[129] Er klaget in der Einsamkeit

Den 21. Jul. 1720.


Hier, wo mich niemand weis
Als Gott und meine Noth,
Vergieß ich Blut vor Schweiß
Und eße Kraut vor Brodt
Und dencke bey dem Schmerzen
Mit höchst betrübtem Herzen
An meine Vaterstadt,
Die unter Asch und Kohlen
Mir alles Gut gestohlen
Und mich, ihr Kind, dazu noch gar verworfen hat.
Ich denck auch wohl an dich,
Du allerliebstes Kind.
Die Zeiten ändern sich,
Ach, aber zu geschwind.
Wie schlecht ist unserm Lieben
Der Abschiedswuntsch beklieben,
Der Gott so zärtlich bat.
Du weintest vor Vergnügen,
Durch mich bald Ruhm zu kriegen;
Hier liegt nun meine Kunst und weis vor sich kaum Rath.
Die fünfte Sommerlust
Führt jezt die Garben ein;
So lang ist meine Brust
Ein Schauplaz vieler Pein.
Doch was ich sonst ertragen,
Ist gegen diese Plagen
Vorwahr nur Spiel und Scherz:
Kein Ansehn, mich zu heben,
Und nichts als Müh im Leben;
O Gott, wie dauret mich mein allzuredlich Herz.
Mich wundert, daß mir noch
Der Stock ein Lager gönnt,
[130]
Denn sonst verfolgt mich doch,
Was mich nur sieht und kennt;
Vor leichte Jugendsünden,
Die doch die meisten binden,
Trift mich allein die Last,
Die Last zu schwerer Strafen,
Da viel in Fülle schlafen,
Die Boßheit und Betrug an güldne Stricke fast.
O Phoebus, leidest du,
Daß deine Kinder schreyn
Und doch bey wenig Ruh
Den Helden dienstbahr seyn?
Wie kommt's, daß unsre Gaben
Fast nichts zum Vortheil haben
Als Armuth und Verdruß?
Ein Hofnarr lebt ja beßer
Und lacht mit fettem Meßer,
Wenn unsre kluge Hand nur Rüben schälen muß.
Im Reimen steckt wohl auch
Mein ganzes Wißen nicht;
Ich sorge vor den Bauch,
Doch hat mein Kopf auch Licht.
Was fehlt mir denn? Die Mode.
Es heist, ich läg im Sode
Und wäre nicht gewand.
O reißt mich aus dem Kittel
Und gebt Erhöhungsmittel
Und seht mich wieder an: Was gilt's? Ich bin galant.
Dir, Vater, der du liebst
Das, was es redlich meint,
Dir, der du jedem giebst,
So viel ihm nöthig scheint,
Dir küß ich Hand und Ruthe
Und bitte bey dem Blute,
[131]
Das aller Heil gebiehrt,
Befrey stets mein Gewißen
Und las mich nichts beschließen,
Als was mich auf den Zweck von deiner Ordnung führt.
Thu Wunder vor der Welt
Und bringe mich empor;
Ich wüntsche Ruhm und Geld,
Jedoch Verstand zuvor;
Ich steh nach kleinen Gütern,
Um ehrlichen Gemüthern
Auch einmahl Guts zu thun.
Hier ist mein Freund zur Stelle;
Wird unser Glücksstern helle,
Soll manches Armen Trost auf unser Pflicht beruhn.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Günther, Johann Christian. Gedichte. Gedichte. Klagelieder und geistliche Gedichte. Striegau - Schweidnitz 24. September 1719 - Lauban Ende Juli 1720. Er klaget in der Einsamkeit. Er klaget in der Einsamkeit. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-23E9-1