Otto Erich Hartleben
Rosenmontag
Eine Offiziers-Tragödie

[206] Personen

    • Gertrude Reimann.

    • Hugo von Marschall,
    • Harold Hofmann,
    • Peter von Ramberg,
    • Paul von Ramberg,
    • Ferdinand von Grobitzsch, Oberleutnants.

    • Moritz Diesterbeg,
    • Hans Rudorff,
    • Benno von Klewitz,
    • Franz Glahn, Leutnants.

    • Fritz von der Leyen, Fahnenjunker.

    • Tiedemann, Sergeant und Oberordonnanz.

    • Drewes, Ordonnanz.

    • Heinrich Nettelbusch, Bursche von Rudorff.

    • Joseph Wachowiock, Bursche von Glahn.

    • Dr. Friedrich Meitzen, Stabsarzt.

    • August Schmitz, Kommerzienrat.

    • Offiziere, Fähnriche, Fahnenjunker und Ordonnanzen.

1. Akt

1. Szene
Erste Szene
DER RANGÄLTESTE HAUPTMANN
klopft, ohne sich zu erheben, mit dem Messer ans Glas.

Die Unterhaltung verstummt sehr schnell. Meine Herren, Herr Leutnant von Marschall bittet einen Augenblick um Gehör.

VON MARSCHALL
erhebt sich, indem er den Klemmer abnimmt.

Ja, meine Herrn ... also ... wie Sie wissen, soll auf unserem diesjährigen Fastnachtsball, den wir auf den kommenden Rosen montag angesetzt haben, ein ... wie soll ich sagen ... ein kleines Bühnenweihfestspiel stattfinden. Der »Handschuh« von Schiller! Es haben sich bereits einige Herrn in der liebenswürdigsten[207] Weise bereit erklärt, ihre Kunst in den Dienst der Sache zu stellen. Die Rollen der Tiere sind in den besten Händen – Er liest von einem Zettel. Zwei Leoparden – die beiden Herrn von Ramberg.


Peter und Paul von Ramberg die hinten an der rechtsseitigen Tafel sitzen, erheben sich gleichzeitig ein wenig von den Sitzen und verbeugen sich gegen von Marschall. Beifälliges Gelächter.
VON MARSCHALL
fortfahrend.
Das Tigertier – Herr von Grobitzsch.
VON GROBITZSCH
er neben ihm sitzt, will sich ebenfalls erheben.
VON MARSCHALL
drückt ihn sanft nieder.
Bitte, bitte! – Der Leu – Herr Hauptmann von Itzenplitz.
ALLE.
Ah!!
VON MARSCHALL
mit gehobener Stimme.

Man hat es seiner Frau Gemahlin und deren Frau Mutter bereits schonend mitgeteilt. Ein Einwand ist seitens der Damen nicht erhoben worden.

VERSCHIEDENE.
Bravo!
VON MARSCHALL.
Auch die Jungfrau Kunigund ist bereits in festen Händen.
MORITZ DIESTERBEG.
Oho! Namen nennen!
VON MARSCHALL.

Der Herr wünscht nicht genannt zu werden. Benno von Klewitz rückt sich den Halskragen zurecht. Lächeln. Das Festkomitee, meine Herrn, befindet sich überhaupt nur noch in Verlegenheit in bezug auf einige bessere »Damen im schönen Kranz«. Und da möchte ich vor allem an die jüngeren Herrn Leutnants, soweit es ihnen ihre Barbierverhältnisse noch gestatten –Zwischenrufe. Lachen. – die Bitte richten, gütigst mitzutun. Vielleicht sind die Herrn, die dazu bereit sind, so freundlich und melden sich nachher bei mir. Er setzt sich, steht aber gleich noch mal auf. Ja, so ... Ich bemerke noch, daß die Kostüme für die Herren Tiere bereits bestellt sind. Die Kostüme für die Damen müßten allerdings von den Herren selbst besorgt werden. Vielleicht haben Sie irgendwelche Beziehungen, die ...


Er wird tumultuarisch unterbrochen. Alle Stimmen durcheinander. Er setzt sich.
[208]
DER RANGÄLTESTE HAUPTMANN
erhebt sich.
Mit kurzer Verbeugung. Gesegnete Mahlzeit, meine Herrn!

Alles erhebt sich und verbeugt sich, zuerst gegen den rangältesten Hauptmann, sodann untereinander.
DIE FÄHNRICHE UND FAHNENJUNKER
schnellen von ihren Stühlen auf und stehen stramm.
DER RANGÄLTESTE HAUPTMANN
verläßt in Begleitung mehrerer anderer Offiziere das Kasino.

Während die Herren rechts abgehen, setzen sich die übrigen nach und nach wieder. Die Ordonnanzen haben inzwischen brennende Kerzen auf die Tafel gestellt. Mehrere Herren zünden sich Zigarren an. Eine Ordonnanz kommt mit einem Tablett mit Kaffee, eine andere mit einem Tablett Likör. Es wird serviert. Hinter der Ordonnanz mit dem Likör steht eine dritte Ordonnanz mit einem Notizbuch in der Hand und macht sich Notizen.

DIE FÄHNRICHE UND FAHNENJUNKER
gehen zunächst hintereinander in die Mitte des Zimmers, stehen stramm vor den an der hinteren Tafel Sitzengebliebenen, sodann vor denen an der linken und schließlich vor denen an der rechten Tafel.

Die Offiziere bleiben sitzen und erwidern den Gruß durch freundliches Kopfnicken. Verschiedene grüßen mit. Mahlzeit, Fähnrich. –


Die Fähnriche wenden sich zum Ausgang rechts.
2. Szene
Zweite Szene
PETER VON RAMBERG
ruft.
Fritz!
FRITZ VON DER LEYEN
der eine Fahnenjunker, der schon in der Nähe der Tür war, macht eine Wendung linksum und geht im Geschwindschritt zu Peter von Ramberg, vor dem er stehen bleibt.
PETER
legt ihm die Hand auf die Schulter.
Du weißt doch, daß Hans gleich kommt?
FRITZ.
Nein. – Gleich?
PETER.
Jetzt mit dem Zwei-Uhr-Zuge. Hast du Dienst?
FRITZ.
Von Drei bis Fünf Turnen. Muß mich auch noch umziehn.
PETER.

Na, wenn du Lust hast, komm nachher noch.[209] Wir bleiben hier sitzen, haben ein Heines Böwlchen angesetzt – sowas muß doch gefeiert werden.

FRITZ
verlegen.
Ja, sehr gern ... Ist denn ... ist denn ...
PETER.
Na?
FRITZ.
Ich meine ... alles in Ordnung wieder mit ihm? Du kennst ja meine Auffassung.
PETER
mit besonderem Nachdruck.
Alles in Ordnung, mein Sohn. Alles. – Also du kommst! Grünschnabel ...
FRITZ
reserviert.
Wenn ich kann ...
PETER.
Natürlich kannst du. Also auf Wiedersehn!

Er reicht ihm die Hand.
Fritz verabschiedet sich vorschriftsmäßig und geht rechts ab.
3. Szene
Dritte Szene
VON GROBITZSCH
hat sich während des Vorigen mit der Zigarre am Ende der linken Tafel niedergelassen, wo noch die leeren Kuverts stehen.

Laut. Vorwärts, Ordonnanz, räumen Sie mal hier schleunigst ab! Hier wird Skat gespielt. Marschall! Glahn! Keine Müdigkeit vorschützen. Er sieht nach der Uhr. Hab nicht viel Zeit! Zu einer anderen Ordonnanz. Also! Karten, Karten, Skatblock. Für zehn Pfennige Bier und noch einen Kurfürstlichen ... Vorwärts, vorwärts!

PETER
auf der rechten Seite.
Ordonnanz.
EINE ORDONNANZ.
Jawohl, Herr Leutnant!
PETER.
Hierher mit der Bowle!

Er weist auf das Ende der rechten Tafel.
ORDONNANZ.
Bowle?
PETER.
Fragen Sie Tiedemann, der weiß Bescheid.
TIEDEMANN
die Oberordonnanz, kommt von links.
PETER.
Tiedemann, Menschenskind! Es ist ja höchste Zeit! Hierher!
TIEDEMANN.
Sofort, Herr Leutnant.

Eilt wieder links ab.
Währenddem sind die meisten Offiziere teils rechts, teils links vorn abgegangen. Die hintere Tafel wird
nach und nach leer. Vorn, an [210] der rechten Tafel haben sich die leiden Brüder Peter und Paul von Ramberg mit Moritz Diesterbeg und Benno von Klewitz zusammengesetzt. Zwei Plätze am Ende der Außenseite bleiben frei, darauf folgt Peter. Diesem gegenüber an der Innenseite Moritz, dann Benno und am Ende Paul. Vorn an der Schmalseite der rechten Tafel nimmt später der Dr. Meitzen Platz, der, einstweilen noch allein, rauchend im Hintergrunde auf und ab geht. – Am Ende der linken Tafel haben sich von Grobitzsch an der Außenseite, von Marschall ihm gegenüber und Franz Glahn an der Schmalseite zum Skat niedergelassen. Ordonnanzen kommen und gehen und bringen im Folgenden alles Nötige.
PETER
zu Paul.
Dieser Fritz mit seiner »Auffassung«. Lachhaft!

Paul zuckt die Achseln.
MORITZ
indem er sich setzt.
Na, was werdet ihr denn da wieder für'n Zeug zusammengebraut haben?
PETER.
Wirst schon sehn, mein Sohn. Wart's ab.
MORITZ.
Finde das unerhört, daß man das nicht mir überlassen hat.
PETER.
Beruhige dich, Teuerster, sie ist ganz nach deinem berühmten Rezept.
TIEDEMANN
kommt von links mit einer großen Bowle.
Zu den Ordonnanzen eilig. Gläser, Gläser, Gläser. Von den großen.
PAUL
mächtig.
Ha! Sie kommt, sie naht mit Willen.
PETER.
... ist voller Lieb und Lust!

Die Bowle wird auf den Tisch gesetzt. Die Skatgesellschaft links sieht sich erstaunt um.
GLAHN.
Na nu? Was ist denn da wieder los? Schon wieder ein Fest?
VON MARSCHALL.
Wissen Sie nicht?
VON GROBITZSCH
vieldeutig, mit halbgedämpfter Stimme.
Rudorff!
GLAHN
gedehnt.
Ah ... Was macht der denn? Ich denke: er hatte ein halbes Jahr Urlaub?
VON GROBITZSCH.
Nu ja. Das ist eben um. Nu kann's ja wieder losgehn –
GLAHN.
Sie meinen: mit dem Harmoniumspielen ... he?

von Grobitzsch lacht.
[211]
VON MARSCHALL.

Machen Sie keine Witze, meine Herrn. Sie haben ihn noch nicht spielen hören, Grobitzsch ... großartig, sag ich Ihnen.

VON GROBITZSCH.
Hätt er eben Organiste werden sollen.
GLAHN UND VON GROBITZSCH
lachen laut.
Die Herren am Tische rechts sind aufmerksam geworden.
VON MARSCHALL
leise.

Pst! Laut zum andern Tisch hinüber. Sagen Sie, Ramberg, wie geht's denn eigentlich Ihrem Herrn Vetter?

PAUL.
Ausgezeichnet. Danke sehr.
PETER
gleichzeitig.
Vortrefflich! Sie werden's ja gleich sehn, lieber Marschall. Harold muß gleich mit ihm antanzen.
VON GROBITZSCH.
Null!

Sie spielen weiter.
VON MARSCHALL.
Also das verdammte Nervenfieber vollständig überwunden?
PETER.
Gott sei Dank.
BENNO VON KLEWITZ.

Is sonst ne böse Sache. Geht an die Nieren. Zu Meitzen, der sich noch nicht gesetzt hat. Sie, Doktorchen, sagen Sie mal: wie heißt sowas eigentlich auf lateinisch?

MEITZEN
hinter der Tafel, rechts.
Was denn?
BENNO.

Na ja, wissen Se: so'ne kleine, klangvolle Sache so ... die den Vorgesetzten imponiert ... wo man denn gleich so auf einen Hieb drei Monat Urlaub kriegt? –

MEITZEN.
Neurasthenia cerebralis.
BENNO
das Gesicht verziehend.
Neura ... sthenia celeb ...
MEITZEN.
Cerebralis.
BENNO.
Gottverdammich!
PAUL.

Na, aber Doktor, nu kommen Sie mal her! Hier ist Ihr Platz! – Wenn Sie damals nicht gewesen wären! Sie haben ihn doch eigentlich rausgehaun!

MEITZEN
schwerfällig, indem er Platz nimmt.
Hm. Na ... seine gute Natur ... Also, es geht wirklich wieder?
[212]
PETER.
Wirklich! Er soll sich ganz famos erholt haben! Unsere gute Großmutter schrieb ganz beglückt. –
PAUL
hat inzwischen Moritz eingeschenkt.
Na – Moritz? Probier mal! Stimmt die Sache?
MORITZ
kostet und schweigt.
PAUL.
Na? Äußere dich!
MORITZ.
Nu ja, ganz schön. Mit dem Sekt seid Ihr nicht grade splendide gewesen. Hm?
PAUL.
Oho! – Ordonnanz! Dem Manne kann geholfen werden. Noch eine Carte blanche.

Ordonnanz ab.
MEITZEN.

Darf ich fragen, Ramberg, wo war denn Ihr Herr Vetter eigentlich zuletzt? Er kommt doch nicht direkt da, aus der Schweiz da ...

BENNO.
Aus dem »Dings da«?
PETER.
Nein, nein. Er war eben die letzten vier Wochen in Köln, bei unsrer Großmama ... zur Nachkur ...
MEITZEN.
Ach, so ...
MORITZ.
Kinder, ja, ich wollte, ich hätte auch so 'ne Großmama wie Ihr!
VON GROBITZSCH
ohne vom Spiel aufzusehen.
Ich nicht.
ORDONNANZ
kommt mit dem Sekt und will ihn einschenken.
MORITZ
nimmt ihm die Flasche weg.
Halt, mein Sohn, Finger weg, Beene weg, det andere jeht von alleene weg. Er schenkt ein. So!
PAUL.

Großartig! Moritz, was wären wir ohne dich!Er reicht Meitzen ein Glas. Nu probieren Sie mal, Doktor! Vom sanitären Standpunkt aus ...

MEITZEN
kostet.
Nichts dagegen einzuwenden. Truppenfrommes Getränk.
VON GROBITZSCH
indem er ausspielt, etwas gedämpft.
Sie bereiten das Bad der Wiedergeburt! – Zur Freude aller Tanten steigt er aus der Flut.
VON MARSCHALL
halblaut.
Nicht doch, lieber Grobitzsch, nicht doch ...
VON GROBITZSCH
zählt die Karten.
Laut. Sechzig! Rum! – ist kein Arrak.
[213]
GLAHN
hat ebenfalls gezählt.
Rum.
EINE ORDONNANZ
kommt von rechts.
Zu Peter. Die Herren sind da.
PETER.
Also! Endlich!

Er steht auf.
MORITZ.
Holen wir ihn ein! –

Er steht ebenfalls auf.
Peter, Paul, Benno, Moritz und Meitzen rechts ab.
4. Szene
Vierte Szene
VON GROBITZSCH
indem er die Karten auf den Tisch schlägt.
Ha! Skandal. Machen die Kerle ein Aufhebens von diesem ... ä ... Sohn seiner Großmutter.
VON MARSCHALL.

Sie wissen doch ... im Himmel ist mehr Freude über einen Sünder, der Reue empfindet, denn ... Aber lassen Sie doch die alte Frau Generalin zufrieden, was hat denn die damit zu tun?

VON GROBITZSCH.

Die!? Na! Sie sind wohl schlecht informiert? Die hat doch damals den ganzen Krempel aufgerührt. Jawohl! Nur die. Aus einer lächerlichen kleinen Mädelgeschichte hat sie 'ne große Sache gemacht. Ja, ja! – Wissen Sie denn nicht, daß sie dazumal an ihren alten Freund, den Obersten, einen herzzerreißenden Brief geschrieben hat?

VON MARSCHALL.
Ach, das munkelt man so.
VON GROBITZSCH.
Nein, nein: das ist so! Die Rambergs müssen es doch wissen.

Er lacht.
GLAHN.

Meine Meinung ist: Regiments-Kameraden sollten überhaupt niemals eine gemeinschaftliche Großmutter haben.

VON GROBITZSCH.

Sehr richtig! Ne, ne, lieber Marschall, daran ist nu nicht zu tippen! Mit dem Brief fing die Sache an. Ha! Einfach lächerlich! Dieser geknickte Troubadour und Orgelspieler – der sich bei so 'ner Lappalie gleich ein Nervenfieber holt, – – soll er sich bei seiner Großmutter bedanken! Die hat es ihm eingebrockt!

[214]
VON MARSCHALL.
Na Grobitzsch, nu sein Sie man friedlich. –: so ganz unschuldig sind Sie doch nu auch nicht.
VON GROBITZSCH
heftig.
Ich?! – Bitte! – Wieso?
VON MARSCHALL
sichtlich geniert.
Nun ja ... ich meine ... das Mädel, wie Sie sagen, diese Traute, war doch nun mal – sein Mädel.
VON GROBITZSCH.
Weiß ich. – Hm? Und? Bitte, was?
VON MARSCHALL.

Nun, mein Gott: so ernst haft, wie er die Sache doch nun mal nahm... Und sie war doch auch sonst eine ganz solide Person. Ich für mein Teil hätte da ... Na, aber streiten wir uns nicht darüber ...

VON GROBITZSCH.

Nein, nein, bitte sehr, lieber Marschall ... darauf lege ich Wert! Ich wüßte nichts, was man mir zum Vorwurf machen könnte? Nichts!

VON MARSCHALL.
Aber wer redet denn von Vorwürfen?
VON GROBITZSCH
gereizt.
Sie!
VON MARSCHALL
höflich kühl.
Na, dann revozier ich und deprezier ich – wollte wirklich gar nichts gesagt haben.
VON GROBITZSCH.
Das möcht ich mir, weiß Gott, auch ausgebeten haben!

Pause.
GLAHN.
Überhaupt, lieber Marschall – wegen so'n Mädel ... Und wenn sie noch so stolz tut ...
VON MARSCHALL.
Ja, gewiß, gewiß – lohnt sich ja gar nicht. –
GLAHN.

Übrigens, meine Herrn: da habe ich jetzt einen feudalen kleinen Käfer entdeckt – ich kann Ihnen sagen: schick – total anspruchslos – und ohne jeden Gemütsballast – rein sachlich. Ideal!

VON MARSCHALL.

Hm. Ja ... Aber, meine Herrn, ich möchte doch den Vorschlag zur Güte machen, daß wir unsern Lachs da drin ... im Spielzimmer zu Ende spielen.

[215]
VON GROBITZSCH.
Weshalb?
VON MARSCHALL.

Na, ich meine, lieber Grobitzsch, sehn Sie mal ... sein Sie doch nett. Es ist doch nicht grade nötig, daß der gute Rudorff ...

VON GROBITZSCH.
Hm?
VON MARSCHALL.
Lassen Sie ihn doch sein erstes Wiedersehn ... ungetrübt... im Kreise seiner Getreuen feiern.
VON GROBITZSCH.
Seine Getreuen ... ho! Die Rambergs seine Getreuen?
VON MARSCHALL.
Also seine Vettern! – Kommen Sie!
VON GROBITZSCH.

Fällt mir gar nicht ein. Wie kam ich denn dazu?! Meinetwegen kann er hier seine silberne Hochzeit feiern. – Wer gibt?

GLAHN.
Ich. –
VON MARSCHALL
sieht Hans und die andern eintreten.
Schnell. Aber dann bitte: Schluß der Debatte.
5. Szene
Fünfte Szene
HANS RUDORFF
junger Leutnant, Mitte der Zwanziger.

Abgerundete, fast weiche Bewegungen, in elegantem, modernem Ziviljackettanzug. Seine Gesichtsfarbe ist im Gegensatz zu der seiner Kameraden ein wenig blaß und zart. Er tritt zuerst von rechts ein. Ihm folgen Harold Hofmann, ein großer, ernster Mann mit Ordensband, Peter und Paul, Moritz, Benno und Meitzen.


Die Herren am Skattisch haben sich beim Eintritt erhoben. Hans stutzt einen Moment beim Anblick Grobitzschs. Dann geht er geschwind auf von Marschall zu, der ihm freundlich auf halbem Wege entgegenkommt und ihm die Hand reicht.
VON MARSCHALL
die Hand Rudorffs mit beiden Händen fassend und kräftig schüttelnd.
Guten Tag, lieber Rudorff. – Na, glücklich wieder angelangt?
HANS
gibt dem nähergetretenen Glahn die Hand.
Guten Tag, Glahn.
GLAHN.
Guten Tag, Rudorff.
HANS
geht auf Grobitzsch zu und reicht auch ihm die Hand.
Guten Tag.
[216]
VON GROBITZSCH
reserviert, höflich.
Guten Tag. –
PETER
laut.
Ordonnanz! Die Suppe!
PAUL.
Komm, setzen wir uns!

Er faßt Hans unterm Arm und führt ihn nach rechts.
HANS
sich die Hände reibend.
Ja, Kinder, ich habe höllschen Hunger.
PETER.
Hier. Hierher! – Alles in Ordnung.
HANS.
Ah: sieh da.
PETER.
Hier, an meine grüne Seite. Harold, du sitzt da.

Die Beiden nehmen ihn in die Mitte.
Gleichzeitig setzen sich die Herren des Skattisches wieder.
VON GROBITZSCH.
Also Glahn, Sie geben.
EINE ORDONNANZ
bringt die Suppe für Harold und Hans, eine andere Ordonnanz auf einem Tablett zwei Glas Portwein.
MORITZ
schenkt die Bowle ein.

Lieber Hans: ich muß zunächst ordnungshalber bemerken, daß diese Bowle in der ursprünglichen Anlage nicht von mir stammt.

BENNO.
Weeßte, Hans, du siehst aus, wie'n Mächen!
MORITZ
gleichzeitig.
Wie'n junger Gott!
PAUL.
Ja ja – ihm hat jetzt 'ne ganze Weile so die echte, gesunde Kommißluft gefehlt!
HANS.
Nu ja, aber wißt ihr: ich war auch verdammt auf dem Hund. –
PETER.
Aber fett bist du geworden – bei Großmuttern? – Was?
BENNO.
Das ist kein Schönheitsfehler!
MORITZ
gleichzeitig.
»Laßt wohlbeleibte Männer um mich sein!«
ORDONNANZ
bringt den zweiten Gang.
BENNO
mustert Hans mit dem Monokel.
Bei Gott! Feist wie'n Stabsoff'zier!
HANS
zu Meitzen.
Mein lieber Herr Doktor: wie gefalle ich Ihnen denn?
MEITZEN.
Gut. Wenn ich denke, wie Sie weggingen ...
HANS.
Sehen Sie! Das ist die Hauptsache!

Er schüttelt ihm die Hand.
[217]
PETER.
Na, Moritz! Unvorbereitet wie du dich hast – los!
MORITZ
steht auf, räuspert sich und Klopft ans Glas.
–: Meine Herren!
HANS.
Nur nicht feierlich, lieber Mohr! Mach's kurz!
MORITZ
ernst.

Meine Herrn! Ein halbes Jahr lang war uns unser lieber Rudorff jetzt entrissen. Wir sind eine Zeitlang in banger Sorge um seine Gesundheit gewesen. Hm. Aber auch sonst – wie sehr er uns allen gefehlt hat, brauch ich wohl nicht erst zu betonen. Nun haben wir ihn wieder in unsrer Mitte. Gott sei Dank: gekräftigt an Leib und Seele – bereit, sich wieder ganz in den Dienst des Regiments zu stellen, mit dessen Traditionen der Name Rudorff unauslöschlich verbunden ist. Meine Herren, ergreifen Sie Ihr Glas – Die Herren erheben sich. – und Stimmen Sie mit mir ein in den Ruf: unser lieber Rudorff, der würdige Enkel des ritterlichen Kommandeurs, der bei Mars-la-Tour an der Spitze unseres Regiments gefallen ist. Er hebt sein Glas gegen das Bild zwischen den Fenstern. Unser Hans – er lebe hoch! Nochmals: hoch! Und zum dritten Male: hoch!


Die Herren stimmen in das dreifache Hoch ein und stoßen erst mit ihm, dann untereinander an.
Die Herren am Skattisch links haben sich während der Rede verschiedentlich angesehen und einander aufmerksam gemacht. Nach dem Hoch legen von Marschall und Glahn die Karten aus der Hand.
VON MARSCHALL
sich halb erhebend.
Prosit, lieber Rudorff!
GLAHN.
Prosit, Rudorff.
VON GROBITZSCH
bleibt sitzen.
Prosit.
HANS
erwidert durch Kopfnicken mit dem Glas in der Hand.
HAROLD
gleichzeitig, während er mit Moritz anstößt, kopfschüttelnd.
Du kannst es doch nicht lassen, immer das alte Phrasengedresche ... Aber wir danken dir.
MORITZ
dreht sich schmunzelnd den Schnurrbart.
PETER
indem er Hans auf die Schulter klopft.
Keine Phrasen, lieber Hans, keine Phrasen! Du und das Regiment!

Er und Paul stoßen nochmals mit ihm an.
Alle setzen sich wieder.
[218]
HANS
zerstreut, mit einem Seufzer.

