß er die Seele eher lassen würde,
Als dich verletzen.
RHODOPE.
So.
LESBIA.
Ich habe dir
[48] Ein Wort von ihm zu sagen! O, wie bitter
Hat mich dies Wort geschmerzt, als ichs vernahm,
Jetzt freuts mich fast. Ich soll dir von ihm melden,
Er hätt mich gar nicht angesehn! – Er liebt dich!
Nun frag dich, ob es möglich ist!
RHODOPE.
Er liebt mich!
So ists gewiß!
LESBIA.
Wie?
RHODOPE.
Törin, sage mir,
Kann man das lieben, was man niemals sah?
Und wenn mich Gyges sah: wann sah er mich?
LESBIA
legt sich die Hand vor die Augen.
RHODOPE.
Nun sprich als Mädchen, ob er sterben muß!

4. Akt

Vierter Akt

Gemach der Königin.

RHODOPE.
O, einen Augenblick Vergessenheit!
Wozu das Rätsel ewig wiederholen?
Es wird ja bald gelöst. – Ich sollt es machen,
Wie meine Mädchen, die zum Zeitvertreib
Auf alle Töne horchen und sich streiten,
Von welchem Vogel jeder kommt, und ob
Der rot ist oder grün. – Welch ein Geräusch!
Ist Karna da mit ihm? Still, alles still.
Es war wohl nichts. – Wie hab ich mich verändert!
Wann fragt ich sonst den Schall nach dem Woher,
Mich schreckte nichts, mich schreckte nicht einmal
Des Feuers Glut, und wenn sie noch so rot
Am Himmel aufstieg und sich noch so drohend
Verbreitete: ich wußte, daß ein Kreis
Von treuen Wächtern, unsichtbar um mich
Herum gereiht, des Königs Lieblingstochter
Mit Blut und Leben schirmte. Jetzt – ein Schritt!
Sie sinds! Ja, Karna ist so klug, als tapfer;
Das hört ich stets, und heute soll ichs sehn.
[49] Noch nicht! Vielleicht auch gar nicht! Nein, ihr Götter,
So grausam werdet ihr nicht sein. Ich will
Ja nicht, daß ihr die Hand mir reichen sollt,
Um mich am Rand des Abgrunds fest zu halten,
Ich will nur sehn, wer mich hinunterstößt.
Je mehr ich sinne, um so weniger
Begreif ich meinen Gatten. Hört ichs doch
In frühster Jugend schon, daß die Befleckte
Nicht leben darf, und wenn mich das als Kind
Durchschauert hat, jetzt habe ich den Grund
Für dies Gesetz in meiner Brust gefunden:
Sie kann nicht leben, und sie wills auch nicht!
Gilt das für ihn allein nicht? Oder will er
Den Frevler heimlich opfern, weil er hofft,
Mir seine Missetat noch zu verbergen?
Habt Dank, ihr ewigen, auch das kann sein!
Und findet Karna den Entflohnen tot,
Den kalten Dolch in seiner heißen Brust,
So weiß ich, wessen Hand ihn niederstreckte,
Und frage niemals mehr, wo Gyges blieb!
LESBIA
tritt ein.
O, Königin, er kommt!
RHODOPE.
Ich harre schon!
LESBIA.
Und hinter ihm schiebt, wie ein Eisen-Riegel,
Sich eine Schar Bewaffneter zusammen.
RHODOPE.
Ich glaubs, daß Karna sein Geschäft versteht.
LESBIA.
Muß es denn sein?
RHODOPE.
Er oder ich! Vielleicht
Wir alle beide!
LESBIA.
O, du machst mich stumm!
RHODOPE.
Sag Karna, daß er jetzt zum König sende,
Ich laß ihn bitten auf ein einzig Wort.
LESBIA
ab.
RHODOPE.
Nun, ihr dort unten, die ihr keinen Frevel
Verhindert, aber einen jeden rächt,
Herauf, herauf, und hütet diese Schwelle,
Ein blutig Opfer ist euch hier gewiß.
GYGES
der während dem eingetreten ist.
Du hast mich rufen lassen, Königin!
[50]
RHODOPE.
Du weißt warum! – Du weißt es, denn du zitterst,
Kannst du es leugnen? Deine Farbe wechselt,
Und hörbar klopft das Herz in deiner Brust.
GYGES.
Hat nicht dein Gatte auch vor dir gezittert,
Hat er die Farbe nicht, wie ich, gewechselt,
Und hat sein Herz nicht ganz, wie meins, geklopft?
Erinnre dich der Stunde, wo er dir
Zum ersten Mal ins Antlitz schauen durfte,
Und frag dich, ob er mir nicht völlig glich.
RHODOPE.
Dir?!
GYGES.
Königin, gewiß. Ihm schwindelte,
Er stand geblendet da, und als ihm die
Besinnung wiederkehrte, riß er stumm
Die Krone sich vom Haupt, wie einen Kranz,
Der plötzlich welk geworden ist im Haar,
Und warf sie mit Verachtung hinter sich.
RHODOPE.
Er! ha!
GYGES.
Du lächeltest ihn freundlich an,
Als du es sahst, da kam ihm so viel Mut,
Sich dir um einen halben Schritt zu nähern.
Doch seine Kniee wankten unter ihm,
Sie wollten einen edlern Dienst verrichten,
Und eh dus ahntest, lag er so vor dir!

