[97] Prosa der Liebe

1

Ehmals glaubt ich im Rausch mich flammender Liebe ergeben,
Jünglingslieder voll Gluth sang ich in schmachtendem Ton.
Besser nun kenn ich mich selbst und meide den lyrischen Dusel,
und es erhellt mir die Nacht ruhiger heitrer Genuss.

2

Leise, ganz leise vor Scham erbebte die wonnige Kleine,
als ich sie traf mit dem Kuss, den sie mir lange verwehrt,
doch dem beredten Gelispel des lautlos flüsternden Mundes
gab sie allmählich sich hin, zuckend, im Tiefsten besiegt.

[98] 3

Zum erstenmale giebst du
dich hin der vollen Lust –
drängst dich, als wolltest du mein Blut,
bebend an meine Brust ...
Zwängst dich an meine Glieder
in glühender Sinne Wuth –
ersterbend, forderst du von mir
lechzend die gleiche Gluth ...
Heil deiner jungen Wonne!
Heil deinem jungen Leib!
Auch dir erschloss das Leben sich –
Heil dir – du wurdest Weib!

[99] 4

Hast einen weiten Weg zu mir gemacht,
dein Knie ist heiss und rosig angehaucht.
Es war der Wind, der durch die Strassen ging
und deinen Schritt zu mir beflügelte,
es war die stille Gluth in deinem Herzen,
die dich so schnell in meinen Arm geführt.
Nun ruhe aus. Ich lege meine Bücher
bei Seite nun. Zu deinen Füssen kauernd –
auch ich will ruhn. Des wohligen Gefühls
mich freuend, das des Schiffers Brust durchströmt,
liegt er im Hafen seiner Heimath wieder,
schmieg ich mein Haupt an diese weichen Kniee,
die vor dem Weg zu mir erröthet sind,
die auf dem Weg zu mir so heiss geworden.

[100] 5

Wie heimlich dann im Bett an deiner Brust!
Aus Morgenträumen Arm in Arm erwacht,
bestaunen wir den lustigen Sonnenstrahl,
der keck zu solchen Heimlichkeiten drang.
Behaglich recken wir die schlafgestärkten
und schon von neuer Lust durchbebten Glieder,
und selig lächelnd schauen wir uns stumm
in Augen, die der Schlaf noch kaum verliess.
O meine süsse, weisse Hede, komm –
lass deine Haare fliessen! Diese Spitzen –
o lass mich – lass mich: du bist schöner so,
und freier schweifen meine Küsse – ah!
Zieh deine Hände von den Augen, Kind:
was schämst du dich? Der Sonnenstrahl ist keusch –

[101] 6

... O wüsstest du, wie hold mit Übermacht
das Zucken jeder Fiber dich durchwühlt,
wenn meine Lippen sprachlos Wonne flüstern
in deinen Leib ... O wüsstest du, wie wild
im Taumel deine Glieder beben lernen,
als wollten sie dem Leben sich entwinden
und ewig glühn in Wollustfieberflammen ...
O wüsstest dus! – Es ist ein Wunder, ja!
Und wer da zweifelt, wird es nimmer finden,
doch glaube nur, ach, lehne dich zurück,
gieb über deine Glieder mir Gewalt –
und wie dem Trüben, dem die Sonne langsam
aufschliesst das Herz, bis sie ihn warm durchströmt,
so wird auch dir ein unaussprechlich Glück,
berauschend ein Geheimnis sich enthüllen.

[102] 7

Dass deine Brüste hocherbaulich sind,
hat auch der Theologe tief empfunden
und will dich nun in keuscher Liebe retten.
Du gutes Kind! Welch Seelenzwist für dich!
Ich kenne das, auch ich war einmal fromm
und hab ein schönes Mädchen retten wollen.
Du armes Kind! Heut bin ich lasterhaft,
und mich entzückt dein junger, weisser Leib
weit mehr, als deine Tugend je vermöchte.
So geh zu ihm und lass dich retten. – Nein?
Mich hast du lieb, der dich nicht anders will,
als dich die gütige Natur geschaffen? Wie?
– O Kind: du bist so lasterhaft, wie ich!
In sündigen Gluthen schlingst du deine Arme
um mich, dein Mündchen spottet zügellos
des reinen Jünglings, der dich retten möchte –
dem deine Brüste hocherbaulich sind.

[103] 8

Wenn unter deinen Händen
der Leib des Weibes bebt,
wenn deines Blutes Wille nur
in ihren Adern lebt,
wenn jedes Sträuben, jede Scheu
in brünstig Sehnen sich verlor,
und hingegeben, sie zu dir,
dem Herren, dürstend schaut empor ...
dann schlürfst du erst den Feuertrank,
den Wein der Wollust dieser Welt!
Wohl mir, der diese Schale noch
randvoll an blühende Lippen hält!

[104] 9

»Von meinen Brüsten leise schlich
dein Blick und stahl sich in die Nacht?
O sage, was bekümmert dich,
woher die Thräne, unbewacht?«
– Du Weib, das mir ergeben sich
und ruht in meiner Hände Haft,
o dürft ich erst ersehnen dich,
voll zagend keuscher Leidenschaft!
Ich sehne mich nach Frühlingsthau,
zurück nach scheuem Knaben-Sinn:
– dass ich mich nicht zu sagen trau,
wovon ich heimlich selig bin.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Hartleben, Otto Erich. Prosa der Liebe. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-3804-B