Ach ja ... Das sagt ihr so ... Er sitzt einen Augenblick versunken da – reißt sich dann von seinen Gedanken los und sagt forsch. Na: los! An die Gewehre! Er sieht sich die Schüssel an. Was haben wir denn da?

MORITZ.
Ein gemästet Kalb. Das hat unsere wackere Frau Lubahn extra geschlachtet – für den verlornen Sohn.
BENNO.
Und in Schnitzel zerlegt.

Lachen.
HANS
essend.
Nu, mein Benno: Du bist jedenfalls noch der Alte geblieben. Was?
BENNO.
Hoffentlich! Wozu die Neuerungen! Prost, alter Junge – in diesem Sinne!
HANS.
Prosit! Ich habe übrigens neulich auf der Reise dein Bild gesehn.
BENNO.
Mein Bild? Erlaube mal ... Wo denn?
HANS.
Im Simplicissimus.
BENNO.
Ha! Rede mir nicht von diesem Schandblatt! Ist mir schon öfter gesagt. Was kann ich dafür? Skandal!
MORITZ
der die Gläser wieder gefüllt hat und in der Folge weiter einschenkt.
G'sundheit! G'sundheit!

Alle stoßen gemütlich lachend wieder an.
BENNO.

Donnerwetter! Er sieht nach der Uhr. Zehn Minuten Drei! Er springt hastig auf. Ich habe ja um drei Uhr Abmarsch ins Gelände! – Furchtbar leid! Wiedersehn.


Er gibt Hans herzlich die Hand und eilt rechts ab.
PAUL
nimmt den Platz von Benno ein.
Na, Hans, was hast du uns denn eigentlich mitgebracht?
HANS
essend.

Ich? Nischt. – Aber Großmama – läßt euch herzlich grüßen. Sie hofft, ihr werdet fortfahren »ihr Stolz« zu sein!

VON GROBITZSCH
laut, im Ausspielen.
Machen wir!
PETER.

Da fällt mir ein – trinken wir mal auf das Wohl unserer alten Dame! Die andern Herrn dürfen sich anschließen.

[219]
MORITZ
gleichzeitig.
Causa bibendi!

Sie stoßen an.
VON GROBITZSCH
indem er seine Karten aufdeckt.
Die Sache will's. Schluß!
VON MARSCHALL
streicht das Protokoll.
Lieber Grobitzsch – da dürften Sie wohl der Leidtragende sein.
VON GROBITZSCH.
Natürlich, wie immer. Ordonnanz: die drei Bier bezahl ich.
VON MARSCHALL UND GLAHN
stehen auf und gehen nach rechts.
GLAHN
im Vorbeigehen an dem andern Tisch.
Mahlzeit, meine Herren.

Verbeugung, ab.
DIE HERRN
am rechten Tisch, ohne sich zu erheben.
Mahlzeit.
VON MARSCHALL
geht zu Hans, der sich erhebt.
Na, lieber Rudorff, nu leben Sie sich möglichst bald wieder ein in den ... Apparat.
HANS.
Danke, danke, lieber Marschall, wird sich schon machen.

Sie schütteln sich die Hände.
VON MARSCHALL
mit Verbeugung zu den andern.
Mahlzeit, meine Herren. Überanstrengen Sie sich nicht!
DIE HERRN
lachend.
Besten Dank, Mahlzeit, Mahlzeit!
VON MARSCHALL
rechts ab.
ORDONNANZ
hat inzwischen Herrn von Grobitzsch das Parolebuch gebracht und aufgeschlagen vor ihm auf den Tisch gelegt.
VON GROBITZSCH
rückt seinen Stuhl schräg und scheint sich im Folgenden in die Lektüre des Parolebuches zu vertiefen.
Bringen Sie mir noch ein kleines Glas Bier!
EINE ORDONNANZ
stellt rechts, wo Hans und Harold fertig gegessen haben, zwei Lichter auf den Tisch.
Die Herren stecken sich Zigarren an.
MORITZ
gemütlich.

Teurer Freund, nu erzähl mal – was hast du denn nun eigentlich alles erlebt? Wenn einer eine Reise tut ... Haste viel gedichtet?

HANS.
Nee! Gott sei Dank ...
MORITZ.
Schade! Sehr schade!
[220]
HANS.

Das überlaß ich von jetzt an dir, alter Bratenbarde. Aber erlebt hab ich manches. Ja, Kinder, ich habe mehr erlebt, als ihr ahnt.

MORITZ.
Oha! Also los!
HANS.
Ja, mehr als ihr ahnt – vor allem – ich habe mich nämlich ver –

Sein Blick begegnet zufällig dem Blicke Grobitzschs. Er stockt.
PETER.
Na?
HANS.
Ich habe mich – verdammt nach euch gesehnt.
MORITZ.
Kleiner Schäker.

Lachen und Anstoßen.
HAROLD
ernst.

Hm. – Du, Hans, was ... sagst du denn dazu, daß du ... hm ... daß du ... hm ... daß man dich in die Kaserne getan hat?

HANS.
Du lieber Gott! Kaserniert oder nicht kaserniert. Wenn's Kind nur Luft hat.
MORITZ.
So die echte, garantiert reine Kasernenluft.
PAUL.
Feine Sache. Übrigens: laß man gut sein, Vetter. Das Wohnen in der Kaserne hat auch seine Vorzüge.
HANS.

Ach natürlich, was macht denn das. Wenn's weiter nichts gäbe. Ich glaube übrigens kaum, daß es lange dauern wird. Ich habe dazu meine ganz bestimmten Gründe ...

HAROLD.
Wieso?
HANS
nach einigem Schweigen.

Wer weiß. Hoffentlich ... löst mich bald ein jüngerer korrektionsbedürftiger Dachs ab. Macht ja nichts. Macht ja nichts.

HAROLD.
Hm. Ja. – Und was ... hm ... Was sagst du denn zu deiner neuen Kompagnie?
HANS
lebhaft.
Was?! Bin ich denn nicht bei meiner alten Kompagnie geblieben?
HAROLD.
Nein. Du bist zur siebenten gekommen.
HANS.
Aha! Seiner Majestät schneidigste Kompagnie! Da soll ich wohl ordentlich zugeritten werden. Hm?
PETER.
Ach! Was denn! Der Hauptmann Rohde [221] ist ja ein bissel ... ja ... er hat seine Eigenheiten. Aber!
HAROLD.
Na? Was denn? Aber?
PETER.

Ach was! Ich habe bei dem Mann acht Wochen gestanden und bin ausgezeichnet mit ihm ausgekommen. Man muß ihn eben zu nehmen wissen. Jedenfalls behandelt er einen als Offizier und hat seine Kompagnie großartig im Zug.

VON GROBITZSCH
erhebt sich mit dem Parolebuch in der Hand.

Beruhigen Sie sich, Rudorff – wie ich hier eben im Parolebuch lese – habe ich zunächst die Ehre ... vierzehn Tage die siebente Kompagnie zu führen. – Herr Hauptmann Rohde hat Urlaub genommen. Schweigen. Also bitte, ersparen Sie sich den Weg zu mir! Ich danke für persönliche Meldung.

HANS
steht auf und verneigt sich stumm.
VON GROBITZSCH
an dem Tisch vorbeigehend.
Mahlzeit, meine Herrn.

Er geht rechts ab. – Schweigen.
6. Szene
Sechste Szene
HAROLD
steht auf und geht schweigend um die ganze Tafel herum.
MEITZEN
steht gleichzeitig mit Harold auf.
Ja, ich ... meine Zeit ist jetzt auch herum. Mahlzeit, meine Herrn! Lieber Rudorff ...

Er drückt ihm die Hand und geht rechts ab.
HANS
breitet die Arme aus.
Ha, welche Lust, Soldat zu sein. – – Hm ... na!
HAROLD
bleibt stehen.
Eindringlich. Dummheit! Halt die Ohren steif! Bitt mir aus! Wegen solcher Lappalien ...
HANS.
Hast recht, Harold, hast recht ... Komm! Komm wieder 'ran! Lieber, alter ...
HAROLD
rechts hinten.
Nu ja ...'s is doch lächerlich –
MORITZ.
Kinder, die Bowle wird alle! Es muß schon jekippt werden!
PETER.
Ach, Mohrchen ... Du stehst grade. Klingle doch mal!
[222]
MORITZ
klingelt an der hinteren Tür links.
ORDONNANZ
kommt.
PETER.
Noch zwei Carte blanche. Und die Ananas.
PAUL.
Der Sekt erfreut des Menschen Herz!
HANS
sich von seinen Gedanken losreißend.
Ä ... was soll der Stumpfsinn! Des Lebens ungemischte Freude ward keinem Sterblichen zuteil.
DIE ORDONNANZ
bringt den Sekt.
HANS.
Also, Moritz – mische du!
MORITZ
indem er die Flaschen zusammengießt.
Erlaube mal! Wird nicht mehr gemischt! »Der Trank, der Trank, der furchtbare Trank!«
HANS
zu Peter und Paul.
Seid ihr denn immer noch so intim mit ihm?
PETER UND PAUL
gleichzeitig, schnell.
Mit wem?
HANS.
Mit ihm – dem Grobitzsch?
PETER
ein wenig verlegen.
Intim ... ach Gott, was heißt intim? Das sind wir doch nun eigentlich nie gewesen.
PAUL.
Nein ...»intim« ...?
HANS.

Na, ich danke. Vorigen Sommer, in den vier Wochen, wo ich in Erfurt war, auf Gewehrfabrik ... da schient ihr euch doch heftig angebiedert zu haben. Hm? Ich weiß noch, daß ich ganz erstaunt war, als ich wiederkam und ...

PAUL
verlegen.
Ach, damals ... das war so ...
HANS.

Na! Ich kann mir nun mal nicht helfen: mir ist der Kerl einfach ... einfach entsetzlich. Er schlägt wütend auf den Tisch. Und daß die Traute gerade auf den Menschen reinfallen mußte, das bleibt mir unerforschlich. Er faßt sich an die Stirn. Das war ... das Schwerste. Das ist immer noch ...

PAUL.
Um Gottes willen ...
PETER
gleichzeitig.
Mein Gott, nun fang bloß davon nicht wieder an! Ich denke, das war doch nun wohl endlich erledigt.
HANS
ohne auf sie zu hören.

Und ich Esel hatte sie immer für was Besonderes, für was ganz Apartes gehalten! [223] Halb für sich. Ob sie ihn ... wirklich liebgehabt hat? ...

PETER
zuckt die Achseln.
»Liebgehabt ...«
HAROLD
klopft Hans auf die Schulter.
Hans! Laß doch das! Bitte! Laß doch das! Du quälst dich ja nur.
MORITZ
singt gleichzeitig.
»Ach wie veränderlich sind Frauenherzen ...« Prost, mein Junge: darauf trinken wir!

Er stößt mit Paul an.
HANS
halb beruhigt.

Ja, ja ... Ihr habt ja ganz recht, ganz recht ... Aber eins – bitte – eins müßt ihr mir noch sagen: verkehrt er noch mit ihr?

PETER
mit einem Blick auf Paul.
Der? Ho! Da kennst du Grobitzsch flach.
PAUL
Peters Blick erwidernd.
Und das Trautchen wohl auch. Wer weiß, wen die jetzt beglückt!
HANS
gedankenlos.
»Das Trautchen?« – Und was ... sagt mir das noch: was ist aus ihr geworden?
PETER
energisch.
Den Teufel auch: woher sollen wir das wissen?
PAUL
gleichseitig.
Was geht uns das an!
HAROLD
gewichtig.

Nun reden wir überhaupt mal von was anderm! Ja?! – Mir ist es mit dem Mädchen gegangen, wie dir. Auch ich habe – obgleich ich sie nur ein paarmal mit dir gesehn habe – große Stücke auf sie gehalten. Ich hätte es ihr nie zugetraut. Aber, du lieber Gott, die Sache ist doch nun mal geschehn: sie läßt sich weder weg leugnen, denn die und die haben sie bei Grobitzsch gesehn – noch läßt sie sich beschönigen. – Und nun, zum Donnerwetter: fertig! Schluß!

MORITZ.
Bei Gott! Ich denke auch ...
HANS
reicht dem rechts hinter ihm stehenden Harold über die Schulter die Hand.
Harold setzt sich wieder an seinen Platz.
PAUL.

Großartig! – Ich habe eine Idee! Hast du denn überhaupt schon deine glückliche Ankunft nach Hause gemeldet?

HANS
nimmt sich zusammen.

Nein. – Hast ganz recht, [224] wollen wir gleich machen. Verzeiht mir, daß ich auf die alte Geschichte gekommen bin. Dummheit, aber Grobitzsch ... na ... es ist nicht grade nett vom Schicksal, daß ich zu ihm in die Kompagnie komme Habt ihr eine Postkarte?

MORITZ.
Jawohl! Sensation! Mit Ansicht von der Kaserne – allerneuste Errungenschaft. Drewes! Eine Postkarte!
ORDONNANZ
am Büfett stehend.
Eine Postkarte.

Er nimmt sie aus dem Büfett.
HANS.
Drewes?
ORDONNANZ
bringt die Postkarte auf einem Teller.
HANS.
Sie heißen auch Drewes? Sind Sie wohl verwandt mit meinem alten Burschen, dem Wilhelm?
ORDONNANZ
stramm stehend.
Jawohl, Herr Leutnant, das war mein Bruder.
HANS.
Na, wie so: jetzt nicht mehr?
ORDONNANZ.
Er ist tot, Herr Leutnant. –
HANS.
Tot ...

Er schüttelt den Kopf.
ORDONNANZ
geht nach links ab.
HAROLD.

Wußtest du das nicht? – Der arme Kerl ist im Manöver ... Typhus ... Lazarett ... nach vierzehn Tagen war er tot.

HANS.
Hm. – Treue Seele. – Weg. Merkwürdig. Der auch... Die ganze Zeit ...
PAUL
schiebt ihm die Karte hin.
Na, los. Schreib mal! Sonst kommt sie nicht mehr mit.
HANS
nimmt die Karte und schreibt.
PETER
sieht ihm zu, sehr erstaunt.
Was?! »An Fräulein Katharine«?
HANS.
Ja, so!

Er lächelt, klopft ans Glas und erhebt sich.
MORITZ.
Aha! –

Er winkt der Ordonnanz herauszugehen.
PAUL.
Endlich!

Drewes hinten links ab, schließt die Tür.
MORITZ.
Der Geist kommt über ihn.
[225]
HANS.
Meine lieben Kerls! In wißt, ich bin nicht so'n geborner Redner, wie unser guter Moritz ...
MORITZ.
Oho!
HANS.

Aber, nicht wahr? Manchmal kann man nicht umhin. Es hat in dem verflossenen halben Jahre manchen Tag gegeben, an dem ich nicht glaubte – daß ich nochmal so unter euch stehen würde. Und das nicht bloß während meiner Krankheit – auch noch nachher ... Ein Dolch – wißt ihr? – ein wundervoller, fester, dreikantiger Dolch lag Tag und Nacht ... Er wird lebhaft unterbrochen und stutzt, wie aus entfernten Gedanken zurückgerufen. Wie? Ja, ja – schon gut. Ihr könnt das schwer verstehn, vielleicht ... ich wünsch es bei Gott keinem von euch, solche Zeiten durchzuma chen. – Na aber Gott sei Dank: das ist über wunden... in harten Kämpfen, ehrlich, siegreich überwunden ... für immer!

PETER UND PAUL.
Bravo!
HANS.
Ich stehe wieder unter euch! Ich gehöre zu euch!
ALLE.
Bravo! Bravo!
HANS.

Und ihr gehört auch zu mir! Wenn ich daran noch den geringsten Zweifel gehabt hätte, so würd er mir heute genommen sein durch den herzlichen und echt kameradschaftlichen Empfang, den ihr mir bereitet habt. Ich danke euch aus vollem Herzen. – Ich weiß wohl – hab's ja bereits zur Genüge gemerkt, daß mir für die nächste Zeit manches Unangenehme und Bittere bevorsteht. Aber alle Maßregelungen – mag ich sie nun verdient haben oder nicht, können mich nicht mehr wankend machen in der Treue zu meinem Beruf. Ich bin Soldat – wie es mein Vater – wie es mein Großvater war. Ich bin von Herzen glücklich darüber, daß ich im Regiment geblieben bin – in dem Regiment, dem sie beide angehört haben, und ich hoffe, mich ihrer würdig zu zeigen. – Das Regiment! Hurra! Hurra! Hurra!

[226]
ALLE
erheben sich und stoßen mit ihm an, indem sie in das Hurra einstimmen.
Sie trinken aus und schütteln ihm die Hand.
MORITZ.
Junge, alter Junge! Dabei nennt er mich einen Redner!
PETER
klopft ihm auf die Schulter.

Bravo, lieber Vetter. Siehst du: so gefällst du mir! Sollst mal sehn, nun geht alles wie geschmiert. Einrangiert ...

PAUL.
Einrangiert!
HANS
lustig.

Ha, Moritz, was?! Ich rede wie der Vogel singt. Harold, liebster Kerl, mach doch nicht so'n brummiges Gesicht! Einschenken, Moritz, einschenken, dalli, dalli, – ich habe noch was auf dem Herzen!

PETER.
Noch nicht zu Ende?
MORITZ
gleichzeitig.
Oho – noch 'ne Rede?
HANS.
Ne, ne – nur... nur 'ne vertrauliche Mitteilung. »Geheim!«
PETER.
Hört, hört!
HANS.

Ich war schon vorhin nahe dran, es euch zu sagen. Nur der Anblick eines älteren Kameraden hat mich daran gehindert. Aber jetzt – Er sieht nach der linken Tafel hinüber. – wo die Luft rein ist ... wo wir unter uns sind ... Also – haltet euch fest! Ich, Hans Rudorff, habe mich vor acht Tagen – in Köln am Rhein verlobt – verlobt – und ich – bitte Sie, meine Herrn, ihre Gläser zu ergreifen – und mit mir anzustoßen auf das Wohl meiner Braut: Fräulein Käthe Schmitz – sie lebe hoch! hoch! hoch!

ALLE
stimmen ein, trinken aus und schütteln ihm die Hand.
Donnerwetter! Gratuliere! Herzlichen Glückwunsch! Heil! Heil! Ah, daher das Fräulein Katharina ...
PAUL.
Das wußt ich! – Pardon!
HANS.
Wieso?
PETER
schnell.
Dacht ich's doch! – Die Tochter vom Kommerzienrat? Was?
HANS.
Dieselbe! Wenn ihr nichts dagegen habt!
PAUL
zu Peter.
Du, Peter: wir und was dagegen haben –
[227]
PETER
unterbricht ihn.
Still! – Donnerwetter!
MORITZ
gleichzeitig.
Unglaublicher Mensch! So'n Glück!
PETER
schreit.
Sekt! Sekt! – Ordonnanz! Sekt, Ordonnanz!!
DIE ORDONNANZ
stürzt herein.
Carte Blanche?
PETER.
Was?! Pommery!!
PAUL.
Zwei Flaschen!
HANS
gibt ein Zeichen zum Schweigen.

Das heißt, meine Herrn, nicht wahr? Die Sache ist heute noch geheim – wir sind ja unter uns. Aber! Morgen Vormittag bereits werde ich den Herrn Regimentskommandeur um die Erlaubnis bitten, meine Verlobung veröffentlichen zu dürfen, und am Rosenmontag werdet ihr alle das Vergnügen und die Ehre haben, meine Braut auf dem Kasinoball persönlich kennen zu lernen.

PETER.
Hurra! Am Rosenmontag ...
ALLE
in großem Tumult durcheinander.
Der Rosenmontag ... Rosenmontag, es lebe der Rosenmontag!

Allgemeines Anstoßen. Man hört von draußen Trommeln und Pfeifen – einen Marsch. Zwei Trommeln und zwei Pfeifen.
PETER
eilt am Fenster.
Na nu, was ist denn das?
HANS.
Ach, mal auf da – die Fenster auf!

Er geht auch ans Fenster.
ALLE
begeben sich an die Fenster.
PETER
öffnet das Fenster weit.
Man sieht draußen eine Kompagnie im Begriff abzumarschieren.
KOMMANDOSTIMME
des führenden Hauptmanns laut, scharf.
Tritt gefaßt!!
HANS
verbeugt sich zum Fenster hinaus.
HAROLD
legt Hans gewichtig beide Hände auf die Schultern.
Stark. Hast du verstanden, Hans? » Tritt gefaßt!«
HANS.
Ich hab es verstanden, Harold – ich hab es verstanden.

Er umarmt ihn.

2. Akt

1. Szene
Erste Szene
HANS
hastig von rechts vorn.
Er sieht sich im Zimmer um und bemerkt Heinrich. Heinrich! – Heinrich!!
HEINRICH
fährt aus dem Schlaf auf.
Erschrocken, verschlafen. Herr Leutnant. Er springt auf.
HANS.

Kerl! Wo steckst du denn? Habe dich schon in der Burschenstube gesucht. Was fällt dir denn eigentlich ein?! Mein Sofa ... Bist wohl toll geworden?

HEINRICH
schlaftrunken.
Herr Leutnant ... haben um Zwölf Ronde.
HANS.
Weiß ich. Nu mach mal schleunigst Licht: Steck die Lampe an! Vorwärts!
HEINRICH
steckt auf der Kommode links die Lampe an.
HANS
nimmt den Paletot vom Stuhl und hängt ihn in den Kleiderschrank.
Mein Schwiegervater kommt gleich.
[229]
HEINRICH
erschrocken, pustet das Licht aus.
HANS.

Steck mal sofort das Licht wieder an und stell's aufs Klavier! Und die beiden Klavierleuchter auch anstecken! Er nimmt Helm und Schärpe und trägt sie in den Vorraum. Er sieht die Weckuhr. Und hier da, das Dings da, den Wecker – weg damit – auf die Kommode.

HEINRICH
fährt alle seine Befehle hastig aus.
HANS
sieht sich im Zimmer um.

So ... Halt! Hätt ich ja bald die Hauptsache vergessen! – Er holt aus der Fensternische eine Staffelei, die er vor dem Fenster am Klavier aufstellt. Das Bild! Bring mal das Bild!

HEINRICH.
Welches Bild meinen Herrn Leutnant?
HANS.
Na, was ich vorhin rüber geschickt habe. Esel. Wo hast du's denn gelassen?
HEINRICH.
Ach!

Er eilt zum Vertiko rechts, an das das in Papier eingeschlagene Bild angelehnt ist.
HANS
kommt ihm entgegen.
Gib her! Er nimmt ihm das Bild ab, reißt das Papier ab und gibt es ihm. Weg mit dem Papier!
HEINRICH
nimmt das Papier öffnet die Schlafzimmertür und wirft es ins Schlafzimmer.
HANS
stellt das Bild, eine ziemlich große Platinotypie in Goldrahmen, auf die Staffelei – tritt einen Schritt beobachtend zurück und richtet die Staffelei so, daß sie ordentlich beleuchtet ist.

– Er geht an den Ofen. Natürlich, ausgegangen. Schleunigst wieder anmachen! Es ist eine Bullenkälte hier. – Und wenn du dann geheizt hast, gehst du in die Kantine und sollte da schon geschlossen sein, ins Kasino und holst zwölf Flaschen Bier.

HEINRICH.
Jawohl, Herr Leutnant.
HANS
geht zur Tür.
Halt! Gläser! Wieviel haben wir denn noch?
HEINRICH.
Eins, Herr Leutnant.
HANS.

Eins? Dann gehst du also zum Ökonomen und sagst: ich ließe ihn um zehn Biergläser bitten. So. Und nun schnell, schnell: ich komme gleich wieder.


Hastig rechts vorn ab.
2. Szene
[230] Zweite Szene
HEINRICH
reckt die Arme und gähnt.
Ach ja! – »Schnell, schnell!« –

Er sieht in den Ofen und gähnt wieder. Langsam geht er zur Tür.
JOSEPH WACHOWIOCK
steckt den Kopf durch die Tür.
Na, Rudorff, wat is denn hier noch los?
HEINRICH
phlegmatisch.
Es ist chut, daß du kommst, Glahn. Sag mal, habt ihr denn woll noch en bißgen Feuer im Ofen?
JOSEPH.
Wir? Natürlich! Bei uns wird jetzt jede Nacht durchgearbeitet. Ahnst du, wie wir streben?
HEINRICH.

Ach du, dann holst du mir woll 'ne Schippe voll rüber. Ich soll nämlich noch Bier holen und Gläser holen und ... unser Schwiegervater kommt noch.

JOSEPH.
Ooch noch. Na weil du's bist.
HEINRICH.
Aber schnell, schnell, schnell ...
JOSEPH.
Nu ja doch! Ick loofe ja schon.

Er eilt rechts ab.
HEINRICH
geht zum Sofa und läßt sich in die Sofaecke nieder.
Ach ja!

Er gähnt.
JOSEPH
kommt eilends zurück mit einer Schaufel glühender Kohlen, die er schnell zum Ofen trägt.
Nanu? Du hast's ja recht eilig.
HEINRICH
erhebt sich.
Ich hatte so bannig fein jepennt ...

Er geht ins Schlafzimmer.
JOSEPH
heizt ein.
Wenn du nur pennen kannst, oller Dachs ...
HEINRICH
kommt mit einem großen braunen Korb zurück und geht zur Korridortür.
JOSEPH
am Ofen beschäftigt.
Du, Rudorff! Wat is denn det für 'n Schwiegervater?
HEINRICH
schläfrig.

Ich weiß nicht. Wie sie so sind. Man hört plötzlich entfernte Musik. Er fährt zusammen. Herrjeses! Da kommen sie ja schon.


