[208] An Leonoren

Mein Kummer weint allein um dich,
Mit mir ist's so verloren,
Die Umständ überweisen mich,
Ich sey zur Noth gebohren.
Ach, spare Seufzer, Wuntsch und Flehn,
Du wirst mich wohl nicht wiedersehn
Als etwan in den Auen,
Die Glaub und Hofnung schauen.
Vor diesem, da mir Fleiß und Kunst
Auf künftig Glücke blühte
Und mancher sich um Günthers Gunst
Schon zum Voraus bemühte,
Da dacht ich, wider Feind und Neid
Die Palmen der Beständigkeit
Mit selbst erworbnem Seegen
Dir noch in Schoos zu legen.
Der gute Vorsaz geht in Wind;
Ich soll im Staube liegen
Und als das ärmste Findelkind
Mich unter Leuten schmiegen.
Man läst mich nicht, man stöst mich gar
Noch stündlich tiefer in Gefahr
Und sucht mein schönstes Leben
Der Marter preiszugeben.
So wird auch wohl mein Alter seyn;
Ich bin des Klagens müde
Und mag nichts mehr gen Himmel schreyn
Als: Herr, nun las im Friede!
Kraft, Muth und Jugend sind fast hin,
Daher ich nicht mehr fähig bin,
Durch auserlesne Sachen
Mir Gut und Ruhm zu machen.
[209]
Nimm also, liebstes Kind, dein Herz,
O schweres Wort, zurücke
Und kehre dich an keinen Schmerz,
Womit ich's wiederschicke;
Es ist zu edel und zu treu,
Als daß es mein Gefehrte sey
Und wegen fremder Plage
Sein eignes Heil verschlage.
Du kanst dir durch dies theure Pfand
Was Köstlichers erwerben,
Mir mehrt es nur den Jammerstand
Und läst mich schwerer sterben;
Denn weil du mich so zärtlich liebst
Und alles vor mein Wohlseyn giebst,
So fühl ich halbe Leiche
Auch zweyfach scharfe Streiche.
Ich schwur vor diesem: Nur der Tod,
Sonst soll uns wohl nichts trennen;
Verzeih es jezo meiner Noth,
Die kan ich dir nicht gönnen;
Ich liebe dich zu rein und scharf,
Als daß ich noch begehren darf,
Daß Lorchen auf der Erde
Durch mich zur Wittwen werde.
So brich nur Bild und Ring entzwey
Und las die Briefe lodern;
Ich gebe dich dem ersten frey
Und habe nichts zu fodern.
Es küße dich ein andrer Mann,
Der zwar nicht treuer küßen kan,
Jedoch mit größerm Glücke
Dein würdig Brautkleid schmücke.
Vergiß mich stets und schlag mein Bild
Von nun an aus dem Sinne;
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Mein leztes Wüntschen ist erfüllt,
Wofern ich dies gewinne,
Daß mit der Zeit noch jemand spricht:
Wenn Philimen die Ketten bricht,
So sind's nicht Falschheitstriebe,
Er hast sie nur aus Liebe.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Günther, Johann Christian. Gedichte. Gedichte. Liebesgedichte und Studentenlieder. Leonore [1]. An Leonoren [4]. An Leonoren [4]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-21FA-F