[39] [41]Der Buchstabe Be.

1.

Ich sprach: »O Sultan du der Schönen.
Erbarme dieses Fremdlings dich!«
Er sprach: »Wenn er dem Herzen folget,
Verirrt der arme Fremdling sich.«
Ich sprach zu Ihm: »Verzieh' ein wenig!«
Er sprach: »Entschuldigt lass mich sein,
Denn es erträgt das Kind des Hauses
Vom Fremdling nicht so viele Pein.«
Was grämt's den Zärtling, der da schlummert
Auf königlichem Hermelin,
Legt Stein' und Dornen sich der Fremdling
Als Polster und als Kissen hin?
Du, der so viel bekannte Seelen
An seiner Locken Kette hält!
Dein Moschusmaal auf rother Wange,
Ein Fremdling ist's, der sehr gefällt.
Fremd scheint die Ämsenschaar des Flaumes,
Die deine Wange rings umschliesst,
Wenn gleich in China's Bilderhause
Ein Moschusstrich kein Fremdling ist.
Auf deines Mondgesichtes Farbe
Erscheint des Weines Widerschein
Als Fremdling, wie die Ergwansblüthe
Auf Rosenblättern würde sein.
Ich sprach: »Du, dessen nächt'ge Locke
Der Abend eines Fremdlings scheint!
Du magst dich vor dem Morgen hüten,
Wenn dieser Fremdling klagt und weint!«
Er sprach: »Hafis! Selbst die Bekannten
Steh'n da verwundert über mich:
D'rum ist's begreiflich, setzt der Fremdling,
Krank und von Gram ermattet, sich.«

[41] [43]2.

Der Morgen graut; die Wolke
Hüllt sich in Schleier ein:
Den Morgenwein, ihr Freunde!
Auf, bringt den Morgenwein!
Seht, wie auf Tulpenwangen
Der Thau hell niedersinkt:
D'rum bringt mir Wein, o Freunde,
Wein, den man immer trinkt!
Die Luft des Paradieses
Weht von der Wiese Rain:
D'rum trinket unablässig
Vom allerreinsten Wein!
Ein Thron ist's aus Smaragden,
Auf dem die Rose sitzt:
D'rum bringe Wein, der feurig
Gleich dem Rubine blitzt!
Man schloss das Thor der Schenke
Zum zweiten Male zu:
O öffne du es wieder,
Der Pforten Öffner du!
Wohl ist es zu verwundern,
Dass in so froher Zeit
Das Weinhaus man verschlossen
Mit solcher Schnelligkeit.
Dein Mund, roth wie Rubine,
Ist sich des Rechts bewusst,
Das wohl das Salz nur hätte
Auf eine wunde Brust.
Hafis, sei unbekümmert!
Es schlägt das Liebchen »Glück«
Am Ende doch den Schleier
Vom Angesicht zurück.

[43] [45]3.

Des Glückes Morgen graut; wo ist
Das Glas, der Sonne zu vergleichen?
Geleg'ner war die Zeit wohl nie:
D'rum wolle mir das Weinglas reichen!
Das Haus ist still, der Schenke hold,
Der Sänger scherzt mit süssem Munde;
Es ist der Lust, der Jugend Zeit,
Und Becher kreisen in der Runde.
Damit die Sinne sich erfreu'n
Und nie der Freude Zierden fehlen.
Soll sich der goldene Pocal
Mit flüssigem Rubin vermählen!
Das Liebchen klatscht, der Sänger auch.
Die Trunk'nen heben ihre Füsse,
Und Weinverehrern raubt den Schlaf
Des Schenken Liebesblick, der süsse.
Ganz einsam ist's und sicher hier,
Ein Ort, wo Seelen Lust geniessen;
Es werden Jedem, der hier weilt,
Sich hundert Siegesthor' erschliessen.
Die flinke Künstlerin Natur,
Beherzigend des Weines Güte,
Verbirgt das Rosenwasser schön
In jedes Rosenblatt's Gemüthe.
Seit jener Mond als Käufer sich
Hafisens Perlen nahm zu eigen,
Vernimmt Sŏhrē zu jeder Zeit
Des Saitenspieles lauten Reigen.

[45] [47]4.

Aus dem Garten deiner Liebe schöpfet
Selbst Rĭswān's Gefild des Ruhmes Fluth;
Von den Gluthen deiner Trennung borget
Selbst die Hölle ihre heisse Gluth.
Zuflucht sucht bei deiner schönen Wange
Und bei deiner schlanken Hochgestalt
Selbst das Paradies und selbst der Thuba;
Wohl denn ihnen! Schöner Aufenthalt!
Wie mein Aug', so sieht durch ganze Nächte
Auch der Strom der Paradiesesflur
Immerdar im Schlaf das Traumgebilde
Deiner trunkenen Narcisse nur.
Jeder Abschnitt in des Frühlings Buche
Ist ja deiner Schönheit Commentar,
Und ein jedes Thor des Paradieses
Bringt ein schönes Lobgedicht dir dar.
Dieses Herz verbrannte, und die Seele,
Nicht erhielt sie das gewünschte Gut;
Denn erhielt sie's, so vergöss' sie nimmer
Ein mit Wasser untermengtes Blut.
Deine Lippe und dein Mund geniessen
Salzesrechte mannigfacher Art
Auf das Herz, das leidende, das wunde,
Und den Busen, der zum Braten ward.
Wähne nicht, es sei'n zu deinen Zeiten
Nur Verliebte trunken und verstört:
Hast du nichts von jener Frömmler Lage,
Die da wüst geworden sind, gehört?
Jetzt zur Zeit der Herrschaft deiner Lippe
Wird es mir bis zur Gewissheit klar,
Dass, was den Rubin zu Tag gefördert,
Nur das Weltlicht einer Sonne war.
[47][49]
Lüfte doch die Hülle, die dich decket!
Hüllt noch lang' dich dieser Schleier ein?
Brachte denn dir jemals diese Hülle
Andren Vortheil als nur Scham allein?
Als die Rose dein Gesicht erblickte,
Glühte sie, da Neid sie überkam;
Als sie sich an deinem Dufte labte,
Schmolz zu Rosenwasser sie aus Scham.
Liebe nur zu deinem Angesichte
Taucht Hafisen in des Unglücks Meer;
Sieh, es gilt ja eines Menschen Rettung:
Komm und hilf, denn sonst versinket er.
Fruchtlos ziehe nimmer dieses Leben
– Gib's nicht zu, Hafis – an dir vorbei:
Mühe dich und trachte aufzufinden,
Was der Zweck des theuren Lebens sei.

License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Ḥāfeẓ, Šams o'd-din Moḥammad. Der Buchstabe Be. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-2F62-4