Er eilt zum Korridor ab. Die Musik kommt langsam näher. Sie spielt den Radetzkymarsch.
[231]
JOSEPH
springt vom Ofen auf, eilt auf die Tür vorn rechts zu, öffnet sie den ihm entgegenkommenden Offizieren und bleibt im Türrahmen stramm stehen.
3. Szene
Dritte Szene
PETER
der sich die große Pauke umgehängt hat, voran.

Ihm folgt Paul mit dem Becken. Darauf mehrere Musiker mit Blasinstrumenten. Sie stellen sich, indem sie weiter spielen, zwischen dem Kleiderschrank und dem Sofa in einer Reihe auf.

HANS
kommt, mit seinem Schwiegervater Arm in Arm, gleich hinter der Musik.

Sie stellen sich vor den Sofatisch. Dann folgen im Gänsemarsch: Benno, von Marschall, Moritz, Harold, Glahn und noch drei Leutnants. Alle Herren tragen bunte Papierfackeln, von Marschall bleibt anfangs in der Tür stehen und wartet, bis Hans und sein Schwiegervater vor dem Sofatisch Stellung genommen haben. Dabei tritt er nach dem Takte der Musik auf der Stelle.

VON MARSCHALL
indem er die Fackel hoch und wieder herunterhält.
Frei – – weg!

Er marschiert im Parademarsch, Kopfstellung rechts, von den andern im Abstand von zwei Schritt gefolgt, an Hans und dessen Schwiegervater vorbei. Die Herren nehmen an der linken Seite Aufstellung.
HANS
winkt die Musik ab.
Zu dem Hornisten. Blasen Sie zur Kritik!
HORNIST
gibt das Signal: »Zur Kritik«.
DIE HERREN
versammeln sich im Kreise um Hans und seinen Schwiegervater, wobei sie ihr Berittensein markieren.
Sie salutieren mit den Fackeln.
HANS.

Meine Herrn! Alles schweigt. Meine Herrn, ich bin in der glücklichen Lage, Ihnen die vollste Zufriedenheit Seiner Exzellenz, meines Herrn Schwiegervaters, über Ihr strammes Verhalten am heutigen Übungstage aussprechen zu können! – Der heutige Gefechtstag hat sich dank der vorzüglichen Anlage von selten des Herrn Oberleutnants von Marschall zu einem überaus lehrreichen gestaltet! – Meine Herren!

HEINRICH
kommt von rechts mit dem Bierkorb und Gläsern.

Er [232] stutzt, wird mit Gelächter und lautem Hallo empfangen und trägt die Sachen auf den Schreibtisch. Dort bleibt er stehen.

HANS.

Meine Herrn! Fehler sind dazu da, daß sie gemacht werden – wir wollen an ihnen lernen. Die Haltung der Herrn Offiziere war trotz der Strapazen des Tages eine musterhafte! – Der Geist, der in der Truppe herrscht, hat auf meinen Herrn Schwiegervater den wohltuendsten Eindruck gemacht – die Verpflegung wurde allen Ansprüchen gerecht. – Ich danke Ihnen, meine Herrn – ich habe mich gefreut, Sie wiederzusehn.

DIE HERREN
salutieren wieder und gehen auf den Bierkorb zu.
Alles redet auf einmal laut durcheinander.
PETER UND PAUL
bilden mit Hans und dem Schwiegervater eine Gruppe.
PETER
schlägt nochmal die große Trommel.
Die Musiker stehen bescheiden rechts.
DIE HERREN
trinken von dem Bier, teils aus Gläsern, teils aus der Flasche.
HANS
ruft.
Benno bitte! Bring uns doch mal Bier!
BENNO
bringt zwei Glas Bier.

Herr Kommerzienrat! Erlauben Sie, daß ich noch einmal mit Ihnen anstoße! Wie ein guter Freund von mir schon auf Kriegsschule zu sagen pflegte: die einzigen Zivilpersonen, mit denen der Offizier verkehren sollte, sind die Schwiegerväter und die Mädels – Pardon! Pardon! Die Damen!

SCHMITZ
stößt gutmütig lachend mit ihm an.
Ja ja, lieber Herr von Klewitz, man merkt es: der Karneval liegt uns schon allen im Blute, was?
BENNO.
Liegt in der Luft, jawoll, Herr Kommerzienrat!
HANS.
Aber willst du dich nicht setzen, lieber Papa ...
SCHMITZ.
Ach nein, ich möchte doch erst auch noch ein paar Worte ...
HANS.
Aha! Zu dem Hornisten. Achtung! Blasen Sie: »Achtung«!
HORNIST
gibt das Signal: »Achtung«.
[233]
HANS.
Seine Exzellenz bittet die Herren noch einmal ...

Alles schweigt.
SCHMITZ
ernst, anfangs beinah schüchtern, mit Wärme.

Meine lieben, verehrten Herrn Leutnants! Ich bin zwar nie Soldat gewesen ... Und ich habe während meines ziemlich bewegten Lebens eigentlich nur recht wenig mit dem Militär zu tun gehabt. Er räuspert sich. Aber ich kann Ihnen nur sagen, daß mich die nette, liebenswürdige Art, mit der sie mir heute entgegengekommen sind, einfach ... einfach ... wie soll ich sagen? – entzückt hat. Ich danke Ihnen von Herzen dafür! Ich kann Ihnen wirklich nur sagen, daß ich stolz darauf bin, daß mein Schwiegersohn, mein lieber Hans, einem wirklich so reizenden Kreise angehört. Sein Sie versichert, daß ich diesen köstlichen, gemütlichen Nachmittag in Ihrem Kasino niemals vergessen werde, und wenn Sie mal nach Köln kommen, so hoffe ich, werden Sie sich meiner erinnern und nicht an meiner Tür vorübergehn. Beifälliges Gemurmel. Mit etwas erhobener Stimme fortfahrend. Wahrhaftig, meine Herrn! So lange unsre Armee solche frische, lebensfrohe und ritterliche Offiziere hat, in denen ein so guter deutscher Geist lebt – so lange wird unser teures deutsches Vaterland blühen, wachsen und gedeihn und stark sein gegen äußere und innere Feinde! Allgemeines lebhaftes Bravo. Gesteigert. Und darum, meine Herren, gestatten Sie mir, als schlichtem Kaufmann, in dieser Stunde ein Hoch auszubringen ... ein Hoch auf das starke Band, das unser gesamtes wirtschaftliches und nationales Leben kraftvoll zusammenhält – das starke Band, unsere herrliche deutsche Armee – sie lebe hoch! hoch! hoch!


Dreifacher Tusch. Alles stimmt begeistert ein.
HANS
indem er Schmitz die Hand schüttelt.
Lieber Papa, du beschämst uns – verzeih nur den Unsinn, den wir treiben!
SCHMITZ.

Aber ich bitte dich, lieber Hans! Das gehört doch dazu ... Er sieht nach der Uhr. So. Na und ... Wie spät ist es denn jetzt eigentlich?

[234]
HANS
ebenfalls nach der Uhr sehend.
Oh, du hast noch Zeit, Papa ...
SCHMITZ.

Na? – Ich muß noch ins Hotel ... Wenn wir noch ein paar Worte zusammen reden wollen ... Und du hast um Zwölf Ronde, hab ich gehört?

VON MARSCHALL.
Wollen Herr Kommerzienrat wirklich diese Nacht noch zurückfahren?
SCHMITZ.
Ja, ja, mein lieber Herr von Marschall. Leider. Auch unsereins hat seinen Dienst. Ja ...
VON MARSCHALL.
Na dann gestatten Sie wohl, Herr Kommerzienrat, daß wir uns von Ihnen verabschieden.
PETER
hängt Benno die große Trommel um.
PAUL
gibt einem anderen jungen Offizier die Becken.
SCHMITZ.
Adieu, lieber Herr von Marschall – auf Wiedersehn.
VON MARSCHALL.
Nun, wir haben ja recht bald das Vergnügen, Herrn Kommerzienrat wiederzusehen. Rosenmontag!
SCHMITZ.

Ja, ja, am Rosenmontag! Ja, meine Käthe und die Mama kommen ganz bestimmt, ob ich schon wieder abkommen kann ...

HANS.

Aber gewiß, lieber Papa – du mußt! Bedenke doch, welch ein Fest! Da sollst du uns erst mal kennen lernen!

SCHMITZ.
Na, will mal sehn. Sie schütteln sich nochmals die Hand. Adieu. –
VON MARSCHALL.
Adieu.
DIE ANDERN HERREN
verabschieden sich mit Verbeugung und Händedruck der Reihe nach.
VON MARSCHALL.
Musik, antreten! Benno! An die Tete! Marsch!

Paukenschlag von Benno.
Die Musik setzt sich in Bewegung und spielt einen Marsch. Alles, mit Ausnahme von Schmitz, Peter, Paul und Hans, folgt.
HANS
laut.
Harold, Moritz! Ihr kommt doch noch wieder? Ihr wißt doch, ich habe Ronde.
HAROLD UND MORITZ.
Jawohl, jawohl.

Der Zug zieht rechts ab.
4. Szene
[235] Vierte Szene
PAUL UND HANS
am Fenster, vor dem Bilde der Braut.
PETER
zu Schmitz.

Nun, Herr Kommerzienrat, nun haben Sie ja unser bescheidenes Dasein hier mit all seinen Reizen kennen gelernt. Sie sehen, wir lassen uns die Laune nicht verderben und leben stillvergnügt drauf los!

SCHMITZ.
Na, stillvergnügt ...?
PETER
lachend.

Nu ja, manchmal auch ein bißchen lustig, ausgelassen, zumal jetzt. Aber was sagen Sie zu Hans: wie der aufgetaut ist, was? Gar nicht wieder zu erkennen! Sie haben sich gewiß ebenso wie unsere ganze Familie von Herzen gefreut, daß er sich so famos wieder in die Sache hineingefunden hat!

SCHMITZ.

Ja, wirklich, das muß ich sagen! Und ich glaube, ich täusche mich nicht, mein lieber Herr von Ramberg, wenn ich ein Hauptverdienst daran Ihnen zuschreibe. Sie haben sich seiner gewiß recht angenommen.

PETER.

Das hat nichts zu sagen. Hans ist eben von Grund aus Soldat und zwar ein vorzüglicher Soldat. Er ist jetzt einfach wieder in seinem Element.Zu Hans. Nicht wahr, Hans?

HANS.
Was? – Pardon.
PETER.
Na, dein Schwiegervater meint, du fühltest dich hier wie der Fisch im Wasser.
HANS.

Gewiß, Heber Papa. – Wie der Fisch im Wasser. Nur ... Mit einer Handbewegung auf die Räumlichkeit hinweisend. – Das Bassin könnte größer sein.

SCHMITZ.

Na, die kurze Zeit als Bräutigam wirst du hier wohl noch aushalten. Später sollst du dich darüber nicht zu beklagen haben.

HANS.
Ach, das ist ja nur Scherz, Papa ...
PETER
sich verabschiedend.

Ja ... Herr Kommerzienrat: Sie haben gewiß mit Hans noch das ein oder andere zu besprechen, gestatten Sie also, daß auch wir uns empfehlen. Adieu! Also auf Wiedersehn – am Rosenmontag.

[236]
SCHMITZ.
Leben Sie recht wohl, Herr von Ramberg. Und ich danke Ihnen noch einmal herzlich: Sie wissen.
PETER.
Bitte sehr! Viele herzliche Grüße an Ihre werte Familie. – Und wenn Sie Großmama sehn –
SCHMITZ.
Danke schön.
PAUL.
Bitte gleichfalls. Adieu ...
SCHMITZ.
Adieu ...

Händeschütteln.
PETER
winkt im Abgehen Hans mit der Hand.
Na, wir sehen uns noch nachher.
HANS.
Aber bestimmt.

Die beiden Rambergs ab.
5. Szene
Fünfte Szene
HANS
sieht ihnen etwas zerstreut nach.
SCHMITZ
gemütlich.

So. Na nu gestatte mal ... nu will ich mich mal auf dein Ledersofa setzen. Er setzt sich in die Sofaecke rechts. Er will sich so recht hineinwerfen, fühlt aber, daß es hart ist. Oho!

HANS.

Ja, ja! Nicht wahr: was so'n echtes Königlich Preußisches Kasernensofa ist ... »Je mehr anderwärts Luxus und Wohlleben um sich greifen, um so ernster tritt an den Offizierstand die Pflicht heran, nie zu vergessen, daß es nicht materielle Güter sind, welche ihm die hochgeehrte Stellung im Staat und in der Gesellschaft verschafft haben.«

SCHMITZ
lachend.
Du redst wie 'n Buch.
HANS.

Das hab ich noch so von Kriegsschule her behalten. – Aber wollen wir nicht lieber ins Hotel gehn? Da ist es denn doch ...

SCHMITZ.

Weshalb? Ich find es hier sehr nett. Hotels kann ich alle Tage haben, aber in so 'ner Leutnantsstube in der Kaserne bin ich noch nie gewesen. Er sieht sich um. Riesig interessant.

HANS.
Nicht wahr ...
SCHMITZ.
Aber komm, setz dich doch auch, Hans!
[237]
HANS
setzt sich rechts auf den Stuhl.
SCHMITZ.
Komm, steck dir noch eine von den Echten an, die dir vorhin so gut schmeckten.
HANS.
Die vorletzte?
SCHMITZ.

Oh, ich hab im Koffer noch. Nimm dir nur! Von Köln werd ich dir ein Kistchen zukommen lassen. Sie zünden sich die Zigarren an. Nun sag mal: wo schläfst du denn hier eigentlich?

HANS.

Ja, sieh mal, das ist ja nun eigentlich ziemlich mangelhaft. Indem er aufsteht und die Tür rechts hinten öffnet. Das ist hier. Ein kleiner Raum. Ganz dunkel. Wie eine Gruft – wie ein Familienbegräbnis. Er schließt die Tür wieder. Licht und Luft kommen einzig und allein hier oben durch dies Fenster. Das ist verstellbar. Natürlich läßt man's den ganzen Tag offen. Lächelnd. Nu, aber, wie du so freundlich warst anzudeuten – man wird ja hier sein Leben nicht beschließen.


Er setzt sich wieder auf seinen Stuhl.
SCHMITZ.

Ja! Es ist doch ein merkwürdiges Leben ... Sag mal: deine Vettern, die Rambergs: das sind doch so eigentlich die ... die Richtigen?

HANS.
Die Richtigen?
SCHMITZ.
Nun ja ... ich meine ... für das Offiziersleben.
HANS.
Erlaube mal! Ich wohl nicht?
SCHMITZ.
Dich könnt ich mir auch anspruchsvoller denken. Aber die ... Ein paar prächtige Menschen übrigens!
HANS.
Ja, ja ...
SCHMITZ.
Deine Großmama kann sie gar nicht genug rühmen.
HANS.

Das glaub ich! Sie waren schon in Lichterfelde Musterknaben. Aber, verzeih mal, lieber Papa: das ist mir vorhin aufgefallen: weshalb ... wofür danktest du ihnen eigentlich?

SCHMITZ
verlegen lächelnd.
Ich? Ach so ... na, sie haben sich doch wohl deiner immer sehr angenommen.
HANS.
Angenommen?
[238]
SCHMITZ.
Sie stehn dir ja doch schließlich auch am nächsten.
HANS.
Nun ja, aber: »angenommen –« Na, wenn du willst ...

Pause.
SCHMITZ.
– – Das Bild von der Käthe macht sich da übrigens sehr schön.
HANS.
Prachtvoll, jawohl. Eigentlich viel zu schade für so 'ne Kasernenbude.
SCHNITZ.
Schade? Wieso?
HANS.
Ich meine nur: es paßt doch nicht so recht ... in die Umgebung.
SCHMITZ.

Hm. Ja. Na ... Pause. Hans, hör mal zu! Es ist mir peinlich, aber – ich hab's nun mal deiner Großmutter versprechen müssen – sie hat mir da so was angedeutet – so was erzählt – von einem Mädel – Gott: jeder hat ja mal in seiner Jugend ... mehr oder weniger ... seine Streiche gemacht ... sich die Hörner abgelaufen ...

HANS
schweigt.
SCHMITZ.

Also – versteh mich nicht falsch, Hans ... ich will dir nicht etwa deine Sünden vorhalten und Tugend predigen – keineswegs. Ich will nur – oder eigentlich soll nur – dich noch einmal – fra gen – du sollst mir – sagen: daß jetzt – verstehst du wohl: jetzt alles vorbei ist. Aber auch alles! – Kannst du mir das versichern?

HANS
ohne aufzusehen.
Ja, Papa: das kann ich dir mit gutem Gewissen versichern.
SCHMITZ
reicht ihm die Hand.
HANS
schlägt ein.
Es ist wirklich alles – vorbei.

Pause.
SCHMITZ.

Na, Gott sei Dank! Nun bin ich die Sache los. Ich meine: diesen peinlichen Auftrag. Ich weiß wirklich nicht, weshalb deine Großmama mit solcher Energie darauf bestand, daß ich diese feierliche Frage an dich richten sollte. Nun ja, die lieben Damen nehmen solche ... hm ... Geschichten natürlich [239] immer viel zu tragisch. Ich sagte mir ja gleich: was kann da sein! Pa! Ein junger hübscher Offizier, wie du – mein Gott: wozu sind denn die Mädels da?

HANS
steht auf – lebhaft.
Nein! – So war's nun doch nicht! – Etwas anderes war's nun doch! – Pardon!
SCHMITZ
überrascht.
Wie? –
HANS
aufgeregt.

Lieber Papa. Es ist das erste – und soll das letztemal sein, daß wir über diese Sache – miteinander sprechen. Aber da – will ich dir auch reinen Wein einschenken. Ich – ich will keine Ge heimnisse vor dir haben – du sollst die volle Wahrheit wissen. – Es ... es handelte sich nicht um das landesübliche Techtelmechtel, sondern um eine Sache, die mir beinah ans Leben gegangen wäre. –

SCHMITZ.
Aber, Hans, du bist ja ganz ...
HANS
läßt ihn nicht aussprechen.

Laß mich bitte, Papa. Es muß einmal heraus. Also ... Vorigen Sommer vor einem Jahre hab ich das Mädchen zuerst gesehn. In der Kirche war's ... eines Sonntags, als ich meine Leute zum Gottesdienst führte. Gertrude hieß sie, Gertrude Reimann, aus einer Handwerkerfamilie. Es lebte nur die Mutter noch. Bei der wohnte sie. – –

Ich will nicht leugnen, daß ich das Verhältnis anfänglich ebenso leichtfertig auffaßte und hinnahm, wie das im allgemeinen üblich ist ... aber das war nur im Anfang ... nach und nach gab es zwischen uns eine Vertrautheit und eine so wunderbare Innigkeit, wie sie in solchen Fällen wohl ganz selten ist. Das kam mir vor wie das schönste Glück. Ja! Ich vergaß ganz und gar, daß an dieser ... Liebe etwas Unrechtes und Unreines sein könnte. Wir beide lebten wie in einer anderen Welt, und wenn ich an die Zukunft dachte, dann kam mir wohl das eine oder andere in den Sinn – alles mögliche ging mir durch den Kopf – aber niemals, niemals der Gedanke, daß wir uns trennen könnten. – –

SCHMITZ
erstaunt.
Ja, Hans – aber ...
HANS.

Ja! Du schüttelst den Kopf ... verrückt, [240] verrückt! Ich weiß ja. Aber was willst du! Ich war's eben mal ... Nervös auflachend. Ehre, wem Ehre gebührt. Ich will mich nicht besser machen, als ich bin. – Er geht aufgeregt durchs Zimmer und bleibt dann wieder vor dem unruhig gewordenen Schmitz stehen. Siehst du: so Standen die Dinge, als ich vorigen Juni zur Gewehrfabrik kommandiert wurde. Ein Jahr lang, grade ein Jahr lang hatten wir so einander angehört, die Traute und ich – und vier Wochen, lumpige vier Wochen sollt ich fortbleiben. Aber das war schon zu lang!


Er lacht bitter auf.
SCHMITZ.
Ach so? – Hm. Nun ja, natürlich ...
HANS.

Die ersten vierzehn Tage schrieb sie mir noch die zärtlichsten Briefe ... dann hörte das auf einmal auf – gar nichts mehr ließ sie von sich hören, und als ich zurückkam, erfuhr ich sofort, daß sie mich in der schamlosesten Weise betrogen hatte. Und zwar mit einem Menschen – aber das gehört nicht hierher. Genug: alle Welt wußte davon. Alle Welt! Sogar der Oberst hatte merkwürdigerweise davon erfahren und hielt es für notwendig, mir nachträglich die wohlwollendsten Ermahnungen zukommen zu lassen. Na – lieber Papa: ihm hab ich damals schon mein Ehrenwort gegeben, daß die Sache tot und begraben sei! Tot und begraben!

SCHMITZ.
So. – Hm. Und sag mal, Hans ... hast du sie denn seitdem – niemals – wiedergesehn?
HANS.

Niemals! Gott sei Dank. Ja: Gott sei Dank! O, was glaubst du wohl: was ich damals für eine Wut, für eine wahnsinnige Wut am Leibe hatte! – Bei Gott, Papa, es saß verdammt tief! Ich würgte und würgte daran ... Folge war, daß ich ganz toll drauf los lebte ... sinnlos.

SCHMITZ.
Aha! Und da machte man dann Dummheiten.
HANS.

Ja. Offen gestanden, lieber Papa, es ist mir ganz recht, daß wir auch darauf kommen, damit du mich richtig beurteilst. Siehst du: das ist die einzige [241] Zeit meines Lebens, in der ich gespielt und Schulden gemacht habe: mir war einfach alles Wurscht. Ich war vollkommen außer Rand und Band und bummelte ganz kolossal. Die Folge waren dienstliche Unannehmlichkeiten, verzweifelte Stimmungen ... da wurd ich krank – zu meinem Glück vielleicht. Na ... und das Übrige – weißt du.


Pause.
SCHMITZ.
Hm. Bist du also nun zu Ende?
HANS.
Ja.
SCHMITZ
erhebt sich.

Gewichtig. Nun dann ... lieber Junge: gib mir mal zunächst deine Hand! Ich bin nun selber froh, daß die Sache zwischen uns zur Sprache gekommen ist. – So hatt ich sie mir freilich nicht vorgestellt, ich wußte nur so ungefähr, was die Rambergs damals an die Großmama geschrieben: Gott sei Dank, er ist sie los ... oder so was, aber ...

HANS
frappiert.
Die Rambergs – an die Großmama?
SCHMITZ.

Ja. – Jetzt sehe ich, daß es doch viel ernster war. Ich danke dir für deine offene, ehrliche Beichte – sie hat dir in meinen Augen gewiß nicht geschadet – im Gegenteil. Er atmet erleichtert auf und setzt sich wieder. Na! – Alles in allem kann man dir schließlich nur gratulieren, daß du die gefährliche Person so glatt losgeworden bist.

HANS.
Gefährliche Person? Wenn du sie gesehn hättest ...
SCHMITZ.

Ja, ja, ja ... laß man gut sein: soviel hab ich nun doch gemerkt: gefährlich, reell gefährlich hätte dir das Mädchen werden können. Sieh mal, so 'n Mädel, das sich mit einem Offizier einläßt, von dem sie doch von vornherein weiß, daß er sie nicht heiraten wird – wie kann denn die was taugen? Sie mag ja manchmal ganz nette und liebenswürdige Eigenschaften haben – aber im Grunde ist es doch immer wieder dasselbe. Du hast es ja erlebt. Wehe dem Manne, der sein Herz an ein solches Geschöpf hängt!

HANS
seufzend.
Du hast recht. Ich hab's erlebt. –
[242]
SCHMITZ
munteren Tones.

Na!? Nu wollen wir mal von was Erfreulicherem reden. Herrgott, war euer Fest heute nett! Hab ich mich amüsiert! Weißt du, unter uns gesagt – ich hab mir das so fidel nicht vorgestellt. In einer Kaserne!

HANS
zerstreut.
Ja, ja ... das ist ja auch ...
SCHMITZ.
Wie?
HANS.
Ja, ja! Es war wirklich sehr nett ... Es klopft. Herein!
6. Szene
Sechste Szene
MORITZ
tritt von rechts ein.
O Pardon! Ich bitte tausendmal um Entschuldigung, Herr Kommerzienrat, wenn ich störe.
SCHMITZ.

O, bitte sehr. Keineswegs, Herr Leutnant, Sie wollen Hans gewiß bis zu seinem Rondengange noch etwas Gesellschaft leisten, und für mich – Er sieht nach der Uhr. Ja für mich ist es überhaupt schon die höchste Zeit, wenn ich noch ein paar Stunden schlafen will. Um drei Uhr geht mein Zug. – Also, lieber Hans, gib mir einen Kuß –

HANS.

Aber, lieber Papa, wo denkst du hin, ich begleite dich doch natürlich ins Hotel ... schlimm genug, daß ich dich nicht auf die Bahn bringen kann.

SCHMITZ.

Laß doch, ich weiß ja Bescheid. Es ist ja hier ganz nah ... Du wirst doch deinen Kameraden nicht allein lassen.

MORITZ.

Bitte sehr, meinetwegen ... ich setze mich ein bißchen ans Klavier, wenn du gestattest ... die anderen müssen ja auch gleich kommen.

HANS
nimmt seinen Paletot aus dem Schrank und schnallt um.