Er kniet während dem nieder.
RHODOPE.
Du wagst?
GYGES.
Was denn? Es war ja so. Du strecktest
Ihm unwillkürlich, halb um ihm zu wehren,
Halb auch vielleicht, um ihn empor zu ziehn,
Die Hand entgegen, die er scheu und schüchtern
Ergriff, und die sich doch zur Fingerspitze
Verkürzte, ehe er sie noch berührt.
Tatst du das nicht? O, sprich!
RHODOPE.
Auf! Auf mit dir!
GYGES
sich wieder erhebend.
Ihn aber traf es, wie ein Wetterschlag.
Ihm war zumut, als hätt er sich bisher,
Wie ein erebscher Schatten, kalt und nüchtern,
Nur unter die Lebendigen verirrt
[51] Und jetzt erst Blut bekommen, wie sie selbst;
Als hätte er ihr Lachen und ihr Weinen,
Ihr Jubeln, Seufzen, ja ihr Atemholen,
Nur nachgeäfft und nie geahnt, warum
Die Menschenbrust sich ewig hebt und senkt.
Da brannt er vor Verlangen, auch zu leben,
Und sog dein süßes Bild mit Augen ein,
Die, sonst gleichgültig alle Dinge spiegelnd
Und wieder wechselnd, wie ein stilles Wasser,
Der Wimper jetzt ihr Zucken kaum verziehn.
So glomm er, deine Schönheit in sich trinkend,
Allmählig vor dir auf in düstrem Feuer,
Wie deine weiße Hand, wenn du sie abends
Vor eine Flamme hältst, du aber fuhrst
Vor deinem roten Widerschein zurück.
RHODOPE.
Nicht weiter!
GYGES.
O, nicht weiter! Weiß ich mehr?
Was er empfand, das kann ich nachempfinden
Und ganz so voll und glühend, wie er selbst.
Doch, wie er warb, und wie er dich gewann,
Ist sein Geheimnis; einer nur kanns haben,
Und dieser einzige ist er, nicht ich.
Nun weißt du denn, warum ich zitterte:
Ein Wonneschauer wars, der mich ergriff,
Ein heilges Grausen, das mich schüttelte,
Als ich so plötzlich vor dir stand und sah,
Daß Aphrodite eine Schwester hat;
So sag mir jetzt, wozu beriefst du mich!
RHODOPE.
Zum Tode! –
GYGES.
Wie?
RHODOPE.
Hast du ihn nicht verdient?
GYGES.
Wenn du ihn mir verhängst, so muß es sein!
RHODOPE.
In dieser Stunde noch!
GYGES.
Ich bin bereit!
RHODOPE.
Dich packt kein Schauder, wie er jeden Menschen,
Wie er den Jüngling doppelt packen muß?
Glaubst du vielleicht, es sei nicht bittrer Ernst,
Weil dir ein Weib den blutgen Spruch verkündigt,
[52] Und du das Weib nur noch als Mutter kennst?
O hoffe nicht, daß auch die Mildeste
Ihn ändern wird. Sie kann den Mord vergeben,
Sie kann sogar für ihren Mörder bitten,
Wenn er ihr so viel Odem übrig ließ.
Doch eine Schande, die sie vor sich selbst
Vom Wirbel bis zum Zeh mit Abscheu füllte,
Solch eine Schande wäscht das Blut nur ab:
Je mehr sonst ganz nur Weib, nur scheues Weib,
Je mehr vom Manne wird sie da verletzt!
GYGES.
Entsetzlich!
RHODOPE.
Kommt der Schauder? Hör mich aus!
Wenn du nicht jetzt gerichtet vor mir ständest,
Von blanken Schwertern vor der Tür bewacht,
Und willig oder nicht, das sichre Opfer
Der Unterirdschen, die ich schon beschwor:
Ich öffnete, wenn auch mit zager Hand,
Noch eh die Sonne sinkt, mir selbst die Adern
Und wüsche mich in meinem eignen Blut!
Denn alle Götter stehn schon abgewandt,
Wenn auch voll Mitleid da, die goldnen Fäden
Zerreißen, die mich an die Sterne knüpfen
Und aufrecht halten, mächtig zieht der Staub,
Und zögre ich, so hüpft die neue Schwester,
Die Kröte, mir vertraulich ins Gemach!
GYGES.
O Königin, ich könnte manches sagen,
Und vielen Sand mir aus den Locken schütteln,
Der mir nur angeflogen ist im Sturm!
Ich will es nicht. Nur eines glaube mir:
Erst jetzt erkenn ich, was ich tat, und doch
Wars kaum geschehn, so hats mich schon gedrängt,
Es abzubüßen. Wenn dein Gatte mir
Den Weg zum Orkus nicht vertreten hätte,
Ich wäre längst ein Schatten unter Schatten,
Und du gesühnt, wenn auch noch nicht versöhnt.
RHODOPE.
Mein Gatte wehrte dirs und wußte doch –
GYGES.
Gleichviel! Die seltne Regung, die ihn faßte,
Hat mich um das Verdienst des freien Todes,
[53] Dich aber um dein Opfer nicht gebracht.
Leb wohl! – Und deine Schwerter bleiben rein!
RHODOPE.
Halt! Nicht durch eigne Hand und nicht durch Mord,
Durch deinen höchsten Richter sollst du fallen,
Gleich kommt der König und bestimmt dein Los.
GYGES.
Der Sterbende, er sei auch, wer er sei,
Hat eine letzte Bitte frei. Du wirst
Mir nicht mein armes Totenrecht verkürzen,
Ich weiß, du kannst es nicht! So laß mich gehn!
RHODOPE
macht eine abwehrende Bewegung.
GYGES.
Ich tat, was ich vermogte. Komme nun,
Was kommen soll, ich trage keine Schuld.
KANDAULES
tritt ein.
RHODOPE
ihm entgegen.
Ich irrte nicht! Es war im Schlafgemach
Ein Mensch versteckt!
GYGES.
Ja, König, was ich dich
Nur ahnen ließ, weil mir der Mut gebrach,
Es zu bekennen: es ist aufgedeckt,
Und todeswürdig steh ich vor dir da!
KANDAULES.
Gyges!
GYGES.
Mit diesen meinen beiden Augen
Verübt ich einen Frevel, den die Hände
Nicht überbieten, nicht erreichen würden,
Und zückt ich auch auf dich und sie den Dolch.
RHODOPE.
So ists!
GYGES.
Zwar wußt ichs nicht, das kann ich schwören,
Mir sind die Frauen fremd, doch wie der Knabe
Nach einem wunderbaren Vogel hascht
Und ihn erdrückt, weil er sein zartes Wesen
Nicht kennt, indes er ihn nur streicheln will,
So hab ich auch das Kleinod dieser Welt
Zerstört und ahnte nicht, daß ich es tat.
RHODOPE.
Sein Wort ist edel. Wehe ihm und mir,
Daß es nicht frommt!
GYGES.
Wenn den kastalschen Quell
Aus dem die Lieblinge der Götter trinken,
Und der in einem Farbenspiel erglänzt,
[54] Als wär er mit zerpflückten Regenbogen
Von Iris eignen Händen überstreut;
Wenn diesen Quell, der dem Parnaß entspringt,
Ein Steinwurf trübt, so fängt er an, zu tosen
Und steigt in wilden Wirbeln himmelan.
Dann singt auf Erden keine Nachtigall
Und keine Lerche mehr, und in der Höhe
Verstummt sogar der Musen heilger Chor,
Und eher kehrt die Harmonie nicht wieder,
Bis ein ergrimmter Strom den frechen Schleudrer
Hinunter knirscht in seinen dunklen Schoß:
So ists mit einer Frauenseele auch!
KANDAULES.
Gyges, ich bin kein Schurke.
GYGES.
Herr, du bist
Rhodopens Gatte, bist ihr Schutz und Schirm
Und mußt ihr Rächer sein.
KANDAULES.
Ich bin vor allem
Ein Mann, der für den Frevel, den er selbst
Beging, nicht einen andern sterben läßt.
GYGES.
König, was rettest du?
KANDAULES.
Mich selbst!
GYGES.
Er rast,
Hör nicht auf ihn!
RHODOPE.
Mein Herr und mein Gemahl,
Was sprachst du da? Ich kanns dir selbst nicht glauben,
Wenn dus nicht wiederholst!
KANDAULES.
Sprich du für mich!
Du sollst mich nicht entschuldigen, du sollst
Nur sagen, wie es kam.
RHODOPE.
So ists? Ihr Götter,
Lacht über mich! – Ich habe schon geklagt!
KANDAULES.
Sprich, Gyges!

