[Als Knabe hab ich dich geliebt]

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Als Knabe hab ich dich geliebt
und du, ein süsses Kind, auch mich:
wenn es auf Erden Reines giebt,
traf da die Gnade mich und dich.
Da schon ich heisse Lieder sang,
in mich verscheucht, fremd in der Welt,
noch stets in meinem Herzen klang
Erinnrung, phantasiegeschwellt. –
Seitdem hatt ich den Ton verlernt,
bei dem die Seele einst gebebt:
ich war dir nah und doch entfernt,
ich habe ohne dich gelebt.
Doch heut, heut sah ich dich im Traum
und küsste wieder deinen Mund.
Zwar, dich zu fühlen, wagt ich kaum,
und fühlte doch der Brüste Rund.
Das weiche, warme Braun des Haars,
der braunen Augen blitzender Schein,
das spöttische Kindeslachen wars ...
Und – bin erwacht und – bin allein.

Notes
Entstanden 1885.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Hartleben, Otto Erich. [Als Knabe hab ich dich geliebt]. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-36A2-6