Ach, natürlich geh ich mit. Selbstverständlich. Moritz, unser preisgekrönter Armeetenor, setzt sich ein bißchen ans Klavier und übt. Übe dich, Moritz, vorwärts: übe dich. »Phantasiere!«

SCHMITZ.

Na also dann: Adieu, Herr Leutnant. Vermelden Sie nochmals allen Ihren Herrn Kameraden meinen herzlichsten Dank für den schönen Abend!

[243]
MORITZ.
Ganz auf unsrer Seite, Herr Kommerzienrat.
HANS
fertig angezogen.
Du hast deine Sachen noch im Kasino, Papa, da kommen wir vorbei. Adieu, Moritz, komme gleich wieder.

Hans und Schmitz ab.
7. Szene
Siebente Szene
MORITZ
geht zu dem Bilde und betrachtet es.

Er drückt seine Zustimmung aus. Schwer vergoldet. – Er geht zum Klavier, öffnet es, wischt die Tasten ab und spielt ein paar Passagen. Dann spielt und singt er.

»Stell auf den Tisch die duftenden Reseden,

Die letzten roten Astern trag herbei

Und laß uns wieder von der Liebe reden,

Wie einst im Mai ...«

PETER UND PAUL VON RAMBERG
sind nach »von der Liebe reden« eingetreten und singen den Schluß: »wie einst im Mai« mit.
MORITZ
abbrechend.

Gott, nun stört ihr mich schon wieder! Ihr konntet nun auch 'ne Viertelstunde später kommen ... Ich bin heute grade wunderbar bei Stimme.

PETER.
Na schön. Denn sing uns mal: »Nach Frankreich zogen zwei Grenadier« – dideldum ...
PAUL.
»Die waren in Rußland gefangen.« Bum, bum ...
MORITZ.
Ach! Ihr Barbaren. – Ihr habt ja keine blasse Ahnung. Was ist das Leben ohne ...
PAUL.
Gänseleberpastete!
MORITZ.

Materialisten! Gar keinen Schwung habt ihr, gar keinen Sinn für das, was einen so über das elende Kommißdasein hinweghebt. Hans und ich sind noch die einzigen ...

PETER UND PAUL
lachen.
PETER.

Alter Salontiroler! – Ihr müßt mal zusammen was dichten, verstehste. – Jawoll: so 'n trauriges Singspiel! Er macht det Jefühl – und du [244] die Musike. – Wenn das nich zieht, zieht jarnischt mehr.

HAROLD
eintretend.
Guten Abend. – Ist Hans noch nicht zurück?
MORITZ.
Nein, er ist eben erst gegangen.
PETER.
Na? Wie gefällt er euch – der neue Schwiegervater?

Sie setzen sich.
HAROLD.
Ganz gut. Solid. Nicht zu protzig.
MORITZ.

Fideler alter Herr. Ich glaube sagen zu dürfen: eine nette, eine wertvolle Akquisition fürs Regiment! – Nun und die Braut – kennt ihr natürlich? Wie? Ich habe gehört, sie soll eine außerordentlich musikalische Dame sein.

PAUL.
Man ißt sehr gut bei ihm.
PETER.

Ich kann dir sagen: die tadellosesten Diners. – Natürlich kennen wir Fräulein Käthe. Reizender Balg – mir etwas zu oberflächlich. Ach, sie war ja schon als Kind der Liebling unserer Großmama.

PAUL.

Tadellos erzogen! Ich nähme sie sofort. Aber ach! Schon als süßer kleiner Backfisch war sie ja so verliebt in Hans ...

PETER.
Und weiß sich tadellos anzuziehn.
MORITZ.
Ich finde, das ist kein Grund, daß wir hier dursten müssen.
PAUL
springt auf und geht zum Schreibtisch.

Aber Kinder, was wollt ihr denn. Hier ist ja die schwere Menge. – Gestatten die Herren, daß ich sie bediene ... Er nimmt vier Flaschen und stellt sie auf den Sofatisch. Er schenkt ein. Ich weiß nicht, findet ihr das nun stilvoll von Hans, daß er einen bei so 'ner Gelegenheit mit Lagerbier traktiert? Aber das soll so dem Schwiegervater gegenüber nach was aussehen – als ob er Wunder wie solide wäre ... Prosit, die Herren!

PETER.

Ja, wenn man sich das so überlegt ... was doch manch einer zeit seines Lebens für 'n unverdientes Glück hat. Er kann's anstellen, wie er will. Der Hans ist ein echtes Sonntagskind!

[245]
HAROLD.
Na ...
PETER.

Erlaube mal! Er hatte sich doch – unter uns gesagt – schon böse hineingeritten. Keinen Pfennig Geld mehr, Schulden bis über die Ohren ... Und jetzt?

PAUL.
Na prost, Brüderchen: Er stößt mit Peter an. Wir sollen leben! Wir haben es ehrlich verdient.
PETER
stößt an und trinkt.

Lachend. Bei Gott! Ja! Wenn ich bedenke, was wir doch eigentlich für gute Kerle sind ... Wir haben's wirklich ehrlich verdient.

HAROLD.
Verdient? Was habt ihr verdient?
PETER.

Ach ja! Weißt du: es war nämlich immer schon der Lieblingswunsch unserer Großmutter, daß gerade die Beiden mal ein Paar würden, der Hans und die Käthe Schmitz.

HAROLD.

Donnerwetter! Eure Großmutter – alle Achtung. Die scheint bei euch so die stellvertretende Vorsehung zu spielen.

PETER
zu Harold.

Bitte, lieber Harold, keine Ironie! Die alte Frau Generalin ist tatsächlich eine ganz hervorragende Dame! Die weiß, was sie will!

PAUL.

Jawohl. Und das kann nicht jeder von sich sagen. Es gibt eben Menschen, die immer erst mit der Nase drauf gestoßen werden müssen.

MORITZ.
Die arme Nase.
PETER.

Ja, ja ... Ihr kennt ihn eben nicht. Hans ist ohne Eltern aufgewachsen. Das darf man nicht vergessen! Wir kennen ihn schließlich doch am besten. Von klein auf.

PAUL.
Und wie! Für ihn wär's auch viel besser gewesen, wenn sie ihn in die Kadettenanstalt gegeben hätten.
PETER.
Nicht jeder ist seines Glückes Schmied.
MORITZ.
Man glaubt zu schmieden und man wird geschmiedet.
HAROLD
ernst und unwillig.

Na, was denn! Das sind ja sehr schöne, weise Worte, aber ich versteh das nicht. Was soll denn das alles heißen? Ich kenne doch auch [246] meinen Hans – und wer weiß: vielleicht versteh ich ihn besser, als ihr alle zusammen.

PAUL.
Oho!
PETER.

Na nu, man nicht so hitzig! – Sieh mal, lieber Harold, die Sache ist doch ganz klar. Hans ist nun mal von Natur so 'n bißchen Schwärmer, so 'n bißchen Phantast ... er war es wenigstens ... immer.

PAUL
patzig.

Nu ja! Wenn er zum Beispiel jetzt das Mädel da, die Traute, noch am Bein hätte – so war er heute nicht der Schwiegersohn des Kommerzienrats »August Schmitz und Kompagnie«.

HAROLD.

Selbstverständlich. Daran zweifelt kein Mensch. Aber bitte: was hat das mit eurer Großmutter zu tun? Ich versteh den ganzen Zusammenhang nicht. He? Ich will euch mal was sagen! Mir paßt die ganze Art und Weise, wie ihr von Hans sprecht, schon lange nicht! Ich habe bei Gott während meiner ganzen Dienstzeit keinen Menschen kennen gelernt, der so fein, so vornehm, so nobel denkt und – fühlt, wie Hans!

MORITZ.
Bravo!
PETER
gleichzeitig.
Daran zweifelt ja auch kein Mensch.
HAROLD
ohne sich unterbrechen zu lassen, laut.

Er hat Unglück gehabt. Nu ja! Er ist in seiner Liebe – in seinem Vertraun von dem Mädel schmählich getäuscht worden. – Das hat ihm eben weh getan – verdammt weh – ich weiß das wie kein andrer. Es war eben eine Kanaille. Und es ist ja auch vielleicht ganz gut, daß es so gekommen ist – aber Himmelkreuzmillionenelement! Was hat das mit euch und eurer Großmut ter zu tun?!

PETER.
Na bitte, nu mal vor allen Dingen nicht so grob.
PAUL
gleichzeitig.
Das hat allerdings sehr viel mit uns zu tun!
HAROLD.
Bitte! Wieso?!
PAUL.
Weil wir doch ...
[247]
PETER
gleichzeitig.
Ach, lassen wir doch die Sache ruhn ...
HAROLD
energisch.
Nein, nein!
PAUL.

Weshalb denn auch? Jetzt, wo alles glücklich abgelaufen ist, können wir's doch ruhig sagen: er verdankt es doch bloß uns, daß es so gekommen ist.

HAROLD.
Euch! Ja, bitte, wollt ihr mir das nun nicht endlich erklären?
PAUL.
Nichts einfacher ...
PETER
fällt ihm ins Wort.
Paul! Laß lieber!
PAUL.

Nein, nein, laß mich jetzt. – Nichts einfacher als das. Wie Hans damals nach Erfurt ging – nicht wahr – da hatte das Verhältnis mit der Traute doch derartige Dimensionen angenommen, daß wir beide ganz klar vor Augen sahn: wenn das so weiter ging – dann ging es schief! Und wir sagten uns: im Interesse der Familie und im Interesse seiner Karriere: hier muß etwas geschehn – wir müssen ihn von dem Mädel loseisen.

MORITZ.
Aha!
HAROLD.
Ihr – müßt ...?
PETER.
Wir! Jawohl! Als Vettern und Kameraden! Wir mußten ihn loseisen!
PAUL.

Na ja! Und wir wußten ganz genau: solange die Traute ihm treu blieb – solange war nichts zu machen. Es war also gradezu eine Pflicht gegen die Familie ...

HAROLD.
Pflicht gegen die Familie.
PAUL.
Jawohl! Ihn aus den Banden dieses Geschöpfes zu befreien!
HAROLD.
»Banden dieses Geschöpfes«? Die Traute ... Na, aber weiter!
PAUL.

Was weiter? Da haben wir eben den ... »Treubruch« – gedeichselt – was denn weiter? Verstehst du denn das nicht?

HAROLD
starr.
Nein.
MORITZ.
Aber ich! Hört, hört!
PAUL.
Herrgott! Bist du schwerfällig.
[248]
HAROLD.
Oder soll das heißen, daß ihr sie – zu dem Zwecke mit – mit Grobitzsch zusammen – geführt habt?
PAUL.

Nun ja, natürlich. Lachend. Auf Grobitzsch konnte man sich doch verlassen! Es genügte ja schon sein Renommee. Na? – Uns hatte Hans sie beim Abschied feierlichst anvertraut – einen besseren Freundschaftsdienst konnten wir ihm gar nicht leisten. Heute siehst du's ja!


Pause.
HAROLD
ist aufgesprungen und geht aufgeregt durchs Zimmer.

Alle Achtung! – – Alle Achtung!! – Das ist ja eine lustige Geschichte ... Ihr seid mir ein paar wackere Kameraden!

PETER.
Ja, was willst du denn?
HAROLD.
Na – und Grobitzsch? Der machte das mit?
PETER.
Grobitzsch –

Er stockt, als er Hans eintreten sieht.
8. Szene
Achte Szene
HANS
tritt schnell ein.
Grobitzsch? Was habt ihr denn mit dem?
PETER.
O nichts ...

Pause.
HANS
gutgelaunt.

Na? – Was ist denn mit euch? Ihr sitzt ja da wie die Ölgötzen. Ach, ihr seid wohl »böse«, daß ich euch warten ließ? Entschuldigt nur. Aber erst kommt doch wohl der Schwiegervater ... Er legt ab. Übrigens: Grobitzsch – ich muß sagen: er benimmt sich wider Erwarten anständig gegen mich – wirklich, ich kann nicht klagen. Sehr fremd, aber ... Er setzt sich aufs Sofa. Schweigen. Aber mein Gott! So seid doch nicht so entsetzlich stumpfsinnig! Ist wohl kein Bier mehr da?

PAUL
holt ihm Glas und Flasche.
Bitte schön.
HANS.

Danke sehr, lieber Vetter, du bist ein Engel.[249] Prosit! Er trinkt. Ich soll euch übrigens noch grüßen – ganz speziell euch beide. Ihr habt natürlich einen vorzüglichen Eindruck auf ihn gemacht. Er ist ganz weg in euch, den ganzen Abend hat er von euch geredet. Rambergs hier und Rambergs da ...Er lacht. Na, ihr benehmt euch ja auch danach. Ha, ha! Nehmt's mir nicht übel, aber ihr tut doch grade so, als ob ihr an meinem Glücke schuld wäret – als ob ihr mich verlobt hättet.

HAROLD
kann sich nicht beherrschen.
Laut. Haben sie auch! Bedank dich nur!
PETER
schnell.
Harold?
HAROLD.

Ach was! Laßt mich zufrieden. Ich mache das nicht mit! Ich finde die Sache haarsträubend und ...! Kann mir nicht helfen!

HANS.
Harold! Was denn – was ist denn los?
PETER.
Harold, überlege dir, was du tust!
HAROLD.

Ein Schuft, der in gewissen Dingen zu überlegen braucht. Was los ist? Hier! Die Rambergs, deine lieben Vettern und Vormünder, haben die Traute an Grobitzsch verkuppelt.

PETER UND PAUL
stark.
Harold! Das ist nicht wahr!
HAROLD
ohne sich unterbrechen zu lassen.

Einfach verkuppelt – nach allen Regeln der Kunst – jawohl! – damit du frei wurdest und dich verloben konntest. Das ist los! Und dessen rühmen sie sich noch! Da mit brüsten sie sich!


Pause.
HANS
steht schweigend auf, geht nach rechts und sieht die beiden Rambergs, einen nach dem andern an.
– Still. Wie... ist das?
HEINRICH
tritt schnell vorn rechts ein mit Helm und Schärpe.
HANS
fährt ihn an.
Was willst du?
HEINRICH.
Herr Leutnant, es ist höchste Zeit zur Ronde.
HANS
sieht nach der Uhr.
Ja ... Mach schnell!

Er läßt sich anziehn.
PETER.
Lieber Hans, laß dir sagen –: was wir getan haben – haben wir lediglich in deinem Interesse getan.
[250]
HANS
indem er seinen Anzug vollendet.
Laß, laß ...Zu dem Burschen. Geh zu Bett!
HEINRICH
schnell ab.
HANS
mit der Uhr in der Hand.
Finster. Nun? Aufbrausend. Was habt ihr getan? Ihr habt die Traute ...?
PAUL
energisch.

Wir müssen uns die beleidigenden Ausdrücke von Harold auf das Entschiedenste verbitten. Sind wir etwa für Grobitzsch verantwortlich?

HANS
drohend.

Ihr erinnert euch, daß ich euch beiden die Traute damals auf die Seele band – Bei Gott! – Wenn ihr da

PETER.
Wir haben einfach –
PAUL
gleichzeitig.
Eine kleine Notlüge ...
HANS
heftig.

Halt! – Sich beherrschend, mit erzwungener Ruhe. Jetzt hab ich Dienst. Dienst. – Morgen – – Es wird sich ja alles aufklären. – Jedenfalls. – – Also – auf Wiedersehn.


Er geht zur Tür.
HAROLD
setzt seine Mütze auf.
Ich werde dich begleiten.
HANS
in der Tür.
Auf Wiedersehn.

Beide ab.

3. Akt

1. Szene
Erste Szene
HANS
in Paletot und langen Stiefeln, kommt vom Scheibenstand.
Er dreht sich in der Tür um und ruft zurück. Heinrich!

Er geht ins Zimmer und beginnt sich auszuziehn.
HEINRICH
kommt.
Er ist ihm eilig und schweigend beim Ausziehen behilflich.
HANS
nachdem er abgelegt und abgeschnallt hat, geht ins Schlafzimmer, dessen Tür er offen läßt.
Ruft heraus. Die Litewka.
HEINRICH
nimmt aus dem Kleiderschrank die Litewka und bringt sie ins Schlafzimmer.
HANS
im Schlafzimmer.
Mach Licht!
HEINRICH
kommt zurück und steckt die Lampe auf dem Schreibtisch an.
HANS
ruft.
War jemand da?
HEINRICH.
Nein, Herr Leutnant. Er nimmt einen Brief vom Schreibtisch. Aber ein Brief ist gekommen.

Er geht mit ihm zur Tür.
HANS
von drinnen.
Brief? Woher?
HEINRICH
sieht nach dem Poststempel.
Aus Köln, Herr Leutnant.
HANS.
Na laß man. Ich komme.
HEINRICH
legt den Brief auf den Tisch zurück.
HANS
kommt in Litewka und langen Hosen.
Er ist nervös erregt.
HEINRICH
zwei Briefe in Geschäftskuvert vom Schreibtisch nehmend – lächelt.
HANS.
Na, was grinst du denn, du alter Esel?
HEINRICH.
Auch zwei Rechnungen, Herr Leutnant. Eine grüne und eine blaue.
HANS
winkt ab.
Weg damit. Du weißt ja, wo die Rechnungen hinkommen.
HEINRICH
zur Kommode, zieht eine Schublade auf und wirft die beiden Briefe hinein.
HANS
setzt sich.
HEINRICH
springt herbei, kniet und knöpft ihm die Strippen zu.
[252]
HANS.
Ist das Parolebuch schon dagewesen?
HEINRICH.
Nein, Herr Leutnant.
HANS.
Weißt du schon, was morgen los ist?
HEINRICH
mit dem linken Bein beschäftigt.
Jawohl, Marschübung im Bataillon mit eingetretenen Rekruten.
HANS.
Lieblich. Sehr lieblich!
HEINRICH
ist fertig und steht auf.
HANS.
Also vorwärts! Kaffee!
HEINRICH
holt aus dem Vertiko die Kaffeemaschine usw.
und stellt sie auf den Tisch. Dann geht er ins Schlafzimmer und holt die Wasserkaraffe.
HANS
ist zum Schreibtisch getreten, hat den Brief erbrochen und liest.
Er legt ihn mit einer unwilligen Bewegung wieder auf den Tisch. Ä! – gib mir erst mal 'n Schnaps!
HEINRICH
stürzt zum Vertiko, auf dem das Schnapsservice steht.
HANS
geht zum Sofa und setzt sich in die rechte Sofaecke.
Schenk mal ein! Was kann das schlechte Leben nützen! Die Tugend siegt ja schließlich doch.
HEINRICH
bringt den Schnaps.
Gehen Herr Leutnant heute noch aus?
HANS.
Wart's nur ab, mein Sohn. Es wird sich schon alles historisch entwickeln. – Es klopft. Herein!
EINE ORDONNANZ
öffnet schüchtern die Tür und bleibt stehen.
HEINRICH
tritt hinzu und nimmt der Ordonnanz das Parolebuch ab.
HANS.
Na, zeig mal her die Bescherung. – Also, Heinrich: morgen früh sechs Uhr dreißig antreten.
HEINRICH.
Jawohl, Herr Leutnant.
HANS
hat mit dem ans Parolebuch angebundenen Bleistift seinen Namen eingeschrieben und gibt es ihm zurück.
HEINRICH
bringt es der Ordonnanz.
Ordonnanz ab.
HANS.

Ja – also nun hör mal zu, mein Sohn! Wie heißen die drei Haupttugenden eines brauchbaren Burschen? Sauberkeit ...

HEINRICH.
Sauberkeit, Pünktlichkeit und –
HANS.
Na?
HEINRICH.
Und Verschwiegenheit, Herr Leutnant.
HANS.

Verschwiegenheit. Jawohl. Was hier in [253] meinen vier Pfählen vorgeht – geht niemanden was an. Verstanden! Hier bin ich mein eigener Herr.

HEINRICH.
Jawohl, Herr Leutnant.

Bedient ihn mit dem Kaffee.
HANS.

Also – sperre deine Ohren auf. Er sieht nach der Uhr. Jetzt ist es Sechs durch. Punkt halb Sieben erwart ich den – Besuch einer jungen Dame.

HEINRICH.
Jawohl, Herr Leutnant.
HANS.

Sie weiß nicht, wo mein Zimmer ist, und weiß überhaupt nicht in der Kaserne Bescheid. Du wirst dich deshalb ein paar Minuten vor halb Sieben am Kasernentor aufpflanzen. Setzst die Burschenmütze auf, verstehste?

HEINRICH.
Jawohl, Herr Leutnant.
HANS.

Und wenn du die junge Dame kommen siehst, gehst du auf sie zu, nimmst deinen Deckel ab und fragst sie höflich, ob sie vielleicht zu Herrn Leutnant Rudorff wolle. Wenn sie dann ja sagt, führst du sie schleunigst, auf dem schnellsten Wege hierher. Du brauchst sie nicht erst zu melden, machst ihr einfach die Tür auf und läßt sie eintreten. Ganz glatt. Verstanden?

HEINRICH.
Jawohl, Herr Leutnant.
HANS.
Na: was denn?
HEINRICH.
Ich soll um halb Sieben –
HANS.
Ein paar Minuten vor halb Sieben, und wartest eventuell bis Sieben.
HEINRICH.
Soll ich das Fräulein von Herrn Leutnant –
HANS.
Das ist nicht mein Fräulein, Schaf, dummes! Ich habe gesagt: eine junge Dame.
HEINRICH.
Soll ich eine junge Dame abwarten und zu Herrn Leutnant bringen ... ohne anzuklopfen.
HANS.
Richtig. Und die Burschenmütze aufsetzen, daß sie dich erkennt. So, nun schwirr ab!
HEINRICH
ab.
HANS
trinkt Kaffee, nimmt den Brief noch einmal auf, liest und legt ihn kopfschüttelnd wieder weg.
Er stützt den Kopf in die Hand und seufzt. Es klopft. Er fährt heftig zusammen – und steht auf.
2. Szene
[254] Zweite Szene
HAROLD
ernst, in Paletot und Mütze.
Guten Abend.
HANS.
Guten Abend, Harold. Händedruck. Bitte, leg ab!
HAROLD.
Danke. Bleibe nicht lange. Sie setzen sich. – Nun?
HANS.
Rauchst du?
HAROLD.
Danke.

Er steckt sich eine Zigarre an.
HANS
nimmt nervös den Brief wieder vor.
HAROLD.
Von deiner Braut?
HANS
sieht in den Brief.
Hm – –
HAROLD.
Ihr schreibt euch wohl oft?
HANS
in Gedanken.

Hm ... Er liest. »Und dann möcht ich Dich noch fragen, ob ich zum Photographieren das meergrüne Kostüm mitbringen soll, in welchem ich Dir so gefallen habe. Papa hat übrigens Kabinett-Muschel-Format erlaubt, was jetzt so modern ist, verzeih, wenn ich jetzt schließe, aber ich bin zu Meyers zum Ten nis geladen und muß mich noch umziehn.« Er sieht Harold an. Hm?

HAROLD.
Mein Gott, was willst du! Es ist eben ein junges Mädchen.
HANS.
Ja, ja ... Ja

Er schließt den Brief in den Schreibtisch.
HAROLD.
Hör mal, Hans ... ich habe dich ... um Entschuldigung zu bitten ... wegen gestern.
HANS.
Du!
HAROLD.

Ja. Es war unrecht von mir, dir jetzt nachträglich die ... Schliche deiner Herren Vettern zu verraten. Geschehn ist geschehn ...

HANS.
Oho!
HAROLD.
Ja, Hans. Ich bereue es jetzt sehr, daß ich mich durch meine momentane Empörung hinreißen ließ ...
HANS.

Momentane Empörung? Bist du etwa jetzt nicht mehr empört? Willst du sie etwa jetzt in[255] Schutz nehmen? – Harold! Mach mich nicht irre an dir!

HAROLD.

Ach Gott, Hans! Ich bin ja leider eben so 'n dummer Kerl, wie du. Immer wieder verfällt man in dieselben Torheiten. Ein anderer wie unsereins würde heilsfroh sein, wenn nur alles fein säuberlich verborgen bliebe.

HANS.

Erlaube mir, dir zu bemerken, daß dieser andere eine ziemlich gemeine Seele sein müßte! Ich lasse mir meinen Willen nicht heimtückisch stehlen! Wenn sich in mir der Verdacht regt, daß ich vielleicht ohne Wissen ein großes Unrecht begangen habe ... wenn ich mir vorstellen soll, daß das – Schicksal, unter dem ich fast zusammengebrochen wäre, vielleicht nur ein wohlberechneter Bubenstreich war – dann empört sich in mir alles! Alles! Dann muß ich die Wahrheit erfahren – um jeden Preis – und ich werde sie erfahren! – Er geht durchs Zimmer. Ich war bereits bei Grobitzsch.

HAROLD
höchst erregt, steht auf.
Hans! Lieber Mensch! Was tust du? Was willst du!
HANS.

Die Wahrheit will ich! Ich bin auch ein Mensch und keine Drahtpuppe, die andere im Verborgenen nach ihrem Willen leiten und bewegen dürfen. Ich will mein Leben selber führen, selber leben! – –

HAROLD.
Was sagte Grobitzsch?
HANS.
Ich traf ihn nicht zu Hause –
HAROLD.
Ach dann –
HANS
fortfahrend.

Aber ich hinterließ ihm, daß ich ihn in dringender, privater Angelegenheit sprechen müsse. Nun wird er ja wohl zu mir kommen: was meinst du?

HAROLD.

Zweifellos. Er wird kommen. – Herrgott! Also wirklich! Du willst also wirklich – wenige Tage nach deiner Verlobung – diese alte Geschichte – wieder aufrühren?