Ab.
GYGES.
Königin, o, wenn du wüßtest,
Wie er dich immer pries, und wie ich stumpf
Auf alle seine Flammenworte hörte,
Weil jeder Vogel, der dem Busch entrauschte
Und meinem Pfeil entging, indem er sprach,
Mein Auge auf sich zog – wenn du dir sagtest,
[55] Wie sehr dies unaufmerksam-kindsche Wesen,
Das er für einen Ausdruck stillen Mißtrauns
Und halben Zweifels nahm, obgleich es nur
Aus flüchtgem Sinn entsprang, ihn reizen mußte –
Wenn du uns beide nur ein einzig Mal
Auf einer unsrer Streiferein im Walde
Gesehen hättest, ihn in seiner Glut
Und mich in meiner Blödheit, unverständig
Nach bunten Steinen an der Erde spähend,
Indes er mir den Sonnen-Aufgang zeigte:
Ich bin gewiß, du blicktest wieder mild!
Er glich dem Priester, der dieselbe Flamme,
Die ihn durchlodert, zu des Gottes Ehre
Auch in der fremden Brust entzünden mögte:
Wenn dieser, leidenschaftlich-unvorsichtig,
Die heiligen Mysterien enthüllt,
Um dumpfe Sinne rascher zu erwecken
Und falsche Götzen sichrer zu entthronen:
Fehlt er so schwer, daß man ihm nicht verzeiht?
RHODOPE
macht mit der Hand eine abwehrende Bewegung.
Er hat sein Gattenrecht dir abgetreten?
GYGES.
Nenn es nicht so.
RHODOPE.
Du brauchtest nicht beim Wein
Nach seiner Hand zu greifen und dabei
Den Ring ihm abzuziehn, wie ichs mir dachte,
Er gab ihn dir von selbst zurück, du kamst
Vielleicht sogar mit ihm zugleich?
GYGES.
Wie kannst
Dus glauben, Königin?
RHODOPE.
Du bist ein Jüngling –
Du denkst so edel –
GYGES.
War ich denn sein Knecht?
Und hat er je verlangt, daß ich es sei?
Nein, Königin, entschuldige mich nicht,
Es bleibt bei deinem Spruch! Und halt ihn nicht
Für grausam, er ist mild. Ich ging den Weg,
Den ich wohl nimmer hätte gehen sollen,
Doch nahm ich gleich auch meinen Fluch dahin.
[56] Ich wurde reif zum Tode, denn ich sah,
Daß alles, was das Leben bieten kann,
Vergeben war, und wenn ich in der Nacht
Ihn nicht schon fand und die entweihte Schwelle
Mit meinem rasch vergoßnen Blut dir wusch,
So ist die Schuld nicht mein: ich warb um ihn.
O, hätt ich ihn ertrotzt, wie ichs versuchte,
Dann zitterte in deiner Seele jetzt
Nur noch ein Schauder vor dem Mörder nach,
Der dir das Atmen um so süßer machte,
Dein Gatte aber würde, als dein Retter,
Noch feuriger, wie je, von dir geküßt.
RHODOPE.
Und Dinge kämen, die's uns fürchterlich
Enthüllen würden, daß die Götter nicht
Des Menschenarms bedürfen, sich zu rächen,
Wenn eine Schuld, die keine Sühne findet,
Weil sie im Dunkeln blieb, die Welt befleckt.
Doch, sie sind gnädig, dieser Frevel hat
Umsonst in Finsternis sich eingewickelt,
Er leuchtet doch hindurch. Das Wasser wird
Sich nicht in Feuer wandeln, wenn der Mund
Des Durstgen es berührt, das Feuer nicht
Erlöschen, wenn der Hauch des Hungrigen
Es auf dem Herde anbläst, nein, o nein,
Die Elemente brauchens nicht zu künden,
Daß die Natur vor Zorn im Tiefsten fiebert,
Weil sie verletzt in einem Weibe ist:
Wir wissen, was geschah!
GYGES.
Wir wissen auch,
Was noch geschehen muß! Vergib mir nur!

