Der grüne Esel

Es schöpft ein Fabulist aus alten Wunderzeiten,
Gibt, lenkt, und hemmt Erdichtungen den Lauf.
Erzähler halten sich bei neuern Seltenheiten
Sogar, wie Wohlgemuth, beim grünen Esel, auf.
Aesopus selbst lehrt oft aus Kleinigkeiten.
Es wollte sich ein nicht zu junges Weib,
Von weisen neunundvierzig Jahren,
Aus innerem Beruf zum holden Zeitvertreib,
Mit einem frischen Stutzer paaren,
Und ihrer Nachbarin, die ungemein erfahren
Und klug war, wie Ulyß, den Vorsatz offenbaren.
[210]
Sagt, spricht sie, sagt mir doch: gefällt Leander euch?
Ist er nicht meinem Mann, dem sel'gen Manne, gleich?
Nur freundlicher, als er? Einander zu erbauen,
Soll uns der Oberpfarrherr trauen:
Doch, wenn wir uns, aus keuscher Liebe, frein,
Werd' ich, sagt, werd' ich nicht ein rechtes Märchen sein?
Romanenschreiber, Liederdichter,
Und die gemeinen Splitterrichter,
Und ach! die Weiber selbst, die Weiber muß ich scheun.
Freit! lehrt die Nachbarin. Laßt jeden schreiben, sagen,
Ja singen, wenn er singen kann,
Es sei ein Märchen von acht Tagen!
Am neunten hebt gewiß sich schon ein neues an.
Das soll mein Esel demonstriren.
Den färb' ich euch so grün, als meinen Papagei.
Dann soll er durch die Stadt spazieren,
Damit er allen sichtbar sei,
Und alle wird das große Wunder rühren.
Das träge Thier wird auf den Markt gebracht,
Der Pöbel läuft herzu, bewundert, gafft und lacht.
Wie? ruft man, können Esel grünen?
Das hätt' ich nimmermehr gedacht ...
O kommt doch, seht! ... Sollt' aber diese Tracht
Nicht mehr für edle Pferde dienen?
Doch alles ist recht schön, wie die Natur es macht ...
Was? die Natur? Es ist ein Werk der Kunst ...
Der Kunst? o nein, Gevatter, nein, mit Gunst!
Er ist das, was er ist, und kömmt uns aus dem Lande
Der grünen Esel her. Ich weiß nicht, wie es heißt:
Doch, wenn Er mir das Gegentheil beweist,
So gleicht im Kirchspiel Ihm kein Doctor an Verstande ...
Der Herr hat Recht; so sprach ein Bader, der gereist,
Und ein Gelehrter war. Ich habe, wider Hoffen,
In Capo Verde selbst dergleichen angetroffen.
Als Füllen sind sie gelb und blau,
Hernachmals grün. Ich kenne sie genau.
Dort hielt ich anfangs auch den Mund erstaunend offen;
Allein weit mehr, als ich in Chymia
Gar einen grünen Löwen sah.
[211]
Ach! seufzt' ein Weib, das gerne prophezeite,
Das Unglücksthier! beschaut es nur, ihr Leute!
Mir hat, vor kurzer Zeit, von grünem Vieh geträumt,
Und, leider! dieser Traum war gar nicht ungereimt,
Denn, seht! er ist erfüllt. Ein Unglück droht den Ländern,
Wo Thiere so die Farben ändern.
Nicht wahr? Hier ließen sich schneeweiße Mäuse sehn,
Wir sahen bald hernach die besten Kühe schwinden.
Seitdem sich um Paris die Purpurkatzen finden,
Soll auch die Falschheit dort recht sehr im Schwange gehn;
Kein Wunder, daß daher Haß, Krieg und Mord entstehn.
Sechs Tage zeigt er sich den Haubt- und Nebengassen,
Und kein Rhinoceros reizt mehr die Neubegier.
Bald aber wird auch er so aus der Acht gelassen,
Als das gemeinste Müllerthier.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Hagedorn, Friedrich von. Gedichte. Fabeln und Erzählungen. Zweites Buch. Der grüne Esel. Der grüne Esel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-32B7-9