HANS.

Jawohl! Das will ich! Ich kann nicht anders! Ich will Ruhe haben vor mir selber und als [256] reinlicher Mensch weiter leben: ich will am Rosenmontag meiner Braut als anständiger Kerl frei in die Augen sehn können! Ja: das will ich!

HAROLD
schlägt sich gegen die Stirn.
Herrgott, was hab ich da angerichtet! – Weißt du, was jetzt bloß noch fehlte?
HANS.
Na?
HAROLD.
Daß du sie wiedersähest – die Traute ...
HANS
lacht laut auf.
HAROLD.
Weshalb lachst du?
HANS.

Ich habe sie wiedergesehn, mein Lieber ... ich habe sie wiedergesehn! Grad vorhin, als ich vom Scheibenstande kam, ist sie mir begegnet. – Wenn du wüßtest, wie mir zumute wurde ...

HAROLD.
Hans!!
HANS.
Ja, ja ... laß nur gut sein! Ich danke dem Zufall. – Starr mich nicht so an!
HAROLD.
Du – hast mit ihr gesprochen?
HANS.

Allerdings. Das heißt: ich werde erst mit ihr sprechen. Er sieht nach der Uhr. Sie wird wohl bald kommen.

HAROLD.
Sie kommt? Hierher? In die Kaserne?
HANS
nickt.

Ich hoffe. Auf der Straße konnten wir uns natürlich nicht aussprechen: ich habe nur in aller Hast auf sie eingeredet, sie hat, glaub ich, überhaupt kein Wort gesagt, ich weiß nicht, ich war sehr erregt. Sie sah mich an, so ... Weshalb sollte sie nicht in die Kaserne kommen? Zu mir? – Ich bitte dich! Hier bin ich mein eigner Herr – sie kennt doch keiner und der Heinrich ist treu wie Gold ...

HAROLD.
Hans: das darfst du nicht tun!
HANS.
Was?
HAROLD.
Du darfst sie nicht wiedersehn.
HANS.
Ich muß! Ich kann nicht anders.
HAROLD.
Sie wird es längst verwunden haben.
HANS.

Das hat sie nicht! Ich habe sie ja ge sehn! Nein, nein! Ich muß sie fragen. Ich hätt es gleich tun sollen.

[257]
HAROLD.

Und jetzt sollst du es nicht mehr! – Laß die Rambergs noch so elende Intriganten sein – laß den wüsten Kerl, den Grobitzsch, meinetwegen ihr Komplize sein – deshalb bleibt sie doch immer die Schuldige. Sie! Vergiß das nicht – du weißt, man hat sie eines schönen Morgens bei Grobitzsch gefunden.

HANS
heftig.

Hör auf! Was willst du, was soll das alles! Ich fühle in mir das Rechte, was ich tun muß. Ich weiß nur eins: der Gedanke, daß sie – sie, die ich über alles geliebt habe, das Opfer eines – wie sagte das Paulchen? – einer kleinen Notlüge geworden ist – der Gedanke läßt mich nicht ruhn und nicht rasten – ich werde ihn nicht los, weder bei Tag noch bei Nacht. –

Und wer sagt mir denn die Wahrheit? Wem soll ich glauben? Ich weiß ja alles nur durch die Rambergs – sie aber, meine Traute, hat mich früher nie belegen – sie wird es auch jetzt nicht tun. – Geh jetzt.

HAROLD.
Nein. Ich gehe nicht. – Hans! Denkst du daran, was du dem Oberst in die Hand versprochen hast?
HANS.

Gewiß denk ich daran! Ich habe ihm mein Wort gegeben, daß zwischen der Traute und mir alles aus sei – tot und begraben.

HAROLD.
Tot und begraben?
HANS
gedämpft.

Und das ist es auch. Und das muß es jetzt bleiben – darin hast du recht – und wenn sie unschuldig wäre wie der weiße Schnee ... Wieder lebhaft. Aber kein Oberst und kein Mensch unter der Sonne kann mir verbieten ... mein Ge wissen


Er hält, von Harolds durchdringendem Blick irritiert, inne.
HAROLD.

Nun? Was denn? Was denn? – Alles kann dir der Oberst verbieten! Alles! Und vor allem dies –: daß du wieder mit der Traute anknüpfst –

HANS.
Wer spricht von Anknüpfen ...
[258]
HAROLD.

Hans! Menschenskind, komm doch nur zur Besinnung! Siehst du denn die Gefahr nicht? Merkst du denn gar nicht, daß du dir das alles nur vormachst ... das mit dem Gewissen, und daß du durchaus die Wahrheit an den Tag bringen müßtest? Merkst du denn gar nicht, daß es im letzten Grunde nur die alte Liebe ist, die dir immer noch im Blute festsitzt? Ja, ja, Hans: Du liebst sie noch, Hebst sie noch immer! Sei auf deiner Hut, Heber Junge: ich bitte dich: sei auf deiner Hut!

3. Szene
Dritte Szene
HEINRICH
öffnet schweigend die Tür und läßt Traute eintreten.
TRAUTE
verschleiert, tritt ein, sieht Harold und bleibt in der Tür stehen.
HAROLD
wendet sich zu ihr um.
HANS
geht auf sie zu.

Du ... Sie kennen doch Harold noch? Fürchten Sie nichts: er ist wirklich – mein Freund. Bitte: treten Sie ein!

TRAUTE
tritt langsam ein.
HEINRICH
geht ab.
HANS
reicht ihr die Hand.
HAROLD
ernsthaft.

Fräulein Reimann, ich bin ... ich hoffe, Sie glauben ihm, daß ich wirklich sein Freund bin. Und deshalb – Er geht auf sie zu. Geben Sie mir bitte Ihre Hand! Er faßt fest ihre Hand. Sein Sie nicht sein Feind! – Verstehn Sie mich? Ich bitte Sie: sein Sie nicht sein Feind! – Adieu. – Adieu, Hans.


Er geht ab. Lange Pause.
4. Szene
Vierte Szene
HANS
befangen.
Wollen Sie nicht ... ablegen?
TRAUTE.
Danke, nein: ich muß gleich wieder fort.
HANS.
Aber bitte, wenigstens setzen ... einen Augenblick?
TRAUTE
tritt etwas tiefer ins Zimmer und streift den Schleier [259] in die Höhe.

Ich wollte ... ich wollte gar nicht kommen. Ich schäme mich auch ... aber ... Sie sieht ihn groß an. Sie waren so ernst ... machten es so dringend ...


Sie kommt etwas weiter nach links, sieht das Bild auf der Staffelei und bleibt stehen.
HANS.
Ja ... Es ist ja nicht recht wohnlich hier ...
TRAUTE.
Ist das ... verzeihen Sie ... ist das – Ihr Fräulein Braut?
HANS.
– Ja.
TRAUTE
leise.
Also so – sieht sie aus.
HANS
geniert.

Bitte, Fräulein Reimann. Wir wollten ja nicht von meiner ... Er unterbricht sich – erstaunt. Woher wissen Sie übrigens, daß ich verlobt bin?

TRAUTE.
Woher ich das weiß?
HANS.
Ja. Ist das schon Stadtgespräch? Wie?
TRAUTE.
Stadtgespräch? Aber ich komme ja kaum aus dem Hause.
HANS.
Von wem wissen Sie's denn?
TRAUTE.
Nun, von Ihren Vettern doch ... von den Herren von Ramberg.
HANS.
Von ... ja, wie denn? Seit wann denn?
TRAUTE
mit einem Seufzer.
Oh ... schon lange!
HANS.

Schon lange? Das ist ja gar nicht möglich. Ich bin ja kaum vierzehn Tage hier. Haben Sie ... meine Vettern in der Zeit gesprochen?

TRAUTE.
O nein! Wie sollt ich wohl?
HANS.
Aber wie können Sie's denn da von ihnen wissen? Haben sie's Ihnen geschrieben?
TRAUTE.
O nein. Sie sagten es mir schon damals.
HANS
sieht sie einen Augenblick fragend an.
– Wann?
TRAUTE.
Nun, im vorigen Sommer ... als Sie in Erfurt waren. An Ihrem Geburtstag war es.
HANS.

Als ich ... in Erfurt ... Aber mein Gott, da war ich ja noch gar nicht verlobt. Da dacht ich ja gar nicht im Entferntesten daran. Im Gegenteil, da ... Wie?

TRAUTE
mit schmerzlichem Lächeln.

Ach – wozu? Wozu wollen Sie es jetzt noch leugnen? Es war ja [260] schlimm genug, damals ... daß Sie es mir verheimlicht hatten.

HANS
erregt.

Ich? Verheimlicht! Aber das ist ja ... Traute! Um Gotteswillen, Traute, sagen Sie mir die Wahrheit: haben die Rambergs Ihnen wirklich da mals gesagt, ich sei verlobt?

TRAUTE
ruhig.
Ja. An Ihrem Geburtstage, den wir bei Herrn von Grobitzsch feierten.
HANS
sieht sie starr an.
TRAUTE
mit schmerzlichem Lächeln.

Ach! Sie sollten es wohl nicht? Ich kann's mir denken! – Aber ... Bitter, erregt. Eins möcht ich Sie fragen – und nur deshalb bin ich hierher – noch einmal zu Ihnen gekommen – ich möchte Sie fragen: war das wohl recht von Ihnen? Hatte ich das von Ihnen verdient?

HANS.
Traute?
TRAUTE.

So wie ich Ihnen ergeben war, so wie ich an Ihnen hing ... Nein! Es war nicht recht von Ihnen. Ich hatte es nicht von Ihnen verdient. Wie ich Ihnen vertraute –! Sie hätten es mir wenigstens selber sagen sollen, daß es nun – aus sein müsse ... daß ich nun – gehen müsse.

HANS
hat sich auf den Stuhl rechts gesetzt und verbirgt den Kopf in beiden Händen.
Unterdrücktes Schluchzen.
TRAUTE
tritt ihm näher.

Leise. Ach, Hans, laß nur ... laß nur jetzt. Es ist ja nun vorbei – aber damals – da tat es sehr weh.

HANS
auffahrend.

Nein! Nein! Es ist nicht vor bei. – – O diese Hunde! Diese infamen Hunde! Er ist erregt durchs Zimmer gegangen. Dann faßt er sich und bleibt vor Traute stehen. Traute! Du! Sieh mich an! – Gib mir deine Hand! Höre mich an! Meine Vettern haben dich damals belegen. Ich war nicht verlobt – und ich dachte auch gar nicht daran. – Glaubst du mir, Traute?

TRAUTE
schüttelt den Kopf.
Herb. Nein.
HANS
tritt einen Schritt zurück.
TRAUTE.

Verzeih mir, Hans, aber – so schlecht [261] können sie doch nicht gewesen sein. Bedenke doch, Hans: dann – wäre ja alles, alles anders geworden ... dann –

HANS.

Ja! Und sie sind doch so schlecht gewesen. – Du mußt es mir glauben, Traute, Kind ... ich schwör es dir, bei allem, was mir heilig ist: sie haben dich damals belegen – erst jetzt, in Köln, vor kaum drei Wochen hab ich mich verlobt –

TRAUTE
starrt ihn entsetzt an.
HANS.
Was ist dir, Traute ... was hast du?
TRAUTE
schwankend, matt.
Erlaubst du ... darf ich ... mich setzen ...
HANS
geleitet sie zur linken Sofaecke.
TRAUTE.
Danke –

Sie setzt sich.
HANS.
Ist dir nicht wohl? Soll ich dir ein Glas Wasser holen?
TRAUTE
schwach, nickt.
HANS
geht ins Schlafzimmer.
Sofort.

Er holt eine Wasserkaraffe und Glas.
TRAUTE
bedeckt, solange er draußen ist, die Augen mit den Händen, ohne zu weinen.
HANS
läßt, wenn er zurückkommt, in der Eile die Schlafzimmertür offenstehen.
Er schenkt ein. So. Komm.
TRAUTE
trinkt.
Ich danke dir. – Laß mich nun noch einen Augenblick – und dann ... will ich gehn.
HANS.

Nein, bleib noch – bleib noch, Traute. Sieh: es war recht gut, daß du kamst. Nun wissen wir doch, daß wir beide nur zwei arme betrogene Menschenkinder sind. Denn auch mich haben sie belogen: mir haben sie gesagt – Auf einen angstvollen Blick Trautes. Aber erhol dich erst.

TRAUTE.
Was haben sie dir gesagt?
HEINRICH
tritt ein und geht zu Hans.
HANS
wendet sich um, schroff.
Na?
HEINRICH.
Herr Leutnant von Grobitzsch ist da.
TRAUTE
springt auf.
O Gott!
HANS
schnell.
Ich bin nicht zu Hause!
[262]
HEINRICH
macht kehrt.
HANS.
Halt! Das geht ja nicht. Er weiß ja, daß ich zu Hause bin.
TRAUTE
schnell.
Laß mich hinaus!
HANS.
Du läufst ihm ja in die Finger.
TRAUTE.
Laß mich hinaus!
HANS
auf die offene Schlafzimmertür deutend.
Hier! Bitte! Geh bitte dahinein.
TRAUTE.
Nein, nein, nein!
HANS
sehr hastig.

Wenn ich dich bitte, Kind! Es dauert zwei Minuten! Er darf dich nicht sehn! Und ich kann ihn nicht abweisen.

TRAUTE.
Nein, ich will nicht! Laß mich hinaus!
HANS.
Traute! Bitte. – Mir zuliebe!
TRAUTE
auf einen Blick von ihm, hinten rechts ab.
HANS
schließt die Tür.
Ich lasse den Herrn Leutnant bitten.
HEINRICH
ab.
5. Szene
Fünfte Szene
VON GROBITZSCH
tritt ein.

Er sieht sich einen Augenblick prüfend im Zimmer um. Er tritt auf Hans, der ihm entgegenkommt, zu. Sie geben sich die Hand. Guten Abend, Rudorff.

HANS.
Guten Abend.
VON GROBITZSCH.
Sie ... waren bei mir, wie ich höre. Ich habe sehr bedauert.
HANS.
Darf ich bitten.

Er weist ihn auf den Stuhl links vom Tisch.
VON GROBITZSCH.

Danke sehr. Er setzt sich links, Hans vor den Tisch, ihm gegenüber. Sie haben's hier ein bißchen kahl, aber na, das dauert ja nicht lange mehr, ist ja nur ein Provisorium. Ich höre, Ihr Herr Schwiegervater steht wegen Ankaufs der Gräflich Baudenschen Villa in Verhandlung?

HANS.
Ja, ich glaube ... Ich hab es auch nur so gehört.
VON GROBITZSCH.

Aha! Soll 'ne liebe Überraschung werden. Jedenfalls kein übler Kontrast. – Hm. – [263] Aber, Pardon ... Sie – wollten mich in einer ernsten privaten Angelegenheit sprechen?

HANS.

Jawohl. Sie sind sehr liebenswürdig, daß Sie gleich zu mir gekommen sind. – Nämlich, Herr von Grobitzsch, es handelt sich um eine Sache, die ... für mich allerdings – tatsächlich sehr ernst geworden ist.

VON GROBITZSCH.
Bitte sehr.
HANS.

Sie erinnern sich vielleicht ... daß ich im vorigen Sommer kurz nach meinem Kommando in Erfurt ... schon einmal bei Ihnen war, und Sie ... ja ... und Sie um eine gewisse Auskunft bat ... Er senkt die Stimme. in betreff eines jungen Mädchens ... eines Fräulein Reimann.

VON GROBITZSCH.
Allerdings.
HANS.
Sie ... lehnten es damals ab, mir ... eine Auskunft zu geben ...
VON GROBITZSCH.
Ich glaube. Ja.
HANS.
Ja ...
VON GROBITZSCH
ruhig.
Nun – und?
HANS.

Ich habe damals den Grund, weshalb Sie zu schweigen wünschten – geachtet. Ich habe wohl gemerkt, daß Sie sich unter keinen Umständen einer ... Indiskretion schuldig machen wollten ...

VON GROBITZSCH
unbefangen.

Indiskretion? Wieso? – Ach so! Behaglich lächelnd. Ne, wissen Sie, lieber Rudorff: für so zartfühlend müssen Sie mich nun nicht halten! Alles an seinem Platze! Es handelte sich doch schließlich nicht um 'ne Dame, sondern um en Mädel! – Ne, ich will Ihnen was sagen: es paßte mir einfach nicht! Nehmen Sie's mir nicht übel; aber wie kam ich denn dazu, Ihnen quasi Rechenschaft abzulegen? Das ist nicht mein Fall.

HANS
sieht ihm mit unterdrücktem Haß in die Augen.

Ja – so ... Nun, Herr von Grobitzsch – trotzdem, ich möchte heute trotzdem meine Bitte von damals wiederholen. Auf eine Kopfbewegung von Grobitzsch. Bitte! – Es liegt mir fern, Rechenschaft von Ihnen zu fordern, [264] aber ... ich bin ... ich glaube, die Verhältnisse heute besser zu übersehen als damals. – Um es kurz zu sagen! Ich weiß heute, daß meine Vettern Rambergs, wie sie mir selber gestanden haben, damals den Plan hatten – die bewußte Absicht, es zwischen mir und ... dem jungen Mädchen zum Bruch zu bringen.

VON GROBITZSCH
obenhin.
So?
HANS.

Ja! Der Plan ist ihnen auch gelungen, Herr von Grobitzsch – mit Ihrer Hilfe. Und jetzt möchte ich Sie nur fragen: war Ihnen dieser Plan bekannt?

VON GROBITZSCH
erhebt sich.

Herr Rudorff! Wie nennen Sie das? Nennen Sie das anders, als von jemandem Rechenschaft fordern? Hab ich Ihnen nicht gesagt, daß es nicht mein Geschmack ist, auf solche Fragen zu antworten?

HANS.

Herr von Grobitzsch, Sie wußten, daß ich mit dem Mädchen, um das es sich handelt, ein Liebesverhältnis unterhielt?

VON GROBITZSCH
mit erhobener Stimme, in dienstlichem Ton.
Herr Leutnant Rudorff! Ich bin nicht hierher gekommen, um mich von Ihnen zur Rede stellen zu lassen!
HANS
einlenkend.

Aber ich bitte Sie, Herr von Grobitzsch: wir stehen uns doch in diesem Moment lediglich als Kameraden gegenüber. Sie können doch in dieser Sache unmöglich einen dienstlichen Ton anschlagen?

VON GROBITZSCH
streng.

Ob dienstlich oder kameradschaftlich – jedenfalls lasse ich mir von Ihnen nicht den Ton vorschreiben, in dem ich mit Ihnen zu verhandeln wünsche.

HANS.
Es gibt, bei Gott! Dinge, die ausschließlich eine menschliche Behandlung vertragen!
VON GROBITZSCH.

Das sind Phantastereien! Das sind Ihre Sentiments! Sparen Sie sich die für Ihre Gedichte oder für Ihr Harmoniumspiel. – Entweder man ist Offizier oder man ist es nicht.

[265]
HANS.
Ich bin zu allererst ein Mensch mit menschlichem Gefühl –
VON GROBITZSCH
unterbricht ihn, scharf.

Hören Sie mal, Rudorff! Lassen wir mal jetzt die Redensarten – in der famosen Sache selbst scheinen Sie mir denn doch bedenklich aus der Rolle zu fallen. Was soll denn diese Fragerei? Den Teufel auch: ich hatte nicht die geringste Veranlassung, mir die Mühe zu geben, etwaige Pläne Ihrer Herren Vettern zu durchschaun, ich ...

HANS
schnell.
Also wußten Sie nichts?
VON GROBITZSCH.

Was ich wußte oder nicht wußte, ist meine Sache! Hier handelt es sich um den merkwürdigen Standpunkt, den Sie dieser Lumperei gegenüber ...

HANS.
Lumperei?! Es handelt sich –
VON GROBITZSCH
unterbricht ihn wiederum.

Lassen Sie mich ausreden! Um ein Mädel handelt es sich. Ich will Ihnen mal was sagen, Rudorff – und zwar sage ich Ihnen das als älterer Kamerad und als Ihr momentaner Vorgesetzter. – Ich denke, Sie sind verlobt? Nicht wahr? – Da macht es denn doch einen sehr absonderlichen Eindruck, mit welchem Interesse Sie diese zweifelhafte Weibergeschichte hier wieder auskramen! Wirklich: höchst merkwürdig!

HANS.
Für Sie wohl!
VON GROBITZSCH
gesteigerten Tones fortfahrend, ohne sich unterbrechen zu lassen.

Was kümmert Sie denn überhaupt noch dieses Frauenzimmer? He? Überlassen Sie die Person doch Ihrem Schicksal! Was liegt denn an einem solchen Geschöpf? Die ist bei mir gewesen, wie wahrscheinlich bei einem Dutzend anderer. – Was weiß ich! Dirne bleibt Dirne!


Man hört einen unterdrückten Aufschrei aus dem Schlafzimmer.
HANS
macht eine unwillkürliche Bewegung zur Tür.
VON GROBITZSCH.
Hm? Was war denn das?
TRAUTE
öffnet langsam die Tür.

Sie bleibt im Türrahmen [266] stehen. Mühsam zu Grobitzsch, den sie groß ansieht. Sie sind ... schlimmer ... als ein Mörder.

VON GROBITZSCH
mit einem bösen Lächeln.
Ah ... So ...
TRAUTE
ihn voll ansehend.
Sie wissen, daß ich mir nichts vorzuwerfen habe.
VON GROBITZSCH
höhnisch auflachend.
Ha, ha, ha! Also doch! Sie hier! Dacht es mir beinah ...
HANS.
Herr von Grobitzsch –
VON GROBITZSCH
lauter.
Ha, ha, ha! Ich gratuliere Ihnen! Sind ein Mordskerl!
HANS
stark.
Herr von Grobitzsch! – Wir haben uns nichts mehr zu sagen. – Verlassen Sie mein Zimmer!
VON GROBITZSCH
betroffen – beinah erstaunt.
Herr Leutnant Rudorff – Beide sehen sich einen Moment in die Augen. Sie hören noch von mir.

Er geht ruhig ab.
6. Szene
Sechste Szene
HANS
versucht seine Erregung zu bemeistern.

Traute – komm – fasse dich! Er ist ja nun fort. – Verzeih, daß du das hören mußtest ... daß ich so ohnmächtig war – so ohnmächtig bin – also nicht einmal hier bin ich mein eigner Herr – nicht im kleinsten Winkel bin ich mein eigner Herr!


Pause.
TRAUTE
mit plötzlicher Angst.

Hans! Was habe ich getan! Er durfte mich nicht sehen – du wirst Verdruß haben – oder Schlimmeres! Ach Gott, verzeih – aber es war zu furchtbar. Ich konnte es nicht ertragen.

HANS
bitter lachend.

Ha, ha, sehr gut – mußt dich womöglich noch entschuldigen, daß du überhaupt geboren bist. Eine tolle Welt! Herrgott!

TRAUTE.
Soll ich nun nicht lieber ...?
HANS
sich zusammenraffend.

Nein. Er geht auf sie zu und nimmt ihre Hand. Komm, Traute – sein wir ruhig! Wir haben uns nun ... noch etwas zu sagen. Das wollen [267] wir tun und dann... Er führt sie zu einem Stuhl. Sieh mich an, Traute. – Ja – du bist es. Er hält ihre Hand. Siehst du: die andern alle – wollten lügen und haben gelogen. Ich glaube nur noch dir.

TRAUTE
sieht zu ihm auf.
Ich danke dir, Hans.
HANS.

Nicht mehr zittern, Kind – sei ganz ruhig! Komm. Wird es dir nicht zu warm? Willst du nicht doch einen Augenblick ablegen?

TRAUTE
verneint.
HANS.
Jetzt seh ich erst – du bist in tiefer Trauer. Was ist denn ...?
TRAUTE.
Weihnachten ... starb meine Mutter.
HANS
leise.
Deine Mutter ... dann bist du also jetzt – ganz allein? In dem alten Häuschen?
TRAUTE.
Ja.
HANS
setzt sich auf den andern Stuhl zu ihr und faßt unwillkürlich ihre Hand.
Pause.
TRAUTE.

Sie hatte einen leichten, sanften Tod. – Sie entzieht ihm ihre Hand. Energisch. Hör mich jetzt an, Hans! Ich will dir jetzt in kurzen Worten sagen, was du nun noch hören mußt, eh wir auseinandergehn. Damals hatt ich mir vorgenommen, zu schweigen, denn ich sagte mir, du wolltest mich los sein und seist nur zu feige ... und da wollte ich stolz sein. Aber heute sehe ich, daß das alles Lug und Trug war, und habe gehört, wie sie nachträglich von mir reden – und nun muß ich dir alles sagen. –

Wie du damals fort warst, waren deine Vettern sehr nett und freundlich zu mir – wie sie's dir versprochen hatten. Ein paarmal trafen wir uns draußen in Paulis Garten, wo wir beide so glückliche Stunden verlebt haben – wie froh war ich, die paar Menschen zu haben, mit denen ich über dich sprechen konnte. –

Da kam – dein Geburtstag. Wir hatten uns wieder verabredet, ihn zusammen draußen zu feiern, aber wie wir uns trafen, war es schlechtes Wetter und wir konnten nicht im Freien sitzen. Da machten die Rambergs den Vorschlag, zu einem Freunde von dir [268] und ihnen, zu Herrn von Grobitzsch, zu gehn. Das sei ein reicher Mann, hätte eine große Wohnung und würde sich gewiß sehr freuen.