Er will gehen.
RHODOPE.
Halt! Das nicht mehr!
GYGES.
Was kann ich andres tun?
RHODOPE.
Du mußt ihn töten!
GYGES.
Ha!
RHODOPE.
Du mußt! Und ich –
Ich muß mich dir vermählen.
GYGES.
Königin!
[57]
RHODOPE.
So geh.
GYGES.
Ihn töten!
RHODOPE.
Wenn du zu mir sagst:
Jetzt bist du Witwe! so erwidre ich:
Jetzt bist du mein Gemahl!
GYGES.
Du hast gesehn,
Wie er von hinnen ging. Er sprach für sich
Kein einzig Wort, er überließ es mir,
Und ich, ich sollte – – Nein!
RHODOPE.
Du mußt es tun,
Wie ich es fordern muß. Wir dürfen beide
Nicht fragen, obs uns schwer wird oder leicht.
GYGES.
Wenn er kein Gatte war: er ist ein Freund,
Wie's keinen zweiten gibt! Kann ich ihn töten,
Weil er zu sehr mein Freund gewesen ist?
RHODOPE.
Du wehrst dich, doch es ist umsonst.
GYGES.
Was soll
Mich zwingen, wenn dein Reiz mich nicht bezwang?
Ich liebe dich, mir ist, als wäre ich
Mit einem Starrkrampf auf die Welt gekommen,
Und dieser löste sich vor deinem Blick!
Die Sinne, welche, wie verschlafne Wächter,
Bisher nicht sahn, noch hörten, wecken sich
In selgem Staunen gegenseitig auf
Und klammern sich an dich, rund um dich her
Zerschmelzen alle Formen, sonst so scharf
Und trotzig, daß sie fast das Auge ritzten,
Wie Wolkenbilder vor dem Sonnenstrahl;
Und wie ein Schwindelnder, der in den Abgrund
Zu stürzen fürchtet, könnt ich nach der Hand
Dir greifen, ja, an deinen Hals mich hängen,
Eh mich das bodenlose Nichts verschlingt!
Doch nicht mit einem Tropfen seines Blutes
Mögt ich mir diesen höchsten Platz erkaufen,
Denn selbst im Rausch vergäße ich ihn nicht!
RHODOPE.
Du kannst es mir versagen, das ist wahr! –
Verlaß mich denn!
GYGES.
Was sinnst du, Königin?
[58]
RHODOPE.
Ein Werk, das still beschlossen und noch stiller
Vollbracht wird. – Geh!
GYGES.
Versteh ich dich?
RHODOPE.
Vielleicht.
GYGES.
Du könntest?
RHODOPE.
Zweifle nicht! Ich kann und will.
GYGES.
Nun, bei den Göttern, welche droben thronen,
Und den Erinnyen, die drunten horchen,
Das darf nicht sein, und nimmer wirds geschehn!
RHODOPE.
So sagst du Ja?
GYGES.
Du weckst mich aus dem Schlummer,
Nicht wahr, wenn er in Träumen mir erscheint,
Und trotz der Todeswunde immer lächelt,
Bis mir das Haar sich sträubt.
RHODOPE.
Nicht mehr! Nicht mehr!
GYGES.
Auch drückst du einen Kuß mir auf die Lippen,
Damit ich in der Angst mich gleich besinne,
Warum ich es getan – du wendest dich,
Als obs dich schauderte bei dem Gedanken?
Das schwör mir erst!
RHODOPE.
Ich werde dein Gemahl.
GYGES.
Was frag ich auch! Ich siegte ja noch nicht.
RHODOPE.
Gilts hier denn einen Kampf?
GYGES.
Ja, Königin,
Du denkst doch nicht von mir, daß ich ihn morde?
Ich fordre ihn auf Leben oder Tod.
RHODOPE.
Und wenn du fällst?
GYGES.
So fluche mir nicht nach,
Ich kann nicht anders.
RHODOPE.
Fall ich nicht mit dir?
GYGES.
Doch wenn ich wiederkehre?
RHODOPE.
Am Altar
Wirst du mich finden, ebenso bereit,
In deine Hand die meinige zu legen,
Als nach dem Dolch zu greifen und das Band
Zu lösen, das mich an den Sieger knüpft,
Wenn er es ist!
GYGES.
Noch eh die Sonne sinkt,
[59] Entscheidet sichs! So leb denn wohl.
RHODOPE.
Leb wohl! –
Und wenns dich freuen kann, vernimm noch eins:
Du hättest mich der Heimat nicht entführt,
Um so an mir zu tun!
GYGES.
Meinst du, Rhodope?
Das heißt: ich wäre eifersüchtiger
Und neidischer gewesen, hätte mehr
Gefürchtet, weil ich wen'ger bin, als er,
Und doch beglückt es mich, daß du dies meinst,
Und ist genug für mich, mehr als genug!

Ab.
RHODOPE.
Nun Brautgewand und Totenhemd herbei!
LESBIA
stürzt herein und wirft sich Rhodopen zu Füßen.
Du Gnädige! – Vergib! – Ich danke dir!
RHODOPE
sie aufhebend.
Du wirst mir wohl nicht danken, armes Kind!
Und doch! Zuletzt! Ja, Lesbia, zuletzt!

5. Akt

Fünfter Akt

Freier Platz.
Der König tritt auf. Ihm folgt Thoas.

