[Zweymal ist der Schnee zerflossen]

[17] Damit schwunge sich dieser/ ohne ferners Wortverlieren in die Luft/ und entkame unser aller Augen urblötzlich/ uns vor Schrekken fast erstarret hinterlassende/ da dann diese ungewönliche Begebniß an stat unzalbharer Abenteure war/ unser aller Gemüter in so viel zweifelhafte Verwirrungen zu setzen/ am meinsten aber meines/ der ich mich/ nicht so sehr von Anschauung dieser Wundergeschicht/ als Behertzigng derer Reden ermeldeten Gottes/ ausser mir selbsten befande.

Wahr ist es/ ich bliebe an meinem Ort unverwandt stehen/ recht wie ein andrer Battus/ den der Majen-Sohn in einē Felsen verwandelet 1/ doch ermuntrete ich mich endlich/ mehr durch mühsames Zuthun derer Anwesenden/ als von mir selbsten/ zugleich damahls in diese Wort (die ich mit einem tief-geholten Seufzer begleitete/) herausbrechende: So ist es nun an dem/sagete ich wider mich selbst/ daß du/ arbeitseliger Floridan/ daß du/ sprich ich/ verlassest diese ergötzliche Felder/ diese kleebare Auen/ diese gedeyliche Weide/ diesen silber- und Krystallenrieslenden Fluß/diese über-irdische Nymphen-Lust/ diese unvergleichliche Schönheiten/ und ach! Diese erfreuliche Gesellschaft? Ihr Himmel/ womit habe ich euren Grimm wider mich aufgereitzet/ daß ihr mir eine so schmertzliche Botschaft ankünden lasset? Ade/ Freud/ gute Nacht/ Lust und Ergötzung/ nun ich ja eurer Wohnung diß Orts soll gute Nacht sagen/ O unbarmhertziger Schluß/ der mich zu einem so betaurlichen Entschliessen zwinget.

Dieses und anders mehr stiesse ich dazumahl seuftzende heraus/ und beschlosse solches alles mit einem tiefen Stillschweigen 2. Inzwischen hielte ich mit meinen Gedanken einen Rahtsitz/ und reitzeten mich eines Theils oberwänte Ergötzlichkeiten sehr/alda zu verbleiben/ anders Theils aber widerredeten solches die Wort des Himmelsboten; Doch thäte das Verlangen/ welches ich hatte/ den weit- und Welt-beruchten STREPHON [18] zu sehen und wo möglich/ seiner Bewohnung zu geniessen/ ein merkliches in dieser Rahtspflege/ welches mich auch endlich mit meiner Widerlust einen Stillstand treffen/ und den Vrtheil-Spruch folgender massen (den ich mir selbst stellete/und also Part und Richter zugleich war) ausreden machete: Wie aber/ Floridan (fuhr ich gegen mir fort) wilt du dich widersetzen einem so mächtigen Gebieten/ oder wilt du ihm mißfolgig seyn? Nein/ nein/ eile nur bald/ wohin dich dieser rufft/ dessen Will dir ein unwiederruffliches Gesatz ist/ Eile/ sage ich/ zu begrüssen deine Erzieherinn/ zu schauen deine Pegnitz/die Ernehrerinn und Seugamme deiner jungen Tage/Eile/ einmahl abzustatten die Pflicht/ mit derem du ihr so lang verbunden gewesen/ eile/ sage ich nochmals/anzuhören Strephons/ deß vortrefflichen Schäfers/geistige Spielreden und Hirtengedichte 3: Welches allein dir Vrsach gnug wäre/ zu gesegnen den Ort deiner jetztmahligen Enthältniß.

Weiter konte ich nicht reden/ dann ich der Gesellschaft/ rings üm mich stehende/ gewar wurde/ die mich bereits aus ihren Stirnen lesen macheten den Vnmuht 4/ den meine Wort ihnen in die Hertzen geschrieben. Darüm eröffnete ich ihnen alles/ was mir der abenteuerliche Botschafter angekündet/ und name darauf von einem jedlichen/ nicht ohne Vergiessen beyderseits Tränen/ kläglichsten Abschied/ gesegnete auch/ zur Zugab/ sie/ und die gantze Gegend/ mit folgendem Lied: 5


1
Zweymal ist der Schnee zerflossen/
Zweymal hat des Schnitters Hand
Von dem Akker Korn entwandt/
Zweymahl hat man Most genossen/
Seit daß ich an diesem Fluß/
Gab der Lust den ersten Gruß.
[19] 2
Seither ist mir nicht zerronnen/
Seither nichtes meiner Heerd/
Die auf fettbegraster Erd/
Augenblikklich Saft gewonnen:
Mein sehr muntrer Feldgesang
Mehrte dieser Felsen Klang.
3
Nun mich rufft ein Scheidbeginnen/
Vnd des Himmels hoher Raht/
Nun mich trägt der grüne Pfad/
Der mich mehrmahls trug/ von hinnen/
Sprech ich ach! das letzte Wort:
Gute Nacht! Ich reise fort.
4
Grünet fort/ ihr bunten Auen/
Die ich meiner Heerde Kost
Vnd der matten Glieder Trost/
Pflegte freudig sonst zu schauen/
Eure Zierde müsse nie
Missen ihres Wachstums Blüh.
5
Dich auch/ Silberklares Fliessen/
Das mir Hertz und Geist erfrischt
Vnd oft Weid und Lust gemischt/
Dich gesegn' ich mit Verdriessen/
Dich/ hab diesen Wunsch noch dir/
Färbe nimmer Mordbegier.
6
Vnd ihr/ treue Nebenhirten/
Denen war mit mir gemein
Hürde/ Weid'/ und Schäfelein/
[20]
Lebet froh/ bekräntzt mit Myrten/ 6
Lebt/ und liebet euren Sinn:
Ich ach! wandre von euch hin.
7
Gute Nacht/ ihr Parnassinnen/
Leitstab meiner Geistespur/
Nymfen/ meines Durstes Cur/
Gute Nacht/ ihr Schäferinnen/
Spricht der Mund schon Scheidewort/
Bleibt mein Hertz doch an dem Ort.
8
Gute Nacht/ ihr holden Felder/
Gute Nacht so manches Thal/
Berge/ Bächlein/ allzumahl/
Gute Nacht ihr Schatten-Wälder/
Werd'/ o höchstbeziertes Land/
Werde fort mehr Weltbekand.
9
Ich/ ich/ will dein Lob erheben/
weil mein Schäfer-pfeiffsakk stimmt/
Vnd in mir ein Flämlein glimmt/
Weil ein Fünklein Seel wird leben/
Weil dein Wasser Sudwarts rauscht/
Vnd dein Vfer Schatten tauscht.

Fußnoten

1 Hirvon sihe Ov. Meta. I. am. Der Götterbott Mercur.

2 Scali. Genius meus intus mecum loquitur.

3 Ludiloquia.

4 Frons est animi janua.

5 Scheidlied. Im Thon/ Damon gieng in tiefen Sinnen usw.

6 Vir. IG. Cingens materna tempora myrt.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Harsdörffer, Georg Philipp. Gedichte. Fortsetzung der Pegnitz-Schäferey. Hirtengedichte. [Zweymal ist der Schnee zerflossen]. [Zweymal ist der Schnee zerflossen]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-3508-C