Ich wollte erst durchaus nicht, aber die beiden redeten mir so lange zu – und dann hatt ich mich so auf den Abend gefreut – ich bin schließlich mitgegangen. Auf einen Blick von Hans, sich unterbrechend. Es war unrecht, wie? Hans schüttelt den Kopf. Wir kamen also zu Grobitzsch. Es fiel mir ja zwar anfangs auf, daß alles schon so von vornherein zu einem Feste hergerichtet war – ein Abendessen war serviert – der Sekt war in großen Kübeln kaltgestellt – aber da lachten mich die Rambergs aus – so ginge das bei Grobitzsch alle Tage zu.

Ja ... und dann ... kam alles bald in lustige Stimmung, von Anfang an wurde Sekt getrunken – auf dein Wohl und immer wieder auf dein Wohl. Dann fingen sie an mich zu necken: du wärst mir in der Fremde ja doch nicht treu – na, da lacht ich sie ja einfach aus. Und dann: du würdest doch nun auch gewiß bald heiraten und ob ich denn daran schon gedacht hätte? Gewiß, sagte ich, daran hätt ich wohl schon gedacht. Aber ich könne mich nicht daran kehren, denn das Leben sei so kurz. Sie läßt die Stimme fallen. Ich hätte dich so lieb und so bald würde es ja wohl nicht sein – oder was ich sonst für Unsinn daher schwätzte, denn ich wurde selber nur immer lustiger und toller.

Aber da auf einmal stand dein Vetter Peter auf und mit einem ganz ernsten Gesicht. Sie hätten mich darauf vorbereiten wollen ... ich hätte ja also doch gewußt, daß es einmal so kommen müßte – nun solle ich aber auch ein verständiges Mädel sein und es mir und dir nicht unnütz schwer machen ...

HANS
unterdrückt.
Herrgott!
TRAUTE.

Und was er sonst noch redete – mir ging alles wirr und blöd im Kopf herum, und wie er zu Ende war, lachte ich wie verrückt, denn ich wollt es [269] immer noch gern für einen Scherz halten. Aber als ich dann ihre Gesichter sah – auf einmal – da war es aus. Erst kriegt ich einen Weinkrampf und dann fiel ich in Ohnmacht.

HANS
streicht ihr über die Hand, leise.
Meine Traute ... Weiter ...
TRAUTE.
Und bin wohl eingeschlafen – fest, tief – wie ich dalag. Ich weiß nicht.
HANS
leise.
Und dann?
TRAUTE.

Ein paar Stunden später wacht ich plötzlich auf – von einem Lachen, glaub ich. Es war lichter, früher Morgen. Man hatte mir mit zarter Fürsorge ein Kissen unter den Kopf geschoben. Am Spieltisch saßen die Rambergs, Herr von Grobitzsch und noch ein – Herr, den ich nicht kannte. – Als ich sie ansah, hörten sie auf zu lachen. – Ich konnte kein Wort sprechen – und ging hinaus. Draußen sangen alle Vögel. Ich war wie tot. Lange Pause. Sie steht auf, fest. Ja, Hans – so ist es gewesen. Ich verschweige dir nichts – nichts. So wahr ich dich liebgehabt habe und immer noch liebhaben muß, Hans – das ist die reine Wahrheit. – –

Am Abend des Tages bin ich in die Kirche gegangen und habe lange, sehr lange gebetet. Ich hatte Gottes Gebot übertreten, denn unsere Liebe war Sünde gewesen, und ich glaubte nun, dies sei die Strafe.

HANS
lacht bitter auf.
TRAUTE.
Nicht lachen, Hans – es wird wohl doch so sein – trotz alledem.
HANS
steht ebenfalls auf.

Traute, du weißt: ich habe nie versucht, dich in deinem Glauben zu stören – aber: kannst du glauben, daß Gott sich, um zu strafen, einer gemeinen menschlichen Büberei bedienen würde? – Oh, warum hast du mir damals nicht geschrieben?

TRAUTE
schüttelt den Kopf.

Nein. Wenn ich de mütig war, kam ich zu dem, was dein Freund mir vorhin gesagt hat und was ich wohl verstanden habe: sei [270] nicht sein Feind – er hat es so ge wollt. Denke doch: ich mußte ja glauben, daß es dein Wille gewesen war, daß du mich so ... und wenn dann der Haß mich packte und Wut und Schmerz, daß du mir das nicht selber gesagt, daß du es mir durch deine Vettern und Freunde hattest antun lassen – dann siegte doch immer wieder mein Stolz und machte mich starr und kalt. Und so – hab ich geschwiegen.

HANS.

Wie gut sie gerechnet haben! Auch mit mir! Mit meinem Stolz – meiner kläglichen, verletzten Eitelkeit. Und so ist es ihnen gelungen, so haben sie mich richtig hier in diesen Käfig eingesperrt. – O Gott ... Er schaut wild um sich. Jetzt ... Ja, nun ist mir alles klar. Hab Dank!


Er reicht ihr die Hand.
TRAUTE
nimmt seine Hand.
Ich danke dir, Hans, daß du mir glaubst. – – Und nun: leb wohl.
HANS
ihre Hand noch haltend.
Du willst nun ...
TRAUTE.
Ja. Ich muß nun gehn. Sie zieht ihre Hand zurück. Leb wohl, Hans ...
HANS.
Traute ... Traute! –
TRAUTE.
Nein, nein ... laß mich, laß mich ... Ich bin nicht dein Feind, Hans!
HANS
mit überströmendem Gefühl.
Nein! Nein! Du bist meine Traute ...

Er breitet die Arme aus.
TRAUTE
aufschluchzend, will sich an seine Brust werfen.
Sie hält, plötzlich erschrocken, inne. Sie sieht ihn noch einmal groß an und eilt dann ab.
HANS
will ihr folgen und bleibt dann stehen.
Das... das sollen sie mir büßen!

4. Akt

1. Szene
Erste Szene
HANS
in Zivil, sitzt hinten links am offenen Klavier.

Er hat gespielt, beim Aufgehen des Vorhangs hört man noch ein paar verklingende Akkorde. Er legt die linke Hand oben aufs Klavier und stützt den Kopf abgewandt gegen den Arm.

HAROLD
tritt rasch ein und sieht sich erstaunt um.

Er bemerkt den im Halbdunkel sitzenden Hans und geht auf ihn zu. Lebhaft, aufmunternd. Hans! Kerl! Du verkriechst dich ja im eigenen Gehäuse. Ich habe dich bei Gott im ersten Augenblick gar nicht bemerkt. Er klopft ihm auf die Schulter. Na, was machst du denn? Sag mir mal wenigstens guten Tag!

HANS
dreht sich um, sieht ihn an und reicht ihm, ohne aufzustehen, die Hand.
Guten Tag, Harold.
HAROLD.

Klapp dein Klavier zu und komm an die Sonne! Was ist denn das! An einem solchen Tage! Ich bitte dich! Karnevalsonntag und noch dazu ein so herrlicher Tag. Vorwärts! Komm ans Licht! Er nötigt ihn ans Fenster. Schau mal her! Sollte man das für möglich halten? – Fenster auf! Er öffnet das Fenster. Eine Luft – der reine Frühling – Ende Februar – unerhört!

HANS.
Ja ... schön ... sehr schön. – Der Exerzierplatz.
HAROLD.

Ach was, Exerzierplatz! Alter Kommißhengst! Sieh mal da hinten ... über der Mauer ... die drei Linden ... wie fein und scharf jeder kleinste Zweig auf dem klaren Himmel – famos! Bei Gott: wie das schönste Filigran. Nach einem forschenden Blick auf Hans. Na? – Du gefällst mir nicht, Hans. Was hast du denn? Er führt ihn zum Sofatisch. Dich quält [272] natürlich immer noch die alte Geschichte? Kannst noch nicht drüber wegkommen, was? Na sprich dich lieber aus ... es ist besser, als so ... Seit drei, vier Tagen bist du nicht mehr ins Kasino gekommen ... meinst du, das fällt nicht auf? Sobald du hier bist, hört man dich spielen –

HANS
apathisch.
Können sie mir das auch verbieten?
HAROLD.

Wer denkt denn daran. Aber du mußt doch vernünftig sein und dich deinen Stimmungen nicht so hingeben. Reiß dich doch mal zusammen! Ich will dir mal was sagen, lieber Freund – irgend so was macht schließlich jeder von uns mal durch – irgendein Opfer, das recht schmerzlich sein kann, muß schließlich jeder mal den Unerbittlichkeiten seines Standes bringen – vorausgesetzt, daß er überhaupt was zum opfern in sich hatte. Glaubst du, mir wäre das erspart geblieben?

HANS.
Dir?
HAROLD.
Jawohl, mir. Oder meinst du, ich wäre damals aus reiner Streberei nach Afrika gegangen?
HANS
erstaunt.
Hm?
HAROLD.
Das sind alte Geschichten, die schon bald nicht mehr wahr sind. Ich erzähl sie dir ein andermal.
HANS.
Weshalb ein andermal? Wer weiß, ob wir ... so bald wieder daraufkommen.
HAROLD.

Ach, es ist im Grunde nicht der Rede wert. Eine ganz gewöhnliche Geldgeschichte. – – Solange du mich kennst, hab ich Geld, wie du weißt.

HANS
mit einem Seufzer.
Ja – leider – ich bin ja ...
HAROLD.

Pardon! Nichts hat mir ferner gelegen, als dich zu erinnern ... Unsinn! Ich mußte das nur erwähnen, weil es – weil es nicht immer so war. Vor zehn Jahren hatt ich nichts – außer einer lebenden Tante, der Witwe eines Essigfabrikanten. Und als ich mich mit meiner Jugendliebe verloben wollte, da sagte diese Tante: »Nein, eine arme Professorentochter heiratest [273] du nicht.« Das hätte mir in tausend andern Fällen gleichgültig sein können, aber ich war Offizier, und zwar mit Leib und Seele, wie du – und man verlangte von mir den Nachweis des bewußten Kommißvermögens – zum Heiraten. –

HANS.
Ach, und so ... bist du damals zur Schutztruppe ...?
HAROLD.

Ja. Als ich aber zwei Jahre in Afrika gewesen war, starb meine liebe Tante und ich kam in die Heimat zurück. Da erfuhr ich denn, daß sich meine gute Elisabeth inzwischen mit einem Tierarzt verheiratet hatte. – Sehr banal, nicht wahr? Na – und das ist alles. Aber mir schien's damals grade genug. – – Siehst du: da heißt es denn – bißchen die Zähne zusammenbeißen – bis man's verwunden hat. Aber verwunden wird's! Verlaß dich drauf! Hol die Pest alle feigen Memmen!

HANS
sieht ihn nachdenklich an und lacht dann auf.
HAROLD
verblüfft.
Was lachst du denn? Das ist doch schließlich zum Donnerwetter nichts zum Lachen.
HANS
stärker lachend.

Doch! Verzeih, lieber Harold – aber das ist doch was zum Lachen! Sei doch froh, Mensch! Freuen solltest du dich und deinem Gott danken, daß du auf die Art um deine gute Elisabeth rumgekommen bist. Der Himmel hat es gut mit dir gemeint.

HAROLD
ärgerlich.
Na, hör mal! Das könnt ich dir denn doch wohl mit größerem Rechte zurufen!
HANS.
Wieso? Wieder apathisch. Ja, so ... du weißt ja nicht ... du weißt ja nicht ...
HAROLD
scharf.

Was denn? Aha! Sie ist wohl un schuldig – ganz unschuldig? Wie der frischgefallene Schnee? Hm? Sie hat es dir wohl selber gesagt?

HANS
ganz ruhig.

Ja. Sie hat es gesagt. Und es ist so. – Aber lassen wir das doch ... laß das doch ... das ist ja so gleichgültig. –

Sage mir, Harold: was machst du mit einem Menschen, mit einem Kameraden, der dich bis ins Innerste, [274] bis ins Mark der Knochen verletzt und beleidigt hat?

HAROLD.
Ich schieße mich mit ihm.
HANS
ironisch.

Nicht wahr! Das dacht ich doch! Es liegt ja nah genug. – – Nu, also bitte, du bist ja mein Freund ... nimm dir noch einen, meinetwegen ... Moritz oder Benno, wen du willst ... und geh zu meinen Vettern, zu Grobitzsch und ...

HAROLD.
Ach Hans – du weißt ja, daß das nicht geht.
HANS
losbrechend.

Ha, ha, ha, ha!! – Jawohl! Ich weiß es! Das – geht nicht. Das geht nicht. – Was hat mir der Hauptmann Melchior gesagt? Was würde mir der Ehrenrat sagen? »Wegen so 'n Mädel schießt man sich nicht!« – »Wegen so 'n Mädel schießt man sich nicht.« Oh! Wenn das Töchterchen eines Stabsoffiziers nur mal schief angesehen wird – es kann die blechernste Gans oder die raffinierteste Canaille sein – da schießen sie sich wie die Wilden. Aber so 'n Mädel, so 'n Mädel – ein Menschenkind wie meine Traute, das so hoch steht über all dem Weiberplunder – das darf ich nicht verteidigen – das ist wehrlos gegen diese Buben – – wegen so 'n Mädel schießt man sich nicht. O diese Jammerseelen! Diese Jammerseelen!

HAROLD.
Hans! Hans! Besinn dich doch! Was ist denn in dich gefahren? – –
HANS
am Fenster.
Leise. »Das ist deine Welt. Das heißt eine Welt.«
HAROLD.
Was sagst du?
HANS.

Nichts. – Er wendet sich zu ihm um. In verändertem Ton. Nichts, Harold! Reden wir von was anderm! Trinkst du ein Glas Sekt mit mir?

HAROLD.
Wenn es dazu dient, deine Laune zu bessern – meinetwegen.
HANS
geht zur Tür.
Heinrich! Heinrich!
HEINRICH
in der Tür.
Herr Leutnant befehlen?
HANS.
Geh ins Kasino und laß dir 'ne Flasche Pommery geben! Vorwärts! Halt! Was hab ich gesagt?
[275]
HEINRICH.
'ne Flasche Pommery ...
HANS.
Zwei Flaschen! Und Gläser. Drei Gläser! Marsch!
HEINRICH
verschwindet.
HAROLD.
Drei?
HANS
ohne darauf zu hören, munter werdend.

»Meine Laune zu bessern?« Gott, weißt du: im Grunde ist sie gar nicht so schlecht heute, meine Laune ... Nur höllisch wankelmütig, noch nicht so recht sicher – wir wollen sie mal ein bißchen befestigen. Also, mein lieber Harold: du hast dich wirklich gewundert, daß ich nicht ins Kasino gekommen bin? Du hast wirklich erwartet, daß ich mich meinen lieben Vettern gegenübersetzen würde, daß ich mit ihnen auf das Wohl unserer lieben Großmama trinken würde – ja? Wirklich?

HAROLD.

Mein Gott, du kannst sie ja schneiden bis auf weiteres. Aber so geht das doch nicht weiter – das mußt du doch einsehn.

HANS.
Nein: so geht es nicht weiter – da hast du recht.
HAROLD.

Bedenke doch! Morgen ist Rosenmontag! Unser Fest! Deine Leute kommen aus Köln ... das ist doch eine verdammte Situation.

HANS
lacht höhnisch auf.
Allerdings. Etwas peinlich.
HAROLD.
Nun ja! Sei ein Mann und sieh den Dingen ins Gesicht!
HANS
nachdrücklich.
Das tu ich, Harold.
HAROLD.

Nein, das tust du nicht, Hans. Du hingst deiner dumpfen Leidenschaft nach, du wühlst dich in deine Wut ein, statt kalt und klar zu überlegen, was der nächste Morgen von dir verlangt.

HANS
lächelnd.

Meinst du? – Nun, in einem Sinne hast du wohl recht. Manchmal nämlich, zuzeiten – wenn ich allein bin und am Klavier sitze – kommt ein merkwürdiger Friede, eine wundervolle, ganz grundlose Versunkenheit über mich – so etwas wie gesund und leicht werden – als Rekonvaleszent hab [276] ich es auch ein paarmal gefühlt. Wenn du musikalisch wärst, könnt ich es dir vielleicht klarer machen ... Das ist dann aber weder Wut noch Leidenschaft, sondern etwas Großes, Schönes, was alles versöhnt ...

HEINRICH
kommt mit den Flaschen und Gläsern.
HANS.

Na, Kerl? Was bringst du denn? Er nimmt ihm die Flaschen ab. Stimmt. Bravo, mein Sohn. – Hier hast du einen Daler. Da! Du darfst dich heute Abend besaufen.

HEINRICH
grinst.
Danke schön, Herr Leutnant.

Er geht ab.
HANS.
Da. – Siehst du: wieder ein glücklicher Mensch mehr.

Er macht sich an das Öffnen der Flasche.
HAROLD
ist aufgestanden und geht im Zimmer auf und ab.

Er kommt vor die Staffelei, über die die Dominos gehängt sind. Was ist denn das? Er will die Dominos abnehmen und wirft dabei das Bild herunter. O Pardon! Entschuldige vielmals ...


Er hebt das Bild wieder auf.
HANS
mit Einschenken beschäftigt.
Laß liegen! – Komm!
HAROLD.
Das sind ja zwei Dominos.
HANS.
Ist das so was Wunderbares – am Karnevalsonntag?
HAROLD.
Ja, du willst doch nicht ...?
HANS.

Nanu? Das werd ich doch wohl noch können? Natürlich! Ich gehe heut Abend auf den Funkenball im Römischen Kaiser. Da ist ja alle Welt. – »Und in dem Strudel will auch ich genesen!« Meine lieben Vettern sind doch sicher auch da ... ich hoffe auf eine zwanglose ... ä ... Aussprache mit ihnen.

HAROLD.
Hm. Und dazu brauchst du zwei Dominos?
HANS
lachend.

Ei freilich: So allein macht es doch keinen Spaß. – Aber nu komm mal her! Du bist hier nicht als Untersuchungsrichter, die Rolle liegt dir nicht! Erhebe dein Glas und stoß mit mir an! – – [277] Worauf wollen wir trinken? – Halt! Ich hab es. Auf unserer Herzen Ehre!

HAROLD.
Was ist das?
HANS.

Das weißt du nicht? Wirklich? Weißt du das nicht? ... Fühlst du denn gar nicht, daß ein Herz seine wahre Ehre nur darin finden kann, zu lieben, wo es geliebt wird? ... – Siehst du: das ist des Herzens Ehre, und die wollen wir uns rein halten und unbefleckt bis in den Tod! – Darauf trinke ich. Prost!


Er leert sein Glas.
HAROLD
hat angestoßen und ausgetrunken.
Hans!Er umarmt ihn. Pause. Sieh mich an, Hans! Willst du auf mich hören?
HANS.
Wenn ich kann ...
HAROLD.

Du mußt dich fassen! Du mußt dich halten! Dein Zustand ist ja furchtbar. Es ist ja ganz wie damals, eh du krank wurdest. Höre mich! Höre mich! – In diesem Zustand kannst du morgen unmöglich deinen Leuten entgegentreten. Du mußt abschreiben, mußt dich krank melden. Meitzen muß kommen, muß dir ein Attest schreiben ... Ruhe, Ruhe brauchst du ... Hörst du mich, Hans?

HANS
wieder ganz apathisch.
Ja, ja ...
HAROLD.
Willst du das tun?
HANS.
Ja, ja ... meinetwegen ... was liegt daran –
HAROLD.
Gut. Und nun hör weiter! Wenn der Karneval vorüber ist ...
HANS
matt lächelnd.
»Wenn der Karneval vorüber ist ...«
HAROLD.

Dann gibt es nur eins, Hans. Dann gehst du zum Oberst – erzählst ihm deine ganze Geschichte – alles – alles – du weißt, wie er im Grunde ist –: nobel – durch und durch nobel – und bittest ihn – um deine Versetzung.

HANS.
Versetzung?!
HAROLD.

Jawohl: Versetzung. Das ist das Einzige, was dir noch helfen kann. Schwer genug wird es mir, dir das zu raten, das kannst du mir glauben. Aber du [278] mußt hier heraus – es ist das Einzige.Da Hans schweigt, freundlich. Lieber Freund: es ist sogar das einzig Mögliche! Denke dir: dann wirst du die ganze Sache nach und nach – mit der Zeit los. Du hast keine Rambergs mehr, du hast keinen Grobitzsch mehr und –


Er hält inne.
HANS
sieht ihn fragend an.
HAROLD.
Und das Mädchen, die Traute ...
HANS.
Hm?
HAROLD.

Ist auch nicht da. – Verzeih – aber besser ist besser. Man soll der Verführung, der Versuchung aus dem Wege gehn.

HANS
nach einer Pause, langsam und mit besonderem Nachdruck.

Ich werde nicht zum Oberst gehn.Er zieht einen Brief aus der Tasche. Hier, Herr von Grobitzsch teilt mir mit, daß er es unter obwaltenden Umständen zu seinem Bedauern für seine Pflicht gehalten habe, den Herrn Oberst von dem Besuche jenes Mädchens bei mir in Kenntnis zu setzen. Er hoffe indes ... und so weiter. Hier. Er gibt ihm den Brief.

HAROLD.
Donnerwetter! – Seine Pflicht?
HANS.
Pflicht. Ja. Ein ganz bekanntes Wort. Du siehst also ...
HAROLD.

Donnerwetter! – Aber das ist ja ganz einerlei. Im Gegenteil! Jetzt mußt du erst recht – gleich morgen mußt du zum Oberst gehen – mit vollem Vertraun – und ihm alles er klären.

HANS
schüttelt still den Kopf.
HAROLD
eifrig.
Aber gewiß! – Bei Gott! Da gibt's ja nichts andres mehr. Mensch – Hans!
HANS.
Es ist zu spät.
HAROLD.

Was?! Nichts ist zu spät. Du sagst dem Oberst, wie du dazu gekommen, wie du dazu getrieben worden bist – daß du endlich reinen Wein haben wolltest – und daß du deshalb die Traute zu dir kommen ließest. Das kann dir kein Mensch verdenken, und er wird es, wenn er erst alles weiß, am wenigsten tun. – Wie? – Du hast dir doch nichts [279] vorzuwerfen! Oderkönntest du dem Oberst nicht mehr...?

HANS
schweigt und sieht vor sich nieder.
HAROLD.
Weshalb schweigst du?
HANS.
Es ist – zu spät.
HAROLD
stutzt.
Wie? – – Hans!!
HANS
nickt.
Leise. Hm.
HAROLD
fällt ihm mit heftig abwehrender Bewegung ins Wort.
Um Gottes willen: ich habe nichts gehört ... Leise. Weiß jemand was?
HANS
sieht ihn zunächst streng an.

Was? Dann, den Kopf aufrichtend, ruhig, aber fest. Ich heiße Hans Rudorff. Das Bild meines Großvaters hängt in Eurem Kasino. – Was kümmert es mich, ob es jemand weiß oder nicht. – Stark. Aber selbst wenn es keinen Oberst und keinen Ehrenrat und kein Wort mehr auf der Welt gäbe – ich würde es den noch niemals leugnen! – – Ja! Ich habe Tage hinter mir, Harold, voller Gewissensangst – Kampf und Qualen – aber auch ganz voll von tiefster, weltvergessener Wonne.

HAROLD
mit äußerster Härte, fast schreiend.
Teufel auch! So geh denn nach Amerika und werde Kellner!
HANS
ruhig, aber mit Nachdruck.
Nein, Harold – das werde ich nicht tun. – – Schade, daß ich das nicht kann.
HAROLD.
So tu, was du Lust hast – wir sind geschiedene Leute!
HANS
still.

– Ich weiß es. – Deshalb wollt ich vorher noch ein letztes Glas mit dir trinken – und wollte dir noch einmal danken für – deine Freundschaft – bis zu dieser Stunde. – – –

Ich wußte wohl, daß du mich jetzt fallen lassen mußt – so wie alle andern – wie alle Welt mich – fallen lassen muß.

Ich gehöre nun meinem Schicksal – und will auch kein Mitleid. – Aber es würde mir leichter geworden sein, dem Unvermeidlichen entgegenzugehen, wenn du, Harold – wenn du – nicht so – nicht so von [280] mir gingest. – Denn alles, was ich. verschuldet habe – – alles hab ich doch nur tun können, weil ich betrogen und in meinem Heiligsten verraten war. Und du, Harold – von dir hatt ich gehofft, – daß du das wenigstens mit mir fühlen würdest – wenn auch nicht verzeihn.

HAROLD
hat ihm, halb abgewendet, in der Nähe der Tür stehend, mit mächtiger innerer Erregung zugehört.

Er verharrt auch jetzt noch schweigend in dieser Stellung. Dann mühsam, leise. Komm ... komm mit mir! Zieh dich an!

HANS
überrascht, leise.
Mit dir? Was soll ich denn? Wohin denn?
HAROLD.

In meine Wohnung. – Ich will dir – was geben. Du mußt fort. Je schneller, desto besser. Diese Nacht – statt in den Trubel zu gehn – und Unglück zu stiften, solltest du ...

HANS
versteht.
Ach so ...
HAROLD.
Ja, und ... also komm!
HANS
schüttelt den Kopf.
Du willst mir – »was geben«?
HAROLD.

Du weißt ja, wie ich lebe ... ich brauche ja nichts. Früher mal ... aber jetzt? Von mir kannst du's ruhig nehmen. – Komm! Zieh dich an!