KANDAULES.
Du schleichst mir nach auf Schritt und Tritt. Was willst du?
Fehlt dir der Mut, mich anzureden, Alter,
Weil ich ein wenig barsch war gegen dich?
Sprich! Setze deine Rede fort! Ich will
Geduldig sein und hören, brauchtest du
Auch so viel Zeit, daß eine grüne Traube
Sich purpurn färbt, bis du zu Ende bist.
THOAS.
Herr, hab ich jemals einen Mann verklagt?
KANDAULES.
Nein, Thoas.
THOAS.
Oder einen Mann verdächtigt?
KANDAULES.
Gewiß nicht.
THOAS.
Las ich heiße Worte auf,
Wie sie im Zorn wohl auf die Erde fallen,
[60] Und warf sie dir ins Ohr und blies sie an?
KANDAULES.
Nie!
THOAS.
Nun, so werd ich doch mit siebzig Jahren
Nicht tun, was ich mit zwanzig nicht getan,
Denn über funfzig dien ich deinem Hause.
KANDAULES.
Ich weiß es, treuer Knecht.
THOAS.
Die Erde zeugt
Ja immer fort, ob man die Könige
Ermordet oder krönt, sie läßt die Bäume
Nicht ausgehn und die Beeren nicht vertrocknen,
Auch hält sie ihre Quellen nicht zurück,
Wenn man ihr einmal Blut zu trinken gibt.
KANDAULES.
Das glaub ich auch!
THOAS.
Nicht wahr? Es bliebe alles,
Wie jetzt, ich meine, was mich selbst betrifft,
Denn das ist unser Sklaven-Glück, daß uns
Ein roter Mond am Himmel wenig kümmert,
Und daß wir ruhiger, wie gierge Hunde,
Die einen Bissen zu erschnappen hoffen,
Dem Opfer zusehn und nicht ängstlich fragen,
Obs Gutes oder Böses prophezeit.
KANDAULES.
Was willst du sagen, Greis?
THOAS.
Dein Vater hatte
Mich immer um sich, einerlei, ob er
Zum Schmausen ging, ob er zu Felde zog,
Ich durfte ihm nicht fehlen, heute reicht ich
Den Becher ihm und morgen Schild und Speer.
Auch ordnete ich ihm den Scheiterhaufen
Und sammelte mit meinen steifen Fingern
Die weiße Asche in den braunen Krug.
Er hatt es so bestellt. Warum denn wohl?
KANDAULES.
Die Traube wird schon rot.
THOAS.
Du bist ihm ähnlich,
Vielleicht – ich sah dich nie das Schwert noch ziehn,
Er zog es oft und gern, zuweilen auch
Ganz ohne Grund, ich geb es zu, ja wohl,
Und doch wars gut, – vielleicht gar völlig gleich.
Drum wünscht ich dir sein Los.
[61]
KANDAULES.
Ist das nicht mein?
THOAS.
Wer weiß! Das Ende rechn ich mit dazu.
Vergib mir, Herr! Ich bin kein hurtger Kopf,
Begreife schwer, hab niemals was erdacht,
Und wer mich dumm nennt, schimpft mich darum nicht.
Doch wackre Männer kamen schon zu mir
Und fragten mich um Rat, und als ich stutzte,
Da sagten sie: der schlichtste alte Mann,
Der siebzig Jahre zählt und seine Sinne
Behielt, versteht von manchen Dingen mehr,
Als selbst der Klügste, der noch Jüngling ist.
Nun, meine Sinne, denk ich, hab ich noch:
So hör auf mich.
KANDAULES.
Ich tu es ja.
THOAS.
Und quäle
Mich nicht um Gründe, glaube nicht, daß ich
Gleich unrecht habe, wenn ich auch verstumme,
Weil ein Warum von so und so viel Drachmen
Mir fehlt, wenn du mein Wort zu wägen denkst.
Du kannst ja auch die Vögel, die nicht fliegen,
Wie dirs gefällt, wenn sie dein Seher fragt,
Durch einen einzgen Schuß von deinem Bogen
Zerstreun, und mancher hats im Zorn getan.
Doch kommt das Unglück darum weniger,
Das sie verkündeten? So sprich denn nicht:
Was willst du? Er ist tapfer, brav und treu!
Ich weiß es selbst und wills sogar beschwören,
Allein ich warne dich nur um so mehr:
Nimm dich in acht vor Gyges!
KANDAULES
lacht.
THOAS.
Dacht ichs doch!
Ich sags dir noch einmal: nimm dich in acht!
Versteh mich aber recht. Ich sage auch:
Er wird dir nimmer nach der Krone greifen,
Er wird dich mit dem letzten Tropfen Bluts
Verteidigen, und dennoch ist er dir
Gefährlicher, als alle, die sich gestern
Mit Blicken oder Worten gegen dich
[62] Verschworen haben! Ei, die tun dir nichts,
Wenn er nur nicht mehr da ist! Darum schaffe
Ihn fort, sobald du kannst. Denn, wenn er bleibt
Und mit den Kränzen, die er sich errang,
Noch länger so herum geht unter ihnen,
Kann viel geschehn.
KANDAULES.
Du meinst?
THOAS.
Ich seh es ja!
Das flüstert und vergleicht! Das zuckt die Achseln,
Das ballt die Faust und nickt sich heimlich zu!
Du hast sie gar zu schwer gekränkt. Und wird
Der Grieche, wenn er morgens beim Erwachen
Auf einmal über deine Krone stolpert,
Weil man sie ihm des Nachts zu Füßen legte,
Sie noch verschmähn? Da wär er ja ein Tor.
Es ist genug, daß er dich nicht beraubt,
Beerben darf er dich, und wird er dich.
Ei, seine Zeichen stehn, du glaubst nicht, wie!
Sonst schimpften sie ihn einen Zitherspieler
Und meinten, wie denn ich es selber meine,
Daß nur die Vögel süße Kehlen hätten,
Die arg verkürzt um ihre Klauen sind:
Jetzt ist er ihnen, weil er singen kann,
Wenn noch nicht Phöbus selbst, so doch sein Sohn!
KANDAULES.
Das wundert dich? Er hat sie ja besiegt!
Wie könnte denn ein Mensch ihr Sieger sein.
THOAS.
Gleichviel! Doch er ist wirklich brav und treu,
Drum folge mir. Dann gehts vielleicht noch gut,
Wenn nicht die Götter eine Strafe senden,
Und übers Jahr versöhnst du die und uns!
GYGES
tritt auf.
THOAS.
Er kommt. Sprach ich umsonst? Herr, lächle nicht!
Selbst an der Mauer schießt Salpeter an,
Warum denn nicht das Salz der Zeit an mir?

