Der Adler, die Sau und die Katze

Tyrannin! die du jung und alt
Mit unumschränkter Macht regierest!
Dich mit der weiblichen Gestalt
Der meisten Mode-Laster zierest,
Und bald des Stolzes, bald der List,
Auch oft der Einfalt Zuflucht bist,
Verleumdung! deren Mund die Wahrheit selbst betäubet,
Der Mund, den Zucht und Unschuld scheut;
Dir sei zum ersten Mal ein Blatt von mir geweiht,
Das jetzt ein Meisterstück, das du vollführt, beschreibet!
Es hatt' auf einem hohen Baum
Der Vögel Königin den Obersitz genommen,
Die Katze wählte sich der Eiche mittlern Raum.
Den untersten hatt' eine Sau bekommen.
Die hielten gute Nachbarschaft;
Durch Argwohn war noch nie die Eintracht unterbrochen;
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Doch endlich trennte sie der Bosheit Höllenkraft,
Die Katze kam zum Adler hingekrochen,
Und sprach: Hört! unsrer Kinder Tod,
Wo nicht der unsere, (doch, das zu unterscheiden,
Fällt Mutterherzen schwer) scheint gar nicht zu vermeiden.
Ein guter Freund warnt in der Noth.
Seht, ach! ich bitte, seht! wie wühlt die wilde Sau!
Sie gräbt, und will den Baum ganz aus der Wurzel heben.
Trau', schaue wem; wie muß ich arme Frau
An unsern Kindern das erleben!
Ihr kennt nicht die Gefahr; mir aber, mir ist bange!
Sobald die Eiche fällt, die schon beschädigt ist,
So seh' ich's, wie die Sau die lieben Kätzchen frißt,
Die ich verlass'nes Weib noch voller Furcht umfange.
Ich bin den Lügen gram; ich suche keinen Zwist;
Nein, ehrlich, ehrlich währet lange.
Nachdem sie das gesagt, und mit verstelltem Sinn
Den Argwohn gleich erweckt, auf den ihr Reden zielte,
So schlich die schlaue Frau stracks zu der Bache hin,
Die unten ihre Wochen hielte.
Ach! allerliebste Nachbarin,
Euch ahnt's wol nimmermehr, warum ich traurig bin.
Die Kinder jammern mich, die eure Brüste saugen.
Man traue keinen Adleraugen!
Könnt ihr auch schweigen? Gebt doch Acht,
Wie über uns der böse Vogel wacht.
Ich weiß es nur zu wohl, er schärfet schon die Klauen,
Und raubet, wenn ihr euch aus eurem Lager macht,
Die schönen Kinderchen; doch alles im Vertrauen.
Nur sagt mir nicht hernach: Das hätt' ich nicht gedacht!
Dies wiederholt sie oft, wünscht seufzend gute Nacht,
Und klettert in ihr Loch zurücke,
Und freut sich der gelungnen Tücke.
Der Adler hütet stets das Nest,
Damit der Bache Zahn nicht seine Jungen spieße,
Wie gegentheils die Sau die Eiche nicht verläßt,
Damit der Adler nicht auf ihre Ferkel schieße.
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So groß nun beider Mangel war,
So fürchteten sie doch der Ihrigen Gefahr,
Und da sie jederzeit in ihrer Wohnung blieben,
Wo jedem Kost und Wasser fehlt,
So wurden auch, wie Phädrus uns erzählt,
Sie insgesammt von Durst und Hunger aufgerieben,
Und die Betrognen dienten bald
Dem falschen Katzenmaul zum neuen Unterhalt.
Was können böse Zungen nicht
Leichtgläubigen für Stacheln hinterlassen?
Was richten sie nicht an? Wer ist wol mehr zu hassen,
Als der von Frommen übel spricht?
O könnt' ich dieses hier in kurze Worte fassen!
Doch Sirach that es schon, der ungeheuchelt schrieb:
Wer lüget, wer verleumd't, ist ärger, als ein Dieb.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Hagedorn, Friedrich von. Gedichte. Fabeln und Erzählungen. Erstes Buch. Der Adler, die Sau und die Katze. Der Adler, die Sau und die Katze. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-308E-A