[147] [149]Der Buchstabe Ain.

1.

Bei Schědschā', des König's, Ruhme
Und bei seiner Herrlichkeit
Schwör' ich es: Um Gold und Ehren
Bin mit Niemand ich in Streit.
Blick' nur einmal die Verliebten
Dankbar für die Gnade an,
Dass du Kaiser sei'st und Herrscher,
Ich nur Sclav' und Unterthan.
Deines Glases Segenshefe
Weckt zwar meinen Durst; allein
Nicht zu kühn will ich erscheinen,
Und nicht überlästig sein.
Mir genügt der Wein des Hauses:
Hol' vom Wirthe keinen mir;
Nun der Trinkgenoss erschienen,
Freundin Reue, scheiden wir.
Wascht, um Gotteswillen bitt' ich,
Mir die Kutte rein mit Wein,
Denn ich sauge von der Tugend
Keine guten Düfte ein!
Sieh wie bei der Harfe Klagen
Tanzend sich der Mann bewegt,
Der das Hören selbst des Reigens
Zu verbieten sonst gepflegt.
Stirn und Angesicht Hafisens
Trenne der Allmächt'ge nie
Von dem Staub des hohen Thrones
Den er dem Schědschā' verlieh!

[149] [151]2.

Bei Schědschā', des Königs, Hofe
Der der Erde Glanz verleiht,
Schwör' ich es: Um Geld und Ehren
Bin mit Niemand ich in Streit.
Bringe Wein weil, wenn die Sonne
Ihre helle Fackel schwingt,
Auch der Segen ihrer Strahlen
In des Armen Hütte dringt.
Eine Flasche und ein Zechfreund
G'nügen mir in dieser Welt,
Weil bei And'rem nur Zerstreuung
Und nur Kopfweh mich befällt.
Weiser, geh' und gib dies Mitleid
Für ein Glas voll Weines hin,
Weil ich Unterthan und Sclave,
Und nicht Herr und Kaiser bin.
Aus dem Bethaus in die Schenke
Weist den Weg die Liebe mir:
Nun der Trinkgenoss erschienen,
Freundin Reue, scheiden wir.
Diese Zeit kauft Kunstsinn nimmer,
Und ich habe nichts als ihn:
D'rum, wo trag' ich diese Waare
Die nicht Absatz findet, hin?
Mich betrübt Hafisens Frömmeln
Und sein klösterliches Thun:
Stimm' die Saiten, singe Lieder:
Denn zum Reigen schreit' ich nun.

[151] [153]3.

Zur Morgenzeit, wenn aus dem Köschke,
Dem einsamstillen, der Natur,
Des Ostens Fackel Strahlen sendet
Nach allen Gegenden der Flur;
Wenn aus des Horizontes Busen
Der Himmel seinen Spiegel' zieht,
Worin in tausendfachen Formen
Man das Gesicht der Erde sieht;
Wenn in des Lustgebäudes Zellen,
Wo der Dschěmschīd des Himmels lebt,
Sŏhrē die Orgeltöne stimmet
Und sich zum Reigentanze hebt,
Da scheint der Harfe Ton zu sagen:
»Wer läugnet was die Liebe thut?«
Und lachend scheint das Glas zu fragen:
»Wer hat zu hindern es den Muth?«
Betrachte des Geschickes Treiben,
Und greife nach der Lust Pocal,
Denn als die trefflichste der Thaten
Bewährt sich dies auf jeden Fall.
Ein Trug nur ist und eine Schlinge
Das Haar des Liebchens »Welt« genannt:
Das haben, fern von allem Streite,
Die Weisen alle schon erkannt.
Begehre dass der König lebe,
Ist dir das Heil der Erde werth:
Er ist ein gnadenreiches Wesen,
Das Huld und Vortheil nur gewährt;
Als Gegenstand der ew'gen Gnade,
Als Hoffnungsauge hell und klar,
Als Weltgeist strahlt voll Kraft und Wissen
Schědschā', der König, immerdar.
Hafis, verweil' an seinem Thore,
So wie ein Knecht bei seinem Herrn;
Er ist ein Fürst der Gott gehorchet,
Und ihm gehorchen alle gern.

[153] [155]4.

Die treue Liebe ist's, die bei den Schönen,
Der Kerze gleich, mir einen Namen macht;
Wo man sein Haupt auf's Spiel gesetzt und zechet
Leucht' ich, der Kerze gleich, in finst'rer Nacht.
Es kömmt bei Tag so wie bei Nacht kein Schlummer
Mir in das Auge das dem Gram nur fröhnt,
Denn deiner Trennung Schmerz hat, gleich der Kerze,
Mich an das Weinen gar zu sehr gewöhnt.
Durchschnitten durch die Schere deines Grames
Ward mir der Faden der Geduld, und doch
Kann ich im hellen Feuer deiner Liebe,
Der Kerze gleich, beständig lächeln noch.
O sende in der dunklen Nacht der Trennung
Den theuren Freibrief des Genusses mir,
Wo nicht, so setz' ich eine Welt in Flammen,
Der Kerze gleich, in heisser Lust nach dir.
Wenn meiner Thräne rosenfarbner Zelter
Nicht gar so hitzig trabte immerdar,
Wie würde denn, was ich so sorgsam berge,
Der Kerze gleich, den Leuten hell und klar?
Denn in des Wassers und des Feuers Mitte
Brennt immer nur für dich in heisser Gluth
Dies Herz das sich verzehret gleich der Kerze,
Und überströmt von einer Thränenfluth.
Es wurde mir in deines Grames Händen
Der Felsen der Geduld wie Wachs so weich,
Seit in der Fluth und Gluth ich deiner Liebe
Zu schmelzen anfing, einer Kerze gleich.
Mein Tag ist Nacht, getrennt von deiner Schönheit
Die dieser Welt die höchste Zier erst gab,
Und, bei der reichsten Fülle meiner Liebe,
Nehm' ich doch immer, gleich der Kerze, ab.
[155][157]
Lass einmal Nachts mich stolz das Haupt erheben
Halsstärriger! durch den Verein mit dir,
Auf dass dein holder Anblick diese Halle,
Gleich einer Kerze, hell erleuchte mir.
Es bleibt von mir, wenn ich dich nicht erblicke,
Dem Morgen gleich, nichts übrig als ein Hauch;
Zeig' mir dein Antlitz, Holder, und ich opf're,
Der Kerze gleich, dir meine Seele auch.
Ergriffen ist auf wunderbare Weise
Hafisens Haupt von deiner Liebe Gluth:
Wann werd' ich wohl des Herzens Feuer löschen,
Der Kerze gleich, durch meines Auges Fluth?

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Ḥāfeẓ, Šams o'd-din Moḥammad. Der Buchstabe Ain. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-287A-2