HANS
nach einer Pause.
Nein. – Ich danke dir, Harold – ich danke dir aus tiefstem Herzen, aber ... es ist nicht mehr nötig.
HAROLD.
Darüber reden wir noch ... komm nur!
HANS
schüttelt den Kopf.
HAROLD
eindringlich.
Ich bitte dich! Besinn dich nicht!
HANS.
Ich kann auch sonst nicht. Ich muß hierbleiben.
HAROLD.
Mußt! – Du erwartest sie?
HANS.
Ja.
HAROLD.
Hier?
HANS.
Ja.
HAROLD.
Und willst dich mit ihr – zei gen – diese Nacht?
HANS.
Ja
HAROLD
kurz.
Leb wohl.

Er geht ab.
2. Szene
[281] Zweite Szene
HANS
bleibt in der Mitte der Bühne in tiefem Nachsinnen stehen.
Er reißt sich los, geht zum Tisch, gießt sich ein Glas ein und leert es auf einen Zug.
MORITZ UND BENNO
werden draußen am offenen Fenster sichtbar.

In Uniform. Sie legen die Arme auf die Fensterbank und blicken ins Zimmer. Beide sind etwas angeheitert. Plötzlich und schrill pfeifen sie die Melodie eines Gassenhauers.

HANS
schrickt zusammen.
MORITZ UND BENNO
lachen laut auf.
MORITZ.
Morgen!
BENNO.
Morgen!
HANS
auf ihren Ton eingehend.
Na, ihr ... Morgen! Seid wohl grade aufgestanden?
BENNO.
Wer weise wählt Wolle.
MORITZ.

Wir haben natürlich 'n bißchen Vorrat geschlafen, denn dieser nächsten Nächte Qual wird groß. Heute abend Römischer Kaiser. Du kommst doch auch?

HANS.
Natürlich.
MORITZ.

Und dann denk dir diesen Marschall an, der muß rein toll geworden sein! Setzt der Kerl auf morgen früh vier Uhr die Gene ralprobe zum Handschuh von Schiller an! So was ist noch nicht dagewesen! Die Herren bummeln ja doch die Nacht durch – dann werden sie um vier Uhr in der richtigen Stimmung sein – oder sie schlafen, dann können sie auch zwei Stunden früher aufstehn – das ist seine Logik.

BENNO.
Alle Frösche hüpfen und die Erhabenen freuen sich.
HANS.
Was ist das?
MORITZ.

Benno hat heute seinen Tiefsinnigen. – Und denk dir noch Folgendes! Dieser unglaubliche Marschall! Läßt mir sagen, ich müßte eventuell den Leuen spielen. Ich – den Leuen! Der Kerl ist verrückt! Von heute auf morgen – auf morgen früh vier Uhr soll ich den Leuen lernen, diesen König der Tiere. Unglaubliche Sache!

[282]
BENNO.

Karnevale! Karnevale! – Du Glückspilz!Feierlich. Gratuliere! – Dem Gerechten schenkt's der Herr im Schlafe.

HANS.
Benno, mein Sohn! Ich danke dir, aber ... weswegen und wozu?
MORITZ UND BENNO
pfeifen dieselbe Melodie wie vorhin.
HANS.
Sehr schön. Aber ...
BENNO.

Die Baudensche Villa! He? Weißt wohl noch gar nicht? Oder tust nur so? Hm? Glückspilz! Unverschämter!

MORITZ.

Tatsache, Hans! Dein Schwiegervater hat heute früh telephonisch abgeschlossen. Benno sollte natürlich den Mund halten – kann er aber nicht. Also! – Gratuliere ebenfalls.


Sie pfeifen wieder.
HANS.
Ach hört doch mit dem dummen Pfeifen auf! – Woher wißt ihr denn das?
MORITZ.
Von den Rambergs, natürlich. Von wem wohl sonst?
HANS.
So? Die meinen's doch herzlich gut mit mir.
BENNO.
Sie waren vergnügt wie die Nachtigallen.
MORITZ.

Ja, du: alles was recht ist! Die meinen es wirklich von Herzen gut mit dir. Ist denn euer ... ä ... kleines Zerwürfnis von neulich wieder beigelegt? Hoffentlich doch!

HANS.
Nu selbstverständlich. Die Bagatelle!
MORITZ.
Ja? Aber weshalb kommst du denn da nicht ins Kasino?
BENNO.
Er hat sich dem heimlichen Suff ergeben.
MORITZ.

Ja, sag mal: was hast du denn da eigentlich für 'n Getränke? Vorhin gössest du dir doch grade ein Glas hinter die Binde.

BENNO.
Moritz, du wirst schwach. Det is doch Sekt.
MORITZ.

Ha! Siehe, der Sekt lacht in den Saal! Nun, wenn du gestattest, sind wir so freundlich und treten einen Augenblick näher?

HANS.
Ne, ne, ne! Danke sehr, aber bemüht euch nicht.
[283]
BENNO.
Nanu?
HANS.

Im Ernst. Ich habe noch ein paar Briefe zu schreiben. – Diese Nacht werden wir des Guten noch genug tun – im Römischen Kaiser. Der Teufel soll mich frikassieren, wenn ich mich da lumpen lasse! Da stoßen wir dann auch auf die Graf Baudensche Villa an! – Feines Grundstück, was?

BENNO.
Protz!
HANS.
Also! Adieu! Auf Wiedersehen.

Er reicht ihnen die Hände.
MORITZ.
Na, wehe dir, wenn du dich die Nacht nicht nobler zeigst!
BENNO.
Wehe dir! Unsern Fluch!

Beide bewerfen ihn a tempo mit Konfetti und verschwinden lachend und pfeifend.
HANS.

Deuwel auch. Er lehnt sich zum Fenster hinaus und ruft ihnen nach. Hört mal! Noch eins! Wißt ihr vielleicht, ob die Rambergs da sein werden – diese Nacht?

MORITZ
ruft, nicht mehr sichtbar: Ich denke doch.
Weshalb?
HANS.
Und Grobitzsch?
MORITZ.
Weiß nicht.
HANS.
Danke.

Er geht vom Fenster weg.
3. Szene
Dritte Szene
TRAUTE
erscheint lautlos.

Sie ist in einem grauen, fußfreien Armensünderkleide, mit kurzem, rundem Halsausschnitt und weiten offenen Ärmeln – ganz ohne Schmuck, vermummt, einen Strick um die Taille. – Beim Auftreten trägt sie einen Radmantel, den sie alsbald abwirft. – – Schweigende, innige Umarmung.

HANS.
Du bist ja wie ein Kätzchen eingeschlichen.
TRAUTE.

Ich zittre auf euren scheußlichen Gängen und bin froh, wenn ich hindurch bin. Dein Bursche war nicht da.

HANS.
Dem hab ich heute Urlaub gegeben. Damit er auch was hat vom Karneval. Komm.

Er führt sie zum Tisch.
[284]
TRAUTE.

Bist du zufrieden mit ihm? Ach du, aber so nett wie der Wilhelm ist er doch nicht! Unser Wilhelm ... die gute Seele. Wo steckt der denn jetzt?

HANS.
Wilhelm ... ja. Also dessen erinnerst du dich noch?
TRAUTE
lustig.

Aber wie ... ich bitte dich. Wenn er mir immer deine Briefe brachte ... mit so bitterernster Miene ... das war so komisch. Und du – er liebte mich.

HANS.
Ach ...
TRAUTE.

Ja, ja ... unglücklich. Ich hab ja so gelacht – es war eigentlich unrecht von mir. Weißt du, er hatte mir schon öfter von seinem väterlichen Gut erzählt, das er übernehmen würde, wenn er freikäme ... ich wußte immer nicht, weshalb er soviel davon sprach – schließlich, wie du weg warst, plumpste er damit heraus: ob ich nicht seine Frau werden wolle, ich sei doch zu schade, um ...Sie lacht. Aber du, einen Augenblick hab ich mich vor ihm gefürchtet. Ganz blaurot war der Kopf und dabei die gelben struppigen Haare ... Aber wie er dann so hinausging, ohne überhaupt noch was zu sagen – da tat er mir wieder leid. Er hatte so gute Augen. – Na, nun sitzt er wohl längst auf seinem Bauernhof – oder ist er noch beim Regiment?

HANS.
Nein.
TRAUTE.
Und hat ein liebes, braves Weib aus seinem Dorfe ...
HANS.
– Er ist –

Er stockt.
TRAUTE
sieht ihn fragend an.
HANS.
Ich weiß nicht. Ich habe nichts mehr von ihm gehört.
TRAUTE.
Ha, ha! Mein Hans ist nachträglich eifersüchtig auf den guten Kerl.
HANS.
Dummchen! Ich geb ihm ja nur recht. Du warst ja wirklich zu schade.
[285]
TRÄNTE
leidenschaftlich.
Für dich? Nie! – Mein Hans!

Sie küssen sich.
HANS
streicht ihr übers Haar.

Mein liebes Weib. – – Schau, hier steht Sekt! – Oho! Heut soll's noch mal hoch hergehen! Heut ist alles erlaubt. – Komm! Was sagte der Benno vorhin? Alle Frösche hüpfen und die Erhabenen freuen sich. Komm! Lassen wir sie hüpfen! Und freuen wir uns!


Er gießt ein und reicht ihr das Glas. Sie stoßen an und trinken. Man hört von fern, über den Exerzierplatz her, das Signal »Wecken«.
Er setzt das Glas ab und schrickt zusammen.
TRAUTE.
Was hast du?
HANS
beherrscht sich und lächelt.
O nichts ... nichts ...
TRAUTE.
Doch. Du zucktest ja zusammen.

Das Signal wird wiederholt.
HANS.
Hörst du?
TRAUTE.
Ja – was ist das?
HANS.

Kennst du das nicht? Das ist unser Wecksignal ... morgens ... damit fängt bei uns der Tag an ... in der Kaserne. Ha, ha ... Das Signal wird wieder holt. Er singt mit. »Ihr – habt genug – lang genug – lang genug geschlafen!« –

TRAUTE
leise.
Weißt du, Hans –: die Augen zumachen und nie ... nie wieder erwachen ...
HANS
sieht sie an, macht sich los und geht zum Fenster.

Das ist irgend so 'n dummer Kerl, der da am Sonntagnachmittag Signale übt ... Nervös. Wirklich: ein dummer Kerl. Traute ist zu ihm getreten, er legt den linken Arm auf ihre Schulter. Sie sehen hinaus. Die Sonne ist im Untergehen. Sei nicht bös, mein Liebling. Aber diese letzten Tage – – frühmorgens, das Signal... es traf mich jedesmal wie ein – wie ein Dolchstoß. Weißt du? Es war [286] immer schon früh, wenn ich von dir kam, Süße ... dann ein paar kurze Stunden schweren Schlaf und dann – dies Signal – wieder der Tag – wieder dies Leben – o ... Verstehst du mich, meine Traute?

TRAUTE
den Kopf an seiner Schulter, nickt.
Pause.
HANS
sanft.

Aber komm – es wird dunkel und kalt draußen. Wir wollen das Fenster schließen. –Schaut sinnend hinaus. Harold hat recht. Was war das für ein Tag. Was war das für ein wundervoller, närrisch verfrühter Tag im Jahr – man ahnte – ahnte schon alles – und nun ist er aus. Ha ...! Dummheit!


Er blickt verwirrt um sich.
TRAUTE.
Hans ...
HANS
reißt sie heftig an sich.
Daß ich dich so – festhalten könnte!
TRAUTE.
Das kannst du!
HANS.
Komm – nun wollen wir Licht machen.
TRAUTE.

Ja, Hans ... und wieder tapfer sein und heiter. Was hast du mir versprochen, Hans? Dieser letzte Abend sollte noch mir gehören – wir beide wollten noch einmal glücklich und selig beisammen sein und an keine Traurigkeiten denken – nicht an das, was – morgen sein wird.

HANS.

Ja! Und so wollen wir es auch halten. Komm, hilf mir! – Auch die Leuchter stecken wir an – und dort die Lampe ...


Er weist auf die Lampe auf seinem Schreibtisch. Beide machen Licht. Hans schließt das Rouleau des Fensters.
TRAUTE
am Schreibtisch.
O, was ist das für ein großer Brief! – Mit zwei Siegeln ...
HANS.
Laß ihn nur liegen ...
TRAUTE.
»Frau Generalin« ... Ah, an deine Großmutter? Was hast du denn an die so viel zu schreiben?
HANS.
Ach es ... ist eine Art Abrechnung – Geschäfte. Leg ihn hin!
TRAUTE.
So rüstig ist sie noch, daß sie ihre Geschäfte selber führt.
HANS.
O ja. – Sie führt ihre Geschäfte.
[287]
TRAUTE.
Und wie alt, sagtest du?
HANS.

Achtundachtzig – aber sie wird uns alle überleben. Obwohl sie nicht mehr hören und kaum noch sehen kann, geschieht doch nichts in der ganzen Familie, was sie nicht gewollt hat. Eine eiserne Frau, sag ich dir! – Alles ist vor ihr gestorben. Der Großvater fiel bei Mars-la-Tour – meine Mutter mußte ihr Leben lassen bei meiner Geburt – und mein Vater fiel im Duell – – aber sie lebt – lebt und herrscht – soweit sie's kann – soweit sie's kann.

TRAUTE
am Schreibtisch, entfaltet ein Papier.
Was ist denn das? – O!
HANS
schnell.
Nichts – laß das!
TRAUTE
freudig.
Ein Gedicht! Ein Gedicht! Hurra! Mein Liebster hat mal wieder ein Gedicht gemacht ...
HANS
eilt auf sie zu.
Ich bitte dich – gib das her ...
TRAUTE
weicht ihm aus.
Nein, nein. Sie flieht damit und liest schnell.
»Am Rosenmontag liegen zwei,
Die kalten Hände noch verschlungen ...
HANS
entreißt ihr das Papier, knittert es zusammen und steckt es in die Tasche.
Laß! Laß den Unsinn!
TRAUTE
ist zusammengeschauert und wiederholt leise.
»Am Rosenmontag liegen zwei,
Die kalten Hände noch verschlungen ...

Pause.
Schweigende Umarmung.
HANS
streichelt sie tröstend und versucht einen leichten Ton anzuschlagen.

Ich bin eben ein Esel. Sag es selber. So dummes Zeug. Er versucht zu lachen. Nenne mich Esel! – Nein? Ach, dann hast du mich gar nicht mehr so lieb wie früher – wie oft hast du mich damals so genannt! – Ha! Weißt du noch, wann du zum erstenmal Esel zu mir gesagt hast? – Aber ich! Ganz genau! Draußen in Paulis Garten war's – noch ganz im Anfang.

Ja, ja! Ich hatte mir ein Herz gefaßt und dir so recht ... recht spießerhaft auseinandergesetzt, daß[288] ich ... na? ... daß ich kein ... Vermögen hätte. Er lacht und seufzt dann laut auf. Ha ... ja, ja ... das waren noch Zeiten ... Er trinkt aus und schenkt ein. Trink!

TRAUTE
ihn groß ansehend, still.
Hans – was – hast du denn vor?
HANS
harmlos tuend.
Hm? – Was? Was ich vorhabe? Wieso?
TRAUTE.
Was – willst du tun?
HANS.
Aber Traute! Du weißt doch ...
TRAUTE.
Was?
HANS.

Wir haben doch alles miteinander besprochen. – Dies soll unsre letzte Festnacht werden – unser Karneval – und dann morgen früh, wenn der Tag graut ... der Rosenmontag, dann wollen wir stumm auseinandergehen – wie's sein muß – du nach Hause – ich in die Kaserne ...

TRAUTE.
Und dann?
HANS.

Ohne Abschied – das vergaß ich – ohne Abschied. Wir sagen uns nicht Lebewohl ... Das können wir nicht ... wir trennen uns. Du gehst nach Hause – ich in die Kaserne. Hier! In diese Kaserne ...

TRAUTE.
Und dann?
HANS
lächelnd.
Ha, ha ... dann? Kleine Neugier ... Nun – das Leben geht eben weiter. Seinen Lauf.
TRAUTE.
Nein, nein ...
HANS.

Doch. Auf das Fest von gestern folgt das Fest von heute. Du weißt doch: großer Fastnachtsball des Regiments. Meine Braut kommt mit ihren Eltern. Traute zuckt heftig zusammen. Die Herrn Leutnants spielen den Handschuh von Schiller als Bühnenweihfestspiel. Herr von Grobitzsch spielt das Tigertier, meine beiden Vettern die Leoparden ... das wird sehr lustig werden ... Ha, ha, ha ...

TRAUTE.
Hans, und das willst du, das kannst du ... Da wirst du so ... dazwischen sein?
HANS.
Muß ich nicht?
[289]
TRAUTE
schüttelt den Kopf.
Das kann ich mir nicht denken ... Wie kann das nur sein?
HANS
laut.

Ä ... sorge dich nicht um morgen ... ich tu's auch nicht. Trink. Sie stoßen an. Die Tage, die wir zusammen verlebt haben – diese seligen, letzten Tage – und Nächte – nicht wahr, meine Traute: die raubt uns niemand – niemand mehr!

TRAUTE
umarmt ihn.

Leidenschaftlich. Nein! – Niemand mehr ... Sie trinkt und sieht ihn an. Eindringlich, leise. Nicht wahr! Nicht wahr, Hans: das – das würdest du doch nicht – ohne mich tun?

HANS
sieht sie erschrocken an und weicht dann ihrem Blicke aus.
Befangen. Das? ... Ich weiß nicht, was du ... ich verstehe dich nicht.
TRAUTE.

O ja! Hans! Leidenschaftlich. Nicht ohne mich! Hörst du? – Wenn du mir heute ... zu jeder Stunde ... wenn du mir jetzt tagtest: komm – ich folgte dir. Es wäre nur eine dunkle Pforte ... durch die müßten wir hindurch ... und dann ewig, ewig vereint ...? Hans!

HANS
sucht sie zu beruhigen.
Was denn: was denn, Traute? Torheiten! Einbildungen!
TRAUTE.
Nicht wahr: du gehst nicht allein? Das wäre Sünde von dir, Hans.
HANS
zieht sie an sich.

Aber wer spricht denn da von? Wer denkt denn daran! – – Mein armes Kind! – – Beruhige dich doch! Mein armes Kind –

4. Szene
Vierte Szene
Sechs Masken in schwarzen Dominos und mit schwarzen Larven sind fast lautlos eingeschlichen, die eine bleibt an der Tür stehen, die anderen schleichen in einem Art Tanzschritt ins Zimmer.

TRAUTE
bemerkt sie zuerst.
Mit einem Aufschrei. Was ist das?
HANS
steht auf und tritt den Masken entgegen.
Nanu? Was wird denn das?
DIE MASKEN
umringen ihn schweigend, einige winken Traute, die aber hinter dem Tisch bleibt.
[290]
HANS.
Nu macht's kurz – was wollt ihr?
DIE MASKEN.
Pst! –

Auf das Zeichen des Einen singen sie im tiefen Baß mit gleichen Bewegungen nach der Melodie des Gassenhauers, den vorhin Moritz und Benno gepfiffen haben.

Es war ein Leutenant, der nahm ein junges Weib,
doch hat er eine Liebste noch für 'n Unterleib.
Der Leutenant, der wollt' zur Kirche gehn,
das wollt' die alte Leibste ihm nicht zugestehn,
der Leutenant, der wollt' zur Kirche gehn,
das wollt' die alte Liebste ihm nicht zugestehn.
HANS.
Haltet eure ungewaschnen Schnauzen!
DIE MASKEN
brechen in ein tolles Gelächter und allgemeines Hallo aus.
Alles wirft nach ihm mit Papierschlangen und Konfetti.
HANS.
Macht, daß ihr herauskommt! Hier gehört ihr nicht her ... Es hat euch keiner gerufen.

Erneutes Gelächter.
TRAUTE
hat sich aufs Sofa gesetzt und den Kopf in den Händen verborgen.
Sie bleibt in dieser Stellung, bis Hans sie anspricht.
[291]
HANS.

Auf die Straße mit euch! Vorwärts! Diese Nacht im Römischen Kaiser – da will ich euch Rede stehn. Und wenn ihr meine sauberen Vettern seht – die tüchtigen Herren von Ramberg – so sagt ihnen, daß sie sich hüten sollen und mir nicht unter die Augen treten! Ja, sagt ihnen, daß sie den Schatten meiner Hände meiden sollen – die Helden. – Er lacht laut. Und nun hinaus mit euch – Gespenster – Spuk!

DIE MASKEN
haben die vorigen Worte von Hans anfänglich ruhig angehört.

Einige drängen wieder ins Zimmer, aber die meisten halten sich zurück und drängen dem Ausgange zu. Sie pfeifen die Melodie des Gassenhauers und gehen bis auf die eine, die an der Tür stehen geblieben ist, ab.

HANS.
Na und du? – was willst du hier noch? Vorwärts! Trolle dich nur auch!
HAROLD
maskiert, flüsternd.
Hans –
HANS
fährt zusammen, ebenfalls leise.
Harold. Was ...
HAROLD.
Hans, du mußt weg ... du mußt fort ... noch vor morgen ... das weißt du doch, Hans?
HANS
auf Traute blickend.
Pst –
HAROLD.

Nimm die Traute und geh in die weite Welt. – Da! Hier. – Er will ihm eine Brieftasche geben. Nimm das! – Du weißt: ich brauch's nicht. – Nimm es, Hans!

HANS
grinsend.

Eine Brieftasche? – Wie ein Leutnant aus Tausend und einer Nacht. Auf einen Blick Harolds ernst. Verzeih ...


Er schüttelt den Kopf.
HAROLD.
Hans!
HANS.
Ich danke dir, Harold, aber ... Fahnenflucht ... nein.
HAROLD
geht stumm ab.
5. Szene
Fünfte Szene
HANS
sieht ihm einen Augenblick nach, schließt dann die Tür ab und geht langsam zu Traute, der er übers Haar streicht.
Nun, [292] Liebste ...? Sie sind fort, die Gespenster ... der böse Spuk ... ja! Die dummen Fratzen!
TRAUTE
aufweinend.
Ach Gott, Hans – ich – ich habe dich unglücklich gemacht!
HANS
still.

Nein, mein Kind – das hast du nicht getan. Du – du hast mir die wenigen Stunden Glück gegeben, die mir je beschieden worden sind – und die Ahnung einer reineren, zarteren Welt – die meine Füße ...

Sieh: das wußt ich schon, wie ich noch als Kind unter fremden Leuten herumgestoßen wurde – daß mir kein besonderes Glückslos gefallen war ... auf dieser Erde. Und so ausgehungert und fast verdurstet nach einem bißchen – einem bißchen Liebe – ist wohl noch nie ein junger Mensch gewesen, wie ich – damals, als ich dich fand ...

Glück ... Man muß nicht unbescheiden sein. Dies ist Glück, daß ich dich habe und halte – dich, meine Traute, in dieser Stunde, in dieser Minute.Heiter, indem er sie aufrichtet. Komm! So wollen wir denken, so wollen wir es halten, wir beiden ... Ha, ja: wie du aussiehst? Ist das ein Büßerhemd? Pfui! – Er führt sie nach vorn. Aber hier! Er wirft einen Domino um ihre Schultern. Er setzt sich in den Stuhl vor dem Tisch. Wie herrlich du bist, meine Traute! Da: hier steht noch eine volle Flasche? Und jetzt – jetzt wollen wir uns vorbereiten – zu unserem Fest, zu unserem Karneval. Carne vale! Du bist so schön und so gut – alle Menschen müßten dir dienen!


Er schließt sie mit Lachen in die Arme. Das Lachen geht in Schluchzen über. Der Vorhang fällt.

5. Akt

1. Szene
Erste Szene
GLAHN
geht »mit festem Schritte« in die Mitte der Bühne und nimmt den Handschuh auf.
VON MARSCHALL
deklamierend.
»Und er wirft ihr den Handschuh ins Gesicht –«
GLAHN
legt den Paukhandschuh zart vor dem schlafenden Benno auf den Tisch.
Laut. »Den Dank, Dame, begehr ich nicht!«
VON MARSCHALL.
»Und verläßt sie zur selben Stunde.«
[294]
GLAHN
macht stramm kehrt und schreitet wieder mit festem Schritt nach rechts wo er sich niederläßt.
BENNO
ist aufgewacht und starrt auf den Handschuh.
Kolossal!

Er schläft sofort wieder ein.
VON MARSCHALL
vom Tisch heruntersteigend.
So, meine Herren, ich denke, das genügt!
ALLE
mit Ausnahme von Benno und Moritz.
Gott Sei Dank!
MORITZ.

Lieber Marschall, ich muß doch sehr bitten ... ich kann Ihnen nur noch einmal versichern: der Leu liegt mir nicht. Er liegt mir absolut nicht! Und wenn der Herr Hauptmann von Itzenplitz sich jetzt noch in letzter Stunde darum drücken will, so find ich das unerhört – unerhört.

VON MARSCHALL.

Diesterbeg, sein Sie doch friedlich! Sie wissen doch: die Damen des Herrn Hauptmanns! Sie haben schließlich die Befürchtung ausgesprochen, daß eine solche Rolle die natürliche Wildheit des Herrn Hauptmanns wecken und –

MORITZ.

Ich bin kein Schmierenschauspieler! Ich kann eine solche wichtige Rolle nicht von heute auf morgen übernehmen. Ich muß Zeit haben, mich hineinzuleben –

PETER
der aufgestanden ist.
Oller Salonlöwe ...
PAUL
gähnend.
Ach Moritz, laß doch die Witze ... es am frühen Morgen. Und die Lampen gehen aus.