Er zieht sich in den Hintergrund zurück.
KANDAULES.
Du hast mich mehr getroffen, als du denkst! –
Nun, Gyges?
GYGES.
Herr, ich habe dich gesucht.
[63]
KANDAULES.
Ich dich nicht weniger. So sag mir an:
Was bringst du mir? – Du kehrst dich schweigend ab?
Was es auch sei: ich bin auf viel gefaßt!
GYGES.
O, hättest du mein Opfer angenommen!
KANDAULES.
Ich werde nie bereun, daß ichs nicht tat.
Doch, wär es auch geschehn, was hätts gefrommt?
Ihr Argwohn hatte unauslöschlich schon
Des Nachts an deinem Seufzer sich entzündet,
Doch hadre darum nicht mit dir, wer wäre
Ein Mensch und hätte nicht geseufzt, wie du!
GYGES.
Es war kein guter Tag, an dem der König
Von Lydien den Griechen Gyges traf.
KANDAULES.
Ich fluch ihm nicht.
GYGES.
Du hättest dich des Tigers
Wohl selbst erwehrt, der auf dich lauerte,
Und ich, mit meinem überflüßgen Pfeil,
Beraubte, statt vom Tode dich zu retten,
Dich nur des Meisterschusses.
KANDAULES.
Das ist wahr,
Ich hatt ihn wohl bemerkt und war bereit.
Doch, als ich sah, wie dir die Augen blitzten,
Die Wangen glühten, und die Brust sich hob,
Da unterdrückte ich ein stilles Lächeln
Und dankte dir.
GYGES.
So edel war er stets!
Auch da, wo ichs nicht ahnte! Kann ich denn?
KANDAULES.
Ich sah es auf den ersten Blick ja auch,
Daß du in einer größeren Gefahr
Die Tat noch kühner wiederholen würdest;
Wenn die nicht kam, so wars nicht deine Schuld!
GYGES.
Herr, sprich nicht mehr. Es ist so, wie du sagst,
Ich hätte an ein Haar von deinem Haupte
Mein Blut gesetzt, und dennoch muß ich jetzt,
So wills der Fluch, dein Leben fordern –
KANDAULES.
Mein Leben!
GYGES.
Ja, wenn sie nicht sterben soll!
Die Sonne neigt sich schon zum Untergang,
Und sieht dein Auge noch den Abendstern,
[64]
So sieht das ihrige ihn nimmermehr.
KANDAULES.
Sie will sich töten, wenn du mich nicht tötest?
GYGES.
Sie will es! Ständ ich sonst wohl so vor dir?
KANDAULES.
Kein andres Opfer kann ihr mehr genügen?
GYGES.
Ich bot das höchste, doch es war umsonst.
KANDAULES.
Da wird sie mir den Abschied auch versagen!
GYGES.
Ich fürchte, sie entflieht vor dir ins Grab!
KANDAULES.
Dann nimm mein Leben hin! – Du fährst zurück?
GYGES.
So willig gibst dus her?
KANDAULES.
Wer frevelte,
Muß Buße tun, und wer nicht lächelnd opfert,
Der opfert nicht! – Kennst du mich denn so schlecht
Und hältst mich so gering, daß du darob
Erstaunen, ja erschrecken kannst? Ich werde
Doch sie nicht zwingen, mit den Rosenfingern,
Die noch zu zart fürs Blumenpflücken sind,
Nach einem Dolch zu greifen und zu prüfen,
Ob sie das Herz zu finden weiß?
GYGES.
Du schlägst
Sogar das schirmende Gewand zurück
Und beutst mir selbst die Brust?
KANDAULES.
Ich zeige dir
Den nächsten Weg zum Ziel und ebne ihn,
Damit du, wenn du wieder vor sie trittst,
Doch irgend etwas an mir loben kannst.
Hier rauscht der Quell des Lebens, den du suchst:
Den Schlüssel hast du selbst. So sperre auf!
GYGES.
Nicht um die Welt!
KANDAULES.
Um sie, mein Freund, um sie!
GYGES
macht eine abwehrende Bewegung.
KANDAULES.
Doch, ich besinne mich, du wolltest heut
Mit eigner Hand dein junges Blut vergießen!
Den Mut erschwing ich auch wohl noch, drum geh
Und bringe ihr mein letztes Lebewohl,
Es ist so gut, als läge ich schon da.
GYGES.
Nein! Nein! Ich kam, zu kämpfen!
KANDAULES.
Ei, wie stolz!
Du kannst im Kampf mit mir nicht unterliegen,
[65] Nicht wahr?
GYGES.
Du kennst mich besser!
KANDAULES.
Nun, auch das!
Selbst, wenn ich siegen sollte, bleibt mir noch
Das andre übrig! – Ist das nicht der Duft
Der Aloe? Ja wohl, schon führt der Wind
Ihn uns vom Garten zu. Die öffnet sich,
Nur wenn die Nacht sich naht. Da wird es Zeit.
GYGES.
O, dieser Ring!
KANDAULES.
Du meinst, er wäre besser
In seiner Gruft geblieben! Das ist wahr!
Rhodopens Ahnung hat sie nicht betrogen,
Und dich dein Schauder nicht umsonst gewarnt.
Denn nicht zum Spiel und nicht zu eitlen Possen
Ist er geschmiedet worden, und es hängt
Vielleicht an ihm das ganze Weltgeschick.
Mir ist, als dürft ich in die tiefste Ferne
Der Zeit hinunter schaun, ich seh den Kampf
Der jungen Götter mit den greisen alten:
Zeus, oft zurück geworfen, klimmt empor
Zum goldnen Stuhl des Vaters, in der Hand
Die grause Sichel, und von hinten schleicht
Sich ein Titan heran mit schweren Ketten.
Warum erblickt ihn Kronos nicht? Er wird
Gefesselt, wird verstümmelt, wird gestürzt.
Trägt der den Ring? – Gyges, er trug den Ring,
Und Gäa selbst hat ihm den Ring gereicht!
GYGES.
So sei der Mensch verflucht, der dir ihn brachte.
KANDAULES.
Warum? Du tatest Recht, und wäre ich
Dir gleich, so hätte er mich nicht verlockt,
Ich hätt ihn still der Nacht zurückgegeben,
Und alles würde stehen, wie zuvor.
Drum dinge mir des Werkzeugs wegen nichts
Vom Frevel ab, die ganze Schuld ist mein!
GYGES.
Doch, welche Schuld!
KANDAULES.
Das Wägen ist an ihr! –
Auch fühl ichs wohl, ich habe schwer gefehlt,
Und was mich trifft, das trifft mich nur mit Recht.
[66] Das schlichte Wort des alt-ehrwürdgen Dieners
Hat mich belehrt. Man soll nicht immer fragen:
Was ist ein Ding? Zuweilen auch: was gilts?
Ich weiß gewiß, die Zeit wird einmal kommen,
Wo alles denkt, wie ich; was steckt denn auch
In Schleiern, Kronen oder rostgen Schwertern,
Das ewig Wäre? Doch die müde Welt
Ist über diesen Dingen eingeschlafen,
Die sie in ihrem letzten Kampf errang,
Und hält sie fest. Wer sie ihr nehmen will,
Der weckt sie auf. Drum prüf er sich vorher,
Ob er auch stark genug ist, sie zu binden,
Wenn sie, halb wachgerüttelt, um sich schlägt,
Und reich genug, ihr Höheres zu bieten,
Wenn sie den Tand unwillig fahren läßt.
Herakles war der Mann, ich bin es nicht;
Zu stolz, um ihn in Demut zu beerben,
Und viel zu schwach, um ihm es gleich zu tun,
Hab ich den Grund gelockert, der mich trug,
Und dieser knirscht nun rächend mich hinab.
GYGES.
Nein! Nein!
KANDAULES.
So ists. Auch darfs nicht anders sein!
Die Welt braucht ihren Schlaf, wie du und ich
Den unsrigen, sie wächst, wie wir, und stärkt sich,
Wenn sie dem Tod verfallen scheint und Toren
Zum Spotte reizt. Ei, wenn der Mensch da liegt,
Die sonst so fleißgen Arme schlaff und laß,
Das Auge fest versiegelt und den Mund
Verschlossen, mit den zugekrampften Lippen
Vielleicht ein welkes Rosenblatt noch haltend,
Als wärs der größte Schatz: das ist wohl auch
Ein wunderliches Bild für den, der wacht
Und zusieht. Doch, wenn er nun kommen wollte,
Weil er, auf einem fremden Stern geboren,
Nichts von dem menschlichen Bedürfnis wüßte,
Und riefe: hier sind Früchte, hier ist Wein,
Steh auf und iß und trink! Was tätst du wohl?
Nicht wahr, wenn du nicht unbewußt ihn würgtest,
[67] Weil du ihn packtest und zusammendrücktest,
So sprächst du: dies ist mehr, als Speis und Trank!
Und schliefest ruhig fort bis an den Morgen,
Der nicht den einen oder auch den andern,
Nein, der sie alle neu ins Dasein ruft!
Solch ein vorwitzger Störer war ich selbst,
Nun bin ich denn in des Briareus Händen,
Und er zerreibt das stechende Insekt.
Drum, Gyges, wie dich auch die Lebenswoge
Noch heben mag, sie tut es ganz gewiß
Und höher, als du denkst: vertraue ihr
Und schaudre selbst vor Kronen nicht zurück,
Nur rühre nimmer an den Schlaf der Welt!
Und nun –
GYGES.
Die Sonne sinkt! Es muß so sein.
KANDAULES.
Thoas!

