[157] 19.

Trauer-Ode, beim Absterben seiner geliebten Mariane 1

Nov. 1736.


Soll ich von deinem Tode singen?
O Mariane! welch ein Lied,
Wann Seufzer mit den Worten ringen
Und ein Begriff den andern flieht!
Die Lust, die ich an dir empfunden,
Vergrößert jetzund meine Noth;
Ich öffne meines Herzens Wunden
Und fühle nochmals deinen Tod.
Doch meine Liebe war zu heftig,
Und du verdienst sie allzuwohl,
Dein Bild bleibt in mir viel zu kräftig,
Als daß ich von dir schweigen soll.
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Es wird, im Ausdruck meiner Liebe,
Mir etwas meines Glückes neu,
Als wann von dir mir etwas bliebe,
Ein zärtlich Abbild unsrer Treu!
Nicht Reden, die der Witz gebieret,
Nicht Dichter-Klagen fang ich an;
Nur Seufzer, die ein Herz verlieret,
Wann es sein Leid nicht fassen kann.
Ja, meine Seele will ich schildern,
Von Lieb und Traurigkeit verwirrt,
Wie sie, ergötzt an Trauer-Bildern,
In Kummer-Labyrinthen irrt!
Ich seh dich noch, wie du erblasstest,
Wie ich verzweiflend zu dir trat,
Wie du die letzten Kräfte fasstest,
Um noch ein Wort, das ich erbat.
O Seele, voll der reinsten Triebe,
Wie ängstig warst du für mein Leid!
Dein letztes Wort war Huld und Liebe,
Dein letztes thun Gelassenheit.
Wo flieh ich hin? in diesen Thoren
Hat jeder Ort, was mich erschreckt!
Das Haus hier, wo ich dich verloren;
Der Tempel dort, der dich bedeckt;
Hier Kinder – ach! mein Blut muß lodern
Beim zarten Abdruck deiner Zier,
Wann sie dich stammelnd von mir fodern;
Wo flieh ich hin? ach! gern zu dir!
O soll mein Herz nicht um dich weinen?
Hier ist kein Freund dir nah als ich.
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Wer riß dich aus dem Schooß der deinen?
Du ließest sie und wähltest mich.
Dein Vaterland, dein Recht zum Glücke,
Das dein Verdienst und Blut dir gab,
Die sinds, wovon ich dich entrücke;
Wohin zu eilen? in dein Grab!
Dort in den bittern Abschieds-Stunden,
Wie deine Schwester an dir hieng,
Wie, mit dem Land gemach verschwunden, 2
Sie unserm letzten Blick entgieng;
Sprachst du zu mir mit holder Güte,
Die mit gelassner Wehmuth stritt:
»Ich geh mit ruhigem Gemüthe,
Was fehlt mir? Haller kömmt ja mit!«
Wie kann ich ohne Thränen denken
An jenen Tag, der dich mir gab!
Noch jetzt mischt Lust sich mit dem kränken,
Entzückung löst mit Wehmuth ab.
Wie zärtlich war dein Herz im lieben,
Das Schönheit, Stand und Gut vergaß,
Und mich allein nach meinen Trieben
Und nicht nach meinem Glücke maß.
Wie bald verließest du die Jugend
Und flohst die Welt, um mein zu sein;
Du miedst den Weg gemeiner Tugend
Und warest schön für mich allein.
Dein Herz hieng ganz an meinem Herzen
Und sorgte nicht für dein Geschick;
Voll Angst bei meinem kleinsten Schmerzen,
Entzückt auf einen frohen Blick.
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Ein nie am eiteln fester Wille,
Der sich nach Gottes Fügung bog;
Vergnüglichkeit und sanfte Stille,
Die weder Glück noch Leid bewog;
Ein Vorbild kluger Zucht an Kindern,
Ein ohne Blindheit zartes Herz;
Ein Herz, gemacht mein Leid zu mindern,
War meine Lust und ist mein Schmerz.
Ach! herzlich hab ich dich geliebet,
Weit mehr als ich dir kund gemacht,
Mehr als die Welt mir Glauben giebet,
Mehr als ich selbst vorhin gedacht.
Wie oft, wann ich dich innigst küsste,
Erzitterte mein Herz und sprach:
»Wie? wann ich sie verlassen müsste!«
Und heimlich folgten Thränen nach.
Ja, mein Betrübniß soll noch währen,
Wann schon die Zeit die Thränen hemmt;
Das Herz kennt andre Arten Zähren,
Als die die Wangen überschwemmt.
Die erste Liebe meiner Jugend,
Ein innig Denkmal deiner Huld,
Und die Verehrung deiner Tugend
Sind meines Herzens stäte Schuld.
Im dicksten Wald, bei finstern Buchen,
Wo niemand meine Klagen hört,
Will ich dein holdes Bildniß suchen,
Wo niemand mein Gedächtniß stört.
Ich will dich sehen, wie du giengest,
Wie traurig, wann ich Abschied nahm!
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Wie zärtlich, wann du mich umfiengest,
Wie freudig, wann ich wiederkam!
Auch in des Himmels tiefer Ferne
Will ich im dunkeln nach dir sehn
Und forschen, weiter als die Sterne,
Die unter deinen Füßen drehn.
Dort wird an dir die Unschuld glänzen
Vom Licht verklärter Wissenschaft;
Dort schwingt sich aus den alten Gränzen
Der Seele neu entbundne Kraft!
Dort lernst du Gottes Licht gewöhnen,
Sein Rath wird Seligkeit für dich;
Du mischest mit der Engel Tönen
Dein Lied und ein Gebet für mich.
Du lernst den Nutzen meines leidens,
Gott schlägt des Schicksals Buch dir auf;
Dort steht die Absicht unsers scheidens
Und mein bestimmter Lebenslauf.
Vollkommenste! die ich auf Erden
So stark und doch nicht gnug geliebt!
Wie liebens-würdig wirst du werden,
Nun dich ein himmlisch Licht umgiebt.
Mich überfällt ein brünstigs hoffen,
O! sprich zu meinem Wunsch nicht nein!
O! halt die Arme für mich offen!
Ich eile, ewig dein zu sein!

Fußnoten

1 Aelteste Tochter des Herrn Samuel Wyß, Herrn zu Mathold und la Mothe, und Marien von Dießbach, die der Verfasser den 19. Febr. 1731 geheirathet und den 30. Octob. 1736 durch de Tod verloren hat, da er eben einen Monat vorher in Göttingen angekommen war.

2 Die Reise nach Göttingen fieng zu Schiff an.

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TextGrid Repository (2012). Haller, Albrecht von. Gedichte. Versuch Schweizerischer Gedichte. 19. Trauer-Ode. 19. Trauer-Ode. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-33A0-4