Er pustet eine nur noch flackernde Petroleumlampe aus.
GLAHN.
Also Schluß.
VON MARSCHALL.

Halt, meine Herren – bitte noch eia paar Worte! Wenn ich auch von einer nochmaligen Wiederholung absehe, möcht ich mir doch noch kurz einige nötige Bemerkungen erlauben. Er sieht auf einen Zettel. Also. – Der Ritter war korrekt. Glahn verneigt sich. Das Fräulein Kunigund wußte die herzlose Koketterie der gefeierten Hofdame elegant zum Ausdruck zu bringen. –

PETER.
Benno, hast du gehört?
MORITZ.
Laßt ihn doch schlafen ...
[295]
BENNO
ohne sich zu rühren.
Kolossal ...
VON MARSCHALL.
Der Leu –
MORITZ.
Wie gesagt ... –
VON MARSCHALL.

War ausgezeichnet! Gerade die Tenorlage, lieber Diesterbeg, macht ihr wertes Brüllen eindrucksvoll und majestätisch! Glauben Sie mir das!

MORITZ.
Sie schmeicheln. Aber wenn Ihnen mein bescheidenes Können genügt ...
VON MARSCHALL.

Ebenso war das Tigertier des Herrn von Grobitzsch von größter Wirkung! Schon die ganze Art des Auftretens und die originelle Auffassung, wie Sie mit dem Schweif einen furchtbaren Reif zu schlagen wissen – wirklich tadellos: mein Kompliment. Von Grobitzsch verneigt sich. Dahingegen ließen die beiden Leoparden – so vortrefflich sie sonst herauskamen – doch einiges an Kampfbegier vermissen. Es wollte mir scheinen, als ob das Tigertier kaum seiner grimmigen Tatzen benötigt hätte, um sie zu beruhigen. Wenn ich also bitten darf: heute abend etwas – ä – raubtiermäßiger, nicht wahr? Wilder!

PETER UND PAUL.
Zu Befehl.
VON MARSCHALL.

So, meine Herren, das wär wohl alles. Was die Damen im schönen Kranz betrifft, die jetzt noch fehlen – so werden dieselben heute abend jedenfalls durch Toiletten und stummes Spiel leisten, was zu leisten ist. Ich glaube, wir dürfen uns auf sie verlassen.

PETER.
Da geht schon wieder eine Lampe aus. Beleuchtung wird hoffentlich heute abend glänzender sein.
VON MARSCHALL.

Ja, ich konnte die Ordonnanzen für diesen »Nachtdienst« nicht mobilisieren. Und nun, meine Herren, wolln wir zu Bette gehen, was? Allgemeines Gelächter. Hohngelächter der Hölle... Er sieht nach der Uhr. Allerdings schon gleich halb Sechs. Na, immer noch 'ne halbe Stunde. Gute Nacht, meine Herren.

[296]
ALLE
mit Ausnahme Bennos, der weiterschläft.
Guten Morgen ... Morgen ...
VON MARSCHALL
rechts ab.
2. Szene
Zweite Szene
MORITZ.

Zum Umziehen ist immer noch Zeit – trinken wir in Ruhe unsere Reste aus ... Man setzt sich zusammen. Ach ja! Benno hat das bessere Teil erwählt.

PAUL.
Moritz, brülle mal!
MORITZ.
Werde mich hüten! Damit ich heute Abend heiser bin.
GLAHN
nach den Fenstern blickend.

Es macht mir, bei Gott, den Eindruck, als ob der Rosenmontag, der Schwerenöter, bereits zu dämmern begönne, he?

FRITZ VON DER LEYEN
kommt von rechts herein.

Er ist auf dem Ball gewesen und man merkt ihm seine animierte Stimmung deutlich an. Er trägt Zivil, Domino und alle möglichen Abzeichen. Unmotiviert lachend, bleibt er in der Tür stramm stehn. Morjen! Er lacht. Komm ich hier recht in die Instruktionsstunde?

PETER
freundschaftlich grob.

Junge, was willst du denn hier noch? Du tatst auch besser, im Bettchen zu liegen, so 'n junger Dachs wie du sollte überhaupt noch nichts vom Karneval wissen.

FRITZ.
Ho, ho! Grade! Pardon!

Er lacht.
PAUL.
Wo kommst du denn her?
FRITZ
grinsend.

Wo ich herkomme? Ha! Aus dem Römischen Kaiser komm ich her! Jawohl. – Es war sehr feudal im Römischen Kaiser, sehr feudal. Die beste Gesellschaft. Habe euch auch was Feines zu erzählen. Habt ihr noch was zu trinken? Pardon!

PETER.
Ne. Du hast auch genug, mein Sohn ...
PAUL.
Gieß dir 'n Eimer Wasser übern Kopf.
FRITZ.

Hihi! Ratet mal, wen ich gesehen habe im Römischen Kaiser? Könnt ihr doch nie raten! Rudorff [297] hab ich gesehen! Jawohl! Euren Heben Vetter Hans! Na, du kennst ja meine Auffassung. Er tanzte wie ein Amalekiter!

MORITZ.

Erlauben Sie mal, Verehrtester, Benno und ich waren auch im Römischen Kaiser, haben aber Rudorff nicht gesehen.

FRITZ.
Ist er wohl später gekommen – er war verdammt fidel! Ich meinerseits fand das höchst ... ä ...
PETER
ärgerlich.

So. Mein Lieber, hältst du es für nötig oder geboten, uns das zu erzählen? Es ist freilich wenig taktvoll von Hans, wo heute seine Braut kommt, die Nacht so durchzutoben, aber schließlich, es ist Karneval ... Maskenfreiheit ...

FRITZ.

Nix Maske, lieber Ramberg ... garnix Maske. Weder er noch sie. Denn er hat immer nur mit der einen getanzt, der einen ... ihr wißt doch ... der von früher ...

PAUL.
Was?! Mit ... Wie sah sie aus?
FRITZ
grinsend.
Sehr gut! Alles was recht ist! Feudal! Zum Anbeißen, wie man so sagt.
PETER.
Fritz! Mensch! Doch nicht die ...
FRITZ.
Ja, ja, natürlich. Ach, ihr wißt ja ganz genau! Ich habe bloß den Namen vergessen.
PAUL.
Die Traute? –
FRITZ
lächelnd.
Die Traute, nu ja, natürlich. Ihr kennt ja meine Anschauung, wie gesagt ...
PETER UND PAUL
sehen sich entsetzt an.

Pause.
MORITZ
unterdrückt.
Donnerwetter!
PETER UND PAUL
wenden sich angstvoll, wie hilfesuchend an von Grobitzsch, der dem Vorigen aufmerksam, scharf beobachtend gefolgt ist.
Grobitzsch!
PETER.
Um Gottes willen, lieber Grobitzsch ...
PAUL.

Was ist da zu machen?

VON GROBITZSCH richtet sich zu seiner vollen Größe auf und mustert die Beiden verächtlich von oben bis unten: Wie? – Was? Was beliebt den Herren?

[298]
PETER.
Aber, lieber Grobitzsch, ich ...
VON GROBITZSCH.

Herr von Ramberg, ich ersuche Sie, sich mir gegenüber eines möglichst kühlen Tones zu befleißigen. Ich werde desgleichen tun. Die Rambergs sehen ihn erstaunt und erschrocken an. Ja, ja, meine Herren! Einmal und nicht wieder. Einmal hab ich allerdings die ... Ehre gehabt, mit den Herren unversehens in eine Art ... in eine Art Bündnis geraten zu sein. Es wird mir Zeit meines Lebens eine peinliche, eine sehr peinliche Erinnerung bleiben. Denn: um Ihnen das denn doch einmal zu sagen – auch hier vor den andern Herrn – Sie waren es, Sie ganz allein, die damals die famose Geschichte eingefädelt haben, und ich – ich war dabei ebenso der Eingefädelte wie der gute arme Hans. Jawohl! Ich, Ferdinand Grobitzsch, habe mich von diesen Herren düpieren, benutzen lassen: das werde ich mir nie verzeihen. Und das ist mir Ochsen erst klar geworden, als das betreffende Schätzchen am frühen Morgen mein Zimmer verließ und mich dabei anguckte. – Wie ich lebe und wie ich es mit den Weibern halte, geht keinen was an, ist meine Sache. Ich fasse das Leben, so wie ich bin – ohne viel Skrupel, mit gutem Appetit und gesunden Kinnladen – und mich haben Sie dazu ausersehen, Ihnen dienlich zu sein bei einem raffinierten Streich zur höheren Ehre der Moral und der guten Familie! Pfui Deuwel! Nein, meine Herren: es trennt uns doch wohl eine ganz gefährliche Kluft. –

Und wenn Ihr Herr Vetter jetzt ein toter Mann ist, und das wußte ich bereits – bevor dieser ... Jüngling uns seine wichtige Meldung machte. Ich selber hatte die unangenehme Pflicht, dem Herrn Oberst davon Meldung zu machen, daß er sein Ehrenwort gebrochen und seine intimen Beziehungen zu jenem Mädchen wieder aufgenommen hatte – – Wenn Ihr Herr Vetter jetzt als Offizier ein toter Mann ist, so hat er das Ihnen zu verdanken und nicht mir!

[299]

So! Das wollt ich konstatiert haben, – Im übrigen seh ich keine Ursache, den Fall gar so tragisch zu nehmen – mein Gott, es brauchen doch nicht alle Menschen Offiziere zu sein – es muß auch Versicherungsagenten geben.

Guten Morgen, meine Herrn!


Er geht rechts ab.
PETER UND PAUL
haben sich, niedergeschmettert, einer nach dem andern gesetzt.
BENNO
ist während der Rede von Grobitzsch aufgewacht.
Schlaftrunken. Kolossal!
MORITZ
ingrimmig zu Fritz, der mit einem blöden Lächeln dasteht.
Na, Sie ... »Jüngling« ... adieu!

Die Rambergs und Glahn werfen ihm verächtliche Blicke zu.
FRITZ
geht sehr betreten ab.
Sein Gruß wird nicht erwidert.
3. Szene
Dritte Szene
MORITZ
sein Glas leerend.
Hm ... scheußlich ...
BENNO.

Hm ... ja ... sehr bedauerlich ... Deuwel auch! Was wird nun wohl aus dem Gräflich Baudenschen Grundstück werden?

MORITZ.
Käthe Schmitz – armes Mädchen ...
GLAHN.
Besonders hart find ich es für den Schwiegervater. Ein Mann, der so 'ranging ...
PETER
steht nach einem tiefen Seufzer auf.
Komm Paul – wir wollen gehn.
PAUL
sich ebenfalls erhebend.
Ja. –
4. Szene
Vierte Szene
HANS
von rechts, wie Fritz von der Leyen vom Ball kommend.

Er tritt hastig ein, bleibt aber in der Tür stehen. Er ist im offenstehenden Domino, mit allerlei karnevalistischen Abzeichen behängt. Höhnisch und ausgelassen. Hurra! Da hätt ich euch ja endlich – endlich! Ihr habt's mir, weiß Gott, nicht leicht gemacht, die ganze Nacht such ich euch schon. Zu Moritz und Benno. Na und ihr beiden munteren Seifensieder? Alleweil fidel – was? Aber nein! Ihr [300] schneidet ja ganz possierliche Gesichter: das soll wohl Ernst sein? – Und der Herr Glahn?

GLAHN
formell zu den andern Herren.
Also, adieu – auf Wiedersehn.

Er vermeidet es, Hans anzusehen, und geht ab.
HANS
sieht ihm nach.

Leise. Aha ... also soweit sind wir schon ... Zu den Rambergs. Laut. So! Und nun zu euch! Endlich bin ich so weit, mit euch noch ein letztes Wort im Vertrauen zu wechseln. Wißt ihr, was ihr seid? Ihr –

PETER
mit ernster Haltung.

Hans! Halt! Nicht so. Bedenke, was du tun willst. Bedenke. Du trittst jetzt aus unseren Kreisen heraus. Du hast es nicht anders gewollt. Damit aber bist du für uns nicht mehr ... nicht mehr ...

HANS
starr.
Satisfaktionsfähig ... ich verstehe.
PETER.

Hans – laß lieber mich noch ein Wort sagen – ohne Haß. Du siehst in uns beiden jetzt Feinde – Leute, die dich um dein Glück, um deine Existenz gebracht haben ... und wir, wir haben uns seit unserer gemeinsamen Kindheit immer bemüht, deine besten Freunde zu sein. So gut wie wir's eben verstanden haben ...

HANS
höhnisch.

Wie ihr's verstanden habt?

Ja! Und wie auch ich's verstanden habe, solang ich dumpf und blind in eurer Luft dahingelebt habe. Irgend etwas in mir wollte ja immer heraus aus eurer Welt ... heimlich hab ich ja immer gelitten, gelitten unter all dem kleinen Zwang und dem dummen Drangsalieren, doch – ich fand mich ab, recht und schlecht fand ich mich ab. Aber dann kam ein Tag und eine Stunde ... ja, da ... das ... Verächtlich. verstandet ihr dann nicht mehr.

PETER.

Wir haben's vielleicht schlecht verstanden. Und dennoch tust du unrecht, wenn du die Schuld an deinem Schicksal auf uns abwälzen willst ...

HANS.
Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten, mein Junge ...
[301]
PETER.
Du hast dich von deiner Leidenschaft beherrschen lassen ...
HANS.

Und ihr habt gelogen. Gelogen, und daraus ist alles entstanden und geworden ... Aber ihr habt recht – ihr mit eurem armseligen guten Willen ... Ihr habt es ja mit mir nur gut gemeint. Wie sollt ich euch da zum Dank in dieser letzten Stunde eure Vorderzähne ... Nein, nein! Ihr habt recht. Telegraphiert eurer Großmut ter, daß ihr recht habt! Ihr habt mich entwaffnet. – Ich kann euch nicht mehr beleidigen. Und ihr – mich auch nicht. Er sieht sie kalt und fremd an. Ja. So – wollen wir scheiden.

PAUL
verlegen.
Ja, wir ... wollten ja sowieso schon ...
PETER UND PAUL
wechseln noch einen Blick mit Hans und gehen ohne Gruß ab.
HANS
erwidert ihre Blicke und verfolgt sie mit den Augen, bitter lächelnd.
MORITZ UND BENNO
sind beide bewegt und drücken ihm jeder noch einmal stumm die Hand.
Dann gehen auch sie und Hans bleibt allein zurück.
5. Szene
Fünfte Szene
HANS
sieht sich plötzlich im Raum um, als müsse er sich besinnen, wo er eigentlich sei.

– Sein Blick bleibt an dem Bilde seines Großvaters zwischen den Fenstern hängen. Er tritt dem Bilde näher. Er nimmt eine Lampe vom Tisch und beleuchtet das Bild des Obersten. – So steht er eine Weile. Nein, nein ... du: habe keine Angst. – – Was getan werden kann – das – das werde ich tun.

TRAUTE
aufgelöst, fast atemlos, tritt ein.
HANS
hört sie und wendet sich um.
Also doch – – du – Er fährt sie hart an. Was willst du? Was willst du hier? – Wie kommst du hierher?
TRAUTE.
Ich suchte dich! Ich fand dich! Ich sah dich da – mit der Lampe in der Hand ...
HANS
ohne Mäßigung.
Hab ich dir nicht gesagt – – Weshalb folgst du mir? Wie? Weshalb läufst du mir nach?
[302]
TRAUTE
mit aufgehobenen Händen bittend.
Hans!
HANS
aufgeregt.

Ja, ja! ... Du verfolgst mich! Was hab ich dir gesagt? Immer wieder gesagt? Du sollst gehn ... gehn sollst du, gehn!

TRAUTE
verletzt, hart.
Vergiß nicht, mit wem du sprichst!
HANS.

Mit dir! Jawohl, mit dir! Ich weiß, wer du bist. Ich habe dir das Leben zerstört, ich habe dich zur Dirne gemacht und jetzt – jetzt stoß ich dich von mir – jawohl! Wundert dich das? Was willst du? Wird's denn nicht so gemacht? Ich handle nur konsequent. – Also geh! Lauf! Und hasse mich – ja: hasse mich: du hast das vollste Recht dazu!


Pause.
TRAUTE
nachdem sie den Zorn in sich niedergekämpft hat.
Du kannst mich nicht irre machen, Hans –
HANS.

Irre machen? Was heißt das? War es nicht unsre feste, heilige Abrede, daß wir stillschweigend – ohne Abschied auseinandergehn wollten in dieser Nacht – da dorthin und ich – hierher? War das nicht dein eigener tapferer Entschluß? Und nun – brichst du dein Wort und heftest dich an mich, verfolgst mich wider meinen Willen, trotz meiner Bitten, trotz meines Befehls?! Was soll das? Was heißt das? Schämst du dich nicht?

TRAUTE.
Nein, Hans. Ich –
HANS.

Heute ist Rosenmontag! Heut Abend ist der langersehnte Kasinoball! Willst du mir vielleicht auch dahin nachlaufen? Willst du es darauf ankommen lassen, daß dich die Ordonnanzen schließlich mit Gewalt vor die Tür setzen?

TRAUTE.

Rufe nur gleich deine Ordonnanzen und laß mich auf die Straße stoßen – denn heute Abend, Hans – auf den Ball heut Abend wirst du nicht mehr gehn. –

HANS
sehr betroffen.

Wie? Was ... heißt das? Du weißt doch, um was es sich handelt, was los ist – daß meine Braut kommt, mein Schwiegervater ...

[303]
TRAUTE.
Deine Braut und dein Schwiegervater werden kommen – vielleicht. Aber du wirst nicht kommen.
HANS
schweigt und starrt sie an.
TRAUTE
hält seinen Blick aus.
Hans. – Ich weiß, was du vorhast ...
HANS.
Was ich ... vorhabe ...
TRAUTE.

Ja. Was du tun willst, jetzt, in dieser Stunde. – – Und deshalb verlaß ich dich nicht. – Du willst eine große Sünde tun.

HANS.
Sünde. Was ist Sünde? Ich weiß von keiner Sünde. Ich tue, was ich tun muß.
TRAUTE
innig, flehend.
Tu's nicht, Hans ... tu's nicht!
HANS.
Ich weiß nicht, wovon du sprichst.
TRAUTE
zitternd.
Und wenn du's dennoch ... tun mußtLeise. So nimm mich mit.
HANS
verwirrt, macht eine abwehrende Bewegung.
TRAUTE.

Nein? – Ohne mich? In sich gekehrt. Ob es mit mir ... auch Sünde wäre? – Gott ist so groß! ... Aber ohne mich – ja: da ist es eine Tod sünde! Wild aufbrechend. Da ist es gemeiner Verrat! Was hab ich dir getan, du! Ich habe dir mein Leben: meinen Leib und meine Seele hingegeben, hingeworfen, damit du sie nimmst – zu dir – für dich – sie zerstörst, wenn du mußt – aber nicht, daß du sie von dir schiebst, kalt und mitleidig – du bist feig, Hans, feig bist du! – – –

HANS
richtet sich auf und sieht sie groß an.
TRAUTE.

Ja, Hans! Es ist Feigheit, daß du dich vor mir versteckst, daß du dich wegstehlen möchtest von mir. Nimm mich, nimm mich – was starrst du mich so an? Ich gehöre dir – willst du es leugnen – willst du es noch leugnen vor mir, daß du dich töten willst – heute – noch in dieser Stunde?


Pause.
HANS
ruhiger, tiefernst.

Traute – höre mich an! – Ich habe schwere unsühnbare Schuld auf mich, geladen. Ich habe meine Braut – ich habe ihren Vater, [304] eine ehrenwerte Familie betrogen – ich habe meinem Oberst das Wort gebrochen. Doch auch ohne das – es ist nicht mehr das ein oder andere – es ist nicht mehr dies und jenes – es ist alles – ich kann nicht mehr leben in dieser Welt und – eine andre hab ich nicht. Da soll denn wenigstens der Name Rudorff – Nach einem flüchtigen Blick zu dem Bilde seines Großvaters, schwer. Glaube mir, du Liebe! Ich weiß schon, warum – nun ja: warum ich in den Tod gehe. Aber du – du –

TRAUTE
leidenschaftlich.

Aber ich bin zehnmal schuldiger als du! Ich habe dich, den besten Menschen, von seinen Wegen abgebracht. Ich habe in meiner sündhaften Liebe alles, alles vergessen und nur an das eine gedacht, wie ich dein sein könnte, wie du mir gehören könntest. Was bin ich noch wert? Sie wirft sich vor ihm in die Knie. Laß mich nicht allein, Hans! Laß mich nicht allein! Mein Leben hat keinen Sinn mehr ohne dich!


Sie klammert sich an ihn.
HANS
hebt sie mit Gewalt auf und sucht die Widerstrebende zu sich zu drängen.
In heftigem, innerem Kampfe. Traute ... Traute
TRAUTE.
Ich lasse dich nicht ... Sie ringt mit ihm. Ich lasse dich nicht ...
HANS.
Traute! So höre doch!
TRAUTE.

Nichts mehr, nichts mehr! Du selbst hast es ja vorausgefühlt, hast es ja vorausgewußt. Gestern Abend: die Verse, die ich auf deinem Schreibtisch fand: »Am Rosenmontag liegen zwei...«

HANS.
Nur gespielt, nur gespielt hab ich mit dem Gedanken.
TRAUTE.

Versündige dich nicht – nicht gespielt – dein Innerstes, dein tiefstes Gewissen hat dir gesagt, daß es so recht sei – daß du mich nicht verlassen dürftest. Zitternd. Sage mir: was soll aus mir werden, wenn du mich zurücklassest und ich den Mut nicht mehr finde, dir zu folgen?

[305]
HANS
hält sie mit beiden Händen, schwer atmend.
Du willst – mir folgen!
TRAUTE
seinen Blick voll erwidernd.

Ja. Ich muß. – Ich will. – Gott wird uns verzeihen – – – Gott ist ja so groß. Wie sollte er das nicht verstehn!

HANS
küßt sie auf die Stirn.
Pause.
TRAUTE.

Sage mir, Hans, wie hieß das Gedicht weiter, das du gemacht hast? Es waren nur noch ein paar Zeilen, ich hab es gesehen. »Am Rosenmontag liegen zwei – die kalten Hände noch verschlungen« – wie hieß es weiter? Bitte, sag es mir!

HANS
mit seinen Angen in ihren Augen, mechanisch, zögernd.
»Das Leben ... strömte rauh vorbei – die beiden ... haben's nicht bezwungen.«
TRAUTE
an seinen Lippen hängend.
Weiter! Weiter!
HANS.

»Als überwunden ... grüßen sie – den Sieger, dem das Glück begegnet – – – im Tod verbunden, segnen sie all jene, die das Leben segnet.«

TRAUTE.
Ja ... so. Selig, selig ... Mein Hans.

Sie schmiegt sich leise weinend in seine Arme.
Während die Beiden in schweigender Umarmung dastehen, ertönt draußen das aus dem vierten Akt
bekannte Wecksignal. Das erstemal leise, das zweitemal stärker, das drittemal fortissimo.
HANS
bei den ersten Tönen des Signals zusammenfahrend.
Horch! Hörst du? Das ist es! – Das Leben. Das Leben. Komm!

Er preßt sie an sich und eilt mit ihr links ab.
6. Szene
Sechste Szene
Gleichzeitig mit dem Signal erwacht das Leben in der ganzen Kaserne. Man hört in den ziemlich langen Pausen zwischen den Wiederholungen, wie es überall lebendig wird. Nach der dritten Wiederholung des Signals kommt Heinrich mit einer kleinen Laterne vorn rechts.

HEINRICH
suchend, in jammerndem Ton.
Ach Gott! ach Gott ... hier waren doch noch ...
JOSEPH
der ihm gefolgt ist, in der Tür.
Da brennt ja noch 'ne Lampe. Mir haben sie gesagt: hier muß er sein.
[306]
HEINRICH.
Aber wo denn? Er geht zu der einen Tür links und öffnet sie. Hineinleuchtend. Herr Leutnant?
JOSEPH.
Nichts?
HEINRICH.
Kein Mensch.
JOSEPH.
Vielleicht da?
HEINRICH
will die andere Tür öffnen und findet sie verschlossen.
Er klopft. Herr Leutnant!

Er horcht. Es bleibt alles still und er klopft noch einmal.
JOSEPH.
Weshalb soll er sich denn einschließen? Unsinn!
HEINRICH.

Herr Leutnant! – Herr Leutnant, es ist Zeit! Was soll ich machen! Es ist ja die höchste Zeit! – Er rattert an der Tür. Herr Leutnant, es ist die allerhöchste Zeit ...

HAROLD
kommt eilends herein und bemerkt Heinrich an der Tür.

Was ist? Zu? – Zu Joseph. Drück dich – Joseph eilends rechts ab. Zu Heinrich. Vorwärts, Kerl! Anfassen! Er stemmt sich mit Heinrich gegen die Tür. Eins, Zwei ...


Die Tür fliegt auf, beide gehen hinein.
Die Bühne bleibt einen Moment leer.
HEINRICH
mit den Zeichen des furchtbarsten Entsetzens, kommt wieder heraus und eilt stolpernd ans Fenster, das er aufreißt.
Hilf –

Das Wort bleibt ihm in der Kehle stecken. Er gestikuliert heftig zum Fenster hinaus.
Draußen setzt jetzt die volle Militärmusik mit einem flotten Marsch ein.

Ende.

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TextGrid Repository (2012). Hartleben, Otto Erich. Dramen. Rosenmontag. Rosenmontag. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-36BB-0