Er nimmt sich die Krone ab.
THOAS.
Was sinnst du, Herr?
KANDAULES.
Du wolltest mich
Ja fechten sehn, die Freude mach ich dir,
Doch dafür hebst du diese Krone auf
Und reichst sie dem, der übrig bleibt von uns!

Zu Gyges.

Wenn du das bist, so gönn ichs dir, und gern
Wird man auf deinem Haupt sie sehn! – Ei was,
Du wolltest sie nicht nehmen? Schäme dich!
Da käm sie nur an einen schlechtern Mann!
GYGES.
Herr, schwör mir, daß du redlich kämpfen willst.
KANDAULES.
Ich muß ihr zeigen, daß ich so viel Schönheit
Nicht leicht verliere. Darum schwör ichs dir.
Und du?
GYGES.
Sie lebt und stirbt mit mir! Ich muß!
Und wenn ich auch bei jedem Streiche denke:
Viel lieber einen Kuß! so werde ich
Darum doch keinen mäßigen.
KANDAULES.
So gib
Mir noch einmal die Hand! – Nun sei für mich
Ein Tiger, ich für dich ein Leu und dies
Der wilde Wald, in dem wir oft gejagt.

[68] Sie ziehen.
GYGES.
Noch eins! Aus Scham hielt ichs zurück. Sie will
Sich mir vermählen, wenn du unterliegst.
KANDAULES.
Ha! Nun versteh ich sie!
GYGES.
So wehre dich!

Gefecht, währenddessen sie sich links verlieren.
THOAS.
Er fällt! – Der letzte Heraklide fiel!

Ab, ihnen nach.
Der Tempel der Hestia.
Man erblickt in der Mitte die Bildsäule der Göttin. Rhodope kommt rechts in feierlichem Zug, mit ihr Lesbia, Hero und Karna. Es ist Abend. Fackeln.
RHODOPE.
Karna, der Scheiterhaufen wird errichtet?
KARNA.
Er ist es schon!
RHODOPE
schreitet in den Tempel und kniet vor der Bildsäule der Göttin nieder.
HERO.
Sie spricht vom Scheiterhaufen,
Anstatt vom Brautgemach?
LESBIA.
Das wundert dich?
Es muß hier erst doch einen Toten geben,
Bevor es eine Braut hier geben kann.
HERO.
Ich zittre, Lesbia. Sie fragte mich,
Als ich sie schmückte, ob in unserm Garten
Wohl giftge Beeren wüchsen –
LESBIA.
Wie?
HERO.
Und ob
Ich ihr davon nicht einge bringen könnte;
Für jede schenke sie mir eine Perle,
Und wenn es hundert wären, aber schnell
Müßt es geschehn!
LESBIA.
Und du?
HERO.
Ich sagte nein!
Da lächelte sie zwar und sprach: das konnt ich
Mir denken, morgen zeige ich sie dir,
Doch kams mir seltsam vor.
LESBIA.
Das ist es auch!
HERO.
Nun schickte sie mich fort, ich aber lauschte
Und sah, daß sie mit einem spitzen Dolch,
[69] Wie zum Versuch, ich kanns nicht anders nennen,
Den Arm sich ritzte.
LESBIA.
Hero!
HERO.
Ja, es kam
Auch rotes Blut.
LESBIA.
Entsetzlich!
HERO.
Freilich ehrt
Sie neben unsern Göttern auch noch fremde,
Die wir nicht kennen, und so ists vielleicht
Ein dunkler Brauch!
LESBIA.
Nein, nein! Wo tönt die Flöte
Und wo das Rohr? Wer singt den Hymenäus?
Wo sind die Tänzerchöre? Ich war blind!
Sie zog hinaus, um nicht mehr heimzukehren!
O, Königin, ich bitt dir ab! – Wird denn
Ein Mahl gerüstet?
HERO.
Nein! Daß ich nicht weiß!
LESBIA.
So sei der Trotz verflucht, der mich bewog,
Mich eben heut so fern von ihr zu halten,
Nun – Göttin, sie ist dein zu dieser Stunde,
So wende du ihr Herz! Ich kanns nicht mehr.
HERO.
Ja, reine, keusche, heilige, das tu! –
Und ist es nicht auch seltsam, daß sie sich,
Anstatt der ewig heitern Aphrodite,
Die strenge Hestia, vor deren Blicken
Der grünste Kranz verdorrt, zur Zeugin wählt?
LESBIA.
Ach, alles deutet aufs Entsetzlichste.
GYGES
tritt auf.
HERO.
Gyges!
LESBIA.
O, nimm ihn hin! Nur tu es nicht!
GYGES.
Mir ist, als hätt ich selbst das Blut verloren.
Das ihm entströmte! – Ich bin totenkalt.
HERO.
Wie bleich er aussieht!
GYGES.
Da ist der Altar –
An einem andern hab ich sie gesucht –
Da stehen ihre Mädchen – da ist sie –
Was nun?
THOAS
tritt auf.
[70] Ich bringe dir die Krone dar!
GYGES.
Den Lydiern gehört sie und nicht mir.
THOAS.
Den Lydiern hab ich sie erst gebracht,
Und als ihr Bote steh ich jetzt vor dir!
VOLK
von draußen.
Heil, Gyges, Heil!
RHODOPE
erhebt sich und wendet sich.
VOLK
herein dringend.
Dem König Gyges Heil!
THOAS.
Doch sei nicht stolz auf diesen Ruf, die Nachbarn
Sind in das Land gefallen, nun sollst du
Sie führen!
GYGES.
Wie?
THOAS.
Es kam, wie ich gedacht,
Er war zu mild, es fürchtete ihn keiner,
Jetzt sind sie da!
GYGES
setzt die Krone auf.
Ich zahle seine Schuld.
RHODOPE
die sich dem Gyges langsam genähert hat.
Erst deine eigne, Gyges!
GYGES.
Königin,
Sei du der Preis, der mir entgegen winkt,
Wenn ich die Feinde rings zerschmettert habe –
RHODOPE.
Nein, nein! Von mir erlangst du keine Frist! –
Wir können nicht vor meinen Vater treten,
So tritt mit mir vor Hestias Altar
Und reiche mir vor ihrem Angesichte
Die Hand zum ewgen Bunde, wie ich dir!
GYGES.
Wenn du gesehen hättest, wie er schied,
So würdest du den Schauder heilig halten,
Der mir verbeut, auch nur dein Kleid zu streifen,
Bevor ich das für ihn getan! Wem bot
Die reiche Welt so viel, wie ihm, und doch
Ging er hinaus, wie andere hinein!
RHODOPE.
Wenn er so edel in das düstre Reich
Hinunter stieg, wo keiner sich aufs neue
Mit Schuld befleckt, so werde ich ihm gern,
Und wärs auch auf der Schwelle schon, begegnen,
[71] Ja, ihm mit eigner Hand vom Lethe schöpfen
Und selbst verzichten auf den selgen Trunk.
Dich aber mahn ich: ende jetzt!
GYGES.
Es sei! –
Doch dies gelob ich dir, du teurer Schatten,
Ich zieh hinaus, so wie's geschehen ist!
RHODOPE.
Auch ich gelobte etwas!
GYGES.
Königin,
Wer einen solchen Kelch voll Seligkeit
Beiseite stellt, wie ich, und wärs auch nur
Für eine Stunde, der verdient sich ihn.
RHODOPE.
Still, still, du bist an einem heilgen Ort.

Sie schreiten zum Altar.
RHODOPE.
O Hestia, du Hüterin der Flamme,
Die das verzehrt, was sie nicht läutern kann:
Ich dank es diesem Jüngling, daß ich wieder
Vor deinem Angesicht erscheinen darf,
Und, wie das Volk zum König, so erhebe
Ich ihn, sei du mir Zeugin, zum Gemahl.

Sie reicht Gyges die Hand.

Als Morgengabe sieh die Krone an,
Die schon gebietend dir vom Haupte funkelt,
Mir aber gib den Totenring zum Pfand.
GYGES.
Den trägt der König noch an seinem Finger.
RHODOPE.
Dann hat er schon den Platz, der ihm gebührt.

Sie läßt Gyges' Hand los.

Nun tritt zurück, und halte dein Gelübde,
Wie ich das meinige! Ich bin entsühnt,
Denn keiner sah mich mehr, als dem es ziemte,
Jetzt aber scheide ich mich

Sie durchsticht sich.

so von dir!

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TextGrid Repository (2012). Hebbel, Friedrich. Dramen. Gyges und sein Ring. Gyges und sein Ring. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-3C2B-A